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Berlin. An diese Schriftzeichen wird man sich in nächster Zeit gewöhnen müssen: Sie ste- hen im Koreanischen für Pyeongchang, die Gastgeberstadt der Olympischen Winterspie- le, die in einer Woche beginnen. Das sportli- che und kommerzielle Großereignis in Süd- korea ist längst in aller Munde – allerdings bis- her weniger wegen des Wettkampfpro- gramms, das mit mehr als 100 Disziplinen ei- ne neue Dimension erreicht. Vielmehr be- stimmen Negativschlagzeilen das vorolympi- sche Geschehen. Da ist der nicht endende Kampf gegen Doping und die Auseinander- setzung um das Startrecht der russischen Mannschaft. Da sind immer wieder aufbre- chende Debatten um Korruption in dem Welt- konzern namens Internationales Olympisches Komitee. Das sind die oft genug problemati- schen Finanz- und Umweltbilanzen früherer Gastgeberstädte, mit denen auch Sotschi, die Winterolympia-Metropole von 2014, zu kämpfen hat. Und da ist der Korea-Konflikt, dessen gefährliche Zuspitzung in den letzten Wochen nun in eine womöglich nur kurze Olympiapause gegangen ist. Dennoch werden die Winterspiele zu einem globalen Medienereignis. Wir haben ihr das wochen-nd gewidmet. Darin werfen wir mehr als nur einen Blick auf das geteilte Korea, wir beschäftigen uns mit Wirtschaft und Bildung im Gastgeberland. Wir besuchen eine korea- nische Familie in Berlin. Und wir suchen nach den Ursprüngen der rätselhaft schönen korea- nischen Schriftzeichen. wh Seiten 17 bis 32 STANDPUNKT Kooperation light Jürgen Amendt über die Einigung von Schwarz-Rot bei der Bildung Sollte es zu einer Neuauflage der Koalition aus Union und SPD kommen, dann könnte das Ko- operationsverbot fallen, das dem Bund kategorisch untersagt, in die Schulpolitik der Länder hineinzu- regieren. Dann würde sich der Bund zum Beispiel stärker finan- ziell beim Betrieb der Ganztags- schulen engagieren; bislang durfte er dies nur im Rahmen von Son- derprogrammen. Sollte, könnte, würde … Der Konjunktiv ist in diesem Fall an- gebracht. Die Hürde Bundestag wird noch leicht zu nehmen sein; zwar benötigen Union und SPD für die Abschaffung des Koopera- tionsverbots eine Zweidrittel- mehrheit – eine Mehrheit, über die sie nicht verfügen, doch halten sowohl Linkspartei als auch Grüne und FDP das 2006 erlassene Ko- operationsverbot für einen bil- dungspolitischen Irrweg. Die unbekannte Variable ist der Bundesrat, der der Grundgesetz- änderung zustimmen muss. Die finanzschwachen Bundesländer werden über zusätzliche Finanz- spritzen aus Berlin sicherlich nicht traurig sein. Aber es gibt auch Widerstand gegen das Vorhaben, denn gerade Unionspolitiker fürchten, dass der Bund, nachdem er Geld gegeben hat, auch bei In- halten mitreden will. Vor allem die Südländer wer- den in einer Sache hart bleiben: Über Inhalte, etwa gemeinsame Lehrpläne oder einheitliche Stan- dards, will zum Beispiel Bayern mit Berlin nicht verhandeln. Ein Kooperationsgebot, da sollte man sich nichts vormachen, wird es auch nach einer Grundgesetzän- derung nicht geben. UNTEN LINKS Die Linkspartei meldet neue Mitglieder. Die Grünen melden neue Mitglieder. Und die SPD kann sich derzeit vor neuen Mit- gliedern kaum retten. Der Trend ist klar: Rot-Rot-Grün ist nicht aufzuhalten. Das ist folgerichtig, denn die Parteien, die die Welt verändern wollen, leben von der Aktivität ihrer Anhänger. Fehlt nur noch eine Kleinigkeit: die Mehrheit bei Wahlen. Umfragen lassen kaum Grund zu übertrie- bener Hoffnung. Wieso dieser Wi- derspruch? Wählen all die neuen Mitglieder die Parteien gar nicht, in die sie eintreten? Oder werden soeben die letzten Wähler noch schnell Mitglieder ihrer Lieblings- parteien? Um nicht abseits zu ste- hen, wenn diese in der Versen- kung verschwinden? Bei der SPD jedenfalls nähern sich Mitglieder- und Wählerzahl unaufhörlich an. Irgendwann werden sie gleich sein. Schon in der Wahlkabine wird die Mitgliederbefragung zur GroKo ausliegen. Und die Konser- vativen merken endlich, dass sie der Zeit wieder einmal hoff- nungslos hinterherhinken. uka Länder wollen NPD- Finanzen kappen Bundesrat startet Verfahren für Stopp der Staatsgelder an Nazipartei Berlin. Der Bundesrat hat den ersten Schritt zum möglichen Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung gemacht. Einstimmig beschloss die Länderkammer am Freitag in Berlin einen Antrag zur Einleitung ei- nes entsprechenden Verfahrens vor dem Bun- desverfassungsgericht. Die gesetzliche Grund- lage mit der Möglichkeit, der NPD den Geld- hahn zuzudrehen, wurde erst im vergangenen Jahr geschaffen. 2016 erhielt die NPD noch gut 1,1 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen. Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) verwies auf die Erinnerung an die Verbrechen des National- sozialismus, die erst am Mittwoch in der Ge- denkstunde des Bundestags im Mittelpunkt stand. Mit dieser Erinnerung verbinde sich die Verpflichtung, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholten. Die NPD richte sich ge- gen die freiheitlich-demokratische Grundord- nung. epd/nd 264 Millionen Kinder ohne Schule UNICEF: Zunehmende Gewalt gegen Bildungsstätten in Konfliktregionen Berlin. Mehr als eine Viertelmilliarde Kinder hat nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF aufgrund von Armut, Krieg oder Kri- sen keinen Zugang zu Bildung. »Kinder brau- chen nicht trotz Krieg Bildung, sondern ge- rade deswegen«, sagte der deutsche UNICEF- Vorsitzende Jürgen Heraeus am Freitag in Berlin, wo die Organisation den »Report 2018 – Die Chance auf Bildung« vorstellte. Das Kin- derhilfswerk fordert eine bessere Finanzie- rung von Bildung vor allem in Krisenregio- nen. Nach Schätzungen sind jährlich 340 Mil- liarden US-Dollar zusätzlich nötig. Das Prob- lem war auch Thema einer zeitgleichen Ge- berkonferenz in Senegals Hauptstadt Dakar. Zudem registriert UNICEF vermehrt Gewalt gegen Bildungseinrichtungen in Konfliktregi- onen. Allein im Nordosten Nigerias habe die islamistische Miliz Boko Haram 1400 Schu- len zerstört und 2300 Lehrer getötet. AFP/nd ISSN 0323-3375 Dämonisierte Retter Mit harten, aber bis heute unbelegten Vorwürfen machten Politiker Stimmung gegen Flüchtlingsretter – mit Erfolg. Seiten 2 und 4 Foto: dpa/Hans-Christian Wöste Kooperationsverbot in der Bildung soll fallen Union und SPD einigen sich auf Mehrausgaben für Kita, Schulen und Hochschulen Bei den Koalitionsverhandlun- gen haben sich Union und SPD auf mehr Bildungsinvestitionen geeinigt. Zudem soll das Koope- rationsverbot für den Schulbe- reich fallen. Von Jürgen Amendt Als 2006 die Große Koalition ei- ne Grundgesetzänderung durch- setzte, nach der dem Bund fortan untersagt war, Schulen und Hochschulen, Wissenschaft und Forschung direkt zu finanzieren, wurde dies von der damaligen Bundesbildungsministerin An- nette Schavan (CDU) verteidigt. Drei Jahre später klang die Mi- nisterin schon anders, da be- zeichnete sie das Kooperations- verbot als Fehler – allerdings nur für die Hochschulen; bei der Schulpolitik blieb Schavan eisern bei der Haltung, dass jede Ein- mischung des Bundes in die Län- derhoheit zurückzuweisen sei. Auch Schavans Nachfolgerin und Parteifreundin Johanna Wanka hielt in den vergangenen Jahren am Kooperationsverbot für den Schulbereich fest. Jetzt soll es doch fallen. Jedenfalls haben sich am Donnerstagabend die Unter- händler von CDU, CSU und SPD bei ihren Koalitionsverhandlun- gen in Berlin auf diese Sprachre- gelung geeinigt. Das ist im Sinne der SPD-Füh- rung, die bei ihren Mitgliedern um die Zustimmung zu einer Neuauflage der Großen Koalition werben muss. Die Abschaffung des Kooperationsverbotes dürfte der sozialdemokratischen Basis ein Ja zum Koalitionsvertrag er- leichtern. Die SPD-Spitze ver- bucht die Einigung bei den Ver- handlungen zur Bildungspolitik deshalb auch als ihren Erfolg. Mecklenburg-Vorpommerns Mi- nisterpräsidentin und SPD-Vize- chefin Manuela Schwesig erklär- te, dass in dieser Legislaturperi- ode rund sechs Milliarden Euro »in die komplette Bildungskette« von Kitas über Ganztagsschulen und berufliche Bildung bis zu Hochschulen fließen sollen. Wei- tere 3,5 Milliarden Euro stünden bis zum Jahr 2021 für die Um- setzung des Digitalpakts in den Schulen bereit. Insgesamt soll der Pakt, den Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bereits im Herbst 2016 angekündigt hatte, ein Vo- lumen von fünf Milliarden Euro haben. Ziel ist es, die 40 000 Schulen in Deutschland mit schnellem Internet und einer zeit- gemäßen IT-Ausstattung zu ver- sorgen. Bund und Länder hatten sich bei der Ministerpräsidenten- konferenz am Donnerstag in Ber- lin darauf verständigt, den Digi- talpakt endlich umzusetzen. Au- ßerdem sollen die Forschungs- ausgaben bis zum Jahr 2025 auf mindestens 3,5 Prozent des Brut- toinlandsprodukts steigen. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, der Bund werde zwei Mil- liarden Euro beisteuern. Der Deutsche Gewerkschafts- bund (DGB) begrüßte die Eini- gung von Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen zur Bil- dungspolitik. »Das sind wichtige Reformimpulse für einen bil- dungspolitischen Aufbruch, den unsere Gesellschaft dringend braucht«, erklärte die stellvertre- tende DGB-Vorsitzende Elke Hannack am Freitag in Berlin. Zugleich forderte sie zusätzliche Investitionen über das bislang Vereinbarte hinaus: Der Bund müsse »noch eine Schippe drauf- legen«. Mit Agenturen »Der Bund muss noch eine Schippe drauflegen.« Elke Hannack, DGB-Vizevorsitzende Sonnabend/Sonntag, 3./4. Februar 2018 73. Jahrgang/Nr. 29 Bundesausgabe 2,30 € www.neues-deutschland.de Heute mit 24 Seiten OXI (nur für AbonnentInnen): Ökonomie, die Der Postkapitalismus ist Männersache. Bislang. 18 2 MURX I Ökonomie, die Die Voreingenommenheit der Wirtschaftswissenschaften und der Politik gegenüber anderen Denkhaltungen und der Geschlechterfrage ist lebensgefährlich geworden Der Post- kapitalismus ist ebenfalls Männersache. Bislang. Symbolische Friedensspiele Seiten 18, 19 Wirtschaft und Wohlstand im Süden Seiten 20, 21 Die Samsung-Gesellschaft Seite 22 Kims Propagandasieg Seite 23 Ein Koreaner aus Krefeld Seite 25 Olympischer Dauerstreit Seite 27 Strategie auf dem Brett: Janggi Seite 29 Nord-Süd-Passage – zwei Reisen Seiten 30, 31 Linke Kontroverse um SYRIZA Melenchon-Partei will Griechen aus Europäischem Verbund werfen Paris. Frankreichs Parti de Gauche fordert, die griechische Regierungspartei SYRIZA aus der Europäischen Partei der Linken (EL) auszu- schließen. In einem Kommuniqué nach sei- ner Sitzung am Mittwochabend teilte der Vorstand der französischen Linkspartei mit, für die von Jean-Luc Mélenchon gegründete und bis 2014 von ihm geführte Partei sei es »unmöglich« geworden, mit den griechi- schen Linken weiter in einem Zusammen- schluss zu verbleiben. Der von SYRIZA ge- stellte Premier Alexis Tsipras bediene mit »seiner« Austeritätspolitik die Interessen von EU-Kommission und Internationalem Wäh- rungsfonds. Der EL-Präsident Gregor Gysi warnte an- gesichts der Forderung vor einer Schwä- chung der Partei der Europäischen Linken. »Ich bin relativ sicher, dass ein Ausschluss- antrag im Rat der Vorsitzenden keinen Erfolg haben wird«, so Gysi. sat Seiten 2 und 5

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Berlin. An diese Schriftzeichen wird man sichin nächster Zeit gewöhnen müssen: Sie ste-hen im Koreanischen für Pyeongchang, dieGastgeberstadt der Olympischen Winterspie-le, die in einer Woche beginnen. Das sportli-che und kommerzielle Großereignis in Süd-korea ist längst in aller Munde – allerdings bis-her weniger wegen des Wettkampfpro-gramms, das mit mehr als 100 Disziplinen ei-ne neue Dimension erreicht. Vielmehr be-stimmen Negativschlagzeilen das vorolympi-sche Geschehen. Da ist der nicht endendeKampf gegen Doping und die Auseinander-setzung um das Startrecht der russischenMannschaft. Da sind immer wieder aufbre-

chende Debatten um Korruption in dem Welt-konzern namens Internationales OlympischesKomitee. Das sind die oft genug problemati-schen Finanz- und Umweltbilanzen früherer

Gastgeberstädte, mit denen auch Sotschi, dieWinterolympia-Metropole von 2014, zukämpfen hat. Und da ist der Korea-Konflikt,dessen gefährliche Zuspitzung in den letztenWochen nun in eine womöglich nur kurzeOlympiapause gegangen ist.Dennoch werden die Winterspiele zu einem

globalen Medienereignis. Wir haben ihr daswochen-nd gewidmet. Darin werfen wir mehrals nur einen Blick auf das geteilte Korea, wirbeschäftigen uns mit Wirtschaft und Bildungim Gastgeberland. Wir besuchen eine korea-nische Familie in Berlin. Und wir suchen nachden Ursprüngen der rätselhaft schönen korea-nischen Schriftzeichen. wh Seiten 17 bis 32

STANDPUNKT

KooperationlightJürgen Amendt über die Einigungvon Schwarz-Rot bei der Bildung

Sollte es zu einer Neuauflage derKoalition aus Union und SPDkommen, dann könnte das Ko-operationsverbot fallen, das demBund kategorisch untersagt, in dieSchulpolitik der Länder hineinzu-regieren. Dann würde sich derBund zum Beispiel stärker finan-ziell beim Betrieb der Ganztags-schulen engagieren; bislang durfteer dies nur im Rahmen von Son-derprogrammen.Sollte, könnte, würde … Der

Konjunktiv ist in diesem Fall an-gebracht. Die Hürde Bundestagwird noch leicht zu nehmen sein;zwar benötigen Union und SPDfür die Abschaffung des Koopera-tionsverbots eine Zweidrittel-mehrheit – eine Mehrheit, überdie sie nicht verfügen, doch haltensowohl Linkspartei als auch Grüneund FDP das 2006 erlassene Ko-operationsverbot für einen bil-dungspolitischen Irrweg.Die unbekannte Variable ist der

Bundesrat, der der Grundgesetz-änderung zustimmen muss. Diefinanzschwachen Bundesländerwerden über zusätzliche Finanz-spritzen aus Berlin sicherlich nichttraurig sein. Aber es gibt auchWiderstand gegen das Vorhaben,denn gerade Unionspolitikerfürchten, dass der Bund, nachdemer Geld gegeben hat, auch bei In-halten mitreden will.Vor allem die Südländer wer-

den in einer Sache hart bleiben:Über Inhalte, etwa gemeinsameLehrpläne oder einheitliche Stan-dards, will zum Beispiel Bayernmit Berlin nicht verhandeln. EinKooperationsgebot, da sollte mansich nichts vormachen, wird esauch nach einer Grundgesetzän-derung nicht geben.

UNTEN LINKS

Die Linkspartei meldet neueMitglieder. Die Grünen meldenneue Mitglieder. Und die SPDkann sich derzeit vor neuen Mit-gliedern kaum retten. Der Trendist klar: Rot-Rot-Grün ist nichtaufzuhalten. Das ist folgerichtig,denn die Parteien, die die Weltverändern wollen, leben von derAktivität ihrer Anhänger. Fehltnur noch eine Kleinigkeit: dieMehrheit bei Wahlen. Umfragenlassen kaum Grund zu übertrie-bener Hoffnung. Wieso dieser Wi-derspruch? Wählen all die neuenMitglieder die Parteien gar nicht,in die sie eintreten? Oder werdensoeben die letzten Wähler nochschnell Mitglieder ihrer Lieblings-parteien? Um nicht abseits zu ste-hen, wenn diese in der Versen-kung verschwinden? Bei der SPDjedenfalls nähern sich Mitglieder-und Wählerzahl unaufhörlich an.Irgendwann werden sie gleichsein. Schon in der Wahlkabinewird die Mitgliederbefragung zurGroKo ausliegen. Und die Konser-vativen merken endlich, dass sieder Zeit wieder einmal hoff-nungslos hinterherhinken. uka

Länder wollen NPD-Finanzen kappenBundesrat startet Verfahren fürStopp der Staatsgelder an Nazipartei

Berlin. Der Bundesrat hat den ersten Schrittzum möglichen Ausschluss der NPD von derstaatlichen Parteienfinanzierung gemacht.Einstimmig beschloss die Länderkammer amFreitag in Berlin einenAntrag zur Einleitung ei-nes entsprechenden Verfahrens vor dem Bun-desverfassungsgericht. Die gesetzliche Grund-lage mit der Möglichkeit, der NPD den Geld-hahn zuzudrehen, wurde erst im vergangenenJahr geschaffen. 2016 erhielt die NPD noch gut1,1 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen.Saarlands Ministerpräsidentin Annegret

Kramp-Karrenbauer (CDU) verwies auf dieErinnerung an die Verbrechen des National-sozialismus, die erst am Mittwoch in der Ge-denkstunde des Bundestags im Mittelpunktstand. Mit dieser Erinnerung verbinde sich dieVerpflichtung, dass sich solche Verbrechennicht wiederholten. Die NPD richte sich ge-gen die freiheitlich-demokratische Grundord-nung. epd/nd

264 MillionenKinder ohne SchuleUNICEF: Zunehmende Gewalt gegenBildungsstätten in Konfliktregionen

Berlin. Mehr als eine Viertelmilliarde Kinderhat nach Angaben des UN-KinderhilfswerksUNICEF aufgrund von Armut, Krieg oder Kri-sen keinen Zugang zu Bildung. »Kinder brau-chen nicht trotz Krieg Bildung, sondern ge-rade deswegen«, sagte der deutsche UNICEF-Vorsitzende Jürgen Heraeus am Freitag inBerlin, wo die Organisation den »Report 2018– Die Chance auf Bildung« vorstellte. Das Kin-derhilfswerk fordert eine bessere Finanzie-rung von Bildung vor allem in Krisenregio-nen. Nach Schätzungen sind jährlich 340 Mil-liarden US-Dollar zusätzlich nötig. Das Prob-lem war auch Thema einer zeitgleichen Ge-berkonferenz in Senegals Hauptstadt Dakar.Zudem registriert UNICEF vermehrt Gewaltgegen Bildungseinrichtungen in Konfliktregi-onen. Allein im Nordosten Nigerias habe dieislamistische Miliz Boko Haram 1400 Schu-len zerstört und 2300 Lehrer getötet. AFP/nd

ISSN 0323-3375

Dämonisierte RetterMit harten, aber bis heute unbelegten Vorwürfen machten PolitikerStimmung gegen Flüchtlingsretter – mit Erfolg. Seiten 2 und 4Foto: dpa/Hans-Christian Wöste

Kooperationsverbot in der Bildung soll fallenUnion und SPD einigen sich auf Mehrausgaben für Kita, Schulen und Hochschulen

Bei den Koalitionsverhandlun-gen haben sich Union und SPDauf mehr Bildungsinvestitionengeeinigt. Zudem soll das Koope-rationsverbot für den Schulbe-reich fallen.

Von Jürgen Amendt

Als 2006 die Große Koalition ei-ne Grundgesetzänderung durch-setzte, nach der dem Bund fortanuntersagt war, Schulen undHochschulen, Wissenschaft undForschung direkt zu finanzieren,wurde dies von der damaligenBundesbildungsministerin An-nette Schavan (CDU) verteidigt.Drei Jahre später klang die Mi-nisterin schon anders, da be-zeichnete sie das Kooperations-verbot als Fehler – allerdings nurfür die Hochschulen; bei derSchulpolitik blieb Schavan eisernbei der Haltung, dass jede Ein-mischung des Bundes in die Län-derhoheit zurückzuweisen sei.Auch Schavans Nachfolgerin und

Parteifreundin Johanna Wankahielt in den vergangenen Jahrenam Kooperationsverbot für denSchulbereich fest. Jetzt soll esdoch fallen. Jedenfalls haben sicham Donnerstagabend die Unter-händler von CDU, CSU und SPDbei ihren Koalitionsverhandlun-gen in Berlin auf diese Sprachre-gelung geeinigt.Das ist im Sinne der SPD-Füh-

rung, die bei ihren Mitgliedernum die Zustimmung zu einerNeuauflage der Großen Koalitionwerben muss. Die Abschaffungdes Kooperationsverbotes dürfteder sozialdemokratischen Basisein Ja zum Koalitionsvertrag er-leichtern. Die SPD-Spitze ver-bucht die Einigung bei den Ver-handlungen zur Bildungspolitikdeshalb auch als ihren Erfolg.Mecklenburg-Vorpommerns Mi-nisterpräsidentin und SPD-Vize-chefin Manuela Schwesig erklär-te, dass in dieser Legislaturperi-ode rund sechs Milliarden Euro»in die komplette Bildungskette«

von Kitas über Ganztagsschulenund berufliche Bildung bis zuHochschulen fließen sollen. Wei-tere 3,5 Milliarden Euro stündenbis zum Jahr 2021 für die Um-setzung des Digitalpakts in denSchulen bereit.

Insgesamt soll der Pakt, denBildungsministerin JohannaWanka (CDU) bereits im Herbst2016 angekündigt hatte, ein Vo-lumen von fünf Milliarden Eurohaben. Ziel ist es, die 40 000Schulen in Deutschland mitschnellem Internet und einer zeit-gemäßen IT-Ausstattung zu ver-sorgen. Bund und Länder hatten

sich bei der Ministerpräsidenten-konferenz am Donnerstag in Ber-lin darauf verständigt, den Digi-talpakt endlich umzusetzen. Au-ßerdem sollen die Forschungs-ausgaben bis zum Jahr 2025 aufmindestens 3,5 Prozent des Brut-toinlandsprodukts steigen. Diesaarländische MinisterpräsidentinAnnegret Kramp-Karrenbauersagte, der Bund werde zwei Mil-liarden Euro beisteuern.Der Deutsche Gewerkschafts-

bund (DGB) begrüßte die Eini-gung von Union und SPD bei denKoalitionsverhandlungen zur Bil-dungspolitik. »Das sind wichtigeReformimpulse für einen bil-dungspolitischen Aufbruch, denunsere Gesellschaft dringendbraucht«, erklärte die stellvertre-tende DGB-Vorsitzende ElkeHannack am Freitag in Berlin.Zugleich forderte sie zusätzlicheInvestitionen über das bislangVereinbarte hinaus: Der Bundmüsse »noch eine Schippe drauf-legen«. Mit Agenturen

»Der Bund mussnoch eine Schippedrauflegen.«Elke Hannack,DGB-Vizevorsitzende

Sonnabend/Sonntag, 3./4. Februar 2018 73. Jahrgang/Nr. 29 Bundesausgabe 2,30 € www.neues-deutschland.de

Heute mit 24 Seiten OXI(nur für AbonnentInnen):

Ökonomie, dieDer Postkapitalismus ist Männersache. Bislang.

OXIBLOG.DE

WIRTSCHAFT ANDERS DENKEN

182

Monatszeitung 3,50 €

Seite 3 Das Jungsthema Sabine Nuss über Herr-Schaft, Ökonomie und Selbstzweifel

Seite 6 Eine Selbstverständlichkeit Die DDR-Ökonomin und Ministerin Christa Luft im Gespräch

Seite 18 Ein Anfang Silja Graupe und Florian Rommel über neue Orte für ökonomische Bildung

SCHWERPUNKT ÖKONOMINNEN

VINCENT KÖRNER

Eine Politischen Ökonomie des Umfrage- wesens ist noch nicht geschrieben. Oder doch? Man könnte eine Umfrage dazu in Auftrag geben, aus den Ergeb-nissen dann Schlagzeilen kneten und darauf warten, dass das mediale Echo auf das Antwortverhalten der übernächs- ten Umfrage zurückwirkt. Mag sogar sein, dass wir irgendwann eine Mehrheit vermelden könnten? Wofür? Keine Ahnung, denn 40 Prozent antworteten mit »Weiß nicht«.

Zurück zum Thema. Dieser Tage ver- lautete, eine Umfrage habe erwiesen, dass Frauen denken, Männer könnten nicht so gut mit Geld umgehen – und Männer dasselbe von Frauen glauben. Am Ende kommen dann Durchschnitts-werte heraus: 32 Prozent aller Befragten meinten, es seien die Frauen, die besser mit Geld umgehen könnten. Nur magere 19 Prozent meinten, Männer seien auf diesem Gebiet besser. Was wir daraus lernen? Nun, Auftraggeber der Umfrage war eine Bank, die sich so ins Gespräch brachte. Es lässt sich eben trefflich über Fragen zu reden wie »Wer neigt eher dazu, Geld für unnö- tige Sachen auszugeben?« Zumal in Zeiten, in denen das Überwinden von Rollenmodellen dazu führt, dass eben diese Rollenmodelle wieder im Kurs steigen.

Was »unnötige Sachen« sind, hätten wir allerdings schon gern erfahren. Andererseits geht es uns wie den 47 Prozent, die meinten, es gebe gar keinen Unterschied. Wahrscheinlich dämmert es dieser relativen Mehr - heit, dass es mit der Realabstraktion Geld doch mehr auf sich hat, als man am angeblich geschlechterspezifischen Verhalten durchdeklinieren könnte. Und so warten wir einfach auf die nächste Umfrage, in der die Leute dann darauf antworten, was Geld eigentlich ist, warum es entscheidender ist, was sich darin für soziale Verhältnisse ausdrücken und wer davon viel zu viel hat, weil er sich fremde Arbeit aneignen kann. Und ehr- lich: Wir würden dabei nicht die Bohne auf die Unterschiede bei den Antworten von Frauen und Männern glotzen. Es könnte nämlich sein, dass es sich bei solchen Ergebnissen um ziemlichen Murx handelt.

MURX

KATHRIN GERLOF

In ihrem im März in deutscher Sprache erscheinenden Buch Die Donut-Öko-nomie (Hanser Verlag) widmet sich die Autorin Kate Raworth eingangs der umfassenden Krise der Wirtschafts-wissenschaften, deren öffentlicher

Kanon seit jeher von Männern diktiert wird. Ökonomen seien mit der Aura der Autorität ausgestattet. »Sie sitzen in der internationa-len politischen Arena – von der Weltbank bis zur Welthandelsorganisation – als Experten in der ersten Reihe. In den USA beispielsweise ist das Council of Economic Advisers des Präsiden-ten das einflussreichste, renommierteste und am längsten bestehende Beratungsgremium des Weißen Hauses….«

John Maynard Keynes oder Adam Smith wa-ren nicht die einzigen, die vor der Macht ihres Berufsstandes warnten. Keynes beklagte, dass die Gedanken der Ökonomen, egal, ob sie im Recht oder im Unrecht seien, einflussreicher seien, als gemeinhin angenommen. »Prakti-ker, die sich ganz frei von intellektuellen Ein-flüssen glauben, sind gewöhnlich Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen.« Fried-rich August von Hayek bekam 1974 als erster den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirt-schaftswissenschaften verliehen und merkte an, er hätte sich, wäre er gefragt worden, gegen die Einrichtung eines solchen Preises ausge-sprochen, da der Nobelpreis einem Menschen eine Autorität verleihe, die in der Ökonomie niemandem zukäme.

Wenn es einer Wissenschaft gelingt, über Jahrhunderte hinweg fast ausschließlich die männliche Sicht- und Denkweise in die Öffent-lichkeit zu tragen, ins Bewusstsein zu pflan-zen und ihr Einfluss zu verschaffen, hat dies irgendwann gravierende Folgen.

Raworth erklärt, dass in den USA jährlich rund fünf Millionen Collegestudenten einen Ökonomiekurs absolvierten, der als standard-mäßiger Einführungskurs namens Econ 101 inzwischen weltweit angeboten und gelehrt würde. Überall dieselben Lehrbücher, dieselbe Denkhaltung, derselbe Einheitsbrei, diesel-ben Zahlen und Kurven, die Geisteshaltung

der 1950er Jahre, die Theorien des 19. Jahr-hunderts. Übertrüge man dies auf irgendeine andere wissenschaftliche Disziplin, beispiels-weise die Medizin, ginge man lieber zur Wun-derheilerin, als sich in ein Krankenhaus zu be-geben.

Die Politik aber holt sich die Grundlagen für ihre Wirtschaftspolitik genau dort ab, wenn sie nicht von vornherein Wirtschaftslobbyisten den Vorzug als Einflüsterer gibt. Was sie meist tut. Wer über die Neoklassik und das politi-sche Projekt des Neoliberalismus, der sich aus ihr nährt, hinausgeht, sich anderen Schulen, Denkrichtungen, Möglichkeiten öffnet, gilt wahlweise als exotisch, bekloppt oder niedlich.

Der feministischen Ökonomie, bei der wir uns trefflich streiten können, ob sie eine Denk-richtung, eine Nische oder ein grundlegend neuer Ansatz für ökonomisches Handeln ist, kommt seit Ausbruch der Finanzkrise etwas mehr Aufmerksamkeit zu. Die Krise hatten vor allem Männer zu verantworten (auch wenn die Frage, ob Lehman Sisters ebenfalls Pleite ge-gangen wären, nie beantwortet werden kann), als Krisenmanagerinnen kamen in der Poli-tik, vor allem aber in den Familien und Sozial-räumen, viele Frauen zum Zug. Nennen wir sie Trümmerfrauen.

Wer sich allerdings heute bei Google ein Alert für die Begriffe Wirtschaftsexperte und Wirtschaftsexpertin einrichtet, wird unter ers-tem Wort regelmäßig belohnt und bekommt ta-gelang nichts zum zweiten Wort geboten.

Das ist ein vergleichsweise alberner Beweis, tatsächlich aber entspricht die an die Öffent-lichkeit gelangende Expertise von Ökonomin-nen nicht deren tatsächlicher wissenschaftli-cher Leistung. Das war schon immer so und das trifft auch auf jene neuen Denkansätze zu, die sich mit der Frage befassen, wie eine Gesell-schaft nach dem Kapitalismus aussehen und wie ein anderes Wirtschaftssystem jenseits des kapitalistischen funktionieren kann.

Der Postkapitalismus ist ebenfalls Männer-sache. Bislang. Es wäre interessant, im Stile der G-20-Ikonografie ein Foto all jener, öffentlich zumindest diskutierter, Ökonom*innen zu se-hen, die als Expertise für neue ökonomische Ansätze gelten. Und in dem Suchbild die Frau zu finden.

Die feministische Ökonomie kann für sich weiterhin in Anspruch nehmen, als einzige Denkschule den großen Bereich der Repro-duktionsarbeit und die Geschlechterverhält-nisse in den Blick und Fokus zu nehmen. Bar-bara Fried, Vizedirektorin des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, monierte zu Recht, dass Klasse und Feminismus weiterhin gegeneinander ausge-spielt werden.

In der Bundesrepublik war schon vor 15 Jah-ren die Reproduktionsarbeit zeitlich um das 1,7-fache größer als die Lohnarbeit. Gabriele Winker, Mitbegründerin des Feministischen In-stituts Hamburg, sieht in der sogenannten Care-Revolution deshalb auch einen grundlegenden Perspektivwechsel, der statt Profitmaximie-rung die Verwirklichung menschlicher Be-dürfnisse ins Zentrum gesellschaftlichen und ökonomischen Handelns stellt. Dieser Ansatz könnte heißen, alle gesellschaftlich für die Da-seinsvorsorge notwendigen Arbeiten von der Warenproduktion und damit von Verwertungs-prinzipien auszuschließen.

Das alles wird viel zu wenig diskutiert. Kate Raworth: »Den Kern des herkömmlichen wirt-schaftlichen Denkens bildet eine Handvoll Dia-gramme, die ohne Worte, jedoch sehr eindrück-lich Art und Weise bestimmt haben, wie wir über die ökonomische Welt denken – und alle diese Diagramme sind überholt, betriebsblind oder schlicht falsch.«

Ökonomie, dieDie Voreingenommenheit der Wirtschaftswissenschaften und der Politik gegenüber anderen Denkhaltungen und der Geschlechterfrage ist lebensgefährlich geworden

Der Post- kapitalismus ist ebenfalls

Männersache. Bislang.

Symbolische Friedensspiele Seiten 18, 19Wirtschaft und Wohlstand im Süden Seiten 20, 21Die Samsung-Gesellschaft Seite 22Kims Propagandasieg Seite 23Ein Koreaner aus Krefeld Seite 25Olympischer Dauerstreit Seite 27Strategie auf dem Brett: Janggi Seite 29Nord-Süd-Passage – zwei Reisen Seiten 30, 31

Linke Kontroverseum SYRIZAMelenchon-Partei will Griechen ausEuropäischem Verbund werfen

Paris. Frankreichs Parti deGauche fordert, diegriechische Regierungspartei SYRIZA aus derEuropäischen Partei der Linken (EL) auszu-schließen. In einem Kommuniqué nach sei-ner Sitzung am Mittwochabend teilte derVorstand der französischen Linkspartei mit,für die von Jean-Luc Mélenchon gegründeteund bis 2014 von ihm geführte Partei sei es»unmöglich« geworden, mit den griechi-schen Linken weiter in einem Zusammen-schluss zu verbleiben. Der von SYRIZA ge-stellte Premier Alexis Tsipras bediene mit»seiner« Austeritätspolitik die Interessen vonEU-Kommission und Internationalem Wäh-rungsfonds.Der EL-Präsident Gregor Gysi warnte an-

gesichts der Forderung vor einer Schwä-chung der Partei der Europäischen Linken.»Ich bin relativ sicher, dass ein Ausschluss-antrag im Rat der Vorsitzenden keinen Erfolghaben wird«, so Gysi. sat Seiten 2 und 5