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Chronik 1919 – 2019 Vom Kantonalen Jugendamt zum Amt für Jugend und Berufsberatung Text: Susanne Businger, Nadja Ramsauer Bürdeli-Transport um 1930 47 © Hans Staub / Fotostiftung Schweiz

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Chronik 1919 – 2019

Vom Kantonalen Jugendamt zum Amt für Jugend und BerufsberatungText: Susanne Businger, Nadja Ramsauer

Bürdeli-Transport um 1930

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Chronik AJB

Gründungsphase des Kantonalen Jugend- amtes, 1919 bis 1945

Spazierfahrt der Kinderkrippe, 1931

«Vorsorgliche und fürsorgliche Wohl- fahrtsbestrebungen für die Jugend»

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Um 1900 bildete sich die Vorstellung heraus, dass Kindheit und Jugend eigenständige Lebensphasen sind, deren sich die Sozialpolitik annehmen muss. Die Jugendlichen wurden als Quelle der gesellschaftlichen Erneue­r ung betrachtet. Stammten sie aus der Arbeiterschicht und lebten in der Stadt, galten sie den ersten Sozialre­formerinnen und Sozialreformern als besonders gefährdet. Im Kanton Zürich setzte sich damals Friedrich Zollinger, kantonaler Erziehungs­ sekretär, für die Kinder­ und Jugend­ fürsorge ein. Er bereiste um 1900 Deutschland, um die dortigen Bestre­ bungen für «verwahrloste Kinder» kennenzulernen. Seiner Meinung nach wusste man darüber in Zürich noch zu wenig.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte auch die Schweiz einen Aus­bau der Kinder­ und Jugendfürsorge, insbesondere in den Städten. 1912 gründete die Schweizerische Gemein­nützige Gesellschaft die Stiftung Pro Juventute, die sich zunächst der Bekämpfung der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen verschrieb. Nebst der Pro Juventute gab es in der Schweiz rund 3 000 weitere private Organisationen der Kinder­ und Jugend hilfe. Deren Aktivitäten sollten die «Mängel und Lücken der häus­lichen Erziehung» beheben und damit die soziale Not bekämpfen, die eine langfristige Folge der Industrialisierung war und sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs akut verschärft hatte.

Eine Möglichkeit, in Familien einzu­greifen, deren Eltern aus behördlicher

Sicht ungenügend für ihre Kinder sorg­ ten, bot das Schweizerische Zivil­ ge setzbuch (ZGB) von 1907. 1912 ein­geführt, sahen die Kinderschutzartikel des ZGB abgestufte Interventionen vor. In den drei Artikeln 283, 284 und 285 regelte das ZGB die sogenannte Fürsorgeaufsicht, die Fremdplatzie­rung und schliesslich den Entzug der elterlichen Gewalt. Besondere Bedeu­tung kam dabei den Rechtsbegriffen «Gefährdung» und «Verwahrlosung» zu, die den Behörden einen grossen

Interpretations­ und Handlungsspiel­raum eröffneten. Im Kanton Zürich waren es die Vormundschaftsbehör­den, die Massnahmen nach Artikel 283 und 284 ZGB verfügten. Den Ent­ zug der elterlichen Gewalt gemäss Artikel 285 beantragten sie hingegen beim Bezirksrat. Dieser war zugleich Entscheid­ wie auch Rechtsmittelin­stanz und amtete gar als Aufsichtsor­gan über die Vormundschaftsbehörde. Aus rechtsstaatlicher Sicht stellte dies keine ausreichende Gewaltentrennung dar. Nach einem Beschluss führte häufig ein Jugendsekretär oder Amts­vormund das Kinderschutzmandat, seltener eine Privatperson. Die Mass­nahme endete in der Regel erst, wenn die Kinder volljährig waren. 1

Das Kantonale Jugendamt als Zentralstelle und sein erster Vorsteher Robert Briner

Im Zusammenhang mit dem Ausbau der Kinder­ und Jugendfürsorge und des zivilrechtlichen Kinderschutzes ist auch die Gründung des Jugendamtes im Kanton Zürich zu verstehen. Der Kantonsrat verabschiedete am 10. Feb­ ruar 1919 die Verordnung. Das Kanto­nale Jugendamt war als Zentralstelle konzipiert und vereinigte «die vorsorg­lichen und fürsorglichen Wohlfahrts­bestrebungen für die vorschulpflichtige, schulpflicht i ge und nach schulpflichtige Jugend». Es beaufsichtigte auch die Anstalten, Heime und die öffentlichen und privaten Hilfstätigkeiten. Die regio­nal gegründeten Bezirksjugendkom­mis sionen übernahmen in den Bezirken die gleiche Aufgabe wie die Zentral­stelle für den ganzen Kanton. Sie setz­ ten sich aus verschiedenen «Bevölke ­ rung skreise[n], insbesondere auch der Frauen» zusammen. 2

Das Kantonale Jugendamt war der Erziehungsdirektion unterstellt. Diese schlug jeweils dem Regierungsrat den Vorsteher des Jugendamtes zur Wahl vor. Auf die erste Stellenausschreibung hatten sich sechs Bewerber gemeldet. «Die weitere Bewerbung eine[r] Dame ist wohl nicht als solche auf die Stelle des Vorstehers aufzufassen», meinte

die Erziehungsdirektion zu einer sieb­ten Kandidatur, sondern «vielmehr als Anmeldung auf Verwendung innerhalb des Organismus des Jugendamtes». Die Kinder­ und Jugendfürsorge war zu jener Zeit noch fest in Männerhand, zumindest was die Leitung der Amts­stellen anging. In «besonders glück­ li chem Masse vereinigt» erschienen der Erziehungsdirektion die Voraussetzun­gen bei Robert Briner, seinerzeit Sekretär des Vormundschaftswesens der Stadt Zürich. Geboren 1885, hatte Robert Briner an den Universitäten Zürich und Berlin Recht studiert und in dieser Disziplin promoviert. Der Vor­ stand des Vormundschaftswesens zollte Robert Briner bezüglich seiner «Arbeitsfreude, seiner Initiative, seinem praktischen Geschick, seinem sozia­len Verständnis und seiner Charakter­eigenschaften die grösste Anerken­nung». Die Erziehungsdirektion sah die juristische Ausbildung Robert Briners als besonders geeignet an, um die Amtsvormundschaften und die Jugend ­ gerichtsbarkeit im Kanton Zürich aus­zubauen. Weiter hob sie hervor, dass Robert Briner «im besten Mannesalter von 35 Jahren» stehe und im Militär den Rang eines Hauptmanns im Ge­neralstab bekleide. Der Regierungsrat folgte dem Antrag der Erziehungs­direktion und wählte Robert Briner zum ersten Vorsteher des Kantonalen Jugendamtes. Seine Amtszeit dauerte von 1919 bis 1935. Danach wurde er als Vertreter der Demokratischen Partei in den Regierungsrat gewählt, in dem er zunächst der Polizei­ und Militär­direktion, sodann zwischen 1943 und 1951 der Erziehungsdirektion vorstand. 3

1920 begann das Kantonale Jugend ­ amt, die sogenannten Aktuariate der

«Die weitere Bewerbung eine[r] Dame ist wohl nicht als solche auf die Stelle des Vorstehers aufzufassen.»

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Bezirksjugendkommissionen zu Sekretariaten auszubauen. Diese Bezirksjugendsekretariate waren die ausführenden Organe der Kommis­sionen. 1926 wurden bereits fünf Bezirksjugendsekretariate hauptamt­lich geführt. In den restlichen sechs Sekretariaten waren Lehrer im Neben­ amt tätig, bis auf eine Ausnahme, ein Gerichtsschreiber. 4 Ebenfalls 1920 gründete der Regierungsrat auf Antrag der Erziehungsdirektion sogenannte Jugendschutzkommis­sionen, welche die Bestrebungen zur «Bekämpfung der Kriminalität von Kindern und Jugendlichen» zu fördern hatten. 1927 übernahmen schliess­lich die Bezirksjugendkommissionen diese Aufgabe und unterstützten die Jugendanwaltschaft bei der «Hilfe für die rechtsbrechende Jugend». 5 Diese Gründungen und Umstrukturierungen zeigen, dass im Kanton Zürich die Jugendfürsorge von Beginn an einen engen Bezug zur Jugendstrafrechts­pflege hatte und beides unter erziehe­rischen Aspekten betrachtet wurde.

Das Jugendamt der Stadt Zürich mit einer besonderen Organisationsform

Die Stadt Zürich nahm schon früh eine pionierhafte Stellung ein. Bereits 1908 richtete das Schulamt ein Kinderfür­sorgeamt ein. Dieses kümmerte sich um die «körperliche und sittliche Wohl ­ fahrt von Kindern des schulpflichtigen und vorschulpflichtigen Alters». Es organisierte Schülerspeisungen, gab Kleider an bedürftige Kinder ab und richtete Ferienkolonien ein. Daneben beschäftigten sich die Armenpflege, das Waisenamt und die Amtsvormund­ schaft mit Fragen des Kinderschutzes. Um einer Zersplitterung der Fürsorge entgegenzuwirken, wurde im Jahr 1929 das städtische Wohlfahrtsamt geschaffen. Dieses umfasste die zent­rale Abteilung, die Dienstabteilungen Jugendamt und Fürsorgeamt sowie die Vormundschaftsbehörde.

Das städtische Jugendamt gliederte sich in drei Abteilungen. Das Jugend­amt I befasste sich mit dem Wohl der

Kinder im vorschul­ und schulpflichti­gen Alter, das Jugendamt II mit der vorsorglichen Hilfe zugunsten schul­entlassener Jugendlicher einschliess­lich Berufsberatung. Das Jugendamt III bot fürsorgliche Hilfe zugunsten aller minderjährigen Personen. Die Abteil ung IIIa befasste sich mit der freiwilligen, IIIb mit der gesetzlichen Jugendfürsor­ ge. Ihr waren auch die Amtsvormunde zugeteilt. 6

Dem Jugendamt III stand mit der Juristin Lina Lüthy eine Frau vor und das Büro war ausschliesslich durch Frauen besetzt. Das entsprach nicht dem bürgerlichen Geschlechterver­ständnis, das für Frauen die Fallbe­treuung vorsah. Die Amtsleitung sollte Männern vorbehalten bleiben. Dem­entsprechend abschätzig sprachen Fürsorgeamt und Vormundschaftsbe­hörde in den 1930er­Jahren von einer «Weiberwirtschaft», die im Jugendamt III herrsche. Das Jugendamt der Stadt Zürich agierte unabhängig vom Kan­tonalen Jugendamt, stand mit diesem aber in einem engem Austausch. 7

Vorbeugende statt zivilrecht-lich intervenierende Jugend-hilfe

Robert Briner verstand unter Jugend­hilfe «alle Bestrebungen privaten und öffentlichen Charakters», die «ausser­halb von Schule und Familie dem Wohl der Jugend dienen». Er betonte erstaunlich früh, wie wichtig nebst den «fürsorgliche[n]» auch die «vor­sorgliche[n], vorbeugende[n], pro­phylaktische[n] Massnahmen» waren. Leider stehe man in der Schweiz «im allgemeinen [sic] der Wohlfahrts­pflege, und hier insbesondere der Prophylaxis, der Vorbeugung, wenig einsichtsvoll, und deshalb passiv, ja leider gelegentlich sogar feindselig» gegenüber. Gründe dafür sah Briner im harten und entbehrungsreichen Leben, insbesondere des «Gebirglers». Die daraus resultierende Gesinnung, dass «jeder […] sich selbst helfen» soll, stand den Prinzipien der Jugend­ hilfe entgegen. «So kommt es, dass dem Sozialpolitiker vielleicht nirgends

mit einer solchen Überzeugung und Erbitterung der ständige Vorwurf ge­ macht wird, er verziehe, verzärtele und verhätschele die heranwachsende Jugend, wie seitens der schweizeri­schen Bauernsame.» Dem wollte Briner begegnen, indem «das Gefühl der Mitverantwortung des ganzen Volkes am Schicksal leidender Mit­menschen planmässig» geweckt wird, 8 und indem das Kantonale Jugendamt in der präventiven Jugend­ hilfe eine Vorreiterrolle einnahm.

Weiter setzte sich Robert Briner, der von 1930 bis 1958 Präsident der Schule für Soziale Arbeit in Zürich war, für eine stärkere Vertretung von Frauen in der Jugendhilfe ein. Die Arbeit in der öffentlichen Jugendhilfe werde zurzeit «in allzu überwiegen­dem Masse vom Manne geleistet», den Frauen sei erst in wenigen Städ­

ten die «Mitwirkung in den Vormund­schafts­, Armen­ und Schulbehörden» erlaubt. Dies erachtete Briner als Problem, denn «genau wie Mutter und Vater gemeinsam die elterliche Gewalt ausüben, so sollten Mann und Frau gleichberechtigt auch miteinander in der Jugendhilfe arbeiten». 9 Ob Robert Briner Frauen für leitende Positionen als geeignet ansah oder sie lediglich als Fürsorgerin ihre vermeintlich weib­ lichen Eigenschaften einbringen sollten, lässt sich nicht sagen. Deutlich wird hingegen in einem Referat von 1935, dass Briner mit Referenz auf Pesta ­ lo z zi die Familie als «Zentrum der Er­ ziehung» verstand. Somit sei die Familie mit geschlechterspezifischer

«Genau wie Mut-ter und Vater gemeinsam die elterliche Ge-walt ausüben, so sollten Mann und Frau gleich-berechtigt auch miteinander in der Jugendhilfe arbeiten.»

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Rollenteilung zwischen Vater und Mutter auch das «Zentrum der Jugend­ hilfe». Erziehung und vorsorgliche Jugendhilfe, so führte er weiter aus, sei «gar kein Unterschied, es ist dasselbe». 10

Der Einsatz für Schülerinnen und Schüler …

Ein besonderes Gewicht hatten Ein­richtungen für Kinder im schulpflich­tigen Alter. Das Gesetz über die Leis­tungen des Staates für das Volksschul ­ wesen und die Besoldungen der Leh ­ rer von 1912 verpflichtete den Kanton, fürsorgerische Einrichtungen der Schulgemeinden zu subventionieren. Unter Aufsicht des Kantonalen Jugend­ amtes wurden Ferienkolonien, Ferien­ und Jugendhorte geschaffen. Ziel der Horte war es, «die Jugend während der schulfreien Zeit zu beaufsichtigen und sie dem Leben auf der Strasse zu entziehen». Horte gab es 1926 aller­dings erst in den städtischen Gemein­den. Weitere Aufgabenschwerpunkte bildeten die Abgabe von Nahrung und Kleidung an bedürftige Schülerinnen und Schüler, die Schulgesundheits­pflege sowie die «Versorgung anor­maler Schüler in Anstalten». Kinder und Jugendliche, welche dem Unter­richt der Volksschule nicht folgen kon­nten, wurden damals als «anormal» oder «geistesschwach» bezeichnet.

Davon unterschieden wurden «schwer erziehbare» Kinder und Jugendliche, die von den Vormund­schaftsbehörden in eigens geschaf­fenen Erziehungsanstalten unterge­bracht wurden. 11 Vorgängig suchten Fürsorgerinnen, die in den Amtsvor­mundschaften tätig waren, die Fami­lien auf und inspizierten den Haushalt. Was sie vorfanden, massen sie an ihren eigenen bürgerlichen Normen. Sie unterstellten den Müttern fehlen­de Hygiene und schlechte Haushalts­führung. Das tiefe Erwerbseinkommen der Familien aus der Arbeiterschicht war für sie nicht strukturbedingt, son­ dern selbstverschuldet. 12 Die Behörden begriffen die «gefährdeten» Minder­jährigen als «Produkt ihrer Anlage und

Umgebung». Sie platzierten die Kinder und Jugendlichen häufig weit weg von den Eltern, um deren Einfluss zu mini­ mieren. Eltern wurden in der Jugend­hilfe nicht als Kooperationspartner

betrachtet. Diese Haltung hatte auch Robert Briner: «Die Anlage kann man leider nicht mehr ändern. Darum ändert man die Umgebung.» 13

… und die Betreuung der vor- und nachschulpflichtigen Kinder und Jugendlichen

Während die Fürsorge für Schülerin­nen und Schüler bereits relativ gut ausgebaut war, meinte Robert Briner 1927, die vor­ und nachschulpflichti­gen Kinder und Jugendlichen seien vernachlässigt, was im Kanton Zürich «planmässig bekämpft» werden müs se: «Es ist höchste Zeit hierfür, denn jedermann weiss heute, dass

Ferienlager

Ziel der Horte war es, «die Jugend wäh-rend der schul-freien Zeit zu beaufsichtigen und sie dem Leben auf der Strasse zu ent-ziehen».

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Sprechstunde im Büro einer Sozialarbeiterin, 1930er-Jahre

Eine Fürsorgerin auf Hausbesuch, 1930er-Jahre

Berufsberatungsstelle für Mädchen der Stadt Zürich, ca. 1929

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der Grund zum Menschen schon in den ersten Lebensjahren gelegt wird, und ferner, dass das Rüstzeug, das die Schule der Jugend mitgibt, zum Kampf ums Leben bei weitem nicht mehr genügt.» 14 Das Kantonale Jugendamt verstärkte deshalb sein Engagement für Kinder im vorschul­pflichtigen Alter. Die Säuglings­ und Kleinkinderpflege wurde erweitert, Mütterberatungsstellen wurden gegründet und in die Kinderkrippen, Heime und Kindergärten investiert.

Ebenso ortete das Jugendamt Bedarf bei Jugendlichen nach der obligatorischen Schulzeit. Die Berufs­beratung wurde ausgebaut, aber auch die Jugendpflege, indem beispiels­weise Jugendbibliotheken eingerichtet wurden. Daneben bildeten Jugendliche in schwierigen Lebenslagen, sogenannte «mindererwerbsfähige» und «schwer erziehbare» Jugendliche, zwei weitere Zielgruppen des Jugendamtes. Für Minderjährige mit einer Behinderung oder «sonstwie [sic] in ihrer Entwick­lung gehemmte» Jugendliche führte das Jugendamt die Arbeitsgemein­schaft für Mindererwerbsfähige sowie den Verein Zürcher Werkstätten ein, die Beschäftigungs programme durch­führten.

Ein anderes probates Mittel für «schwer erziehbare» oder «schwach­sinnige» Jugendliche war aus Sicht des Jugendamtes die Heimerziehung. Die Stadt Zürich verfügte über ver­schiedene Heime für nachschulpflich­tige Jugendliche mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, etwa die Anstalt Regensberg oder die Schenkung Dapples, Anstalt für Epileptische. Verschiedene Einrich­tungen der Stadt Zürich waren auf sogenannt schwer erziehbare Buben und männliche Jugendliche ausge­richtet, darunter das Knabenheim Selnau und das Landerziehungsheim Albisbrunn in Hausen am Albis. Für Adoleszente stand die Kantonale Arbeitserziehungsanstalt Uitikon am Albis zur Verfügung. Daneben wiesen die Behörden «in Ermangelung einer eigenen Zwangserziehungsanstalt im

Kanton Zürich» in ausserkantonale Anstalten ein, darunter die Zwangs­erziehungsanstalt Aarburg. Weibliche «schwer erziehbare» und «verwahr­loste» Jugend liche, die den Behörden als «sittlich gefährdet» galten, wurden beispielsweise im stadtzürcherischen Mädchenasyl Heimgarten in Bülach, im Mädchenasyl Pilgerbrunnen oder im Mädchenheim Tannenhof unter­gebracht. 15

Das Versorgungsgesetz für «sittlich verdorbene oder ge-fährdete» Jugendliche von 1925

Die Einweisung sogenannt schwer erziehbarer Jugendlicher in Anstalten und Heime stützte sich zumeist auf Artikel 284 des ZGB, der eine nicht näher definierte «Gefährdung» oder «Verwahrlosung» voraussetzte. Da neben verfügten die Behörden im Kanton Zürich mit dem «Gesetz über die Versorgung von Jugendlichen, Verwahrlosten und Gewohnheits­trinkern» vom 24. Mai 1925, dem sogenannten Versorgungsgesetz, über einen zweiten Erlass, um «sittlich verdorben[e] oder gefährdet[e]» Jugendliche, «die ihren Eltern oder Vormündern böswilligen und hart­näckigen Widerstand leisten», in eine Zwangserziehungsanstalt einzu­weisen. 16 Robert Briner hatte sich für das Versorgungsgesetz stark gemacht. Im November 1919 wandte er sich im Namen des Kantonalen Jugendamts an die vorberatende Kommission des Kantonsrates. Das Jugendamt wies darauf hin, dass im vorliegenden Ge­ setzesentwurf die gründliche psychia­

trisch­pädagogische Untersuchung der Jugendlichen fehlte. Es ging von jährlich 300 bis 400 Jugendlichen aus, die vor einer allfälligen Versorgung einer Untersuchung bedürften und schlug die Einrichtung von Beobach­ tungs stationen vor. In abgeänderter Form wurde dieser Passus aufgenom­men. Das Versorgungsgesetz sah obli­ gatorisch eine «gründliche ärztliche und pädagogische Untersuch ung» der betroffenen Jugendlichen vor. 17

Eine solche Begutachtung, aller­dings lediglich ambulant, war in der Psychiatrischen Poliklinik für Kinder und Jugendliche möglich, die sich an der Kantonsschulstrasse 1 befand. Die Direktionen des Gesundheitswe­sens, der Justiz und des Erziehungs­wesens orteten aber Bedarf bei statio ­ nären Beobachtungsstationen. Für Schulpflichtige existiere zwar die Kin­der station Stephansburg, die ab 1944 Kantonales Kinderheim Brüschhalde hiess. Für männliche oder weibliche Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahr ­ en gebe es aber keine vergleichbare Einrichtung. Die drei Direktionen schlu­ g en vor, das Landerziehungsheim Albisbrunn als Beobachtungsheim für männliche Jugendliche und das Arbeitsheim Pfäffikon für die Begut­ach tung von weiblichen Jugendlichen zu nutzen. Im November 1941 schloss der Kanton Zürich einen entsprech en ­ den Vertrag mit den beiden Heimen ab. Das neue, zusätzliche Angebot ergänzte fortan die Untersuchungen in der Stephansburg. Der leitende Arzt der Stephansburg, Jakob Lutz, erstellte die Gutachten zusammen mit dem Erziehungspersonal. 1947 baute der Regierungsrat die kinderpsychia­trischen Dienste im Kanton Zürich weiter aus und schuf die Stelle eines Oberarztes an der Psychiatrischen Poliklinik für Kinder und Jugendliche. Während in der Stadt Zürich der Kinder­ und Jugendpsychiatrische Dienst der Gesundheitsdirektion unter­ stand, war er andernorts den Bezirks­ jugend sekretariaten angegliedert. In Winterthur und im Bezirk Hinwil wurde 1947 je eine Fürsorgerin für den

Ein anderes probates Mittel für «schwer er-ziehbare» oder «schwachsinni-ge» Jugendliche war aus Sicht des Jugendam-tes die Heim-erziehung.

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Mittlerer Jahresindex der Miete für alte Wohnungen (vor 1917 erbaut) in der Stadt Zürich 1920 – 1944

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Rudolf und Martha Messmer * 22 haben früh geheiratet und gemeinsam vier Kinder. Rudolf Messmer arbeitet in der Maschinenfabrik Escher Wyss. Er ist für das Erwerbseinkommen zuständig, gemäss Zivilgesetzbuch ist er das «Familienoberhaupt». 23 Martha Messmer betreut die Kinder, führt den Haushalt und bessert mit Heimarbeit das Einkommen ihres Mannes auf. Sie flickt Kleider und wenn immer sich ihr die Möglichkeit bietet, putzt sie in besseren Quartie­ren Wohnungen und Amtsstuben. Die Kinder spielen nach der Schule im Freien. Das gehört an der Hein­richstrasse zum gängigen Strassen­bild, ist den Sozialreformern der Stadt

Zürich aber ein Dorn im Auge.

Spielplätze gibt es keine. Die Wohn­verhältnisse sind eng. Familie Mess­mer wohnt in zwei kleinen Zimmern. Das Ehepaar hat öfters Streit. Meis­tens sind die ständigen Geldsorgen oder die Wirtshausbesuche von Rudolf Messmer Anlass für die Auseinander­setzungen. Die Nachbarn beäugen die Familie schon länger misstrauisch. Als es «wieder einmal laut zu und her geht», wenden sie sich in einem ano­nymen Schreiben an die Amtsvor­mundschaft der Stadt Zürich, die sich an der nahe gelegenen Selnaustrasse befindet. Diese schickt ein paar Tage später eine Fürsorgerin vorbei, um die Lebensverhältnisse der Familie Mess­mer zu überprüfen. Sie betritt kurz vor Mittag unangemeldet die kleine Woh­nung und nimmt sogleich «die unge­machten Betten und ungelüfteten Zimmer» wahr, wie sie später in ihrem Bericht vermerkt:

«Das Geschirr vom Morgenessen steht noch auf dem Tisch, Essensreste liegen auf dem Boden. Auch die Hygiene lässt zu wünschen übrig. Das Haar der Kinder ist ungekämmt, die Hemden sind schmutzig. Martha Messmer kommt ihren Hausfrauenpflichten nur ungenügend nach. Auch der Vater macht keinen sehr resoluten Ein­druck.» Die Vormundschaftsbehörde beschliesst auf Antrag der Amts­vormundschaft, eine Fürsorgeaufsicht zu errichten. Fortan besucht die Für­sorgerin die Familie regelmässig und erteilt der Mutter Anweisungen zur Kindererziehung und Haushaltführung. Die angedrohte Heimplatz ierung hängt wie ein Damoklesschwert über der Familie Messmer.

Rudolf und Martha Messmer

FaktIm Kanton Zürich und insbesondere in den Städten Winterthur und Zürich entstanden in der Zwischenkriegszeit zahlreiche so­ziale Wohnprojekte, um der Wohnungsnot zu begegnen. Gleichwohl blieb der grosse Wohnungsmangel spürbar. Das Angebot blieb deutlich hinter der Nachfrage zurück. Die Mieterschutzbestimmungen – in der Zeit des Ersten Weltkriegs erlassen –, wurden in den 1920er­Jahren stufenweise zurückgenommen und schliesslich 1926 ganz abgeschafft. Die Folge davon waren rasch ansteigende Mietpreise im Zeit­raum 1920 bis 1930, die anschliessend auf hohem Niveau stagnierten.

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FaktIm Kanton Zürich und insbesondere in den Städten Winterthur und Zürich entstanden in der Zwischenkriegszeit zahlreiche so­ziale Wohnprojekte, um der Wohnungsnot zu begegnen. Gleichwohl blieb der grosse Wohnungsmangel spürbar. Das Angebot blieb deutlich hinter der Nachfrage zurück. Die Mieterschutzbestimmungen – in der Zeit des Ersten Weltkriegs erlassen –, wurden in den 1920er­Jahren stufenweise zurückgenommen und schliesslich 1926 ganz abgeschafft. Die Folge davon waren rasch ansteigende Mietpreise im Zeit­raum 1920 bis 1930, die anschliessend auf hohem Niveau stagnierten.

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kinderpsychiatrischen Dienst ange­stellt. 18 Dies unterstrich die Absicht des Kantons, den harten polizeilichen, richterlichen und vormundschafts­behördlichen Zugriff auf Jugendliche, den das Versorgungsgesetz erlaubte, durch psychiatrische Abklärungen zu ergänzen, die im Verlaufe des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeu­tung gewannen. Die individualisie­rende, medizinische Sichtweise auf Jugendliche verdrängte die herkömm­liche Sorge um den Schutz der öffent­lichen Ordnung.

Gescheiterte Bemühungen um ein Jugendwohlfahrtsgesetz und neue Themenschwer-punkte

Gegen Ende der 1920er­Jahre be ­ mühte sich Robert Briner intensiv um ein kantonales Jugendwohlfahrts­gesetz. Er reichte am 30. Januar 1928 beim Regierungsrat eine entsprechen­de Motion ein. Das neue Gesetz würde, so seine Argumentation, die bereits geltenden Schutzbestimmungen kan­tonalen und eidgenössischen Rechts systematisch zusammenfassen. Zu ­gleich sollte der Erlass die Frage «der primären Verantwortung gegenüber der gefährdeten Jugend» lösen. Es sei nicht gut, dass sich ganz unterschied­liche Behörden und Gerichte der Jugendlichen annahmen. Desiderate einer modernen Jugendhilfe waren für Briner der Schutz der schulpflichtigen Jugend vor ausbeuterischer Erwerbs­tätigkeit, vor «niedriger Schundliteratur» und schlechten Filmen und schlies s lich vor Alkohol­ und Nikotinkonsum. Der Regierungsrat erklärte die Motion zunächst für erheblich, nur um 1948 eine Kehrtwende zu machen: «Ein Gesetz über die gesamte Jugendhilfe zu erlassen, welches die bisherigen Bestimmungen zusammenfassen und neue hinzufügen würde, ist formell unmöglich, weil es sich um ein weit­schichtiges Gebiet handelt, über das nicht nur der Kanton, sondern auch der Bund zu legiferieren hat. Eine sol­che ‹Kodifikation› wäre aber auch nicht zeitgemäss. Die Lebensverhält­nisse der Jugendlichen und die

Gesetzgebung darüber in Bund und Kantonen sind in ständigem Fluss.» 19

Zu jener Zeit war bereits Robert Briners Nachfolger, Emil Hauser, im Amt. Er lancierte neue Themen. So wirkte das Jugendamt beratend mit bei der Ausarbeitung der Einführungs­gesetze zum Berufsbildungsgesetz und zum Strafgesetzbuch. 1942 trat das Jugendamt im Jugendstrafver­fahren an die Stelle der Staatsanwalt­schaft und in mehreren Bezirken über ­ nahmen Jugendsekretäre als «Jugend ­ anwälte» strafrechtliche Funktionen. Ein weiterer Schwerpunkt lag weiter­hin bei der Ausbildung der «ungelern­ten Jugend». Die Möglichkeiten, sich nach der Volksschule fortzubilden, waren gemäss Emil Hauser nach wie vor ungenügend. Die Weiterbildung der Schulentlassenen und die Berufs­beratung waren ihm wie schon Robert Briner ein wichtiges Anliegen. 20

Das Kantonale Jugendamt bewegte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahr ­ hunderts zwischen zwei gegensätz li­chen Polen. Auf der einen Seite stand die Fürsorge für Jugendliche, die in pre kärer ökonomischer Situation heran wuchsen. Hier unterstützte das Jugendamt und nahm schon früh den Grundsatz der Prävention vorweg. Auf der anderen Seite spielte der Schutz der öffentlichen Ordnung eine wichti ge Rolle, was sich etwa im Enga gement von Robert Briner für das Versorgungs­ gesetz zeigte. Das Jugend amt befür­wortete, dass Vormundschafts behörde und Jugendanwaltschaft im Verbund mit den medizinisch­psychiatrischen Sachverständigen hart gegenüber Jugendlichen durchgriffen, denen sie «Gefährdung», «Verwahrlosung» und Widerstand gegen die Generation der Eltern unterstellten. Das Jugendamt, die Behörden und private Organi satio­ nen wie die Pro Juventute fassten sich als Autoritäten auf, die gegenüber Kindern und ihren Familien gemeinsam Massnahmen durchsetzten, die schon nach damaligen Massstäben fragwür­dig waren. Besonders deutlich zeigt sich dies im Falle des «Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse». Das «Hilfswerk» der Pro Juventute nahm

fahrenden Familien in der Schweiz die Kinder weg, um gegen das «Vagan­tentum» vorzugehen. Die Kinder galten gleichermassen als gefährdet wie auch als Gefahr für die Gesellschaft. 21 Zu keinem Zeitpunkt hinterfragten das Jugendamt oder die Vormundschafts­behörden im Kanton Zürich die Motive von Alfred Siegfried, dem Leiter des «Hilfswerks». Die Vormundschaften, die er beantragte, ordneten die Behör ­ den an.

Das Jugend-amt, die Behör-den und private Organisationen wie die Pro Juventute fass-ten sich als Autoritäten auf, die gegenüber Kindern und ihren Familien gemeinsam Massnahmen durchsetzten, die schon nach damaligen Massstäben fragwürdig waren.

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Neue Methoden prägen die Arbeit des Jugendamtes in den 1950er- und 1960er- Jahren

Kinder spielen im Hinterhof, Zürich, 1951

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In der Schweiz setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein beispiel­loser Wirtschaftsaufschwung ein. Konsum­ und Gebrauchsgüter wie Fernseher, Kühlschränke oder Autos wurden für immer mehr Menschen erschwinglich. Die Hochkonjunktur brachte Arbeitsplatzsicherheit mit sich und ungeliebte Tätigkeiten, etwa im Baugewerbe oder in der Industrie, übernahmen oftmals Migrantinnen und Migranten. Dieser tiefgreifende Transformationsprozess wirkte sich auch auf die Kinder­ und Jugendfür­sorge aus: «Sowohl beim Fürsorgeamt als auch bei den Jugendämtern und der Vormundschaftsbehörde gingen die Aufträge zurück. Dies dürfte dem immer noch guten Beschäftigungs­grad zuzuschreiben sein.» Weniger Armut als früher bedeutete tiefere Fall­zahlen. Gleichzeitig änderten sich die Bedingungen für die Interventionen. Die Fürsorgerinnen waren es sich bis dahin gewohnt, anlässlich von soge­nannten Hausbesuchen die Familien zu kontrollieren und dabei jeweils auch noch die Nachbarschaft zu befragen. Diese «Erhebungen [gestalten sich] immer schwieriger. Wegen der hohen Mietzinse oder um den Wunsch nach einem höhern Lebensstandard zu be­friedigen, gehen immer mehr Frauen einem Erwerbe nach. Dadurch fehlt in den Häusern der Kontakt unter den Bewohnern, und es finden sich immer weniger Auskunftsgeber, die aus­führliche und zuverlässige Angaben machen können.» 24 Problematisiert wurde die Erwerbstätigkeit der Frauen, die nun als Auskunftspersonen fehlten. Dass die Befragung der Nachbarschaft auch deshalb fragwürdig war, weil da­ mit sehr stark in die Persönlichkeits­rechte der Betroffenen eingegriffen wurde, war hingegen noch kein Thema.

Nicht nur die Fürsorgerinnen, son ­ dern auch die Vormundschaftsbehör­den und Amtsvormundschaften gingen von einem traditionellen Geschlech ter­ und Familienmodell aus: Die Mutter war Hausfrau und erzog die Kinder, der Vater garantierte das Erwerbseinkom­men. Arme Familien, bei denen beide

Eltern erwerbstätig waren, entsprachen nicht den bürgerlichen Vorstellungen und sahen sich häufig mit einer Kinder ­ schutzmassnahme konfrontiert. Nicht selten waren die Wohnverhältnisse trotz Wirtschaftsaufschwung selbst in der Stadt Zürich weiterhin prekär. So lebte beispielsweise eine vierköpfige Familie in einem einzigen Zimmer. 25 Auch Einelternfamilien, zumeist ledigen oder geschiedenen Müttern, unterstell ­ ten die Behörden, nicht ausreichend für ihre Kinder zu sorgen. Uneheliche Kinder erhielten gemäss Zivilgesetz­buch von 1907 direkt nach der Geburt einen Beistand und wurden oft ge tren nt von der Mutter in einem Kinderheim untergebracht. Erst das revidierte ZGB von 1976, das 1978 in Kraft trat, stellte uneheliche den ehelichen Kindern gleich. Der Blick auf die sozialen Pro­bleme von Familien war wertend. Die Behörden beurteilten nicht die Lebens ­ umstände, sondern unterstellten fehlen­de Erziehungsmoral. Die daraus resul­tierende «Gefährdung» oder «Verwahr­losung» der Kinder, so der damalige gesetzliche Wortlaut, führte oftmals zu einer Unterbringung in einem Heim oder in einer Pflegefamilie.

Wandel im Professionsver-ständnis und neue Einzelfallhilfe

Das bürgerliche Leitbild prägte nicht nur den Blick auf armutsbetroffene Familien, sondern auch das Profes­sionsverständnis der Fürsorgerinnen. Das Konzept der «sozialen Mütterlich­keit» basierte auf der Annahme, dass Frauen ihre vermeintlich weiblichen Eigenschaften wie Einfühlsamkeit, Liebe und Geduld besonders gewinn­bringend in die Kinderfürsorge ein­bringen können. Zunächst waren es

Frauen aus dem gutsituierten Bürger­tum, die seit den 1910er­Jahren in den Amtsvormundschaften und Bezirks­jugendsekretariaten als so genannte Gehilfinnen tätig waren. Ab den 1950er­ Jahren wandelte sich das Berufsbild. Sie waren nun Fürsorgerinnen, die nicht mehr nur zudienten, sondern eigene Aufgabenbereiche hatten. Die geringe Bezahlung und die geschlechtsspezi­fischen Vorstellungen blieben aber gleich: «Auf den meisten Amtsvor­mund schaften [werden] Kleinkinder, evtl. auch noch Schulkinder, weibliche Jugendliche und Erwachsene grös s­ten teils von der Fürsorgerin betreut.» Der Amtsvormund hingegen «befasst sich oft nur mit den grösseren Buben und männlichen Erwachsenen». Andere Amtsvormundschaften unterschieden wiederum nach der Komplexität der Fälle. Während die Fürsorgerin «regel­mässigen Kontakt» zu den Betroffenen hatte, trat der Amtsvormund «nur bei Schwierigkeiten» in Erscheinen. 26

Fürsorgerinnen waren an der Basis des Geschehens. Daher erstaunt es nicht, dass junge Vertreterinnen der sozialen Frauenschulen die ersten waren, die neue Wege gehen wollten und sich selbst als professionelle Sozialarbeiterinnen verstanden. In den USA hatten sie die Methode des Case­Work kennengelernt. Der Hilfe­plan wurde im Case­Work gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt und die Zusammenarbeit basierte auf Respekt für die Privatsphäre. Hausbesuche sollten nur nach vorheriger Anmeldung erfolgen. Diese neue, wissenschaft­liche Methode stand dem paternalisti­schen Fürsorgeverständnis der Vor­mundschaftsbehörden, die sich als Autoritäten verstanden, diametral ge genüber. Die Behördenmitglieder und Amtsvormunde waren wei terhin der Meinung, dass das weibliche Wesen der Fürsorgerin vollends aus­reichte, um den «in einem Haus herr­schenden Geist» intuitiv zu erfassen. 27

Es gab aber Ausnahmen. Die Metho ­de des Case­Work fand in einzel nen Bezirksjugendsekretariaten schon früh Beachtung. Eugen von der Crone

Die Mutter war Hausfrau und erzog die Kinder, der Vater garantier-te das Erwerbs-einkommen.

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amtete in Pfäffikon als Jugendsekretär und gleichzeitig als Amtsvormund, Berufsberater für männliche Jugend­liche sowie als Sekretär der Pro Juven ­tute und der Winterhilfe. Die neue Methode hatte er 1950 am Internatio­nalen Kongress für Soziale Arbeit in Paris kennengelernt: «Das Case­Work fordert ein besonders sorgfältiges Eingehen auf die Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen und benötigt daher sehr viel Zeit, die uns leider nicht immer zur Verfügung steht. Es ist auf jeden Fall wertvoll für uns, eine solche Arbeitsweise zu studieren und daraus zu entnehmen und anzuwen­den, was unseren Verhältnissen ange­passt ist.» Eugen von der Crone woll­te die neuen Ideen in die bestehenden Arbeitsweisen integrieren. Ebenfalls aussergewöhnlich war, dass er bereits 1950 die freiwillige Fürsorge als das «eigentliche Kerngebiet unserer Arbeit» verstand. Er setzte auf Beratungsan­gebote für Familien und gründete Mütter schulen. Dies sporne den «Hilfs ­ bedürftigen» an, was wiederum «die Fürsorge so bald als möglich über­flüssig» mache. Dadurch liessen sich seiner Meinung nach Ressourcen sparen. Die gesetzlichen Kinderschutz­ massnahmen des ZGB wollte Eugen von der Crone nur dann anwenden, wenn die Beratung keine Besserung brachte. Wenn immer möglich, war aber darauf zu verzichten. Dass die Familienberatung gegenüber den gesetzlichen Massnahmen an Bedeu­tung gewann, war eine Entwicklung, die sich später auch in anderen Bezirksjugendsekretariaten des Kan­tons Zürich abzeichnete. 28

Das neue Jugendhilfegesetz, das am 1. Januar 1958 in Kraft trat, schenkte der präventiven Jugendhilfe ebenfalls mehr Beachtung. Da die Bezirksjugendsekretariate immer mehr Aufgaben übernommen hatten, war eine gesetzliche Grundlage unabding­bar geworden. Das Jugendhilfegesetz entlastete die Jugendsekretäre von den vormundschaftlichen Aufgaben für Erwachsene. Diese Abkoppelung des Erwachsenenschutzes vom Kindes­

schutz reichte aber nicht aus, um alle anfal lenden Aufgaben für Kinder und Jugendliche zu bewältigen. Ein perso­neller Ausbau der Jugendsekretariate war notwendig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagten nämlich auch in den 1960er­Jahren die «viel zu hohe Fallbelastung». Prophylaktische Aufgaben wie «Elternbildung, Pflege­kinderwesen, Freizeitgestaltung, Verhütung von Süchten usw.» kämen zu kurz. 29 Die mittlere Fallbelastung wurde schliesslich 1969 auf 120 Fälle pro Fürsorgerin oder Fürsorger und Jahr gesenkt.

Ausbau der BerufsberatungBereits in den 1920er­Jahren war die Berufsberatung durch den damaligen Vorsteher des Kantonalen Jugend­amts, Robert Briner, gefördert und nach Geschlechtern getrennt organi­siert worden. Die stark expandierende Berufsberatung der weiblichen Jugendlichen unterstützte auch die Frauenzentrale. Während männliche Jugendliche Berufe wie Müller, Sattler oder Schreiner erlernen sollten, waren für die Schulabgängerinnen Glätterin, Stickerin, Köchin oder Dienstmädchen vorgesehen. In den 1950er­Jahren ergriffen junge Männer häufig Berufe im Baugewerbe, während bei weib­lichen Jugendlichen die Berufe «der Coiffeuse und der Tapeziernäherin» begehrt waren. Beiden Geschlechtern war gemeinsam, dass das Interesse an einer kaufmännischen Ausbildung ab den 1950er­Jahren stark zugenom­men hatte. 30 Der immer wieder neu aufgelegte «Wegweiser zur Berufs­wahl für Knaben und Mädchen» war am bürgerlichen Geschlechtermodell orientiert. Eine berufliche Wahlfreiheit bestand damit nur begrenzt.

Seit seiner Gründung koordinierte das Kantonale Jugendamt die Berufs­beratung. Ab den 1950er­Jahren pro­fessionalisierte sich das Angebot. Die Bezirksjugendsekretariate stellten ausgebildete und vollamtlich tätige Berufsberaterinnen und Berufsberater ein. 31 Ermöglicht wurde dieser Aus­bau durch das Bundesgesetz über die

Berufsbildung von 1963 und das da­ rauf aufbauende kantonale Berufs­bildungsgesetz von 1969. Die neuen rechtlichen Grundlagen brachten dank der Bundessubventionen beträcht­liche finanzielle Mittel. Der Bedarf an Berufsberaterinnen und Berufsberatern nahm auch wegen der 1960 einge­führten Invalidenversicherung zu, die Minderjährigen mit einer Behinderung Unterstützung im Berufsfindungs­ und Integrationsprozess zusicherte. 32

Heimerziehung mit lückenhaf-ter Aufsicht und strukturellen Schwierigkeiten

Deutlich begrenzter waren die Mög­ lich keiten von Jugendlichen, die im Heim aufwuchsen. Junge Frauen absolvierten häufig nur eine Anlehre oder übten eine Erwerbstätigkeit ohne Ausbildung in prekären Berufsfeldern wie Verkauf, Hauswirtschaft oder Gastgewerbe aus. Junge Männer waren in der Regel besser ausgebildet und die Amtsvormunde bemühten sich um Stipendien. Aber auch hier existierte eine deutliche schichtspezi­fische Grenze. Eine kaufmännische Ausbildung oder gar der Besuch eines Gymnasiums erwogen die Amtsvor­munde zumeist nicht. Ziel der Heim ­ platzierung war es, die Jugendlichen für den Arbeitsmarkt «tüchtig» zu machen, allerdings innerhalb ihrer sozialen Schicht. 33

Genauso wie die Amtsvormunde hatte auch das Heimpersonal einen grossen Ermessensspielraum.

In den 1950er- Jahren ergriffen junge Männer häufig Berufe im Baugewerbe, während bei weiblichen Jugendlichen die Berufe «der Coiffeuse und der Tapezier-näherin» begehrt waren.

Chronik AJB: 1950 –1965

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Sozialarbeiterinnen besprechen ein Dossier. Fotografie ausgestellt an der SAFFA 1958

Mütterberatungsstelle in Winterthur

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Aussereheliche Geburten in Zürich (1950 – 1965)

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0

200

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800

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1 200

Anna Meierhans* lebt mit ihren zwei jüngeren Geschwistern und ihren Eltern auf dem Land in Rüti. Sie absolviert die Haushaltsschule und muss der Mutter bei der Haus­arbeit helfen. Ihr Weg scheint vor­gezeichnet; sie wird auf einem Bauernhof oder in einer der Fabriken im Zürcher Oberland arbeiten. Anna

Meierhans träumt aber von einer Heirat und einem Leben in der Stadt Zürich. Sie will dem engen Elternhaus entfliehen. Mit neun­zehn Jahren lernt sie auf der Chilbi einen jungen Mann kennen. Ein Jahr später wird

Anna Meierhans schwanger. Sie ist scho­ckiert, bezüglich Ver­hütung war sie nur

unzureichend aufgeklärt. Der junge Mann will die Vaterrolle nicht über­nehmen, schon bald kommt es zur Trennung. Auch von ihren Eltern, die Angst haben vor dem Gerede im Dorf, erhält Anna Meierhans nur wenig Unterstützung. Kurz nach der Geburt gibt die junge Frau ihr Kind zur Adoption frei. Der Beistand, den das Kind von der Vormundschafts­behörde erhalten hat, drängt sie zu diesem Schritt, denn sie könne allei­ne nicht für die kleine Ruth sorgen. Zudem brauche das Kind eine Mutter und einen Vater, so seine Argumente. Anna Meierhans hat zu diesem Zeit­punkt keine feste Stelle. Ohne Aus­weg unterschreibt sie die Unterlagen zur Adoptionsfreigabe. Zu Beginn besucht sie ihre Tochter Ruth regel­mässig immer am letzten Sonntag des Monats. Schon bald aber wün­schen sich die Adoptiveltern, dass

der Kontakt unterbunden wird. «Ruth ist jeweils nach dem Besuch der Kindsmutter verstört und braucht Ruhe, um in der neuen Situation an­ zukommen», heisst es in den Unter­lagen der Vormundschaftsbehörde. Anna Meierhans tritt im Kanton St. Gallen eine Stelle als Haushalts­hilfe an und heiratet ein paar Jahre später. Ruth weiss lange nicht, wer ihre leibliche Mutter ist. Erst Ende der 1970er­Jahre, als sie erwachsen ist und schon selbst eine Familie hat, beginnt sie zu recherchieren. Es ist zu dieser Zeit kaum mehr denkbar, dass eine Mutter ihr Kind zur Adop­tion freigibt, nur weil sie arm und ledig ist.

Anna MeierhansChronik AJB: 1950 –1965

Das Schweizerische Zivilge­setzbuch, am 1. Januar 1912 eingeführt, vereinheitlichte das bislang kantonal geregelte «aussereheliche Kindesverhält­nis». Die unverheiratete Mutter konnte neu eine Alimentenkla­ge einreichen. Dieser Einspruch stellte eine reine Geldforderung dar. Im juristischen Sinne war damit keine Anerkennung des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Vater und Kind verbunden. Nur wenn ein so ­ genanntes formloses Ehever­sprechen vorlag, konnte eine Klage auf Standesfolge in der väterlichen Linie einreicht werden. Wurde der ledigen Mutter hingegen ein «unzüchti­ger Lebenswandel» unterstellt, verloren sie und ihr Kind jedes

Recht zur Anfechtung. Ab den 1950er­Jahren ist in der Schweiz ein leichter Anstieg der ausserehelichen Geburten feststellbar, was gemäss der Vormundschaftsbehörde Zürich mit den ausländischen ledigen Arbeiterinnen zusammenhing, die «schon im schwangeren Zustand» anreisten. 37 Erst mit der Revision des Zivilgesetz­buches von 1976 wurden die unehelichen den ehelichen Kindern gleichgestellt. Dass ledige Mütter zu diesem Zeit­punkt weniger stigmatisiert waren als früher, zeigt sich auch daran, dass die Zahlen der Inlandadoptionen stark zurückgingen zugunsten von Adoptionen aus den Ländern der sogenannten Dritten Welt.

Fakt

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Hausordnungen und Reglemente mit Vorschriften waren zwar vorhanden. Die pädagogische Ausrichtung und der Alltag hing aber von der jeweiligen Heimleitung ab. Missstände wie harte Arbeit, wenig Privatsphäre, Gewalt­ausübung, Isolation und übermässige Strafen wurden aufgrund der lücken­haften Aufsicht nur selten beanstandet. Das Gesetz über die Jugendheime und Pflegekinderfürsorge von 1962 brachte diesbezüglich nicht viel Neues. Die Heime waren weiterhin lediglich meldepflichtig und die Aufsicht war nicht professionalisiert. Eine kantonale Heimaufsicht wurde, vermutlich aus finanziellen Überlegungen und wegen föderaler Bedenken, nicht geschaffen. Erstmals geregelt wurden hingegen die staatlichen Beiträge an die Heime. 34

Die Heime hatten mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Geeignetes Personal zu finden, gestaltete sich schwierig, und ein häufiger Wechsel war die Folge. Die Anforderungen waren hoch: «Es bedarf besonderer Fähigkeiten, viel guten Willens und grosser Geduld im Umgang mit Kin­dern, um in einem Heim jenes ruhige und glückliche Milieu zu schaffen, das für die gedeihliche Entwicklung der Kinder unerlässlich ist.» Die Stadt Zürich teilte die Heime organisatorisch auf. Das Jugendamt I führte die städ­tischen Kinder­ und Jugendheime, während das Jugendamt IV für die Heime «sittlich gefährdeter Zöglinge» zuständig war. 35 Die Vormundschafts­behörden begründeten damals

Heimeinweisungen damit, dass junge Frauen «sexuell gefährdet» seien, während ihnen die jungen Männer als «arbeitsscheu» galten.

Jugendkulturen werden öffentlich sichtbar: das «Halbstarkenproblem»

Gegen Ende der 1950er­Jahre rückten die sogenannten Halbstarken in den Fokus des Jugendamtes der Stadt Zürich: «In letzter Zeit mehren sich die Fälle, da Eltern oder Arbeitgeber über ihre schulentlassenen Kinder und Arbeitnehmer Klage führen und dabei nicht selten das undisziplinierte Ver­halten der betroffenen Jugendlichen als ‹halbstark› bezeichnen. Zürich kennt allerdings kein ‹Halbstarkenproblem› wie ausländische Städte. Dennoch muss festgestellt werden, dass bei verwahrlosten Jugendlichen die genau gleichen Symptome wie beim ‹klassi­schen Halbstarken› feststellbar sind.» Es blieb dem Jugendamt nicht un­ bemerkt, dass sich Jugendliche im Kanton Zürich gegen die rigiden Moral­ vorstellungen der Elterngeneration aufzulehnen begannen und nach eigenen kulturellen Ausdrucksformen suchten. Sie trugen Jeans, frisierten sich wie Elvis oder toupierten sich die Haare, hörten Rock’n’Roll, besuch ­ ten Kinos und trafen sich in Cafés. Der «Schwarze Ring» war ein berühmt ­ berüchtigter Treffpunkt in der Stadt Zürich. Dass Halbstarke ihren Lebens­stil im öffentlichen Raum artikulierten, missbilligten diejenigen, die sich als fleissige Bürger des Mittelstandes de­finierten und kopfschüttelnd an ihnen vorbeigingen.

Das Jugendamt der Stadt Zürich schuf 1962 zwei zusätzliche Sekre­tariate, um den neu aufgetretenen Jugendproblemen begegnen zu

können. Das neue Sekretariat 8, das für sogenannte Sonderfälle zustän­dig war, hatte bald den Übernamen «Halbstarkensekretariat». In Einzel­gesprächen versuchten die Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter des städti­schen Jugendamtes, das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen und diese für eine Freizeitbeschäftigung zu begeistern, die aus ihrer Sicht sinnvoll war. 36 Das Jugendamt sah nicht nur die Fürsorge, Beratung und Berufsbildung als seine Aufgabe an, sondern versuchte auch, die Jugend­kultur in gesellschaftlich gebilligte Bahnen zu lenken.

«Zürich kennt allerdings kein ‹Halbstarken- problem› wie ausländische Städte.»

Junge Frauen absolvierten häufig nur eine Anlehre oder übten eine Erwerbstätigkeit ohne Ausbildung in prekären Berufsfeldern wie Verkauf, Hauswirtschaft oder Gast- gewerbe aus.

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Sozialpädagogische Arbeit mit «gleichgültigen», «ver wahrlosten» und «aggressiven» Jugendlichen

Bern, Bundesplatz: Jugendliche protes-tieren für die Frauen-rechte, 1968

In den 1970er-Jahren:Chronik AJB

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Die von Otto Siegfried aufgeworfene Frage, ob Jugendlichen leerstehende Häuser zur Verfügung gestellt werden sollten, beschäftigte das städtische Jugendamt in den späten 1960er-Jahren stark.

Die Auflehnung der Jugendlichen gegen das Establishment kulminierte 1968 in einer europaweiten Bewe­gung. Im Kanton Zürich hatte dieser Aufbruch weitreichende Folgen für die Geschlechterrollen, die Familien­modelle, das Generationenverhältnis, den Umgang mit Sexualität und die Präsenz von Jugendlichen im öffent­lichen Raum. Neue Gruppierungen entstanden, etwa die Rocker, die schwere Motorräder fuhren und sich in einschlägigen Lokalen im Zürcher Niederdorf oder an der Langstrasse trafen. Das Jugendamt der Stadt Zü­rich verortete ein neuartiges Problem: «Sozialarbeiter und Jugendfürsorger haben sich heute mit vielfältigen neuen Erscheinungsformen der man­gelnden Geborgenheit der Jugend zu befassen, die einen viel differen­zierteren Einsatz als früher erfordern. Beschäftigten sie vor Jahren die Exis­tenzialisten und dann die Halbstarken in besonderem Masse, sind es heute die Beatniks, die Hippies, die Rocker usw. Das Verhalten dieser Jugend­lichen erstreckt sich im allgemeinen [sic] von der totalen Gleichgültigkeit und Verwahrlosung bis zur irritierten [sic] Aggressivität.» 38

Otto Siegfried, Dienstchef des Jugendamts III, sah die Sozialarbei­tenden in einer schwierigen Rolle, ein­geklemmt zwischen den Jugendlichen und den Ordnungskräften. In seiner Reflexion kommt zum Ausdruck, wie stark der gesellschaftliche Werte­ wandel die zuständigen Ämter verun­ sicherte: «Welches ist aber die Stel­lung eines Sozialarbeiters, der in den Diensten eines öffentlichen Gemein­wesens steht, in dieser Umbruchs­zeit? Soll er als Avantgardist mit den Neuerern auf die Barrikaden steigen? Soll er das ‹gut bewährte Alte› à tout prix zu konservieren trachten? Darüber schweigen sich leider die Ausbild ungs ­ stätten unserer Sozialarbeiter völlig aus. Die jungen Absolventen dieser Schulen erhalten eine sehr gute Schu­lung in Methodik der Einzelfallhilfe, der Gruppen­ und Gemeinwesen­arbeit. In der Praxis werden sie aber

sehr bald mit sogenannten ‹heissen Eisen› konfrontiert, wie etwa: Kann dem Wunsche eines sechzehnjährigen Mädchens nach regelmässiger Abga­be der Pille stattgegeben werden; ist dem gleichalterigen Jugendlichen zu gestatten, das Elternhaus zu verlas­sen, um in einem Zimmer oder in einer Kommune zu leben; soll die Stadt Jugendbands, die sich grösstenteils aus Jugendlichen rekrutieren, die keiner geregelten Arbeit nachgehen, Abbruchhäuser zur Verfügung stellen, in denen sie wohnen können?»

Der Sozialarbeiter sah sich laut Siegfried gezwungen, entweder als Vertreter des «verpönten Establish­ments» aufzutreten oder er «gerät mit den Eltern und den Vertretern der Ordnungskräfte» in Konflikt. Trotz­dem sprach sich Siegfried gegen den «goldenen Mittelweg» aus. Vielmehr hatten Sozialarbeitende seiner Mei­nung nach die Jugendlichen einge­hend zu studieren. Sie begleiteten die «progressiven Pläne» bei jenen, die «gesund und reif» waren, während sie bei anderen konventionelle Wege beschritten. 39 Die Einzelfallhilfe bot sich aus seiner Sicht in besonderem Masse für die Sozialpädagogik und die soziokulturelle Animation an.

Die von Otto Siegfried aufgewor­fene Frage, ob Jugendlichen leerste­hende Häuser zur Verfügung gestellt werden sollten, beschäftigte das städtische Jugendamt in den späten 1960er­Jahren stark. Jugendliche forderten, dass sie das freiwerdende Globus­Provisorium als autonomes Jugendhaus nutzen konnten. Die «Globus­Krawalle» veranlassten den Stadtrat, eine verwaltungsinter­ne Kommission zur Abklärung der «Jugendlichenprobleme» einzusetzen, während eine zweite, externe Kom­mission die Jugendunruhen unter­suchte. Otto Siegfried präsidierte die interne Jugendkommission und nahm als Vertreter der Stadt Zürich auch in der externen Kommission Einsitz. 1970 stellte die Stadt den Jugend­lichen den Lindenhofbunker als auto­ nomes Jugendzentrum und den

Rockern den Helvetiabunker zur Ver­fügung. Beide Zentren wurden jedoch 1971 bereits wieder geschlossen, da aus behördlicher Sicht neue soziale Probleme, besonders Drogenkonsum, aufgetreten waren. 40 Während die Bilanz zum Aufbau von autonomen Ju gendzentren Anfang der 1970er­ Jahre eher ernüchternd ausfiel, initiier­te das städtische Jugendamt eine Beratungsstelle an der Sihlamtstrasse. Das Jugendhilfegesetz von 1957 bot die Grundlage für diese vorbeugende Jugendhilfe, die vor allem mit dem Ausbau von freiwilligen Beratungsan­geboten erreicht werden sollte. Neu war, dass die Sozialarbeiter Gassen­arbeit leisteten und die Jugendlichen direkt vor Ort aufsuchten. 41 Die aufsu­chende Jugendarbeit entwickelte sich fortan im ganzen Kanton Zürich zu einem neuen Feld der sozialen Arbeit.

Von der Mütterberatung zur Elternbildung

Seit seiner Gründung war das Kan­tonale Jugendamt im Bereich der frühkindlichen Bildung aktiv. Es baute Spielplätze und eröffnete Mütterbera­tungsstellen, die später in Mütter­ und Väterberatung umbenannt wurden. Ein Problem, das die Industrialisierung mit sich gebracht hatte, war die Säug ­ lingssterblichkeit. Bereits 1913 hatte die Pro Juventute in Zürich die ersten drei Mütterberatungsstellen eingerichtet.

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«Es können dort zu jeder Stunde Kinder hinge-bracht werden, die aus irgend- einem Grunde vorübergehend versorgt werden müssen.»

Eine «öffentliche Milchküche» in Winterthur garantierte, dass Mütter Säuglingsmilch beziehen konnten. Stillen galt gleichwohl als idealer Weg. Die Ernährung von Säuglingen mit Ersatzprodukten stand in jener Zeit in der Kritik. Ab 1919 engagierte sich auch das Kantonale Jugendamt in der Säuglings­ und Müttervorsorge. 1926 gab es bereits 20 Mütterbera­tungsstellen im Kanton, neun davon in der Stadt Zürich.

Die Mütterberatung professiona­lisierte sich ab den 1930er­Jahren. Waren zuvor freiwillige Helferinnen beigezogen worden, wurde nun eine Säuglingsfürsorgeschwester ange­stellt. Auch thematisch änderte sich die Beratung. Zunächst hatte aufgrund der hohen Säuglingssterblichkeit die Hygiene im Vordergrund gestanden, nun ging es vermehrt um Ernährung, Pflege und Kindererziehung. Finanziell getragen wurde die Mütterberatung von den Frauenvereinen oder der Pro Juventute. Später beteiligten sich auch die Gemeinden. Mit dem Jugendhilfe­gesetz von 1957, das vorsah, dass das Kantonale Jugendamt «die Einrichtun­gen und Bestrebungen der Säuglings­fürsorge» förderte, und insbesondere mit dem kantonalzürcherischen Ge­sundheitsgesetz von 1962, erlebte das Beratungsangebot einen Aufschwung. Das Gesundheitsgesetz verpflichtete die Gemeinden dazu, für die Beratung von schwangeren Frauen und Müttern zu sorgen. Das Kantonale Jugendamt stellte die Drucksachen zur Verfügung, um für die Beratung zu werben, und engagierte sich in der Weiterbildung von Säuglingsfürsorgeschwestern. Diese hatten auch Fremdsprachen­kenntnisse zu erwerben, um italienische Mütter zu beraten. 42 1969 bestanden schliesslich beachtliche 212 Mütterbe­ratungsstellen im Kanton Zürich.

Ein weiteres Betätigungsfeld des Kantonalen Jugendamtes war die Elternbildung. Für den Ausbau der Elternschulen engagierte sich im Kanton Zürich insbesondere der Winterthurer Schulvorsteher und sozialdemokratische Nationalrat Emil

Frei. Die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen in den 1950er­Jahren und neue Medien wie Radio, Reklame und Filme machten die Schulung von Müttern und Vätern aus seiner Sicht zu einer dringenden Aufgabe. Unterstützt wurde er vom Kantonalen Jugendamt und seinem damaligen Leiter Adolf Maurer. 43

Die vermehrte Berufstätigkeit von Müttern seit den 1960er­Jahren machte den Ausbau von familien­ergänzenden Betreuungsangeboten notwendig. Kinderkrippen wurden auf­ und ausgebaut, und auch Heime nahmen immer häufiger vorüberge­hend Kinder berufstätiger Eltern auf. Ein Beispiel dafür ist das Kinderheim Büel in Winterthur, das in seiner Eröff­nungsmitteilung festhielt: «Es können dort zu jeder Stunde Kinder hinge­bracht werden, die aus irgendeinem Grunde vorübergehend versorgt wer­den müssen.» Dieses flexible Angebot nutzten insbesondere Italienerinnen und Italiener, die in den Winterthurer Industriebetrieben arbeiteten, aber auch alleinerziehende Mütter. Es war also letztlich der Erwerbstätigkeit von Müttern, Italienerinnen und Schweizer­innen, geschuldet, dass der Ausbau von Krippen, Horten, Mittagstischen und flexiblen Heimangeboten voran­getrieben wurde. Damit brach das herkömmliche Geschlechterrollen­bild der nichterwerbstätigen Ehefrau und Mutter auf. 44 Daraus wiederum resultierte schliesslich, dass heute die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesellschaftlich anerkannt ist und immer mehr als Thematik aufgefasst wird, die Mütter und Väter gleicher­massen betrifft.

Zwischen psychologischen Einflüssen in der Jugend-hilfe und behördlicher Härte gegenüber rebellierenden Jugendlichen

Nebst der freiwilligen Beratung brach­ten die Gruppenarbeit und Gruppen­therapie methodische Neuerungen. Beispielhaft ist dafür das Jugendamt der Stadt Zürich. 1968 absolvierten Studierende der Schule für Soziale Arbeit im Jugendamt III ein Gruppen­praktikum. Als Resultat dieses «Expe­rimentes» beschloss das Jugendamt, dass «die soziale Gruppenarbeit unter Jugendlichen in den Aufgabenbereich [des Amtes] gehört». Die organisierten Gruppenabende betrafen nicht nur «führungsbedürftige Jugendliche», sondern auch «Eltern mit Erziehungs­schwierigkeiten» oder «alleinstehende Mütter mit Erziehungsproblemen». Ebenfalls neu war es, den im Jugend­amt tätigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Supervision anzu­ bieten. 45

Neue Methoden und Theorien ge wannen auch im sozialpädagogi­schen Setting und in der Heim­erziehung an Bedeutung, etwa die psychologisch begleitete Gruppen­therapie, fanden aber nicht immer Anklang. Einer jungen Frau, die von zu Hause weggelaufen war und der die Vormundschaftsbehörde «sexu­elle Neugier verbunden mit dem Verlangen nach einem Vaterersatz» unterstellte, legte der Amtsvormund vergeblich eine Therapie nahe. Auch die anschliessend ins Auge gefasste «Gruppentherapie» mit der gesam­ ten Klasse scheiterte am Unwillen der Lehrerin. Sie weigerte sich, mit den «psychologischen Dilettanten» zusammenzuarbeiten, denen die «nötigen Voraussetzungen» fehlten. 46 Trotz solcher Rückschläge setzten sich die neuen psychologischen Methoden gegen Ende der 1970er­ Jahre in der Arbeit mit Jugendlichen immer stärker durch.

Gleichzeitig blieb die Skepsis ge gen­über jugendkulturellen Ausdrucks­formen bestehen, insbesondere im

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Chronik AJB: 1968 – 1979

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Protest gegen die Justiz: «Sit-in» in Zürich, Mai 1969

Zum ersten Mal eine junge Frau als 1.-Mai-Rednerin, Zürich, 1969

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«Qui tota eum nimolor emolo-rum atem fugit, ate et veliquost, volores tibusda esedit, apedicia quid.»

zivilrechtlichen Kindesschutz. Die zu­ständigen Amtsvormunde erwarteten von den Jugendlichen Koopera tion. Jugendliche, die auf ihre Freiheiten pochten und immer wieder aus Hei­men davonliefen, wurden in geschlos­sene und streng geführte Heime ein­gewiesen. Die Amtsvormunde fragten die Jugendlichen nicht, weshalb sie

weggelaufen waren. Auch der offen­kundige Wille zur Selbstbestimmung galt ihnen nicht als Ressource, die für die sozialpädagogische Arbeit genutzt werden konnte. Dies war in besonderem Masse in den 1950er­ und 1960er­Jahren der Fall bei jungen Frauen, die ihre Sexualität selbstbe­stimmt auslebten. Aber auch in den

1970er­Jahren kam es vereinzelt noch zu Einweisungen in Arbeitserziehungs­anstalten oder gar ins Frauengefängnis Hindelbank im Kanton Bern.

Männliche Jugendliche, die aus behördlicher Sicht zu wenig Arbeits­willen zeigten, straffällig wurden oder in Verdacht standen, Drogen zu kon­sumieren, wiesen die Behörden in die

Paar mit Kind in den 1970er-Jahren

Chronik AJB: 1968 – 1979

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Universität Zürich, Studierende nach Geschlecht, 1945 / 46 – 1980 / 81

1945

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6

1947

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8

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0

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4

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8

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2

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6

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0

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4

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0

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2

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2

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/ 197

6

2 000

4 000

6 000

8 000

10 000

12 000

0

Frauen

Männer

Elsa Röthlisberger* lebt, seit sie 14 Jahre alt ist, in einem Mädchenheim in der Nähe von Bülach. Als Jugend­liche hatte sie Kontakte zu Rockern. Sie war öfters von zu Hause weg­gelaufen und über Nacht aus Winter­thur weggeblieben. Die Eltern wuss­ten sich nicht anders zu helfen, als bei der Vormundschaftsbehörde um Unterstützung zu bitten. «Die Eltern sind mit ihrer Tochter überfordert. An Regeln hält sie sich kaum und treibt sich häufig nach der Schule an ein­schlägigen Treffpunkten herum»,

begründete die Vormundschafts­behörde der Stadt Winterthur 1962 die Wegnahme von Elsa aus der Familie. Dies ging den Eltern viel zu weit, hatten sie doch lediglich Erziehungsratschläge erwartet. Im Heim hat Elsa Röthlisberger Mühe mit dem rigiden Tagesablauf, den alt­modischen Erzieherinnen und den vielen Vorschriften. Sie träumt von einer Lehrstelle als Innendekorateurin. Der zuständige Amtsvormund will von diesem Berufswunsch nichts wissen. In der Berufsberatung zeigt sich, dass Elsa Röthlisberger gerne etwas mit den Händen gestalten möchte. Der Berufsberater rät ihr zu einer Lehre als Coiffeuse. Es ist eine der wenigen Ausbildungen, die sie heimextern absolvieren kann. Elsa Röthlisberger freut sich auf ihre Voll­jährigkeit, die bevorstehende Ent­lassung aus dem Heim und darauf,

dass die behörd­liche Aufsicht endlich endet. Draussen pulsiert das Leben. In Zürich gehen Jugendliche nun auf die Strasse und fordern mehr Selbst­bestimmung. Die Frauenbefreiungs­bewegung proklamiert das Ende einer langen Ära, in der Frauen für Haushalt, Kinder und Erziehung zuständig waren. 1971 wird das Frauenstimmrecht angenommen, 1972 im Kanton Zürich das Konku­binatsverbot aufgehoben. Elsa Röthlisberger ist nun 24 Jahre alt. Sie lässt sich von der allgemeinen Auf­bruchsstimmung anstecken. Es zieht sie weg von Winterthur nach Zürich. Sie mietet mit ihrem Freund eine Wohnung im Niederdorf, geniesst die neuen kulturellen Angebote und holt später das KV nach.

Elsa Röthlisberger

Fakt

Der Aufschwung des Dienstleistungssek­tors nach dem Ende des Zweiten Welt­kriegs förderte die Erwerbstätigkeit von Frauen in der Schweiz. Gleichwohl waren 1950 rund 43 Prozent aller erwerbstätigen Frauen als un­ oder angelernte Arbeite­rinnen tätig. Bei den Männern waren dies nur 24,8 Prozent. Zudem waren Frauen in personenbezogenen, dienstleistungsorien­tierten Berufen in den Bereichen Pflege, Beratung und Unterricht überrepräsentiert und arbeiteten häufig Teilzeit. Das ist bis heute so. Gleichzeitig war die Nachkriegs­zeit durch eine massive Bildungsexpan­sion geprägt, von der auch die Frauen profitierten. Während 1970 noch fünfmal mehr Männer als Frauen die Maturität abschlossen, näherten sich die Zahlen ab den 1980er­Jahren an.

67

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Arbeitserziehungsanstalt Uitikon am Albis ein. Ein betroffener Jugendlicher rekurrierte: «Ich gehöre nicht dorthin. Ich bin mit einer Einweisung in den Erlenhof nach Basel oder ins Basler Jugendheim einverstanden. […] Das wäre mir gleich, aber in Uitikon hat es zu viele schwere Burschen. Ich bin leicht beeinflussbar und gehöre nicht zu den schweren Jungs.» 47 Solche Beschwerden hiessen die zuständigen Behörden in der Regel nicht gut. Auch im vorliegenden Fall wies der Bezirks­rat den Rekurs ab.

Die Vormundschaftsbehörden blie­ben nach 1968 einem traditionellen Geschlechter­ und Familienbild verhaf ­ tet. Während im freiwilligen Betreuungs ­ bereich, etwa in Horten oder Kinder­krippen, die Erwerbstätigkeit von Müttern als gesellschaftliche Realität anerkannt war, sahen die Vormund­schaftsbehörden die klassische Familie weiterhin als Ideal an. Sie waren der Meinung, nur zusammen lebende Eltern ­ paare könnten ihre Kinder angemessen erziehen. Nicht nur die Erwerbstätig­keit von Müttern problematisierten sie, sondern auch die Tatsache, dass seit den 1970er­Jahren die Scheidungsrate anstieg. Scheidungen alarmierten die Behörden genauso wie in den voran­gegangenen Dekaden die Lebensform der ledigen Mütter. Bei einer Schei­ dung, so inzwischen die behördliche Sicht, war eine Erziehungsberatung zwingend notwendig.

Die mandatsführende Instanz erhielt dadurch eine neue Rolle. Amts­vormunde sprachen mit den Familien­mitgliedern über Erziehung und Alltag. Bestand bereits eine vormundschaft­liche Massnahme, wohnte solchen vordergründig freiwilligen Gesprächen jedoch immer auch Zwang inne. Ge­schiedene Mütter wussten, dass sie sich gesprächsbereit zeigen mussten, wollten sie die Fremdplatzierung ihrer Kinder verhindern. Hier zeigt sich, genauso wie im behördlichen Um­gang mit der rebellierenden Jugend, wie widersprüchlich die 1970er­Jahre waren. Neue, partizipative Methoden und herkömmliche, durchgreifende

Härte lagen – für die Betroffenen kaum durchschaubar – sehr nahe beieinander. 48

Die Heimkampagne verändert die Heimerziehung

Diese Ambivalenz war auch im Heim ­ alltag spürbar, wenngleich sich dort im Zuge der Heimkampagne der früh ­ en 1970er­Jahre allmählich Neue ­ r ungen abzeichneten. Die Heimkam­pagne war von der Jugendbewegung rund um den Lindenhofbunker in Zürich getragen und gewann mit spektakulären Befreiungsaktionen von Jugendlichen aus dem St. Galler Erziehungs­ und Lehrlingsheim Platanenhof in Oberuzwil und der Arbeitserziehungsanstalt Uitikon am Albis im Kanton Zürich im Septem­ber 1971 nationale Bedeutung. Sie forderte die Aufhebung des Arbeits­zwangs, des Strafsystems, der Post ­ zensur sowie eine angemessene Bezahlung für geleistete Arbeit. Ihr visionäres Ziel war die Abschaffung der Erziehungsheime.

Die Heimkampagne, die ein gros­ses mediales Echo fand und die Heimleitungen zutiefst verunsicherte, führte schliesslich zu einer schritt­weisen Veränderung in den Heimen. Die Wohngruppen wurden verkleinert und die Privatsphäre der Kinder und Jugendlichen stärker berücksichtigt, indem Einzelzimmer eingerichtet wurden. Eine neue Generation von professionell ausgebildetem Personal war nun besser entlohnt. Die jungen Sozialpädagoginnen und Sozial­pädagogen hatten die kurz vorher entstandenen Ausbildungsgänge an den Hochschulen für Soziale Arbeit besucht und brachten emanzipa­torische Erziehungsideen mit in die Heime, inspiriert von der 68er­Be­wegung und der Kritik an Machtver­hältnissen. Damit ging Hand in Hand, dass sie die Interessen der Jugend­lichen ernst nahmen und zuhörten, wenn diese ihre Bedürfnisse äusser­ten. Ferner etablierten sich ambulante Beratungs­ und Betreuungsdienste als Alternativen zur stationären Hilfe. 49

Die Auswirkungen der Heimkam­

pagne lassen sich exemplarisch an

der Stadt Zürich aufzeigen. Seit seiner

Gründung hatte das Jugendamt III die

Aufsicht über die Kinder­ und Jugend­

heime und Pflegefamilien ausgeübt.

Faktisch waren es die Vormunde

und Jugendsekretäre, die Kinder und

Jugendliche an den Platzierungsorten

besuchten und vor Ort einen Augen­

schein der Verhältnisse nahmen. Nur

zu oft ignorierten sie jedoch deren Be­

schwerden, wie ihre Besuchsrapporte

zeigen, und vertrauten stattdessen auf

die Aussagen der Heimleitung. Nicht

eher als Anfang der 1970er­Jahre be­

gann das Jugendamt III, die institutio­

nalisierte Aufsicht zu verbessern. Die

jährlichen Berichte über die städti­

schen Heime waren nun viel ausführ­

licher als früher. Im Pflegekinderwesen

fehlte ebenfalls lange eine gut funktio­

nierende Aufsicht. Erst die Verordnung

über die Aufnahme von Kindern zur

Pflege und zur Adoption (PAVO) vom

19. Oktober 1977 schrieb für die

«Aufnahme von Unmündigen ausser­

halb des Elternhauses» zwingend eine

Bewilligung vor. Zuständig für die

Bewilligung und die Aufsicht war die

Vormundschaftsbehörde am Wohnort

der Pflegeeltern.

1986 entwickelte die Erziehungs­

direktion schliesslich ein Heimkonzept

für den Kanton Zürich. Ziel war, dass

sich das «zürcherische Heimwesen […]

laufend neuen Erkenntnissen und Be­

dürfnissen anpass[t]». Ein besonderes

Gewicht bekam die Elternarbeit, die

bis zu Beginn der 1970er­Jahre bei den

Heimen praktisch inexistent gewesen

war. Die Eltern sollten nun in die sozial­

pädagogische Arbeit miteinbezogen

werden. Auch die ambulanten Dienste

wurden stärker gewichtet. Sie waren

den stationären Einrichtungen «wenn

immer möglich» vorzuziehen. Schliess­

lich sollten durch geeignete Methoden

und Kriterien «angemessen[e] Auf­

sichtsverfahren» geschaffen werden.

Die lückenhafte Aufsicht, bereits zu

Beginn der 1970er­Jahre moniert, war

noch immer ein Bereich mit grossem

Verbesserungspotenzial. 50

Chronik AJB: 1968 – 1979

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1980er- und 1990er-Jahre:

«Drogengefährdete» und «rebellierende» Jugendliche als Herausforderung für die Kinder- und Jugendhilfe

Während der Weihnachtsdemonstration für die Wiedereröffnung des Autonomen Jugend-zentrums AJZ flüchten die Menschen vor dem Tränengas-Einsatz der Polizei, 1980

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Ab den 1970er­Jahren rückte der Sucht mittelkonsum von Jugendlichen in den Fokus, besonders beim Jugend ­ amt der Stadt Zürich. In den von der Stadt zur Verfügung gestellten Jugend­ zentren gab es Schwierigkeiten: «Im Lindenhofbunker traten soziale Proble­me zutage, die verschiedene Jugend­liche unterschiedlichen Alters betrafen. Diese Erscheinungen überraschten wohl die breite Öffentlichkeit, nicht aber den Sozialarbeiter. Dann musste festgestellt werden, dass das Drogen­problem in Zürich sehr viel ernster geworden ist als früher. Eine Umfrage im Oktober ergab, dass die Dienstab­teilung über 250 Fälle führt, bei denen Drogen in irgendeiner Form in Erschei­nung traten.» 51

Die Räumung und Schliessung von Jugendzentren führte zu Protesten, die sich im Vorfeld der Abstimmung über einen Sechzig­Millionen­Franken­ Kredit für den Umbau des Opern hauses am 30. Mai 1980 in den «Opernhaus­krawallen» entluden. Das daraufhin gegründete Autonome Jugendzentrum (AJZ) wurde ebenfalls bereits 1982 nach Problemen mit dem Konsum und Handel von Drogen wieder geschlos­sen. 52 Erst gegen Ende der 1980er­ Jahre eröffnete die Stadt Zürich mit dem Kulturhaus Dynamo, zuvor Draht ­ schmidli, erneut ein Jugendzentrum. Als Gründe für den Drogenkonsum der Jugendlichen vermutete das Jugendamt fehlende familiäre Bindun­gen: «Auch der Jugendliche, der zu Hause zu keiner echten Auseinander­setzung kommt, vereinsamt und flüchtet nur zu gerne in die Scheinwelt der Droge oder anderer Süchte. Der gesunde Jugendliche findet in seiner Familie Geborgenheit und ist da ver­wurzelt, auch wenn er später ausfliegt und eine neue Familie gründet.» Als Reaktion darauf wurde die bereits er ­ wähnte Jugendberatung eingeri chtet. 53

Die Behörden der Stadt Zürich waren mit dem Ausmass der Drogen­problematik überfordert. Ausdiffer en­ zierte medizinische Therapien und sozialarbeiterische Unterstützungsan­gebote fehlten in den 1980er­Jahren

weitgehend. Die schweizerische Drogenpolitik stützte sich auf die Säu­len Prävention, Repression und Thera­pie, wobei die Zulassungsbedin­ g ungen für Methadonprogramme sehr streng waren. 54 1985 nahm die Sucht­präventionsstelle der Stadt Zürich ihre Arbeit auf. Punktuelle Hilfe boten Not­schlafstellen, die zeitweilig auch von obdachlosen suchtabhängigen Men­schen genutzt wurden. Angesichts des Ausmasses der Drogenproble­matik waren diese Bemühungen jedoch ein Tropfen auf den heissen Stein. Nachdem die Polizei die Drogen ­ szene jahrelang von einem Ort zum anderen vertrieben hatte, etablierte sich der Handel ab Mitte der 1980er­ Jahre auf dem Platzspitz hinter dem Hauptbahnhof. Die Stadt liess die Drogenszene zunächst gewähren, da die zentrale Lage als abgeschottet und gut kontrollierbar eingeschätzt wurde. Gegen Ende der 1980er­Jahre hatten Spritzentausch und mangel­hafte hygienische Bedingungen zu gravierenden Notlagen der Betrof­fenen geführt. 55 Private Hilfsorgani­sationen engagierten sich ebenso wie der sozialpsychiatrische Dienst der Universitätsklinik und des Sozialde­partements in der Gassenarbeit. Das Sozialdepartement unterhielt sieben Kontakt­ und Anlaufstellen, Notschlaf­stellen, einen Job­Bus und Tagesauf­enthaltsräume für Jugendliche. 1992 schloss der Statthalter des Bezirks Zürich überraschend den Platzspitz. Die Drogenszene verlagerte sich auf das Gelände um den ehemaligen Bahnhof Letten. Drei Jahre später wurde auch dieser Ort, begleitet von flankierenden Massnahmen, geräumt.56

Das städtische Jugendamt initiierte verschiedene eigene Projekte, um dem Drogenkonsum zu begegnen. Freiwillige gründeten mit einer dafür angestellten Sozialarbeiterin eine «Kurvengruppe», die Jugendliche, die von zu Hause oder aus dem Heim weggelaufen waren, zurückbegleitete. Auch Notschlafstellen wurden in Zusammenarbeit mit der Zürcher Arbeitsgruppe für Jugendprobleme

(ZAGJP) errichtet. Bereits 1982 ent­schied jedoch die Vorsteherin des Sozialamtes, Emilie Lieberherr, dass sich das Jugendamt aus der Arbeit mit Randständigen und der Zusam­menarbeit mit der ZAGJP zurückzu­ziehen hatte. Jugendamtseinrich ­ t ungen wie die Werkstatt Holz oder der Provitreff des Jugendhauses Draht­schmidli waren zuvor attackiert wor­den. 1985 entstand schliesslich eine Suchtpräventionsstelle, die vom Sozial­ und Schulamt gemeinsam getragen und dem Leiter der Jugend­beratung unterstellt war. Ende der 1980er­Jahre folgte eine grossange­legte Medienkampagne zum Thema «Sucht hat viele Ursachen». 57

Im damaligen Umgang mit sucht­abhängigen Adoleszenten verdeutlicht sich die schwierige Rolle des Jugend­amtes zwischen Hilfe und Befähigung auf der einen und Kontrolle und Re ­pre ssion auf der anderen Seite. Immer häufiger ordneten auch die Vormund­schaftsbehörden bei Drogen konsu­mierenden Minderjährigen eine Fürsorger ische Freiheitsentziehung (FFE) an. Diese hatte 1981 das kanto­nale Versorgungsgesetz abgelöst. In Artikel 397a nannte das Zivilgesetz­buch nebst «Geisteskrankheit», «Geistesschwäche», «Trunksucht» und «schwerer Verwahrlosung» auch «andere Suchterkrankungen» als materielle Voraussetzungen der FFE. Die Drogenpolitik in der Stadt Zürich war vom Paradigma der Abstinenz geprägt, das heisst Verzicht auf jeg­lichen Suchtmittelkonsum. Ein kontrol lierter und therapiebegleiteter Konsum war bis in die 1990er­Jahre

Die Drogenpoli-tik in der Stadt Zürich war vom Paradigma der Abstinenz geprägt, das heisst Verzicht auf jeglichen Suchtmittel- konsum.

Chronik AJB: 1980 – 1996

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Autonomes Jugendzentrum Zürich, 1980

Junge Menschen blicken vom Autonomen Jugendzentrum herunter, März 1981

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nicht denkbar. Die einzige Möglichkeit bestand in den 1980er­Jahren darin, betroffene Personen gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik einzu­weisen, die aber mit ihren Therapien nur unzureichend auf suchterkrankte Menschen ausgerichtet waren. 58

Erst ab Ende der 1980er­Jahre setzte sich bei Ärztinnen und Ärzten, Juristinnen und Juristen sowie den Behörden allmählich die Erkenntnis durch, dass die Motivation der Betrof­fenen Voraussetzung für eine erfolg­reiche Therapie war. 1990 legte der Zürcher Stadtrat für alle städtischen Dienste eine verbindliche Strategie vor, die unter den «Vier Säulen» Prävention, Repression, Überlebens­hilfe und Therapie bekannt werden sollte. Zu den wichtigsten Mass­nahmen gehörten der dezentrale Auf­bau von niederschwelligen Kontakt­ und Anlaufstellen, der Ausbau der medizinischen Versorgung sowie neue Wohn­ und Jobangebote. Schon 1988 hatte das städtische Jugendamt den Job­Bus initiiert, der sich als erstes Angebot speziell an arbeits­fähige Suchtmittelkonsumentinnen und ­konsumenten richtete. Die­jenigen, die teilnahmen, wurden mit Arbeiten im Baubereich, der Forst­pflege, im Gartenbau oder im Unter­halt von Wegen beschäftigt, wobei aufgrund der begrenzten Anzahl der Arbeitsplätze die Einsätze der elf Busse ausgelost wurden. 59

Organisatorische Umgestal-tung im Kantonalen Jugend-amt von 1981

Mit Blick auf die gesetzlichen Grund­lagen waren die 1980er­Jahre eine Umbruchzeit für das Kantonale Jugendamt. 1981 hatte die Stimm­bevölkerung des Kantons Zürich das neue Jugendhilfegesetz angenomm en. Das Gesetz regelte neu die Alimenten­bevorschussung und unterstrich die Funktion des Jugendamtes als Zentral ­ stelle. Da trotz der neuen Aufgabe im Bereich der Alimentenbevorschussung keine zusätzlichen Stellen vom Kanton zugesprochen worden waren, merkte die Jugendamtsleiterin Heidi Burkhard ein Jahr später kritisch an, dass sich der Gesetzesauftrag nur dank des «vermehrten Einsatzes einzelner JS­ Mitarbeiter» und der «stärkeren Beteili­gung» der Gemeinden erfüllen lasse.

Das neue Gesetz umschrieb die Aufgaben des Kantonalen Jugend­amtes und der Jugendkommissionen detaillierter als die früheren Erlasse. Dem Amt oblag die fachliche Koordi­nation der Angebote, die Qualitäts­sicherung und die fachliche Führung. Diese gesetzlichen Vorgaben hatte das Jugendamt bis zur Einführung des Jugendhilfegesetzes von 1981 noch nicht in allen Bereichen erfüllt. Zwar existierten bereits mit der Mütter­beratung, der Berufsberatung und dem Pflegekinderwesen drei Zentralstellen, jedoch fehlte in der Jugend­ und Familienberatung ein übergeordnetes Organ. Die Jugendsekretäre forderten auf der neuen Gesetzesgrundlage von 1981 eine entsprechende überge­ordnete Zentralstelle für Sozialarbeit, die Angebote im Bereich der Jugend­ und Familienberatung koordinieren sollte. Zusätzlich schlugen sie eine neue Fachstelle für ambulante Jugendhilfe vor, der alle bisherigen Zentralstellen sowie die neu zu schaffende Zentral­stelle für Sozialarbeit zu unterstellen waren. Diesen Vorschlag einer zusätz­lichen übergeordneten Instanz lehnte die Amtsleitung ab. Obwohl sie sich bezüglich der geforderten «Zentralstelle für Sozialarbeit» etwas zugänglicher

zeigte, wies sie auch dieses Anliegen «aus Personalgründen» zunächst ab. Erst 1988 wurde schliesslich auf grund des Drucks der Jugendsekretariate eine Zentralstelle für Jugend­ und Familienberatung geschaffen. Die Stellenplanneutralität konnte durch eine entsprechende Umstrukturierung gewährleistet werden: Im Kanzlei­bereich wurde eine halbe Stelle ein­gespart und der neu geschaffenen Zentralstelle zugeteilt. Ebenso wurde der Bereich Pflegekinderwesen in die Zentralstelle integriert. 60

Daneben versuchte das Kantonale Jugendamt, die Organisations­einheiten neu zu gruppieren und auf einer übergeordneten Ebene zusam­menzufassen. Ende 1988 bestanden die Zentralstelle für Berufsberatung, der Sektor Heime, der Sektor Prävention und Sozialberatung mit den Zentralstellen für den Frühbereich – der ehemaligen Mütterberatung –, und für Jugend­ und Familienberatung sowie die Geschäftsstelle der kantonal ­ zürcherischen Arbeitsgemeinschaft für Elternbildung (KAEB). Die Jugend­anwaltschaft war ebenfalls dem Jugendamt angegliedert, allerdings nicht als Zentralstelle organisiert. 61

Massnahmen zur Arbeitsinte-gration von Jugendlichen in prekären Situationen

Nebst Jugendunruhen und Drogen­konsum ging die wirtschaftliche Rezession, die 1973 einsetzte, nicht spurlos am Jugendamt vorbei. Jugendarbeitslosigkeit stellte ein neu­es Problem dar. Stark betroffen waren die Städte Winterthur und Zürich. 1976 sprach das stadtzür­cherische Jugendamt von über 500 Nachschulpflichtigen und Erwachse­nen im Alter bis 24 Jahre im Stadt­gebiet, die keine Stelle hatten. Als Massnahme gegen diese strukturell bedingte Jugendarbeitslosigkeit rich­tete das Jugendamt III im Jahr 1976 ein Einsatzprogramm für arbeitslose Jugendliche ein.

Es folgten drei weitere Programme, in denen zwischen fünfzehn und

Chronik AJB: 1980 – 1996

1990 legte der Zür cher Stadt-rat für alle städt ischen Dienste eine verbindliche Strategie vor, die unter den «Vier Säulen» Prävention, Repression, Überlebenshilfe und Therapie bekannt werden sollte.

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fünfzig Jugendliche Arbeitseinsätze in Altersheimen, in Freizeitanlagen, im Zürcher Jugendhaus, im Büro für Archäologie und in der Verwaltung absolvierten. 1979 beteiligte sich das Jugendamt III am Einsatzprogramm Werkstatt Holz des Vereins Arbeits­kette Zürich. Dieses sah vor, «durch individuelle Betreuung, Behandlung und Arbeitsgewöhnung schwer ver­mittelbare arbeitslose Jugendliche so weit zu bringen, dass sie in einen regulären Arbeitsprozess eingegliedert werden können». 62 1981 übernahm das Jugendamt dieses Einsatzpro­gramm: «Es kamen auch kranke, süchtige und hilflose Jugendliche. Es war aussergewöhnlich schwierig, diese Leute zu plazieren [sic]. Das Einsatzprogramm ist zu einem drin­ g end benötigten Auffang­Programm für handikapierte und sozial auffällige junge Leute geworden.» 63

Diese Schwierigkeiten blieben in den 1980er­Jahre bestehen. Das städti sche Jugendamt schrieb die

Arbeitslosigkeit nicht nur der Wirt­schaftslage zu, sondern machte die Betroffenen mitverantwortlich: Die Stellenlosigkeit «kann hervor­gerufen sein durch physische oder psychische Krankheit, fehlende Quali­fikation, eine auffallende Wesensart, soziale Unangepasstheit, Sucht usw.» Ebenfalls ein wichtiges Betätigungs­feld war die Integration von aus­ländischen Jugendlichen in den Arbeitsmarkt, etwa mit einjährigen Integrationskursen. 64

Weiterer Ausbau der Berufs-beratung und der Hilfen für Kleinkinder

Die Beratung von Kindern, Jugend­lichen und ihrer Eltern erlebte in den 1990er­Jahren erneut einen Ausbau. Für die Berufsberatung war bereits 1977 in der Stadt Zürich das erste Berufsinformationszentrum (biz) er­richtet worden, das vom Prinzip der Selbstinformation ausging. Jugend­liche und Erwachsene konnten sich mittels verschiedener berufs­ und schulkundlicher Dokumentationen über die Berufswelt und Ausbildungs­möglichkeiten informieren. 1998 wurden die kantonale und auch die akademische Berufsberatung dem Kantonalen Jugendamt zugewiesen, das aufgrund dieses neuen Gewichts der Berufsberatung in Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) umbenannt wurde. Die kantonale Zentralstelle koordinierte die Zusammenarbeit der Berufsberatungsstellen untereinander

Ebenfalls ein wichtiges Betä-tigungsfeld war die Integration von ausländi-schen Jugend-lichen in den Arbeitsmarkt, etwa mit ein- jährigen Integra-tionskursen.

Junge Frauen schauen sich einen Werbefilm über Berufe bei der Post an, 1988

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Opernhaus in der Stadt Zürich: Anzahl Aufführungen nach Spielsaison, 1953 / 54 –1989 / 90

1953

/ 19

54

1956

/ 195

7

1959

/ 196

0

1962

/ 196

3

1965

/ 196

6

1968

/ 196

9

1971

/ 197

2

1974

/ 197

5

1977

/ 197

8

1980

/ 198

1

1983

/ 198

4

1986

/ 198

7

1989

/ 199

0

0

200

250

300

350

150

100

50

400

Martin Furrer* absolviert an der Kantons schule Oerlikon das Gymna­sium. In seinem Elternhaus diskutiert er leidenschaftlich gerne über das Weltgeschehen und den Ost­West­Konflikt. Während seine Grosseltern noch ein klassisches Familienmodell gelebt haben, sind seine Eltern Teilzeit erwerbstätig. Die Grosseltern über­nehmen ebenfalls einen Teil der Kinderbetreuung. Martin Furrers Fami­lie wohnt in der Agglomeration von Zürich, alle pendeln jeweils zur Arbeit und zur Schule. 1980 ist Martin Furrer sechzehn Jahre alt. Interessiert

verfolgt er die Jugendunruhen in Zürich, die sich anlässlich der Be­ willigung eines Sechzig­Millionen­ Kredites für das Zürcher Opernhaus entzündet hatten. Er schliesst sich den Protesten an und fordert mit der «Bewegig» ein Jugendzentrum. Im Juni 1980 wird das Autonome Jugend ­ zentrum beim Hauptbahnhof Zürich eröffnet, bereits im September jedoch wegen Drogenkonsums vorübergeh­end wieder geschlossen. Die Jugend­lichen grenzen sich vom «Bünzlitum» der Nachkriegsgeneration ab, pochen auf eigene Räume und finden avant­gardistische kulturelle Ausdrucks­formen. Mit zwanzig Jahren beginnt Martin Furrer an der Universität Zürich Soziologie zu studieren. Er erhält ein Stipendium, das einen Teil seiner Lebensunterhaltskosten deckt. Mit Studienkolleginnen und ­kollegen be ­treibt er im Kreis 4 eine illegale Bar.

Chronik AJB: 1980 – 1996

Martin Furrer

Bis 1960 wies die Gesellschaft des Kan­tons Zürich in kultureller Hinsicht traditio­ nalistische Züge auf. Zwischen Stadt und Land verlief eine klare Trennlinie. Mit be­ sonderem Misstrauen begegnete man der Jugend, vor allem deren Orientierung an der amerikanischen Kultur. In einem langen gesellschaftlichen Transformationsprozess hatten sich die Unruhen von 1968 schon vorher angekündigt. Besonders seit den 1960er­Jahren veränder ten sich der Lebens­ stil und die Genera tionen­ und Geschlech­terbeziehungen. Dieser Wandel lässt sich auch an der stag nierenden Nachfrage nach klassischer Kultur wie Theater, Konzert und Oper ablesen. Alternative Kulturformen gewannen dafür an Bedeutung.

Fakt

74

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und war um eine fachgerechte Durch­führung und Weiterentwicklung der Berufsberatung besorgt. 65

Die Beratung rund um das Alter der Kleinkinder professionalisierte sich eben falls weiter. Im Sinne der Gemein ­ wesenarbeit entstanden in den Bezirks jugendsekretariaten Eltern­ gruppen, Treffpunkte, Spielgruppen, Mütterzentren und Entlastungsdiens­te. Die kantonale Zentralstelle hatte auch hier die Aufgabe, die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter der Sekretariate zu unterstützen und koordinierend zu wirken. Das Jugendamt der Stadt Zürich war im Bereich der Jugend­ und Familienhilfe ebenfalls in neuen Arbeitsbereichen tätig. 1992 über­nahm das Jugendamt die Mütter­ und Väterberatung von der Pro Juventute, die zuvor die Geschäftsstelle des Ver­eins für Mütterberatung geführt hatte. Drei Jahre später wurde in einem zwei ­ jährigen Pilotprojekt die Schulsozial­arbeit in den Kreisen Limmattal, Glattal und Schwamendingen eingeführt, die Jugendlichen, Eltern und Mitarbei­tenden der Schulen bei Problemen beratend zur Seite stand. 66

Effizienzsteigerung in Verwal-tung und Jugendhilfe

Ebenfalls in die Zeit der 1990er­ Jahre fällt die Umstrukturierung der Verwal­tung nach der Verwaltungslehre des New Public Management. Darunter ist zu verstehen, dass das Handeln der Verwaltung über Leistungen und Wirkungen – auf Englisch output und outcome – zu steuern ist. Dies führte zu einer Ökonomisierung und Um ge ­ staltung der Verwaltung mit dem Ziel, Kosten einzusparen und die Effizienz zu steigern. Im Kanton Zürich fiel der Grundsatzentscheid zur «wirkungs ­ orien tierten Verwaltungsführung» – kurz wif! genannt – nach den Regierungs ratswahlen 1995. Durch die Unterscheidung von politisch­ strategischer und operativer Führung sollte eine stärkere Zielorien tierung und Steuerungsfähigkeit der Ver­waltung erreicht werden. 1996 stimmte das Zürcher Stimmvolk dem

Rahmengesetz für die Verwaltungs­reform zu, die auch eine Änderung des Organisationsgesetzes von 1899 beinhaltete. Neu setzte sich die kan­tonale Verwaltung aus sieben Direk­tionen zusammen und die bisherige Erziehungsdirektion, der das AJB unterstellt war, wurde in Bildungs­direktion umbenannt.

Das AJB nahm im wif!­Reformpro­zess eine Pionierrolle ein. Ivo Talew, Vorsteher des AJB zwischen 1993 und 2008, initiierte die Umsetzung. Das Amt startete mit zwei wif­Projek­ten, dem wif!­10 (Berufsberatung) und dem wif!­31 (Jugendhilfe), wobei der Regierungsrat im Jahr 2000 die Integ­ration des wif!­10­Projektes in das wif­31­Projekt beschloss. Das wif!­31­Projekt «galt als eines der wichtigsten (und komplexesten) Projekte der Verwaltungsreform». Gemäss Ivo Talew brauchte es für die Zukunft eine «bes­sere», «legitimierte», «transpa rente» und «finanzierbare» Jugendhilfe. Die Kinder­ und Jugendhilfe sollte nun subsidiär ihre Leistungen «gegenüber den Regelsystemen Familie, Schule und Beruf/Arbeit» erbringen. Offiziell fand das wif­31­Projekt Ende 2003 seinen Abschluss, wobei verschiedene Teilprojekte im Anschluss daran weiter ­ geführt wurden. 67

Mit diesem Reformprozess war eine räumliche Reorganisation der Jugend­hilfe verknüpft. Der Kanton sollte neu in grössere Regionen der Jugendhilfe eingeteilt werden, in denen sogenannte Jugendhilfezentren alle Dienste an ­ boten. Durch die Verwaltungsreform

war es möglich, die bezirksüber­greifenden Strukturen und Arbeitsab­läufe zunächst in den Bezirken Hinwil, Pfäffikon und Uster – der neuen Region Ost – versuchsweise zu erproben. Aufgrund der positiven Rückmeldung bildete sich 2007 mit den Bezirken Affoltern, Dietikon und Horgen die zweite Jugendhilferegion Süd. 68 Mit dieser Reorganisation war die Schaf­fung einer gesetzlichen Grundlage für die ambulante und stationäre Jugend­hilfe verbunden, einschliesslich der Schul sozialarbeit, der Tages­ und Heimsonderschulen, der Schulpsycho ­ logie und der Berufsberatung. In der Vernehmlassung beurteilten die Ge ­ meinden die Vorlage jedoch mehrheit­lich negativ. Sie lehnten die Entflech­tung der Aufgaben bei der ambulanten und stationären Jugendhilfe ab. Daher wurde der Gesetzesentwurf vorerst nicht weiterverfolgt.69

Im Kanton Zürich fiel der Grundsatz-entscheid zur «wirkungsorien-tierten Verwal-tungsführung» – kurz wif! genannt – nach den Regierungs- ratswahlen 1995.

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Chronik AJB

Das Amt für Jugend und Berufsberatung von 1997 bis 2019

Hilfsbedarf und Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Blick

Diakarussells von Berufsbildern, biz Meilen, 1999

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Die 1990er­Jahre brachten Kindes­misshandlungen und damit den Kinder ­ schutz verstärkt ins allgemeine Be­ wusstsein. Auch die Jugendsekre­tariate nahmen sich dieser Thematik an. Die Stadt Zürich beispielsweise entwickelte ein Beratungskonzept für den Kinderschutz. Mit der Unter­zeichnung der Kinderrechtskonven­tion der UNO durch die Schweiz im Jahr 1997 setzte schliesslich eine Diskussion darüber ein, wie sich Kinder und Jugendliche im Fall einer hochstrittigen Scheidung ihrer Eltern oder bei bevorstehendem Eintritt in eine stationäre Einrichtung angemes­sen einbringen können. 70 Beide Themenschwerpunkte – Kinderschutz und Kindeswille – sollten von nun an auch das Amt für Jugend und Berufs­beratung (AJB) in der Amtszeit von André Woodtli seit 2008 stark beschäf ­ tigen. Es wurde deutlich, dass das Jugendhilfegesetz von 1981 nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen ge ­ nügte und eine Gesetzesreform erforderlich war.

Das Kinder- und Jugendhilfe-gesetz von 2011

Am 14. März 2011 beschloss der Kan­tonsrat das neue Kinder­ und Jugend­hilfegesetz (KJHG), das 2012 in Kraft trat. Der Erlass regelt die Organisa­tion, Leistungen und Finanzierung der ambulanten Kinder­ und Jugendhilfe. Die im Gesetz vorgesehenen Angebote unterstützen die «Familien in ihren Erziehungsaufgaben» und dienen der «Förderung, Erziehung und Bildung» von Kindern und Jugendlichen. Sie fördern deren «körperliche, geistige, emotionale und soziale Entwicklung» und tragen dazu bei, «Gefährdungen und Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen zu vermeiden oder zu beseitigen».

Die wichtigsten Revisionspunkte betrafen die Verpflichtung der Ge­meinden, eine bedarfsgerechte fami­ l i en ergänzende Kinderbetreuung im Vorschulbereich sowie Schulsozial­arbeit zu gewährleisten, die Sonder­pädagogik im Frühbereich und die

Schaffung von bezirksübergreifenden regionalen Versorgungsstrukturen. Erst mit dem KJHG konnte das AJB als eine Gesamtorganisation ver­standen und entsprechend gestaltet werden. Diese neue Gliederung stellte «vermutlich das Herzstück der Revi­sion dar und bietet die Möglichkeit, ‹Sündenfälle› des Kompromisses von 1981 auszubügeln». 71

Der Ausbau der familienergänzen­den Kinderbetreuung und der Schul­sozialarbeit waren Ziele der damaligen Legislaturperiode des Regierungsra­tes und daher von «zeitliche[r] Dring ­ lichkeit». Während der Wunsch nach einer gesetzlichen Regelung der fami­lienergänzenden Kinderbetreuung seit ein paar Jahren in Raum stand – bereits im Volksschulgesetz vom 7. Februar 2005 waren die Gemeinden verpflich­tet worden, für Schulkinder bei Bedarf Tagesstrukturen anzubieten –, waren gesetzliche Grundlagen für die Schul­sozialarbeit durch deren Ausbau in den Gemeinden not wendig ge worden. Dabei war es «der mehrfach ge­ äusserte Wille» von Regierungsrätin Regine Aeppli, die «Schulsozialarbeit nicht so ungehemmt wachsen zu lassen wie seinerzeit die Schul psy­cho logie», damit die Qualitätssiche­r ung durch den Kanton sichergestellt werden kann. Die heilpädagogische Früherzieh ung wiederum war zwar mit Beschluss des Kantonsrats vom 1. Oktober 2007 in das damalige Jugendhilfegesetz aufgenommen, allerdings nur ungenügend geregelt worden. 72 Dem sollte nun das neue

KJHG Abhilfe schaffen. Die regionale Neuorganisation war bereits unter dem vorherigen Amtschef Ivo Talew im Rahmen eines Modellversuchs ein­geführt worden. Durch die mehrheit­lich positiven Erfahrungen sollten die bezirksübergreifenden Strukturen in der öffentlichen Kinder­ und Jugend­hilfe und im ganzen AJB nun definitiv eingeführt werden. 73

Die Kompetenzen für den Aufbau eines bedarfsgerechten Angebotes an familienergänzender Betreuung von Kindern im Vorschulalter und für die Schulsozialarbeit lagen bei den jeweiligen Gemeinden und waren des­halb im Gesetz inhaltlich nicht weiter ausgeführt. Detailliert geregelt wurden hingegen die sonderpädagogischen Massnahmen, welche «heilpädagogi­sche Früherziehung, Audiopädagogik und Logopädie» umfassten. Der Ent­scheid über eine sonderpädagogische Massnahme setzte eine entsprechende Abklärung voraus. Kinder im Kanton Zürich hatten Anspruch darauf, wenn sie in ihrer Entwicklung eingeschränkt oder gefährdet waren oder dem Unter ­ richt in der Regelschule ohne spezi fi­sche Unterstützung nicht folgen konn­ten. Jugendliche wiederum wurden unterstützt, wenn sie in ihrer Entwick­lung eingeschränkt waren und ein Ab schluss auf der Sekundarstufe II gefährdet war. 74

Hauptgegenstand des neuen KJHG war wie bereits erwähnt die regionale Neuorganisation. Die Leiterinnen und Leiter der vier neu geschaffenen Jugendhilferegionen waren nun direkt dem Amtschef des AJB unterstellt. 75 Die Bildungsdirektion richtete in den Jugendhilferegionen entsprechende Jugendhilfestellen ein und legte deren Leistungsangebot fest. Unterstützt wurde sie dabei von der kantonalen Jugendhilfekommission, die aus neun bis elf Mitgliedern aus den Gemeinden sowie Persönlichkeiten aus Sozial­we sen, Bildung und Wissenschaft be ­ stand. 76

Am 30. November 2015 wurde das KJHG erneut geändert und in dieser revidierten Form per 1. April 2016 in

Diese neue Gliederung stellte «vermut-lich das Herzstück der Revision dar und bietet die Möglichkeit, ‹Sündenfälle› des Kompromis-ses von 1981 auszubügeln».

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«Zentrum – kann heissen: Dort trifft man sich. Dort findet man sich. Dort sieht man sich.»

Kraft gesetzt. Die Kleinkinderbetreu­ungsbeiträge wurden nach längeren Debatten abgeschafft. Diese waren seinerzeit am 3. März 1991 in der Ab ­ stimmung zur Änderung des Jugend­hilfegesetzes angenommen worden. Mit der Ausrichtung der Kleinkinder­betreuungsbeiträge sollte gemäss damaligem Abstimmungstext einer­seits «verhindert werden, dass Eltern bereits kurz nach Geburt des Kindes aus wirtschaftlichen Gründen einer vollen Erwerbstätigkeit nachgehen müssen». Andererseits sollte sicher­gestellt werden, «dass sich min­destens ein Elternteil während einer angemessenen Zeitspanne persönlich der Pflege und Erziehung des Kindes widmen kann». Anlass für die Ab­schaffung gaben sowohl die hohen Kosten bei den Gemeinden als auch inhaltliche Bedenken. 2007 hatte sich die Stimmbevölkerung im Kanton Zürich gegen die Einführung von Familienergänzungsleistungen und die Initiative «Chancen für Kinder» aus­gesprochen, während die Kleinkinder­betreuungsbeiträge für jüngere Kinder genau diesen Ansatz verfolgt hatten. Letztlich wurden die Kleinkinderbe­treuungsbeiträge eher als schädlich angesehen, da sie keinen Anreiz für den baldigen Wiedereinstieg von Müttern nach der Geburt eines Kindes boten. Familienarmut sollte auf andere Weise begegnet werden, etwa durch die Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen, die Stärkung der Verein­barkeit von Beruf und Familie oder mit Weiterbildungsmöglichkeiten. 77

Durch den Aufbau dezentraler Strukturen die Sicherung des Kindeswohls vorantreiben

Das neue Kinder­ und Jugendhilfe­gesetz beeinflusste die Organisations­struktur und die Angebotsentwicklung. Abgeleitet vom KJHG legte das AJB 2011 die Organisationsstrukturen neu fest. Die Leistungserbringung erfolgte in den vier Jugendhilferegionen, die dezentrale Verwaltungseinheiten dar­stellten, sowie in einem neu geschaf­fenen Zentralbereich. Als Fachstäbe

zugunsten der Leistungserbringung im ganzen AJB waren unter anderem die Fachbereiche Kinder­ und Jugend ­hilfe sowie Berufs­, Studien­ und Lauf­ bahnberatung angesiedelt.

Bereits ein Jahr später dachte André Woodtli die Bildung von Kinder­ und Jugendhilfezentren (kjz) an, um die dezentrale Leistungserbringung zu konzentrieren und zu stärken. Neben den schon bestehenden Berufs­informationszentren (biz), die weiter professionalisiert und vereinheitlicht wurden, sollten nah an der Basis multi professionelle Zentren der Kinder­ und Jugendhilfe entstehen. «Zentrum – kann heissen: Dort trifft man sich. Dort findet man sich. Dort sieht man sich.» Die kjz sollten dabei auch die Funktion von interdisziplinären Kindes­schutzzentren übernehmen kön nen. Die Umsetzung erfolgte in Etappen: Während in der Region Nord bereits 2013 erste kjz entstanden, waren in der Region West die kjz für 2015 ge­plant.78 Auch das Corporate Design wurde entsprechend ange passt. Sämt ­ liche Leistungen und Aktivitäten des AJB wurden als Teil der Bildungs­direktion gekennzeichnet. Als Logo diente das Zürcher Wappen und der Löwe, wobei dieses je nach Nutzer variierte. Daneben stellte die grafische Gestaltung der Broschüren die Men­schen ins Zentrum und vermittelte drei Botschaften: «Mensch, echt, positiv». 79

Ziel der dezentralen Angebote der Kinder­ und Jugend hilfe zentren ist die umfassende «Sicher ung des Kindes­wohls». Darauf richten die kjz ihr «gesamtes Handeln und Wirken» aus. Das Kindeswohl ist dabei keine ab­solute Grösse, sondern die Gefähr­dung ist «in der Praxis stets in Bezug auf das betreffende Kind zu beurtei­len». In dieser Sichtweise sind die Eltern primär verantwortlich für das Kindeswohl. Die kjz ergänzen bei Bedarf die elterliche Sorge und arbei­ten mit den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern zusammen. Um diese Wirkung zu erreichen, bieten die kjz eine Vielzahl von Leistungen an: «Je nachdem, was man unter Leistung

alles versteht, sind sogar viele dieser Leistungen kaum beschreibbar, sicht­bar oder bezifferbar.» Dazu gehören «Vernetzung, Kontaktpflege, Austausch mit anderen Fachstellen, Projekte, Entwicklung, Teamarbeit etc.» 80

Die kjz­Angebote beinhalten die Mütter­ und Väterberatung, die Anhö ­ r ung von Kindern im Auftrag von Ge richten und Behörden, Abklärungen als Entscheidungsgrundlage zur Siche ­ r ung des Kindeswohls, die Erziehungs­ und Jugendberatung, die Familien­hilfen sowie die ergänzenden Hilfen zur Erziehung. Die Angebote umfassen damit ein breites Spektrum: von der niederschwelligen Beratung in allge­meinen Erziehungsfragen über die sozialpädagogische Familien beglei tung bis zur Intervention im Rahmen von zivilrechtlichen Kinderschutzmass­nahmen, etwa mit einer Erziehungs­beistandschaft. Dabei arbeiten die kjz mit verschiedenen Sachverständigen und Fachstellen zusammen. Ein wich­tiger Kooperationspartner sind die Kindes­ und Erwachsenenschutzbe­hörden (KESB), welche am 1. Januar 2013 mit der Einführung des neuen Kindes­ und Erwachsenenschutz­rechts die Vormundschaftsbehörden ablösten. Die kjz stehen den KESB als Mandatszentren im Bereich des Kinderschutzes zur Verfügung. 81

Die Regionalen Rechtsdienste (RRD), die zeitgleich zu den kjz gegrün­det wurden, übernehmen Aufträge der KESB und von Gerichten, wenn in einem juristischen Verfahren eine Schutz­ beziehungsweise Vertre tungs ­ bedürftigkeit des Kindes besteht, beispielsweise bei einem Interessens­konflikt zwischen dem Kind und den Eltern. Sie orientieren sich an den Grundsätzen der UNO­Kinderrechts­konvention, die dem Kind, das fähig ist «sich eine eigene Meinung zu

Chronik AJB: 1997– 2019

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Wandmalerei auf dem besetzten Wolgroth-Areal, 1993

Patchworkfamilie

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237 650

34 750

181 390173 6

40

27630

Einpersonenhaushalte, 32% Elternteile mit Kind(ern), 11% Paare ohne Kinder, 25%

Paare mit Kind(ern), 24% Übrige, 8%

Simon Eggeschwiler* ist zehn Jahre alt. Er lebt mit seiner Mutter, seiner älteren Schwester Claudia und den Grosseltern in einem Mehrgenera­ tionenhaus. Sein Vater wohnt eben­falls in der Nähe in einer Mietwoh­ nung, er verbringt jedes zweite Wochenende bei ihm. Über Mittag und nach der Schule geht Simon jeweils selbstständig in den Hort, da seine Mutter an vier Tagen die Woche erwerbstätig ist. Dort isst er mit den Schulkameraden und macht anschliessend die Hausauf­gaben. Anlässlich der Scheidung der Eltern war für den zu ­ ständigen Bezirks­richter die zentrale Frage gewesen,

wie das «Kindeswohl» geschützt wer­den kann. Das zukünftige Wohn­modell erachtete er dabei als mass­gebend. Simon Eggeschwiler und seine Schwester wurden entsprech end angehört. Die Eltern haben ge mein­ sam mit Simon und Claudia ent­schieden, dass die Kinder weiterhin bei der Mutter leben und regelmässig die Wochenenden beim Vater ver­bringen werden. Simon Eggeschwiler, den die Trennung sehr belastet und in der Schule zurückgeworfen hatte, erhielt Unterstützung durch eine

Psychologin. Inzwisch en hat er sich in die neue Situation gut

eingelebt. Die Ferien ver­bringt er abwech selnd bei seiner Mutter und seinem Vater.

Seit 1. Juli 2014 wird gemäss Artikel 296, Absatz 2 des Zivil­gesetzbuches beiden Eltern­teilen das Sorgerecht erteilt, wenn dies dem «Kindeswohl» dient. Eine Unterscheidung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Eltern wird nicht mehr gemacht. Das revidierte Unterhaltsrecht trat am 1. Januar 2017 in Kraft. Die zuständige Behörde muss neu bei einer Scheidung die Möglichkeit der alternierenden Obhut prüfen, sofern dies ein Elternteil oder das Kind ver­langt. Die alternierende Obhut ist bislang jedoch noch nicht der Regelfall.

Seit 1970 gewann der Anteil an Einpersonenhaushalten stark an Bedeutung, während Paarhaushalte mit Kindern pro­zentual an Gewicht verloren. Ebenfalls leicht zugenommen haben Paarhaushalte ohne Kinder.

Fakt I Fakt II

Privathaushalte nach Haushaltstyp im Kanton Zürich, 2015 (ständige Wohnbevölkerung ab 15 Jahren)

Simon EggeschwilerChronik AJB: 1997– 2019

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In jüngster Zeit stehen Heran-wachsende vor grossen Heraus-forderungen, da die Arbeits-verhältnisse – bedingt durch Digitalisierung und Globalisier-ung –, zuneh-mend flexibili-siert sind.

bilden», das Recht zusichert, «diese Meinung in allen das Kind berühren­den Angelegenheiten frei zu äus­sern». Diese Meinung des Kindes soll angemessen «entsprechend seinem Alter und seiner Reife» berücksichtigt werden. Zu den Aufgaben der RRD gehören etwa die Vaterschafts­ und Unterhaltsklage, die Kindesvertretung in Vaterschaftsanfechtungsverfahren, die familienrechtliche Prozess­ oder Verfahrensvertretung von Kindern, die Vertretungsbeistandschaft oder die Rechtsberatung. Übergreifende Ziele sind rechtliches Gehör und Partizipa­tion der betroffenen Minderjährigen. 82

Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen

Mit der Neugestaltung des Finanz­ausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) wurden die Kantone verpflichtet, die fachliche, rechtliche und finanzielle Verantwortung für die Schulung von Kindern und Jugendlichen mit beson­derem Förderbedarf zu tragen. 83 Im Kanton Zürich ist dafür die Volksschu­le zuständig, während die Verantwor ­ t ung für Kinder und Jugendliche im Vor­ und Nachschulbereich beim AJB liegt. Die sonderpädagogischen Mass ­ nahmen umfassen die logopädischen, psychomotorischen und audiopäda­ go gischen Therapien sowie die heil­ päda go gische Früherziehung. Die Fachstelle Sonderpädagogik Frühbe­reich (SPF) nahm per 1. Januar 2008 ihre Tätigkeit auf. Unter der Federfüh­rung des Volksschulamtes und in Zu­sammenarbeit mit dem AJB wurde ein Konzept entwickelt, das auf die ver ­ mehrte Integration von Kindern mit be ­ sonderen Bedürfnissen fokussierte. 84

Unter dem Motto «Schule für alle» steht die Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Be­dürfnissen im Zentrum. Die schulpsy­chologischen Dienste klären jeweils ab, ob eine Schülerin oder ein Schüler einer unterstützenden Massnahme bedarf. Dabei wird das Standardisier­te Abklärungsverfahren (SAV) ange­wandt, das im Auftrag der Schweizeri­schen Erziehungsdirektorenkonferenz

(EDK) zwischen 2008 und 2014 aus­ gearbeitet worden war. Das SAV stellt die individuelle Bedarfslage fest, um das «persönliche Recht des Kindes/Jugendlichen auf Entwicklung und an gemessene Bildung zu sichern». Massgebend für die Beurteilung eines Förderungsbedarfs sind die Internatio­nalen Klassifikationen der Funktions­fähigkeit, Behinderung und Gesund­heit (ICF) sowie die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD­10 oder ICD­11). Das SAV wird in der Regel mit dem Einverständnis der Erziehungsberechtigten durchgeführt. Amtliche Stellen können dies aber auch nach Anhörung der Erziehungs­berechtigten anordnen. Die Wünsche der Kinder und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen sind in der Bedarfsabklärung «stark zu gewich­ten». Je nach Beeinträchtigung sind angemessene Formen zu finden, «um die Beteiligung an den nicht selten sehr einschneidenden Entscheiden» sicherzustellen. 85

Jugendliche und junge Erwachsene in beruflichen Übergangssituationen

Die Berufsintegration war im Kanto­nalen Jugendamt seit seiner Grün­dung ein wichtiges Thema. Die Be­ ratung passte sich immer wieder veränderten Berufsbildern an. In jüng­ster Zeit stehen Heranwachsende vor grossen Herausforderungen, da die Arbeitsverhältnisse – bedingt durch Digitalisierung und Globalisie­rung – zunehmend flexibilisiert sind. Die Berufs­, Studien­ und Laufbahn­beratung (BSLB) unterstützt Jugend­liche und junge Erwachsene bei der Berufs­ und Studienwahl sowie bei der Gestaltung der beruflichen Lauf­bahn. Der Auftrag der BSLB ist im Bundesgesetz über die Berufsbildung vom 13. Dezember 2002 und im ent­sprechenden Einführungsgesetz des Kantons Zürich vom 14. Januar 2008 geregelt.

Analog zu den kjz ist auch die BSLB im Kanton Zürich dezentral in soge ­ nan nten Berufs­ und Informationszent­ren (biz) organisiert. Nebst den sieben

regionalen Standorten der biz besteht in der Stadt Zürich ein Laufbahn­zentrum, das die gleichen Leistungen wie die biz erbringt. Die BSLB des Kantons Zürich definiert drei Über­gänge, die besonders herausfordernd sind und daher spezifischer Angebote bedürfen.

Der erste Übergang erfolgt von der Sekundarstufe I in die berufliche Grund ­ schulung oder Mittelstufe. Die Unter­stützung endet, sobald die Schülerin oder der Schüler eine entsprechende Lehrstelle gefunden hat oder den Über ­ tritt in die Mittelschule geschafft hat. Die Angebote umfassen Information, Einzelberatung, Elternveranstaltungen, Angebote für Migrantinnen und Mi­ g ran ten sowie die spezifische Unter­stützung von Jugendlichen in schwie­rigen Situationen. Das AJB initiierte zwei einschlägige Projekte: Bei «Men­toring Ithaka» werden Jugendliche, die von ihrem Um feld nur wenig Unter­stützung er hal ten, durch Mentorinnen und Mentoren bei der Lehrstellen­ suche begleitet. In «Netz2» unterstützt das Case Manage ment Berufsbildung Jugendliche und junge Erwachse­ne mit einer Mehrfachproblematik, mit dem Ziel, eine Ausbildung auf Sekundarstufe II abzuschliessen. Ergänzend gibt es Angebote und Einzelcoachings für junge Erwach­sene, welche einen Berufsabschluss nachholen wollen. 86

Als zweiter wichtiger Übergang definiert die BSLB den Übertritt von der beruflichen Grundbildung in die Arbeitswelt respektive von der

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Was im besten Interesse von Kindern und Jugendlichen ist, sollen sie selbst mass- geblich mit- bestimmen.

Mittelschule ins Studium. Ziel der ent­sprechenden Angebote ist es, eine optimale Anschlusslösung zu gewähr­leisten. Nebst spezifischen Informati­ons veranstaltungen für Berufsfach­schul­ und Mittelschulklassen bieten die biz Einzelberatungen an und arbeiten mit den Schulen zusammen. Der Wechsel vom Studium in die Arbeitswelt sowie die verschiedenen Situa tionen von Berufstätigen in der Laufbahnentwicklung stellen den drit­ten Übergang dar. Die biz stellen auch diesbezüglich Informationen zur Verfü­gung, organisieren Informationsveran­staltungen und führen Einzelberatungen und Laufbahnseminare durch. 87

StipendienreformDurch eine Reihe parlamentarischer Vorstösse wurde eine umfassende Neu ordnung des Stipendienwesens und der stipendienrechtlichen Grund­lagen angeregt. Im April 2015 hat der Kantonsrat das überarbeitete Bildungs gesetz (BiG) verabschiedet. Die Revision wird derzeit auf Verord­nungsebene umgesetzt. Geplant ist die Inkraftsetzung des angepassten BiG und der Ausbildungsbeitragsver­ordnung auf Beginn des Schuljahrs 2020/2021. Diese Stipendienreform soll das Stipendienwesen trans­parenter machen und die Prozesse vereinfachen. Zudem sollen mehr Studierende Zugang zu Ausbildungs­beiträgen erhalten, insbesondere in der Berufsbildung.

Das neue Kinder- und Jugend-heimgesetz ab 2021

Eine besonders vulnerable Gruppe bilden jene Kinder und Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen können. Zwar hat sich die Heimland­schaft nach der Heimkampagne seit den 1970er­Jahren stark verändert. Viele Missstände in den Heimen wur ­ den behoben. Die gesetzliche Grund­lage – das Gesetz über die Jugend­heime und Pflegekinderfürsorge von 1962 – wurde hingegen lange Zeit nicht angepasst. Das neue Kinder­

und Jugendheimgesetz (KJG), dessen Inkrafttreten auf 2021/2022 geplant ist, soll den veränderten Ansprüchen an eine zeitgemässe Kinder­ und Jugendhilfe gerecht werden. Die Um ­ setzung des KJG liegt beim AJB und wird von einer breit abgestützten Begleitgruppe mit Mitgliedern aus Praxis, Hochschulen und Fachverbän­den unterstützt.

Ambulante und stationäre Hilfen werden neu im selben Gesetz nach den gleichen finanziellen Prämissen geregelt. Ziel ist es, die Angebote besser auf den Hilfsbedarf abzu­stimmen und insbesondere die Per­ spektive der Kinder und Jugendlichen im Platzierungsprozess stärker mitein­zubeziehen. Wie Forschungen der vergangenen Jahre gezeigt haben, standen die Bedürfnisse der fremd­platzierten Kinder und Jugendlichen bis weit in die 1980er­Jahre nicht im Zentrum des behördlichen Handelns. Zwar wurden die Eltern immer öfter einbezogen. Es wurde aber weiterhin über die Kinder und nicht gemeinsam mit ihnen entschieden.

Erst das neue KJG orientiert sich konsequent an der veränderten Vor­stellung von Partizipation, wie sie in der Kinderrechtskonvention der UNO festgehalten wurde. 88 Damit ist in jüngster Zeit der Rechtsbegriff des Kindeswohls, der im ZGB bereits seit 1907 existierte und die Geschichte des Kantonalen Jugendamtes im 20. Jahrhundert geprägt hatte, in Form des Kindeswillens ins Zentrum der Bestrebungen gerückt. Was im besten Interesse von Kindern und Jugend­lichen ist, sollen sie selbst massgeb­lich mitbestimmen.

Das KJG bringt eine weitere, wenn auch etwas weniger spektakuläre

Neuerung, die im föderalistischen System jedoch von grosser Be ­ deutung ist. Neu werden nicht mehr die Eltern und auch nicht die jeweils betroffenen Gemeinden auf der Basis der wirtschaftlichen Sozialhilfe im Kanton Zürich für die Heimplat zie ­ r ungs kosten aufkommen müssen, sondern im Sinne eines «Versiche ­ r ungsprinzips» alle Zürcher Gemeinden und der Kanton gemeinsam. Damit sollte einer Kinder­ und Jugendhilfe der Weg geebnet sein, die immer vom übergeordneten Interesse des Kindes ausgeht und nicht von den Kosten, die für das einzelne Gemeinwesen anfallen.

Chronik AJB: 1997– 2019

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Anmerkungen

1 Büchel 1998, S. 444; Ramsauer 2000, S. 28 (erstes Zitat); Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 7 – 9 (zweites Zitat auf S. 7), Galle 2016, S. 49; Businger, Ramsauer, i. Vorb.2 StAZH, Zürcher Gesetzessammlung online, OS 31, Verordnung über das Jugendamt des Kantons Zürich, 10.2.1919, S. 291 – 294; www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 12.11.2018 (erstes und zweites Zitat); Kanton Zürich [1927], S. 7. Frauen konnten sich damals erst in wenigen Kantonen in Kommissionen oder Armenpflegen wählen lassen, was sich erst mit dem eidgenössischen Stimm­ und Wahlrecht von 1971 gesamtschweize ­ r isch änderte.3 StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 3.33 RRB 1919/0776, [Kantonales] Jugendamt, 21.3.1919, S. 278 – 279; www.staatsarchiv.zh.ch/ query, Zugriff: 12.11.2018; Historisches Lexikon der Schweiz, Eintrag Robert Briner, http://www.hls­dhs­dss.ch/textes/d/D5918.php, Zugriff: 9.1.2019.4 Kanton Zürich [1927], S. 10.5 StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 3.34 RRB 1920/1011, Jugendschutz, 1.4.1920, S. 384 – 386; www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 14.11.2018; Kanton Zürich 1945, S. 61.6 1934 gliederte sich das Jugendamt schliesslich in vier Abteilungen, wobei die neue Abteilung IV der ehemaligen IIIb entsprach und die Amtsvormundschaft und Pflegekinderaufsicht umfasste.7 Siegfried 1969, S. 42 (erstes Zitat) und S. 43; Businger, Ramsauer i. Vorb.; Müller 1996, S. 29 (zweites Zitat); Geschäftsordnung des Wohlfahrtsamtes vom 7.11.1928, Geschäftsordnung des Wohlfahrtsamtes vom 24.1.1934, StArZh, V.J.c.26, Fürsorgeamt, Akten der Geschäftsleitung 1965 – 1990.8 Briner [1927], S. 3 – 16 (Zitate auf S. 3, 5, 6).9 Ebd., S. 14.10 Vortrag von Dr. R. Briner, Vorsteher des Jugendamtes, Jugendhilfe. Aufgaben, Arbeit, Organisation des Kantonalen zürcherischen Jugendamtes [1935], StAZH, Z 388. 7490, Berichte über den Besuch des Kantonalen Jugendamtes. Typo­ und Manuskripte.11 Kanton Zürich [1927], S. 16 – 28 (Zitate auf S. 19, 26 und 28).12 Ausführlicher zu den Hausbesuchen vgl. Ramsauer 2000, S. 126 – 133.13 Vortrag von Dr. R. Briner, Vorsteher des Jugendamtes, Jugendhilfe. Aufgaben, Arbeit, Organisation des Kantonalen zürcherischen Jugendamtes [1935], StAZH, Z 388. 7490, Berichte über den Besuch des Kantonalen Jugendamtes. Typo­ und Manuskripte, S. 5 (Hervorhebung im Original).14 Briner [1927], S. 15.15 Kanton Zürich [1927], S. 30 – 43 (Zitate auf S. 34, S. 35 und S. 37).16 Vgl. Businger, Ramsauer i. Vorb. Einführungsgesetz vom 2. April 1911; Gesetz über die Versorgung von Jugendlichen, Verwahrlosten und Gewohnheits­ trinkern vom 24. Mai 1925.17 Knecht i. Vorb.; Bühler et al. i. Vorb.18 StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 3.46 RRB 1932/2725, Beobachtungsheime für Jugendliche, S. 971 – 972, www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 14.11.2018; StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 3.80 RRB 1950/0353, Kinderpsychia ­ trischer Dienst, 9.2.1950, S. 183, www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 14.11.2018; StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 3.74 RRB 1947/0396, Psychiatrisch­pädagogischer Dienst für Kinder und Jugendliche, 30.1.1947, S. 180 – 182, www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 9.1.2019; Bachmann, Kinder­ und Jugendpsychiatrischer Dienst, [1994], S. 37; Historisches Lexikon der Schweiz, Eintrag Jakob Lutz, http://www.hls­dhs­dss.ch/textes/d/D14459.php, Zugriff: 9.1.2019.19 StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 24.56 KRP 1928/080/6020, Motion Briner betreffend Erlass eines Jugendwohlfahrtsgesetzes (Traktandum 4), 2.7.1928, S. 1117 – 1119; www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 14.11.2018; StAZH, Regierungsratsbeschlüsse online, MM 3.76 RRB 1948/0612, Geschäftsbericht (Postulate), 4.3.1948, S. 284 – 289, www.staatsarchiv.zh.ch/query, Zugriff: 14.11.2018.20 Kanton Zürich 1945, S. 13 – 14.21 Galle 2016, S. 641.22 Die Protagonistinnen und Protagonisten der Zeit sind fiktive Figuren. Sie sind bei ihrer Erstnennung durch einen Asterisk gekennzeichnet. 23 Auch wenn es sich um fiktive Geschichten handelt, stammen die Zitate sinngemäss aus Quellentexten.24 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1958, S. 430 (Zitat). Zur Geschichte der Schweiz in den 1950er­Jahren vgl.: Leimgruber, Fischer 1999, insb. S. 10 f. D’Amato 2012, insb. S. 23 – 241; Höpflinger 1999; Tanner 1999, insb. S. 102 – 109.25 Müller 1996, S. 32.26 Kägi 1960, S. 23 (Zitate); Hauss 2011, S. 21.27 Kägi 1960, S. 7 (Zitat); Müller 1996, S. 33; Matter 2011, S. 297 ff.; Schnegg, Matter, Sutter 2008, S. 26 – 29.28 Jahresbericht des Jugendsekretariates des Bezirks Pfäffikon. Erstattet der Bezirksjugendkommission und dem Kantonalen Jugendamt 1951, S. 1; 1950, S. 2 und S. 19; 1953, S. 1 und S. 16; StAZH, Abteilung II, 3.03: 12 Schachteln mit Falldossiers, bis 1972/Abteilung II, 3.08, Beratungsstelle Bauma/Jahres­ berichte des Jugendsekretariates Pfäffikon.

29 AJB, Bestand Bachmann, B029, S. 7 und B030, S. 2 zit. in: Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler, S. 27.30 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1954, S. 353, S. 1956, S. 388.31 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 14 – 19 und S. 20 – 27; Zitat aus: AJB, Bestand Bachmann, B029, S. 7 und B030, S. 2 zit. in: ebd., S. 27; Ruckstuhl, Ryter 2014, S. 143.32 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 20 – 27; Heiniger 2003, S. 78 f.; Wettstein, Gonon 2009, S. 84 f.33 Vgl. ausführlicher dazu Businger, Ramsauer i. Vorb.34 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 78; Ramsauer, Staiger Marx 2017, S. 40.35 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1954, S. 347 ff. S. 370 ff. Zitat auf S. 347 und S. 370.36 Müller 1996, S. 43 (Zitat eins) und S. 44 (Zitat zwei); Baumann 2012, S. 42 f.37 Vgl. Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1950, S. 387.38 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1970, S. 215 (Zitat). Zur 68er­Bewegung und zu den Rockern vgl.: Vonrufs 1999, S. 103 – 106; Hebeisen, Hürlimann, Schmid 2018, S. 7 – 10.39 Siegfried 1969, S. 41.40 Müller 1996, S. 46 – 49.41 Ebd., S. 52.42 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 45 – 50; Kanton Zürich [1927], S. 12; Neue Zürcher Zeitung, Mütterberatung auf der Landschaft, 28.2.1965, Nr. 820, Sozarch, ZA 67.1.43 Kanton Zürich, Jahresbericht des Jugendamtes, 1969, S. 4; Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 29 f. 44 Ramsauer, Staiger Marx, 2017, S. 17.45 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1971, S. 275 (Zitate); Müller 1996, S. 56.46 Sozialamt der Stadt Zürich, Erkundigungsdienst, 14.5.1974, StArZh, V.J.c.212, Aufsicht Olga Illmann*, Abgangs­Nr. 45 931. Vgl. zu diesem Thema auch Businger, Ramsauer i. Vorb.47 Rekurs an den Bezirksrat Winterthur, handschriftlich, STAW, Aufsicht Timo Yänner*, Etat­Nr. 4850.48 Vgl. dazu: Businger, Ramsauer i. Vorb. Joris, Witzig 1987, S. 89.49 Vgl. Schär 2006, S. 27, S. 51 – 53 und S. 73 – 76; Schär 2008, S. 93; Hafner 2014, S. 197 f.50 Zatti 2005, S. 17; Kantonale Erziehungsdirektion, Heimkonzept für den Kanton Zürich, [1986], StAZH, III Le 5 1. Zu den städtischen Aufsichtsberichten über die Heime vgl. StArZh, V.J.c.214:1.4.2.2, Berichte über städtische Heime.51 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1971, S. 275.52 Grob 2009, S. 16 – 19.53 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1970, S. 225 f. (Zitat); Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates 1971, S. 275.54 Oertle 2010, S. 19 f.55 Ebd., S. 23; Schmid 2011, S. 361; Grob 2009, S. 26; Businger, Ramsauer i. Vorb.56 Grob 2009, S. 84 – 87; Müller 1996, S. 63.57 Ebd., S. 63 – 66.58 Vgl. dazu Spirig 1994, S. 322 – 326. Ausführlicher zur Fürsorgerischen Freiheits­ entziehung als Massnahme bei drogenkonsumierenden Jugendlichen vgl. Businger, Ramsauer i. Vorb.59 Herzig, Feller 2004, S. 20; Müller 1996, S. 68.60 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 53 – 56.61 Ebd., S. 53 – 58.62 Müller 1996, S. 66; Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates, 1976, S. 306; Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates, 1979, S. 323 (Zitat).63 Stadt Zürich, Geschäftsbericht des Stadtrates, 1981, S. 371.64 Müller 1996, S. 67 (Zitat einer Weisung aus dem Jahr 1987) und S. 70 f.65 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 18 f.; Stampfli 1994, S. 26.66 Schrottmann 1994, S. 21; Müller 1996, S. 74 f.67 Amt für Jugend und Berufsberatung, Kanton Zürich, Jugendhilfereform. Retraite der Geschäftsleitung des AJB vom 7.2.2005, AJB, Amtsablage: GL AJB Protokolle 2001 – 2007 (Zitate); PP Information zur Jugendhilfereform im Kanton Zürich, 15.1.2004, AJB Digitale Amtsablage; Amt für Jugend und Berufsberatung, Kanton Zürich, Strategiepapier des Amtes für Jugend und Berufsberatung zur Weiterführung der Jugendhilfereform, 22.6.2004, AJB Digitale Amtsablage.68 Desiderato, Lengwiler, Rothenbühler 2008, S. 68 f.; Illi 2008, S. 330 f.; Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich. Sitzung vom 28.11.2007. 1763. Teilrevision des Jugendhilfegesetzes (Konzept), AJB, Amtsablage: Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011.69 Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich. Sitzung vom 28.11.2007. 1763. Teilrevision des Jugendhilfegesetzes (Konzept), AJB, Amtsablage: Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011.70 Gutbrod et al. 1995; Jugendamt der Stadt Zürich 1993; Businger, Ramsauer i. Vorb.71 Kinder­ und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 14.3.2011, www2.zhlex.zh.ch, Zugriff: 11.12.2018; Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Protokoll Kick­off Teilrevision Jugendhilfegesetz, Sitzung vom 14.1.2008, AJB, Amtsablage: Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011 (Zitat).

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72 Dies geschah anlässlich der kantonalen Gesetzgebung zur Umsetzung der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA).73 Protokoll Kick­off Teilrevision Jugendhilfegesetz, Sitzung vom 14.1.2008, AJB, Amtsablage: Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011 (erstes Zitat); Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Die Teilrevision des Gesetzes über die Jugendhilfe, Kick­off vom 14.1.2008, AJB, Amtsablage: Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011 (Zitate zwei und drei); Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich. Sitzung vom 28.11.2007. 1763. Teilrevision des Jugendhilfe­ gesetzes (Konzept), AJB, Amtsablage: Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011.74 Kinder­ und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 14.3.2011, www2.zhlex.zh.ch, Zugriff: 11.12.2018.75 Jugendhilferegion Süd: Affoltern, Dietikon und Horgen; Jugendhilfe­ region West: Bülach und Dielsdorf; Jugendhilferegion Ost: Meilen, Pfäffikon und Uster (später kam noch Hinwil dazu); Jugendhilferegion Nord: Andelfingen und Winterthur und die Stadt Zürich. Vgl. dazu auch: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Stablinien­Organisation im AJB, 2011, S. 9, AJB Interne Broschüren.76 Kinder­ und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 14.3.2011; www2.zhlex.zh.ch, Zugriff: 11.12.2018.77 Kinder­ und Jugendhilfegesetz (Änderung vom 30. November 2015) vom 9.3.2016, www2.zhlex.zh.ch, Zugriff: 11.12.2018; Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, Abschluss­ bericht Kleinkinderbetreuungsbeiträge KKBB, 19.4.2017, AJB Digitale Amtsablage.78 Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, «kjz» von A bis Z, AJB Digitale Amtsablage.79 Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Kommunikationskonzept AJB, Mai 2012, AJB Digitale Amtsablage; Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, Corporate Design, AJB Digitale Amtsablage.80 Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, kjz­Portfolio, 2016, S. 9 (Zitate eins bis drei), AJB Interne Broschüren; Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, «kjz» von A bis Z, AJB Digitale Amtsablage (Zitate vier und fünf).81 Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, kjz­Portfolio, 2016, S. 15 ff., AJB Interne Broschüren; Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, Grundlagen­ dokument zur Zusammenarbeit Mandatszentren AJB und KESB. Standards und Abläufe, Juni 2017, www.kesb­zh.ch, Zugriff: 11.12.2018.82 Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Portfolio der Regionalen Rechtsdienste (RRD­Portfolio), 2014, S. 3 (Zitate) und S. 4 ff. (Produkte), AJB Interne Broschüren.83 Ein grosser Teil der sonderpädagogischen Massnahmen war zuvor von der Invalidenversicherung finanziert und geregelt worden.84 Vgl. http://www.edk.ch/dyn/12917.php, Zugriff: 22.1.2019; Bildungs­ direktion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Tätigkeitsbericht 2008, S. 15, AJB Interne Broschüren; Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung, Tätigkeitsbericht 2009, S. 13, AJB Interne Broschüren.85 Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), Standardisiertes Abklärungsverfahren (SAV). Instrument des Sonderpäda ­ gogik­Konkordats als Entscheidungsgrundlage für die Anordnung verstärkter individueller Massnahmen. Handreichung, Bern 2014 (Zitat), https://vsa.zh.ch, Zugriff: 11.12.2018; Bildungsdirektion Kanton Zürich, Standardisiertes Abklärungsverfahren (SAV), Einführung, 12.4.2013, https://vsa.zh.ch, Zugriff: 11.12.2018.86 Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, biz­Portfolio, Zürich 2016, S. 5 – 22, AJB Interne Broschüren.87 Ebd., S. 25 – 30.88 Vgl. dazu: Businger, Ramsauer i. Vorb. Gabriel, Thomas, «Das neue Kinder­ und Jugendheimgesetz tut Not», www.zhaw.ch/de/ueber­uns/ aktuell/news, Zugriff: 11.12.2018; Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Amt für Jugend und Berufsberatung, Beschrieb KJG Forum, 17. Juli 2018, erziehung/kjg/_jcr_content/contentPar/downloadlist_0/ downloaditems/beschrieb_kjg_forum.spooler.download.1531899372691. pdf/Beschrieb+KJG+Forum.pdf, Zugriff: 12.1.2019.89 Alle Namen von Betroffenen in den Angaben zu Fallakten aus den Archiven sind anonymisiert. Die gewählten Pseudonyme sind hier in der Bibliografie durch einen Asterisk gekennzeichnet.

BibliografieUngedruckte QuellenAmt für Jugend und Berufsberatung (AJB)Amtsablage (Papierarchiv)

Dokumente Erarbeitung neues KJHG 2007 – 2011.

GL AJB Protokolle 2001 – 2007.

Digitale Amtsablage

Interne Broschüren

Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung (Hg.): kjz­Portfolio. Zürich 2016.

Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung (Hg.): Portfolio der Regionalen Rechtsdienste (RRD­Portfolio). Zürich 2014.

Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung (Hg.): Stablinien­Organisation im AJB. Eine Orientierungshilfe. Zürich 2011.

Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung (Hg.): Tätigkeitsbericht 2009. Zürich 2010.

Bildungsdirektion Kanton Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung (Hg.): Tätigkeitsbericht 2008. Zürich 2009.

Schweizerisches Sozialarchiv (Sozarch)ZA 67.1, Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft, Soziale Hilfe für Mutter & Kind, 1943 – 1981.

Stadtarchiv Winterthur (STAW)Aufsicht Timo Yänner* 89, Etat­Nr. 4850.

Staatsarchiv des Kantons Zürich (StAZH)III Le 5 1, Sammelschachtel [Jugendamt des Kantons Zürich, Dokumenten­sammlung].

Z 388. 7490, Berichte über den Besuch des Kantonalen Jugendamtes. Typo­ und Manuskripte.

Ohne Signatur, Jugendsekretariat Pfäffikon. Abteilung II, 3.03: 12 Schachteln mit Falldossiers, bis 1972/Abteilung II, 3.08, Beratungsstelle Bauma/Jahres­berichte des Jugendsekretariates Pfäffikon, 1950 – 1990.

Stadtarchiv Zürich (StArZh)V.J.c.26, Fürsorgeamt, Akten der Geschäftsleitung 1965 – 1990: Geschäftsordnung des Wohlfahrtsamtes vom 7.11.1928 Geschäftsordnung des Wohlfahrtsamtes vom 24.1.1934.

V.J.c.212, Jugendamt III: Aufsicht Olga Illmann*, Abgangs­Nr. 45 931.

V.J.c.214, Amt für Kinder­ und Jugendheime resp. Stiftung Züricher Kinder­ und Jugendheime, Akten: V.J.c.214:1.4.2.2 Berichte über städtische Heime 1971 – 1987.

Gedruckte QuellenBachmann, Paul: Kinder­ und Jugendpsychiatrischer Dienst. Die Regional­stelle Uster des Kantonalen Kinder­ und Jugendpsychiatrischen Dienstes, in: Erziehungsdirektion des Kantons Zürich (Hg): Jugendamt. Pressekonferenz und Pressefahrt aus Anlass des 75­jährigen Bestehens des Kantonalen Jugendamtes vom 15. November 1994. [Zürich] [1994], S. 37 – 41.

Briner, Robert: Die Jugendhilfe in der Schweiz. Zürich [1927].

Gutbrod, Erika, Hutz, Pieter, Marthaler, Rosella, Meier, Jeannine, Rihs, Dagmar: Kinderschutz. Ein Beratungskonzept für die Kinderschutzarbeit in den Jugendsekretariaten der Stadt Zürich. Hrsg. vom Jugendamt der Stadt Zürich. Zürich 1995.

Jugendamt der Stadt Zürich: Dokumentation Kindesmisshandlung. Weiterbildungszyklus des Jugendamtes der Stadt Zürich. Zürich 1993.

Kägi, Vreni: Die Zusammenarbeit von Amtsvormund und Fürsorgerin im Kanton Zürich. Diplomarbeit, Schule für Soziale Arbeit Zürich. Zürich 1960.

Chronik AJB

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Spirig, Eugen: Fürsorgerische Freiheitsentziehung und Drogensucht im Kanton Zürich, in: Schweizerische Juristenzeitung, Jg. 90 (1994), Nr. 19, S. 321 – 330.

Schrottmann, Ria: Kleinkindberatung, in: Erziehungsdirektion des Kantons Zürich (Hg): Jugendamt. Pressekonferenz und Pressefahrt aus Anlass des 75jährigen Bestehens des Kantonalen Jugendamtes vom 15. November 1994. [Zürich] [1994], S. 19 – 22.

Stampfli, Urs: Berufsberatung, in: Erziehungsdirektion des Kantons Zürich (Hg): Jugendamt. Pressekonferenz und Pressefahrt aus Anlass des 75jährigen Bestehens des Kantonalen Jugendamtes vom 15. November 1994. [Zürich] [1994], S. 23 – 27.

Geschäfts- und Rechenschaftsberichte Stadt Zürich: Geschäftsbericht des Stadtrates 1950 bis 1990. Zürich 1951 bis 1991.

Kanton Zürich: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich. Bericht des Kantonalen Jugendamtes und der Bezirks­Jugend­Kommissionen über das Jahr 1926. Zürich [1927].

Kanton Zürich: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich. Bericht des kantonalen Jugendamtes und der Bezirksjugendkommissionen über das Jahr 1944 mit Rückblicken auf die Jahre 1919 – 1944. Zürich 1945.

Kanton Zürich: Jahresbericht des Jugendamtes des Kantons Zürich 1950 bis 1990. Zürich 1951 bis 1991.

Gesetze Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EG zum ZGB) vom 2. April 1911, in: Offizielle Sammlung der seit 10. März 1831 erlassenen Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des Eidgenössischen Standes Zürich. 29. Band 1910 – 1913. Zürich 1914. S. 145 – 203.

Gesetz über die Versorgung von Jugendlichen, Verwahrlosten und Gewohn­heitstrinkern vom 24. Mai 1925 (VersorgG), in: Offizielle Sammlung der seit 10. März 1831 erlassenen Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des Eidgenössischen Standes Zürich. 33. Band. Zürich 1927, S. 136 – 144.

Kinder­ und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 14. März 2011.

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Bühler, Rahel, Galle, Sara, Grossmann, Flavia, Lavoyer, Matthieu, Mülli, Michael, Neuhaus, Emmanuel, Ramsauer, Nadja. Ordnung, Moral und Zwang: Administrative Versorgungen und Behördenpraxis. Ordre, morale et contrainte. Internements administratifs et pratique des autorités. Schriftenreihe der Unabhängigen Expertenkommission Administrative Versorgungen bis 1981, Band 7. [i. Vorb., erscheint im Sommer 2019 im Chronos Verlag]

Businger, Susanne, Ramsauer, Nadja: «Genügend goldene Freiheit ge­habt». Heimplatzierungen von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich, 1950 – 1990. [i. Vorb., erscheint im Frühjahr 2019 im Chronos Verlag]

D’Amato, Gianni: Die durchleuchtete, unsichtbare Arbeitskraft. Die italie­n ische Einwanderung in die Schweiz in den 50er Jahren, in: Buomberger, Thomas, Pfrunder, Peter (Hg.): Schöner leben, mehr haben. Die 50er Jahre in der Schweiz im Geiste des Konsums. Zürich 2012, S. 237 – 252.

Desiderato, Simone, Lengwiler, Urs, Rothenbühler, Verena: Zwischen Professionalität und politischem Kräftemessen. Jugendhilfe Kanton Zürich 1918 – 2008. Hrsg. vom Amt für Jugend und Berufsberatung Kanton Zürich. Zürich 2008.

Fritzsche, Bruno, Lemmenmeier, Max, König, Mario, Kurz, Daniel, Sutter, Eva: Geschichte des Kantons Zürich. Bd. 3, 19. und 20. Jahrhundert. Zürich 1994.

Galle, Sara: Kindswegnahmen. Das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» der Stiftung Pro Juventute im Kontext der schweizerischen Jugendfürsorge. Zürich 2016.

Grob, Peter J.: Zürcher «Needle­Park». Ein Stück Drogengeschichte und ­politik, 1968 – 2008. Zürich 2009.

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BildnachweiseS. 47, Fotostiftung Schweiz. Fotografie Hans Staub.

S. 48, Fotostiftung Schweiz. Fotografie Hans Staub.

S. 51, Kanton Zürich: Die Jugendhilfe im Kanton Zürich. Bericht des kanto­nalen Jugendamtes und der Bezirksjugendkommissionen über das Jahr 1944 mit Rückblicken auf die Jahre 1919 – 1944. Zürich 1945, gegenüber S. 128.

S. 52, Jahrbuch. Chronik der schweizerischen Frauenbewegung 1915/1916), aus: Gosteli, Marthe (Hg.): Vergessene Geschichte. Illustrierte Chronik der Frauenbewegung 1914 – 1963. Bd. 1. Bern 2000, S. 87.

S. 52, Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Kunstmuseum Bern, Depositum Gottfried Keller­Stiftung. © Gottfried Keller­Stiftung, Bern.

S. 52, Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video, Kunstmuseum Bern, Depositum Gottfried Keller­Stiftung. © Gottfried Keller­Stiftung, Bern.

S. 56, Fotostiftung Schweiz. Fotografie Anita Niesz.

S. 59, Fürsorgeamt Winterthur. 50 Jahre städtische Säuglingsfürsorge Win­terthur 1914 – 1964. Winterthur [1964]. Sozarch, QS 67.1, Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft, Soziale Hilfe für Mutter & Kind 1960 – 1979.

S. 59, Haute école de travail social, Genève.

S. 62, Fotostiftung Schweiz. Fotografie Luc Chessex.

S. 65, Helen Pinkus Rymann, Zürich.

S. 65, DUKAS/RDB, Zürich. Fotografie Reto Hügin.

S. 66, Joris, Elisabeth, Witzig, Heidi (Hg.): Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz. Zürich 1987, S. 53.

S. 69, Olivia Heussler, Zürich.

S. 71, Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich. Gertrud Vogler.

S. 71, Fotostiftung Schweiz. Fotografie Olivia Heussler.

S. 73, Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich.

S. 76, Sebastian Züst, Berufs­ und Laufbahnberatung Bezirk Meilen.

S. 79, Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich. Gertrud Vogler.

S. 79, Judith Schönenberger, Gurbrü.

Chronik AJB