Fräulein Bandit: Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

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Krimikomödie Die Wiederentdeckung eines vergessenen Erfolgsromans: In »Fräulein Bandit« – seinerzeit auch ins Englische übersetzt – erzählt der österreichisch-jüdische Regisseur und Schriftsteller Joseph Delmont eine wortwitzige Krimi-Komödie aus dem Budapest der frühen 1930er Jahre, die schließlich über Paris bis nach Biarritz, San Sebastián und Madrid führt.

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Joseph Delmont

Fräulein Bandit

Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

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Joseph Delmont

Fräulein Bandit

Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

Original: Fr. Wilh. Grunow G.m.b.H., Leipzig 1935

Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag

Published by Null Papier Verlag, Deutschland

Copyright © 2014 by Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-461-3

www.krimischaetze.de

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Inhaltsverzeichnis

Über krimischaetze.de............................................................7

Über den Autor.........................................................................9

Über dieses Buch....................................................................12

Handelnde Personen.............................................................14

Kapitel 1.....................................................................................16

Kapitel 2....................................................................................37

Kapitel 3...................................................................................50

Kapitel 4...................................................................................68

Kapitel 5....................................................................................79

Kapitel 6...................................................................................89

Kapitel 7....................................................................................97

Kapitel 8.................................................................................106

Kapitel 9..................................................................................125

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Kapitel 10................................................................................149

Kapitel 11.................................................................................168

Kapitel 12................................................................................185

Kapitel 13...............................................................................204

Kapitel 14.................................................................................217

Kapitel 15................................................................................244

Kapitel 16...............................................................................263

Kapitel 17................................................................................275

Kapitel 18...............................................................................280

Kapitel 19...............................................................................308

Kapitel 20...............................................................................318

Kapitel 21................................................................................336

Kapitel 22...............................................................................353

Kapitel 23...............................................................................365

Kapitel 24................................................................................401

Kapitel 25................................................................................412

Kapitel 26................................................................................421

Kapitel 27...............................................................................430

Kapitel 28...............................................................................453

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Kapitel 29...............................................................................464

Kapitel 30...............................................................................482

Kapitel 31...............................................................................509

Kapitel 32...............................................................................523

Kapitel 33...............................................................................545

Kapitel 34...............................................................................556

Kapitel 35...............................................................................570

Kapitel 36...............................................................................586

Kapitel 37...............................................................................596

Kapitel 38..............................................................................606

Kapitel 39...............................................................................613

Kapitel 40...............................................................................622

krimischaetze.de.................................................................630

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Über krimischaetze.de

Kriminalromane sind heutzutage erfolgreich wie nie. Krimi-Klassiker? Da denken die meisten sofort an Aga-tha Christie (1890-1976) oder Edgar Wallace (1875-1932). Tatsächlich gehörten die britischen Autoren zu den ersten, die in den »wilden« 1920er Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Krimi-Fans kennen oft auch den Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938), den Namensgeber des Glauser-Preises – eine der wichtig-sten Auszeichnungen für deutschsprachige Krimi-Autoren. Wie vielfältig die Krimi-Szene in der Weima-rer Republik war, ist in der breiten Öffentlichkeit je-doch vollkommen in Vergessenheit geraten. Für kri-mischaetze.de haben sich Jürgen Schulze, Verleger des Null Papier-Verlages, und Sebastian Brück, Autor und Journalist, zusammengetan, um alte Krimi-Bestseller

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neu zu entdecken und als E-Book verfügbar zu machen – überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit er-klärenden Fußnoten versehen.

Das krimischaetze.de-Programm startet zunächst mit sechs Titeln – sowohl Übersetzungen aus dem Englischen (S.S. Van Dine) und Schwedischen (Julius Regis), als auch deutschsprachige Originale: In je zwei Fällen ermitteln Philo Vance, der »amerikanische Sher-lock Holmes«, und Maurice Wallion, der »Detektivre-porter« und »Urvater« von Stieg Larssons »Milleni-um«-Protagonist Mikael Blomqvist. Ebenfalls vertreten sind die vergessenen Werke zweier jüdischer Autoren: Die in Budapest, Paris und San Sebastián spielende Kri-mikomödie »Fräulein Bandit« des Österreichers Joseph Delmont sowie der humorvolle Kriminalroman »Das verschwundene Haus – oder: Der Maharadscha von Breckendorf« des Frankfurters Karl Ettlinger.

In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regel-mäßig weitere Titel erscheinen.

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Über den Autor

Joseph Delmonts Bücher wurden in 18 Sprachen über-setzt, er erreichte eine Gesamtauflage von mehreren Millionen. Dennoch ist sein literarisches Schaffen heu-te weitgehend vergessen. Seine Stellung als Filmpionier wurde in diversen Ausstellungen gewürdigt, zum Bei-spiel 2004 im Centrum Judaicum in Berlin (»Pioniere in Celluloid – Juden in der frühen Filmwelt«).

Delmont lebte rund zehn Jahre in den USA, bereiste im Rahmen von Dreharbeiten Spanien, England, Portu-gal, Frankreich, Panama und die Niederlande. Geboren wurde der Sohn einer jüdischen Familie 1873 in Loi-wein, damals Österreich-Ungarn, heute Österreich. 1910, im Alter von 33 Jahren, ließ er seinen Geburtsna-men Pollak in Delmont ändern. Nachdem er in einem Wanderzirkus aufgewachsen war und als Dompteur

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und Tierfänger gearbeitet hatte, war Delmont zu die-sem Zeitpunkt in der Stummfilmbranche bereits eine schillernde Figur. Sein Film »Der Müller und sein Kind« (1911) gilt heute als der älteste vollständig erhaltene österreichische Spielfilm. Kurz darauf siedelte Delmont nach Berlin um und hatte neben ebenfalls jüdischen Kollegen wie Paul Davidson und Ernst Lubitsch als Re-gisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Schauspie-ler großen Anteil daran, dass die Stadt sich bis in die 1920er Jahre zu einem Zentrum der internationalen Fil-mindustrie entwickelte.

Doch Delmont war nicht nur Filmpionier, er schrieb auch Bücher. Zunächst nur nebenbei, bis er 1924 – im Alter von 51 Jahren – seine erfolgreiche Filmkarriere beendete und sich ausschließlich dem Schreiben wid-mete. Von Joseph Delmont erschienen zahlreiche Un-terhaltungsromane und Erzählungen, oft mit gesell-schaftssatirischen Elementen. Mehrere Bücher wurden ins Englische, Dänische, Schwedische Niederländische, Französische und Tschechische übersetzt. »Fräulein Bandit« ist einer seiner letzten Romane, er erschien 1935 – dem Jahr, in dem Joseph Delmont im Alter von

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62 Jahren in Bad Pystian (heute Slowakei) verstarb. Drei Jahre später, 1938, wurden drei seiner Bücher von den Nationalsozialisten auf die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gesetzt und verbo-ten.

»Delmont ist der spannendste Erzähler der Jetztzeit!«, Egon Erwin Kisch, um 1930

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Über dieses Buch

Die Wiederentdeckung eines vergessenen Erfolgsro-mans: In »Fräulein Bandit« – seinerzeit auch ins Engli-sche übersetzt – erzählt der österreichisch-jüdische Regisseur und Schriftsteller Joseph Delmont eine wortwitzige Krimi-Komödie aus dem Budapest der frü-hen 1930er Jahre, die schließlich über Paris bis nach Biarritz, San Sebastián und Madrid führt.

Ilona Veres ist 22 Jahre alt und stammt aus einer ehemals wohlhabenden Beamten-Familie. Während ihre Mutter nach dem Tod des Vaters krampfhaft ver-sucht, an dem gehobenen Lebensstil der Familie fest-zuhalten, strebt Ilona nach Unabhängigkeit. Anstatt wie üblich auf den passenden Heiratskandidaten zu warten, nimmt sie heimlich Flugstunden und lässt sich zur Pilotin ausbilden. Als das Geld der Familie immer

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knapper wird, nimmt Ilona eine mysteriöse Stelle bei der Baronin von Mindszenty an: Sie soll sich ihre dunklen Haare blond färben und als Mannequin exklu-sive Damenkreationen vorführen – sowohl im Salon der Baronin, als auch auf Pferderennplätzen sowie bei Regatten, Autorennen und sonstigen Sportveranstal-tungen der höheren Gesellschaft. Dabei besteht die Ba-ronin auf absoluter Diskretion: Ilona darf mit nieman-den über ihre Arbeit sprechen, keinerlei Fragen beant-worten und muss alle männlichen Annäherungsversu-che strikt abweisen. Dann schafft die Baronin für ihr Modehaus sogar ein eigenes Flugzeug an, mit dem Ilo-na über Wien, Graz, Innsbruck, München, Berlin, Basel, Bukarest und Belgrad Werbeprospekte vom Himmel abwerfen soll. Nach und nach wird Ilona zur Ermittle-rin in eigener Sache und findet mit Hilfe ihres schlag-fertigen Bruders Árpád – einem 17jährigen Studenten mit Vorliebe für Verkleidungsaktionen a la »Charleys Tante« – heraus, welche Rolle ihr die Baronin tatsäch-lich zugeteilt hat.

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Handelnde Personen

Ilona Veres: 22jährige Tochter einer ehemals wohlha-benden Budapester Beamten-Familie

Julia Veres, geborene von Kedvesváry: Ihre Mutter und Witwe des königlichen Hofrats Stefan Veres

Árpád Veres: Ihr 17jähriger Bruder, Student

Professor Géza von Kedvesváry: Ihr Onkel, Lehrer an Árpáds Schule

Baronin Marga von Mindszenty: Betreiberin eines Modehauses

Fodor Fekete: Prokurist und Mitarbeiter von Marga von Mindszenty

Páli Uilak: Liftboy im Haus der Baronin von Mindszen-ty

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Peter Bárkany: Flugausbilder und Ingenieur mit Erfin-derdrang

Direktor Irányi: Vorsitzender der Hunnia-Flugzeugge-sellschaft

Jim Hearst: Amerikanischer Heiratsschwindler

Ingrid Engström: Schwedische Millionärin

Jenö Alpár: Ungarischer Erfolgsschriftsteller

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Kapitel 1

eit Monaten suchte Ilona Veres Arbeit. Das Droh-nenleben1 einer besseren Beamtentochter sagte

ihr nicht zu, und da seit dem Tod des Hofrats der Haushalt infolge der gekürzten Pension und dem Ver-mögensverlust durch eine verkrachte Privatbank stark eingeschränkt werden musste, wurde es in der elegan-ten Wohnung in Alt-Ofen2 für die junge, lebenslustige Frau oftmals recht ungemütlich.

S

Julia Veres, eine geborene von Kedvesváry, wollte, obwohl die Pension nur vierhundertundfünfzig Pengö3

1 Drohne = fauler Nutznießer fremder Arbeit

2 Der III. Bezirk in Budapest, auch Óbuda genannt

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monatlich betrug, nicht einsehen, dass man sich den Verhältnissen anzupassen habe.

»Die Witwe eines königlich ungarischen Hofrats4 , der fast Minister geworden wäre, hat die Dekors zu wahren: Das bin ich meinem verstorbenen Mann schuldig. Wenn Euer Vater noch lebte und ihm das mit dem Bankier passiert wäre, hätte er trotz des Vermö-gensverlusts immer noch darauf geachtet, dass seine Kinder standesgemäß leben und auch so auftreten. Ein Stefan Veres hätte nie zugelassen, dass seine Tochter irgendeine untergeordnete Stellung bei wildfremden Leuten einnimmt.«

»Jede Auseinandersetzung, liebe Mama, hat immer denselben Refrain. Wenn Papa noch lebte, wäre er ganz bestimmt damit einverstanden gewesen, dass ich mir auf anständige Weise mein Brot verdiene, und auch für Árpád wäre es von Vorteil, wenn er anstatt der aus-

3 Bedeutet auf Deutsch »klingende Münze« und war von 1927 bis 1946 die Währung Ungarns

4 Hoher Beamtentitel

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sichtslosen Universitätsstudien irgendeinen prakti-schen Beruf ergriffe.«

Frau Hofrat Veres schüttelte den Kopf, zog die Schultern hoch, sah empört zu ihrer Tochter hinüber und schimpfte weiter: »Eine geborene Kedvesváry muss solch missratene Tochter haben. Unverständlich ist mir, wo du, die Nachkommin des berühmten Ge-schlechts der …«

»Weiß ich, weiß ich bereits auswendig, Mama: die Enkelin der Kedvesvárys, deren Geschlecht bis auf Kö-nig Matthias5 zurückgeht, die unter Maria Theresia6 und dann unter Kossuth7 für Ungarns Freiheit ge-kämpft haben, deren einer sogar den Märtyrertod auf dem Galgen gestorben ist, soll lieber viermal in der

5 Matthias Corvinus (1443-1490) war von 1458 bis 1490 König des Königreichs Ungarn

6 Maria Theresia von Österreich (1717-1780) war regierende Erz-herzogin von Österreich und Königin von Ungarn

7 Lajos Kossuth (1802-1894) war in den Jahren 1848/1849 einer der Anführer der ungarischen Unabhängigkeitserhebung gegen Öster-reich. Er gilt bis heute als Nationalheld.

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Woche nur in Wasser gebrühte Krautblätter essen, da-für aber immer eine lächelnde Miene zur Schau tragen, in zehnmal gewendeten und umgekrempelten Fum-meln umherlaufen und ein stolzes Gesicht den lieben Mitmenschen zeigen.«

»Ilona!«

»Liebe Mama, unsere Ansichten gehen so diametral auseinander wie die zweier politischer Parteien mit entgegengesetzten Zielen. Ich bin nun einmal nicht für eine falsche Fassade, unter der sich das heulende Elend verbirgt.«

»Wenn das dein Vater hören würde.«

»Dann würde er mir nur Recht geben.«

»Niemals gäbe er es zu, dass du in den Dienst frem-der Menschen treten sollst.«

»War Papa nicht im Dienst fremder Menschen?«

»O Gott, Ilona, wie bist du doch missraten! Papa diente nicht für fremde Menschen, sondern er weihte seine Dienste der heiligen Stefanskrone, dem Staat, dem Königreich Ungarn.«

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»Es ist ja zwecklos, Mama, dass wir uns noch länger zanken. Du bestehst darauf, diese teure Wohnung bei-zubehalten, obwohl es zweckmäßiger wäre, ein Drei-zimmer-Appartement zu mieten. Ein solches Heim würde für uns vollauf genügen, dann brauchten wir auch nicht zwei Mädchen zu halten.«

»Du verlangst wohl, ich soll vielleicht noch kochen, Staub wischen?«

Blitze des Zorns schossen aus der Frau Hofrat Au-gen zu der Tochter hinüber.

»Nein, Mama, beruhige dich, meinetwegen können wir ja die Köchin behalten, aber es wird mir keinen Ab-bruch tun, wenn ich eine Stelle annehme, und dann kann ich noch immer die kleine Wohnung in Ordnung halten.«

»Und meine Freunde, die Bridgepartien, die Vor-standssitzung unseres Otto-Vereins, die soll ich viel-leicht in der Küche oder in einem Zimmer abhalten, in das der Schmalzgeruch vom Kochherd dringt? Nein, meine Tochter, solange ich lebe, werde ich diese Räu-me beibehalten, Onkel Géza wird eben helfen müssen.«

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»Das soll mich nicht hindern, mir eine passende Stellung zu suchen.«

»Welche Art Arbeit wirst du verrichten wollen?«

»Das ist es ja eben. Was habe ich gelernt? Nichts als den Zeitvertreib der Vornehmen. Ich spiele Tennis, Basketball, laufe Schlittschuh, Ski, kann rodeln und auf einem Bob als fünfte Kufe dienen; Schwimmen, Rudern, Autofahren habe ich gelernt, anstatt dass man mich in eine Handelsschule geschickt hätte.«

»Wundervoll wäre es, die Tochter von Hofrat Veres als Tippmamsell zu sehen. Vielleicht, dass irgendein armseliger Buchhalter dann um deine Hand anhält.«

»Wäre auch nicht das Schlimmste, es kommt ja lei-der nicht in Frage, da ich nichts gelernt habe.«

»Zu welchem Beruf hast du, die Urenkelin der Ked-vesváry, dich entschlossen?«

»Brauchst nicht zu spotten, Mama; ich weiß, es ist in der Zeit allgemeiner Arbeitslosigkeit schwer etwas zu finden, schließlich bei meiner Figur, in einem großen Modesalon.«

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»Vorführdame, Mannequin! Dann wirst du mich zwingen, ein Machtwort zu sprechen, ich werde es dir durch die Gerichte verbieten lassen.«

»Mama, du vergisst, dass ich volljährig bin; doch wozu streiten wir uns, mich nimmt man auch in einem Modehaus nicht auf.«

»Hallo Mama, Ilona, was für saure Gesichter sehe ich, wieder einmal der alte Streit?«

»Gerade du hast es nötig, dich lustig über uns zu machen, wo wir für dich in großer Sorge sind, Árpád.«

»Meinethalben, Mama, brauchst du dir keine Sor-gen zu machen, ich bin jetzt mit dem Studium fertig.«

Die Hofrätin erbob sich entsetzt von ihrem Stuhl.

»Mach keine dummen Witze, Árpád!«, rief Ilona dem Bruder erregt zu.

»Das sind keine dummen Witze, Schwesterchen, das sind unumstößliche Tatsachen.«

»Rede, Árpád, was ist geschehen?«, fragte Frau Ver-es.

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»Ich war gezwungen, Professor Kedvesváry nieder-zuschlagen.«

»Árpád! Gegen deinen Onkel hast du die Hand er-hoben?«

»Mama, rege dich nicht auf, das ist zwecklos; glaubst du, dass man einen siebzehnjährigen Studen-ten vor der ganzen Klasse ohrfeigen darf?«

»Waaas?« Ilona sah starr auf den Bruder. »Er hat dich geschlagen?«

»Ach wo, so weit ließ ich es eben nicht kommen; bevor er zuschlagen konnte, versetzte ich ihm einen ›Solarplexus‹, der ihn bis zum Auszählen am Boden hielt, dann nahm ich meine Mütze, und hier bin ich.«

»Árpád, wie konntest du? Man vergreift sich nicht an seinem Lehrer; ich werde sofort zu Onkel Géza fah-ren, du musst mitkommen, ihn um Verzeihung bitten; um Gotteswillen, welch ein Unglück!«

»Lass das, Mama, ich bitte niemanden um Verzei-hung, am wenigsten Onkel Géza, der mich schlechter als einen Hund behandelte. Alle Professoren sind bis-

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her mit mir zufrieden gewesen, nur der Herr Onkel nicht. Mir fehlt jeder Sinn für Mathematik, wenn ich mir trotzdem damit alle Mühe gegeben habe, so tat ich das dir zuliebe, Mama, aber was heute geschah, schlug dem Fass den Boden aus.«

»Wie, wie konntest du dich an ihm vergreifen? O diese Schande, das überlebe ich nicht.«

»Menschen haben schon schwerere Dinge überlebt, Mama, und es tut mir ja um dich ehrlich leid, aber das Vorkommnis ist nicht mehr ungeschehen zu machen.«

»Red’ doch endlich, Árpád, wie kam es zu dem Skandal?«

»Ilona, du bist doch ein vernünftiges Mädel, glaubst du, ich ließe mich soweit hinreißen, wenn nicht genü-gend Grund dafür vorhanden gewesen wäre?«

»Um sich wie ein Prolet zu prügeln, dafür gibt’s vielleicht für einen Kutscher oder Chauffeur Gründe, nicht aber für den Sohn eines Hofrats.«

»Ach Mama, dieser Titel, den Papa innehatte, konn-te Herrn Professor Géza von Kedvesváry nicht davon

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abhalten, mir Ohrfeigen anzutragen, nachdem er mich seit vielen Monaten auf das Unglaublichste gequält hatte. — Lass mich jetzt reden, Ilona, du bist ja auch in die Geschichte hineingezogen worden.«

»Ich? Wieso ich, was habe ich damit zu tun?«

»Natürlich hast du nichts damit zu tun, aber der Herr Onkel Professor entblödete sich nicht, als ich ihm eine gehörige Antwort gab, vor der versammelten Klas-se zu sagen: ›Natürlich, du willst nichts lernen, genau-so wie deine Schwester, die nur eine Sportlerin mit leerem Kopf ist.‹«

»Wie taktlos!«

»Das meine ich auch, und als ich ihm energisch zu-rief, er solle private Angelegenheiten aus dem Disput lassen, da dies für einen Hochschulprofessor eine Taktlosigkeit sondergleichen sei, da hob er die Hand … Na, ich bin kein kleiner Bub, der sich ohrfeigen lässt, da hab ich mich eben gewehrt.«

»O Gott, o Gott, welch ein Skandal: Ganz Budapest wird mit den Fingern auf uns zeigen.«

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»Übertreib nicht, Mama, die Budapester haben an-dere Dinge zu tun, als sich um solche Lappalien zu kümmern.«

»Das sagst du, Ilona, du, und weißt doch, wie die Menschen hier sind. Ich will sofort Géza anrufen, du musst dich entschuldigen, Árpád, du musst …«

Ein scharfes Klingeln unterbrach die Hofrätin, sie eilte zum Telefonapparat, hob den Hörer ab.

»Ja, hallo, ja, ich bin selbst am Apparat, Géza; um Gotteswillen, wie konnte das geschehen? Árpád ist ganz zerknirscht, er bereut …«

»Einen Augenblick, Mama, ich habe dich nicht er-mächtigt, so etwas zu sagen.«

Die Mutter hielt die Hand auf das Mikrophon.

»Bist du still, jetzt rede ich!«

»Das ist mir jetzt ganz gleichgültig, ich …« Árpád zog der Mutter Hand energisch zu sich und schrie, be-vor die Mutter es hindern konnte, in das Mikrophon: »Nichts, nichts bereue ich, zerknirscht bin ich schon gar nicht!«

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Ilona stürzte auf den Bruder zu und zog ihn vom Apparat weg.

»Géza«, die Hofrätin war außer sich, »Géza, ich bin in einer halben Stunde bei dir, hörst du? Hallo, hallo! O Gott, er hat angehängt. Was soll nun aus dir werden? Oh, oh, wie bin ich mit meinen Kindern gestraft. Árpád, mit aufgehobenen Händen bitte ich dich, fahre sofort zu Onkel Géza, und wenn du aufrichtig bereust, wird er dir verzeihen.«

»Mama, erstmals bereue ich nichts, auch wenn ich es täte und deinen Wunsch erfüllte, hätte das Ganze keinen Zweck, denn so wie ich Onkel Géza kenne, hat er den Fall längst zur Anzeige gebracht, und das Kolle-gium wird mich bestimmt relegieren8 . Wozu also soll ich mich noch erniedrigen, lügen und heucheln? Nein, Mama, es tut mir nur deinethalben leid, aber hättest du meine Bitte erfüllt und mich meine Wege gehen lassen, anstatt dieses mir verhassten Studiums, dann wäre es nie so weit gekommen.«

8 von der Hochschule verweisen

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»Genau so verrückte Einfälle wie deine Schwester hast du. Sie will eine untergeordnete Stelle einnehmen und du, der einzige Sohn des Hofrat Veres, willst Zei-tungsschreiber werden.«

»Besser noch ein Reporter, als jahrelang zu warten und zu hungern, bevor eine Stelle im Staatsdienst frei ist. Dann wieder, weiß der Himmel wie lange, zu katz-buckeln, vor jedem alten Affen in Ehrfurcht krepieren, damit ja ein bisschen Protektion herausgeschunden wird.«

»Das hätte dein seliger Vater hören müssen; dreißig Jahre hat er seinem König und dann dem Reichsverwe-ser9 gedient, ohne …«

»Vergiss die Zeit der Kommune10 nicht, Mama.«

»Pfui über dich, dass du deinem verstorbenen Vater solch schreckliche Sachen nachsagst: Papa hat …«

9 Ein Reichsverweser vertritt den König, wenn dieser abwesend ist, sowie in der Zeit zwischen dem Tod des Königs und der Thron-besteigung seines Nachfolgers.

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»Wissen wir, wissen wir … Opposition gegen Béla Kun11 gemacht und so weiter, aber die Herren haben sich trotzdem nicht getraut …«

»Keinen Ton weiter, du verunglimpfst das Anden-ken eines der treuesten Staatsdiener.«

»Ich denke nicht daran, Papa für irgendetwas, das in der damaligen schweren Zeit vorfiel, verantwortlich zu machen, nur das System verdamme ich, das all die-sen Staatsdienern den Zwang auferlegt, jeder Regie-rung treu zu dienen.«

»Dummer Bub, was weißt du von diesen Dingen?«

10 Gemeint: Die ungarische Räterepublik, die unter der Führung Béla Kuns vom 21. März bis zum 1. August 1919 bestand. In dieser Zeit wurden Banken, Großindustrie, Mietshäuser und Betriebe mit mehr als zwanzig Angestellten verstaatlicht. Das Ende der Rätere-publik kam, als rumänische Truppen im ungarisch-rumänischen Krieg Budapest besetzten. Nachfolgestaat war das Königreich Un-garn (1920-1944).

11 Béla Kun (1886-1938) war ein ungarischer Politiker und einer der Führer der kommunistischen ungarischen Revolution 1919, nach der eine Räterepublik ausgerufen wurde.

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»Schon gut, Ilonka12 , obwohl ich noch ein dummer Bub bin, weiß ich so manches, was ich eigentlich nicht wissen sollte.«

»Ich geh’ zu Onkel Géza und du kommst mit, Ár-pád.«

»Du weißt, ich bin immer folgsam gewesen, Mama, aber die Tatsache, dass Herr Professor von Kedvesváry, obwohl er dein Bruder ist, sich taktlos benommen hat, lässt sich nicht aus der Welt schaffen.«

»Selbst will ich mich von allem überzeugen, ich glaube dir nicht.«

»Dass ich kein Lügner bin, das weißt du nur zu gut, Mama.«

»Wir werden ja sehen, was Onkel Géza sagt.«

»Es ist ja unmöglich, was du da vorhast, Mama«, fiel Ilona ein. »Dass Árpád keine Unwahrheit sagt, ist be-stimmt zu glauben, und wenn sich alles wirklich so zu-getragen hat, dann ist es zwecklos, dass du den Onkel aufsuchst.«

12 Verkleinerungsform von Ilona

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»Er ist mein Bruder, ein Kedvesváry, ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle.«

»Es gibt auch unter den Aristokraten taktlose Men-schen.«

»Schweig, du Lümmel! Onkel Géza wird der Gründe genug gehabt haben, dir so gegenüber zu treten; er ist doch dein Onkel.«

»Die Taktlosigkeit beging der Herr Professor vor der versammelten Klasse.«

»Geh’ nicht, Mama, setz’ dich nicht Erniedrigungen aus«, beschwor die Tochter.

Die Hofrätin drückte ihr Taschentuch an die Augen.

»Oh, welch unglückliche Mutter bin ich, aber ich bin es müde, mich von Euch tyrannisieren zu lassen, Euer Vormund soll von jetzt ab die Erziehung in die Hand nehmen.«

»Unglücklicherweise ist niemand als dieser famose Onkel Géza unser Vormund und ihm«, Árpád trat an die Mutter heran, »ihm werde ich mich nie unterwer-

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fen, dieser eingefleischte Schulmensch hat ja kein Herz in der Brust.«

»Wenn ich auch Árpáds Vorgehen nicht ganz zu bil-ligen vermag, Mama, eines muss ich selbst sagen: Es war kein kluger Gedanke, Onkel Géza zu unserem Vor-mund zu bestellen.«

»Er ist ein Aristokrat.«

»Zum Teufel hinein, Mama, Aristokrat sein heißt noch lange nicht unfehlbar sein, und ich wiederhole es: Ein wahrer Aristokrat, ob von Geburt oder durch Her-zensbildung, begeht nicht Taktlosigkeiten, noch dazu vor anderen. Das ist vielleicht in einer Familienaus-sprache möglich, aber auch da nicht entschuldbar.«

»Dein Vater hätte dir den Hosenboden gespannt, hörte er dich so sprechen.«

»Papa hat mich nie geschlagen und obwohl er nur ein einfacher Bürgerlicher war …«

»Dein Vater stammt aus einer uralten Familie.«

»Ja, ja, Mama, wir stammen ja alle von Adam und Eva ab.«

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»Jetzt habe ich genug: Ich begebe mich nun zu On-kel Géza, denn ich muss ihn schon als Vormund Ilon-kas, ihrer absurden Ideen halber, um Rat fragen.«

»Mama, ich erinnere dich daran, dass ich volljährig bin und nicht mehr der Aufsicht eines Vormunds un-terstehe.«

»Du wirst dich seinem Machtwort fügen müssen.«

»Wie du willst, Mama, aber ich bitte dich, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben.«

»Ihr werdet ja hören, in einer Stunde bin ich zu-rück.«

Mit diesen Worten verließ die Hofrätin das Zimmer, und draußen hörte man sie mit dem Hausmädchen schimpfen.

»Sag mal, Árpád, war es wirklich notwendig, sich an Onkel Géza zu vergreifen?«

»Ilonka, du weißt doch, dass es schon arg sein mus-ste, bevor es soweit kam. Seit Papas Tod quält und schikaniert er mich unaufhörlich, und einmal musste

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Page 34: Fräulein Bandit: Eine Krimikomödie aus dem Budapest der 1930er-Jahre

es ja zur Katastrophe kommen. Geh’n wir Tennis spie-len, Ilka13 ?«

»Nein, seit drei Monaten sind wir die Klubbeiträge schuldig, ich schäme mich schon, wenn ich am Tennis-platz vorbeikomme.«

»Schulden, Schulden, Schulden! Ach Ilka, Ilonka, Schwesterlein, wie ist doch das Leben schwer und wie leicht könnte man es haben, wenn man sich über diese grauenhaft öden Alltäglichkeiten hinwegsetzen könn-te.«

»Was ist da zu tun? Wir sind arm und müssen uns in die Lage eben hineinfinden: Aber was immer auch Mama austüftelt und dagegen haben mag, ich suche mir eine Stelle, um nicht immer so elend dahinleben zu müssen.«

»Möchtest du nicht Filmstar werden?«

»Red’ keinen Unsinn, Árpád, dazu hab’ ich wirklich kein Talent.«

13 Namensvariante von Ilona

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»Aber schön bist du und das ist doch bei diesem Geschäft das Maßgebende.«

»Du irrst, seit dem Verschwinden des stummen Films14 ist auch schauspielerische Begabung erforder-lich.«

»Weißt du, Ilona, ich werde mich um eine Chauf-feurstelle bemühen, dir verdanke ich es doch, dass ich fahren lernte.«

»Das würde Mama nie zugeben, und der Herr Vor-mund wird dich in eine Besserungsanstalt stecken.«

»Abwarten: Auf alle Fälle bin ich die scheußliche Schule los, und das ist schon viel wert.«

Árpád schritt zum Radioapparat und stellte das Mit-tagskonzert ein. Die schmachtende Weise einer Sere-nade ertönte. Der schlanke Jüngling zog eine durch-brochene, gestickte Decke vom Flügel, drapierte sie um seine Schultern und tanzte damit durch das Zimmer.

14 In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren wurde der Stummfilm allmählich durch den Tonfilm abgelöst.

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Ilona lachte bei den grotesk komischen Sprüngen des Bruders hellauf.

»Tänzer hättest du werden müssen, bei den ernste-sten Darbietungen in dieser Kunst hättest du die stärk-sten Lacherfolge aufzuweisen.«

»Nicht die schlechteste Idee, Schwesterchen, denn Lachen ist etwas Wertvolles, und wer die Menschen in Heiterkeit zu setzen vermag, ob freiwillig oder unfrei-willig, erfüllt eine Mission. Achte jetzt auf meinen ko-mischen Tango.«

Wie ein Storch stelzte Árpád umher, warf die Beine in die Luft, und das Mädchen lachte Tränen über die komischen Bewegungen des Bruders.

Nachher stimmte der Jüngling ein Volkslied an und forcierte die Tonart hoch hinauf.

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Kapitel 2

inen roten Gummibeutel vor den Magen gebun-den, die Brauen fest zusammengezogen, saß Pro-

fessor Géza von Kedvesváry vor seinem Schreibtisch und in kalligraphisch abgezirkelten Buchstaben setzte er die Anklage gegen den rebellischen Studenten Árpád Veres auf. Diesem Jungen wollte er es eintränken, dass er es gewagt hatte, seine Hand gegen ihn, den besten Pädagogen – wie der Professor sich selbst beurteilte – zu erheben: Kein Institut im ganzen Königreich Ungarn wird es wagen, den gefährlichen Burschen aufzuneh-men, von sämtlichen Schulen soll er für immer ausge-schlossen bleiben.

E

Von Zeit zu Zeit senkte der Schulmann den Blick auf seinen stark hervortretenden Magen und Bauch,

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lüftete ein wenig die rote, mit heißem Wasser gefüllte Gummiwärmeflasche und besah sich den stark behaar-ten Leib, dabei verzog er sein Gesicht, dass man ver-meinte, er müsse jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. Stöhnend drückte er den Beutel wieder gegen den ge-schlagenen Magen und fuhr fort, die schriftliche Ankla-ge an den Senat der Schule aufzusetzen. Ein Klopfen störte ihn in der Arbeit und auf sein lautes, energisches »Herein«, das in keinem Fall auf körperliche Schwäche schließen ließ, trat auf Zehenspitzen, mit ängstlichem Gesicht, die Gattin des Professors ein.

»Géza, der Herr Doktor ist da.«

»Wieso der Herr Doktor? Ich habe doch ausdrück-lich gesagt, Professor Kálmán soll kommen.«

»Verzeihung, Herr Professor«, Doktor Barsody trat ein, »Professor Kálmán ist bei einer schweren Operati-on und könnte erst in zwei bis drei Stunden abkom-men, da der Fall hier aber als sehr dringlich …«

»Sprechen Sie nicht so viel, Herr Doktor; Herr Pro-fessor Kálmán hätte ruhig jemand anderen mit der Operation betrauen können. Schon aus alter Freund-

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schaft müsste er alle Rücksicht fallen lassen; mein Fall erfordert eine sofortige und sorgfältige Untersu-chung.«

»Bitte sich mir nur anzuvertrauen, Herr Professor, sollte die Sache kompliziert sein, so wird Professor Kálmán ja meine Diagnose und Anordnungen prüfen.«

Der Arzt musste bei der Erzählung Kedvesváry ein Lächeln unterdrücken, als der Schulmann von einer großangelegten Revolution der Studenten sprach.

»Ihrer fünfzehn oder zwanzig drangen auf mich ein, aber ich schlug sie alle zu Boden, bis ein solch ungeho-belter Jüngling feigerweise von hinten herumlangte und mir einen schrecklichen Hieb auf den Magen ver-setzte. Bewusstlosigkeit umfing mich und als ich wie-der zu mir kam, war der Attentäter verschwunden. Wohlweislich hat er die Gefahr, in der er sich befand, geahnt, denn er hätte es bitter büßen müssen, wäre er zwischen meine Finger geraten. Ich vermute, der Roh-ling hat mir die Leber oder die Niere verletzt.«

»Darf ich bitten, dass sich der Herr Professor dort auf den Diwan legt.«

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»Was willst du noch hier?«, schalt der Gatte die furchtsam um sich blickende Ehefrau an, »hier«, er riss die Wärmeflasche so hastig von seinem Leib, dass die Gummihülle einen Riss erhielt und das noch ziemlich heiße Wasser ihn überspülte.

Wie ein Besessener brüllte der Begossene.

»Oh, oh, ich bin verbrüht, telefoniere sofort um die Rettungsgesellschaft, ich sterbe, ich sterbe.«

Der zuerst erschrockene Mediziner hatte gleichfalls etwas von dem Wasser abbekommen und erkannte so-fort, dass die Flüssigkeit keinen solch starken Wärme-grad mehr besaß, um Brandwunden zu verursachen.

»Beruhigen Sie sich, Herr Professor, das Wasser war ja noch sehr warm, aber es hat keine Brandblasen zur Folge.«

»Was wissen Sie, junger Mann, Ihre medizinischen Kenntnisse scheinen sehr gering zu sein.«

»Verzeihung, Herr Professor, ich bin seit vier Jahren Assistent Professor Kálmáns.«

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»Na schön, dann bitte untersuchen Sie mich, aber ich möchte darum bitten, mir nicht unnützen Schmerz zuzufügen.«

Trotz sorgfältigem Abhorchen, obwohl der Patient fortgesetzt stöhnte, war es dem Arzt nicht möglich, ir-gendwelche innere Verletzungen festzustellen. In dem Mediziner staute sich ob der Behandlung, der er aus-gesetzt war, ein Häufchen Zorn.

»Wollen Sie mir bitte sagen, wo Sie die starken Schmerzen empfinden?«

»Das müssten Sie doch schon längst konstatiert ha-ben. Hier und hier und da auch.«

Ohne sich an sein Versprechen von vorhin zu bin-den, drückte Doktor Barsody plötzlich kräftig auf des Stöhnenden Magen.

»Au, au, oh! Was treiben Sie da, Herr Doktor? Sie zerdrücken mir ja die ganzen Eingeweide!«

»Keine Bange, Herr Professor, aber ich kann beim besten Willen keine innere Verletzung konstatieren.«

»Das habe ich mir ja gedacht.«

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»Bitte sich zu beruhigen, Herr Professor. Ich werde ein Pulver, Tabletten und Tropfen aufschreiben. Von den Pulvern nehmen Sie eines sofort und erst morgen Vormittag, zwei Stunden vor dem Frühstück, noch ei-nes. Die Tabletten kommen nur in Frage, falls Sie er-brechen müssen, und von den Tropfen bitte zwanzig in einen Esslöffel warmen Wassers, bevor Sie zu Bett ge-hen.«

»Ja, muss ich denn nicht liegen, sofort ins Bett?«

»Nein, auf keinen Fall, erst nach der Wirkung des Pulvers.«

»Gut, aber schicken Sie Professor Kálmán her, so-wie er frei ist.«

»Ich werde es nicht versäumen, und bitte, Herr Professor, keine Aufregung.«

»Schon gut, schon gut.«

»Guten Tag; bitte lassen Sie sofort die Medikamen-te aus der Apotheke holen.«

»Franziska! Himmel, wo steckst du denn?«

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»Hier bin ich doch, Géza: Was hat der Doktor ge-sagt?«

»Dieser Trottel versteht ja nichts von seinem Beruf. Erst verbrüht er mich wie ein Schlachtschwein, dann …«

»Aber Géza, den Gummibeutel hast du doch selbst zerrissen.«

»Wenn du doch schweigen würdest. Schicke Erszi15 sofort in die Apotheke; zum Donnerwetter, wo hat der Kretin das Rezept wieder hingelegt?«

»Hier, hier liegt …«

»Au, au, verdammt noch einmal, wer hat denn da wieder Glasscherben auf den Boden geworfen?«

»Aber Géza, du bist auf die Schnalle deiner Hosen-träger getreten.«

»Au, ver…, was ist denn das wieder? Den Ellenbo-genknochen hätte ich mir zerbrechen können; au, wie das schmerzt, ist denn heute alles gegen mich?«

15 »Erszi« ist die Koseform von Erzsebet (ungarisch für Elisabeth)

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»So zieh doch endlich die Hose hoch, dadurch bist du gestolpert und auf den Schreibtisch gefallen.«

»Willst du mich rasend machen mit deinem Ge-schwätz? Wo ist Erszi, sie muss rasch in die Apo…, ah, da sind Sie ja, hier, nehmen Sie das und laufen Sie rasch in die Engelapotheke. Was glotzen Sie denn da auf den Boden?«

»Die Überschwemmung, wo kommt das viele Was-ser her, hat vielleicht der Herr Professor …?«

»Machen Sie, dass Sie hinauskommen. Sie blöde Gans.«

»Ich bin keine blöde Gans, das lass ich mir nicht ge-fallen, am Ersten geh ich.«

»Meinethalben sofort, aber zuerst holen Sie mir die Medi … du hast mir gerade noch gefehlt!«

Frau Hofrat Veres war ins Zimmer getreten.

»Géza, ich schäme mir die Augen aus dem Kopf.«

»Was willst du hier? Schäme dich zuhause, dort hast du Platz genug. Deinen Sohn, den Mordbuben ver-teidigen …, verfluchte Hose!« Er zog das Kleidungs-

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stück, das ihm bis auf die Schuhe heruntergerutscht war, mit solchem Ruck hoch, dass der Stoff auf dem Gesäß platzte und ein breiter Riss sich dort zeigte.

Das Hausmädchen lachte laut auf und eilte aus dem Zimmer. Frau Veres trat an den Tisch, ließ sich auf einen Stuhl nieder, drückte das Taschentuch an den zum Weinen verzogenen Mund, doch ihre Augen beka-men plötzlich einen starren Ausdruck, sie erhob sich und befühlte ihr Kleid, von dem Wasser herabtropfte.

»O Gott, was ist mir da passiert?«

»Nonsens, nichts ist dir passiert, Gézas Blase, ich meine die Gummiblase, ist geplatzt.«

»Was willst du hier? Mit dir habe ich nichts mehr zu schaffen, geh zu deinem verzogenen Muttersöhnchen, dem Mörder.«

»Géza, er ist doch noch ein Kind.«

»Ein Kind, ein Kind, das Boxstöße austeilt, die ei-nem die Eingeweide zerschmettern. Ein Haftbefehl …«

»Um des Himmels Willen, Géza, du willst doch nicht?«

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»Natürlich will ich; der Lausbub muss ins Zucht-haus.«

»Sei doch vernünftig, Géza.«

»Was mischst du dich da hinein? Ich habe keine Ur-sache vernünftig zu sein. Meine eigene Frau ergreift gegen mich Partei, aber ich sage es euch, dieser Halun-ke kommt in keine Schule des Königreichs mehr hin-ein.«

»Du, der leibliche Onkel, mein Bruder, sein Vor-mund, ach ich bin schon ganz verwirrt, ich meine, du bist doch nicht nur sein Onkel, sondern auch der Vor-mund, und du willst ihn unglücklich machen, vielleicht fürs Leben, was soll denn aus ihm werden?«

»Gut, dass du mich daran erinnerst, jetzt habe ich ihn; in eine Besserungsanstalt lass ich ihn stecken. Ver-dammt noch einmal, nun hab ich mich wieder auf den nassen Stuhl gesetzt. Himmel noch einmal, warum wird der Stuhl nicht endlich trocken gewischt?«

»So beruhige dich doch, geh hinüber ins Schlafzim-mer und zieh trockene Wäsche an.«

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»Ja doch, ja doch.« Er trat an den Schreibtisch, hieb mit der Faust auf die Platte, dass das Tintenfass fast umfiel. Frau Hofrat Veres sprang hinzu, wollte das Ge-fäß vor dem Stürzen bewahren, stieß es jedoch in der Aufregung ganz um, sodass die Tinte über den Tisch und davon auf den Teppich tropfte.

»In einem Irrenhaus schein ich zu sein«, brüllte der Professor, »alles ist gegen mich. Hier, hier, sieh dir das an!«, und dabei hielt er seiner Frau das Rezept des Arz-tes unter die Nase, »hier, hier, dieser Trampel von ei-nem Mädchen hat das Rezept hier gelassen und ist mit der Anklageschrift in die Apotheke gelaufen; es ist wirklich, um aus der Haut zu fahren.«

»Gnädige Frau!« Erszi steckte den Kopf zur Türe herein und hielt in der ausgestreckten Hand den vom Professor beschriebenen Bogen. »Der Herr Provisor16 von der Engelapotheke lässt sagen, dass das kein Re-zept ist und dass nur Blödsinn draufsteht, ich soll ihn nicht zum Narren halten.«

16 Österreichische Bezeichnung für Apotheker

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Mit einem Zornschrei war der Professor an der Tür und entriss dem Mädchen den Bogen.

»Hinaus, hinaus mit Ihnen, Sie Trampel, hinaus!«, schrie der Erboste, dann wandte er sich an seine Schwester, nahm sie am Arm und führte die Er-schrockene zur Türe. »Hinaus auch mit dir, unsere verwandtschaftlichen Beziehungen sind von heute ab gelöst.«

Empört machte sich Frau Veres frei, drehte sich ih-rem erbosten Bruder zu und kreischte:

»Schade, dass ich nicht boxen kann wie Árpád, sonst würde ich dich jetzt niederschlagen, du Tyrann. Recht, ganz richtig hat der Bub gehandelt. Ein armer Irrer bist du und wehe dir, wenn du etwas gegen Árpád unternimmst, ich schicke ihn dir auf den Hals.«

»Hinaus, sage ich dir, oder ich vergesse mich!«

Wütend schlug er die Türe hinter der Schwester zu, glitt dabei auf der nassen Perserbrücke17 aus, schlitter-

17 kleiner, länglicher Teppich aus Persien

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te damit einige Meter durchs Zimmer und fiel der Län-ge nach auf den Boden.

»Oh, oh, ich sterbe, ich sterbe!«

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Kapitel 3

ovon Frau Marga von Mindszenty eigentlich lebte, welche Geschäfte sie betrieb, wusste

niemand. Einige behaupteten, sie vertrete eine große ausländische Parfümfabrik, die sich hauptsächlich mit dem Vertrieb von Schönheitsmitteln befasse, andere wieder sagten, die adlige Dame arbeite für eine politi-sche Partei zur Restaurierung des gewesenen Herr-scherhauses, während geheimnisvoll Flüsternde von einem Spionagebüro sprachen und die ganz Superklu-gen erzählten, in den Händen der geheimnisvollen Dame befände sich ein Kreditbüro.

W

Von den Angestellten, deren Frau von Mindszenty über ein Dutzend beschäftigte, war nichts herauszube-kommen, selbst der Hausbesorgerin, einer der gewief-

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testen Klatschbasen des sechsten Bezirks, gelang es nicht, die Mädchen, Burschen und Männer, die für die adlige Dame arbeiteten, auszufragen.

»Was wollen Sie?«, gegenfragte Páli, der gerissene Liftboy, die neugierige Portiersfrau. »Sie können doch nicht von mir verlangen, dass ich die Geheimnisse un-seres Geschäfts ausplaudere, aber wenn Sie Ihre Brille einmal richtig putzen und Ihre schönen Blauaugen gut und weit aufreißen, dann werden Sie doch schon be-merkt haben, dass viele Damen, wenn sie zu uns kom-men, das Gesicht dicht verschleiert tragen, und wenn sie wieder von uns weggehen, schön, strahlend und, was die Hauptsache ist, blutjung sind.«

»Na und was soll das bedeuten, dass die Damen zu-erst verschleiert sind und dann ohne Schleier wegge-hen? Habts Ihr vielleicht eine Schleierputzerei oder Reparaturanstalt da oben?«

»Nur die Hälfte haben Sie erraten, Frau Nagy, und doch so ziemlich alles; nur dass nicht die Schleier ge-putzt und repariert werden.«

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»Ja, was denn?« Die Augen der Neugierigen standen heraus und drückten fast an die Brillengläser, während zwischen dem auseinanderklaffenden Lippenpaar eine Reihe braungelber Zahnstummel sichtbar wurde. »Was machts denn mit den Schleiern, Páli?«

»Mit den Schleiern gar nichts, nur mit dem was da-hinter steckt.«

»Hinterm Schleier steckt was?«

»Natürlich steckt was dahinter; was soll denn da-hinter stecken, wenn nicht das Gesicht.«

»Aaah! Ja, was meinen Sie denn damit?«

»Du lieber Sankt Stefan, G’sicht ist doch G’sicht, und das wird repariert.«

»Gehns doch. Sie Lügenschimmel, seit wann und warum repariert man denn ein Gesicht?«

»Ai jegerl, sind Sie aber rückständig, Frau Nagy! Schauns doch einmal in den Spiegel, aber Sie müssen den Mund so aufreißen dabei wie jetzt, und dann wer-den Sie sofort entdecken, dass Ihr Gesicht reparatur-bedürftig ist.«

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»Gehns, haltens Ihre Großmutter zum Narren, sol-che Pflanz18 , wie Sie da erzählen, glaub ich nicht.«

»Wie Sie wollen! Sie haben mich so oft schon ge-fragt und jetzt, wo ich Ihnen endlich die Wahrheit sag, glauben Sie mir nicht. Wenn Sie zum Beispiel bei unse-rer Gnädigen Ihr Gesicht reparieren ließen, könnten Sie noch einen feschen, jungen Mann bekommen.«

»Ah, hörens auf! Ich hab genug an meinem Alten gehabt, der hat sich zu Tod gesoffen.«

»Na freilich, weil Sie halt nimmer schön genug wa-ren! Wenn Sie wieder eine schöne, rosige Haut hätten und die Tränensackerl, die Ihnen fast bis auf die Mund-winkel hängen, weg wären, dann die Stockerl aus Ih-rem Goscherl herauskämen und dafür neue Zähne hin-ein, dann lebte Ihr Mann noch.«

»Alsdann, eine Zahnärztin ist die Frau Baronin?«

»Aber woher denn, Frau Nagy, die Zahngeschichte macht doch der Dentist.«

18 »Pflanz« steht in der österreichischen Umgangssprache für »Schwindel«.

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»Wer ist denn das, vielleicht der Buchhalter mit dem Franz-Joseph-Bart?«

»Nein doch, ein Buchhalter zieht auch Wurzeln, aber Quadratwurzeln, der hat nichts damit zu tun.«

»Ich seh schon. Sie wollen mich nur foppen.«

»Gar nicht, verstehen Sie doch richtig. Wir haben so eine Art Altweibermühle, durch die werden die alten Weiber wieder jung gemacht.«

»So ein Schwindler«, brummte Frau Nagy, konnte aber das Gespräch nicht fortsetzen, da die Liftklingel ertönte und Páli eiligst seinen Dienst versah.

»Bitt’ schön, Herr Fodor, entschuldigen schon, man ist doch auch nur ein Mensch und so viel Leute fragen, aber wie kann ich denn eine Auskunft geben, wenn ich nichts weiß und der blöde Kerl, der Páli, mir solche Dummheiten erzählt.«

»Wovon sprechen Sie eigentlich? Ich verstehe Sie nicht.«

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»Na, weil es der Páli doch gesagt hat. Es ist ja doch alles Schwindel, dass bei Ihnen oben alte Weiber jung gemacht werden.«

Fodor schmunzelte, unterdrückte aber gleich diese Miene und sagte ernsthaft:

»Das ist kein Schwindel, der Páli hat schon die Wahrheit gesagt.«

»Hörns auf!«

»Doch, doch. Sie dürfen ihm glauben; aber nicht nur alte Frauen, auch Männer werden bei uns wieder neu aufgefrischt.«

»Jetzt machen Sie sich über mich lustig, Herr Fo-dor.«

»Wie kam ich dazu«, er beugte sich zu der Neugie-rigen herab und flüsterte: »Sie dürfen es aber niemand verraten; schauen Sie mich an, für wie alt halten Sie mich?«

Frau Nagy schob ihre Brille zurecht, äugte den Buchhalter ab.

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»Na, Sie sind doch noch in den schönsten Jahren, vielleicht so fünfundvierzig.«

»Psst, kein Mensch darf es wissen, Frau Nagy, ver-sprechen Sie mir, dass Sie zu niemanden ein Wort sa-gen«, Fodor sah sich vorsichtig um, »nächste Woche feiere ich meinen siebenundachtzigsten Geburtstag.«

»So eine Lüge!«

»Wollen Sie meinen Pass sehen, der ist noch von Lajos Kossuth aus dem achtundvierziger Jahr ausge-stellt.«

»Also hat der Páli doch die Wahrheit gesagt? Na, ich kanns noch immer nicht glauben.«

»Wie Sie wollen, aber wenn Sie ein Wort darüber reden und die Frau Baronin hörts, dann sind Sie die längste Zeit hier Hausmeisterin gewesen.«

Nach diesen Worten schritt der Buchhalter zur Treppe.

Trotz der ernsten Ermahnung kannten in der näch-sten halben Stunde die Geschäftsleute und Portiers-frauen der Nachbarhäuser die Geschichte von der Alt-

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weibermühle. Einige lachten die Klatschbase aus, an-dere verlachten ihre Erzählungen, während die Witz-bolde Frau Nagy versicherten, dass es wirklich Tatsa-che war, was man ihr erzählte.

Istvan Fekete, der unweit von dem Haus am Stadt-wäldchen, in dem Frau Nagy Hausmeisterdienste ver-richtete, einen kleinen Delikatessenladen betrieb, be-richtete und beschwor einen Fall, der sich bei der Ba-ronin von Mindszenty abgespielt haben soll.

»Da ist im vorigen Herbst so ein ganz tatteriger, al-ter Trottel zu der Baronin gekommen, legt ein Pakerl Tausender auf den Tisch und schreit: ›Jung will ich werden, kost’s was kost‹«, erzählte Fekete, »alsdann, was soll ich Ihnen sagen, die Mindszenty sieht das viele Geld, es soll eine halbe Millionen Pengö gewesen sein, und vor lauter Freude über die große Summe, lässt sie den alten Herrn eine Stunde zu lang drinnen in der Mühl, und wie sie sich erinnert und ihn herauslassen will, hat sich das kleine Wickelkind, was aus dem alten Trottel geworden ist, ganz vollgemacht, und da hat meine Frau schnell ein paar Windeln hinüberbringen müssen.«

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»Hm, hm, was Sie nicht alles erzählen.«

»Wenn Sie mir nicht glauben, dann kann ich Ihnen nicht helfen, aber fragen Sie doch meine Alte, die hat das Kinderl, die weißen Haar von seinem früheren Vollbart sind noch dort gelegen, nachher ins Waisen-haus bringen müssen, weil niemand gewusst hat, wer der alte Herr gewesen ist.«

»Wenn ich Ihnen alles glaub, das glaub ich Ihnen nicht, Herr Fekete.«

»Wie Sie wollen; wenn Sie aber am Sonntag einmal hinübergehen möchten, im Allatkert, Sie wissen ja, drüben im Zoologischen Garten, und den slowakischen Wärter vom Affenhaus nach dem Abgeordneten Báláton fragen, dann wird er Ihnen ein Wunder zeigen. Es hat ja sowieso im Az Est und im Pester Lloyd ge-standen.«

»Was denn, was denn?«

»Das wissen Sie nicht, ja lesen Sie denn keine Zei-tungen? Gehen Sie nie hinüber in den Allatkert?«

»Dazu hab ich zu wenig Zeit.«

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»Na, dann gehen Sie nächsten Sonntag einmal hin-über und fragen Sie den Biberatsch.«

»Wer ist denn das wieder?«

»Der Affenwärter, der zeigt Ihnen dann den Pavian Nuckerl.«

»Den kenn ich ja nicht, wer soll denn das sein?«

»Jetzt ist er ein Aff, und bevor er zu der Baronin Mindszenty gegangen ist, war er der Abgeordnete Fülöp Báláton von Bekescsaba.«

»Hörns auf; ein Aff war Abgeordneter?«

»Nein doch, bevor er ein Aff war, war er Abgeord-neter.«

»Das ist doch ein Schwindel.«

»Ich schwör Ihnen beim heiligen Neusiedler-See, dass es wahr ist, und der Biberatsch wird Ihnen das be-stätigen.«

»Ja, wie ist denn so etwas möglich, wenns nicht eine Lüge ist?«

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»Ich sag Ihnen, dass es der Biberatsch beeiden kann. Da ist nämlich der alte Báláton, weil er Angst ge-habt hat, wegen seines Alters nicht mehr gewählt zu werden, zu der Mindszenty gegangen. Er hat sich auf seine Verdienste um das Vaterland berufen, er war nämlich schon Abgeordneter unter dem alten Kaiser Franz-Joseph, wie der noch ein Bub war, und während der ganzen Zeit hat er nie ein Wort geredet, der Báláton nämlich; der hat die Mindszenty gebeten, sie soll ihn wieder jung machen, denn er möcht weiter fürs Vaterland nix reden, na, und da hat ihn die Baronin in den Ofen gesteckt.«

»Was, ein Ofen ist das?«

»So was ähnliches, und die Frau Baronin hat grad eine Bridgepartie gehabt, die hat bis vier Uhr in der Früh gedauert, und dabei vergisst sie den armen Abge-ordneten Báláton. Und dann, als sie nach der Bridge-partie ins Zimmer kommt, wo der Ofen steht, sieht sie die Unterhosen und erinnert sich an den Mann aus Be-kesgyula.«

»Czába.«

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»Richtig, aber das gehört ja zusammen; alsdann, nur drei Stunden hätte der Alte im Ofen sein dürfen, damit er auf fünfundzwanzig Jahr zurückgeschraubt wird, jetzt hat er aber elf Stunden darin zugebracht, ist um ein paar hunderttausend Jahr jünger worden und wie-der ein Aff geworden, denn damals hats noch keine Ab-geordneten, ich will sagen Menschen gegeben.«

»Maria und Josef, so ein Lügenbeutel was Sie sind. Jetzt muss ich aber gehen.«

»Fragen Sie doch den Biberatsch.«

Obwohl die Hausmeisterin überzeugt schien, dass man sie belogen habe, ließen ihr die Erzählungen keine Ruhe, fast schlaflos verbrachte sie die Nacht. Vielleicht ist doch etwas dran an der Geschichte, dachte sie. Ja, wenn es wahr ist, ja, dann würde sie zur städtischen Sparkasse gehen und von ihrem Ersparten fünfhundert Pengö abheben. Vielleicht macht es die Baronin für sie billiger. Eine freundliche Dame ist sie ja, und wenn man sie bittet … Fünfhundert Pengö sind eine ganz ansehn-liche Summe, und wenn sie wirklich jung werden kann? Na, so ganz jung, wie diese Flitscherln mit dem ziegel-

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rot geschminkten Mund und den abrasierten Augen-brauen möchte sie nicht werden. Ob da der übermäßig dicke Leib auch weggeht?, fragte sich Frau Nagy. Sonst hätte ja die ganze Jungwerderei keinen Zweck, dann möchte sie auch dem Briefträger Kis nicht gefallen, und das wollte sie ja. Der Postbote ist ein kinderloser Witwer und braucht eine Frau; Pension bekommt er auch, und wenn er stirbt, dann erhält sie die Pension. Kinder wollte sie aber keine. Sie nahm sich vor, die Ba-ronin zu bitten, sie zu verjüngen. Luftschlösser baute die Hausmeisterin, träumte von der Hochzeit mit offe-nen Augen, bis der Schlaf kam und wirkliche Träume sie umfingen. Sie sah sich splitternackt in einer stock-dunklen Ofenröhre, auf einer Riesenbratpfanne liegen, und der Schweiß troff von ihrer Haut. Plötzlich wurde es hell um sie, und neben ihr lag der dicke Leib. Sie be-fühlte sich und war erstaunt, wie schlank und rank sie geworden war. Das Gesicht befühlte sie, die Tränen-säcke waren verschwunden, ebenso die dicke Nase. Wenn ich bloß einen Spiegel hätte, seufzte sie, dann überkam sie großer Schreck, denn der Baronin Verges-slichkeit kam ihr in den Sinn. Um des Himmelswillen,

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wenn Frau von Mindszenty sie zu lange in der Bratröh-re ließ, wenn sie ein Wickelkind oder gar ein Affe wür-de; wer wird dann das Stiegenhaus kehren, wer die Türklinken und all das andere Messing im Treppenhaus putzen? Wie werden die Parteien im Haus er-schrecken, wenn dort ein Abgeordneter, ach was für Unsinn ist das, wenn ein Affe aus der Portierloge sei-nen Kopf stecken wird; nein, nein, das darf auf keinen Fall sein. Heraus wollte sie aus dem Ofen, so schnell wie möglich; mit Händen und Füßen begann sie um sich zu schlagen, schrie fürchterlich laut auf und er-wachte.

»Oh, au, oh«, stöhnte Frau Nagy und rieb sich die Hand, mit der sie in des Traumes Toben an die harte Bettkante gestoßen war.

Frau von Mindszenty war sehr erstaunt, als die Hausmeisterin am folgenden Morgen darauf bestand, die Baronin sprechen zu dürfen.

»Ich hab keine Zeit für die Frau, sagen Sie ihr das, Sandor.«

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»Sie will sich aber nicht abweisen lassen, Frau Baro-nin, sie sagt, die Sache ist äußerst wichtig.«

»Führen Sie die Frau in das kleine Zimmer neben der Diele, ich komme gleich.«

Neugierig sah sich die Hausbesorgerin in dem Vor-raum um. Eine Menge Türen gab es da. Welche führt wohl in das Zimmer mit dem Wunderofen? Vielleicht die dort am Ende des langen Korridors? Fest presste sie die Hand mit dem Sparkassenbuch an den hervor-springenden Bauch.

»Wollen Sie bitte hier warten, Frau Nagy, die Frau Baronin kommt gleich.«

Etwas furchtsam sah sich die Hausmeisterin in dem kleinen Hofzimmer um. Sie wunderte sich über die Schmucklosigkeit und Nüchternheit des Raumes.

»Guten Tag! Frau Nagy, was führt sie zu mir?«

»Küss die Hand! Frau Baronin, sind Sie nicht bös, wenn ich nur fünfhundert Pengö dafür zahlen kann, aber bittschön, schauen Sie nur in das Sparkassenbü-chel hinein, zweitausendeinhundertsechsundzwanzig

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Pengö und vierunddreißig Heller hab ich dort, sehns, das ist alles auf meinen Namen, gehört mir ganz allein, und dann, wenn alles gelungen ist, möcht ich gleich die fünfhundert von der Sparkasse holen und der Frau Ba-ronin geben.«

»Ich verstehe Sie nicht, was soll ich mit dem Geld?«

»Na ja, ich werd ja niemanden etwas sagen und we-niger als fünfunddreißig möcht ich nicht werden; da möcht ich halt bitten, die Frau Baronin möcht mich nicht zu lang drinnen lassen.«

»Wovon sprechen Sie? Ich weiß wirklich nicht, was Sie wollen.«

»Na ja, Sie wissen ja wegen dem Wickelkind und dann von dem Affen, obwohl ich das nicht glauben kann.«

Geraume Weile dauerte es, bis Frau von Mindszenty die Hausmeisterin los wurde, dann schalt sie Páli gehö-rig aus, auch Fodor bekam sein Teil, dass er der Haus-meisterin solch einen Bären aufgebunden hatte.

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»Solche Dummheiten, lieber Fodor, können uns sehr schaden, wir müssen äußerst vorsichtig sein; solch eine Gans kann uns in die größten Ungelegen-heiten bringen.«

»Es war doch ein harmloser Scherz, und die Frau ist so dumm.«

»Ich habe allen Angestellten zur Pflicht gemacht, über die Geschäfte und Vorgänge strengstes Still-schweigen zu bewahren, und wer sich dem nicht fügt, für den ist hier kein Platz. Aber genug von der Ge-schichte, reden wir jetzt von der neuen Kraft. Haben Sie das Inserat aufgegeben?«

»Ja, schon gestern; in sechs Budapester und vier Wiener Zeitungen.«

»Bin ja begierig, ob wir das Universalgenie finden werden.«

»Schwer ist das allerdings, ich glaube, Frau Baronin verlangen zu viel von einer Person.«

»Der Zufall kommt uns vielleicht zu Hilfe. Wann er-scheint die Anzeige?«

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»Sie ist schon in den Morgenausgaben.«

»Nun, wir werden ja sehen.«

Bitterböse war die Hausmeisterin auf den Liftjun-gen, und sie nahm sich vor, Herrn Fodors Gruß nicht mehr zu erwidern.

»Sie Rohbub, Sie elendiger«, apostrophierte sie Páli, »wie können Sie sich unterstehen, mich so anzusch-windeln?«

»Ach Sie sind eine alte Tratschen, weshalb haben Sie mich denn bei der Frau Baronin verklatscht?«

»Schämen sollen Sie sich, so jung noch und schon so schlecht.«

»Bei Ihnen kann man sagen: So alt schon und noch so blöd.«

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Kapitel 4

a, seid ihr denn von Gott verlassen?«, rief die Hofrä-tin empört, als sie den Salon betrat und Árpád in ei-

nem Kleid seiner Schwester, seidenen Strümpfen und hohen Stöckelschuhen umhertanzen sah, während Ilo-na auf dem Flügel einen Schlager spielte.

J

Árpád versuchte auf den Zehenspitzen zu tanzen, stolperte nach vorne über und sang mit hoher Fistel-stimme:

»Ach, ich bin eine reiche Braut,Zum ersten Male heut getraut,Gestern schworen wir insgesamtUns Treue vor dem Standesamt.

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Schlug früher die Trommel im WirbelIn der Damenkapelle laut,Mit Schlegel vom Holz der Zirbel,So stark, so hell, ach so traut.Trom, to to, rom, tom tom,O Liebster komm, o komm,

Trom, to to, komm doch schnell.Trom, trom, trom auf das FellHau ich auf die Trommel ein,Trom, trom, komm zum Stelldichein.Trommle ein Liebessignal,Denn du bist mein All.Trotrotoromtomtom,Bubi, Bubi komm.«

Mit den Fingern schlug sich der Junge auf den Leib, tat so, als ob er die kleine Trommel bearbeitete und fiel dann erschöpft auf Ilonas Schoß.

»Bist du irrsinnig geworden?«, rief die Mutter, »schämst du dich nicht, Ilona, dass du ihn so heraus-staffierst?«

»Lass ihn doch, Mama, er ist ja so urkomisch.«

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»Urkomisch und aus der Schule hinausgeworfen. Du wirst es nicht so komisch finden, wenn du erfährst, dass Onkel Géza ihn einsperren will.«

»Aber Mama, übertreib nicht. Was kann er mir schon anhaben? Er soll froh sein, wenn die Geschichte nicht an die Öffentlichkeit kommt. Er macht sich ja nur noch mehr lächerlich.«

»Deine dreisten Redensarten werden dir schon ver-gehen, wenn die Polizei kommt und dich ins Gefängnis führt.«

»Schlimmer kann es dort auch nicht sein als in der Schule. Im Übrigen habe ich gar keine Bange.«

»Mach, dass du dich sofort umkleidest, ich will dich in dieser schamlosen Maskerade nicht mehr sehen. Ein solch großer Lümmel und hopst hier halbnackt in Mädchenkleidern herum.«

»Erstmals bin ich nicht halbnackt, denn unter dem Kleid habe ich noch meine Unterhosen an, und scham-los ist das schon gar nicht. Adieu, strenge Mama, ich bin gleich wieder zurück.«

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Mit trippelnden Schritten, das Kleid neckisch mit einer Hand hochziehend, tänzelte Árpád hinaus und sang dabei das Trommellied.

Mit einem Seufzer sank die Hofrätin in einen Klub-sessel, fuhr aber gleich wieder mit einem Schrei hoch.

»Ach Gott, ich bin ja noch ganz nass.«

»Mama, was ist dir zugestoßen?«

»Nichts, bei Onkel Géza habe ich mich in den blöd-sinnigen Schreibtischsessel mit dem tief ausgehöhlten Sitz gesetzt und nicht gesehen, dass dort alles voll Wasser ist.«

»Wie kommt dorthin Wasser?«

»Was weiß ich, nass bis auf die Haut bin ich, ich werde mir noch eine Lungenentzündung zuziehen.«

»Nicht, wenn du nur dort unten nass bist, Mama«, sagte die Tochter und konnte ein Lächeln nicht unter-drücken.

»Du machst dich wohl lustig über mich, na ja, bist so mitleidlos wie die Veres’, die haben ja alle kein Herz in der Brust.«

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»Sei nicht ungerecht, Mama, Papa war einer der feinfühligsten Menschen, die es gibt.«

»Ein Aktenmensch war er, eine Beamtenseele, ei-ner, der sich unterdrücken ließ; wäre er das nicht ge-wesen, hätte er es bis zum Minister gebracht, und ich wäre eine Exzellenz geworden.«

»Sei froh, dass Papa so war, wie er sein sollte. Hier, Mama, zieh diesen Kimono an und streif endlich das nasse Zeug ab.«

»Lass das, ich geh auf mein Zimmer, aber das sage ich dir, zu Onkel Géza tue ich keinen Schritt mehr.«

»Was du nicht sagst, Mama.« Árpád war wieder ins Zimmer getreten, »war er so wenig liebenswürdig zu dir?«

»Wie siehst du bloß aus? Pfui, wasch dir die rote Schminke sofort vom Gesicht … und dass du es weißt, in den nächsten Tagen fährst du zu Tante Susi nach Wien; ich will nicht den Skandal erleben, dass man dich einsperrt.«

Mit diesen Worten schritt die Hofrätin zur Türe.

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»O Mama«, schrie Árpád, »du hast dich ja nass ge-macht.«

Krachend schlug die Türe hinter der alten Dame zu.

»Kann mir denken, wie der feine Professorenonkel Mama behandelt hat. Vielleicht ergibt sich noch einmal Gelegenheit, ihm einen Uppercut zu versetzen.«

»Du sollst nicht so rüde sein, Árpád, das schickt sich wirklich nicht; ein Gentleman prügelt sich nie-mals.«

»Mein liebes Schwesterlein, ein Gentleman ist auch niemals taktlos, und ob er ein Professor und noch dazu mein Onkel ist, tut nichts zur Sache, und wenn einer meiner Schwester nahe tritt, dann gibt es eben Boxstö-ße.«

»Hör mit deinen Rohheiten endlich auf, Ehrenmän-ner …«

»Weiß ich, kenn ich; diese ungarische Mode, sich mit stumpfen Säbeln gegenüberzutreten, oder mit lah-men Pistolenkugeln, die nur fünfzig Zentimeter weit die Luft durchlöchern und dann im Gras versinken,

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Duelle auszufechten, ohne dass einem der Gegner auch nur ein Kratzer zugefügt wird, kenn ich. Übrigens hätte mich der Herr Professor Géza von Kedvesváry niemals für satisfaktionsfähig gehalten; da blieb eben nur die Faust übrig.«

»So sind die Veres!«, mit diesen Worten trat die Mutter in die Türe. »Rohlinge, aber keine Kavaliere.«

»Kann mich nicht entsinnen, Mama, dass Papa roh gewesen sein sollte.«

»Widersprecht mir nicht immer, das ist auch eine Veresmanier.«

»Alles was recht ist, Mama, aber bei allem Respekt vor deinen Ahnen und der Verwandtschaft von deiner Seite, was du da von den Veres sagst, trifft vielfach auf die Kedvesvárys zu. Die Veres sind, mit Ausnahme Tan-te Appolonias, alle herzensgute Menschen, den stärk-sten Beweis lieferte Papa dafür.«

»Willst du vielleicht behaupten, die Kedvesvárys sind Rohlinge?«

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»Das gerade nicht, aber unausstehlich sind sie be-stimmt.«

»Ich auch, eure Mutter?«

»Nein doch, Mama, fass doch nicht alles persönlich auf«, rief Ilona, »aber wenn man die Onkels und Tanten durchsiebt, fällt nicht ein einziger heraus, der nicht rechthaberisch ist.«

»Lange vor König Matthias waren die Kedvesvárys …«

»Mama, hör doch endlich einmal mit dieser Famili-enlegende auf.«

»Ilona! Schweig!«

»Nein, ich kann und will nicht schweigen, und ver-zeih Mama, es ist geradezu unsinnig, sich darauf zu be-rufen, dass die Vorfahren irgendwo mitgerauft …«

»Gekämpft.«

»Meinetwegen gekämpft, haben, aber was hat das mit den Nachkommen zu tun, was mit der Herzensbil-dung?«

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»Der Stolz auf die Ahnen.«

»Ach, ach, Stolz auf die Ahnen; dann müssten wir auch stolz auf Großonkel Béla sein, von dem Tante Ap-polonia immer erzählt, dass er ein großer Gauner war und wegen Taschendiebstahl im Gefängnis gesessen hat.«

»Erinnere mich nicht an den Schandfleck unserer Familie.«

»Da siehst du ja, was man auf diese Vorfahrenge-schichte geben kann. Ich könnte ein großer Räuber-hauptmann sein, aber einem Pferdejuden19 am Jahr-markt in Debreczin die Brieftasche stibitzen, nö, Mama, das dürfte ein Kedvesváry niemals tun, und die Geschichte der Veres weist keinen analogen Fall auf.«

»Sei still, du Lümmel, in dir schlummert eine Ver-brechernatur.«

»Dann hab ich sie von den Kedvesvárys.«

»Árpád, ärgere Mama nicht, das hast du heute be-reits genug getan.«

19 Jüdischer Pferdehändler

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»Mama soll endlich Papas Verwandte in Ruhe las-sen, es ist Grabschändung, immerfort die Veres als Feiglinge, Trottel und Unfähige hinzustellen.«

»Hast du diese Zeitung mitgebracht, Mama?«

»Ja, ich hatte Angst, die Affäre zwischen Onkel Géza und Árpád stünde schon darin.«

»Was schneidest du denn da aus der Annoncensei-te, Ilka?«

»Nichts, nichts, Schnittmuster. Entschuldigt mich einen Augenblick.«

In ihrem Zimmer angekommen, setzte sich Ilona sofort an den Tisch und entwarf einen Brief. Drei, vier Bogen zerriss sie, endlich glaubte sie die richtige Form gefunden zu haben, schrieb den Brief ins Reine, durch-flog das Geschriebene sorgfältig prüfend, dann kramte sie lange in einem Päckchen Photographien, legte schließlich zwei Bilder, auf denen sie ein Auto steuerte und auch zu Pferde saß, dem Schreiben bei, adressier-te den Umschlag und lief damit zum nächsten Briefka-sten an der Ecke der Arenastraße.

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Kapitel 5

rofessor Kálmán biss die Zähne zusammen, um nicht laut lachend herauszuplatzen. Doktor Bor-

sody hatte ihm den Fall genau beschrieben, auch über die verordneten Medikamente berichtet, und so war der berühmte Mediziner bereits darauf gefasst, was ihn bei Professor Kedvesváry erwartete, doch wurden die-se Erwartungen weit übertroffen, denn der hypochon-drische Schulmann war über die verordnete Dosis hin-ausgegangen. So hatte er anstatt nur eines der Pulver in ganz kurzer Zeit drei Stück geschluckt, und da die Pulver nur aus Kalomel20 bestanden, war die Wirkung

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20 Kalomel ist ein Mineral aus einer Quecksilberverbindung. Frü-her wurde es in Medikamenten zur Syphilisbehandlung verwendet, es wirkt harntreibend und abführend.

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fürchterlich. Stundenlang musste Onkel Géza auf ei-nem verschwiegenen Örtchen verweilen, und dort ließ er sich die Tabletten hineinreichen, erbrach sich da-nach stark und schlief sitzend ein, nachdem er die Tropfen ausgetrunken hatte.

Géza von Kedvesvárys Herz war eisenfest und konnte schon einen argen Stoß vertragen. Doktor Bor-sody wusste genau, dass die verordneten Dosen im In-nern des Schulmannes nur eine Generalreinigung be-wirken und die Tropfen ihn danach in Schlaf lullen würden. Dass die Unvernunft des überreizten Profes-sors so weit gehen würde, die vorgeschriebene Dosis zu überschreiten, daran hatte der Arzt nicht gedacht.

Seit vierundzwanzig Stunden schlief der Kranke, und als er endlich die Augen aufschlug und Professor Kálmán über sich erblickte, setzte er sofort eine lei-dende Miene auf und stöhnte.

»Na, alter Freund, endlich ausgeschlafen?«

»Mir ist so schlecht.«

»Das macht nichts, das ist die Reaktion.«

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»Mir ist ja so schlecht.«

»Kein Wunder, wenn du von jedem verschriebenen Medikament das Vierfache einnimmst und die Flasche mit den Tropfen ganz leerst. Solch eine Unvernunft ist geradezu verbrecherisch. Wärst du nicht im Besitz solch eines starken Herzens, dann hätten wir dich nim-mer wach bekommen.«

»Oh, oh, der Schurke, aber er soll es mir büßen.«

»Meinst du Doktor Borsody?«

»Nein doch, den Lausbuben mein ich, der mir den Schlag versetzt hat und dessen Stärke die schreckliche Wirkung hervorgebracht hat.«

»Lass dir von mir getrost die Versicherung erteilen, dass nur deine Unvernunft Schuld an dem Zustand, in den du gerietest, trägt. Wie kann ein vernünftiger Mensch des Arztes Vorschrift so übertreiben?«

»Warum verschrieb mir der Medikaster solch tätli-che Gifte?«

»Red keinen Unsinn, deine Hypochondrie hätte es fast zustande gebracht, dass du abgekratzt wärst; in

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Zukunft nimm immer nur die vorgeschriebenen Do-sen.«

»Du wirst mir ein Attest über die schrecklichen Fol-gen, die der wuchtige Faustschlag verursachte, aus-stellen.«

»Gar nichts werde ich, denn der Hieb war sicher sehr schmerzhaft, aber es ist keine innere Verletzung festzustellen.«

»Wieso weißt du das so genau, du hast mich ja gar nicht untersucht?«

»Doch, doch, während du noch in tiefem Schlaf lagst und außerdem genügt mir Doktor Borsodys Dia-gnose.«

»Der versteht einen Dreck, verzeih, aber er benahm sich schandbar und drückte mir fast die Eingeweide entzwei.«

»Doktor Borsody ist einer der geschicktesten Arzte Budapests und um irgendwelche Beschwerden festzu-stellen, ist ein Arzt zu gründlicher Untersuchung genö-tigt.«

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»Also, du willst mir kein Attest ausstellen?«

»Doch, wenn du darauf dringst, aber ich kann nur hineinschreiben, dass die Folgen nur deiner Unmäßig-keit im Einnehmen von Medikamenten zuzuschreiben sind.«

»Seit unserer Studienzeit sind wir Freunde, und jetzt verrätst du mich, willst meiner Bitte nicht stattge-ben.«

Der Professor erhob sich, nahm seine Besteckta-sche, legte das Stethoskop hinein und sagte:

»Du mutest mir doch nicht zu, dass ich gegen mein ärztliches Gewissen eine Fälschung begehe? Guten Tag.«

»Ich werde einen anderen Arzt kommen lassen, auch du verstehst nichts. Man hat mir die Gedärme zertrümmert, und eine Röntgenuntersuchung wird die Verletzung schon offenbaren.«

»Tu was du nicht lassen kannst, aber lasse auch deinen Kopf röntgen, damit das Vakuum dort festge-stellt wird.«

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Knallend schlug Professor Kálmán die Türe zu, so-dass der Kranke entsetzt im Bett auffuhr, aber gleich mit einem Stöhnen in die Kissen zurücksank. Die Medi-kamente wirkten noch immer nach.

»Verehrte, gnädige Frau«, tröstete Kálmán die Gat-tin Kedvesvárys, »nichts, auch nicht das Geringste fehlt ihm, aber er ist einer jener Patienten, die beim gering-sten Unbehagen nach dem Arzt schreien, dann aber niemals dessen Anordnungen befolgen.«

Nach und nach drang die Ernüchterung bei Profes-sor Kedvesváry durch. Er musste sich eingestehen, dass er in dem Fall Árpád Veres keine glückliche Figur spielte. Er schalt sich jetzt im Geheimen aus, dass er sich soweit vergessen konnte und eine Familienge-schichte ins Unterrichtszimmer getragen hatte.

»Der freche Bengel hat mich zu sehr gereizt«, mur-melte er vor sich hin, »warum habe ich ihn nicht in mein Zimmer geführt und ihm dort ein paar hinter die Ohren gehauen?«

Nach längerem Besinnen kam er zu dem Beschluss, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Wieder dachte er

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nach. Wie aber, wenn die Geschichte bereits weiter ge-drungen war? Die Jungens werden bestimmt nicht ge-schwiegen haben. Er musste versuchen aufzustehen und den Rektor des Instituts aufsuchen, um Klarheit zu erhalten.

In der Schule wartete eine üble Überraschung; der Fall lag bereits dem Professorenkollegium vor und die Relegierung Árpád Veres war, wegen tätlichen Angriffs auf einen Professor, ausgesprochen worden. Der Rek-tor lud Professor Kedvesváry vor und machte ihn mit dem Urteil des Kollegiums bekannt, dann aber sprach er seine Missbilligung über das Vorkommnis aus.

»Sie gestatten schon, Herr Kollege, Ihnen zu sagen, dass Sie an dem Vorkommnis nicht ganz schuldlos sind, Ihre Unbeherrschtheit hat Ihnen da einen üblen Streich gespielt, die Aussagen der Studierenden führ-ten offen Klage gegen die Art, wie Sie mit den Schülern im Allgemeinen und gegen Árpád Veres im Besonderen umgehen. Ich sehe mich genötigt, den Fall dem Kultus-ministerium zu melden.«

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Kedvesvárys bleiches Gesicht überzog sich mit tiefer Röte. Er erkannte nun, dass er einen groben Ver-stoß begangen hatte und der Pfeil bumerangartig auf ihn zurückschnellte. Was hatte er nun davon, dass Ár-pád Veres, sein Neffe, aus der Schule hinausgeworfen worden war? Die Sache konnte auch ihm an den Kra-gen gehen und vielleicht zu einer Versetzung in die Provinz, möglicherweise sogar zur Pensionierung füh-ren.

Gedankenvoll schritt er die Andrassy-Straße21 ent-lang, um zur Untergrundbahn zu gelangen, an dem Eingang zur Treppe stieß er mit einer jungen Dame zu-sammen.

»Verzeihung, ah, du bist’s, Ilona?«

»Guten Tag, Onkel.«

»Ich komme soeben von der Schule, vorgestern und gestern war ich durch deines Bruders Rohheit fast am

21 Ungarisch: Andrássy út. Der bekannteste Boulevard von Buda-pest verbindet auf zweieinhalb Kilometer Länge das Zentrum mit dem Stadtwäldchen und dem Heldenplatz.

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Sterben, aus der Schule hat man Árpád hinausgewor-fen.«

»Árpád nimmt das Ganze nicht so tragisch. Er has-ste die Schule, und du Onkel hast sie ihm am meisten verleidet.«

»Ich, Iiich? Das setzt seiner Dreistigkeit die Krone auf.«

»Ja, Onkel, du! Außerdem hast du mich beschimpft; Árpád ist ein kleiner Gentleman und lässt es nicht zu, dass man mich beleidigt.«

»Ein Rowdy ist er, aber kein Gentleman, ein Strolch, der noch einmal am Galgen enden wird.«

»Deine Prophezeiung wird nicht eintreffen, und es ist traurig, dass die begüterten Verwandten stets auf den Kindern der armen Angehörigen herumhacken. Adieu, Onkel.«

»Ilona, komm her.«

»Was soll ich?«

»Du bist doch ein vernünftiges Mädel.«

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»Das höre ich zum ersten Mal aus deinem Munde.«

»Sei nicht so schnippisch. Also höre zu: Árpád kann die Sache vielleicht rückgängig machen, wenn er mir Abbitte leistet und ein Schreiben an den Senat der Schule schickt, in dem er zugibt, dass er seine Tat be-reut und um Rückgängigmachung des Ausschlusses er-sucht.«

»Gib dir keine Mühe, Onkel, Árpád ist schon in Wien und wird dort weiter studieren«, log Ilona, »und hoffentlich trifft er dort unparteiische Professoren. Guten Tag, grüß Tante.«

Zähneknirschend und unheilige Flüche murmelnd schritt der Professor die Treppe hinab. Alles ging ge-gen seine Intentionen. »Der Teufel soll alle Verwandte und auch das Professorenkollegium holen«, murmelte er.

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Kapitel 6

n seinem Büro ordnete Fodor die auf das Inserat eingegangenen Bewerbungsschreiben. Ein großer

Teil der Briefe, denen Photographien beilagen, stapelte sich bereits in einem Korb auf, aus der umfangreichen Sendung kamen nur fünf oder sechs Briefe in Frage.

I

Beim Durchlesen der Offerten lachte der Prokurist oftmals herzlich auf. Die beigefügten Bilder forderten gleichfalls zur Heiterkeit heraus.

»Wie blind sind doch die Menschen«, sagte Fodor zu Frau von Mindszenty, »in dem Inserat stand aus-drücklich, dass die Frauen unverheiratet, jung, schön, wohlproportioniert und intelligent sein müssen, auch was sie zu leisten haben, war deutlich ausgedrückt,

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trotzdem schicken verheiratete, hässliche, alte und völlig unfähige Frauen ihre schriftlichen Anträge und die geradezu hässlichen Photographien. Besitzen denn diese Geschöpfe keinen Spiegel?«

»Die menschliche Natur, lieber Fodor, ist darauf eingestellt, alles, was das eigene Ich betrifft, durch eine Zauberbrille zu sehen. Frauen kennen keine Objektivi-tät in der eigenen Beurteilung, aber auch nicht die Wertschätzung äußerer Vorzüge oder innerer Tugen-den anderer. Eine Frau mag noch so hässlich sein, im-mer wird sie noch andere ihres Geschlechts hässlicher, als sie in Wirklichkeit sind, klassifizieren.«

»Seltsam, bei Männern kommt das doch seltener vor.«

»Stimmt, aber auch darunter gibt es solche, die ihr Spiegelbild niemals zu beurteilen vermögen. Eitel sind, mit geringen Ausnahmen, fast alle Männer, und diese Eitelkeit dokumentiert eine nicht geringe Portion Dummheit.«

»Wenig schmeichelhaft für uns, aber ich bitte Sie, Frau Baronin, solche Verstiegenheit wie bei Frauen

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trifft man bei Männern weniger. Hier zum Beispiel, der Brief eines Mädchens aus einem slowakischen Badeort. Darf ich ihn vorlesen?«

»Bitte, wenn er amüsant ist.«

»Das ist er. Also:

Unter Bezugnahme auf Ihre Anzeige in der Freien Presse sende ich Ihnen anliegend einige Bilder von mir und nachstehend meinen Lebenslauf. Ich bin 21 Jahre alt, 160 cm groß, schlank, schön, vollendete Fi-gur, klassisches Profil, wie Sie auf dem Bild Nr. 4 er-sehen, und ich bin als geistessprühend in unserer Stadt bekannt. Ich kann reiten und Tennis spielen usw.«

»Da ist doch nichts besonders Komisches dabei.«

»Doch, doch, sehr viel sogar, da ich das Mädel selbst kenne. Sie ist die Tochter eines Advokaten, nicht im Geringsten hübsch, und wegen ihres affektierten Benehmens erhielt sie den Spitznamen ›Fräulein Affig‹. Wenn sie von ihrer Reitkunst schreibt, so möchte ich

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bemerken, dass sie jedes Mal, wenn sie auf einen Gaul steigt, in den nächsten fünf Minuten schon hinunter-purzelt. Tennis spielt sie wie eine Giraffe vielleicht Pol-ka tanzen kann, und sonst ist sie das blödeste, gezier-teste Geschöpf, das man sich denken kann. Bitte, sehen Sie sich die Bilder an. So geschmacklos kleidet sich die-ses Pfauenweibchen immer. Das ist Fräulein Gans in Persona.«

»Schicken Sie ihr die Bilder zurück. Was haben Sie noch?«

»Von den komisch anmutenden Briefen ist dieser hier besonders bemerkenswert:

Hochverehrte Firma!

Ich las Ihre Anzeige und bin das, was Sie suchen und brauchen. Habe in Nagyvárád zweimal den Schön-heitspreis erhalten und waren die Doktoren im Krankenhaus über meinen Körper enthusiasmiert. Ich tanze Csárdás die ganze Nacht, ohne viel zu schwitzen, und die Männer prügeln sich um mich. Gleich jetzt werde ich reiten, schwimmen und ru-

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dern lernen, und dem Stuhlrichter sein Schreiber hat gesagt, er wird es mir beibringen, wie man Autora-deln tut. Ich möcht aber bei ihm nicht lernen, weil er ein ekelhafter Kerl ist und mich immer antatzen will, dabei schwitzt er mit den Händen so stark. Geld ver-lang ich keines von Ihnen, weil ich genug von den Mannsbildern in Budapest kriegen werd. Ein Reisen-der beim Teitelstein, der Krawateln und Pischamas verkauft, hat gesagt, in Pest wird man sich um mich reißen …«

»Wir nicht«, lachte die Baronin, »und was halten Sie für das brauchbare Material?«

»In Wirklichkeit sind es nur die paar Briefe, die man in Betracht ziehen könnte.«

»Geben Sie her.«

Lange besah die Baronin die Bilder, dann las sie die dazugehörigen Begleitbriefe.

»In Betracht zu ziehen wären eigentlich nur diese drei Offerten. Fräulein von Antalffy sieht sehr gut aus, schreibt außerordentlich, vielleicht sogar zu klug, dann

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beherrscht sie viele Sportarten und drei Sprachen; nur das Gesicht hat einen etwas zu hochmütigen Ausdruck. Vom Sport schreibt sie mir zu wenig, scheint etwas be-quem zu sein, gerade das kann ich nicht brauchen.«

»Die Zweite, dieses Fräulein Barsony, schreibt schon ausführlicher, auch ist sie sehr hübsch.«

»Das einfache Bild von diesem Mädel ist sehr an-sprechend. Wie heißt sie doch?«

»Ilona Veres.«

»Ilona Veres? Doch nicht die Tochter von Hofrat Veres? Bitte sehen Sie im Telefonbuch nach, ob sie das ist. Ich glaube, die wohnen drüben in Ofen irgendwo.«

»Jawohl, hier stehts: Frau Hofrat Veres, III. Bezirk, Hunvalvy utca 76. Kennen Frau Baronin die Familie?«

»Par distance, den Hofrat habe ich gekannt; jetzt entsinne ich mich auch, er ist vor zwei oder drei Jahren gestorben, war ein netter, ruhiger Mensch.«

»Kennt die Hofrätin die Frau Baronin?«

»Ich nehme an, sie kennt mich nicht, bin nie mit ihr in Berührung gekommen. Bitte schreiben Sie den drei

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Damen, aber ich möchte sie zu verschiedenen Stunden an einem neutralen Ort kennenlernen.«

»Sehr wohl, Frau Baronin; vielleicht im Café Carlton am Donauquai?«

»Gut, bestellen Sie die zwei Ersten für Montag und Fräulein Veres für Dienstag ins Carlton. Die Stunden teilen Sie mir mit, doch ziehe ich es vor, dass die Zu-sammenkünfte in den frühen Nachmittagsstunden stattfinden, dann sind wenig Gäste im Café.«

»Wird sofort besorgt, Frau Baronin.«

»Die Briefe schreiben Sie selbst, Fodor, und das an-dere Material geht zurück; die Briefe vernichten Sie. Wie steht es mit der Einrichtung in den Hofzimmern?«

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»Wird alles in einigen Tagen fertig sein; die Spiegel-apparate und die Fernseher22 sind bereits montiert und werden schon morgen gebrauchsfertig sein.«

»Von den anderen Angestellten hat niemand diese Räume zu betreten.«

»Sehr wohl, Frau Baronin, die Mädchen versuchen es auch gar nicht.«

»Ich werde sofort Erkundigungen über die drei Da-men einziehen, verbinden Sie mich mit dem Auskunfts-büro.«

»Sofort, Frau Baronin.«

22 Joseph Delmont hat »Fräulein Bandit« Anfang der 1930er Jahre geschrieben. In Deutschland wurden Fernsehgeräte bereits seit 1930 in kleinen Stückzahlen von Hand gefertigt und kosteten zwi-schen 2500 und 3600 Reichsmark. 1935, im Erscheinungsjahr dieses Buches, gleichzeitig auch das Todesjahr von Joseph Delmont, star-tete in Berlin das weltweit erste regelmäßige Fernsehprogramm (täglich von 20.30 bis 22 Uhr, nur im Berliner Raum zu empfangen). Insofern sind die technischen Fähigkeiten, die den Fernsehgeräten der Baronin von Mindszenty in diesem Buch zugeschrieben wer-den, nur ein kleines bisschen »Science Fiction«: Sie nehmen Über-wachungsmöglichkeiten vorweg, die später zum Standard wurden.

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Kapitel 7

ilot Bárkany schraubte die Verspannung an dem Eindecker fest und prüfte die Tragflächen. Oben,

am wolkenlosen Himmel schwirrten zwei Flugzeuge. Der Passagier-Aeroplan der Franco-Roumaine23 war vor einer Minute mit zehn Fluggästen nach Belgrad ge-startet und zog nun nach einer Schleife südwärts da-von, während aus dem Westen ein Schweizer Flugzeug in großem Bogen landete.

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»Hej Farkas, kommen Sie doch her!«, überschrie Peter Bárkany das Propellersurren, »was ist das für

23 Auch CIDNA genannt (Compagnie franco-roumaine de naviga-tion aérienne), eine französisch-rumänische Fluggesellschaft, die von 1920 bis 1933 existierte. Die Stammstrecke war: Paris – Straß-burg – Nürnberg – Prag – Wien – Budapest – Belgrad – Bukarest.

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eine Ferkelei am Motor, warum sind die Ölzuführungen nicht gereinigt worden?«

»Die hab ich selber geputzt, Herr Ingenieur, da muss ein Rohr undicht sein; aha, hier ist der Riss.«

»Gut, dass wir dies noch hier unten entdeckten, Sie wissen ja, Farkas, wie leicht der Teufel los ist, wenn man da oben herumgondelt, die Sauce ausfließt und ein Funken drankommt. Wechseln Sie rasch das Knie-stück an der Zuleitung aus, die neue Schülerin darf nicht gleich am ersten Tag sehen, wie man Bruch macht.«

»Ah, kommt das Fräulein heute zum ersten Auf-stieg?«

»Ja, machen Sie, sie kann jeden Augenblick, ah, dort ist sie ja, los Farkas, rasch, ich renn dem Mädel entge-gen, sonst läuft sie noch in die Landungsbahn hinein.«

In langen Sprüngen setzte der Flieger über das Feld, winkte der auf dem Rasen sorglos Dahinschreitenden zu, sie möge nach rechts abbiegen. Endlich verstand sie seine Signale, lief in der angegebenen Richtung, da rollte auch schon das Schweizer Flugzeug heran, der

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Propellerwind wehte das Kleid des Mädchens hoch, krampfhaft presste sie die Hände an die Schenkel.

»Sie müssen vorsichtiger sein, Fräulein Veres, am Flugplatz kann man nicht einfach so wie auf der Mar-gareteninsel24 herumspazieren.«

Ilona lachte.

»Ich habe schon gemeint, der Luftzug reißt mir das Kleid herunter.«

»Leicht kann man dabei nicht nur das Kleid, son-dern auch den Kopf verlieren. So ein Propellerflügel ist scharf wie das Messer der Guillotine, und manch ein Unvorsichtiger hat das Leben lassen müssen.«

Er maß das Mädchen mit bewundernden Blicken.

»Haben Sie die Bewilligung Ihrer Frau Mutter mit-gebracht?«

»Nein, die ist nicht notwendig, ich bin doch schon volljährig und kann machen was ich will. Taufschein und Geburtszeugnis sind gewiss nicht gefälscht, und

24 Die bekannteste Donauinsel in Budapest.

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im Büro hat man meine Dokumente sehr eingehend geprüft.«

»Und wie steht es mit der ärztlichen Untersu-chung?«

»Alles in Ordnung, auf Herz, Nieren, Blutdruck, Sehschärfe und Farbenblindheit geprüft und für fehler-los befunden worden. Habe alle Papiere, nur das Pilo-tenprüfungszeugnis fehlt mir noch.«

»Damit hat es noch Zeit, erst wollen wir lernen.«

»Den Motor kenn ich in- und auswendig, und alles andere wird sicher auch zu erlernen sein.«

Sie waren mittlerweile bei dem Flugzeug, an dem der Monteur Farkas herumbastelte, angelangt.

»Fein, das ist also der Vogel, auf dem ich lernen soll«, sagte Ilona Veres und ging um die Maschine her-um.

»Werden Sie auch nicht luftkrank werden?«

»Keine Angst, auf der Probemaschine im Saal drü-ben bin ich in den letzten Tagen genug herumge-schleudert worden, manchmal vermeinte ich, dass

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mein Magen zum Mund herausfliegt; ein wenig schwindelig wurde mir nur beim ersten und zweiten Mal, dann aber blieb das Auge klar und die Eingeweide behielten ihren Platz. Wollen wir jetzt ein bisschen flie-gen?«

»Jawohl, klettern Sie in den Kasten hinein; darf ich Ihnen helfen?«

»Wo sind denn meine Fliegeroveralls, ich habe sie doch herausschicken lassen?«

»Hier, gnädiges Fräulein, da ist das Kofferl!«, rief Farkas und holte ein kleines Köfferchen aus dem Appa-rat.

»Wollen Sie sich drüben in der Garderobe umzie-hen?«

»Wozu, ich streif das Kleidchen ab und zieh rasch die Overalls drüber.«

Ohne sich zu zieren, zog sie das Leinenkleid über ihren Kopf und stand in Schlüpfer und rosa Hemdchen da, rasch stieg sie in den von Farkas bereitgehaltenen Fliegeranzug. Der Monteur war über und über rot ge-

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worden und wagte nicht in Ilonas Gesicht zu sehen, der Pilot hatte sich diskreterweise abgewendet.

»Wo ist der Helm?«

»Hier, hier.«

»So, Herr Bárkany, jetzt kann’s losgehen.«

»Warten Sie, ich helfe Ihnen hinauf.«

»Danke, nicht notwendig, ich werde mir nicht im-mer eine Hilfe mitnehmen können.«

Rasch erklomm Ilona das Flugzeug und ließ sich ne-ben dem Führersitz nieder, der Pilot schwang sich gleich darauf zu Ilona.

»Die Armatur kennen Sie bereits?«

»Ja, nur mit den verschiedenen Steuern weiß ich noch nicht so richtig Bescheid.«

»Dann werden wir vorerst am Stand üben.«

Fast eine Stunde blieben sie noch am Boden, Ilona war eine gelehrige Schülerin, und da sie bereits einen Autoführerschein besaß, fiel es ihr nicht schwer, sich

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bald mit allen Handgriffen des Flugzeugs bekannt zu machen.

»So, und nun wollen wir uns ein wenig oben umse-hen. Ist der Start frei, Farkas? Wie steht der Wind, aha, die Luftwurst zeigt nach Süden. Bitte, drücken Sie auf den Anlasser, Fräulein Veres, so, jetzt nach rechts her-umdrehen. Gut. Farkas, Bremsklötze weg!«

Die Maschine rollte über das Flugfeld, der Luftzug war stark, und Ilona zog die Schutzgläser über die Au-gen. Bald hob sich der Aeroplan und ein banges Gefühl überkam das Mädchen, jedoch nur einen Augenblick dauerte dies, dann überwand sie es, und aufmerksam beobachtete sie des Piloten Handgriffe und Fußarbeit.

Eine Stunde blieben sie in der Luft, die Stadt über-flogen sie, unter ihnen zog sich die Andrassy-Straße hin, die Berge Ofens sah sie zum ersten Mal aus der Vogelschau, das Gellertdenkmal, die Burg, das Kastell, die Fischerbastei glichen Spielzeugschachteln, und die Margareteninsel leuchtete wie ein grüner Stein zwi-schen den sie umklammernden glitzernden Wellen der beiden Donauarme. Wie klein nahmen sich die Brücken

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aus, und gleich winzigen Käfern krochen dort Men-schen und Fuhrwerke umher. Ein Dampfer fuhr strom-abwärts, ein Schleppdampfer zog ein halbes Dutzend schwarzer Kähne den Strom hinauf.

»Herrlich, herrlich!«, schrie Ilona dem Piloten ins Ohr, und nicht sattsehen konnte sie sich an den wun-derbaren Bildern, die blitzartig unter ihr vorbeiglitten. »Wie schön ist doch Budapest«, jauchzte sie, »großar-tig, wie das Parlament von oben aussieht. Da, dort, ist das nicht der Ostbahnhof? Wie niedlich sieht solch ein Eisenbahnzug aus; ich kann gar nicht begreifen, wie Menschen noch mit der Bahn reisen mögen.«

Einige Male musste Ilona die Schutzbrille von den Augen nehmen, da der dicke Fliegeranzug und der dicht am Kopf anliegende Sturzhelm sie schwitzen und die Gläser beschlagen ließ.

»Schade, schade«, seufzte sie, als das Flugzeug am Boden aufsetzte und über das Feld rollte. »Wann darf ich wiederkommen, Herr Ingenieur?«

Der Pilot freute sich über diese gelehrige Schülerin, warf einen vergnügten Blick auf die Enthusiasmierte

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und bemerkte jetzt erst, welch ein schönes Mädchen sie war.

»Morgen um sieben Uhr, wenn Ihnen die frühe Stunde passt.«

»Aber ja, meinetwegen noch früher.«

»Stehen Sie denn so zeitig auf?«

»Ich turne mit dem Radio bereits um sechs Uhr morgens, um sieben bewege ich oft schon die Pferde einer Freundin, die krank daniederliegt.«

»Oh, also eine rühmliche Ausnahme unserer heuti-gen Damenwelt.«

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