Frankfurter Allgemeine Zeitung, Germany, 25 June 2015

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NR. 144 · SEITE R 1 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG DONNERSTAG, 25. JUNI 2015 Reiseblatt Die Hessische Bergstraße ist eines der kleinsten deutschen Weingebiete. Doch sie steckt voller Ideen. Seite 2 Pilgern mit Bus und kirchlicher Begleitung: Eine Rundfahrt in den Fußstapfen des Heiligen Patrick. Seite 7 Überall entlang der Côte d’Azur hat Jean Cocteau Häuser ausgemalt. Eine Spurensuche. Seite 3 Als Bleicke Bleicken die Insel fotografierte, lebten die Bewohner noch von der Landwirtschaft. Seite 8 Rebenland für Genießer Irland inklusive Weihbischof Mittelmeer aus Künstlersicht Sylt vor dem Südenfall E s ist eine Qual, ein Leiden, eine erbärmliche Schinderei. Mat- thias, der Architekt aus Hes- sen, keucht und keucht und schüttet gierig einen halben Li- ter Wasser in sich hinein. Michael aus Sid- ney, von Kopf bis Fuß lehmverschmierter Inhaber einer Softwarefirma, lässt sich fallen, wo er steht, und schläft erschöpft ein. Steve, der in Hongkong eine Zeit- schrift herausgibt, fummelt ein paar Dor- nen aus seinem Finger, die beim verse- hentlichen Griff in einen Schlangenhaut- fruchtbaum stecken geblieben sind. Auf seinem Hemdärmel breitet sich ein klei- ner Blutfleck aus. Offenbar hat er einen der lästigen, aber harmlosen Blutegel nicht rechtzeitig entdeckt und wegge- spickt. Allein Febri, der indonesische Bio- loge, der vorneweg gegangen ist und mit der Machete die sperrigsten Äste wegge- schlagen hat, wirkt völlig entspannt und unangestrengt. Aus der Ferne dringt das Geräusch ei- ner Kettensäge herüber und mischt sich mit dem Gesang der Zikaden und dem Ge- brüll von Siamang-Affen. Drei Stunden lang haben sich die vier durch ein Durch- einander aus Wedeln, Strünken, Ästen und Tentakeln den steilen Hang hochge- hangelt. Immer wieder sind sie auf schmierigen Blättern abgerutscht oder ge- stolpert, weil sie sich in einer der schlin- genförmigen Lianen verheddert haben. Trotz aller Anstrengung haben sie ver- sucht, stets den Boden ringsum im Blick zu behalten: Hat vielleicht irgendwo ein Tier eine Spur hinterlassen? Und sie sind fündig geworden: In einer Baumrinde ha- ben sie Einschnitte entdeckt, so präzise, als hätte jemand mit dem Messer hinein- gestochen. Steve hat den Auswertungsbo- gen herausgeholt und notiert: „Zelle AA 130. Malaienbär. Kratzspuren.“ Jetzt sind sie oben und haben gerade einmal dreihundert Höhenmeter bewäl- tigt. Allen läuft der Schweiß in Strömen über das Gesicht, alle dampfen sie in der Sonne, als wären sie eben einem Fluss ent- stiegen. Verstohlen sehen sie sich an. Die- ser Dschungel ist wahrlich kein Safari- Park. So brütend heiß, so kräftezehrend hat keiner von ihnen sich das Unterneh- men Tigerforschung in Sumatra vorge- stellt. Aber sie haben sich freiwillig dar- auf eingelassen, die vier und ihre beiden Mitstreiterinnen, die im anderen Team un- terwegs sind: Manuela, Internet-Manage- rin aus Bayern, und Tessa, Designerin aus San Francisco. Sie sind zwischen dreißig und sechzig Jahre alt und auf eigene Kos- ten nach Pekanbaru in Zentral-Sumatra geflogen, sie haben ihren Urlaub geopfert und fast 2700 Euro bezahlt, um mitarbei- ten zu dürfen. Jetzt leben sie zwei Wo- chen lang in einem luftigen Haus des World Wildlife Fund (WWF) am Subay- ang-Fluss an der nördlichen Grenze des Rimbang-Baling-Schutzgebiets. Das Ge- lände ist bergig, von tiefen Flusstälern zer- schnitten und unwegsam. Nur deshalb ist der Regenwald hier bisher erhalten geblie- ben und nicht den Palmölplantagen geop- fert worden, die inzwischen weit mehr als die Hälfte Sumatras bedecken. Zwei Wochen lang teilen sie sich mit ei- ner Handvoll WWF-Angestellten drei Toi- letten, schlafen im großen Aufenthalts- raum, auf der Veranda oder in Zelten und steigen jeden Morgen in Hemden und Ho- sen, die in der schwülfeuchten Luft ein- fach nicht mehr trocknen wollen. Sie sind die Ersten, die Vorhut. Erstmals bietet der englische Veranstalter Biosphere Ex- peditions diese zweiwöchige Tour sechs Mal hintereinander an. Um die fünfzig In- teressierte werden in diesem Sommer als „Fußsoldaten der Wissenschaft“ Daten über den Lebensraum des Tigers und sei- ner Beutetiere sammeln, und ebenso vie- le weitere jedes Jahr danach. Denn ob es um Schneeleoparden im Altai geht, um Korallen in Oman oder um Wale auf den Azoren: die Projekte von Biosphere Expe- ditions sind langfristig angelegt. Wissen- schaftler und Naturschutzorganisationen, die mit der Firma zusammenarbeiten, können sich darauf verlassen, auf Dauer unterstützt zu werden. Jeden Morgen organisieren sich die Teilnehmer in zwei Teams. Das Material wurde schon am Vorabend zurechtgelegt: Karten, Kompass, GPS-Geräte. Tessa trägt heute das Schlangen-Notfallset, blau- er Rucksack, Außentasche, hat das jeder verstanden? Wer ist diesmal für Notizen zuständig, wer packt die beiden Kamera- fallen ein, die an geeigneten Stellen ange- bracht werden müssen? Ein Stück Mar- kierband für die Anlegestelle muss noch mit und auf jeden Fall der „Personal loca- tor beacon“, ein Gerät, das im äußersten Notfall die eigene Position per Satellit zum WWF nach Pekanbaru übermittelt. Während der ersten beiden Tage im Camp haben alle eine ausführliche Ein- führung erhalten: Welche Tiere hinterlas- sen welche Spuren? Wie markiert man ei- nen Punkt mit dem GPS-Gerät? Was macht man, wenn man sein Team verlo- ren hat? Wie nimmt man eine Kotprobe, ohne sie mit menschlicher DNA zu verun- reinigen? Gleichzeitig haben sich die Frei- willigen in den wissenschaftlichen Hinter- grund des Projekts eingearbeitet: Der Su- matra-Tiger, Panthera tigris sumatrae, ist die kleinste aller Tigerarten und akut vom Aussterben bedroht. Etwa dreihun- dert Exemplare, schätzt die indonesische Regierung, gibt es noch. D er WWF untersucht seit 2004 den Bestand und hat mit sei- nen Kamerafallen bisher etwa fünfzig Einzeltiere iden- tifiziert. In Rimbang Baling sind drei Exemplare erfasst worden, die Arbeiten dort stehen erst am Anfang. Die Forscher haben ganz Sumatra in sehr viele, zwei mal zwei Kilometer große Zel- len aufgeteilt. Diese Planquadrate wer- den zu Fuß nach Spuren von Tigern und ihren Beutetieren abgesucht. An geeigne- ten Stellen werden Kamerafallen ange- bracht, in den Dörfern Menschen nach ih- ren Erfahrungen mit Tigern befragt. Die gesammelten Daten sollen am Ende in Vorschläge an die Regierung münden, welche Teile Sumatras besonders streng zu schützen sind. Mit einem der Langboote geht es jeden Morgen den Subayang hinauf oder hin- unter zum Ausgangspunkt für den Marsch in ein neues Planquadrat. Dort wird das Team abgesetzt und nachmittags wieder abgeholt. In der bergigen Land- schaft links und rechts des Flusses liegen zahlreiche Kautschukplantagen. Ange- legt wurden sie vor etwa dreißig Jahren, als die weltweite Nachfrage nach Natur- gummi wieder stieg. Zwei, drei Tage, sagt Febri, der Projektleiter des WWF, müsse man vom Fluss wegmarschieren, um den Primärwald, den jungfräulichen Dschun- gel, zu erreichen. Er ist mit seinen vier Forscherteams oft zwei Wochen lang un- terwegs. In Gummistiefeln stapfen die jungen Leute hügelauf, hügelab, und je- der schleppt im Rucksack mehr als zwan- zig Kilogramm Material und Verpflegung mit sich. Die Freiwilligen dagegen wandern vom Fluss aus für sechs, sieben Stunden in die gewählte Zelle, mal quer durchs Ge- strüpp, mal eines der zahlreichen Flusstä- ler hinauf. Sticht an einem Tag die Sonne gnadenlos, prasselt am anderen ein tropi- sches Trommelfeuer vom Himmel, als wäre die Sintflut ausgebrochen. Manch- mal schlängeln sich Pfade von Kautschuk- sammlern durch den Wald, aber sie verlie- ren sich, je tiefer man vordringt. Die Hobbyforscher klettern über glitschige Steine, über das Wurzelgewirr umgestürz- ter Bäume und durch Felstunnel, die vom Wasser gegraben wurden und in denen Hunderte von Fledermäusen aufflattern. Handtellergroße Schmetterlinge in Metal- lic-Blau gaukeln über Lichtungen, Amei- sen ziehen in dichten Kolonnen an farben- frohen Pilzen vorbei, ein borstiger, roter Tausendfüßler ringelt sich am Boden. Manchmal wühlt ein Wildschwein unge- niert die Erde neben einem Bambushorst auf, oder ein mächtiger Waran schwimmt durch den Fluss. „Off the beaten track“ – was Reiseveranstalter manchmal groß- sprecherisch als Abenteuer ankündigen, trifft hier tatsächlich zu: Oft muss der Pfad erst noch geschlagen werden. Es gibt Flüsse, die durch enge Schluch- ten schießen, und andere, breite, mit kiesi- gem oder lehmigem Grund. Bis zum Knie, bis zur Hüfte, bis zur Brust im Wasser wa- tet man hindurch, hinterher schmatzt und schwappt es in den Stiefeln. Manchmal wartet am Ende ein bemooster Wasserfall als erfrischende Naturdusche. Und immer lautet die Tageslosung: Augen auf! Maka- ken toben durch die Bäume, Spuren von Tapiren, von Muntjak-Hirschen und Ot- tern werden gesichtet. Von dem aber, um den sich alles dreht, findet sich nicht das geringste Anzeichen. Mit neunundneun- zigprozentiger Sicherheit, hatte Expediti- onsleiter Ronald schon am ersten Tag ge- warnt, werde man keinen Tiger zu Gesicht bekommen. Und er behält recht. Außer Blasen an den Füßen und einem angeschlagenen Ellbogen sind keine Ver- letzungen zu beklagen – jedenfalls bis An- thony, der die kommenden Touren führen wird, im Subayang ein Bad nimmt, durch den Schlick watet und plötzlich auf- schreit: Ein Fisch oder eine Schildkröte hat ihn in den Zeh gebissen. Die Wunde blutet heftig, aber der vorgesehene Not- fallplan funktioniert: Mit dem Boot wird er in die nächste Kleinstadt gebracht, in der eine Sanitäterin in der Ambulanz das Loch gekonnt mit einem Stich näht. A uch Interviews mit Vogelfän- gern, Fischern oder Markt- händlern gehören zur Arbeit. Nein, sagen sie übereinstim- mend, einen Tiger hätten sie in dieser Gegend noch nie zu Gesicht be- kommen. Auch hätten sie nichts davon ge- hört, dass Ziegen von Tigern angefallen worden wären, wie es anderswo vor- kommt. Vor langer Zeit, sagt eine alte Frau in Tanjung Belit, habe es die Katzen wohl auch hier gegeben, ihr Großvater habe davon erzählt. Das Dorf macht ei- nen wohlhabenden Eindruck. Zementsäu- len zieren die Eingänge der Häuser, große Satellitenschüsseln stehen daneben, die eine oder andere Familie leistet sich bun- te Glasfenster mit Vogelmotiven. Fast alle der eintausend Einwohner leben vom Kautschuk, sagt Sapri, der Bootsfahrer, und das nicht schlecht. Er selbst hat tau- send Bäume. Aus der angeschnittenen Rinde rinnt der weiße Saft in kleine Scha- len, die täglich geleert werden. An man- chen Stellen im Wald riecht es süßlich. Meist findet sich dann in der Nähe ein Loch im Erdboden, in dem der Latexsaft mit Säure gemischt wird, gerinnt und sich verfestigt. Vierzig Kilo wiegt einer der fer- tigen Kautschukballen. Auf dem Subay- ang fahren Boote flussabwärts, die ein Dutzend solcher Pakete hinter sich herzie- hen wie Perlen an einer Schnur. Gleich hinter dem Dorf erheben sich zwischen den Kautschukbäumen majestä- tische Baumriesen, zwanzig, dreißig Me- ter hoch. Manche sind mit dreieckigen, hohl klingenden Brettwurzeln im Boden verankert, auf den Ästen wachsen Epiphy- ten und Farne. Hinter einer Flussbiegung kommen dem Team Wasser zwei junge Männer entgegen. Jeder treidelt an einem Seil zwei Dutzend sorgfältig zurechtgesäg- Fortsetzung auf der folgenden Seite Sisyphos in Planquadrat AA 130 Niemand weiß, wie viele Sumatra-Tiger noch existieren, doch gewiss ist, dass es extrem wenige sind. Das macht die Suche nach ihnen so schwierig. Und das Glück, eine Raubkatze zu Gesicht zu bekommen, ist den wenigsten Hobbyforschern vergönnt. Foto Franz Lerchenmüller Der wahre Dschungelkönig: ein Sumatra-Tiger in voller Pracht Foto imago / Harald Lange Wer als „Fußsoldat der Wissenschaft“ zwei Wochen lang im Regenwald Daten über den bedrohten Sumatra-Tiger sammelt, muss mit immer nassen Hemden, gierigen Blutegeln und dornigen Lianen zurechtkommen – und gerät manchmal auch ins Zweifeln. Von Franz Lerchenmüller

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Two page feature of Sumatra tiger expedition

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NR. 144 · SEITE R 1FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG DONNERSTAG, 25. JUNI 2015ReiseblattDie Hessische Bergstraße ist einesder kleinsten deutschen Weingebiete.Doch sie steckt voller Ideen. Seite 2

Pilgern mit Bus und kirchlicherBegleitung: Eine Rundfahrt in denFußstapfen des Heiligen Patrick. Seite 7

Überall entlang der Côte d’Azurhat Jean Cocteau Häuser ausgemalt.Eine Spurensuche. Seite 3

Als Bleicke Bleicken die Inselfotografierte, lebten die Bewohnernoch von der Landwirtschaft. Seite 8

Rebenland für Genießer Irland inklusive WeihbischofMittelmeer aus Künstlersicht Sylt vor dem Südenfall

Es ist eine Qual, ein Leiden, eineerbärmliche Schinderei. Mat-thias, der Architekt aus Hes-sen, keucht und keucht undschüttet gierig einen halben Li-

ter Wasser in sich hinein. Michael aus Sid-ney, von Kopf bis Fuß lehmverschmierterInhaber einer Softwarefirma, lässt sichfallen, wo er steht, und schläft erschöpftein. Steve, der in Hongkong eine Zeit-schrift herausgibt, fummelt ein paar Dor-nen aus seinem Finger, die beim verse-hentlichen Griff in einen Schlangenhaut-fruchtbaum stecken geblieben sind. Aufseinem Hemdärmel breitet sich ein klei-ner Blutfleck aus. Offenbar hat er einender lästigen, aber harmlosen Blutegelnicht rechtzeitig entdeckt und wegge-spickt. Allein Febri, der indonesische Bio-loge, der vorneweg gegangen ist und mitder Machete die sperrigsten Äste wegge-schlagen hat, wirkt völlig entspannt undunangestrengt.

Aus der Ferne dringt das Geräusch ei-ner Kettensäge herüber und mischt sichmit dem Gesang der Zikaden und dem Ge-brüll von Siamang-Affen. Drei Stundenlang haben sich die vier durch ein Durch-einander aus Wedeln, Strünken, Ästenund Tentakeln den steilen Hang hochge-hangelt. Immer wieder sind sie aufschmierigen Blättern abgerutscht oder ge-stolpert, weil sie sich in einer der schlin-genförmigen Lianen verheddert haben.Trotz aller Anstrengung haben sie ver-sucht, stets den Boden ringsum im Blickzu behalten: Hat vielleicht irgendwo einTier eine Spur hinterlassen? Und sie sindfündig geworden: In einer Baumrinde ha-ben sie Einschnitte entdeckt, so präzise,als hätte jemand mit dem Messer hinein-gestochen. Steve hat den Auswertungsbo-gen herausgeholt und notiert: „Zelle AA130. Malaienbär. Kratzspuren.“

Jetzt sind sie oben und haben geradeeinmal dreihundert Höhenmeter bewäl-tigt. Allen läuft der Schweiß in Strömenüber das Gesicht, alle dampfen sie in derSonne, als wären sie eben einem Fluss ent-stiegen. Verstohlen sehen sie sich an. Die-ser Dschungel ist wahrlich kein Safari-Park. So brütend heiß, so kräftezehrendhat keiner von ihnen sich das Unterneh-men Tigerforschung in Sumatra vorge-stellt. Aber sie haben sich freiwillig dar-auf eingelassen, die vier und ihre beidenMitstreiterinnen, die im anderen Team un-terwegs sind: Manuela, Internet-Manage-rin aus Bayern, und Tessa, Designerin ausSan Francisco. Sie sind zwischen dreißigund sechzig Jahre alt und auf eigene Kos-ten nach Pekanbaru in Zentral-Sumatrageflogen, sie haben ihren Urlaub geopfertund fast 2700 Euro bezahlt, um mitarbei-ten zu dürfen. Jetzt leben sie zwei Wo-chen lang in einem luftigen Haus desWorld Wildlife Fund (WWF) am Subay-

ang-Fluss an der nördlichen Grenze desRimbang-Baling-Schutzgebiets. Das Ge-lände ist bergig, von tiefen Flusstälern zer-schnitten und unwegsam. Nur deshalb istder Regenwald hier bisher erhalten geblie-ben und nicht den Palmölplantagen geop-fert worden, die inzwischen weit mehr alsdie Hälfte Sumatras bedecken.

Zwei Wochen lang teilen sie sich mit ei-ner Handvoll WWF-Angestellten drei Toi-letten, schlafen im großen Aufenthalts-raum, auf der Veranda oder in Zelten undsteigen jeden Morgen in Hemden und Ho-sen, die in der schwülfeuchten Luft ein-fach nicht mehr trocknen wollen. Sie sinddie Ersten, die Vorhut. Erstmals bietetder englische Veranstalter Biosphere Ex-peditions diese zweiwöchige Tour sechsMal hintereinander an. Um die fünfzig In-teressierte werden in diesem Sommer als„Fußsoldaten der Wissenschaft“ Daten

über den Lebensraum des Tigers und sei-ner Beutetiere sammeln, und ebenso vie-le weitere jedes Jahr danach. Denn ob esum Schneeleoparden im Altai geht, umKorallen in Oman oder um Wale auf denAzoren: die Projekte von Biosphere Expe-ditions sind langfristig angelegt. Wissen-schaftler und Naturschutzorganisationen,die mit der Firma zusammenarbeiten,können sich darauf verlassen, auf Dauerunterstützt zu werden.

Jeden Morgen organisieren sich dieTeilnehmer in zwei Teams. Das Materialwurde schon am Vorabend zurechtgelegt:Karten, Kompass, GPS-Geräte. Tessaträgt heute das Schlangen-Notfallset, blau-er Rucksack, Außentasche, hat das jederverstanden? Wer ist diesmal für Notizenzuständig, wer packt die beiden Kamera-fallen ein, die an geeigneten Stellen ange-bracht werden müssen? Ein Stück Mar-

kierband für die Anlegestelle muss nochmit und auf jeden Fall der „Personal loca-tor beacon“, ein Gerät, das im äußerstenNotfall die eigene Position per Satellitzum WWF nach Pekanbaru übermittelt.

Während der ersten beiden Tage imCamp haben alle eine ausführliche Ein-führung erhalten: Welche Tiere hinterlas-sen welche Spuren? Wie markiert man ei-nen Punkt mit dem GPS-Gerät? Wasmacht man, wenn man sein Team verlo-ren hat? Wie nimmt man eine Kotprobe,ohne sie mit menschlicher DNA zu verun-reinigen? Gleichzeitig haben sich die Frei-willigen in den wissenschaftlichen Hinter-grund des Projekts eingearbeitet: Der Su-matra-Tiger, Panthera tigris sumatrae, istdie kleinste aller Tigerarten und akutvom Aussterben bedroht. Etwa dreihun-dert Exemplare, schätzt die indonesischeRegierung, gibt es noch.

Der WWF untersucht seit 2004den Bestand und hat mit sei-nen Kamerafallen bisheretwa fünfzig Einzeltiere iden-tifiziert. In Rimbang Baling

sind drei Exemplare erfasst worden, dieArbeiten dort stehen erst am Anfang.Die Forscher haben ganz Sumatra in sehrviele, zwei mal zwei Kilometer große Zel-len aufgeteilt. Diese Planquadrate wer-den zu Fuß nach Spuren von Tigern undihren Beutetieren abgesucht. An geeigne-ten Stellen werden Kamerafallen ange-bracht, in den Dörfern Menschen nach ih-ren Erfahrungen mit Tigern befragt. Diegesammelten Daten sollen am Ende inVorschläge an die Regierung münden,welche Teile Sumatras besonders strengzu schützen sind.

Mit einem der Langboote geht es jedenMorgen den Subayang hinauf oder hin-unter zum Ausgangspunkt für denMarsch in ein neues Planquadrat. Dortwird das Team abgesetzt und nachmittagswieder abgeholt. In der bergigen Land-schaft links und rechts des Flusses liegenzahlreiche Kautschukplantagen. Ange-

legt wurden sie vor etwa dreißig Jahren,als die weltweite Nachfrage nach Natur-gummi wieder stieg. Zwei, drei Tage, sagtFebri, der Projektleiter des WWF, müsseman vom Fluss wegmarschieren, um denPrimärwald, den jungfräulichen Dschun-gel, zu erreichen. Er ist mit seinen vierForscherteams oft zwei Wochen lang un-terwegs. In Gummistiefeln stapfen diejungen Leute hügelauf, hügelab, und je-der schleppt im Rucksack mehr als zwan-zig Kilogramm Material und Verpflegungmit sich.

Die Freiwilligen dagegen wandern vomFluss aus für sechs, sieben Stunden in diegewählte Zelle, mal quer durchs Ge-strüpp, mal eines der zahlreichen Flusstä-ler hinauf. Sticht an einem Tag die Sonnegnadenlos, prasselt am anderen ein tropi-sches Trommelfeuer vom Himmel, alswäre die Sintflut ausgebrochen. Manch-mal schlängeln sich Pfade von Kautschuk-sammlern durch den Wald, aber sie verlie-ren sich, je tiefer man vordringt. DieHobbyforscher klettern über glitschigeSteine, über das Wurzelgewirr umgestürz-ter Bäume und durch Felstunnel, die vomWasser gegraben wurden und in denenHunderte von Fledermäusen aufflattern.Handtellergroße Schmetterlinge in Metal-lic-Blau gaukeln über Lichtungen, Amei-sen ziehen in dichten Kolonnen an farben-frohen Pilzen vorbei, ein borstiger, roterTausendfüßler ringelt sich am Boden.Manchmal wühlt ein Wildschwein unge-niert die Erde neben einem Bambushorstauf, oder ein mächtiger Waran schwimmtdurch den Fluss. „Off the beaten track“ –was Reiseveranstalter manchmal groß-sprecherisch als Abenteuer ankündigen,trifft hier tatsächlich zu: Oft muss derPfad erst noch geschlagen werden.

Es gibt Flüsse, die durch enge Schluch-ten schießen, und andere, breite, mit kiesi-gem oder lehmigem Grund. Bis zum Knie,bis zur Hüfte, bis zur Brust im Wasser wa-tet man hindurch, hinterher schmatzt undschwappt es in den Stiefeln. Manchmalwartet am Ende ein bemooster Wasserfallals erfrischende Naturdusche. Und immerlautet die Tageslosung: Augen auf! Maka-

ken toben durch die Bäume, Spuren vonTapiren, von Muntjak-Hirschen und Ot-tern werden gesichtet. Von dem aber, umden sich alles dreht, findet sich nicht dasgeringste Anzeichen. Mit neunundneun-zigprozentiger Sicherheit, hatte Expediti-onsleiter Ronald schon am ersten Tag ge-warnt, werde man keinen Tiger zu Gesichtbekommen. Und er behält recht.

Außer Blasen an den Füßen und einemangeschlagenen Ellbogen sind keine Ver-letzungen zu beklagen – jedenfalls bis An-thony, der die kommenden Touren führenwird, im Subayang ein Bad nimmt, durchden Schlick watet und plötzlich auf-schreit: Ein Fisch oder eine Schildkrötehat ihn in den Zeh gebissen. Die Wundeblutet heftig, aber der vorgesehene Not-fallplan funktioniert: Mit dem Boot wirder in die nächste Kleinstadt gebracht, inder eine Sanitäterin in der Ambulanz dasLoch gekonnt mit einem Stich näht.

Auch Interviews mit Vogelfän-gern, Fischern oder Markt-händlern gehören zur Arbeit.Nein, sagen sie übereinstim-mend, einen Tiger hätten sie

in dieser Gegend noch nie zu Gesicht be-kommen. Auch hätten sie nichts davon ge-hört, dass Ziegen von Tigern angefallenworden wären, wie es anderswo vor-kommt. Vor langer Zeit, sagt eine alteFrau in Tanjung Belit, habe es die Katzenwohl auch hier gegeben, ihr Großvaterhabe davon erzählt. Das Dorf macht ei-nen wohlhabenden Eindruck. Zementsäu-len zieren die Eingänge der Häuser, großeSatellitenschüsseln stehen daneben, dieeine oder andere Familie leistet sich bun-te Glasfenster mit Vogelmotiven. Fast alleder eintausend Einwohner leben vomKautschuk, sagt Sapri, der Bootsfahrer,und das nicht schlecht. Er selbst hat tau-send Bäume. Aus der angeschnittenenRinde rinnt der weiße Saft in kleine Scha-len, die täglich geleert werden. An man-chen Stellen im Wald riecht es süßlich.Meist findet sich dann in der Nähe einLoch im Erdboden, in dem der Latexsaftmit Säure gemischt wird, gerinnt und sichverfestigt. Vierzig Kilo wiegt einer der fer-tigen Kautschukballen. Auf dem Subay-ang fahren Boote flussabwärts, die einDutzend solcher Pakete hinter sich herzie-hen wie Perlen an einer Schnur.

Gleich hinter dem Dorf erheben sichzwischen den Kautschukbäumen majestä-tische Baumriesen, zwanzig, dreißig Me-ter hoch. Manche sind mit dreieckigen,hohl klingenden Brettwurzeln im Bodenverankert, auf den Ästen wachsen Epiphy-ten und Farne. Hinter einer Flussbiegungkommen dem Team Wasser zwei jungeMänner entgegen. Jeder treidelt an einemSeil zwei Dutzend sorgfältig zurechtgesäg-

Fortsetzung auf der folgenden Seite

Sisyphos in Planquadrat AA 130Niemand weiß, wie viele Sumatra-Tiger noch existieren, doch gewiss ist, dass es extrem wenige sind. Das macht die Suche nach ihnen so schwierig. Und das Glück, eine Raubkatze zu Gesicht zu bekommen, ist den wenigsten Hobbyforschern vergönnt. Foto Franz Lerchenmüller

Der wahre Dschungelkönig: ein Sumatra-Tiger in voller Pracht Foto imago / Harald Lange

Wer als „Fußsoldat der Wissenschaft“ zwei Wochen lang im Regenwald Daten über denbedrohten Sumatra-Tiger sammelt, muss mit immer nassen Hemden, gierigen Blutegeln unddornigen Lianen zurechtkommen – und gerät manchmal auch ins Zweifeln.Von Franz Lerchenmüller

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SEITE R 2 · DONNERSTAG, 25. JUNI 2015 · NR. 144 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGReiseblatt

Der Riesling wird rot. Daranglaubt jedenfalls der Winzerund Rebzüchter Reinhard An-tes in Heppenheim. Seit Jahren

kümmert er sich mit besonderer Leiden-schaft um den Roten Riesling, die wieder-entdeckte Urform der Rieslingrebe, dieebenfalls einen Weißwein ergibt. Dierote Traube ist das Original, die Urmut-ter des Rieslings, denn in ihr finden sichMutationen zu weißen Beeren, niemalsaber umgekehrt. Noch im neunzehntenJahrhundert stand der Rote Riesling alsTeil des gemischten Satzes in deutschenWeinbergen, wurde dann aber Schritt fürSchritt verdrängt. Der Wein ist extraktrei-cher und kräftiger im Geschmack alssein bewährtes Pendant, und obwohl ersich in guten bis sehr guten Lagen be-währt, reicht er nach wenigen erprobtenJahrgängen doch noch längst nicht andessen Klasse heran. Was Vermehrung,Veredlung und Anpassung an die besten

Böden leisten können, wird sich in derZukunft zeigen. In Zeiten der Klimaer-wärmung, in denen der Weiße Rieslingim Spätsommer von Fäulnis bedroht ist,kann die rote Traube durch ihren Farb-stoff dem Schimmel besser trotzen. „Eswäre fahrlässig, wenn wir sie nicht ver-mehrt anbauen würden“, sagt der Reb-züchter aus Heppenheim, „denn langfris-tig könnte sie sich in den klassischendeutschen Rieslingregionen als geeigne-te Option erweisen.“

Für die Hessische Bergstraße, derenWeinproduktion zur Hälfte aus Rieslingbesteht, sind Klimastrategien lebenswich-tig. Der Winzer Hanno Rothweiler in Bens-heim-Auerbach, das Weingut der StadtBensheim und einige Mitglieder der Ge-nossenschaft Bergsträßer Winzer folgenReinhard Antes bereits, so dass inzwi-schen fünfzehn Hektar mit der histori-schen Rebe bestockt sind – nicht viel unddennoch das weltweit größte Anbaugebietdes Roten Rieslings überhaupt. „Viel Neu-es im Weinbau verschwindet nach einigenJahren wieder“, meint Hanno Rothweiler,„aber der Rote Riesling wird bleiben.“ An-dere Weingüter wie Simon-Bürkle in Zwin-genberg oder Seitz in Bensheim zeigensich skeptisch. Johannes Bürkle konzen-triert sich neben dem klassischen Rieslingdeshalb auf Grau- und Weißburgunder so-wie auf Aromasorten wie Muskateller, Au-xerrois oder Gewürztraminer, die er über-raschend trocken ausbaut. Außerdem bie-tet die kleinteilige Topographie der Berg-straße seiner Ansicht nach genügend Mög-lichkeiten, den Weißen Riesling in kühle-ren Lagen anzupflanzen: weiter oben amBerg oder nach Westen ausgerichtet. „DerWeiße Riesling ist es und bleibt es“, ist des-halb auch die Überzeugung von PeterSchott, Inhaber des Weinguts Seitz. Aus-nahmslos einig aber ist man sich, dass dieSüdhänge für diese Rebsorte in Zukunftnicht mehr zu den Spitzenlagen gehörenwerden.

Mit dem Roten Riesling steht die Hessi-sche Bergstraße erst am Anfang einer Re-naissance historischer Reben. Schonzweihundert Jahre bevor er in Kalifor-nien Karriere machte, wurde der Zinfan-del nachweislich an der Bergstraße kulti-viert. Jetzt wird daraus wieder ein ordent-licher Wein gekeltert. Er ist im Momentnoch eine Rarität der GenossenschaftBergsträßer Winzer, die im Jahr etwaachthundert Flaschen produziert. Auchmit Rosa Chardonnay, einer seltenenFarbmutation des Weißen Chardonnay,experimentieren die südhessischen Win-zer und haben als erste in Deutschland ei-

nen kompletten Weinberg damit be-pflanzt. Ähnlich wie beim Roten Rieslingschützt die rote Farbe die Traube vor dergefürchteten Botrytis. Wie es mit Zinfan-del oder Rosa Chardonnay weitergehenkönnte, zeigt die Rebsorte Saint Laurent,die in Deutschland erst Mitte der neunzi-ger Jahre eingeführt wurde und inzwi-schen weit verbreitet ist. So führt die Er-derwärmung zu erstaunlichen Verschie-bungen. „Wir sind hier längst nicht mehram äußersten Nordrand des europäi-schen Weinbaus, sondern in seinem privi-legierten Zentrum“, sagt Reinhard An-tes. Während er schon seit Jahren Zehn-tausende von Rebstöcken nach Polen,Skandinavien und Großbritannien lie-fert, fragen deutsche Winzer zunehmendmediterrane Sorten nach. „Klimawandelpur“ nennt das der Rebzüchter.

Welche Möglichkeiten im hiesigenWeinbau stecken, zeigt der Weingartenam Steinkopf oberhalb von Heppenheim,in dem zu Versuchszwecken historischeund autochthone Bergsträßer Rebsortenmit kuriosen Namen gepflanzt sind, vondenen bisher kaum jemand Notiz genom-men hat: Weißer Heunisch und BlauerWillbacher, Putzscheere, Mehlweiße,Hanns, Blauer Affenthaler, Fitzrebe, Fürs-tentraub, Gelbhölzer oder Schwarzer Ur-ban. An der Bergstraße konnten in denWeingärten zahlreiche alte Sorten überle-ben, weil dort nicht so radikale Flurberei-nigungen stattgefunden haben wie in an-deren Weinbauregionen. „Die ältesten Sa-chen sind dann manchmal die neuesten“,sagt Winzer Peter Schott und füllt probe-weise ein paar Flaschen Blauen Willba-

cher ab. Hanno Rothweiler wiederum ex-perimentiert auf seinen sechs HektarLand mit einer Vielzahl von Rebsortenund keltert daraus sage und schreibe fünf-unddreißig verschiedene Weine, darunterRaritäten wie Ehrenfelser, Gelben Muska-teller oder Cabernet-Sauvignon Weiß-herbst. Selbst die Spitzenlage AuerbacherFürstenlager ist ihm nicht zu schade für ei-nen Versuch mit der kuriosen Sorte Daka-po, einer Kreuzung aus Portugieser undDeckrot, die mitten in Deutschland einenwürzigen, mediterran anmutenden Rot-wein mit weicher Säure ergibt.

So machen die Winzer der HessischenBergstraße das Beste aus ihren beschränk-ten Möglichkeiten. Schließlich verfügensie lediglich über vierhundertdreißig Hek-tar in dreiundzwanzig Einzellagen. Das ist

weniger als ein halbes Prozent der gesam-ten deutschen Weinbaufläche und weni-ger, als viele einzelne Weinbaugemeindenwie Nierstein, Bingen oder Bad Dürkheimallein besitzen. Nüchtern betrachtet, istdas kleinste deutsche Weinbaugebiet ohne-hin ein bürokratischer Blödsinn, einer derabsonderlichen Auswüchse hiesiger Wein-baugesetzgebung. Bis zum Jahr 1971 kann-te man nur die Bergstraße als Ganzes – dieWeinberge am westlichen Rand des Oden-walds zwischen Darmstadt und Heidel-berg. Dann wurde die Region an der hes-sisch-badischen Landesgrenze etwa zugleichen Teilen aufgespalten, seither ge-hört der südliche Abschnitt zum Weinbau-gebiet Baden, und die Hessen sind selb-ständig. Geologie und Klima sowie die Be-schaffenheit des gesamten Naturraumssprechen gegen diese Aufteilung, aber dieWinzer haben sich damit arrangiert, unddie meisten sind gar nicht unzufrieden.Wenigstens, so heißt es, habe man die Hes-sische Bergstraße nicht dem Rheingau zu-geschlagen, was ursprünglich auch im Ge-spräch war. So aber konnte man eine eige-ne Identität entwickeln, während sich dieKollegen auf der südlichen Seite in derVielfalt der badischen Weinregionen et-was verloren vorkommen.

A uch die Besucher genießen dieVorteile eines überschaubarenAnbaugebiets, erhalten sie dochrasch einen Überblick über

Landschaft, Weinbau und Weine. Als bes-ter Einstieg empfiehlt sich der Erlebnis-pfad „Wein und Stein“ oberhalb von Hep-penheim. Der sieben Kilometer langeRundweg führt durch die Weinberge zwi-schen Heppenheimer Steinkopf und Bens-heimer Paulus, wobei sich die Rebzeilenabwechseln mit kleinen Waldstücken,Streuobstwiesen und Gemüsegärten.Man blickt weit in den Rheingraben hin-ein bis zu den Chemieschloten von Lud-wigshafen, den Hochhäusern von Mann-heim und den Höhenzügen des PfälzerWaldes. Nach Osten öffnet sich das Pano-

rama auf die Höhen des Odenwaldes, undimmer wieder tauchen die Silhouettender mittelalterlichen Burgruinen von Hep-penheim und Auerbach auf. Pittoresk da-zwischen stehen die ebenso schlicht wieeigenwillig konstruierten Weinbergs-häuschen, einzelne Mandel- und Kirsch-bäume, Fliederbüsche und Brombeerhe-cken. Informationstafeln zu vielen Aspek-ten des Weinbaus und der Weinkultur ste-hen am Wegrand und werden ergänztdurch Kunstwerke und Skulpturen zumThema „Wein und Stein“. Der Pfad führtauch vorbei an der prämierten „schöns-ten Weinsicht der Bergstraße“: ein Aus-blick über die Rebflächen am Steinkopfund dahinter auf den HeppenheimerSchlossberg mit der Starkenburg.

Die Erhaltung dieser Weinbergsland-schaft ist eine Herausforderung. Zahlrei-che Flächen, vor allem an den Steilhän-gen, sind in den vergangenen Jahrzehn-ten von den Weinbauern aufgegeben wor-den und streckenweise verbuscht. Um die-sen Prozess zu stoppen, zahlt die Genos-senschaft Bergsträßer Winzer ihren Mit-gliedern jetzt für den Anbau in Steillageneinen erheblichen Zuschuss. Auch Win-zer Hanno Rothweiler hält an seinenSteillagen fest und sieht sich deshalbnicht nur als Weinbauer, sondern zu-gleich als Hüter der Landschaft. Beson-ders verdient um den Bestand dieser vomMenschen gestalteten Natur macht sichdie Winzergemeinschaft Feligreno rundum die Lage Alte Burg in Zwingenberg.Als Seiteneinsteiger engagieren sich dreiFamilien am steilen Westhang des Meli-bokus, der höchsten Erhebung an derBergstraße, für ökologischen Weinbauund die Pflege der Weinterrassen. Zusam-men mit seinen Mitstreitern ist GeroldHartmann freilich kaum mehr als einHobbywinzer. Aus den Verkäufen seinerRieslinge und Grauburgunder allein istdie Erhaltung der idyllisch anmutendenKulturlandschaft nicht zu finanzieren.„Aber wir dürfen so ein Juwel nicht ver-lieren“, sagt der studierte Biologe.

Aus diesem Grund wird jetzt mit Unter-stützung der Gemeinde und anderenZwingenberger Winzern eine zurückhal-tende Flurbereinigung stattfinden, die inder Lage Alte Burg eine verwilderte Mo-nokultur aus Brombeerhecken verhin-dern soll, ohne dass deshalb eine langwei-lige Traubenplantage entsteht. Nicht Pla-nieren und Nivellieren ist das Ziel, son-dern eine sinnvolle Neugestaltung vonFlächen, die zur Erhaltung der landschaft-lichen Eigenheiten und der Artenvielfaltvon Fauna und Flora beiträgt. Weil dieAlte Burg nach Westen ausgerichtet ist,könnte sie auf diese Weise sogar eine derzukünftigen Spitzenlagen an der Hessi-schen Bergstraße werden. Damit auch die-ser Teil des Weinbaugebietes für Besu-cher erlebbar und erfahrbar wird, ist einmodernes Weinbergshäuschen geplant –ein Treffpunkt für Natur- und Weinliebha-ber, in dem der Weinbau durch Ausstel-lungen und Weinproben inszeniert wer-den soll.

Ein anderes Bauwerk, das sich mit Gra-nit und Sandstein den geologischen Vor-gaben von Bergstraße und Odenwald un-terordnet, ist bereits vor wenigen Mona-ten in Heppenheim eröffnet worden. Vi-niversum heißt die lichtdurchflutete Vi-nothek der Bergsträßer Winzer, in derknapp hundert verschiedene Weine pro-biert und gekauft werden können, dar-unter auch die Exklusivserie „Wein undStein“, deren Trauben in den Lagen amgleichnamigen Erlebnispfad wachsen.Auf Bildschirmen laufen Videos überWeine und Weinbau, an Computerstatio-nen können sich Besucher Expertisen zusämtlichen angebotenen Weinen anse-hen und ausdrucken. Ergänzt wird dieseWeinerlebniswelt durch eine Designer-Lounge und eine Kinderecke mit einemeinfallsreich konstruierten For-mel-1-Rennwagen aus drei Holzfässern –schließlich befindet man sich im Geburts-ort von Sebastian Vettel. Der Rennfahreraus Heppenheim ist heimatverbundenund betätigt sich deshalb auch als Bot-schafter der Bergstraße. Dazu gehörenein gelegentlicher Ernteeinsatz im Wein-berg sowie sein Autogramm auf dem Eti-kett der Rotwein-Cuvée HeppenheimerSteinkopf, die sich aus mehr als fünfzighistorischen Rebsorten zusammensetzt –in vielerlei Hinsicht also der Signatur-wein der Hessischen Bergstraße.

ter, rötlicher Holzplanken flussabwärts.Zweihundert Meter weiter folgen fünf wei-tere Kollegen, alle mit Tropenholz im Ge-folge. Sie blicken verlegen oder trotzig,das schlechte Gewissen ist unübersehbar.Immer wieder finden sich am Ufer jetzteinfache Unterstände, Plätze, an denengesägt wurde. Michael, höchst zornigüber den Waldfrevel, zählt Stämme, die ir-gendwann gefällt wurden, liegengeblie-ben sind und nun einfach verrotten. DieBegegnung mit dem illegalen Holzhandelführt abends zu lebhaften Diskussionenin der Gruppe. Denn auch auf dem Subay-ang sind immer wieder Boote unterwegs,die Flöße aus fünfzig Stämmen imSchlepptau haben. Wenn jede Woche al-lein hier ein paar Fußballfelder an Regen-wald vernichtet werden und die Zivilisati-on sich von den Rändern her immer mehrin das Schutzgebiet hineinfrisst – welchenSinn macht dann die eigene, kleine Arbeitnoch? Es ist ausgerechnet Febri, deroberste Naturschützer, der für Verständ-nis plädiert: Diese Leute seien keine Kri-minellen. Sie schlügen Holz, um ihre Fa-milien durchzubringen, denn nicht jederhier besitze eine Kautschukplantage oderfinde Arbeit.

„Human impact“, der menschliche Ein-fluss, wird zum Dauerthema dieser Tage.Febri erinnert daran, dass die Märkte für

Tropenholz im Westen und in China lä-gen. Die Besucher aus dem Westen spre-chen sich für härteres Durchgreifen der Po-lizei aus. Ihr eigenes Engagement imDschungel stellen sie trotz der deprimie-renden Bilder nicht in Frage. Naturschüt-zer seien die Ambulanz, die den Patientenam Leben erhalte, meint Biosphere-Grün-

der Matthias Hammer, so lange, bis dieÄrzte, die Politiker den eigentlichen Hei-lungsprozess einläuteten. Um ihre Motiva-tion machen die fünf kein großes Gewese.Sie gehören zu denen, die am Tag vor demWeltuntergang noch das berühmte Apfel-bäumchen pflanzen würden. Sisyphos hat-te es schließlich auch nicht leicht.

Auch die beiden Nationalpark-Ranger,die die Teams drei Tage lang begleiten,wissen keine Lösung für das Dilemma.Gerade einmal vier Offizielle sind für das136000 Hektar große Gebiet zuständig.Meist verwarnen sie ertappte Sünder zu-nächst nur, anstatt sie anzuzeigen. Immer-hin haben sie seit 2012 zehn Hektar illega-

ler Kautschukpflanzungen zerstört undachtzehn Holzfäller und Wilderer verhaf-ten lassen. 2011 wurde Harahap, der Älte-re der Ranger, von Dörflern acht Stundenlang mit Waffengewalt festgehalten underst von der Polizei befreit. Trotzdemspricht auch er davon, dass zu viele Men-schen auf Sumatra keine andere Chance

hätten, als vom Wald zu leben. Ändernkönne sich nur langfristig etwas, mit Hilfeder Erziehung und der Schaffung neuerArbeitsplätze. Fast scheint es, als hättendie Wildhüter die Randregionen schonaufgegeben.

Ungeachtet aller Zweifel fahren die Na-turfreunde aus dem Westen weiterhin je-den Tag hinaus und kehren spätnachmit-tags zurück. Sie heften die vollgeschriebe-nen Formulare ab, Febri überträgt die ge-sammelten Daten in den Computer undauf eine große Karte. Dann pflastern dieeinen ihre Blasen zu, gehen im Flussschwimmen oder waschen Hemden undSocken. Andere legen sich hin, genießenein kühles Tiger-Bier und schreiben Tage-buch. Manche versuchen auch, an dem ei-nen großen Durian-Baum Handyemp-fang zu bekommen. Um 19 Uhr bringtNoori per Boot das fertige Abendessen,das sie im Dorf zubereitet hat. Sie kochtgut: Reis mit süßen und scharfen Soßen,wechselnden Gemüseeintöpfen und Tofu-gerichten, dazu Bananen, Melone, Äpfelund Orangen. Anschließend berichtendie Teams vom Verlauf ihrer Exkursion,der kommende Tag wird geplant. Umhalb zehn Uhr geht der Generator aus,die Lichter erlöschen. Schließlich heißtes, um sechs Uhr schon wieder aufzuste-hen. Die Ambulanz muss früh auf demPosten sein.

! Hessische Bergstraße: Die Weinbergeliegen am Odenwaldhang zwischenSeeheim-Jugenheim und Heppenheim;hinzu kommt die Odenwälder Weinin-sel rund um Groß-Umstadd und Roß-dorf. Jenseits der Landesgrenze in Lau-denbach beginnen dann übergangslosdie Weinberge der Badischen Bergstra-ße, die im Süden bei Heidelberg endet.! Weingüter: Viniversum der Bergsträ-ßer Winzer, Darmstädter Straße 56,Heppenheim; Domäne Bergstraße derHessischen Staatsweingüter, Darmstäd-ter Straße 133, Heppenheim; Rothwei-ler, Berliner Ring 184, Bensheim-Auer-bach; Seitz, Weidgasse 8, Bensheim-Auerbach; Weingut der Stadt Bens-heim, Darmstädter Straße 6, Bens-heim; Simon-Bürkle, Wiesenpromena-de 13, Zwingenberg; Feligreno, See-katzstraße 10, Darmstadt.! Weinbergswanderungen: Erlebnis-pfad „Wein und Stein“, 7 Kilometer

langer Rundweg durch die Weinbergevon Heppenheim mit 68 Info-Statio-nen zu Weinbau und Weinkultur. Berg-sträßer Weinlagenwanderweg zwi-schen Alsbach und Heppenheim, 22 Ki-lometer durch die Weinberge mit stän-digen Ausblicken auf den Rheingra-ben. Weinlehrpfad Groß-Umstadt, 2Kilometer durch die Lage Herrnbergin der Bergsträßer Wein-Exklave imOdenwald.! Sehenswertes: Staatspark Fürstenla-ger in Bensheim-Auerbach, ein phanta-sievoll gestalteter, aristokratischerLandschaftsgarten mit Herrenhaus,Wirtschaftsgebäuden und historischenWeingärten aus dem frühen neunzehn-ten Jahrhundert. das Kloster Lorsch,Unesco-Weltkulturerbe mit einzigarti-ger karolingischer Torhalle. AltstadtHeppenheim, ein sorgsam restau-riertes Fachwerkjuwel am Fuß derWeinberge.

! Gastronomie: Gemütliche Weinstu-ben und Straußwirtschaften sind raran der Bergstraße. Dafür gibt es dreischöne Einkehrmöglichkeiten inmittender Weinbergslandschaft: Kirchberg-häuschen mit Panoramaterrasse, Ries-ling vom Fass und fabelhaftem Aus-blick auf die Rheinebene (Außerhalb2, Bensheim). Weinverkostung und Im-biss in der schicken Vinothek der Do-mäne Bergstraße (Darmstädter Straße133, Heppenheim). Restaurant undCafé Herrenhaus mit Sonnenterrassein den weitläufigen Gartenanlagen desStaatsparks Fürstenlager.! Informationen: Tourismus ServiceBergstraße, Großer Markt 9, 64646Heppenheim, Telefon: 0 6252/13 1170,www.diebergstrasse.de; Geo-NaturparkBergstraße-Odenwald, Nibelungen-straße 41, 64653 Lorsch, Telefon:06251/70 7990, Internet: www.geo-na-turpark.de.

! Anreise: Die Anreise nach Pekanbaruauf Sumatra organisiert und zahlt jederTeilnehmer selbst. Internationale Flügegehen über Kuala Lumpur, Singapuroder Jakarta. Das Visum für Indone-sien kann am Flughafen von Pekanba-ru erworben werden, es kostet derzeit35 US-Dollar.! Veranstalter: Biosphere Expeditions(Kirchgasse 6, 97204 Höchberg,Telefon: 0931/40 4805 00, [email protected],www.biosphere-expeditions.org) isteine eingetragene, gemeinnützige Natur-schutzorganisation und besteht seit1999. Sie veranstaltet derzeit Touren zuelf verschiedenen Naturschutzprojekten

in aller Welt. Am Ende jedes Jahres er-scheint ein Report über die Ergebnissejedes Projekts und die Verwendung derdafür eingenommenen Gelder.! Tiger-Projekt auf Sumatra: Die Wissen-schaftstouren dauern 13 Tage und kos-ten 1940 Englische Pfund, etwa 2670Euro. Letzter Termin 2015 ist vom 23.August bis zum 4. September. Die Ter-mine für nächstes Jahr werden auf derWebsite der Firma veröffentlicht.! Klima: Während des Expeditionszeit-raums herrscht Trockenzeit auf Suma-tra, was nicht bedeutet, dass es nichtregnet. Manche Teilnehmer haben an-fangs Schwierigkeiten mit der Schwüleund der hohen Luftfeuchtigkeit.

! Essen und Trinken: Die Verpflegungist indonesisch und vegetarisch. DasMittagessen für den Tag im Geländefüllt sich jeder Teilnehmer morgens ineine Lunchbox ab. Gekühlte Softdrinksund Bier in Dosen sind im Camp zukaufen.! Voraussetzungen: Körperliche Fitnessund die Bereitschaft, sich auf einfacheLebensverhältnisse einzulassen, werdenerwartet. Die Gruppen sind internatio-nal, die Sprache im Camp ist Englisch.! Ausrüstung: Vor Beginn der Reise gibtes ein ausführliches Dossier über denwissenschaftlichen Hintergrund unddie Methodik sowie eine Liste mit Aus-rüstungsgegenständen.

ESSEN & TRINKEN

Foto

Pude

nz

Die Weine der Hessischen Bergstraße

Schweißarbeit im indonesischen Raubkatzen-Camp

Das Älteste ist manchmal das Neueste

Kunst am Rebenberg: eine Station auf dem sieben Kilometer langen Erlebnispfad „Wein & Stein“ zwischen Heppenheim und Bensheim. Foto Volker Mehnert

Fortsetzung von Seite 1

Auf der Suche nach den letzten Sumatra-Tigern

Die Hessische Bergstraße, Deutschlands kleinstes Weinbaugebiet, pflegt die Artenvielfalt,besinnt sich auf historische Rebsorten und sieht sich damit für den Klimawandel gewappnet.Von Volker Mehnert

IndischerOzean

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MeMedandan

Padang

PekanbaruPekanbaruPekanbaruRIAU

WEST-SUMATRAWEST-SUMATRAWEST-SUMATRA

Rimbang-BaRimbang-Baling-ling-SchutzgebietSchutzgebietRimbang-Baling-Schutzgebiet

300 kmF.A.Z.-Karte sie.

Str. v. Malakka

Medan

SuSumatmatraSumatra