Freie Universität Berlin Arbeitsbereich “Historische Geographie des antiken Mittelmeerraumes”

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25.12.21 1 Freie Universität Berlin Arbeitsbereich “Historische Geographie des antiken Mittelmeerraumes” Einführung in die Historische Geographie (Wahlpflichtmodul 8a - Alte Geschichte) Prof. Dr. Klaus Geus / [email protected]

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Freie Universität Berlin Arbeitsbereich “Historische Geographie des antiken Mittelmeerraumes”. Einführung in die Historische Geographie (Wahlpflichtmodul 8a - Alte Geschichte). Aufbau der Vorlesung. O. Einführung und Literaturhinweise 1. Was ist Historische Geographie? - PowerPoint PPT Presentation

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Freie Universität BerlinArbeitsbereich “Historische Geographie des antiken

Mittelmeerraumes”

Einführung in die Historische Geographie(Wahlpflichtmodul 8a - Alte Geschichte)

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Aufbau der Vorlesung O. Einführung und Literaturhinweise

1. Was ist Historische Geographie? 2. Was bedeutete Geographie in der Antike? 3. Literaturhinweise

I. Frühe Vorstellungen vom Kosmos und der Erde 1. Vorgriechische Kosmologie 2. Griechische Kosmologie in archaischer Zeit

II. Von Anaximander bis Hekataios: die Geburt der Geographie in Ionien III. Ethnographie und Geographie: Herodots Weltbild IV. Perihegese und Periplus V. Die Oikumene von Demokrit bis Ephoros VI. Geographische Vorstellungen bei Platon und Aristoteles

(mit einem Exkurs über Aristarch) VII. Die Erweiterung der geographischen Kenntnisse in der Zeit

Alexanders d. Gr. und der Diadochen VIII. Astronomie und Geographie bei Eratosthenes IX. Die geographischen Vorstellungen des Hipparch …

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Aufbau der Vorlesung (II) X. Die darstellende Geographie in hellenistischer Zeit (Polybios,

Agatharchides, Artemidoros, Poseidonios; mit einem Exkurs zu Krates)

XI. Strabons Oikumenegeographie XII. Die römischen Geographen Pomponius Mela und Plinius XIII. Der Höhepunkt der antiken Geographie: Klaudios Ptolemaios [XIV. Geographische Werke der späten Kaiserzeit (entfällt] XV. Geographische Lehrdichtung XVI. Die Tabula Peutingerian Kursmaterialien in „Blackboard“ (http://lms.fu-berlin.de )

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0. Literaturhinweise und Einführung Kish, George: A Source Book in Geography. Cambridge; London:

Harvard University Press, 1978 [nützliche Quellensammlung]. Olshausen, Eckard: Einführung in die Historische Geographie der

Alten Welt, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1991 [einzige moderne Einführung in deutscher Sprache].

Berger, Hugo: Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen. 2. Aufl. Leipzig: Veit, 1903 [immer noch maßgebendes Handbuch].

(Weitere Literaturhinweise erhalten Sie jeweils zu Beginn eines jeden Kapitels. Eine größere Bibliographie zur Antiken Geographie finden Sie im „Blackboard“).

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1. Was ist Historische Geographie?

Eine allgemein akzeptierte Definition der Historischen Geographie

gibt es nicht. Für diese Vorlesung wird die „Historische Geographie

der antiken Mittelmeerwelt“ verstanden als: „eine Wissenschaft, die sowohl die naturräumlichen Bedingungen

in der Antike untersucht, unter denen die Menschen damals lebten

und agierten, als auch die Vorstellungen und Beschreibungen

dieser Bedingungen bei den Griechen und Römern erforscht.“

Der Historische Geograph hat sich daher Kompetenzen in einer

ganzen Reihe von angrenzenden und verwandten Wissenschaften

zu erwerben. Er muss in erster Linie Historiker sein, aber auch mit

philologischen, archäologischen und geographischen Methoden

und Techniken vertraut sind. Zu letzteren sind etwa die

Fernerkundung, GIS, Modellierungen zu zählen.

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2. Was bedeutete „Geographie“ bei Griechen und Römern?

Geographia und verwandte Wörter wie geographein und geographikos begegnen fast ausschließlich in fachwissenschaftlichen Texten und Kontexten.

Der Titel Geographika für das Werk des Eratosthenes von Kyrene (276–194 v. Chr.) lässt vermuten, dass er das Wort Geographie geprägt hat.

Geographie ersetzt den Begriff ges periodos („Erdumfahrt“) und meint ebenfalls „Erdbeschreibung (nach einer Karte)“.

Im 1. Jh. n. Chr. bezeichnet Strabon (2, 4, 1 C 104) Eratosthenes als „den letzen, der über Geographie handelte“.

Geographie ist für die Griechen im Wesentlichen Kartographie.Die einzige antike Definition der Geographie bei Ptolemaios (geogr.

1, 1, 1) lautet daher: „Geographie ist die Wiedergabe des gesamten bekannten Teils der Erde mittels einer maßstäblichen Karte ( ) einschließlich dessen, was allgemein damit im Zusammenhang steht.“

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3. Literaturhinweise

Literaturhinweise auf Blackboard (http://lms.fu-berlin.de)

[email protected] www.palamedes.eu

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I. Frühe Vorstellungen vom Kosmos und der Erde

0. LiteraturhinweiseE. Robson, Mathematics in Ancient Iraq: A Social

History, Princeton / Oxford 2008.O. Neugebauer, Geschichte der antiken

mathematischen Astronomie, 3 Bde., Berlin / Heidelberg / New York 1975.

D. J. Furley, The Greek Cosmologists, Cambridge 1987.

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1. Vorgriechische Kosmologie

Frühe Kulturen stellten sich die Welt als Scheibe bzw. flach vor

Die wichtigsten babylonischen Texte sind Omina, Schöpfungsmythen und astronomische Fachtexte

Aus diesen Texten entwickelte sich seit der Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus ein babyloni-sches Weltbild, das aber nicht kanonisch war.

Die Erdscheibe ist von einem Ozean umgeben. Die babylonische Kultur befindet sich im Mittelpunkt der Welt

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Babylonische Weltkarte

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Die ägyptische Göttin Nut als Himmelsgewölbe

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Nut = Himmelsgewölbe, das Erde von der Urflut trennt, außerdem Mutter der Sterne

Nut = "Sau, die ihre Ferkel frisst" Echte „kartographische“ Darstellung?

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2. Griechische Kosmologie in archaischer Zeit

Die Grundlage zur Erforschung der antiken Raumvorstellungen bilden nicht bildliche, sondern narrative Quellen

Homer (8. v. Chr.) konnte in seinen Werken Ilias und Odyssee vielleicht schon auf Ergebnisse der Großen Griechischen Kolonisation zurückgreifen

Überlagert sind bei ihm echte geographische Kenntnisse durch mythische Vorstellungen

„Die Wege des Odysseus werde man ebenso wenig finden wie den Mann, der den Windschlauch des Aiolos angefertigt habe“ (Eratosthenes)

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Homers Weltbild

Die „grenzenlose Erde“ ist eine kreisrunde (?) Ebene, deren äußerste Ränder der Okeanos, der sanft fließende und tiefe Weltstrom, ringsum bespült. Auf Säulen, welche im Westen der Riese Atlas stützt, ruht – einem ehernen Gewölbe gleich – der ewige Himmel und umspannt mit seiner sternenschimmernden Wölbung die Länder und Meere der Erde, während sich unterhalb davon der Tartaros wölbt. Im Zentrum der Erde ragt der gewaltige, “schluchtenreiche” Olymp empor, auf dessen höchstem Gipfel die griechischen Götter leben.

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Hesiod (700 v. Chr.) übernimmt Homers Vorstellungen mit geringen Modifikationen

Länder „jenseits des Okeanos“?Erytheia = ampirrhytos („ringsumflossen“)

Erster präwissenschaftlicher Versuch, die Größe der Welt zu begreifen (Hes. theog. 720-725):

„...so weit unter der Erd', als über der Erd' ist der Himmel:Denn gleich fern von der Erd' ist des Tartaros finsterer

Abgrund.Wenn neun Tag' und Nächte dereinst ein eherner AmboßFiele vom Himmel herab, am zehenten käm' er zur Erde;Wenn neun Tag' und Nächte sodann ein eherner AmboßFiele hinab von der Erd', am zehenten käm' er zum

Abgrund. (Übers.: J.H. Voß)

Bei Pindar und den attischen Tragikern ist statt des Olymps Delphi der „Nabel der Welt“

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II. Von Anaximander bis Hekataios: die Geburt der Geographie in Ionien

0. Literaturhinweise H.-J. Gehrke, Die Geburt der Erdkunde aus dem

Geiste der Geometrie. Überlegungen zur Entstehung und zur Frühgeschichte der wissenschaftlichen Geographie bei den Griechen, in: W. Kullmann / J. Althoff / M. Asper (Hrsg.), Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike, Tübingen 1998, 163–192.

K. Zimmermann, Hdt. IV 36, 2 et le développement de l’image du monde d’Hécatée à Hérodote, in: Ktema 22, 1997, 285–298.

K. Geus, Die Welt in antiken Karten und Globen, in: AU 46, 4, 1999, 7–18. 23–8.

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1. Die Vorsokratiker

Östliche („ionische“) und westliche („italische“) Vorsokratiker unterschieden sich auch in ihren Vorstellungen zur Geographie

Milet war Zentrum der ionischen Vorsokratiker Anwendung von geometrischen Mustern und Strukturen in

Kosmologie und Geographie Anximander (Anaximandros) war der Überlieferung nach ein

Schüler des Thales und lebte ca. 610–547 v. Chr. Anaximander stellte sich die Erde als einen Zylinder vor, der

wegen der gleichmäßigen Entfernung, die alle Punkte seines Umfangs zum „Rand“ des Himmels einhalten, frei im Raum schwebt. Die obere Kreisfläche des Zylinders hat entweder einen erhöhten Rand, um das Wasser des Okeanos festzuhalten, oder das Wasser fällt tatsächlich an den Rändern herab. Die Scheibe dient als Wohnraum für die Menschen.

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Anaximander

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Raffaels Anaximander

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Anaximanders Kosmos

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„Anaximander von Milet, ein Schüler des Thales, wagte es als erster, die Oikumene auf einer Tafel darzustellen; nach ihm hat Hekataios von Milet, ein weitgereister Mann, sie so verbessert, dass das Werk bewundert wurde.“ (Schol. in Dion. Perig. [GGM 2, 428, 7f.])

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Anaximanders Erde

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Anaximenes (ca. 585 – ca. 525 v. Chr.)

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Anaximenes (ca. 585 – ca. 525 v. Chr.) beschrieb die Erde als eine sehr breite und flache Scheibe, die auf der Luft „reitet“.

Das „ionische“ Scheibenmodell wird auch Thales, Anaxagoras, Demokrit, Hekataios, Herodot und Ephoros zugeschrieben.

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Das “ionische” Scheibenmodell(nach Hekataios, ca. 500 v. Chr.)

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Die Welt bei den westlichen Vorsokratikern

Die westgriechischen Philosophen – allen voran die Pythagoreer und die Eleaten – vertraten in der Frage der Erdgestalt seit etwa 500 v. Chr. die Kugeltheorie

Bei der Formulierung spielten wohl philosophische Überlegungen eine Rolle

Parmenides und den Eleaten werden eine Reihe von astronomischen Entdeckungen zugeschrieben.

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Parmenides (Raffael)

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Das frühe Erdkugelmodell (fünf Klimazonen)

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Hekataios von Milet (um 500 v. Chr.)

Hekataios von Milet fasste um 500 v. Chr. die ihm bekannten geographischen Informationen in seinem Werk (periodos) oder (perihegesis tes ges („Erdbeschreibung“) zusammen.

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Die Karte des Hekataios von Milet (ca. 500 v. Chr.)

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Hekataios von Milet (um 500 v. Chr.)

Hekataios von Milet fasste um 500 v. Chr. die ihm bekannten geographischen Informationen in seinem Werk (periodos) oder (perihegesis tes ges („Erdbeschreibung“) zusammen.

Trotz des enormen Zuwachses an Informationen in der Zeit um 500 v. Chr. änderte sich am grundsätzlichen Aufbau des damaligen Weltbild nichts. Die Leistung des Hekataios liegt in der Quantifizierung der Karte des Anaximander durch empirische Daten.

Die ihm zugänglichen Informationen integrierte er in seine schematische Karte, deren einzelne Regionen aufgrund von numerischen Angaben in „Tagesreisen“ erstmals approximativ erfass- und konstruierbar waren.

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“Ethnographisches Kreuz”

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III. Ethnographie und Geographie: Herodots Weltbild

0. Literaturhinweise Reinhold Bichler: Herodots Welt. Der Aufbau der

Historie am Bild der fremden Länder und Völker, ihrer Zivilisation und ihrer Geschichte. Mit Beilagen von D. Feil und W. Sieberer, 2. Aufl., Berlin 2001.

Reinhold Bichler, Herodots Historien unter dem Aspekt der Raumerfassung, in: Michael Rathmann (Hrsg.), Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike, Mainz 2007, 67–80.

Klaus Karttunen, Expedition to the End of the World: An Ethnographic in Herodotus, in: Studia Orientalia 64, 1988, 177–181.

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Herodot von Halikarnassos (484-424 v. Chr.?)

Herodot, pater historiae (Cicero), wollte die Taten der Griechen und Barbaren vor der Vergessenheit bewahren.

Die moderne Narratologie (Irwin, Dorati) hat Komplexität des Erzählstils Herodots herausgearbeitet.

Über das Leben des Herodot ist wenig bekannt (Teilnahme an der Gründung von Thurioi, 444/3 v. Chr.)

Verhältnis von Herodot und Thukydides unsicher

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Ethnographie und Geographie bei Herodot

„Ich glaube gar nicht an die Hyperboreer; denn wenn es ein solches Volk im höchsten Norden gäbe, müsste es auch eines im äußersten Süden geben. Ich muss lachen, wenn ich so manche Leute Erdkarten zeichnen sehe, die doch die Gestalt der Erde gar nicht richtig zu erklären wissen. Sie zeichnen den Okeanos rund um die Erde herum fließend und so regelmäßig wie einen Kreis. Und Asien machen sie eben so groß wie Europa.“ (Hdt. 4, 36)

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Das “ionische” Scheibenmodell

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Ethnographie und Geographie bei Herodot (II)

Die Kritik des Herodots zielt darauf ab, dass seine Vorgänger „die Gestalt der Erde gar nicht richtig zu erklären wissen“. Gemeint ist offenbar zum einen, dass sie über die Gestalt und Ausmaß der Kontinenten Europa, Asien und Afrika nicht richtig informiert sind, zum anderen, dass sie, veranlasst durch ihr kreisrundes Scheibenmodell zum Kompromissen bei der Verortung von Völkern gezwungen sind.

Trotz des Protestes des Herodot gegen das geometrische Schema der runden Karten kommt auch Herodot nicht umhin, sich die Prinzipien der Analogie und Symmetrie zunutze zu machen (Nil/Donau).

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Herodots “Karte”

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Das Raumbild Herodots

Kein zusammenhängender Okeanos Nur Afrika sicher umschiffbar, daher kleiner als Europa und

Asien Asien in Abfolge von vier Völkern (Perser, Meder, Saspiren,

Kolcher) bestimmt Südliches und Nördliches Meer entsprechen Persischem

Golf und Schwarzem Meer Westliches Mittelmeergebiet gut getroffen Maritime (griechische) und kontinentale (persische)

Perspektive vermischen sich Trotz Parallelen gibt es Unterschiede zur babylonischen

Weltkarte Bild der herodoteischen Oikumene nähert sich der

Rechteck-Form Herodot hat keine Karte gezeichnet, weshalb er den

griechischen Doxographen nicht als Geograph galt

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IV. Perihegese und Periplus

0. Literaturhinweise R. Güngerich: Die Küstenbeschreibung in der

griechischen Literatur, Münster 1950. N. Ehrhardt: Zur Geschichte der griechischen Handels-

und Kolonisationsfahrten im östlichen Mittelmeer im Spiegel von Epos- und Periplus-Literatur, in: Orientalisch-Ägäische Einflüsse in der europäischen Bronzezeit. Ergebnisse eines Kolloquiums (Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte. Monographien; Bd. 15), Bonn 1990, 13–46.

G. Hartinger: Die Periplusliteratur: Untersuchungen zu Inhalt, Sprache und Funktion der überlieferten Texte, Diss. Salzburg 1992.

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1. Perihegese

Perihegese, griechisch perihegesis, bedeutet wörtlich „Herumfahrt“, also die Schilderung einer durchgeführten Reise, die durch ihre Niederschrift anderen als Reiseführer dienen konnte.

„Beschreibung Griechenlands“ durch Pausanias ist der antike „Baedeker“

Dionysios, der Anonymus der Perihegesis von Hawara und der so genannte Pseudo-Skymnos sind relativ komplett erhalten. In Fragmenten z. B. Nymphodoros und Polemon

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Pseudo-Skymnos (ca. 110 v. Chr.) (I) Die Öffnung des atlantischen Meeres soll 120 Stadien [ca. 25 km]

breit sein. Das sie angrenzend umgebende Land ist das äußerste Ende sowohl von Libyen als auch von Europa. Die Inseln, die auf jeder der beiden Seiten liegen, sind voneinander fast 30 Stadien [ca. 6 km] entfernt. Sie werden von manchen die Säulen des Herakles genannt. In der Nähe der einen Säule liegt eine Stadt der Massalioten, die Mainake heißt. Sie liegt von allen griechischen Städten auf der europäischen Seite am weitesten entfernt. Für den, der in Richtung Sonnenuntergang (Westen) zum gegenüberliegenden Kap segelt, beträgt die Fahrtdauer einen Tag. Dann kommt eine Insel mit Namen Erytheia, die zwar ganz klein ist, aber Herden von Rindern und Schafen hat, die ganz ähnlich sind wie die Stiere in Ägypten und auch im epirotischen Thesprotien. Westliche Aithiopen sollen sie besiedelt haben, als eine Kolonie gründet wurde. Nahe bei ihr ist eine (berühmte) Stadt, entstanden als Kolonie tyrischer Kaufleute, Gadeira [Cadiz], wo es angeblich die größten Seetiere gibt. Danach kommt in zwei Tagesfahrten Entfernung ein paradiesischer Handelsplatz mit Namen Tartessos, eine berühmte Stadt, die Zinn, das auf dem Fluss aus dem Keltenland kommt, Gold und Kupfer in großer Menge liefert.

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Spanien

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Tartesssos

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Pseudo-Skymnos (ca. 110 v. Chr.) (II) Dann folgt bis zum Meer, das bei Sardinien liegt, das so genannte

Keltenland. Dieses Volk ist im Westen das größte. Denn fast das gesamte Land innerhalb des Sonnenaufgangs (Osten) bewohnen die Inder, das zum Mittag (Süden) hin die Aithiopen, die dem Wehen des Notos benachbart sind. Den Bereich vom Zephyros (Westen) bis zum Sommeruntergang (Nordwesten) aber nehmen die Kelten ein, aber den beim Boreas (Norden) die Skythen. Die Inder wohnen zwischen dem Sommeraufgang (Nordosten) und dem Winteraufgang (Südosten), die Kelten jedoch umgekehrt unter dem äquinoktalem (Westen) und dem sommerlichen Untergang (Nordwesten), wie man berichtet. Diese vier Völker sind hinsichtlich der zahlenmäßigen Größe ihrer Einwohner gleich. Die Aithiopen und Skythen haben jedoch mehr Land, das aber zum größten Teil menschenleer ist, weil das eine mehr verbrannt, das andere mehr überschwemmt als die übrigen sind. Die Kelten haben griechische Sitten, da sie durch die Aufnahme von Gastfreunden mit Griechenland sehr engen Umgang pflegen. Ihre Versammlungen halten sie mit Musik ab, um die sie sich auch der Fortbildung wegen eifrig bemühen. Am äußerten Rand ihres Landes steht eine Säule, die die nördliche genannt wird. Überaus groß ist sie und reckt ihre Spitze ins wogende Meer hinaus. Die Gegenden in der Nähe der Säule bewohnen Kelten, die hier ihr Ende erreichen, die Eneter und die Randstämme der Istrer, die nach innen bis zur Adria wohnen. Von hier aus soll der Fluss Ister (Donau) seinen Ausgang nehmen. Prof. Dr. Klaus Geus / [email protected]

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Tartesssos

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2. Periplus

Unter Periplus versteht man die Umschiffung einer Halbinsel oder eines Meeresbeckens in Form einer Reisebeschreibung.

Der älteste Periplus, eine anonyme Beschreibung der Atlantikküste von Tartessos (Cadiz), wohl aus dem 6. Jh. v. Chr., hat sich in der ora maritima des spätantiken Dichters Avienus erhalten.

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Avienus, ora maritima (I)

„Weiterhin wirst du hier beschrieben erhalten alle Inseln, die sich im Meer erheben, in jenem Meer nämlich, das in den Tiefen des sich spaltenden Erdkreises von dem tartessischen Sunde und den Fluten des Atlantischen Ozeans an bis zu dem in weiter Ferne gelegenen Festland die von uns bewohnte See bildet, auch die Meerbusen mit ihren Windungen und die Vorgebirge; wie sich hier ein Ufer landeinwärts erstreckt, wie Höhen weithin ins Meer ragen, wie stolze Städte von den Fluten bespült werden, welche Quellen die Flüsse haben, in welcher Weise die Ströme zu Tal fließend in das Meer treten, wie diese wiederum oftmals Inseln umschließen, und wie Häfen ihre sicheren Arme mit ausbreiten, wie Sümpfe sich ausdehnen und Seen daliegen, wie hohe Berge schroffe Gipfel auftürmen und wie die Woge des weißlichen Meeres Wälder bespült.“ (Avien. or. 51–67)

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Avienus, ora maritima (II) „Aber wo das tiefe Meer vom Ozean her eindringt, befindet sich der Atlantische

Meerbusen. Hier liegt die Stadt Gadir [Cadiz], früher Tartessos genannt, hier sind die Säulen des unermüdliche Herkules [Gibraltar], Abila und Kalpe – diese steht auf der linken Seite des Landes; an Libyen grenzt Abila. – Sie sind umrauscht von rauem Nordwind; aber über ihre Lage herrscht kein Zweifel. Und Oestrymnis – und die hohe Masse dieses Felsabhanges neigt sich in ihrer ganzen Ausdehnung fast völlig gegen den warmen Süden. Am Fuße dieses Vorgebirges aber öffnet sich den Bewohnern der Oestrymnische Meerbusen, in dem sich die Oestrymnischen Inseln erheben, weit zerstreut daliegend und reich an Metall, Bleisilber und Blei. Groß ist hier die Kraft des Volkes, verwegen sein Sinn, ausgezeichnet seine Geschicklichkeit; von dem Bestreben, Handel zu treiben, sind alle unaufhörlich erfüllt, und auf genähten Kähnen durchfahren sie den weiten, stürmischen Sund und die Wogen des tierreichen Ozeans. Denn sie verstehen nicht die Kiele aus Fichtenholz und Ahorn herzustellen, sie bauen ihre bauchigen Schiffe nicht aus Tannenholz, wie es sonst Brauch ist, sondern sie fügen sie erstaunlicherweise dadurch zusammen, dass sie Felle miteinander verbinden, und auf solchem Leder führen sie ihre vielen Fahrten über das gewaltige Meer durch. Aber von hier ist es nach der Heiligen Insel [Irland] – so nannte man sie im Altertum – zu Schiff eine Fahrt von zwei Tagen. Diese liegt in er hohen See in großer Ausdehnung da, und weithin bewohnt sie das Volk der Hiernier. In der Nähe liegt umgekehrt die Insel der Albionen [England]. Und die Tartessier hatten die Gewohnheit, bis zu den Oestrymnischen Inseln, die ihr Endziel bildeten, Handel zu treiben …

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Der „Periplus außerhalb des Säulen des Herakles“ oder „Periplus des Meeres der Oikumene“ des Skylax von Karyanda (ca. 510 v. Chr.) hat die Fahrt vom Indus bis zum heutigen Suez beschrieben

Der „Periplus des bewohnten Europa, Asien und Libyen“, wohl vor 338 v. Chr. abgeschlossen, gilt als Kompilation aus älteren Schriften, u.a. des Hekataios, des Herodot, des Ephoros, des Theopomp. Er wird heute als Pseudo-Skylax bezeichnet

Periploi der Karthager Hanno und Himilco (um 500 v. Chr.?) Spätestens im 4. Jh. v. Chr. bilden sich zwei verschiedene

Arten von Periploi heraus, praxisorientierte „Segelhandbücher“ und literarische Reisebeschreibungen

Pytheas, Nearchos (Arrians „Indike“), Patrokles

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Nearchos (bei Arrian) „Sie schifften am Lande der Oriten vorbei und gingen nach einer

Fahrt von 200 Stadien [ca. 40 km] bei Pagala an einem Felsufer vor Anker ... Am nächsten Morgen lichteten sie Anker und langten nach einer Fahrt von 430 Stadien [ca. 90 km] abends bei Kabana (Kingala?) an. Die Brandung war hier stark, darum gingen die Schiffe auf offener See vor Anker. Während dieser Fahrt überfiel die Schiffe ein stürmischer Wind vom Meer her und zwei große Schiffe gingen auf der Fahrt unter, und eine Schaluppe auch, die Leute aber konnten sich durch Schwimmen retten, da der Kurs nicht weit vom Strande entfernt war. Um Mitternacht lichteten sie die Anker und segelten bis Kokala (Kotscherah?), 200 Stadien [ca. 40 km] entfernt von ihrem Ausgangspunkt. Die Schiffe ankerten auf offener See. Die Besatzungen aber ließ Nearchos ausschiffen und auf dem Lande übernachten ... das Lager umgab er, zur Sicherheit gegen die Barbaren, mit einem Wall.“

„Von da an fuhren sie nicht mehr gleichmäßig nach Westen, sondern der Bug ihrer Schiffe zeigte zwischen Sonnenuntergang und den Sternbild des Bären. Und so ist Karmanien im Vergleich zum Lande der Fischfresser und der Oriten reicher an Bäumen und Feldfrüchten, und mehr grasig und bewässert.“

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Der Periplus maris Erythraei

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Periplus maris Erythraei

(25) Nachdem man von diesem Ort [Muza] etwa 300 Stadien gesegelt ist, verengen sich die Küsten von Arabien und Berberia am Aualitischen Golf. Dort ist ein Kanal, nicht sehr breit, der das Meer zu einem engen Sund vereinigt. Die Passage, die 60 Stadien beträgt, wird durch die Insel Diodoros geteilt. Deswegen ist die Fahrt durch starke Strömungen behindert, und starke Winde wehen von den an den Küsten gelegenen Berghöhen herunter. Direkt beim Sund liegt am Ufer ein Dorf der Araber, das dem gleichen König untertan ist, genannt Okelis. Dieses ist weniger ein Handelsort als ein Ankerplatz und eine Wasserstelle sowie die erste Station für diejenigen, die in den Golf segeln.

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Die Ostküste Afrikas (nach Ptolemaios)

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Der Ausgang des Roten Meeres (nach Ptolemaios)

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Zu den praxisorientierten Periploi gehören Arrians Periplus Ponti Euxini, ca. 130 n. Chr. geschrieben, wohl die Erweiterung und Bearbeitung eines amtlichen Fahrtberichts, und ein anonymes Werk mit demselben Titel.

Um 400 n. Chr. verfasste der Fachgeograph Markianos eine Küstenbeschreibung des Indischen und Atlantischen Ozeans.

Technisch geprägt ist die aus byzantinischer Zeit stammende Küstenvermessung des Mittelmeeres, der Stadiasmus maris magni, der auf ein Werk des 3. oder 4. Jahrhunderts nach Christus zurückgeht.

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V. Die Oikumene von Demokrit bis Ephoros

0. Literaturhinweise

Franceso Prontera: Karte (Kartographie), in: Reallexikon für Antike und Christentum XX, 2004, 187–229. William Arthur Heidel: The Frame of the Ancient Greek Maps: With a Discussion of the Discovery of the Sphericity of the Earth. New York 1937.

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Das griechische Wort oikumene bedeutet „bewohnt“. Zu diesem Partizip ist das Substantiv „ge“, Erde, zu ergänzen. Oikumene heißt also wörtlich übersetzt: „bewohnte Erde“.

Vielleicht ist die Begriffsprägung „Oikumene“ in den Kontext der Entdeckung von der Kugelgestalt der Erde zu verorten.

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Das frühe Erdkugelmodell (fünf Klimazonen)

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Das Rechteck des Ephoros

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Die Geographen des 4. und 3. vorchristlichen Jahrhunderts stellten sich die Oikumene als ein mehr oder weniger lang gestrecktes Rechteck vor. Für das Verhältnis von „Länge“ (von West nach Ost) zu „Breite“ (von Nord nach Süd) der rechteckigen Oikumene schlug Demokrit ein Verhältnis von 3 : 2 vor, Eudoxos 2 : 1, Aristoteles „mehr als 5  : 3“ und Dikaiarch 3 : 2. Eratosthenes schließlich, der die Form der Oikumene als „chlamys /mantelartig“ nannte, geht von einem Verhältnis von „mehr als 2 : 1“ aus.

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Demokrit (ca. 460–370 v. Chr.) Eudoxos von Knidos (ca. 410/391–355/337

v. Chr.) Geminos von Rhodos (1. Jh. v. Chr.) Nach Strabon war Eudoxos ein „Experte für

Schemata und Klimata“, d. h. wohl für Länderumrisse und für Breitengrade.

Kap Sunion und Keraunische Berge

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VI. Geographische Vorstellungen bei Platon und Aristoteles (mit einem Exkurs über Aristarch)

0. Literaturhinweise Paul Friedländer: Platon. Bd. III: Die

Platonischen Schriften; zweite und dritte Periode. 2. Aufl., Berlin 1960.

Ingemar Düring: Aristoteles: Darstellung und Interpretation seines Denkens, 2. Aufl., Heidelberg 2005 (= 1966).

Klaus Geus: Utopie und Geographie: Zum Weltbild der Griechen in frühhellenistischer Zeit, in: Orbis Terrarum 6, 2000 (ersch. 2001), 55–90.

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Platon (428/7–348/7 v. Chr.)

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Aigina Kodros arete Aporie Sokrates Ion Protagoras Politeia Phaidon Dialektik Sophistes Politikos Nomoi Akademie Agrapha Dogmata Atlantis Timaios Kritias Sais Hermokrates

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„Die Aufzeichnungen berichten, wie eure Stadt [Athen] einst einer gewaltigen Macht das Ende bereitet hat, als diese vom Atlantischen Meer aufgebrochen und in ihrem Übermut gegen ganz Europa und Asien zugleich heranzogen war. Damals konnte man nämlich das Meer dort noch befahren; denn vor der Mündung, die ihr in eurer Sprache die Säulen des Herakles nennt, lag eine Insel, und diese Insel war größer als Libyen und Kleinasien zusammen. Von ihr gab es für die Reisenden damals einen Zugang zu den anderen Inseln, und von diesen auf das ganze Festland gegenüber rings um jenes Meer, das man wahrhaft so bezeichnen darf. Denn alles, was innerhalb der erwähnten Mündung liegt, erscheint wie eine Hafenbucht mit einer engen Einfahrt; jenes aber kann man wohl wirk lich als ein Meer und das darum herumliegende Land in der Tat und in vollem Sinne des Wortes als ein Festland bezeichnen.Auf dieser Insel Atlantis nun gab es eine große und bewundernswerte Königsherrschaft, die sowohl über die ganze Insel als auch über viele andere Inseln und über Teile des Festlandes ihre Macht ausübte; zudem regierten diese Könige auf der gegen uns liegenden Seite über Libyen, bis gegen Ägypten hin, und über Europa bis nach Tyrrhenien [Etrurien]. Diese ganze Macht nun versammelte sich einst zu einem Heereszug und machte den Versuch, sich das ganze Gebiet bei euch und bei uns und alles, was diesseits der Mündung liegt, in einem einzigen Ansturm zu unterjochen.

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Damals nun, Solon, wurde die Kraft eurer Stadt mit ihrer Tüchtigkeit und Stärke vor aller Augen sichtbar; sie tat sich vor allen anderen durch ihren Mut und durch ihre Kriegskunst hervor, und so stand sie zuerst an der Spitze der Griechen; als dann aber die anderen abfielen und sie notgedrungen auf sich allein gestellt war und dadurch in äußerste Gefahr geriet, da zeigte sie sich den herannahenden Feinden überlegen und konnte ein Siegeszeichen errichten; jene, die noch nicht unterworfen waren, bewahrte sie vor der Unterwerfung, und uns anderen allen, die wir diesseits der Säulen des Herakles wohnen, schenkte sie großzügig die Freiheit wieder. In der darauffolgenden Zeit aber gab es gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen; es kam ein schlimmer Tag und eine schlimme Nacht, als eure ganze Streitmacht mit einem Male in der Erde versank, und ebenso versank auch die Insel Atlantis ins Meer und verschwand darin. Deswegen kann man noch heute das Meer dort weder befahren noch erforschen, weil in ganz geringer Tiefe der Schlamm im Wege liegt, den die Insel, als sie sich senkte, zurückgelassen hat“ (Plat. Tim. 24e1 – 25d6).

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Geographische Elemente in Platons Atlantis-Mythos: - Die Insel Atlantis ist größer als Libyen und Asien

zusammen - Sie liegt westlich von Gibraltar - Atlantis ist eine „heilige Insel“ - Atlantis ist eine von mehreren Inseln auf dem

Seeweg zum „wahren Festland“ - Das „wahre Festland“ ist eine zusammenhänge

Landmasse, die das „wahre Meer“ in sich birgt - Wegen des Schlamms ist das Meer an der Stelle,

wo Atlantis unterging, nicht mehr befahrbar. Platon scheint hier auf Hdt. IV 36-42 anzuspielen,

wo der pater historiae die Größe der Erdteile Libyen, Asien und Europa beschreibt.

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Das “ionische” Scheibenmodell(nach Hekataios, ca. 500 v. Chr.)

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Platons „Wahres Festland“(Atlantis-Mythos)

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Platons Atlantis-Mythos in Timaios und Kritias hat trotz zahlreicher antiker und moderner Gegenbehauptungen keinen historischen Kern, sondern sollte zur Erläuterung und Erweiterung seiner Vorstellungen in der Politeia dienen

Das im Atlantis-Mythos beschriebene Raumbild besteht im Wesentlichen aus einer Erweiterung des traditionellen („ionischen“) Erdscheiben-modells

Es gab damals zwei miteinander konkurrierende Vorstellungen von der Erde: das alte Scheibenmodell und das moderne Kugelmodell. Vgl. „Manche meinen, die Erde sei eine Kugel, andere wiederum, sie sei flach“ (Aristot. coel. II 13, p. 293b33-34)

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Aristoteles v. Stageira (384–322 v. Chr.)

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Lykeion Peripatos (> peripateisch) exoterisch/esoterisch Das Corpus Aristotelicum lässt sich gliedern

nach 1. erkenntnistheoretischen und logischen

Schriften2. naturwissenschaftlichen Schriften; 3. Schriften über metaphysische Dinge; 4. ethischen Schriften; 5. kunsttheoretischen Schriften und 6. politiktheoretischen Schriften.

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Das frühe Erdkugelmodell (fünf Klimazonen)

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Ganz wie Herodot spricht Aristoteles davon, dass man „heutzutage“ (!) lächerlicherweise die Karten (periodous tes ges) rund zeichnet“ (meteor. 2, 5, p. 362a33b30)

Aristoteles nahm in seiner Schrift Über den Himmel (298a8; offenbar in Bezug auf Plat. Phaid. 109a) aufgrund von Reiseberichten und von zoologischen Beobachtungen an, dass die Erdkugel nicht allzu groß und die Lücke zwischen Gibraltar und Ostindien recht schmal war. Das Verhältnis von Länge und Breite der Oikumene schätzt er auf „größer als 5 : 3“

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Die Oikumene nach Aristoteles (Prontera)

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Die Oikumene nach Aristoteles (Geus)

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Parnass(os)/Paropamisos (= Hindukusch) Baktros, Araxes, Indus Nach Aristoteles erstellt der Geograph seine

Karte der Oikumene anhand der ihm vorliegenden Informationen von Reisenden, anhand seines philosophischen Weltbildes und sogar nach Hörensagen.

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Exkurs: Das heliozentrische Weltbild des Aristarch von Samos (um 280 v.

Chr.?) 0. Literaturhinweise

Stückelberger, Alfred: Ptolemaios und das heliozentrische Weltbild: Zur Rezeption eines Paradigmenwechsels In: Döring, Klaus; Herzhoff, Bernhard; Wöhrle, Georg (Hrsg.): Antike Naturwissenschaften und ihre Rezeption. Bd. 8. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 1998. S. 83–99.

Russo, Lucio: (Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens. Übers. v Bärbel Deninger (Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens. Berlin; Heidelberg; New York: Springer, 2005) [richtet sich nach der erweiterten englischen Fassung].

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Mathematike syntaxis / Almagest Ptol. alm. I 2, Heiberg 9: 1. Das Himmelsgewölbe hat Kugelgestalt und dreht

sich wie eine Kugel; 2. Ihrer Gestalt nach ist die Erde für die sinnliche

Wahrnehmung, als Ganzes betrachtet, ebenfalls eine Kugel;

3. Ihrer Lage nach nimmt die Erde einem Zentrum vergleichbar die Mitte des ganzen Himmelsgewölbes ein;

4. Ihrer Größe und Entfernung nach steht die Erde zur Fixsternsphäre in dem Verhältnis eines Punktes;

5. Die Erde hat ihrerseits keinerlei Ortsveränderung verursachende Bewegung.

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Modelle des geozentrischen und heliozentrischen Weltbildes

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Kleanthes Seleukos Epizykel Deferent Exzenter

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Archim. Aren. 1 [Sandrechner = Psammites = Arenarius]

„Du [König Gelon] bist darüber unterrichtet, dass von den meisten Astronomen als Kosmos die Kugel bezeichnet wird, deren Zentrum der Mittelpunkt der Erde und deren Radius die Verbindungslinie der Mittelpunkte der Erde und der Sonne ist. Dies nämlich hast du aus den Abhandlungen der Astronomen gehört. Aristarch von Samos gab die Erörterungen gewisser Hypothesen heraus, in welchen aus den gemachten Voraussetzungen erschlossen wird, dass der Kosmos ein Vielfaches der von mir angenommenen Größe sei. Es wird nämlich angenommen, dass die Fixsterne und die Sonne unbeweglich seien, die Erde sich um die Sonne, die in der Mitte der Erdbahn liege, in einem Kreis bewege, die Fixsternsphäre aber, deren Mittelpunkt im Mittelpunkt der Sonne liege, so groß sei, dass die Peripherie der Erdbahn sich zum Abstande der Fixsterne verhalte wie der Mittelpunkt der Kugel zu ihrer Oberfläche ...“

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„Wenn man eine solche Verschiebung [sc. die Bewegung der Erde um die Sonne] ... annehmen wollte, dann würde ... der Fall eintreten, dass erstens die Größen und die gegenseitigen Abstände der Gestirne am östlichen Horizont scheinbar nicht die gleichen wie am westlichen Horizont sein würden, und dass zweitens die Zeit von dem Aufgang bis zur Kulmination nicht gleich sein würde der Zeit von der Kulmination bis zum Untergang, was mit den Erscheinungen vollkommen im Widerspruch steht, wie man leicht sehen kann“ (Ptol. alm. 1, 5, Heiberg 18)

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„[Die Vertreter einer Achsenbewegung] müssten doch zugeben, dass die Drehung der Erde die gewaltigste von allen Bewegungen ... wäre, insofern sie in kurzer Zeit [d. h. in 24 Stunden] eine so ungeheuer schnelle Wiederkehr zum Ausgangspunkt bewerkstelligte, dass alles, was auf ihr nicht niet- und nagelfest wäre, scheinbar in einer einzigen Bewegung begriffen sein müsste, welche der Erde entgegengesetzt verliefe. So würde sich weder eine Wolke noch sonst etwas, was da fliegt oder geworfen wird, in der Richtung nach Osten ziehend bemerkbar machen, weil die Erde stets alles überholen und nach Osten vorauseilen würde“ (Ptol. alm. 1, 7, Heiberg 25)

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Ptolemaios lehnte das heliozentrische Weltbild ausschließlich mit mathematischen und physikalischen Argumenten ab. Diese Argumente waren für seine Zeit plausibel und unwiderlegbar.

Die ablehnende Haltung des Ptolemaios – und wahrscheinlich auch die der anderen „geozentrischen“ Astronomen vor ihm – hat weder etwas mit einer reaktionären Grundhaltung noch mit einem intellektuellen Defizit noch mit einem mangelnden Interesse an wissenschaftlichen Fragen zu tun (gegen Russo).

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VII. Die Erweiterung der geographischen Kenntnisse in der Zeit Alexanders d. Gr. und der Diadochen

0. Literaturhinweise Friedrich Pfister: Das Alexander-Archiv und die

Hellenistisch-Römische Wissenschaft. In: Historia 10, 1961, 30–67.

Klaus Geus: Space and Geography. In: Andrew Erskine (Hrsg.): A Companion to the Hellenistic World, Oxford 2003, 232–45.

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„Mathematiker“ (Eudoxos?) berechneten nach Aristoteles den Erdumfang auf 400 000 Stadien (= 75000 km), vielleicht aufgrund von Addition von Teilstrecken und Schätzungen

Die Beobachtungen, dass Elefanten sowohl im äußersten Westen als auch im äußerten Osten der Oikumene existieren, führte zu der Vermutung, dass der Weg über den Atlantik kurz sei

Die Philosophen und Forscher der hellenistischen Zeit, die von einem engen Zusammenhang aller Dinge ausgingen, fühlten sich berechtigt, Informationen aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen für weitreichende Spekulationen zu nutzen.

Über das Kaspische Meer (Binnenmeer? Ausbuchtung des Okeanos? Zusammenhang mit Hyrkanischem Meer?) kursierten unterschiedliche Vorstellungen

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Die Welt in der Zeit vor Alexander

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Ktesias Damastes Arabischer Golf wurde teils als Binnenmeer, teils als Teil

des Persischen Golfs, teils als Sund, der durch eine Landbrücke zwischen Afrika und Indien gebildet wird, angesehen

Die Afrika-Umsegelung durch die Phoiniker unter Necho II. (um 600 v. Chr.) wurde u.a. von Ephoros wegen der Klimazonentheorie bezweifelt

Alexander stellte sich zu Beginn seines Feldzuges Asien viel kleiner vor, als es der Realität entsprach

Babylon, Susa, Persepolis, Gordion, Gaugamela, Ekbatana

Bessos Bematisten Alexander selbst soll “die Beschreibung genau gelesen

haben, die die besten Kenner des Landes für ihn zusammengestellt hatten“ (Strab. 2, 1, 6).

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Der Hindukusch, eine Fortsetzung des „Tauros-Gebirges“, galt als der östliche Abschluss der Oikumene

Höhle des Prometheus Oxus (= Araxes?) = Amu-Darya Iaxartes = Syr-Darya Alexandria Eschate Europäische/Asiatische Skythen Pharasmenes Chorasmien Baktrien Sogdiane Akesines „Ägyptische Bohne“

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Alexander hatte bereits die Krokodile im Indus gesehen, die in keinem anderen Fluss als dem Nil leben; außerdem die Bohnen, die an den Ufern des Akesines wuchsen und die von der gleichen Sorte wie die waren, die Ägypten hervorbringt. Als er hörte, dass die Akesines in den Indus fließt, glaubte er, dass er den Ursprung des Nils gefunden hätte. Seine Vorstellung war, dass der Indus irgendwo in Indien entspringt, dann durch eine riesige Wüste fließt, wo er den Namen Indus verliert, und dann an der Stelle, wo das bewohnte Land beginnt, den Namen Nil von den Aithiopen und den Ägyptern erhält (Arr. anab. 6.1.2-3; cf. Strab. 15, 1, 25; Arr. Ind. 6, 8).

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Artaxerxes III. Poros Nearchos Hydraotes (h. Ravi) Hyphasis (Bias) Olympias Skylax Dareios Gedroische Wüste Herakleides, S. d. Argos Hyrkanien Plinius Naturalis historia Megasthenes Hekataios v. Abdera Euhemeros Iambulos Diodor Wenn wir vergleichen, wie sich die Griechen vor und nach

Alexander die Welt vorstellten, stellen wir eine Tendenz zu einer mehr objektiven und wissenschaftlichen und zu einer weniger ethnologischen und hellenozentrischen Sichtweise fest.

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VIII. Astronomie und Geographie bei Eratosthenes (276–194 v. Chr.)

0. Literaturhinweise Germaine Aujac: Eratosthène de Cyrène, le pionnier de

la géographie: Sa mesure de la circonférence terrestre, Paris 2001.

Klaus Geus: Eratosthenes von Kyrene: Studien zur hellenistischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, München 2002.

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Strabon, Plinius, Lukian, Archimedes: „[E. ist ein] vortrefflicher Gelehrter, der in der Philosophie eine bemerkenswerte Spitzenstellung einnimmt“

Lehrer: Lysanias aus Kyrene, Arkesilaos aus Pitane, Ariston aus Chios und Kallimachos (?)

„Beta“, „Neuer“ bzw. „Zweiter Platon“, „Pentathlos“ Ptolemaios III. Euergetes / Ptolemaios IV. Philopator Platonikos und Hermes Apollonios Rhodios Aristoteles: 400 000 Stadien Anonymus (Dikaiarch? Eudoxos? Aristarch?): 300 000 Archimedes: 300 000 Stadien Kleomedes: „Theorie über die Kreisbewegung der

Gestirne“ ( [?])

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Cleomed. I 7, 51-110 (gekürzt)Gehen wir erstens und im folgenden davon aus, dass Syene und Alexandria auf demselben Meridian („Längengrad“) liegen; zweitens, dass die Entfernung zwischen diesen Städten 5 000 Stadien beträgt, und drittens, dass die Strahlen, die von verschiedenen Teilen der Sonne auf verschiedene Teile der Erde treffen, parallel sind. Dass dies so ist, behaupten die Mathematiker. Gehen wir viertens davon aus – was die Mathematiker bewiesen haben –, dass gerade Strahlen, die auf parallele Linien treffen, abwechselnd gleiche Winkel bilden. Fünftens, dass die Kreisbögen, die auf gleichen Winkeln beruhen, ähnlich sind, d. h. dass sie im Hinblick auf den jeweiligen Kreis die gleiche Proportion und das gleiche Verhältnis besitzen. Denn wenn Kreisbögen auf gleichen Winkeln beruhen, wenn beispielsweise einer ein Zehntel eines Kreises darstellt, dann stellen auch alle übrigen ein Zehntel des jeweiligen Kreises dar.Für den, der dies begriffen hat, ist es wohl nicht schwer, die folgende Vorgehensweise des Eratosthenes nachzuvollziehen. Er behauptet, dass Syene und Alexandria auf demselben Meridian liegen. Da die Meridiane die größten in der Welt vorhandenen Kreise sind, müssen notwendigerweise auch die Kreise unter diesen [Meridianen] die größten Kreise der Erde sein. Daher ist der Erdkreis, der durch Syene und Alexandria läuft und den auch dieser Beweisgang aufzeigt, genauso groß wie der größte Erdkreis.

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Cleomed. I 7, 51-110 (II)Er sagt also – und so verhält es sich auch –, dass Syene auf dem sommerlichen Wendekreis [vgl. Abb., T‑E] liegt. Sobald also die Sonne im Krebs steht, ihre Sommerwende macht und genau auf den Meridian trifft, werfen die Zeiger der Sonnenuhr notwendigerweise keinen Schatten mehr, da die Sonne exakt lotrecht darüber steht [Z‑S]. Es gibt eine Angabe, dass sich dies in einem Umkreis von 300 Stadien so verhält. In Alexandria aber werfen zur gleichen Zeit die Zeiger der Sonnenuhr Schatten, weil diese Stadt nördlicher als Syene liegt. Wenn nun die beiden Städte unter demselben Meridian und dem größten Kreis liegen und wenn wir einen Kreisbogen von der Spitze des Schattens [M] bis genau zur Basis des Schattenzeigers (Gnomons) der Sonnenuhr in Alexandria [N] ziehen, dann wird dieser Kreisbogen ein Abschnitt des größten Kreises in der „Schüssel“ (skaphe) sein, weil die „Schüssel“ des Stundenzählers unter dem größten Kreis liegt.Wenn wir nun als nächstes in Gedanken Geraden projizieren, die von den beiden Schattenzeigern ( ) durch die Erde gehen, dann werden sie im Mittelpunkt der Erde zusammentreffen. Da der Stundenzähler in Syene lotrecht unter der Sonne liegt, wird es – wenn wir uns noch zusätzlich eine Gerade vorstellen, die von der Sonne bis zur Spitze der Sonnenuhr läuft – eine Gerade geben, die von der Sonne bis zum Mittelpunkt der Erde läuft [O1‑T]. Wenn wir uns nun eine zweite Gerade vorstellen, die von der Schattenspitze der Sonnenuhr in Alexandria [M] bis zur Sonne führt, wären diese Gerade [M‑O2] und die bereits genannte Gerade [O1‑S] Parallelen, da sie von unterschiedlichen Teilen der Sonne auf unterschiedliche Teile der Erde treffen.

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Cleomed. I 7, 51-110 (III)Die Gerade, die vom Erdmittelpunkt zum Zeiger in Alexandria führt [T‑A], schneidet nun diese beiden Parallelen so, daß sie abwechselnd gleiche Winkel bildet [a1; a2]. Der eine dieser Winkel [a1] liegt am Mittelpunkt der Erde, dort, wo sich die Geraden treffen, die von den Stundenuhren zum Mittelpunkt der Erde gezogen sind; der andere Winkel [a2] liegt dort, wo sich die Spitze des Zeigers in Alexandria und die Linie treffen, die von der Spitze seines Schattens bis zur Sonne durch den Berührungspunkt mit dem Zeiger gezogen ist. Auf diesem Winkel liegt ein Kreisbogen, der von der Spitze des Zeigerschattens zur Zeigerbasis gezogen ist [M‑N], während auf dem Winkel beim Erdmittelpunkt der Kreisbogen von Syene nach Alexandria läuft [S‑A]. Diese beiden Kreisbögen sind sich ähnlich, da sie auf gleichen Winkeln verlaufen. Denn der Kreisbogen in der Sonnenuhr [N‑M] hat zum entsprechenden Umfang [um P] dasselbe Verhältnis wie der Kreisbogen, der von Syene nach Alexandria läuft. Man misst nun, dass der Kreisbogen in der Sonnenuhr [N‑M] der fünfzigste Teil des entsprechenden Kreises ist. Notwendigerweise muss also auch die Entfernung von Syene nach Alexandria der fünfzigste Teil des größten Kreises der Erde sein. Und diese Entfernung beträgt 5000 Stadien. Der gesamte Kreis misst also 250000 Stadien. Dies ist die Vorgehensweise des Eratosthenes.

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Die Erdmessung des Eratosthenes

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360° : 7° 12´ = 50

50 x 5000 Stadien = 250000 Stadien (v.l.: 2520000 Stadien)

Fehlerhafte bzw. unbewiesene Prämissen: a) die Behauptung der Parallelität der

Sonnenstrahlen bzw. die mangelnde Berücksichtigung des Halbschattens der Sonne,

b) die fehlende Berücksichtigung der Abplattung der Erde an den Polen,

c) die fälschliche Verlegung Syenes auf den Sommerwendekreis und

d) die fälschliche Verlegung Syenes und Alexandrias auf denselben Meridian.

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Irrelevanz der fehlerhaften bzw. unbewiesenen Prämissen:

a) die Abweichung beträgt etwa eine Bogensekunde, was sogar mit modernen astronomischen Geräten schwer zu messen ist.

b) die Differenz zwischen Meridianumfang und Äquatorumfang beträgt ca. 66 km, d. h. 1,65 ‰ –, was weit unterhalb der Messgenauigkeit liegt

c) die gemessene Winkeldifferenz von 1/50 des Kreises (7° 12´ statt 7° 6´) ist mit einer Fehlerabweichung von 1/10° erstaunlich genau.

d) auch die Tatsache, dass die Meridiane von Alexandria und Syene ca. 3° auseinanderliegen, ist vernachlässigbar

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Die Irrelevanz der Fehlerquote in der

Erdmessung des Eratosthenes

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252(000) statt 250(000), weil:

252 = [2x2] x [3x3] x 7

„attisch-römisches“ bzw. „olympisches“ Stadion mit umgerechnet 185 Metern oder das „königlich-philetärische“ bzw. „königlich-ptolemäische“ bzw. „phönikisch-ägyptische“ Stadion?

Hypothetisch bleibt die von einem Teil der neueren Forschung vertretene Ansicht, Eratosthenes habe ein Maß von 148,8 oder 157,5 oder 157,7 oder 158,314 oder 168 oder 177,6 oder 180 Metern benutzt, was umgerechnet einem Erdumfang von etwa 37 200 bzw. 39 375 bzw. 39 425 bzw. 39 579 bzw. 42 000 bzw. 44 400 bzw. 45 000 Kilometern entsprochen hätte

Es ist verführerisch anzunehmen, dass das Ergebnis des Eratosthenes dem tatsächlichen Wert (835 km : 5 000 Stadien = 167 m) einigermaßen nahegekommen ist, doch geht dieser Schluss von unbeweisbaren Voraussetzungen aus

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Irrelevanz der fehlerhaften bzw. unbewiesenen Prämissen:

a) die Abweichung beträgt etwa eine Bogensekunde, was sogar mit modernen astronomischen Geräten schwer zu messen ist.

b) die Differenz zwischen Meridianumfang und Äquatorumfang beträgt ca. 66 km, d. h. 1,65 ‰ –, was weit unterhalb der Messgenauigkeit liegt

c) die gemessene Winkeldifferenz von 1/50 des Kreises (7° 12´ statt 7° 6´) ist mit einer Fehlerabweichung von 1/10° erstaunlich genau.

d) auch die Tatsache, dass die Meridiane von Alexandria und Syene ca. 3° auseinanderliegen, ist vernachlässigbar

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2. Die „Geographika“ des Eratosthenes Die Darstellung gliedert sich in drei Bücher. Die ersten beiden

Bücher sollten auf das dritte Buch hinführen, das Strabon (2, 1, 1, C 67) als Beschreibung einer „Karte der Oikumene“ ( ) ansieht. Daher ist vielleicht das literarische Werk primär als Kommentar zu der eratosthenischen Erdkarte zu verstehen.

Eratosthenes stellte nicht Homer an die Spitze der geographischen Forschung stellte. Er wies vielmehr nach, dass dessen topographische Angaben wertlos sind, wobei er behauptete,

„dass jeder Dichter nur auf Unterhaltung, nicht auf Belehrung abziele“ ( ).Eratosthenes schob noch ein Aperçu nach:

„Die Wege des Odysseus werde man so wenig finden wie den Mann, der den Windschlauch des Aiolos angefertigt habe.“ (Strab. 1, 1, 11, C 7)

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Autoren, die „offenkundig Erdichtetes erzählen“: Hekataios von Abdera, Theopomp, Euhemeros?

Im zweiten Buch versuchte Eratosthenes „eine Berichtigung der Erdbeschreibung vorzunehmen und seine eigenen grundlegenden Ansichten zur Geographie vorzustellen“

Xanthos von Lydos und Peripatiker Straton („Naturforscher“), evtl. auch Xenophanes „Anreger“

Die alte Vorstellung, dass die bewohnte Welt eine Insel () im Weltmeer () sei, griff Eratosthenes wieder auf:„Denn sogar nach Ansicht des Eratosthenes ... hänge das gesamte äußere Meer zusammen, so dass das westliche Meer und das Rote Meer nur ein Meer seien. Nachdem er dies behauptet hat, fügt er noch die Folgerung hinzu, dass das Meer außerhalb der Säulen [= Säulen des Herakles = Gibraltar], das Rote Meer und auch das mit diesem einst zusammengeflossene Meer die gleiche Höhe haben“ (Strab. 1, 3, 13, C 56).

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Für die Geschichte der Entdeckungsfahrten der frühen Neuzeit sollte aber der folgende Passus eine gewaltige Nachwirkung haben):„Denn die gemäßigte Zone, in der wir leben, sei größer [als angenommen] und bildet, wie die Mathematiker sagen, indem sie sich mit sich selbst verbindet, einen Kreis, so dass wir, wenn es die Größe des atlantischen Ozeans nicht verhinderte, von Iberien nach Indien auf derselben Parallele fahren könnten ...“ (Strab. 1, 4, 6, C 64)

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DIe Größe der Oikumene bei griechischen Autoren (Länge : Breite)

Demokrit: 3 : 2 Eudoxos: 2 : 1 Aristoteles: mehr als 5  : 3 Dikaiarch 3 : 2 Eratosthenes mehr als 2 : 1 (und

„chlamysartig“)

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Die Erdkarte des Eratosthenes (276–194 v. Chr.)

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Chlamys (Makedonischer Mantel)

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Chlamys (II)

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Chlamys (III)

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Die Erdkarte des Eratosthenes (276–194 v. Chr.)

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Chlamys (IV)

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Chlamys (V)

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Chlamys (VI)

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Chlamys (III)

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Die Berechnung der Länge der Oikumene

„Eratosthenes sagt nun, dass die schmalste Strecke Indiens bis zu dem Strom Indus 16 000 Stadien messe; denn die bis zu den (südöstlichen) Vorgebirgen reichende Strecke sei um 3000 Stadien größer. Von da bis zu den Kaspischen Toren seien es 14 000 Stadien; ferner bis zum Euphrat 10 000 Stadien; vom Euphrat bis zum Nil 5000 Stadien; weitere 1300 Stadien bis zur Kanobischen Nilmündung; sodann bis Karthago 13 500 Stadien; dann bis zu den Säulen des Herakles mindestens 8000 Stadien. Das übertreffe 70 000 Stadien um 800 Stadien. Ferner müsse man noch die Krümmung Europas jenseits der Säulen, die den Iberern gegenüber liegt und die nach Westen vorläuft, mit nicht weniger als 3000 Stadien hinzufügen (...) Ferner ergänzt er die genannten Längsentfernungen mit weiteren 2000 Stadien nach Westen und mit 2000 Stadien nach Osten, um seine Behauptung zu retten, die Breite der Oikumene betrage mehr als die Hälfte der Länge“ (Strab. 1, 4, 5, C 64).

16 000 + 3000 + 14 000 + 10 000 + 5000 + 1300 + 13 500 + 8000 + 3000 + (2 x 2000) = 77 800 Stadien

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Die Länge der Oikumene nach Eratosthenes

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Die Berechnung der Breite der Oikumene

„Daraufhin bestimmte Eratosthenes die Breite der Oikumene und behauptete, dass auf dem Meridian von Meroe aus bis nach Alexandria 10 000 Stadien sind; von da bis zum Hellespont etwa 8100 Stadien; sodann bis zum Borysthenes 5000 Stadien; ferner bis zum Meridian durch Thule ... weitere 11 500 Stadien. Wenn wir nun oberhalb von Meroe weitere 3400 Stadien hinzusetzen, damit wir auch die Insel der (geflohenen) Ägypter, das Zimtland und Taprobane mit umfassen, so werden es insgesamt 38 000 Stadien sein“ (Strab. 1, 4, 2, C 63).

10 000 + 8100 + 5000 + 11 500 + 3400 = 38 000 Stadien

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Die Breite der Oikumene nach Eratosthenes

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Der Hauptmeridian und der Hauptbreitenkreis durch Rhodos

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Der folgenreiche Gedanke des Eratosthenes “Denn die gemäßigte Zone, in der wir leben, sei größer (als

angenommen) und bildet ... einen Kreis, so dass wir, wenn es die Größe des atlantischen Ozeans nicht verhinderte, von Iberien nach Indien auf demselben Parallelkreis fahren könnten ...“ (Strab. 1, 4, 6, C 64).

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Eratosthenes´ Zonenmodell (in Hexekontaden)

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1 Hexekontade = 4200 Stadien Vom Äquator zum Südpol (bzw. Nordpol) = 15 Hex. =

63 000 St.

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Der Hauptmeridian und der Hauptbreitenkreis durch Rhodos

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Die Erdkarte des Eratosthenes (276–194 v. Chr.)

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„Am meisten scheint mir, wie gesagt, ein solches Unternehmen [die Geographie] der Geometrie und Astronomie zu bedürfen; und es bedarf ihrer in der Tat; denn ohne solche Verfahren ist es unmöglich, exakt schemata, klimata, Größen ( ) und die damit zusammenhängenden Dinge zu bestimmen. Aber so wie das, was sich auf die Messung der gesamten Erde bezieht, in anderen Werken gezeigt wird, hier aber vorausgesetzt und den Nachweisen dort Glauben geschenkt werden muss, so muss man auch voraussetzen, dass die Welt einer Kugel ähnlich (aber auch die Oberfläche der Erde einer Kugel ähnlich) sei – vor diesen beiden Gesetzen aber noch, dass Körper zu ihrer Mitte hin streben“ (Strab. 1, 1, 20, C 11).

„Am meisten vertraue ich Eratosthenes, der sehr sorgfältig eine „Geographie“ verfasst hat, indem er die klimata und schemata ( ) benannte“ (Ps.-Skymnos 113–4).

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Dieser [Eratosthenes] nämlich, der schon erwähnten Lage des Taurus-Gebirges und des Meeres von den Säulen des Herakles an folgend, scheidet durch eben diese Linie die bewohnte Erde in zwei Segmente, wobei er das eine das nördliche, das andere das südliche Segment nennt, und versucht dann wiederum, diese – soweit möglich – in (kleinere) Teile zu zerlegen, welche er “Siegel” () nennt (Strab. 2, 1, 22, C 78)“.

Mere () Merides () und Plinthia () alternative Bezeichnungen für „Siegel“

„Indien nämlich nennt er [Eratosthenes] Rhombus ähnlich, weil von seinen Seiten zwei vom Meer bespült würden …“ (Strab. 2, 1, 22, C 78; 15, 1, 11, C 689).

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Das erste Siegel („Indien“) des Eratosthenes

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„Wenn man gleichsam wie um eine Insel seine [des Pontos] Küste mit dem Schiff entlang fährt, beträgt der gesamte Weg 23 000 Stadien, wie Eratosthenes, Hekataios und Ptolemaios sowie andere unbedeutende Erforscher derartiger Fragen angeben. Das Meer bildet die Gestalt eines skythischen Bogens, der mit der Sehne gespannt ist, worüber die gesamte Geographie einer Meinung ist ... (FGrHist 1 Hekataios von Milet, F 197 = Amm. 22, 8, 9–14)

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3. Quellen und Methoden Eratosthenes verwendete: - ältere geographische Werke - literarische Werke mit geographischem Inhalt - Messungen von Spezialisten (wie von Alexanders

Bematisten) - Reiseberichte von Händlern, Diplomaten und

anderen Reisende

Strabon fordert (1, 1, 16, C 8) vom Geographen neben einer „enzyklopädischen Bildung“ () auch die „epigeneios historia“ ( ), die „Kenntnis der Tiere und Pflanzen und aller Dinge auf dem Land und im Wasser“

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Nach Strabon (2, 1, 11, C 71; vgl. auch 2, 1, 35, C 87) liefert „die Betrachtung und die Übereinstimmung aller Merkmale ein zuverlässigeres Ergebnis als ein Instrument“.

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4. Eratosthenes´ Beschreibung der Oikumene Vier bedeutende Völker bewohnen das schon genannte Land am

äußersten Rand: die Minaier den Teil, der am Roten Meer liegt; ihre größte Stadt ist Karna. An diese stoßen die Sabaier; ihre Hauptstadt ist Mariaba. Als dritte die Kattabanen, die die Gegend bis zur Meerenge und zur Durchfahrt des Arabischen Busens bewohnen, ihre Königsresidenz heißt Tamna. Am weitesten gegen Osten die Chatramotiten, die die Stadt Sabata besitzen.Alle Städte werden von Alleinherrschern regiert, sind gesegnet und schön geschmückt mit Tempeln und Königsresidenzen. Die Häuser gleichen in ihrer Holzbauweise den ägyptischen. Die vier Gaue umfassen mehr Land als das Delta in Ägypten. Die Königswürde übernimmt nicht der Sohn vom Vater, sondern der erste Sohn, der nach Einsetzung des Königs einem der Adeligen geboren wird. Denn sobald einer in das Amt eingesetzt ist, schreibt man die schwangeren Frauen der Adeligen auf eine Liste und stellt Wächter an, um herauszufinden, welche zuerst einen Nachkommen zur Welt bringt. Das Gesetz befiehlt, dass ihr Sohn als Nachfolger auserwählt und königlich erzogen wird“ (Strab. 16, 4, 3, C 768).

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IX. Die geographischen Vorstellungen des Hipparch

0. LiteraturhinweiseHugo Berger (Hrsg.): Die geographischen Fragmente des Hipparch, Leipzig 1869.D. R. Dicks (Hrsg.): The Geographical Fragments of Hipparchus, London 1960.Wolfgang Hübner: Hipparch. In: Wolfgang Hübner (Hrsg.): Geographie und verwandte Wissenschaften, Stuttgart 2000, 93–101 (Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike 2).Federico F. Repellini: Ipparco e la tradizione astronomica. In: Gabriele Giannantoni / Mario Vegetti (Hrsg.): La scienza ellenistica: Atti delle tre giornate di studio tenutesi a Pavia dal 14 al 16 aprile 1982, Napoli 1984, 187–223.

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Münze des Hipparch (aus Nikaia in Bithynien)

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Lebenszeit (ca. 194 – ca. 120 v. Chr.) aus den Beobachtungsdaten für Äquinoktien (162–126 v. Chr.) erschlossen

strenge, fast kleinliche Kritik gegenüber seinen Vorgängern und Ablehnung von Theorien und Hypothesen, die sich nicht auf akkurat beobachtete und wissenschaftlich abgesicherte Daten zurückführen lassen

Hipparch arbeitete auf dem Gebiet der Logik, Mathematik, Geographie und vor allem der Astronomie, vielleicht auch auf dem der Optik.

Erhalten ist nur der „Kommentar zu Arat“ Paranatellonten Fixsternkatalog umfasste etwa 850 Sterne „Über die Präzession der Jahrpunkte“ (

) (128 v. Chr.) Entdeckung einer Nova Astrologische Geographie

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Hipparch betrachtete die Geographie als Hilfsmittel der Astronomie

Der Titel seines dreibändigen geographischen Werkes war: „Gegen Eratosthenes“ oder „Gegen die Geographie des Eratosthenes“

Für Hipparch beginnt die wissenschaftliche Erdkunde mit Homer

Hipparch vermutete eine „Antikoikumene“ (bei Sri Lanka?) Hipparch lehnte die Methode des Erato sthenes, die Größe

der Oikumene aus der Addition von terrestrischen Einzelabschnitten zu berechnen, als unwissenschaftlich ab und forderte eine Bestimmung der Orte durch astronomische Methoden

Im zweiten Buch kritisierte Hipparch die Verlängerung des Tauros und die Verlagerung Indiens nach Süden

Im dritten Buch akzeptierte Hippach die Erdmessung des Eratosthenes, fügte nach Plinius aber 26000 Stadien den 252000 Stadien hinzu

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Das Hauptziel des Hipparch im 3. Buch war es, ein abstraktes Gradnetz der Erde zu konstruieren (mit Rhodos in der Mitte)

Hippach übernahm von seinen Vorgängern (u.a. Pytheas) auch einige Irrtümer (Breitengrad von Massilia-Byzanz; Breitenbestimmung von Athen; Verlagerung von Indien nach Norden; Adria-Mündung der Donau)

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X. Die darstellende Geographie in hellenistischer Zeit (Polybios, Agatharchides, Artemidoros, Poseidonios; mit einem Exkurs zu Krates)

0. Literaturhinweise Frank W. Walbank: The Geography of Polybius. In: Classica et

Mediaevalia 9, 1947. S. 155–182. Claudio Gallazzi; Bärbel Kramer: Artemidor im Zeichensaal.

Eine Papyrusrolle mit Text, Landkarte und Skizzenbüchern aus späthellenistischer Zeit. In: Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete 42 (1998). S. 189–208.

Johannes Engels: Agatharchides von Knidos´ Schrift Über das Rote Meer. In: Heftner, Herbert; Tomaschitz, Kurt (Hrsg.): Ad fontes! Festschrift für Gerhard Dobesch zum fünfundsechszigsten Geburtstag am 15. September 2004 dargebracht von Kollegen, Schülern und Freunden. Wien: Eigenverlag der Herausgeber, 2004. S. 179–92.

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Polybios (ca. 200–120 v. Chr.), bei dem Geographie und Historiographie miteinander verschmolzen sind, forderte eine Beschränkung auf das Bekannte

„Das Vorstehende [die Beschreibung der drei Kontinente] nun soll dazu dienen, dass es meiner Erzählung für diejenigen, die der Orte nicht kundig sind, an den notwendigen Voraus-setzungen nicht fehle, sondern dass meine Leser, gemäß den im Großen und Ganzen gemachten Einteilungen, jedem besonderen Orte in Gedanken seine Stellung und Beziehung zu geben vermögen, indem sie den Himmelsraum zum Maße nehmen. Denn wie wir bei dem Sehen gewohnt sind, dass Gesicht je nach dem Ort, der gezeigt wird, zu richten: so müssen wir auch in Gedanken uns jedes Mal nach den Gegenden wenden und richten, welche durch die Rede bezeichnet werden“ (Polyb. 3, 38).

Der neu gefundene Papyrus des Artemidoros aus Ephesos (geboren um 100 v. Chr.), der auch eine Karte von Spanien zeigt, ist in seiner Echtheit umstritten.

Artemidor schrieb „Geographumena“ in 11 Büchern

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Umzeichnung der Karte des Artemidoros

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Agatharchides aus Knidos (ca. 200 – nach 131 v. Chr.) schrieb neben Asiatika in 10 und Europiaka (?) in 49 Büchern die geographische Schrift „Über das Rote Meer“ ( ) in 5 Büchern (Sammlungen: FGrHist 86; GGM 1, 111–195 bzw. H.D. Woelk, Agatharchides von Knidos, Über das Rote Meer, Diss. 1966)

Agatharchides verwendete neben älteren geographischen Werken „Königliche Hypomnemata“ und Augenzeugenberichte

Poseidonios von Apameia (Syrien) (ca. 135–51/50 v. Chr.) schrieb zahlreiche Werke, darunter Über den Okeanos (evtl. identisch mit Periplus bzw. Perihegese)

Poseidonios verglich die oikumene mit einer , d.h. dem rautenförmigen Mittelstück einer Schleuder

Poseidonios hat viel ethnographisches Material über zahlreiche Völker der Mittelmeerwelt überliefert. Großes Interesse zeigte er an den Ursachen von Naturphänomenen wie der Nilschwelle, Ebbe-und-Flut, Erdbeben und Vulkanausbrüchen

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Bei seiner Erdmessung maß Poseidonios die Höhe des Sterns Kanopos, der in Rhodos am Horizont stand, in Alexandria als 1/48 des Großkreises. Da er die Entfernung zwischen Rhodos und Alexandria (die Poseidonios fälschlich auf denselben Meridian legte; Alexandria ist 29° 51´, Rhodos ist 28° 14´ N) mit 5000 Stadien zugrunde legte, kam er auf einen Erdumfang von 240 000 Stadien.

Später akzeptierte er die Erdmessung des Eratosthenes, reduzierte aber dessen Ergebnis auf 180 000 Stadien.

Poseidonios scheint wie Hipparch und Krates mehrere Oikumenen auf der Erdoberfläche angenommen zu haben.

Exkurs: Der Erdglobus des Krates von Mallos Abgesehen von zwei sehr zweifelhaften Notizen existiert nur

ein einziger bezeugter Bericht über einen Erdglobus, nämlich über den des stoischen Grammatikers Krates von Mallos (um 150 v. Chr.).

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Der Erdglobus des Krates von Mallos (150 v. Chr.)

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Krates interpretiert die Fahrt des Odysseus als Fahrt vom Mittelmeer in den Atlantik. Die Globusfläche des Krates war nur zu einem Viertel korrekt ausgefüllt, zu drei Vierteln jedoch mit symbolischen Namen oder Namen aus der griechischen Mythologie beschriftet.

Die Erdoberfläche teilte Krates durch zwei Okeanos-Ströme in vier symmetrische Sektoren auf. Im nordöstlichen Viertel lokalisierte Krates die damals bekannte Oikumene mit den Erdteilen Europa, Asien und Libyen; ins südöstlichen Viertel setzte er die so genannten Antöken, die “Gegenbewohner”. Im nordwestlichen Viertel siedelten nach Krates die Periöken, die “Umwohner”, im Südwesten von uns, auf der “Rückseite” der Kugel, die so genannten Antipoden.

Nach Macrobius hieß der Strom entlang des Äquators Okeanos, der andere Amphitrites.

Das Modell des Krates erfuhr später eine weite Verbreitung. Berühmtheit erlangte es durch das somnium Scipionis Ciceros und durch die spätantiken Werke des Macrobius und des Martianus Capella.

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XI. Strabons Oikumenegeographie

0. Literaturhinweise Johannes Engels: Augusteische Oikumenegeographie und

Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia. Stuttgart 1999.

Katherine Clarke: Between Geography and History: Hellenistic Constructions of the Roman World. Oxford 1999.

Daniela Dueck: Strabo of Amasia: A Greek Man of Letters in Augustan Rome. London / New York 2000.

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Über Strabons (ca. 63 v. Chr. – 23 n. Chr.) Leben ist wenig bekannt.

Strabon studierte bei Aristodemos und Tyrannion und unternahm weite Reisen (u.a. Beteiligung an der Nilfahrt des Aelius Gallus).

Er schrieb 43 Bücher „Geschichtliche Anmerkungen“ und 17 Bücher Geographika.

Die Geographika Strabons, entstanden in der Regierungszeit des Augustus und den ersten Jahren des Tiberius, zählen zu den antiken Werken, in denen eine umfassende kulturgeographische und historische Beschreibung der Oikumene versucht wurde.

Anders als die meisten anderen geographischen Schriften der Antike sind Strabons Geographika (fast) komplett erhalten. Sie bilden daher auch die zentrale Quelle zur Rekonstruktion der früheren Werke.

Neue Edition mit deutscher Übersetzung und Kommentar von Stefan Radt fast komplett erschienen.

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Strabons Beschreibung der Oikumene ist „romzentrisch“ und vernachlässigt die „Ränder“. Große Teile Asiens und Afrikas sind nach älteren Autoren beschrieben

Der Oikumenebegriff ist seit Alexander dem Großen auch mit Weltreichsansprüchen verknüpft. Die Römer postulierten ein „Reich ohne Grenze“ (imperium sine fine)

Die Raumauffassung Strabons ist nur wenig an den großen Straßen orientiert, obwohl er sich ihrer kulturell-politischen Bedeutung durchaus bewusst ist

Auf die mythische Geographie geht Strabon im Rahmen der Verteidigung Homers als ersten Geographen und bei der Beschreibung der Ränder der Oikumene ein

Strabon spricht Berichten von Kauffahrern als geographische Quellen a priori Wert ab (z. B. Ablehnung des Berichts des Pytheas; anders z. B. Stathmoi Parthikoi des Isi dor von Charax)

Strabons literarisches und konservatives Raumbild erhält durch kulturelle Aussagen und politische Wertungen individuelle Akzente

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Die Oikumene zur Zeit des Augustus sieht Strabon fast teleologisch als Großraum von höherer Qualität als die früheren und zeitgenössischen Reiche

Strabons Beschreibung kennzeichnen sein Stolz auf das städtisch geprägte Griechentum mit seiner typischen Lebensform und Bildung, die familiäre Verbundenheit mit der pontisch-kleinasiatischen Tradition und der politisch–sozialen Elite des mithradatischen Reiches und seine zugleich prorömische und prinzipatsfreundliche Haltung

Strabon Beschreibung orientiert sich an Tradition der Periplus- und Perihegese-Literatur

Wissenschaftliche Geographie gründet in den Disziplinen Physik, Astronomie und Geometrie (aber auch Geschichte)

Verwendung von geometrischen Figuren als Mittel der Veranschaulichung von Räumen

Strabon gibt detaillierte Anweisung zum Zeichnen einer „chorographischen“ Karte

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Strabons Karte der Oikumene

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Die Erdkarte des Eratosthenes (276–194 v. Chr.)

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Die chlamys-förmige Oikumene

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In Strabons Raumauffassung gibt es eine evolutionäre Komponente hinsichtlich des Kulturniveaus

Strabon kritisiert die Erdeinteilung des Eratosthenes (Diaphragma, Siegel) scharf und vertritt in eklektischer Weise die alte „3-Kontinente-Auffassung“

Strabon akzeptierte die Erdmessung des Poseidonios (180000 Stadien statt 250000 Stadien bei Eratosthenes) und reduzierte daher die Größe der Oikumene auf ca. 70000 x (weniger als) 30000 Stadien (statt 77800 x 38000 Stadien)

„Klimata“ des Strabon (nach Autolykos von Pitana?) waren traditionell

Die geographische Mittellage Italiens in der Mittelmeeroikumene und Roms in Italien förderten nach Poseidonios und Strabon die Ausprägung des römischen Staatswesens und prädestinierten Rom zur Herrin über die Mittelmeerwelt

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Phasis und Tanais als Grenze (Aristoteles)

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Die hellenistische Bezeichnung he kath´hemas thalatta („das Meer bei uns“) für das Mittelmeer wird auch von Strabon durchgängig gebraucht, ohne dass damit eine betont römische Raumerfassung im Sinne der mare nostrum–Ideologie verbunden wäre

Strabons Gesamtbild von der Mittelmeeroikumene wird grundlegend durch die große Anzahl und die Verteilung von Städten des griechisch-römischen Polis-Modells auf zentrale und periphere Gebiete des augusteischen Reiches bestimmt.

Strabon teilt das Interesse der antiken Geographen an „Metropolen“, richtet sein Augenmerk aber auch auf dynamisch ihren Status als Zentralorte für ihr Umland verändernde Siedlungsformen wie die 'Komopoleis' („Dorfstädte“).

Zusammenfassend gesagt, ist Strabons Raumauffassung von der Oikumene deutlich von literarischen Traditionen seiner Hauptquellen beeinflusst. Doch bildet sich auch durch die fachliche Kritik an seinen Hauptquellen, insbesondere Eratosthenes, Polybios und Poseidonios, und planvoll eingestreute, aktualisierende Zusätze eine eigenständige strabonische Raumerfassung heraus. Darin sind die prorömischen und principatsfreundlichen Akzente und Strabons 'philosophischer' Anspruch typische Elemente.

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XII. Die römischen Geographen Pomponius Mela und Plinius

0. Literaturhinweise Gerhard Winkler: Geographie bei den Römern: Mela,

Seneca, Plinius. In: Wolfgang Hübner (Hrsg.), Geographie und verwandte Wissenschaften, Stuttgart 2000, 141–61 (Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike 2).

Kai Brodersen (Hrsg.): Pomponius Mela: Kreuzfahrt durch die Alte Welt. Lateinisch-Deutsch, Darmstadt 1994.

Klaus G. Sallmann: Die Geographie des älteren Plinius in ihrem Verhältnis zu Varro: Versuch einer Quellenanalyse, Berlin; New York 1971.

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Das Interesse der Römer an Geographie setzte erst spät ein und beschränkte sich zunächst fast ausschließlich auf ethnographische Exkurse (Sallust, Caesar u.a.)

Cicero, der mit dem Gedanken spielte, eine „Geographia“ zu schreiben, zeigt eine erstaunliche Unnwissenheit auf diesem Gebiet (z.B. Cic. rep. 2, 4, 8))

„Dass alle Staaten auf der Peloponnes am Meer liegen, dafür habe ich mich auf die tabulae eines keineswegs oberflächlichen, auch nach deinem Urteil bewährten Man nes, des Dikaiarch, verlassen ... So habe ich denn die betreffende Stelle ganz wörtlich aus Dikaiarchos übertragen“ (Att. 6, 2, 3)

Der Universalgelehrte M. Terentius Varro dar (116–27 v. Chr.) schrieb ein Werk De ora maritima., deren Aufbau und Intention allerdings schwer bestimmbar sind

Pomponius Mela aus Tingintera schrieb vermutlich 43/44 n. Chr. seine Chorographia. Seine Beschreibung erfolgt im Form eines Periplus von Gibraltar aus.

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Rekonstruktion des Weltbildes des Pomponius Mela

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„Periplus“ des Pomponius Mela (Sallmann)

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Mela konzentriert sich bei seiner Beschreibung auf die Küstengegenden und schildert die Binnengegenden eher flüchtig. Auch vermeidet die Angabe von Himmelsrichtungen und spricht getreu seiner hodologischen Perspektive eher von „links“ und „rechts“.

Mela hatte ein gebildetes Publikum im Auge, dem er eine geistige Rundreise durch die Oikumene verschaffen wollte.

„Gegenüber [dem Atlas] liegen die Glücklichen Inseln. Sie haben Überfluss an von selbst wachsenden Früchten, die Frucht auf Frucht folgend ohne Arbeit die Bewohner nähren, reichlicher als sonst wohl angebautes Land. Eine der Inseln ist ausgezeichnet durch die seltsame Art zweier Quellen: wer aus der einen Quelle trinkt, der lacht sich zu Tode, wogegen aber ein Trunk aus der anderen Quelle schützt“ (3, 102)

Benutzt ist Mela bei Solinus (collectanea rerum memorabilium) und Martianus Capella (de nuptiis Mercurii et Philologiae)

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Ein gesteigertes Interesse an fachgeographischen Problemen findet sich bei L. Annaeus Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.) in dessen quaestiones naturales (7 Bücher)

Quaestiones = griech. problemata oder Zetemata Die Erforschung der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten ist

für den Stoiker insofern Aufgabe des wahren Menschen, weil er nur so seinen Geist übt und weiter entwickelt

C. Plinius Secundus (23/24 – 79 n. Chr.), hat in jahrzehntelanger Arbeit ein Werk aus 37 Büchern geschaffen. Plinius rühmt sich, 20 000 Exzerpte aus 2000 Büchern von 100 ausgewählten Autoren benutzt zu haben

Die Bücher 2 bis 6 sind der Geographie gewidmet. Das Buch 2 behandelt in allgemeiner Form Kosmologie und physische Geographie, Buch 3 Westeuropa, Buch 4 Osteuropa, Buch 5 Afrika und Kleinasien und Buch 6 Asien und Afrika.

Ähnlich wie Pomponius Mela wählt Plinius die Säulen von Gibraltar als Ausgangspunkt für seinen „Rundgang um die Welt“, circuitus mundi.

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„Periplus“ des Plinius (Sallmann)

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Plinius unterteilt die „europäische“ Seite des Mittelmeeres in vier Buchten

Triumphzug des L. Cornelius Balbus (19 v. Chr.) Berichte des Domitius Corbulo und des Licinius Mucianus Erdkreis wird durch die „Kaukasischen Tore“ „abgesperrt“ Nach Schilderung der „inneren“ Oikumene folgt „äußere“

Oikumene Die Verhältnisse in Taprobane, Sri Lanka, erinnern mehr an

eine utopischen Schilderung als eine reale Länderkunde Mit den „Glückseligen Inseln“ endet der „Periplus“ Die restlichen Kapitel des 6. Buches sind der mathematischen

Geographie gewidmet, wo Plinius einige Irrtümer unterlaufen Parallelen zwischen Mela und Plinius deuten auf Varro als

Quelle Wichtige Quellen des Plinius waren die formulae provinciarum,

die commentarii (?) des Agrippa, ältere geographische und ethnographische Werke (Timaios von Tauromenion, Isidor von Charax), zeitgenössische Berichte und eigenes Erleben

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XIII. Der Höhepunkt der antiken Geographie: Klaudios Ptolemaios

0. Literaturhinweise Klaudios Ptolemaios: Handbuch der Geographie; Griechisch-

Deutsch, hrsg. v. Alfred Stückelberger und Gerd Graßhoff, 2 Bde., Basel 2006; Ergänzungsband mit einer Edition des Kanons bedeutender Städte. hrsg. v. Alfred Stückelberger und Florian Mittenhuber. Basel 2009.

Florian Mittenhuber: Text- und Kartentradition in der Geographie des Klaudios Ptolemaios. Eine Geschichte der Kartenüberlieferung vom ptolemäischen Original bis in die Renaissance. Bern 2009.

Klaus Geus: Ptolemaios über die Schulter geschaut – zu seiner Arbeitsweise in der Geographike Hyphegesis. In: Rathmann, Michael (Hrsg.): Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike. Mainz am Rhein 2007, 159–66.

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Die Einschätzung der Leistungen des Ptolemaios ist umstritten (negativ: Willy Ley, Wilhelm von Schmidt, R. R. Newton)

Lebenszeit des Klaudios Ptolemaios (lat. Ptolemaeus) durch astronomische Beobachtungsdaten in Alexandria annähernd auf 100–180 n. Chr. bestimmt

Seine bedeutendsten Werke waren der „Almagest“ (Syntaxis mathematike) und die „Geographie“ (Geographike Hyphegesis)

Die „Geographie“ enthält über 8100 Namen und ca. 6400 Längen- und Breitenangaben

Sein Ziel war es, die bekannte Welt, die Oikumene, in ihrer Gesamtheit zu erfassen und kartografisch korrekt darzustellen

Ptolemaios schlug zwei neue Projektionsarten vor, die beide die Strecken- und Flächenverhältnisse der Kugel sinnvoller wiedergeben als die alte Zylinderprojektion

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(1. oder „echte“) Kegelprojektion des Ptolemaios

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(2. oder „unechte“) Kegelprojektion des Ptolemaios(Codex Constantinopolitanus Seragliensis)

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Ptolemaios´ Bild der Oikumene enthält aus heutiger Sicht mehrere Fehler. Besonders auffällig: Die Länge der Oikumene ist stark überdehnt (180° statt ca. 120)

„Da wir es uns im vorliegenden Werk vorgenommen haben, „unsere“ Oikumene ( ) so proportionsgenau () wie möglich darzustellen, halten wir es für notwendig, Folgendes vorauszuschicken: Von besonderer Bedeutung für ein solches Vorgehen ist die Auswertung der Reiseberichterstattung ( ), welche die reichhaltigste Erkenntnis liefert aus der Datenvermittlung von Leuten, die mit wissenschaftlichem Interesse ( ) einzelne Länder bereist haben. Ferner haben unsere Untersuchungen einen geometrischen und einen astronomischen Aspekt: einen geometrischen (), insofern durch bloße Abmessung der Distanzen die gegenseitige Lage der Orte aufgezeigt wird, einen astronomischen () aber, insofern mittels Astrolabien und Schattenmessern Himmelsbeobachtungen gemacht werden. Dabei ist die letztgenannte Methode unabhängig und zuverlässiger, jene (erstgenannte) dagegen gröber und auf letztere angewiesen“ (Ptol. geogr. 1, 2, 2).

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Die astronomische Methode: Mit Hilfe der „Schattenmesser“ (Gnomones oder Skiothera)

war die geographische Breite eines Ortes, der Breitengrad, relativ einfach zu ermitteln: Der Winkel, den am Mittag der Tag- und Nachtgleiche die Sonnenstrahlen und der Schatten des Gnomons bilden, entspricht dem Winkel der geographischen Breite

Komplizierter ist die Berechnung des Breitengrades aus der Dauer des längsten Tages

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Schattenlängenmessungen(nach Vitruv und Ptolemaios)

Stadt Verhältnis von Schattenlänge

zu Gnomonhöhe

Geographische Breite

(umgerechnet)

Heutiger Wert Werte nach Ptolemaios

Rom 8/ 9 = 0,89 41°40́ N 41°55́ N 41°40́ N

Tarent 9/ 11 = 0,82 39°20́ N 40°25́ N 40° 0́ N

Athen 3/ 4 = 0,75 36°50́ N 37°55́ N 37°15́ N

Rhodos 5/ 7 = 0,71 35°35́ N 36°20́ N 36° 0́ N

Alexandria 3/ 5 = 0,6 31°0 ́ N 31°15́ N 31° 0́ N

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Verzeichnis der „so genannten gegenüberliegenden Orte“ ( )

Ptolemaios scheint der erste Geograph gewesen zu sein, der Breiten- und Längengrad einer Ortschaft systematisch in Tabellenform zusammengeführt hat

Da sich die Erde in 24 Stunden einmal um ihre Achse dreht, entspricht 1 Stunde 15 Längengraden (360°/24h)

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Ptol. geogr. 1, 4

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„Dagegen sind die meisten Entfernungen und ganz besonders die nach Osten oder Westen [die Längengrade] recht ungenau überliefert, nicht aus Leichtfertigkeit derjenigen, die sich mit deren Erforschung befassten, sondern deswegen, weil die auf astronomischer Beobachtung beruhende Berechnung noch nicht geläufig war und weil man sich noch nicht die Mühe machte, häufiger Mondfinsternisse aufzuzeichnen, die zum selben Zeitpunkt an verschiedenen Orten beobachtet wurden – wie diejenige, die in Árbela zur fünften Nachtstunde, in Karthago dagegen zur zweiten Nachtstunde eintrat: Daraus würde sich ergeben, wie viele Äquatorialgrade ( ) nach Osten oder Westen die Orte voneinander entfernt sind.“

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Ptol. geogr. IV 3, 7

° L´ ° ´

Karthago bei Tunis, eine große Stadt 34° 50´ 32° 40´

Ptol. geogr. VI 1, 5

° ° ´

Arbela/Erbil 80° 37° 15´

80° - 34° 50´ = 45° 10´ (~ 3 Std.)

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Ptol. geogr. I 4, 2

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„Es wäre nämlich folgerichtig, dass einer, der nach diesen Grundsätzen eine Weltkarte zeichnen will, zuerst die durch sichereren Beobachtungen gewonnenen Punkte der Zeichnung wie Fixpunkte zugrundelegt und die aus anderen Quellen gewonnenen Daten diesen anpasst (), bis die gegenseitige Lage der Orte soweit als möglich mit den verlässlicheren, nach der ersten Methode gewonnenen Angaben in Einklang steht.“

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Ptol. geogr. IV 6, 30* ° ° L´Garame*/Djerma, eine Hauptstadt 43° 21° 30´

Ptol. geogr. IV 3, 13 * ° ° ´Neapolis bzw. Leptis Magna*/Lebda 42° 31° 40´

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Drei Probleme des Ptolemaios:

- Die astronomisch-geodätischen Gradangaben der Fixpunkte, die als Schatten- oder Tageslängenangaben vorlagen, mussten, um maßstabsgerecht in eine Karte eingezeichnet werden zu können, erst in Streckenangaben, also in Stadien, umgewandelt werden- Die Strecken zwischen zwei Orten sind in Logbüchern, Itineraren und anderen Reiseaufzeichnungen oft nicht nach Stadien, sondern nach Tagesreisen angegeben; die vorlie-genden Angaben mussten also ebenfalls erst in das gültige Streckenmaß umgewandelt werden. Hierbei sind außerdem „Anomalien“ wie Reiseunterbrechungen, widrige Wege-verhältnisse und Windeinflüsse in Rechnung zu stellen-Die Reisen folgten in der Regel zu Wasser der Küstenlinie, auf dem Lande den Straßen, also nicht der kürzesten Entfernung zweier Punkte. Die Fahrstrecken konnten also teilweise erheblich länger sein als die Luftlinie, die Ptolemaios für das Kartenzeichnen brauchte.

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Ptol. geogr. I 13, 1-4

„[Marinos] sagt nämlich, dass auf das Kory genannte Vorgebirge, das am Ende des Kolchischen Meerbusens liegt, der Argarische Meerbusen/die Palk-Straße folgt, der sich bis zur Stadt Kurula über 3040 Stadien erstreckt, und dass die Stadt Kurula von Kory aus in Richtung des Boreas/Nordosten liegt. Die Überfahrt dürfte also nach Abzug des dem Bogen des Argarischen Meerbusens entsprechenden Drittels fast genau 2030 Stadien ausmachen, wobei die Ungleichmäßigkeit der [täglichen] Fahrstrecken noch mit enthalten ist. Wenn man von dieser Zahl zur Ermittlung der ununterbrochenen Fahrstrecke nochmals ein Drittel abzieht, bleiben fast genau 1350 Stadien in der Richtung des Boreas. Wird diese Strecke auf den Parallelkreis zum Äquator in Richtung Osten projiziert, so tritt entsprechend dem eingeschlossenen Winkel eine Verkürzung um die Hälfte ein und wir werden zwischen den beiden Meridianen, nämlich dem Meridian durch das Vorgebirge Kory und dem durch die Stadt Kurula eine Distanz von 675 Stadien, d. h. fast genau 1 1/3 Grad [1° 20´], erhalten, weil die in dieser Lage gezogenen Parallelkreise sich vom größten Kreis [Äquator] nur unerheblich unterscheiden.“

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Rektifizierungsmethode des Ptolemaios(die Bezeichnung der Linien ist leider vertauscht)

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Tac. ann. 4, 72f.

Olennius infensos fuga praevenit, receptus castello, cui nomen Flevum ... Quod ubi L. Apronio, inferioris Germaniae pro praetore, cognitum, vexilla legionum e superiore provincia, peditumque et equitum auxiliarium delectos accivit ac simul utrumque exercitum Rheno devectum Frisiis intulit, soluto iam castelli obsidio et ad sua tutanda degressis rebellibus.

„Olennius [ein römischer Centurio] kam den Wütenden [den aufständischen Friesen] durch Flucht zuvor und rettete sich in ein Kastell namens Flevum ... Sobald Lucius Apronius, der Kommandant des unter-germanischen Heeresbezirks mit propraetorischer Gewalt, dies erfahren hatte, zog er die Veteranen-abteilungen aus Obergermanien nebst auserlesenen bundesgenössischen Fuß- und Reitertruppen zusammen und fuhr mit beiden Heeren zugleich den Rhein hinab gegen die Friesen. Die Belagerung des Kastells war bereits aufgehoben, die Aufständischen waren abgezogen, um ihre Habe zu schützen.“

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Ptol. geogr. II 11 Nobbe

(28° 45´ 54° 45´) Flevum

(29° 20´ 54° 20´) Siatudanda

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Ptolemaios nennt sein Verfahren insgesamt , also „Berechnen der Lagen (von Orten) durch Reduktion der Überschüsse“ (geogr. 1, 13, 1)

Insgesamt hat Ptolemaios seine Aufgabe, alle bekannten Orte der Oikumene in eine Weltkarte einzuzeichnen, vorzüglich gemeistert. Seine Leistung ist umso höher einzuschätzen, als er nicht etwa neue Quellen benutzt oder neue Messungen durchführt hat, sondern mit dem Material auskam, das prinzipiell schon seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten bekannt war. Obwohl die Geographike Hyphegesis (fast) ganz auf den Vorarbeiten und dem Material früherer Geographen und Reisender beruht, ist sie ein Quantensprung innerhalb der Geschichte der antiken Kartographie, ja sogar innerhalb der Geographie.

Von den Errungenschaften des Ptolemaios auf geographischem Gebiet sind auch heute noch einige gültig: die Nordorientierung unserer Karten, die Projektionslehre, die kartographische Zeichensprache und die mathematische Grundlegung der Längen- und Breitenangaben („Gradnetz“).

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Palla Strozzi (1373–1462)

Manuel Chrysoloras (1353–1415)

Jacobus Angelus (Jacopo d´Angeli)

Florentinus Laurentianus XXVIII 9 (Hs. S) und seine Schwesterhandschriften (Florent. Laurent. XXVIII 38 und 42)

Clavius

Guillaume Fillastre (1348–1428)

Francesco di Lapacino und Domenico di Lionardo Boninsegni

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„Damit das, was von jenem geradezu gottbegnadeten Geist (Ptolemaios) zur Vollendung gebracht worden ist, auch unseren Zeitgenossen zur Verfügung steht, habe ich mich bemüht, es in die lateinische Sprache zu übersetzen – ein, wie Mela über sein eigenes sagt, „wirklich kompliziertes und für eine elegante Darstellung völlig ungeeignetes Werk“ ... Im Übrigen bezeichnet dieser unser Autor sein ganzes Werk auf Griechisch mit Geographie, d. h. ‚Erdbeschreibung’, – eine Bezeichnung, welche der gebildetste Mann unseres Jahrhunderts, Manuel (Chrysoloras) aus Konstantinopel, der vortrefflichste Griechischlehrer in unserem Jahrhundert bei uns, während er es, soweit es möglich war, wörtlich in die lateinische Sprache zu übersetzen begann, nicht geändert hat. Aber wir haben es in Cosmographia geändert, weil das Wort, selbst wenn es griechisch ist, auch bei den Lateinern so gebräuchlich ist, dass es für ein lateinisches Wort gehalten wird, und weil wir glauben, dass dieser Mann (Manuel), wenn er das, was er übersetzt hat, überarbeitet hätte, letztlich die Bezeichnung in Cosmographia geändert hätte …

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„… Denn wenn Plinius und die übrigen lateinischen Schriftsteller, welche die Lage der Erde beschrieben haben, ihr Werk Cosmographia nennen und die Autoren selbst Cosmographen heissen, weiss ich nicht, warum nicht auch das Werk des Ptolemaios, der doch dasselbe Thema behandelt, bei uns mit demselben Wort bezeichnet werden sollte. Wenn man aber den Ptolemaios selbst, wie wir oben gesagt haben, von unseren Cosmographen abheben möchte, dann stimmt man umso mehr mit uns überein, als im Begriff Cosmographia etwas mehr enthalten ist als nur die Erde selbst, die der Geographie ihren Namen verliehen hat: Der Kosmos bezeichnet nämlich klar auf Griechisch, der Mundus (die Welt) auf Lateinisch die Erde und den Himmel dazu, der durch das gesamte Werk hindurch gleichsam als Fundament der Sache herangezogen wird. Was also die Griechen in allen Werken der Cosmographen Geographia nennen, scheint uns gerade in diesem Werk nach dem Beispiel der Unsern korrekter als Cosmographia bezeichnet zu werden. Doch nun genug davon. Alsbald wollen wir den Ptolemaios selbst lateinisch sprechen hören.“

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Angelus Vadius und Barnabas Picardus am 13. November 1475 in Vicenza

Paolo dal Pozzo Toscanelli, Conrad Gesner und Willibald Pirckheimer

Licet graeca aliquantulum calluisse videri possit, ta men mathematicas ita ignoravit, ut plerumque nec semetipsum intellexerit („Mag er sich auch ein klein wenig auf das Griechische verstanden haben, hat er doch die mathematischen Dinge so sehr verkannt, dass er meistens nicht einmal sich selbst verstanden hat“)

Die Kritik an Jacobus´ Übersetzung führte dazu, dass sie für den Druck der Ptolemaios-Ausgaben der Jahre 1482 und 1486 (von Donis Nicolaus Germanus), 1507, 1508 (von Marcus Beneventanus und Joannes Cota), 1511 (von Benardus Sylvanus), 1513 (von Giovanni Pico della Mirandula) und 1522 (von Laurentius Fries) überarbeitet wurde, bevor Willibald Pirckheimers lateinische Übersetzung (1525; mit Regiomontanus´ Anmerkungen) maßgeblich wurde. Schon vorher waren den Ptolemaios-Ausgaben tabulae modernae beigegeben, die den Zuwachs an geographischen Informationen dieser Zeit dokumentieren.

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XIV. Geographische Werke der Kaiserzeit

entfällt

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XV. Geographische Lehrdichtung

0. Literaturhinweise Schindler, Claudia: Geographische Lehrdichtung. In:

Hübner, Wolfgang (Hrsg.): Geographie und verwandte Wissenschaften. Stuttgart: Franz Steiner, 2000. S. 163-83 (Geschichte der Mathematik und der Naturwissen-schaften in der Antike; 2).

Boshnakov, Konstantin: Pseudo-Skymnos (Semos von Delos?): Zeugnisse griechischer Schriftsteller über den westlichen Pontosraum. Stuttgart: Franz Steiner, 2004 (Palingenesia; 82).

Brodersen, Kai (Hrsg.): Dionysios von Alexandria: Das Lied von der Welt. Hildesheim: Olms, 1994.

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Das Werk des Pseudo-Skymnos, eine Beschreibung der Küsten Europas und Asiens in 743 jambischen Trimetern, ist nur fragmentarisch in dem Codex Parisinus graecus supplementi 443 erhalten.

Versuche, den Autor zu identifizieren (Skymnos, Pausanias von Damaskos, Semos von Delos u.a.), sind als gescheitert zu betrachten.

Das Werk ist ca. 130 v. Chr. verfasst und Nikomedes II. gewidmet worden.

Das didaktische Ziel des Lehrgedichts ist ernst gemeint.

Erhalten ist die Küstenbeschreibung von den Säulen des Herakles bis zur Insel

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In der Nähe von ihr [Aigina] ist Salamis, auf der nach der Überlieferung einst Telamon, der Sohn des Aiakos geherrscht hat; danach kommt Athen. Die Pelasger sollen ihre ersten Einwohner gewesen, die nach der Sage auch Kranaer, später aber, als Kekrops herrschte, Kekropider hießen; in späterer Zeit, als Erechtheus über die Stadt herrschte, erhielt sie von Athene ihren Namen. Herodot überliefert dies in seinem Geschichtswerk. Für den, der um Sunion herumfährt, liegt gegenüber von Attika die Insel Euboia, die einst wegen ihrer Gestalt Makris genannt wurde, wie man erzählt, in späterer Zeit aber von der sogenannten Asopis den Namen Euboia erhielt. Auf ihr sollen zuerst halbbarbarische lelegische Kolonisten sich angesiedelt haben; aus Attika soll Pandoros, der Sohn des Erechtheus übergesetzt sein und Chalkis, die größte Stadt auf der Insel gegründet haben - Aiklos, ein Mann aus athenischem Geschlecht, aber Eretria, Kothos in gleicher Weise die Küstenstadt Kerinthos und die Dryoper eine Stadt, die Karystos heißt.

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Dionysios Perihegetes schrieb nach einer literarischen Anspielung in seinem Werk (Akrostichon) in Alexandria in der Zeit des Hadrian, also zwischen 117 und 138 n. Chr. Seine Weltbeschreibung in 1186 Hexametern ist von allen geographischen Lehrgedichten am besten erhalten.

Nach einer allgemeinen Einleitung beschreibt Dionysios in zwei größeren Blöcken in hodologischer Perspektive (aber mit wiederholten Neueinsätzen) Libyen und Europa sowie Asien.

Die Verteilung der Verse soll den (vermuteten) Größenverhältnissen der Regionen entsprechen

Ungewöhnlich gegenüber anderen geographischen Lehrgedichten ist die Vogelperspektive sowie die Verwendung von geographischen und Schema-Bildern.

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Rekonstruktion des Weltbildes des Dionysios Perihegetes

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Aufbau des Werkes des DionysiosEinleitung (1–26): Ozean und Grenzen der drei KontinenteOkeanos (27–169): Bezeichnungen der einzelnen Meere und Busen (von Westen über Norden und Osten nach Süden)Mittelmeer (58–169): Von den Säulen des Herakles bis zur MaiotisKontinente (170–1165)a. Afrika (174–269): Von den Säulen des Herakles bis zu den Syrten, dann Binnenland, dann den Nil hinab, dann restliche Völkerb. Europa (270–446): Von den Säulen des Herakles bis nach Griechenlandc. Inseln (447–619): Von den Säulen des Herakles bis Sizilien, Ionische Inseln, Kreta, ägäische Inseln bis Hellespont, Maiotis, dann Inseln im Okeanos (von Westen über Norden, Osten bis Süden) und sonstige Inselnd. Asien (620–1165): A. Norden Asiens: Von der Maiotis über Kolchis zum Kaspischen Meer, dann zurück zum Bosporos und weiter nach Syrien; B. Süden Asiens: Von Syrien zum Arabischen und Persischen Golf; vom Libanon über Kappadokien und Mesopotamien bis zu den Parthern; vom Persischen Golf bis zu den „Säulen des Dionysos“ in IndienSchluss (1166–1186)

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Dion. Per. 558–70 (Übers. v. Kai Brodersen)

„Auf Erythia zuerst, der rindernährenden, wohnenan der Atlantischen Flut Äthiopen, die Götterverehrer,der Makrobier Söhn´, unsträfliche, welch´ einst kamennach des feindlichen Geryon Tod. An dem heiligen Felsen,den sie auch nennen das „Haupt“ der Esuropäischen Erde,sind die Hesperischen Inseln, allwo des Zinnes Geburt ist,von der berühmten Iberer gesegneten Kindern bewohnet.Andere sind dem nördlichen Rand des Okeanos nahe,zwei Bretanische Inseln ge´nüber gelegen dem Rhenos,denn sein letztes Gewässer verströmt er dort in die Salzflut.Wunderbar ist die Größe von diesen, und keine der anderngleicht in Okeanos´ Flut den Bretanischen Inseln von allen.“

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Raute oder Rhombus

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Rekonstruktionsversuch der „rhombusförmigen“ Oikumene

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XVI. Die Tabula Peutingeriana

0. Literaturhinweise Weber, Ekkehard: Zur Datierung der Tabula Peutingeriana.

In: Herzig, Heinz E.; Frei-Stolba (Hrsg.): Labor omnibus unus: Gerold Walser zum 70. Geburtstag; dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern. Stuttgart: Steiner, 1989. S. 113–7.

Brodersen, Kai: Die Tabula Peutingeriana: Gehalt und Gestalt einer „alten Karte“ und ihrer antiken Vorlagen. In: Unverhau, Dagmar (Hrsg.): Geschichtsdeutung auf alten Karten: Archäologie und Geschichte. Wiesbaden: Harrassowitz, 2003. S. 289-97 (Wolfenbütteler Forschungen; 101).

Tabula Peutingeriana. Codex Vindobonensis 324, Öster-reichische Nationalbibliothek, Wien. Kommentiert von Ekke-hard Weber. Graz: Akademische Druck- u. Verlagsanstalt Dr. Paul Struzl, 2004.

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Die Tabula Peutingeriana ist eine Karte bzw. eine kartenähnliche Darstellung, die das römische Straßennetz der Kaiserzeit zeigt. Erhalten hat sich nur eine mittelalterliche Kopie (?) der Vorlage. Sie zeigt die großen Reichsstraßen. Benannt ist sie nach dem Augsburger Humanisten Konrad Peutinger (1465–1547), dem ersten nachweisbaren Besitzer der Karte.Das Original, das nach Meinung der meisten Forscher aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts stammt, enthält eine graphische Darstellung der damals bekannten Welt. Der Autor wollte mit der Karte (auch?) eine Gesamtdarstellung der „Oikumene“ seiner Zeit geben. Da vermutlich ein oder mehr Blätter im Laufe der Überlieferung verloren gegangen sind, ist die Vorlage nicht mehr vollständig rekonstruierbar.Der Kartograph Konrad Miller sah in dem Autor der TP den von im Anonymus Ravennatis erwähnten Castorius und datierte die Karte auf 365/6 n.Chr. Trotz der unzureichenden Begründung hat sich die Datierung im wesentlichen gehalten. Weber vermutet dagegen einen Bezug zu einem Gedicht des irischen Mönchs Dicuil (Anth. Lat. 472) , in der von einer Kopistentätigkeit und einer mundi summa die Rede ist und datiert diese auf das Jahr 435 n.Chr.Die Tabula Peutingeriana bestand ursprünglich aus einer Pergamentrolle von 675 cm Länge und ca. 34 cm Breite, die heute in 11 Segmenten aufgeteilt ist

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Segment III der Tabula Peutingeriana

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Segment II der Tabula Peutingeriana

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Die Karte ist mit brauner Tinte gezeichnet; die Straßenver-bindungen sind mit Linien in roter Tinte, die Städtenamen und Entfernungsangaben mit dunkler Tinte eingetragen.Die Beischriften sind in karolingischen Minuskeln aus dem 12. Jh. ausgeführt, was auf ein süddeutsches Scriptorium (Reichenau?) verweist. Der Schwarzwald wird auf der Karte als Silva Marciana bezeichnet. Dazu passt, dass in einem Bücherverzeichnis des 9. Jh. eine Mappa mundi in duobus rotulis bezeugt ist.Als gezeichnete Straßenkarte war die TP nach römischer Terminologie ein itinerarium pictum im Gegensatz zu den häufiger vorkommenden Straßenkarten in Buch- bzw. Tabellenform (itinerarium adnotatum)Insgesamt sind etwa 555 Städte und Dörfer sowie 3500 weitere geographische Objekte eingezeichnet Flussläufe, Seen und Bergketten sind nur selten der Wirklichkeit entsprechend abgebildet. Manche Ortsnamen bzw. die Lage von Orten sind falsch: Beispielsweise liegt Kempten (Cambodunum) entlang der Straße von Augsburg (Augusta Vindelic(or)um) über Epfach (Abodiaco), …, Bratananium (= Gauting), Isinisca (= Helfendorf), Adenum (= ad Oenum = Pons Oeni [Brücke des Inn] = Pfunzen bei Rosenheim), Bedaium (= Seebruck am Chiemsee) nach Juvavum (= Salzburg).