Freihandel und Tierschutz

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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS EIN VERGLEICH SCHWEIZ–EU FREIHANDEL UND TIERSCHUTZ

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Ein Vergleich Schweiz - EU

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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

EIN VERGLEICH SCHWEIZ–EU

FREIHANDELUND TIERSCHUTZ

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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Freihandel und Tierschutz: Ein Vergleich Schweiz–EU

Der Bundesrat hat vor zwei Jahren der EU eine weitge-hende Liberalisierung des Agrarhandels samt Übernahme des EU-Rechts bei Lebensmitteln vorgeschlagen. Er er-hofft sich dadurch tiefere Lebensmittelpreise für unsere Konsumenten und einen besseren Zugang unserer Bau-ern zum EU-Markt.

Um die Konsequenzen eines solchen Freihandelsab-kommens auf das Tierwohl abschätzen zu können, hat der Schweizer Tierschutz STS die Tierschutzgesetzgebungen und die Verbreitung besonders tierfreundlicher Haltungs-formen in der Schweiz und in der EU verglichen.

Überspitzt gefragt: Ist dieses Freihandelsabkommen ein Vehikel für das von der Mehrheit der Konsumenten und Steuerzahler gewünschte «Freilandhaltungsland» Schweiz? Oder leistet es am Ende ungewollt Massentier-haltungen, Qualtransporten und einem Abbau bei Tier-, Umwelt- und Naturschutz Vorschub?

Der STS kommt zum Schluss, dass unter dem Fokus des Tierwohls ein Freihandelsabkommen Schweiz–EU sehr skeptisch zu beurteilen ist. Lesen Sie diese Broschüre und machen Sie sich Ihr eigenes Bild.

Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH Geschäftsführer Fachbereich

Inhalt

Landwirtschaft heute – eine Standortbestimmung 3

Immer billigere Lebensmittel – Nutztiere zahlen die Zeche 6

Die wichtigsten Unterschiede zwischen den Tierschutz- vorschriften der Schweiz und der EU 7

Vergleich der Haltungsformen 8

«Label sei Dank» 9

Bäuerliche Tierhaltung oder Massentierhaltung 10

Tiertransporte: Rückwärtsgang 11

Gesetze müssen auch umgesetzt werden 14

Die STS-Position 16

Glossar und Links 20

Herausgeber

Schweizer Tierschutz STS

Dornacherstrasse 101, Postfach 461

4008 Basel

Tel. 061 365 99 99

Fax 061 365 99 90

[email protected]

www.tierschutz.com

Autor

Dr. Hansuli Huber, dipl. ing. agr. ETH

Geschäftsführer Fachbereich

Schweizer Tierschutz STS

Fotos

Michael Götz (3), iStockphoto (2),

Keystone (3), Reuters (1),

soylent-network.com (3), STS (2),

Deutsches Tierschutzbüro (3),

Fonzi Tromboni (Titel)

2

Page 3: Freihandel und Tierschutz

3SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Unsere Bauern stehen vor grossen Her-

ausforderungen. Schweizer Konsumenten

und Steuerzahler fordern eine möglichst

naturnahe und tierfreundliche Landwirt-

schaft bäuerlicher Prägung. Der Bundes-

rat hat das Tierwohl als eine von fünf tra-

genden Säulen der Agrarpolitik bezeich-

net und wünscht in seinem Bericht zur

Neuausrichtung des Direktzahlungssys-

tems eine möglichst hohe Beteiligung an

den Tierwohl-Programmen BTS (Beson-

ders tierfreundliche Stallhaltung) und

RAUS (Regelmässiger Auslauf ins Freie).

Auch die 2008 in Kraft getretene neue

Tierschutzgesetzgebung fordert von vie-

len Landwirten in den nächsten Jahren

Anpassungen in den Ställen. Mit dem

vom Bundesrat angepeilten Freihandels-

abkommen mit der EU gerät die Schwei-

zer Landwirtschaft nun aber unter Druck.

Gemäss Bundesrat soll bei Ratifizierung

eines solchen Abkommens das landwirt-

schaftliche Einkommen von 3 auf 1,6 Mil-

liarden Franken sinken.

Die rasche und sichtbare Veränderung

der Schweizer Landwirtschaft – immer

mehr Kühe verschwanden von den Wei-

den und landlos betriebene, gewerblich-

industrielle Tierhaltungsbetriebe entstan-

den – rief in den 1970er-Jahren inner-

nügend umgesetzt und kontrolliert.

Unsere Steuerzahler und Konsumen-

ten sind bereit, in Bio- und IP-Höfe so-

wie solche mit besonders tierfreundlicher

Haltung erhebliche Summen an Steuer-

geldern zu investieren und für deren Qua-

litätsprodukte, z.B. Bio- und Freilandeier

oder Labelfleisch, im Laden etwas mehr

zu bezahlen. Dabei gilt folgender Zusam-

menhang: Auch der tierfreundlichste und

naturnaheste Bauer muss schlussendlich

von der Tierhaltung leben und selbst die

verantwortungsbewusstesten Konsumen-

ten können und wollen nicht unbegrenzt

Geld für Lebensmittel ausgeben.

Schluss mit kurzfristigem DenkenNachdem Bauernverbände noch vor fünf-

zehn Jahren diesen Trend erst bekämpft

hatten, bekennen sich in der Schweiz

heute sehr viele (Label-, Bio- und IP-)

Bauern und bäuerliche Organisationen zu

dieser Art von Qualitätsproduktion. Im-

mer mehr setzt sich in der Landwirtschaft

die Erkenntnis durch, dass eine Qualitäts-

strategie aus Gründen der Nachhaltigkeit

und des Umwelt-, Natur- und Tierschut-

zes notwendig ist. Denn zur Lebensmit-

telerzeugung ist man auch in Zukunft auf

halb und ausserhalb der Landwirtschaft

Kritiker auf den Plan. Als Konsequenz aus

dieser Opposition gegen die Agroindus-

trialisierung trat 1981 ein umfassendes

Tierschutzgesetz gegen besonders krasse

Haltungsformen von Nutztieren in Kraft.

Gleichzeitig wurde eine Beschränkung

der Höchsttierzahlen pro Betrieb erlassen,

um das Entstehen von Massentierhaltun-

gen zu verhindern. Auf Druck des Tier-

schutzes wurden zwischen 1990 und 2005

verschiedene zusätzliche Nutztierschutz-

vorschriften beschlossen. 2008 trat eine

komplett überarbeitete, neue Tierschutz-

gesetzgebung in Kraft.

Ausserhalb der Schweiz hingegen

setzte sich die in den 1960er-Jahren in

den Industrieländern eingeläutete Spezia-

lisierung und Intensivierung der Nutztier-

haltung unter Ausblendung des Tierwohls

praktisch ungebremst fort. Erst seit eini-

gen Jahren stehen die Ausbeutung von

Nutztieren und der Trend zu Agroindus-

trie und Massentierhaltungen wenigstens

in Europa in der Kritik, sodass sich Brüssel

genötigt sah, vorerst einmal für Hühner,

Kälber und Schweine sowie beim Tier-

transport konkrete Tierschutzvorschriften

zu erlassen. Allerdings werden sie – wenn

überhaupt – in der Praxis bislang unge-

Landwirtschaft heute – eine Standortbestimmung

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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS4

fruchtbare Böden, saubere Luft und Was-

ser angewiesen. Dazu kommen ökono-

mische Gründe: Nur das Einhalten eines

hohen Tier- und Naturschutzstandards

ermöglicht es der einheimischen Land-

wirtschaft, ihre im Vergleich zu Import-

produkten höherpreisigen Produkte er-

folgreich am Markt absetzen zu können

und die Direktzahlungen in Zukunft zu

sichern.

Hoher Marktanteil für «tier­freundliche» ErzeugnisseProdukte aus tierfreundlicher Haltung

(Boden- und Freilandeier, Labelfleisch)

erwirtschaften heute rund 2 Milliar-

den Franken Umsatz am Markt, das sind

rund 50% des Detailhandelsumsatzes. Sie

sind damit dem Nischendasein entwach-

sen und etwa bei den beiden Riesen Mi-

gros und Coop teilweise Standard gewor-

den. Als Konsequenz dieser erfreulichen

Konsumentwicklung machte die Land-

wirtschaft in den letzten Jahren punkto

Umwelt-, Natur- und Tierschutz Fort-

schritte. Allerdings sind die ökologischen

Ziele (Erreichen einer vielfältigen Flora

und Fauna; saubere Luft, gesundes Was-

ser, fruchtbare Böden) und die Tierwohl-

Ziele noch lange nicht erreicht. So dürften

beim Tierschutz bislang jene Bauern auf

tierfreundliche Systeme umgestellt haben,

die wegen günstiger Gegebenheiten rela-

tiv wenig investieren mussten oder de-

nen der Markt für ihre besondere Art der

Tierhaltung zusätzliche oder längerfris-

tige Absatzchancen oder Mehrpreise er-

öffnete. Ein klares Indiz dafür ist die Tat-

sache, dass die BTS- und RAUS-Beteili-

gungsraten sowie die Umstellungsraten

beim Biolandbau nach anfänglich steilem

Anstieg seit Jahren stagnieren.

Die Bauern sind enorm gefordertMan darf nicht vergessen, dass die von

Steuerzahlern und Konsumenten gefor-

derte naturnahe Bewirtschaftung und

tierfreundliche Haltung den Landwirten

einiges abverlangt: Nebst der Aneignung

von zusätzlichem Wissen und Können

sind zum Teil grundlegende Umstellun-

gen im Pflanzenbau und in der Tierhal-

tung samt entsprechenden Investitionen

in Gebäude, Einrichtungen und Maschi-

nen nötig. So belaufen sich die Kosten

für den Neubau eines konkurrenzfähigen

tierfreundlichen Milchvieh- oder Schwei-

nestalles rasch einmal auf mehr als eine

Million Franken. Viele Bauern stehen des-

halb vor schweren Entscheidungen und

grossen Aufgaben. Diese können sie nur

dann erfolgreich bewältigen, wenn sie

nicht noch zusätzliche Aufgaben und Las-

ten schultern müssen und Staat und Bür-

ger ihnen den entsprechenden Rückhalt

geben. Von grösster Wichtigkeit ist dabei,

dass die Bauern ihre Qualitäts-Produkte

(Freilandeier, Labelfleisch etc.) langfristig

am Markt absetzen können. Doch das ist

heute noch schwierig, bieten doch aus-

ser Coop und Migros Detaillisten wie

Spar, Lidl, Aldi und Volg sowie das Gast-

gewerbe bislang nur wenig Labelfleisch

und Bioprodukte an.

Die Landwirtschaft steht vor einer

grossen Herausforderung, will sie die For-

derungen und Wünsche von Konsumen-

ten, Steuerzahlern und Bundesrat nach

mehr Tierschutz und tierfreundlicher

Nutztierhaltung erfüllen. Doch sie ist ge-

willt, diese Aufgabe anzupacken. Aller-

dings gerät sie nun durch das vom Bun-

desrat angepeilte Freihandelsabkommen

(FHA) mit der EU unter Druck. Es ist ab-

sehbar, dass ein solches Abkommen zu

stärkerem Preisdruck auf die einheimische

Landwirtschaft führt und durch höhere

Futter- und Nahrungsmittelimporte das

Inlandproduktionsvolumen senken wird.

Gemäss Bundesrat soll das landwirt-

schaftliche Einkommen von 3 auf 1,6 Mil-

liarden Franken sinken.

Es stellt sich aus STS-Sicht die Frage,

ob ein FHA die bisherigen, von Konsu-

menten und Steuerzahlern gewünschten

und mittlerweile auch vom Gros der Bau-

ern als richtig empfundenen Anstrengun-

gen im Bereich der Qualitätsproduktion

(Tierwohl, IP-/Biobetriebe, Umwelt- und

Naturschutzmassnahmen, Lebensmittel-

qualität und -sicherheit) eher beflügeln

oder eher dämpfen würde. Überspitzt ge-

fragt: Ist ein FHA ein taugliches Vehi-

kel für die angestrebte Vorreiterrolle der

Schweiz in der IP-/Bio- und Freilandhal-

tungsproduktion oder leistet es Massen-

tierhaltungen, Qualtransporten und ei-

nem Abbau bei Umwelt- und Naturschutz

Vorschub?

Nachholbedarf in aller WeltEine «gerechte» Verteilung und ein sorgsa-

mer Umgang mit den Vorräten, eine rela-

tiv ertragreiche Produktion – was den IP-

und Biolandbau keineswegs ausschliesst –

und eine eher fleischarme Ernährung vo-

rausgesetzt, wären die Bauern dieser Welt

wohl in der Lage, die Weltbevölkerung zu

ernähren. Und zwar ohne dass ein Sechstel

der Menschheit an Mangel- oder Unterer-

nährung leiden muss. Steigender Wohl-

Vom Schweizer Idyll zur Globalisierung – auf Kosten der Tiere?

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5SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

stand bringt allerdings stets auch Verän-

derungen bei der Nachfrage mit sich. So

stellt der Hunger nach Fleisch, Eiern und

Milchprodukten mittlerweile ein weltwei-

tes Phänomen dar; glasklar gekoppelt mit

der für die Menschen erfreulichen wirt-

schaftlichen Entwicklung in vielen früher

eher ärmeren Ländern. So problematisch

die Ausdehnung der weltweiten Tierpro-

duktion gerade auch punkto Ökologie

und Tierschutz ist: Man macht es sich zu

leicht, wenn man diese Entwicklung von

hier und heute kritisiert, nachdem unsere

Gesellschaft diese Wohlstandserschei-

nung und ihre Folgen bereits durchlebt

hat. Mitte der 1980er-Jahre erreichte der

durchschnittliche Fleischkonsum in der

Schweiz mit über 80 kg pro Kopf den Spit-

zenwert. Von da an gings wieder bergab

auf heute rund 50 kg pro Kopf (ohne

Fisch/Wild). Der hiesige Fleischkonsum

ist relativ moderat, auf jeden Fall um 30

bis 50 kg/Kopf tiefer als in der EU und in

den USA. Der Weltdurchschnitt liegt ak-

tuell bei 40 kg, in Entwicklungsländern

werden im Durchschnitt 20 kg Fleisch

verzehrt. Salopp gesagt: Die Massentier-

haltung nahm in den vergangenen Jahren

in der Schweiz ab, weltweit ist sie hinge-

gen stark am Wachsen.

Die Fleischerzeugung hat sich weltweit

innert 30 Jahren verdoppelt, die Poulet-

produktion gar verfünffacht. In Russland

und China wird die Milch- und Schweine-

produktion forciert, von Brasilien über die

arabischen Staaten bis Südostasien boomt

die Pouleterzeugung. Weltweit werden

1,4 Milliarden Kühe/Rinder und 1 Milli-

arde Schweine gehalten – Tendenz stei-

gend. Würde man diese Tiere nebenein-

ander anbinden, müsste man 60-mal die

Erde umrunden. Die nachfragebedingte

Ausdehnung der Tierhaltung wird Land-

wirtschaftsland zu einer begehrten Ware

werden lassen.

Knappes Landwirtschafts­land steigert PreiseDieser Verknappungsprozess wird durch

die Tatsache verstärkt, dass die Leistungs-

steigerungen bei Nutzpflanzen und -tieren

– mit oder ohne Gentechnik – an biolo-

gische, ökonomische und ethische Gren-

zen stossen. Eine weitere Verdoppelung

der Milch-, Fleisch- und Eiererträge pro

Tier, wie sie in den vergangenen fünfzig

Jahren stattfand, ist ausgeschlossen.

Auch das nutzbare Agrarland kann

nicht mehr substantziell ausgedehnt wer-

den. Im Gegenteil: Die langjährige feh-

lerhafte Bewirtschaftung hat die Boden-

fruchtbarkeit in vielen Gegenden die-

ser Erde verschlechtert oder der Erosion

preisgegeben. Ebenso stösst das Abhol-

zen von (Ur-)Wäldern zur Landgewin-

nung an ökologische, ethische und po-

litische Grenzen. Die Situation verschärft

sich durch den zunehmenden Anbau von

Pflanzen zur Energiegewinnung. Diese

Ackerflächen und die darauf wachsenden

Pflanzen sind der Ernährung von Mensch

und Tier entzogen.

Landwirtschaftsland zur Ernährung

der Menschen wird damit weltweit im-

mer knapper, auch wenn die Weltbevölke-

rung nicht mehr ansteigt. Die Nachfrage

nach Nahrungsmitteln, insbesondere tie-

rischer Herkunft, wird weiter ansteigen,

ohne dass dies in Zukunft mit weiterer

Produktivitäts- und Effizienzsteigerung

wettgemacht werden könnte. Nicht ohne

Grund kaufen Chinesen, Südkoreaner, die

Golfstaaten und Amerikaner vornehmlich

in Afrika Landwirtschaftsland auf. Bereits

sollen afrikanische Landbesitzer, die nur

auf den eigenen kurzfristigen Gewinn aus

sind, gegen 20 Millionen Hektaren ver-

kauft haben. Das entspricht einem Viertel

des europäischen Landwirtschaftslandes.

Die Verknappung von Landwirt-

schaftsland wird weltweit die Preise für

landwirtschaftliche Produkte anstei-

gen lassen. Als Konsequenz könnte sich

schon bald der jahrzehntelange Trend zu

immer günstigeren Lebensmitteln umkeh-

ren und wir gezwungen werden, wieder

einen grösseren Teil des Haushaltbudgets

für Nahrungsmittel aufzuwenden.

Glücklicherweise sind die seiner-zeitigen Prognosen des Club of Rome und anderer Schwarzmaler aus den 1970er- und 1980er-Jahren nicht eingetroffen. Die Weltbevölkerung ist viel weniger stark ge-wachsen als erwartet. Agrowissenschaft, Beratung und Bauern waren und sind ext-rem erfolgreich bei der Bereitstellung von Nahrungsmitteln. Durch Rationalisierung (z.B. Spezialisierung auf einen Betriebs-zweig, etwa Rindermast, Milchvieh oder Legehennen; Einführung von platz- und arbeitssparenden Haltungsformen), Me-chanisierung und Intensivierung (z.B. Fortschritte in der Futtererzeugung und der Fütterung sowie Einführung der ein-seitigen Leistungszucht) konnten ab den 1960er-Jahren in der Schweiz die Erzeu-gungskosten für tierische Produkte ext-rem gesenkt werden. Die Ausgaben der Konsumenten für Lebensmittel sanken von 30% auf heute 8% des Einkommens. Damit ging insbesondere eine Demokra-tisierung des Fleischkonsums einher. Was früher wenigen Reichen vorbehalten war, wurde in kurzer Zeit – weil nun für je-dermann erschwinglich – zu einer Selbst-verständlichkeit: unser täglich Fleisch. Die krasseste Entwicklung fand bei den Masthühnern statt: Noch vor 50 Jahren

war Geflügelfleisch das teuerste, heute ist es das billigste Fleisch.

Auf den Feldern und in den Ställen der Schweiz und der westlichen Länder wurden unglaubliche Leistungssteige-rungen realisiert. Seit 1960 verdoppelten sich die Kartoffelerträge pro ha auf 400 t, die Weizenerträge verdreifachten sich auf 7,6 t je ha. Innert weniger Jahrzehnte stieg die durchschnittliche Leistung je Kuh von 4000 auf 8000 Liter/Jahr. Eine Legehenne produziert heute 300 statt 150 Eier pro Jahr und Mastpoulets benötigen nicht mehr drei Monate, sondern nur noch 40 Tage bis zur Schlachtreife, wobei heute der Grossteil des Schlachtkörpers aus Brust- und Schenkelmuskulatur besteht. Auch dem Schwein wurde immer mehr Fleisch angezüchtet, sodass zwei Drit-tel des Schlachtkörpers sogenannte edle, d.h. verwertbare Fleischstücke sind. Dank des technisch-wissenschaftlichen Fort-schritts können heute pro ha Ackerfläche 4,5 Menschen ernährt werden. 1975, zu den Zeiten, als der Club-of-Rome-Bericht Kultstatus hatte, waren es noch 2,8 und 1950 gar nur 1,8 Menschen. Heute rech-net man, dass im Jahr 2050 1 ha Ackerflä-che 5,5 bis 6 Menschen ernähren muss.

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SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS6

Während in der Schweiz zwischen 1965

und 1985 Bauern, Metzger, Detailhänd-

ler und Konsumenten vom wachsenden

Fleischmarkt und der immer billigeren

Produktion profitierten, zahlten die Nutz-

tiere die Zeche. Denn die von Wissen-

schaft und Beratung propagierten platz-

und arbeitssparenden Haltungsformen

und die einseitige Leistungszucht blende-

ten das Wesen und die Biologie der Tiere

fast vollkommen aus. Deren Bedürfnisse

wurden auf Nahrung und Wasser redu-

ziert, also weniger, als jeder Pflanze zu-

gestanden werden muss. Selbst das Tages-

licht wurde den Schweinen und Hühnern

damals gestrichen!

Anders als im Ausland rief das in der

Schweiz rasch starke und wirkungsvolle

Gegenkräfte auf den Plan. 1981 trat als

eine Konsequenz aus dieser Opposition

gegen die Agroindustrialisierung ein um-

fassendes Tierschutzgesetz in Kraft, das

einigen besonders krassen Haltungsfor-

men von Nutztieren einen Riegel schob.

zer Tierschutzgesetzgebung legen keine

optimalen Tierschutzstandards fest, son-

dern bezeichnen mit konkreten Vorschrif-

ten und Detailmassen die Grenze zur Tier-

quälerei. Wer diese Anforderungen nicht

einhält, macht sich strafbar. Wer sie er-

füllt, bietet seinen Tieren noch lange nicht

eine tierfreundliche Haltung. Generell ist

zu sagen, dass diese Grenze zur Tierquä-

lerei in der Schweiz restriktiver festgelegt

ist, d.h., die Schweizer Mindestvorschrif-

ten bringen den Tieren insgesamt mehr.

Dazu gehörten etwa die dauernde Dun-

kelhaltung, die strohlose und dauernde

Anbindehaltung von Kühen und Rindern,

die Maulkörbe für Kälber oder Ferkelkä-

fige. Weltweite Berühmtheit erlangte das

Gesetz durch das Verbot von Hühnerbat-

terien.

Nach Ablauf der Übergangsfristen

wurden auf Druck des Tierschutzes von

1991 bis 2005 verschiedene zusätzliche

Nutztierschutzvorschriften beschlossen.

So kam es zu einem Verbot der Anbinde-

und Kastenstandhaltung von Sauen und

einem Verbot der Vollspaltenböden bei

Neubauten von Rinder- und Schweine-

mastställen. Aus dieser Zeit stammt auch

die Vorschrift, wonach Nutztiere mit

Ausnahme von Ferkeln nur mehr mittels

Schmerzausschaltung kastriert werden

dürfen. Allerdings wurden die Vorschrif-

ten nicht überall gleich konsequent um-

gesetzt: In den 1990er-Jahren beschäf-

tigte die mangelhafte Umsetzung der

Tierschutzgesetzgebung in vielen Kanto-

nen die Geschäftsprüfungskommissionen

von National- und Ständerat.

2008 trat eine komplett überarbeitete

Tierschutzgesetzgebung in Kraft. Diese

brachte eine Beschränkung der Tiertrans-

portzeit auf 6 Stunden sowie ein Verbot

von Extremzuchten und des Ferkelkast-

rierens ohne Schmerzausschaltung. Erst-

mals wurden auch konkrete Vorschrif-

ten zum Schutz von Ziegen, Schafen und

Pferden erlassen. Diese Nutztiere waren

bislang von der Tierschutzgesetzgebung

nicht geschützt gewesen. Neu wurde auch

eine verstärkte Aus- und Weiterbildung

und Information der Tierhalter vorgese-

hen.

Sowohl die fünf EU-Nutztierschutz-

richtlinien (Schutz landwirtschaftlicher

Nutztiere, Kälber, Schweine, Legehennen,

Masthühner) als auch die neue Schwei-

Immer billigere Lebens­mittel – Nutztiere zahlen die Zeche

Von besonderem tierschütze­rischem Interesse sind vier Unterschiede

1. Während die CH-Tierschutzgesetzge-bung zu allen Nutztieren detaillierte Vor-schriften und Mindestmasse vorgibt, feh-len EU-Richtlinien u.a. zur Haltung von Kühen, Mastvieh, Truten, Straussen und anderen Geflügelarten (ausser Hühnern), Schafen, Ziegen und Pferden. Damit sind Millionen von Nutztieren in der EU ohne gesetzlichen Schutz.

2. Die EU schreibt keinen TÜV für den Tierschutz vor. In der Schweiz hingegen müssen serienmässig hergestellte und verkaufte Haltungssysteme und Stall-einrichtungen auf Tierschutzkonformität und Praxistauglichkeit geprüft und bewil-ligt werden. Davon profitieren Bauern, die solche Systeme kaufen, und natürlich die darin gehaltenen Tiere.

3. In der Schweiz sind die allermeisten schmerzhaften Eingriffe verboten, in der EU hingegen dürfen beispielsweise junge männliche Kälber, Zicklein, Ferkel etc. ohne Schmerzausschaltung kastriert wer-den. Unter Einschränkungen sind auch das in der Schweiz verbotene Schnabel- und Schwanzcoupieren oder das Heraus-brechen von Zähnen bei Ferkeln zuläs-sig.

4. Während in der EU Tiertransporte nicht beschränkt sind – 40- bis 60 stün-dige Fahrten sind keine Seltenheit – dür-fen in der Schweiz Tiere maximal 6 Stun-den transportiert werden.

Vollspaltenböden: trostloses «Leben» im eigenen Kot

Page 7: Freihandel und Tierschutz

7SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

In der Schweiz ist die Haltung aller Nutz-

tierkategorien detailliert und konkret in

der Tierschutzgesetzgebung geregelt. In

der EU fehlen für die nachfolgenden Ar-

ten verbindliche Richtlinien:

Kühe, Mastvieh, Truten, Strausse und

andere Geflügelarten (ausser Hühner),

Schafe, Ziegen und Pferde.

Kälber: In der Schweiz müssen Kälber ab

der zweiten Lebenswoche in Gruppen ge-

halten werden, in der EU erst ab der ach-

ten Woche. Die Gruppenhaltung gilt in der

EU nur für grössere Haltungen, Kleinbe-

triebe mit sechs und weniger Kälbern dür-

fen diese weiterhin einzeln halten, wobei

auch in der Schweiz Einzeliglus mit Aus-

lauf zulässig sind. Eingestreute Liegeflä-

chen sind nur in der Schweiz vorgeschrie-

ben. In der EU dürfen Kälber in Vollspal-

tenbodenbuchten eingestallt werden.

Schweine: In der EU sind mehrstöckige

Ferkelkäfige zulässig, in der Schweiz sind

sie verboten. Gleiches gilt für das Ferkel-

kastrieren ohne Schmerzausschaltung.

Mastschweine werden in der Schweiz

ab 2010 mehr Platz haben, 9 m2 statt

0,65 m2 wie in der EU. Einstreu zum Lie-

gen ist allerdings weder in der Schweiz

noch in der EU vorgeschrieben. Die EU

plant, Vollspaltenböden ab 2013 zu ver-

bieten, die Schweiz lässt diese noch bis

2018 zu. Deutlich besser geht es den Sauen

in der Schweiz. In der EU dürfen säugende

Sauen dauernd und tragende Sauen bis

vier Wochen nach dem Decken in Kasten-

stände gesperrt werden. In der Schweiz

dürfen sich säugende Sauen frei bewegen.

Tragende Sauen dürfen nach dem Decken

maximal zehn Tage eingesperrt werden

und leben danach in Gruppenhaltung.

Schwanzcoupieren und Zähneabklemmen

sind in der Schweiz verboten, in der EU

dürfen sie nicht routinemässig, aber in be-

gründeten Fällen durchgeführt werden.

Legehennen: In der EU wird zum Schar-

ren, Picken und Staubbaden keine Ein-

streu vorgeschrieben, in der Schweiz ist

sie Pflicht. Das Schnabelcoupieren ist in

der Schweiz verboten, in der EU hingegen

erlaubt. Ausgestaltete Käfige und Gross-

käfige sind in der EU trotz Käfigbatte-

rieverbot ab 2012 weiterhin zulässig, die

Eier müssen allerdings als «Käfigeier» de-

klariert werden. In der Schweiz wurden

diese Haltungsformen vom staatlichen

Tierschutz-TÜV geprüft und – weil tier-

schutzwidrig – verboten.

Masthühner: Tageslicht und mindes tens 8

Stunden Dunkelphase sind in der Schweiz

Pflicht, in der EU sind reine Kunstlichtbe-

leuchtungen und alternierende Lichtpro-

gramme zulässig. In der Schweiz sind er-

höhte Flächen als Rückzugs- und Ruhe-

bereich festgeschrieben, in der EU müssen

die Masthühner auf dem Stallboden im ei-

genen Kot ruhen. Die maximale Besatz-

dichte beträgt in der Schweiz 30 kg/m2,

in der EU 42 kg/m2. Das heisst: Dürfte ein

Schweizer Hühnermäster nach EU-Vor-

schriften produzieren, könnte er die Hälfte

mehr Tiere in seinen Stall pferchen.

Die wichtigsten Unter­schiede zwischen den Tierschutzvorschriften der Schweiz und der EU

Käfighaltung: in der Schweiz seit 20 Jahren verboten, in der EU zulässig

* Die neue CH-Tierschutzgesetzgebung von

2008 bringt für alle Nutztiere deutlich mehr

Schutz, als die alte gewährleistet hatte. Sie

weist aber auch klare Versäumnisse zu Un-

gunsten der Tiere auf. Beispiel Milchkühe:

Während 275 Tagen im Jahr ist Anbindehal-

tung erlaubt. Lediglich an 90 Tagen sind die

Halter verpflichtet, den Tieren einige Stunden

Auslauf (Winter) zu gewähren und sie auf die

Weide zu lassen. Das heisst: Über 90% der

Zeit können Kühe angekettet gehalten werden.

Zulässig ist auch der elektrische Kuhtrainer.

Beispiel Schweine: Tragende Sauen dürfen in

kastenstandähnlichen engen Boxen (Fresslie-

gebuchten) gehalten werden, wo sie sich nur

gerade drehen können. Bei Mastschweinen ist

die Haltung der rund 100 kg schweren Tiere

auf 0,65 m2/Tier auf vollperforierten, harten

Böden ohne Stroh und ohne Auslauf legal.

Ab 2018 stehen allen Mastschweinen 0,9 m2

mit einer nicht perforierten Liegefläche zu, die

aber reiner Betonboden ohne Einstreu sein

darf. Mastrinder: Haltung auf 3 m2/Tier (bis

500 kg schwer!) auf vollperforierten, harten

Böden ohne Stroh und ohne Auslauf zulässig.

Ab 2013 ist für alle Mastrinder eine kleine Lie-

gefläche aus Hartgummi vorgeschrieben.

Fazit Obwohl die Mindestmasse und

Vorschriften der Schweizer Tierschutz-

gesetzgebung lediglich die Grenze zur

Tierquälerei definieren und damit keine

optimale, tierfreundliche Haltung ga-

rantieren, sind Schweizer Nutztiere von

Gesetzes wegen besser geschützt als ihre

Kollegen in der EU*. Einerseits gelten in

der Schweiz für alle Nutztiere konkrete

und detaillierte Vorschriften und anderer-

seits sind bei jenen vier Tierkategorien,

wo EU-Richtlinien existieren (Kälber,

Schweine, Legehennen, Masthühner), die

CH-Vorschriften strenger.

Page 8: Freihandel und Tierschutz

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS8

lich mitbestimmen und zugunsten eines

höheren, über die Mindestvorschriften der

Tier schutzgesetzgebung hinausgehenden

Haltungsstandards beeinflussen können.

Der STS hat deshalb eine Umfrage

in EU-Ländern zur Verbreitung von be-

sonders tierfreundlichen Haltungsformen

Der Nutztierschutzstandard eines Lan-

des definiert sich in erster Linie durch

die Tierschutzgesetzgebung. Das Bei-

spiel Schweiz zeigt aber, dass die Nach-

frage am Markt (Labelfleisch, Freiland-

eier) und staatliche Tierschutzförderpro-

gramme die Tierhaltungspraxis wesent-

Schweizer Rindvieh hat es besser als seine Artgenos-sen in der EU

(Weide, Auslauf- und Freilandhaltung,

Biotierhaltungen) durchgeführt. Ange-

schrieben wurden nationale Bio- und La-

belorganisationen, Landwirtschaftsbehör-

den, Wissenschaftler und Tierschutzorga-

nisationen. Sie wurden gebeten, die Ver-

breitung von Weidegang und Auslauf für

Rinder, Schweine und Hühner zu schät-

zen. Auch das FiBL hat verdankenswerter-

weise wichtige Informationen zur Biotier-

haltung in den EU-Ländern geliefert. Die

insgesamt 32 auswertbaren Resultate aus

12 EU-Ländern wurden dann mit der Ver-

breitung von BTS- und RAUS-Haltungs-

formen in der Schweiz verglichen, ebenso

die Auskünfte des FiBL und von zehn na-

tionalen Bioorganisationen zum Umfang

der Biotierhaltung in der EU resp. in ein-

zelnen EU-Ländern.

Es zeigt sich, dass die Schweiz punkto

tierfreundlicher Haltung bei praktisch al-

len abgefragten Tierarten entweder mit

oder alleine an der Spitze steht. Über alle

Tierarten gesehen, weist die Schweiz eu-

ropaweit mit Abstand die höchsten An-

teile an besonders tierfreundlichen Hal-

tungsformen (Weide-, Auslauf-, Freiland-

haltung, Gruppenhaltung) auf.

Weide­, Auslauf­ und Freilandhaltung: Die Schweiz ist und bleibt an der Spitze

Die Umfrage im Detail

CH A NL F S D FIN GB DK B IRL PL EST

Weidegang Milchkühe 80 20-40 60-80 10 80* 20-40 60-80* 80 40-60 80 60-80 60-80 20-40

Auslauf Mastvieh 50 5-10 80 10 80* 5-10 60-80* 60-80 80 10-20 60-80 40-60 60-80

Auslauf tragende Sauen 66 <5 <5 <5 5 -10 5-10 <5 40-60 <5 <5 <5 5-10 <5

Auslauf Mastschweine 62 <5 <5 <5 5 -10 5-10 5-10 5-10 <5 <5 <5 5-10 <5

Freilandhaltung Legehennen 69 20-40 10-20 10-20 20-40 10-20 10-20 40-60 20-40 20-40 20-40 <5 5-10

Gruppenhaltung tragende Sauen 100 20-40 60-80 10-20 80 40-60 5 100 40-60 20-40 20-40 40-60 80

* Diese hohen Werte in Schweden und Finnland gelten lediglich für die Vegetationsperiode, im Winter sind die Tiere im Stall. In der Schweiz können Kühe im Rahmen des RAUS-Programms auch im Winter regelmässig ins Freie. Die Biotieranteile an der Gesamtpopulation wurden von den Bioorganisationen, in der Türkei, der Ukraine, Lettland, Litauen, Island, Belgien, Finn-land, Estland, Deutschland und Österreich fast bei allen Kategorien mit unter 1% angegeben. Höhere Anteile fi nden sich u.a. beim Milchvieh in Österreich (16%), Dänemark (10%), Estland und Deutschland (je 3%), bei den Mastschweinen in Griechenland (5%), Grossbritannien (3%) und Dänemark (3%), bei den Legehennen in Deutschland (4%) und den Niederlanden (4%) sowie den Masthühnern in Frankreich (12%) und Belgien (5%). Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt der Anteil verkaufter Bioeier 17% und verkauften Biofl eischs 2%.

CH A NL F S D FIN GB DK B IRL PL EST

Weidegang Milchkühe 80 20-40 60-80 10 80* 20-40 60-80* 80 40-60 80 60-80 60-80 20-40

Auslauf Mastvieh 50 5-10 80 10 80* 5-10 60-80* 60-80 80 10-20 60-80 40-60 60-80

Auslauf tragende Sauen 66 <5 <5 <5 5 -10 5-10 <5 40-60 <5 <5 <5 5-10 <5

Auslauf Mastschweine 62 <5 <5 <5 5 -10 5-10 5-10 5-10 <5 <5 <5 5-10 <5

Freilandhaltung Legehennen 69 20-40 10-20 10-20 20-40 10-20 10-20 40-60 20-40 20-40 20-40 <5 5-10

Gruppenhaltung tragende Sauen 100 20-40 60-80 10-20 80 40-60 5 100 40-60 20-40 20-40 40-60 80

Page 9: Freihandel und Tierschutz

9SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Die Einführung von Labelprogrammen in

der Schweiz geht auf die Tierschutzorga-

nisationen KAGfreiland und Schweizer

Tierschutz STS zurück, welche Ende der

1970er-Jahre begannen, Boden- und Frei-

landeier speziell zu kennzeichnen und zu

vermarkten. Der STS half in den 1980er-

Jahren, die Mutter- und Ammenkuhhal-

tung und deren Produkte («Naturabeef»)

zu propagieren, und hob 1989 zusammen

mit der fenaco das Label «Agri- Natura»

aus der Taufe. Fleisch und Eier unter die-

sem Label wurden in den Filialen der

K-3000-Supermärkte angeboten und die

Tierhaltung vom STS überwacht. Das wie-

derum animierte Coop und Migros, ab den

1990er-Jahren stark auf die Karte Tier-

schutzlabel zu setzen.

Das Resultat lässt sich sehen: Heute

dürften Labelfleisch und Boden-/Freiland-

eier einen Umsatz von rund 2 Milliarden

CHF jährlich erzielen, was im Detailhandel

einen Anteil von gegen 50% ausmacht. In

keinem EU-Land haben sich Tierschutzla-

bels bei Fleisch und Eiern einen auch nur

annähernd hohen Stellenwert erarbeitet

wie in der Schweiz. In der EU dominie-

ren im Tierschutzfleisch-Segment primär

Bioherkünfte, die aber wie auch in der

Schweiz jeweils – wenn überhaupt ange-

boten – nur wenige Prozent des Gesamt-

konsums betragen und damit extreme Ni-

schenprodukte sind. Demgegenüber sind

Freilandeier und Labelfleisch aus Nicht-

biobetrieben in der Schweiz dank den De-

tailhandelsriesen Migros und Coop dem

Nischendasein entwachsen und dort teil-

weise zum Standard geworden.

Unbefriedigend ist die Situation

bei Aldi, Lidl, Spar und Volg, wo Tier-

schutzlabelfleisch wenig verbreitet oder

gar inexistent ist. Noch gravierender

für die weitere Entwicklung tierfreund-

licher Haltungsformen und die Verbrei-

tung entsprechender Qualitätsprodukte

wirkt sich die Rolle der Gastronomie aus.

Denn rund 50% des in der Schweiz kon-

sumierten Fleisches läuft über diesen Ka-

nal. Hier suchen mit wenigen löblichen

Ausnahmen Kunden selbst in hochdeko-

rierten Restaurants Freilandeier und Tier-

schutzlabelfleisch meist vergeblich. Viel-

mehr überwiegen Importe aus Massen-

tierhaltungen.

«Label sei Dank» – wie der Tierschutz in die Ställe kam

Allerdings: Unter den Blinden ist der

Einäugige König. Absolut gesehen, ist die

Verbreitung von BTS- und RAUS-Tier-

haltungen in der Schweiz bei mehreren

Tierkategorien noch unterdurchschnitt-

lich verbreitet:

BTS (GVE)

sehr tief (unter 20%):

männliches Jungvieh

tief (20 bis 40%): Milchkühe, Rinder,

Stiere, Jungvieh, Ziegen, Zuchthühner

RAUS (GVE)

sehr tief (unter 20%): Mastkälber, Kanin-

chen, Zuchthühner, Junghennen, Mast-

poulets

tief (20 bis 40%): männliches Jungvieh,

Aufzuchtkälber, Kälber unter 4 Monate

Das heisst: Auch in der Schweiz kön-

nen noch Millionen von Nutztieren nicht

regelmässig ins Freie, wie es ihrer Natur

entspräche, und müssen ihr Leben im Stall

verbringen.

Die relative Überlegenheit der Schweiz

bei der Verbreitung tierfreundlicher Hal-

tungsformen beruht mit Ausnahme der

Gruppenhaltung von Kälbern und tra-

genden Sauen nicht auf der Tierschutzge-

setzgebung. Vielmehr sind dafür zwei in

den 1990er-Jahren gestartete Massnah-

men verantwortlich, die sich heute als ein

fast ideales Zusammenwirken von Markt

und Staat zugunsten der tierfreundlichen

Nutztierhaltung erwiesen haben. Es sind

dies zum einen Labelprogramme wie Coop

Naturaplan und Naturafarm oder Terra-

Suisse von Migros und IP-Suisse, die in

ihren Anforderungen klar über die Mi-

nimalvorschriften der Tierschutzgesetz-

gebung hinausgehen. Und zum anderen

BTS-/RAUS-Direktzahlungen, welche der

Staat jährlich an Bauern mit besonders

tierfreundlichen Ställen und Auslauf-

oder Freilandhaltung ausrichtet – einer-

seits als Anreiz, um auf solche Haltungs-

formen umzusteigen bzw. in solche zu in-

vestieren, andererseits, um einen Teil des

Mehraufwandes, den solche Systeme oft

mit sich bringen, abzugelten.

Die Entstehung von Labels hat viel für eine bessere Nutztierhaltung gebracht

Page 10: Freihandel und Tierschutz

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS10

In der Schweiz hat sich aus verschiedenen

Gründen (Tradition, Bio/Kreislauf-Philo-

sophie, Agrarpolitik) eine bäuerlich ge-

prägte Tierhaltung erhalten mit oft meh-

reren gehaltenen Tierkategorien, modera-

ten Tierzahlen pro Stall resp. Betrieb und

einer Abstimmung von Futterfläche und

Hofdüngeranfall. Im Gegensatz zum Aus-

land wurde hierzulande ab Ende 1970er-

Jahre die einseitige Spezialisierung und

die Tierhaltung in gewerblich-industri-

ellen, ohne eigenes Land auskommen-

den Betrieben («Bahnhofbauern») öffent-

lich stark hinterfragt. Der Gesetzgeber re-

agierte mit mehreren Massnahmen auf

diese Diskussion: nebst einer Regelung der

benötigten Futterfläche und der Beschrän-

kung der Tierzahl je Hektare insbesondere

durch die Festlegung von Höchstbestan-

desgrenzen in der Tierhaltung. Betriebe,

die höhere Tierzahlen aufwiesen, mussten

diese in den 1980er-Jahren reduzieren.

Seither gab es immer wieder parlamenta-

rische Vorstösse zur Abschaffung oder zur

Verwässerung der Höchstbestandesgren-

zen, die bislang aber stets von einer Par-

lamentsmehrheit abgelehnt wurden.

Gegenläufige Entwicklung im AuslandDemgegenüber verlief im Ausland der Spe-

zialisierungs- und Konzentrationsprozess

in der Tierhaltung ungebremst. Massen-

tierhaltungen und Tierfabriken mit Zehn-

tausenden von Schweinen und Hundert-

tausenden von Hühnern sind nicht nur in

den USA, Brasilien und anderen Ländern

gang und gäbe, sondern auch in verschie-

denen Regionen der EU. Zum Vergleich:

In der Schweiz hält ein Schweinehalter

im Durchschnitt 160 Tiere. In Deutsch-

land sind es durchschnittlich 300, wobei

ein Drittel aller Schweine im Bundesland

Niedersachsen leben, wo es durchschnitt-

lich 600 Schweine pro Betrieb gibt. In den

Niederlanden werden pro Betrieb durch-

schnittlich 1160 und in Dänemark gar

1510 Schweine gehalten. Ähnliche Un-

terschiede finden sich in der Lege- und

Masthühnerhaltung. Selbst im ebenfalls

noch eher bäuerlich geprägten Österreich

hält man im Durchschnitt 20 000 Mast-

hühner, in der Schweiz sind es 6000. In

Deutschland werden durchschnittlich

50 000 Masthühner/Betrieb gehalten. Al-

leine die sieben grössten Legehennenhal-

ter im Bundesland Sachsen-Anhalt hal-

ten fast gleich viele Legehennen wie alle

Schweizer Eierproduzenten zusammen,

nämlich 2,3 Millionen Tiere.

Keine Frage, dass bei solchen Be-

triebsgrössen der Liter Milch, das Kilo-

gramm Fleisch oder ein Ei kostengüns-

tiger erzeugt werden können. Allerdings

geht dies in der Regel auf Kosten der Tiere

und auch all jener Landwirte, die nicht

mehr mithalten können. So titelte der

deutsche Spiegel 2009: «Leben im Hams-

terrad – den deutschen Milchbauern geht

es schlechter denn je». Zwar habe der

Strukturwandel rasant gegriffen: Innert

25 Jahren hätten drei Viertel der Milch-

bauern aufgegeben. Doch selbst ostdeut-

sche Riesenbetriebe mit 2500 Kühen zahl-

ten bei einem Milchpreis von mittlerweile

nur mehr rund 40 Rappen je Liter drauf.

Exportsubventionen führen zu Dumpingpreisen in anderen LändernÄhnlich wie in der Schweiz nach dem Aus-

stieg aus der Milchkontingentierung stieg

nämlich in der EU die zuvor begrenzte

Bäuerliche Tierhaltung oder Massentierhaltung

Hohe Tierbestände sind nicht a priori tier-

schutzwidrig. Aber beispielsweise ist eine

Freilandhaltung von Legehennen oder

Masthühnern mit 50 000 oder mehr Tieren

aus ethologischen, ökologischen und hy-

gienischen Gründen nicht vertretbar. Fakt

ist nämlich, dass sich Hühner selbst bei

besten Deckungsmöglichkeiten nie mehr

als 50 bis 100 Meter von ihrem Stamm-

bereich entfernen. Derart riesige Tierzah-

len bedeuten deshalb eine Tiermassierung

um den Stall herum mit entsprechender

Überdüngung, Verschlämmung und Ver-

wurmungsgefahr.

Putenmast in der EU: Ein artgerech-tes Leben wird den Tieren aus öko-nomischen Gründen verwehrt

Page 11: Freihandel und Tierschutz

11SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Liefermenge an, was einen sofortigen und

drastischen Preiszerfall auslöste. Als Aus-

weg – so schrieb der Spiegel – will die EU

für Butter und Milchpulver erneut Export-

subventionen zahlen, was dazu führt, dass

mit diesen Dumpingpreisen die Erzeuger

in anderen, z.B. afrikanischen, Ländern in

Bedrängnis gebracht werden. Es ist fast

unfassbar, wie naiv oder kaltschnäuzig

die EU-Kommission mit dieser verfehlten

Politik erst die einheimischen und dann

auch die ausländischen Milchbauern ru-

inierte, von den Konsequenzen fürs Tier-

wohl ganz zu schweigen.

Mensch­Tier­Beziehung wird der Maximierung geopfertAllgemein führen grosse Tierbestände mit

mehreren tausend Schweinen und Zehn-

tausenden von Hühnern zu einem hohen

Tierverkehr und -handel. Damit steigt das

Seuchen- und Krankheitsübertragungsri-

siko, und im Falle eines Falles entstehen

extreme wirtschaftliche Schäden. Der tier-

schützerisch gewichtigste Einwand gegen

Massentierhaltungen besteht aber darin,

dass die Mensch-Tier-Beziehung, die Tier-

pflege und -überwachung gegen null ten-

dieren. Hier muss man wissen, dass der

modernste Freilaufstall und die grosszü-

gigste Freilandhaltung fürs Tier stets nur

so gut sind wie der Tierhalter dahinter,

der zum Wohl und zur Gesundheit seiner

Tiere schaut. Eine intensive Mensch-Tier-

Beziehung ist nebst einer artgerechten

Haltung das A und O in jeder Nutztier-

haltung. Diese ist nur in einer bäuerlichen

Tierhaltung mit überschaubaren Einhei-

ten möglich.

Sowohl die Schweiz als auch die EU ver-

fügen über detaillierte Tiertransportvor-

schriften. Die für die Tiere gewichtigs-

ten Unterschiede betreffen die Regelung

der Transportdauer sowie die Umsetzung

und den Vollzug der Vorschriften. In der

Schweiz sind Transporte ab Verladeort bis

zum Schlachthof auf maximal 6 Stunden

Fahrtzeit beschränkt und der Transit von

Schlachttieren ist neu auch gesetzlich

verboten.

In der EU sind, entsprechende Fahr-

zeuge und das Einhalten von Ruhezeiten

vorausgesetzt, Ferntransporte über meh-

rere Tage und Ländergrenzen hinweg zu-

lässig. So ist bekannt, dass etwa Schweine

und Pferde 40 bis 60 Stunden lang herum-

gekarrt werden. Sowohl amtliche Stellen

als auch Tierschutzorganisationen bele-

gen, dass insbesondere auf Ferntransporten

von Schlachttieren die Vorschriften häufig

nicht eingehalten werden und es an Kon-

trollen und Sanktionen mangelt. Überbe-

legung, fehlende Tränken oder das Nicht-

einhalten von Ruhezeiten und das Fehlen

der geforderten Tier-Rast/Versorgungssta-

tionen scheinen an der Tagesordnung zu

sein. Ein ganz besonderes Tierschutzpro-

blem generiert der tausendfache Export

von EU-Schlachtrindern nach Nordafrika,

in den Libanon und nach Ägypten, indem

die Tiere nach langem Strassentransport

dann noch auf dem Seeweg verschifft und

in den Ankunftsländern in der Regel ge-

schächtet werden.

Transporte begünstigen SeuchenverbreitungDie Schweiz kennt glücklicherweise nur

mehr einen Bruchteil der in der EU be-

kannten Tierseuchen. Dazu beigetragen

haben kostenintensive Gesundheits- und

Prophylaxeprogramme sowie die Tatsa-

che, dass bislang ein intensiver Nutztier-

handel über Grenzen hinweg nicht statt-

fand. Dazu beigetragen hat zweifellos

auch das seit Jahrzehnten geltende Tran-

sitverbot für Klauentiere.

Nachdem der Bundesrat auf Druck

der EU dieses 2006 abschaffen wollte und

Tierschutz- und Bauernorganisationen

dagegen Sturm liefen, haben National-

und Ständerat 2010 ein Transitverbot für

Schlachttiertransporte (inkl. Pferde und

Geflügel) im Tierschutzgesetz verankert.

Fachleute sind sich einig, dass das Tran-

sitverbot bei einem Freihandelsabkom-

men unter Druck käme und mittelfristig

Rückwärtsgang bei Tier­transport und Schlachtung

Page 12: Freihandel und Tierschutz

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS12

aufgehoben werden müsste, da in der EU

keinerlei Anzeichen für ein Verbot der

tierquälerischen Ferntransporte und die

Übernahme der 6-Stunden-Transportzeit-

Regel der Schweiz bestehen.

Klare Regelungen beim SchlachtenDie Schweiz hat in der neuen Tierschutz-

gesetzgebung von 2008 das Schlachten

relativ detailliert geregelt, insbesondere

die Betäubungspflicht und die zulässi-

gen Betäubungsmethoden. Die techni-

schen Ausführungsbestimmungen sollen

2011 in Kraft treten. Die EU verfügt seit

1993 über eine Richtlinie zum Schlach-

ten. Gegenwärtig wird ein Vorschlag des

Rates über den Schutz von Tieren zum

Zeitpunkt der Tötung diskutiert, welcher

neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf-

nehmen soll und u.a. wichtige tierschüt-

zerische Details, wie die Dauer der Betäu-

bung, die Stromstärken bei der Elektrobe-

täubung etc. regeln wird, wie dies auch in

der Schweiz mit den technischen Ausfüh-

rungsbestimmungen vorgesehen ist.

Abgesehen von diesem tierschütze-

risch sehr bedeutsamen Unterschied deu-

tet alles darauf hin, dass die Vorschriften

zum Schutz von Tieren in Schlachtanla-

gen in der EU und der Schweiz sehr ähn-

lich ausfallen werden. Ob diese auf dem

Papier bestehende Gleichwertigkeit auch

in der Praxis Gültigkeit hat, dürfte in ers-

ter Linie von der Qualität der Kontrollen

in den Schlachthöfen abhängen, denn es

bestehen etwa bei Grösse und Verarbei-

tungskapazität von Schweizer und EU-

Schlachthöfen erhebliche Unterschiede.

So schlachten die drei Grossen in der EU

(Vion, Smithfield, Tönnies) in zwei Wo-

chen so viel Schweine wie die gesamte

Schweiz in einem Jahr. Alleine die PHW-

Gruppe, zu der auch das in die Schweiz ex-

portierende deutsche Unternehmen «Wie-

senhof» gehört, schlachtet pro Arbeitstag

beinahe eine Million Poulets, wofür alle

CH-Geflügelschlachtanlagen zusammen

zwei Wochen benötigen.

Hohe Schlachtfrequenzen werfen Fragen auf Die Schlachtfrequenz beim Grossvieh be-

trägt in der Schweiz und der EU in grossen

Schlachthöfen 60 bis 70 Tiere pro Stunde.

Alle drei grossen Schweineschlachtanla-

gen in der Schweiz verwenden als Betäu-

bung CO2-Gas mit einzelner oder grup-

penweiser Zuführung zur Betäubungsan-

lage. Dabei werden zwischen 240 bis 300

Tiere pro Stunde getötet. In der EU wird

mit CO2-Gasbetäubung und mit Restrai-

ner-Elektrobetäubung gefahren, wodurch

die Schlachtfrequenzen deutlich höher

sein können als in der Schweiz. Bei Gas-

betäubung beläuft sich die Kapazität auf

350 bis 600 Tiere pro Stunde, bei Restrai-

ner-Elektrobetäubung auf bis zu 600 Tiere

pro Stunde.

Die grossen Geflügelschlachthöfe in

der Schweiz arbeiten noch immer mit der

Elektrobetäubung, wobei zwischen 8000

und bei zwei zuführenden Betäubungsli-

nien 10 000 Tiere pro Stunde getötet wer-

den. In Belgien hat 1996 der erste Ge-

flügelschlachthof mit Gasbetäubung/

-tötung den Betrieb aufgenommen. Nach

einer Entwicklungsphase konnte die

Schlachtfrequenz von ursprünglich 9000

Tieren auf nun 12 000 Tiere je Stunde er-

höht werden. Im Unterschied zur Schweiz

wird hier in Schichten während 20 Stun-

den pro Tag geschlachtet und zerlegt, so-

dass allein dieser Schlachthof pro Tag

rund 240 000 Masthühner tötet und zu

Lebensmitteln verarbeitet. Ansonsten ist

auch in der EU die Elektrobetäubung des

Geflügels Mittel der Wahl. Die Schlacht-

frequenzen liegen hier allerdings deutlich

höher als in der Schweiz, und zwar bei

12 000 bis 13 000 Tieren je Stunde.

Akkord mit FehlerquoteIm Vergleich zur Situation noch vor dreis-

sig, vierzig Jahren fahren auch die Schwei-

zer Schlachthöfe inzwischen mit relativ

hohen Schlachtfrequenzen, was eine op-

Direkt aus der Box kopfüber ans laufende Band – in gros-sen Schlachtbetrieben über 10 000 Tiere pro Stunde

Ein tierschützerisch bedeutsamer Unter-schied besteht beim Schlachten: In der Schweiz ist die vorgängige Betäubung von Säugetieren in Schlachtanlagen Pflicht. In der EU dürfen Schafe, Ziegen, Kälber und Rinder hingegen auch geschächtet wer-den, das heisst, die Tiere werden fixiert und die Halsschlagadern ohne vorherige Betäubung zum Entbluten aufgeschnit-ten. Der Bundesrat wollte 2002 diese Pra-xis auch in der Schweiz zulassen und das seit 1893 bestehende Schächtverbot auf-heben, musste dieses Ansinnen jedoch nach vehementen Protesten von Tierärz-ten und Tierschützern wieder zurückzie-hen. Zur Versorgung von strenggläubigen Juden und Muslimen mit Koscher- und Halalfleisch lässt die Schweiz aber den Import zu. Nach Gesprächen des STS mit muslimischen Autoritäten ist es hierzu-lande auch strenggläubigen Muslimen ge-stattet, Fleisch von vorgängig betäubten Tieren zu essen. Dies unter der Vorausset-zung, dass die sogenannte Elektro-Kurz-zeitbetäubung zum Einsatz kommt.

Page 13: Freihandel und Tierschutz

13SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

timale Gestaltung und Organisation der

Einrichtungen und Abläufe (z.B. aus Sicht

des Tieres: Tieranlieferung/Transporte,

Auslad, Treiben, Unterbringung, Ruhig-

stellung, Zutrieb zu Betäubungsanlagen,

Betäubung, Tötung) bedingt. Aus Tier-

schutzsicht ist zu sagen, dass dem Tier-

wohl trotz dieser Leistungssteigerung in

den heutigen modernen Anlagen in der

Schweiz eher besser Rechnung getragen

wird als früher. Problematisch ist hinge-

gen, dass immer mehr kleinere, regionale

Schlachthöfe eingehen, weil sie unter an-

derem wegen der Gleichwertigkeit mit

EU-Fleischvorschriften hohe Investitio-

nen tätigen müssten. Dadurch verlängert

sich für Tiere aus Berg- und Randregionen

die Transportdauer.

Problematisch sind die fast doppelt so

hohen Schlachtfrequenzen bei den gros-

sen EU-Schweineschlachthöfen. So zei-

gen aktuelle Studien, dass bei Restrainer-

Elektrobetäubungsanlagen und Schlacht-

frequenzen von 600 Tieren pro Stunde

die Tierzuführung mit Einzeltreibgängen

nur mehr über den regelmässigen, tier-

schutzwidrigen Einsatz von für die Tiere

sehr schmerzhaften Elektrotreibhilfen er-

folgt. Nach der Gas- oder Elektrobetäu-

bung müssen die Tiere raschmöglichst

gestochen werden, damit sie entbluten

und sterben und nicht wieder aufwachen.

Für die korrekte Ausführung des Stichs

mit einem Hohlmesser bleiben den Ar-

beitern bei derart extremen Frequenzen

indessen lediglich 6 Sekunden Zeit! So

kommt es bei 1% der Tiere dazu, dass sie

nicht richtig gestochen werden und bei

vollem Bewusstsein in die Weiterverar-

beitung (Brühanlage!) fahren, ein Horror-

szenario, von dem bei etwa 250 Millio-

nen geschlachteten Schweinen in der EU

gegen 2,5 Millionen betroffen sein könn-

ten! Obwohl diese Missstände den Betrie-

ben und den Kontrollbehörden bekannt

sind, wird gemäss Fachleuten bislang in

der EU nichts gegen diese Tierquälerei un-

ternommen.

Grosser EU-Schlachthof: Extreme Schlachtfrequen-zen führen zur Tierquälerei

Auswirkungen der überlangen Transporte in der EU

Beim Fangen und Verladen der Lege-•hennen wurden in Grossbritannien bis zu 30% Brüche und ausgerenkte Glie-der gefunden, bei Truten 10% und bei Masthühnern 7%. Die Strapazen auf den Fahrten und die dichten Ladungen schwächen das Immunsystem der Hüh-ner und führen über die Ausscheidun-gen/Verschmutzung zur raschen und starken Verbreitung von Salmonellen-Keimen. Während in der Schweizer Hühnerhaltung Salmonellen dank ei-nes ausgeklügelten Systems und tier-freundlicher Haltungsformen unbedeu-tend sind, wurden in 20 bis 40% der EU-Geflügelhaltungen Salmonellen nach-gewiesen.

Fachleute gehen davon aus, dass in der •

EU 0,5 bis 1%, das heisst gegen 2 Mil-

lionen Schweine, auf Transporten ver-

enden. Beim Geflügel rechnet man mit

10 Millionen Tieren. Der wirtschaftliche

Schaden durch die verendeten Tiere be-

läuft sich auf rund 300 Millionen Euro

pro Jahr. Dabei stellen die Todesfälle auf

Transporten nur die Spitze des Eisber-

ges dar, denn die harten Transportbe-

dingungen verschlechtern die Fleisch-

qualität. In der EU weist jedes vierte

Schlachtschwein PSE (pale, soft, exu-

dative: wässriges Fleisch) auf. In tota-

len Zahlen sind das 45 Millionen Tiere.

Geschätzter wirtschaftlicher Schaden:

1,5 Milliarden Euro.

Die kaum ernsthaft kontrollierten Trans-•

porte tragen zur Ausbreitung von Seu-

chen bei. Beim Ausbruch der Maul- und

Klauenseuche im Jahr 2001 in Gross-

britannien wurde das Virus via Vieh-

handel in die Niederlande verfrachtet.

Die Folge: 6,5 Millionen Rinder mussten

notgeschlachtet werden. Der wirtschaft-

liche Schaden belief sich auf 23 Milli-

arden Euro. 2003 brach in den Nieder-

landen und in Norditalien die Vogel-

grippe aus. 31 Millionen Hühner wur-

den notgeschlachtet, der Schaden belief

sich auf 500 Millionen Euro. Im Januar

2007 brach auf einer Farm in Gross-

britannien erneut die Vogelgrippe aus.

160 000 Truten mussten getötet werden.

Der Erreger kam nicht mit einem Zugvo-

gel, sondern in einem Camion, der Kon-

takt zu infizierten Herden in Ungarn ge-

habt hatte.

Page 14: Freihandel und Tierschutz

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS14

Gesetzliche und privatrechtliche Tier-

schutzvorschriften sind nur so gut, wie

sie auch vom Bauern umgesetzt und kon-

trolliert werden. Der Vollzug der CH-Tier-

schutzgesetzgebung durch die Veterinär-

ämter war bis in die 1990er-Jahre hinein

praktisch inexistent. So verschickte ein

Kantonstierarzt, der zugleich Präsident

der Gesellschaft Schweizer Tierärzte war,

damals als Vollzugsmassnahme den Bau-

ern einen Papier-Meter mit der Auffor-

derung: «Jetzt wird gemessen!» Erst die

Einführung der Direktzahlungen Mitte der

1990er-Jahre hat mit der damit verbunde-

nen Verlagerung des Nutztierschutzvoll-

zuges zum Bundesamt für Landwirtschaft

und zu den kantonalen Landwirtschafts-

behörden zu einer besseren Umsetzung

der Vorschriften und zu konsequente-

ren Kontrollen und Sanktionen geführt.

Davon ausgenommen sind indessen die

Nutztierhaltungen in nicht direktzah-

lungsberechtigten Betrieben, z.B. Käse-

reien mit Schweinemast/-zucht, Hobby-

tierhalter oder Betriebe mit Leitern über

65 Jahren. Hier ist – oder wäre – weiterhin

die Veterinärbehörde gefordert.

Bemerkenswerterweise haben die mit

den Bauern enger verbandelten Landwirt-

schaftsämter mehr bewirkt als die für den

Tierschutz eigentlich zuständigen Veteri-

närbehörden. Bio- und IP-Suisse-Betriebe

werden jährlich, ÖLN-Betriebe mindestens

alle drei Jahre überprüft, auch auf das

Einhalten der Tierschutzgesetzgebung.

Schluss mit angemeldeten KontrollenWer die Tierschutzgesetzgebungsvor-

schriften nicht einhält und rechtskräftig

verurteilt wird, muss mit teils erheblichen

Kürzungen der Direktzahlungen rechnen.

Die Krux bei der Geschichte ist, dass die

allermeisten staatlichen Kontrollen auf

Voranmeldung geschehen (Ausnahmen

gibt es nur in einigen wenigen Kantonen,

die BTS- und RAUS-Betriebe stichproben-

weise unangemeldet überprüfen lassen).

Das hat seine guten Gründe und ist z.B.

im Pflanzenbau auch in Ordnung. Hin-

gegen ist die Beurteilung des qualitativen

Tierschutzes, also der Pflege der Tiere, der

Einstreu oder des Auslaufs so erschwert,

weil ein schlitzohriger Bauer vor dem an-

gemeldeten Besuch des Kontrolleurs noch

rasch Klarschiff machen wird.

Daneben werden Betriebe, die bei ei-

nem Label mitmachen, noch zusätzlich

überprüft. Als Beispiel sei hier das Label

Coop Naturafarm erwähnt. Die Schweine-,

Masthühner- und Kälberhalter, welche

vertraglich an dieses Label gebunden

sind, werden jährlich mindestens einmal

und – im Unterschied zu den staatlichen

und auch den meisten anderen Labelkon-

trollen – stets unangemeldet von Fachleu-

ten des Schweizer Tierschutz STS besucht.

Der zehnköpfige STS-Kontrolldienst, be-

stehend aus Bauern, Agro ingenieuren und

Veterinären, ist beim Bund akkreditiert

und wird jährlich einem Qualitätscheck

durch diese Stellen unterzogen. Sankti-

onen für fehlbare Betriebe werden nicht

vom Kontrolldienst, sondern vom Label-

inhaber und Auftraggeber ausgesprochen.

Diese können bis zum Lieferstopp oder

gar zur Kündigung der Zusammenarbeit

gehen. Im Weiteren führt der STS-Kont-

rolldienst im Auftrag von Coop und Mi-

gros/IP-Suisse für die Label Naturafarm

(Coop) und TerraSuisse (Migros/IP-Suisse)

schweizweit Tiertransport- und Schlacht-

hofkontrollen durch.

Oberflächliche Kontrollen in der EUDort, wo die EU konkrete und verbindli-

(Tierschutz­)Gesetze sind nur so gut, wie sie umgesetzt werden

Kontrolldienst des STS im Einsatz: Nur unangemeldete Kontrollen bringen etwas

Page 15: Freihandel und Tierschutz

15SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

che Richtlinien zum Nutztierschutz erlas-

sen hat (Schutz LW-Nutztiere, Legehen-

nen, Masthühner, Kälber, Schweine) kons-

tatierte die EU-Kommission 2007, dass die

Tierschutznormen in den meisten Ländern

nur oberflächlich kontrolliert würden. Es

gebe erhebliche Unterschiede zwischen

den verschiedenen Ländern, die meisten

Länder würden ihre Kontrollen nicht sys-

tematisch aufzeichnen, die Erhebungsme-

thoden seien sehr unterschiedlich und die

Ergebnisse würden nicht fristgerecht nach

Brüssel gemeldet. Diese Feststellungen

erinnern an die GPK-Berichte zum Tier-

schutzvollzug in der Schweiz Anfang der

1990er-Jahre. Man mag daraus folgern,

dass der Tierschutzvollzug in der EU heute

auf einem Stand ist wie in der Schweiz

vor 20 Jahren.

2006 verfasste die EU-Kommission

einen detaillierten Bericht über die Erfah-

rungen mit der Durchführung der Richtli-

nie über den Schutz landwirtschaftlicher

Nutztiere. Darin werden die Kontroller-

gebnisse der EU-15-Staaten aufgelistet.

Diese deuten klar darauf hin, dass es in

vielen Betrieben und Mitgliedsländern

mit der Umsetzung der Vorschriften und

der Durchführung der Kontrollen hapert.

So nahm es Österreich offensichtlich

bei den Kontrollen sehr genau: In 1543

kontrollierten Legehennenbetrieben wur-

den unglaubliche 7000 Verstösse festge-

stellt! Relativ hohe Beanstandungsraten

in den Hühnerställen wiesen auch Gross-

britannien (52%), Irland (70%), Spanien

(50%) und Deutschland (31%) auf. Dem-

gegenüber gab es in Griechenland keinen

einzigen Verstoss und in Italien nur 2%.

Ähnlich das Bild bei Kälbern: Hier kommt

Österreich bei 9378 besuchten Betrieben

auf 26 700 Verstösse. Auch Frankreich

(78%), Grossbritannien (51%), Finnland

(57%), Belgien (35%) und Deutschland

(28%) weisen relativ viele Verstösse auf.

Demgegenüber wurde in Griechenland

unter 1100 besuchten Kälberbetrieben nur

ein einziger Tierschutzsünder gefunden.

In Italien war die Beanstandungsrate mit

1% ebenfalls sehr tief. Auch die Schwei-

nekontrollen zeigen ein dubioses Bild:

In Österreich wurden in 2625 besuch-

ten Betrieben 12 000 Verstösse registriert.

Frankreich (89%), Grossbritannien (82%),

Dänemark (70%) und Irland (58%) weisen

ebenfalls hohe Beanstandungsraten auf.

Hingegen waren – angeblich – alle 403

kontrollierten griechischen Schweinebe-

triebe in Ordnung. In Italien wurden bei

10 868 überprüften Ställen nur 142 Ver-

stösse entdeckt, was 1,3% entspricht.

Die europäische Nutztierschutzorganisa-

tion «Compassion in World Farming» be-

suchte 2008 und 2009 74 Schweinebe-

triebe in Dänemark, Ungarn, Deutschland,

Spanien, den Niederlanden und Grossbri-

tannien. Dabei wurden die von der EU-

Richtlinie vorgeschriebene Beschäftigung

von Schweinen sowie das Verbot des rou-

tinemässigen Schwanzcoupierens und

des Zähneabklemmens unter die Lupe ge-

nommen:

Land Vorkommen Schwanzcoupieren/ Zähneabklemmen Keine BeschäftigungDK 100% 67%D 79% 89%H 70% 70%NL 100% 88%E 100% 100%UK 54% 36%

Die Studie kommt zum Schluss, dass die-

sen EU-Tierschutzvorschriften in den al-

lerwenigsten Betrieben nachgelebt wird.

Schweizer Betrieb, der auf die Bedürfnisse der Tiere Rücksicht nimmt

Trotz Verbots werden Schweine in der EU regelmässig schwanz-coupiert

Page 16: Freihandel und Tierschutz

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS16

Kehren wir nun zum Schluss zur auf

Seite 4 gestellten Frage zurück: Wird ein

Freihandelsabkommen (FHA) die bisheri-

gen von Konsumenten und Steuerzahlern

gewünschten und mittlerweile vom Gros

der Bauern als richtig empfundenen An-

strengungen im Bereich der Qualitätspro-

duktion (Tierwohl, IP- und Biobetriebe,

Umwelt- und Naturschutzmassnahmen,

Lebensmittelqualität und -sicherheit) eher

beflügeln oder eher dämpfen? Ist ein FHA

ein taugliches Vehikel für die angestrebte

Vorreiterrolle der Schweiz in der IP-/Bio-

und Freilandhaltungsproduktion oder

leistet es Massentierhaltungen, Qualtrans-

porten und einem Abbau bei Umwelt- und

Naturschutz Vorschub?

Den Fünfer und das Weggli dazu gibt es nichtDer Schweizer Tierschutz STS sieht An-

zeichen für Letzteres, da er die Schweizer

Bauern nicht in der Lage sieht, beide gros-

sen Herausforderungen (Qualitätspro-

dukte/Umwelt/Tierschutz und Freihandel)

gleichzeitig anzunehmen und erfolgreich

umzusetzen. Ausser man geht vom Ge-

danken aus, dass die CH-Landwirtschaft

bei der Lebensmittelversorgung der Be-

völkerung nur noch eine untergeordnete

Rolle einnimmt. Das Gros der Nahrungs-

mittel würde importiert und einige wenige

Bauernhöfe – sozusagen als Beispiel aus

der «guten alten Zeit» – würden erhalten

bleiben und besonders tierfreundlich und

naturnah geführt.

Man kann aber nicht den Fünfer und

das Weggli haben, wie es der Bundesrat

gerne möchte. Für den STS sind die Prio-

ritäten klar: Zuerst müssen die Schweizer

Landwirtschaft und die vor- und nach-

gelagerten Stufen die von Steuerzahlern

und Konsumenten gewünschte Qualitäts-

produktion umsetzen. Die Agrarpolitik

darf angesichts dieser grossen Herausfor-

derung nicht widersprüchliche Forderun-

gen – Qualitätsproduktion und Freihan-

del – aufstellen, sondern muss konsequent

auf ein IP-, Bio- und Freilandhaltungs-

land Schweiz ausgerichtet werden mit

dem Ziel, eine eigenständige Landwirt-

schaft mit einem möglichst hohen Selbst-

versorgungsgrad anzustreben – eine tier-

freundliche und naturnahe Bewirtschaf-

tung vorausgesetzt.

Der STS geht mit dem Bundesrat einig,

dass historisch gesehen der Abbau von

Zöllen und die Ausdehnung des freien

Verkehrs von Gütern, Waren und Dienst-

leistungen stets zu wirtschaftlichem Fort-

schritt, Neuentwicklung und steigendem

Wohlstand geführt hat. Die Schweiz als

kleines und rohstoffarmes Land hat diese

Entwicklungen denn auch stets gefördert

und davon profitiert. Der STS ist aber der

Meinung, dass diese positiven Konse-

quenzen des Freihandels primär für Gü-

ter und Waren des 2. und des 3. Sektors

gelten, und – wenn überhaupt – nur ein-

geschränkt und mit aller Vorsicht auf ei-

nen weltweiten Handel mit Lebens-/Nah-

rungsmitteln resp. entsprechenden Roh-

stoffen, z.B. Milch, Fleisch und Eier, zu

übertragen sind. Der unbeschränkte Frei-

handel ist in diesem Bereich jene Op-

tion, die am meisten Verlierer und un-

erwünschte Abhängigkeiten zurücklässt

und der Spekulation mit Lebensmitteln

Tür und Tor öffnet. Jedes Land soll die

Möglichkeit haben, unter Beachtung von

Ökologie und Tierschutz einen möglichst

hohen Beitrag zur Ernährung der eigenen

Bevölkerung sicherzustellen.

Das ergibt sich nicht zuletzt aus den

grundsätzlichen Unterschieden in Be-

zug auf die Produktionsgrundlagen und

-standorte der Landwirtschaft und des

2. und 3. Sektors. Im Unterschied zu ei-

ner Fabrik oder einem Dienstleistungs-

betrieb kann man stillgelegte Äcker und

Tierhaltungen nicht innert Jahresfrist aus

dem Boden stampfen, vom Menschen

nicht oder wenig beeinflussbare Fakto-

ren (Klima, Wetter, Bodenqualität, Entste-

hung von Seuchen und Krankheiten bei

Tieren etc.) spielen eine grosse Rolle bei

der Lebensmittelerzeugung. Ein Bauer ist

standortgebunden, während ein Firmen-

inhaber seinen Betrieb (fast) überall auf-

stellen kann.

Während in der Bevölkerung eine

EU-skeptische Haltung dominiert, sieht

der Bundesrat aus wirtschaftlichen und

gesundheitspolitischen Gründen in einer

noch engeren Zusammenarbeit grosse

Chancen für unser Land. So hat er zur

Überraschung der EU-Kommission vor

zwei Jahren eine weitgehende Liberalisie-

rung des Agrarhandels samt Übernahme

des EU-Rechts bei Lebensmitteln und der

öffentlichen Gesundheit vorgeschlagen.

Ohne zu zögern, willigte Brüssel ein – aus

gutem Grund: Es ist kein Geheimnis, dass

mehrere EU-Länder seit Langem auf eine

solche radikale Marktöffnung hoffen, um

ihre Überschüsse, etwa an Milchproduk-

ten und Fleisch, in die Schweiz abfliessen

lassen zu können. Denn unser Land ist mit

seiner hohen Kaufkraft attraktiv für EU-

Exporteure.

Die Position des Schweizer Tierschutz STS zum Freihandelsabkommen Schweiz–EU

Die hohe Qualität der Schweizer Landwirtschaftsprodukte gerät durch das FHA unter Druck

Page 17: Freihandel und Tierschutz

17SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

Nachteile abwägenEs fragt sich aber, was der der EU angetra-

gene Agrarfreihandel der Schweiz bringt.

Im Gegensatz zur EU-Landwirtschaft, die

Überschüsse produziert und mittlerweile

Schweinehälften und Poulets bis nach

China und Milchpulver bis nach Afrika lie-

fert – mit oft negativen Konsequenzen für

die Bauern vor Ort, welche mit den sub-

ventionierten EU-Dumpingpreisen nicht

mithalten können –, konkurrenziert die

Schweiz, abgesehen von einigen Käseex-

porten, kaum ausländische Bauern. Rund

ein Drittel der hierzulande konsumierten

Nahrungsmittel werden schon heute im-

portiert. Wenig Freude an der beabsich-

tigten Marktöffnung und der Verviel-

fachung der Importe haben deshalb un-

sere Bauern. Sie befürchten zunehmenden

Druck auf die Produzentenpreise, einen

Rückgang der Produktionsmenge und das

Aus für den inländischen Futtermittelan-

bau, der immerhin rund 10% des Produk-

tionswertes der Landwirtschaft ausmacht,

da Mais-, Futtergetreide- und Sojaimporte

billiger und rasant zunehmen würden.

Dass diese Ängste begründet sind, zeigt

das bundesrätliche Szenario. Dieses geht

davon aus, dass mit einem Freihandelsab-

kommen das landwirtschaftliche Sektor-

einkommen drastisch von 3 auf 1,6 Mil-

liarden Franken fallen wird.

Preisgabe einer eigenständi­gen LandwirtschaftDie Lebensmittelerzeugung soll just in ei-

ner Zeit verstärkt ins Ausland verlagert

werden, wo Landwirtschaftsland zur Er-

nährung der Menschen weltweit immer

knapper wird und es absehbar ist, dass die

Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe

und Lebensmittel ansteigen werden, sich

der jahrzehntelange Trend zu immer güns-

tigeren Nahrungsmitteln in unseren Brei-

tengraden umkehren und die Haushaltaus-

gaben für Lebensmittel wieder ansteigen

könnten. Der STS ist der Meinung, dass die

Schweiz in diesen Zeiten gut beraten wäre,

eine eigenständige Landwirtschaft mit ei-

nem möglichst hohen Selbstversorgungs-

grad anzustreben, um in Bezug auf die

Nahrungsmittelversorgung der Bevölke-

rung – eine tierfreundliche und naturnahe

Bewirtschaftung vorausgesetzt – eine ge-

wisse Unabhängigkeit zu erlangen.

Die Konsequenzen des geplanten Frei-

handelsabkommens mit der EU laufen al-

lerdings diesem Ansinnen zuwider, denn

das Einkommen der Bauern würde um

rund 50% sinken und die rückläufige In-

landerzeugung durch Mehrimporte wett-

gemacht, die in ökologischer und tier-

schützerischer Hinsicht nicht dem CH-

Standard entsprechen. Die Folge wäre

eine Zunahme der Abhängigkeit – einer-

seits der Konsumenten von den Importen,

andererseits der Bauern und der nachge-

lagerten Branchen vom Export und damit

von den relativ unberechenbaren interna-

tionalen Märkten und Agrarpolitiken.

Mehrexport ist WunschtraumDer STS teilt die Meinung des Bundes-

rates nicht, dass die freihandelsbeding-

ten Mehrimporte durch Mehrexporte von

Schweizer Produkten (Käse, Fleisch und

Eier) und Tieren ausgeglichen werden

können. Zwar umfasst der EU-Markt die

stolze Summe von 490 Millionen Konsu-

menten. Doch mindestens ein Teil der EU-

Länder verfügt über eine zwar nicht öko-

logische und tierfreundliche, aber höchst

intensive und riesige Tierproduktion, die

die Nachfrage nach konventionellen, bil-

ligen Produkten tierischer Herkunft selber

abdecken kann. Demgegenüber steckt die

Nachfrage nach Bio- und Produkten aus

tierfreundlicher Haltung (Labelfleisch) in

den allermeisten EU-Ländern noch in den

Kinderschuhen (Ausnahme: Boden-, Frei-

land- und Bioeier). Sie kann heute von

Bio- und Labelbauern in der EU problem-

los abgedeckt werden. Insbesondere beim

Fleischexport dürften deshalb im Ausland

nur einige wenige ausgesuchte Schweizer

Spezialitäten Fuss fassen können.

Ganz abgesehen davon stellt sich die

Frage nach dem Sinn und den ökologi-

schen Konsequenzen des zunehmenden

Importes von Lebensmitteln, die auch in

der Schweiz erzeugt werden könnten, und

des beabsichtigten Exportes von Schwei-

zer Erzeugnissen und Rohstoffen (Milch-

produkte, Fleisch, Eier) in die EU, wo Bau-

ern wahrscheinlich ebenso gerne produ-

zieren wie hierzulande. Ganz klar würden

die zunehmenden Importe und die ange-

peilten Exporte die Umwelt verstärkt be-

lasten. Es ist doch paradox: Der gleiche

Staat, der mit Recht den Umweltschutz

fördert und strenge Vorschriften erlässt,

fördert den grenzüberschreitenden Han-

del mit Lebensmitteln, die hüben wie drü-

ben und in ausreichender Menge erzeugt

werden können. Statt dass Schweizer Bau-

ern in der Region und für die Region pro-

duzieren, sollen sie nun Tiere züchten und

mästen für den EU-Markt, während umge-

kehrt die EU Fleisch, Milch und Eier in die

Schweiz liefert.

Die Schweizer Landwirtschaft wird sich durch das FHA stark verändern

Page 18: Freihandel und Tierschutz

SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS18

Tiefere Preise, höhere SubventionenDurch geringere Ausgaben für Lebensmit-

tel würden die Konsumenten von einem

Freihandelsabkommen profitieren, glaubt

der Bundesrat. Dies mag in der Tat zutref-

fen. Doch um den politisch bestens orga-

nisierten Schweizer Bauernstand trotz des

extrem sinkenden Einkommens am Leben

und bei Laune halten zu können, müss-

ten die Direktzahlungen und Subventio-

nen erhöht werden. Im Gespräch sind denn

auch bereits milliardenteure Begleitmass-

nahmen, etwa um Bauern die vorzeitige

Betriebsaufgabe schmackhaft zu machen.

Was ein Freihandelsabkommen möglicher-

weise den Konsumenten in der einen Ta-

sche lässt, könnte Vater Staat ihnen bei den

Steuern wieder aus der anderen ziehen. Da-

mit würde ein Agrarfreihandelsabkommen

für Konsumenten und Steuerzahler finan-

ziell zu einem Nullsummenspiel und die

wenigen Profiteure wären die Importeure

und Exporteure.

Die Kehrseite der tieferen Lebensmittel-

preise in der EU stellen die regelmässigen

Gammelfleisch- und anderen Lebensmit-

telskandale, die um ein Vielfaches höhere

Salmonellenbelastung in Legehennen- und

Mastpouletsbetrieben und die hohe Fre-

quenz an Tierseuchen dar: Die Maul- und

Klauenseuche in Grossbritannien und den

Niederlanden 2001 und die Vogelgrippe in

den Niederlanden und Norditalien 2003

brachten 23 Milliarden Franken Verluste!

Ein Freihandelsabkommen könnte sich

deshalb auch negativ auf unsere Lebens-

mittelsicherheit und -qualität auswirken.

Das Tierwohl nicht vergessenNebst eher strategischen und konsumen-

ten- und umweltschützerischen Gründen

ist es insbesondere die Sorge um das Tier-

wohl, die den STS das geplante Freihan-

delsabkommen sehr skeptisch beurteilen

lässt. So hielt die im Sommer 2008 be-

kannt gewordene BVET-Studie «Vergleich

Tierschutzniveau CH–EU» fest, dass eine

Übernahme der EU-Richtlinien im Tier-

wohlbereich nicht zu einer Verbesserung

führen würde, sondern für die Tiere einem

Rückschritt gleichkäme. Dieses klare Fazit

war denn auch möglicherweise der Grund,

weshalb diese Studie danach als BVET-

internes Arbeitspapier bezeichnet und

nicht publiziert wurde. Hellhörig machte

den STS auch die bundesrätliche Antwort

auf das Postulat von Nationalrätin Maya

Graf, «Auswirkungen des EU-Agrarfrei-

handels auf Tierschutzniveau und bäu-

erliche Tierhaltung». Der Bundesrat wei-

gerte sich, einen Bericht zu den Auswir-

kungen des FHA auf den Schutz der Nutz-

tiere und die noch bäuerlich geprägte CH-

Tierhaltung (keine Massentierhaltung) zu

verfassen.

Druck auf Bauern wächstDie grossen Verlierer eines Agrarfreihan-

dels mit der EU werden die Nutztiere sein.

Um mit den ausländischen Massentierhal-

tungen kostenmässig mithalten zu kön-

nen, müsste die noch bäuerlich geprägte

Schweizer Tierhaltung Grossbetrieben

weichen. Kleinere und mittlere Tierhal-

tungsbetriebe kämen unter schweren

wirtschaftlichen Druck und müssten ent-

weder aufgeben oder versuchen, in eine

Bio-/Label-Nischenproduktion auszuwei-

chen. Allerdings sind diese Möglichkei-

ten beschränkt, setzen bislang doch nur

Coop und Migros ernsthaft und in gros-

sem Umfang auf Produkte aus tierfreund-

licher Haltung.

Während das Parlament konsequent

alle Vorstösse zur Aufhebung der Höchst-

bestandesregelung abgelehnt hatte, ver-

suchte der Bundesrat immer wieder, die

Höchstbestandesverordnung zu verwäs-

sern. Massentierhaltungen in Ställen mit

Tausenden von Schweinen und Zehntau-

senden von Hühnern vertragen sich in-

dessen nicht nur in den Augen von Steu-

erzahlern und Konsumenten schlecht mit

der vom Bund ausgerufenen Qualitätsstra-

tegie für die Schweizer Landwirtschaft. Sie

gefährden auch das Tierwohl und die Tier-

gesundheit. Es macht aus Sicht des STS

wenig Sinn, einigen wenigen Nutztieren

in Nischenproduktionen paradiesische

Bedingungen zuzugestehen, während die

Hauptproduktion in Grossställe verlagert

wird, die dem Tierwohl nicht gerecht wer-

den können. Das Ziel des STS ist hier klar:

Alle Nutztiere in der Schweiz sollen ge-

mäss BTS- und RAUS-Richtlinien gehal-

ten werden und der Nutztierbestand soll

möglichst viel zur Ernährung der Schwei-

zer Bevölkerung beisteuern, damit mög-

lichst wenig Importe nötig sind.

Bestehende Gesetze werden aufgeweichtObwohl die Schweizer Tierschutzgesetz-

gebung lediglich Mindestmasse und Vor-

schriften enthält, welche die Grenze zur

Tierquälerei definieren und damit keine

optimale, tierfreundliche Haltung garan-

tieren, sind Schweizer Nutztiere von Ge-

Schweine unter der Dusche. Das Tierwohl besitzt in der Schweiz einen hohen Stellenwert

Page 19: Freihandel und Tierschutz

19SCHWEIZER TIERSCHUTZ STS

setzes wegen besser geschützt als ihre

Artgenossen in der EU. Einerseits liegen

in der Schweiz für alle Nutztiere konkrete

und detaillierte Vorschriften vor, ande-

rerseits sind bei jenen vier Tierkatego-

rien, wo EU-Richtlinien existieren (Käl-

ber, Schweine, Legehennen, Masthühner),

die CH-Vorschriften strenger. Da in der

EU der Wille nicht da ist, die Tierschutz-

lücken zu füllen (z.B. Kühe/Rinder, Zie-

gen, Schafe, Pferde) sowie die Vorschrif-

ten bei Kälbern, Hühnern und Schwei-

nen zu verschärfen, dürften die Schwei-

zer Nutztierschutzvorschriften bei einem

Freihandelsabkommen politisch unter

Druck kommen. Ohne Zweifel würden

bäuerliche Gruppierungen und Teile der

Wirtschaft hier rasch nach «gleich langen

Spiessen» rufen.

Rückwärtsgang bei den Tiertransporten Mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-

lichkeit müsste die Schweiz zudem das

jetzige Transitverbot für EU-Schlachttiere

aufheben. Dazu käme eine Ausdehnung

des Schlachttierhandels über die heuti-

gen Grenzen hinweg. Je nach Nachfrage

und Preisen sowie der Auslastung von

Schlachthöfen dürften dann Tiere aus der

Schweiz zum Schlachten exportiert und

EU-Tiere importiert werden. Damit käme

automatisch die weltweit einzigartige

Schweizer Transportzeitbeschränkung

auf maximal sechs Stunden unter Druck,

weil das inländische Transportgewerbe

dadurch gegenüber EU-Camionneuren

benachteiligt würde. Mit dem zunehmen-

den Tierhandel und -verkehr kämen Tier-

seuchen ins Land, die mit millionenteuren

und mit Steuergeldern unterstützten Prä-

ventionsprogrammen bislang erfolgreich

ferngehalten wurden. Die «Gesundheits-

insel» Schweiz, wie sie sich heute noch

gegenüber der EU auszeichnet, wäre dann

passé.

Weg mit RAUS und BTS?Die Schweiz liegt im europäischen Ver-

gleich punkto tierfreundlicher Haltung bei

praktisch allen abgefragten Tierarten ent-

weder mit oder alleine an der Spitze. Über

alle Tierarten gesehen, weist die Schweiz

europaweit mit Abstand die höchsten An-

teile an besonders tierfreundlichen Hal-

tungsformen (Weide-, Auslauf- und Frei-

land- sowie Gruppenhaltung) auf. Aller-

dings ist die Verbreitung von BTS- und

RAUS-Tierhaltungen absolut gesehen

auch in der Schweiz bei mehreren Tier-

kategorien noch unterdurchschnittlich.

Auch in der Schweiz können noch Mil-

lionen von Nutztieren nicht regelmässig

ins Freie. Hier gibt es noch viel zu tun für

die Bauern, bis man von einem Freiland-

haltungsland Schweiz reden kann.

Ein Freihandelsabkommen könnte

die Entwicklung hin zu BTS- und RAUS-

Tierhaltungen stoppen. Einerseits wird

die Freilandhaltung mit hohen Tierzah-

len pro Betrieb immer schwieriger und zu

einem Umweltproblem. Andererseits wer-

den sich viele Bauern genau überlegen,

wo sie bei Abschluss eines Freihandelsab-

kommens investieren wollen. Viele wer-

den dann anstatt in Qualitätsanstrengun-

gen, z.B. zur Verbesserung des Tierwohles,

in Massnahmen zur Kostensenkung und

in Grossbetriebe investieren (müssen).

Qualität hat ihren PreisSelbstverständlich ist die Qualitätspro-

duktion mit hohem Tierwohl eine Grund-

bedingung dafür, dass Schweizer Bauern

am Markt ihre höherpreisigen Produkte

absetzen können. Doch auch hier wach-

sen die Berge nicht in den Himmel. Kon-

sumenten sind bereit, etwas mehr zu be-

zahlen, doch die Differenz zwischen Im-

port- und Labelprodukt darf nicht allzu

hoch sein. Das Preisargument wird mit

Abschluss eines Freihandelsabkommens

auf allen Stufen (Landwirtschaft, Verar-

beitung, Detailhandel, Konsumenten) auf

Kosten der Qualität verstärkt in den Vor-

dergrund treten, denn in der Not – dem

wirtschaftlichen Druck – ist jedem das

eigene Hemd am nächsten. Konsumen-

ten werden noch preisbewusster einkau-

fen und mehr Importprodukte nachfra-

gen. Detaillisten, insbesondere Aldi und

Lidl, die bislang fast gezwungen waren,

bei Käse, Fleisch und Eiern eine erhebli-

che Palette an Schweizer Herkünften zu

führen, dürften dann verstärkt auf Im-

porte setzen.

Das Gleiche gilt für den Gastroka-

nal. Dieser ist bis heute in seiner Mehr-

heit «tierschutzresistent» geblieben und

setzt statt auf Qualität in erster Linie auf

den Preis. Die in den vergangenen Jahren

zaghaft angelaufenen Projekte zur Sensi-

bilisierung des Gastrokanals für CH-Her-

künfte, für Umwelt- und Tierschutz – sei

dies das WWF-Projekt «Gôut mieux», die

Werbeanstrengungen der Proviande oder

das STS-Projekt «Essen mit Herz» – dürf-

ten mit einem Freihandelsabkommen

kaum mehr Chancen für eine flächen-

deckende Wirkung haben, sondern eine

kleine Nische bleiben.

Chance ergreifenMit der Tatsache, dass ein Freihandels-

abkommen mehr Käse, Fleisch und Eier

aus der EU mit sich bringen wird – hin-

ter denen häufig Massentierhaltungen,

Qualtransporte und Umweltbelastungen

stehen –, unterstützt die Schweiz Tier-

quälereien und Ökosünder im Ausland.

Sinnvoller wäre es, die tiergerechte Hal-

tung und die naturnahe Bewirtschaftung

im Inland zu fördern.

Für den STS ist klar: Eine tierfreund-

liche Haltung der Nutztiere und ein hohes

Tierwohl können nicht verordnet werden.

Es braucht in erster Linie motivierte Tier-

halter, die über das nötige Können und

Wissen verfügen und denen der Tierschutz

im Rahmen des wirtschaftlich Machbaren

ein Stück weit auch Herzensangelegenheit

ist. Doch auch der tierfreundlichste Land-

wirt muss am Schluss vom Ertrag seiner

Tiere leben können, sonst kann er sein Ge-

schäft dichtmachen. Und auch der tier-

freundlichste Konsument kann am Ende

nicht unbeschränkt Geld für Lebensmit-

tel ausgeben. Mit Recht stellte der Öko-

nomieprofessor Mathias Binswanger mit

Blick auf ein Freihandelsabkommen des-

halb die Frage in den Raum: «Wie viel

Markt verträgt der Bauer?» Um sie dann

gleich wie folgt zu beantworten: «Frei-

handel führt nicht zu befreiten Bauern,

sondern zur Befreiung der Schweiz von

Bauern.»

Page 20: Freihandel und Tierschutz

Schweizer Tierschutz STS · Dornacherstrasse 101 · CH-4008 BaselTel. 061 365 99 99 · Fax 061 365 99 90 · [email protected] · www.tierschutz.com · www.essenmitherz.ch

Glossar und Links

Bahnhofbauer Landwirt ohne eigenes Land, womit er seine

Tiere mit Futter versorgen könnte.

Bio Suisse Dachverband der Schweizer Biolandbau Organisa-

tionen, www.bio-suisse.ch

BTS Besonders tierfreundliche Stallhaltung. Der Stall muss die

natürlichen Ansprüche der gehaltenen Nutztiere erfüllen. Jedes

Tier hat permanent Zugang zu zwei räumlich getrennten Be-

reichen, z.B. einem Fress- und einem Liegebereich. Der Liege-

bereich muss über geeignetes Einstreumaterial verfügen. BTS

wird vom Bund mit Direktzahlungen unterstützt.

BVET Bundesamt für Veterinärwesen, www.bvet.admin.ch

Club of Rome Der Club of Rome ist eine nichtkommerzielle

Organisation, die einen globalen Gedankenaustausch zu ver-

schiedenen internationalen politischen Fragen betreibt.

CO2 Kohlenstoffdioxid, auch Kohlendioxid, ist eine chemische

Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff. In höheren Kon-

zentrationen wirkt Kohlenstoffdioxid giftig und kann zum Tod

durch Ersticken führen.

Compassion in World Farming Europäische Nutztierschutz-

organisation mit Sitz in England. Setzt sich vor allem gegen

Tierfabriken ein.

Essen mit Herz Projekt des Schweizer Tierschutz STS zur Sen-

sibilisierung des Einkaufsverhaltens von Konsumenten und der

Gastronomie, www.essenmitherz.ch

fenaco Die fenaco versorgt die Landwirte mit Produktions-

mitteln, übernimmt deren Erzeugnisse, veredelt diese und ver-

marktet sie. Zudem betreibt die fenaco die Detailhandelsketten

Volg und LANDI.

FHA Freihandelsabkommen, www.seco.admin.ch

FiBL Forschungsinstitut für biologischen Landbau, wurde

1973 gegründet. Eine weltweit führende Forschungseinrich-

tung für biologische Landwirtschaft.

IP­SUISSE Schweizerische Vereinigung integriert produzie-

render Bauern und Bäuerinnen. IP-SUISSE setzt sich für die

naturnahe und gesunde Produktion von Nahrungsmitteln ein.

KAGfreiland Gemeinnützige Organisation zum Wohl von Kuh,

Schwein, Huhn & Co.

LID Landwirtschaftlicher Informationsdienst. Presse- und In-

formationsstelle der Schweizer Land- und Ernährungswirt-

schaft.

Naturafarm Fleisch und Eier aus tierfreundlicher Freiland-

und Auslaufhaltung. Erhältlich bei Coop.

ÖLN Ökologischer Leistungsnachweis. ÖLN wird vom Bund mit

Direktzahlungen unterstützt.

PHW Die PHW-Gruppe Lohmann & Co. AG ist der grösste deut-

sche Geflügelzüchter und -verarbeiter (u.a. «Wiesenhof»).

Proviande Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirt-

schaft. «Schweizer Fleisch» ist als registrierte Marke ein Pro-

dukt von Proviande.

RAUS Regelmässiger Auslauf ins Freie. Die Verordnung über

den regelmässigen Auslauf von Nutztieren im Freien regelt

den Zugang der Tiere auf die Weide während der Vegeta-

tionsperiode und den Auslauf in den Wintermonaten. Die Hal-

tung der Tiere nach RAUS wird mit staatlichen Direktzahlun-

gen gefördert.

Schweizer Tierschutz STS Seit 1861 bestehende Tierschutz-

organisation mit insgesamt 70 Sektionen in allen Kantonen

und im Fürstentum Liechtenstein. Im STS arbeiten Fachleute in

verschiedenen Tierschutzbereichen. Der Kontrolldienst des STS

überprüft im Auftrag verschiedener Labels über 1000 Betriebe

sowie Tiertransporte und Schlachthöfe auf die Einhaltung der

Tierschutz- und Labelvorschriften.

TerraSuisse Produkte aus naturnaher und tierfreundlicher

Schweizer Landwirtschaft. Erhältlich bei Migros.