Freiraum Erzählen

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Freiraum Erzählen Schulprojekt zur Förderung von Sprache und Fantasie Caritas Erzdiözese Wien KunstSozialRaum

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Schulprojekt zur Förderung von Sprache und Fantasie

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Freiraum ErzählenSchulprojekt zur Förderung von Sprache und Fantasie

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KunstSozialRaum

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Freiraum Erzählen ist ein Projekt der Brunnenpassage

Projektleitung: Ivana Pilic, Tilman Fromelt

Lektorat: Jörg Eipper Kaiser

Grafik: David Mathews

Fotos: Elisabeth Bernroitner, Bert Schifferdecker

Kontakt: Brunnenpassage Brunnengasse 71 1160 Wien

[email protected] Tel. 01-890 60 41 www.brunnenpassage.at

Das Pilotjahr 2010/2011 von Freiraum Erzählen wurde Dank der finanziellen Unterstützung der ERSTE Stiftung ermöglicht.

„Der Erzähler gibt den Kindern so viel, was neben dem regulären Unterricht sonst keinen Raum hat.“

Lehrerin VS Liebhartsgasse

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Von sanften Riesen, Drachen und Froschtöchtern wissen jene Geschichtenerzähle-rInnen zu berichten, die seit Herbst 2010 im Rahmen des Projekts Freiraum Erzählen Volksschulklassen in Wien besuchen. Die Geschichten eröffnen den Kindern neue Fantasiewelten und die wöchentlichen Besuche der ErzählerInnen gehören für die ErstklässlerInnen zum festen Bestandteil des Schulalltags.

Mit ihren Geschichten begeistern die Erzählenden die SchülerInnen nicht nur für unbekannte Märchenwelten, sondern auch für das Medium Sprache. Gute Geschich-ten verbreiten sich bekanntlich wie ein Lauffeuer, und so werden aus Zuhörenden wiederum kleine ErzählerInnen. Die SchülerInnen werden so spielerisch in ihrem Bedürfnis gefördert, sich sprachlich auszudrücken.

90 % der Kinder der beteiligten Schulklassen haben einen Migrationshintergrund, und die deutsche Sprache zählt zum Schulbeginn nicht zu den Stärken dieser Klas-sen. Für den Erfolg dieses Projekts sind somit die ErzählkünstlerInnen maßgeblich. Denn trotz der Konzentration auf das gesprochene Wort schaffen es gute Erzählende auch Zuhörende zu begeistern, welche die Sprache nur schlecht verstehen. Anders als beim Vorlesen eines Textes sind ErzählerInnen stets in (Blick-)Kontakt mit ihrem jungen Publikum und können auf die Reaktionen der Kinder eingehen. Im Vorder-grund stehen die Geschichten und der Spaß an Sprache, nicht defizitäre Deutsch-kenntnisse.

Nach einem erfolgreichen Pilotprojekt 2010/2011, ermöglicht durch die ERSTE Stif-tung, tritt Freiraum Erzählen nun an, weitere Klassenzimmer mit der Magie der Mär-chen zu beflügeln. Die vorliegende Broschüre dokumentiert dieses erste Pilotjahr und versteht sich als Einladung an interessierte Schulen und UnterstützerInnen.

Es war einmal

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„Die Kinder erfahren: Ich kann was, ich kann mich artikulieren, mir wird zugehört und ich bekomme positives Feedback. Sie erkennen, dass sie eine Sprache haben.“

Lehrerin VS Gaullachergasse

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Förderung von Sprache und FantasieDurch das Erzählen von Märchen und Geschichten werden Sprachkompetenz, Fantasie und Kreativität gefördert.

Spielerischer ZugangFreiraum Erzählen konfrontiert die Kinder nicht mit ihren sprachlichen Defiziten, sondern weckt durch Geschichten ihr Interesse am eigenen sprachlichen Ausdruck.

Zuhören lernenIm Rahmen von Freiraum Erzählen lernen die Kinder allein durch das Zuhören, innere Bilder entstehen zu lassen. Sie erfahren, dass es ein Genuss sein kann. nur zuzuhören. Ihre Konzentrationsfähigkeit wächst.

Selbst erzählenFreiraum Erzählen motiviert die Kinder, selbst zu erzählen. Sie überwinden ihre Ängste und lernen dabei, dass sie etwas zu sagen haben und ihnen zugehört wird.

Freiraum in der SchuleFreiraum Erzählen schafft für alle Beteiligten Freiräume. Das Projekt versteht sich als Anregung zur Reflexion über Schule und über das Verhältnis zwischen Lehre-rIn und Schülerinnen/Schülern.

Künstlerische QualitätDie für Freiraum Erzählen ausgesuchten ErzählerInnen blicken auf eine jahrelange Auseinandersetzung mit mündlichem Erzählen zurück. Das Projekt wird von der Brunnenpassage laufend evaluiert.

Für dieses Projekt suchen wir vor allem Volksschulen auf, die bedingt durch die kulturelle Vielfalt ihrer SchülerInnen großen Herausforderungen gegenüberstehen.

Ziele

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Viele Volksschulen sind gefordert, Erst-klässlerInnen mit unterschiedlichen Deutschkenntnissen sowie verschie-densten Erstsprachen innerhalb einer Klasse zu unterrichten. Diese Hetero-genität sowie die Tatsache, dass Kin-der oft nur mit rudimentären Sprach-kenntnissen in die Schule kommen, führt zu großen Herausforderungen sowohl in der Wissensvermittlung als auch in der sozialen Interaktion.

An diesem Punkt setzt das Projekt Frei-raum Erzählen an: Ein Schuljahr lang kommt eine Erzählerin oder ein Erzäh-ler wöchentlich in die Schulklasse, um Geschichten und Märchen zu erzäh-len. Im Anschluss an ein gemeinsames Ritual ist vor allem Fantasie gefragt, denn im Gegensatz zum Medium Fern-sehen – für die meisten Kinder die Hauptquelle für die Vermittlung von „Geschichten“ – bleiben bei mündlich erzählten Märchen viele Details offen. Kinder ergänzen diese Leerstellen und bringen dabei neue Aspekte ein, die ihrer Vorstellung einer Figur oder eines

Freiraum für das Erzählen

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Handlungsverlaufs entspringen. Das freie Erzählen in deutscher Sprache eröffnet zusätzliche nonverbale Kom-munikationsebenen: Gestik, Mimik und Intonation helfen beim Verständnis des Erzählten, auch wenn nicht jedes Detail wörtlich verstanden wird. Dies unterstützt besonders Kinder mit lückenhaftem Wortschatz, doch auch SchülerInnen mit guter Sprachkompe-tenz profitieren von dieser Methode, da jede/r Einzelne bei ihrem/seinem persönlichen Kenntnisstand anknüp-fen kann, um fantasievolle Märchen-welten zu entdecken.

In der frühen Kindheit wird Sprache zunächst im Alltag von nahen Bezugs-personen übernommen, meist im Kon-text von Handlungen. Das mündliche Erzählen fantasievoller Geschichten eröffnet den Kindern eine neue Dimen-sion von Sprache: die Vermittlung fikti-ver Gedankenwelten. Hierbei erlangen komplexere Sprachebenen, die auf theoretischer Ebene oft nur mühsam zu erlernen sind, eine unmittelbare und

praktische Funktion: Zeitformen, Dekli-nation und Konjugation gewinnen an Bedeutung, indem sie den Geschich-ten Struktur und Figuren Plastizität ver-leihen. Im Zuge dieser künstlerischen Vermittlung der deutschen Sprache eignen sich Kinder ohne Leistungs-druck einen differenzierten Sprachge-brauch an, der über die alltägliche Verständigung hinausgeht.

Bereits ab der ersten Erzählstunde sprechen viele Kinder formelhafte Stel-len mit, und die gemeinsame Rekons-truktion der zuletzt gehörten Geschich-te ist ein wichtiger Bestandteil jeder Einheit. Auch hierbei ist die Fantasie der Kinder wichtiger als das exakte Erinnern aller Details. Das Nacherzäh-len geht dabei fließend über in das Erfinden eigener Geschichten, das Stück für Stück an Gewicht gewinnt. Der Erfolg dieses Prozesses stellt sich allerdings nicht innerhalb der ersten Monate ein – das Projekt lebt von sei-ner Langfristigkeit.

Freiraum Erzählen schafft nicht zuletzt auch Freiräume innerhalb des Schul-alltags, in denen sowohl für LehrerIn-nen als auch für SchülerInnen andere Regeln gelten. Die kindliche Wissbe-gierde wird dabei zum Schlüssel für einen positiven und spielerischen Umgang mit der deutschen Sprache. Das mündliche Erzählen regt die Fan-tasie der Kinder an, und das allmähli-che Erschließen imaginärer Märchen-welten weckt ihre Neugierde. Diese Begeisterung für Geschichten und für die Sprache als Ausdrucksmittel be-reits vor bzw. während des Schrift-erwerbs ist eine wichtige Basis für die weitere literarische Bildung.

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„Irgendwann erzählte uns Josef die Geschichte von Frau Holle. Wir haben diese dann in bildnerischer Erziehung nachgearbeitet und Frau Holle zeich-nen lassen. Die Kinder haben alle ihre eigenen Vorstellungen gehabt. Wir haben Frau Holle mit jeder Hautfarbe und Haarfarbe bekommen. Wir hatten eine asiatisch angehauchte und eine schwarze Frau Holle. Jedes Kind hat seine eigene Fantasie zu Papier ge-bracht. Alle haben Frau Holle einfach so gemalt, wie sie in ihrem Kopf vor-handen war. Vielfältigkeit ist erlaubt und erwünscht. Ich glaube schon, dass die Märchen auch in Hinblick auf Integration etwas bringen - weil sie ler-nen, sich zuzuhören und einen res-pektvollen Umgang miteinander etab-lieren.“

(Lehrerin VS Gaullachergasse)

Frau Holle

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„Frau Holle ist schön. Hat lange Haare und lange Zähne. Sie hat ein Netz auf ihren Haaren.“ (Marko)

„Frau Holle hat blonde Haare und lila Augen. Sie trägt eine Schultasche und dort hat sie was zu essen. Ihr Lieblings-essen ist Schokolade.“ (Abdel)

„Sie hat schwarze Haare und braune Haut. Sie hat ein blaues Leiberl und ein rosa Kleid darüber.“ (Beaze)

„Sie hat graue Haare, Augen, eine Nase, einen Mund, Hände und Milchzähne. Sie schaut alt aus und heißt Corinna.“ (Paulina)

„Sie hat eine Brille und komische Haare, außerdem hat sie einen großen Mund.“ (Sharon)

„Sie trägt einen langen Rock und bäckt gerne Kekse.“ (Medina)

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Erzählte MärchenFür Freiraum Erzählen machen sich die ErzählerInnen auch gezielt auf die Suche nach Geschichten aus den Her-kunftsländern der SchülerInnen und/oder ihrer Eltern. Dadurch werden die Kinder durch die Geschichten noch stärker angesprochen. Aber nicht alle Kinder identifizieren sich mit der Her-kunft ihrer Eltern. Eine Zuordnung der Kinder aufgrund ihrer Migrationshinter-gründe wird vonseiten der KünstlerIn-nen grundsätzlich nicht forciert. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass Märchen keine Grenzen kennen, viel-mehr lebendige Zeugnisse von Migra-tion sind und Geschichten in verschie-denen Varianten in vielen Ländern vorkommen.

KETTENMÄRCHEN

Schweinchen will nicht heimgehnKatzerl/Mauserl (= Katz und Maus auf Reisen)Die RübeMaus sucht Mann(= Ein Mann für Mamsell Maus)Der Heuschreck und die Katze Der Lebkuchenmann (Variante von „Der Pfefferkuchemann“ und „Der dicke fette Pfannkuchen“)Das KornDie Bohne

GEBRüDER GRIMM

Die Bremer StadtmusikantenFundevogelSchneewittchenRotkäppchenAllerleirauhStrohhlam, Kohle und BohneHans im GlückDie KristallkugelDas WaldhausLäuschen und FlöhchenDaumesdickSchneeweißchen und RosenrotFrau HolleRumpelstilzchenDornröschenDer Teufel mit den drei goldenen HaarenDie goldene Gans

PoRTUGALEstrella aus dem grünen Haus

MExIKoDie Maus, die bellte

DoMINIKANISCHE REPUBLIKDer Schutzengel-Kater

IRLAND Der weiße Hirsch

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DÄNEMARKIn Hülle und Fülle

DEUTSCHLANDWarum der Schnee weiß istRübezahl

ÖSTERREICHDer buckelige Bauer

NoRWEGENZottelhaubeDas ist gelogen!Die drei Ziegenböcke

ÄGyPTENDer vornehme Riese

KRoATIENDie Froschtochter

ENGLANDJack und die Bohnenranke

RoMADie Schweinchenbraut

INDIENDer Schlangenprinz

WEST AFRIKAUnanana und der riesengroße Elefant, dem ein Stoßzahn fehlte

SIZILIENPintosmalto

TSCHECHIENVom Hahn, der Maus und der kleinen roten Henne

PoLENDer ofenhocker

SERBIENDer Wagen, der ohne Pferde fährtDie neun WolfsbrüderMilchbart und die Riesen

FRANKREICHDie SteinsuppeDie drei Schafwidder und der Bär

SPANIENDer Laminak

RUMÄNIENDie Sprache der TiereDie Alte und ihr HahnDer Bär, der Fuchs, der Wolf und der Hase auf dem Medwischer Margarethi Der Bär, der Adler und der Fuchs

UNGARNHähnchen holt sein Körnchen zurück

RUSSLANDSnegurotschkaVogel, Kater und Hahn

SLoWAKEIBrüderlein HirschDie zwölf Monate

TüRKEIDas Töpfchen/ der kleine TopfNasreddin-GeschichtenDie Geschichte vom Raben mit dem Stachel im Fuß

BULGARIEN Das kluge Mädchen wird ZarinDie dankbaren Tiere (=Der Holzsammler und die Tiere)

MAZEDoNIEN Warum man die alten Leute nicht tötet

AFGHANISTANDer Prinz mit den Granatapfelkernzähnen

BoSNIENDer schlaue FuchsEin Mann für Mamsell MausDie Pferde der Vilen

ALBANIENSilberzahnDer verstoßene Prinz

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Freiraum Erzählen wurde im Pilotjahr 2010/2011 ausführlich evaluiert: Wöchentlich hielten sowohl LehrerIn-nen als auch Erzählende in Evaluati-onsbögen ihre persönlichen Eindrücke der Erzählstunden fest. Darüber hinaus wurden in mehreren Evaluationspha-sen projektbegleitende Interviews mit 15 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern geführt. Die Ergebnisse die-ser Untersuchung spiegeln den Erfolg des Projekts wider:

SpracheSowohl der Sprachstil als auch der Redefluss der Kinder verbesserte sich während des Projektverlaufs deutlich. Zunächst einsilbige Äußerungen wur-den schrittweise zu ganzen Sätzen ausgebaut. Auch die inhaltlichen Strukturen der Märchen und Geschich-ten konnten von den Schülerinnen und Schülern immer besser adaptiert wer-den. Mithilfe sich wiederholender Phra-sen gelang es den Kindern im Laufe der Zeit, einzelne Handlungsab-

schnitte miteinander zu verbinden. Auch der passive und aktive Wort-schatz der SchülerInnen erweiterte sich im Projektverlauf signifikant: Zwei Lehrerinnen beobachteten, dass das zunehmend souveräne Sprachgefühl von Kindern es ihnen ermöglichte, mit der deutschen Sprache zu spielen – eine Fähigkeit, die sich erst bei fortge-schrittener Sprachsicherheit einstellt.

FantasieDie Lust der Kinder am Erfinden von Geschichten war für alle Beteiligten deutlich zu spüren. Zur Artikulation eigener Ideen ermutigt, kommunizier-ten die SchülerInnen ihre kreativen Vorstellungen von Figuren und Hand-lungsverläufen immer selbstbewusster. Schließlich brachten sie in Eigeninitia-tive individuelle Vorschläge ein, wie Geschichten weitergehen könnten, oder formulierten aus ihrer Sicht rat-same Hilfestellungen für die handeln-den Figuren einer Erzählung, wie zum Beispiel: Eine Frau möchte schwanger

Evaluation

„Durch Freiraum Erzählen haben die Kinder die Chance ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und diese auch zu artikulieren.“

Lehrerin VS Gaullachergasse

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werden – „Dann soll sie mehr essen!“ oder: Ein Junge wird bedroht – „Jetzt soll er das Schwert nehmen!“ Die Fan-tasie der Kinder, die zunehmend in die Welt der Märchen eintauchten, brachte auch spontane Figurencharakterisie-rungen zutage, wie zum Beispiel: Plötzlich erscheint eine alte Frau. – „Das ist bestimmt eine Hexe!“

KonzentrationsfähigkeitAm Anfang des Projekts war eine Ge-schichte von 20 Minuten noch eine große Herausforderung an das Durch-haltevermögen der SchülerInnen. Innerhalb weniger Monate zeigte sich allerdings eine deutliche Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit. Gegen Ende des Projektes hörten die Kinder schließlich bis zu 45 Minuten lang geb-annt den Geschichten der Erzähler-Innen zu – eine Entwicklung, von der sich die LehrerInnen mehrheitlich über-rascht zeigten.

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Nebeneffekt der EvaluationEine weitere positive Facette der Eva-luation war, dass die SchülerInnen im Zuge der Interviews besonders viel Aufmerksamkeit erhielten. Das Evalu-ationsteam der Brunnenpassage kom-munizierte mit den Kindern in ihrer Erstsprache, egal, ob diese Deutsch, Türkisch oder Bosnisch/Kroatisch/Ser-bisch ist. Diese persönliche Auseinan-dersetzung mit den Kindern, die spür-bar ohne Vermittlungs- oder Bewert- ungsabsicht erfolgte, ermöglichte den Aufbau eines besonderen Vertrauens-verhältnisses. So begann beispiels-weise ein Mädchen – dessen Lehrerin davon ausging, dass es die deutsche Sprache weder sprechen noch verste-hen könne – im Rahmen eines Inter-views Deutsch zu sprechen.

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Klappe, die erste …… und jetzt erzähle ich!

Im Laufe des Schuljahres begeisterten sich die SchülerInnen nicht nur für das Zuhören. Sie erlebten sich selbst auch als Erzählende und blühten in ihrer neuen Rolle förmlich auf. Als Erinne-rung an das Jahr mit Freiraum Erzählen wurden die erzählenden Kinder doku-mentiert.

So durften sie gegen Ende des Schul-jahres in Kleingruppen vor laufender Kamera erzählen. Wie schon bei den Interviews mit den Kindern im Rahmen der Evaluation, genossen die Schüle-rInnen diese spezielle Aufmerksamkeit. In Anschluss entstand am Schneide-tisch aus den Beiträgen der Kinder eine gemeinsame Geschichte. Pro Klasse wurde ein Video produziert und allen Kindern als Andenken geschenkt.

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Erzählerin

Birgit Lehner

„Am Eindrücklichsten für mich waren die Momente, in denen die Kinder anfingen, selbst zu erzählen. Als sie alleine vor der ganzen Klasse gestanden und um Worte gerungen haben – das war schon eine großar-tige Leistung für Sechsjährige. ‚Es war schön, aber man muss mutig sein‘, hat ein Bub danach zu mir gesagt.“

Birgit Lehner kam über das Theater und den Journalismus zum Erzählen. Sie arbeitete als Schauspielerin (u. a. am Burgtheater, Theater Erlangen so-wie für Film und Hörfunk), Dramatur-gie- und Regie-Assistentin (am Maxim Gorki Theater Berlin und Staatstheater Mainz). Sie war Kulturredakteurin der APA - Austria Presse Agentur und zu-dem als freie Journalistin tätig (u. a. für Falter, taz und die Berliner und Wiener Zeitung).

Den Beruf der Erzählerin entdeckte sie im Rahmen eines zweijährigen Frank-reich-Aufenthalts, wo das Erzählen als Genre weiter verbreitet ist. Seither erzählt sie auf der Bühne und auf Fes-tivals im In- und Ausland, in Bildungs- und Sozialeinrichtungen, auf privaten und Firmenfeiern etc. Sie erzählt auch auf Englisch und Französisch und begleitet ihre Auftritte gern mit Gesang und Musik.

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Erzähler

Josef Mitschan

„Eine Lehrerin war völlig über-rascht, als ein Integrationskind, das sonst nur still dabei sitzt und keine Reaktion zeigt, plötzlich beim Abschieds-Ritual mitgemacht hat. Sie war einfach baff, dass es gelungen ist, mit meinem Geschichtenerzählen sozusagen seine Schale zu knacken.“

Josef Mitschan wurde das Erzählen in die Wiege gelegt. Der Erzählstil des gebürtigen Mühlviertlers ist geprägt von der Erinnerung an seine Großmut-ter, die den Enkelkindern ein beträcht-liches Repertoire an Geschichten über-lieferte.Er studierte in Wien zunächst Theater-wissenschaft, Literaturwissenschaft und Geschichte und absolvierte eine Buchbinderlehre, um dann in Romanis-tik sein Studium abzuschließen. Er arbeitete im Bereich entwicklungspoli-tischer NGos und wechselte 2004 zu den Büchereien Wien, wo er seitdem als Bibliothekar tätig ist.

Mit Papiertheater und Vorlesestunden in der Kinderbücherei kam er zurück auf die theatralischen Wurzeln seiner jungen Jahre. Nach Fortbildungen im Bereich des mündlichen Erzählens begann er mit öffentlichen Auftritten sowohl für Kinder als auch für Erwach-sene.

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Freiraum SchuleDas Projekt Freiraum Erzählen ist für die Brunnenpassage der Beginn einer Reihe von langfristigen Schulprojekten.

Öffentliche Schulen sind für uns besonders spannende orte, weil dort eine große Vielfalt an kulturellen, sozialen und religiösen Hintergründen in den Klassen unmit-telbar aufeinandertrifft. Im besten Fall stehen offenheit, Neugierde und Wissensdurst der Kinder im Vordergrund. oft stellen aber die unterschiedlichen Voraussetzungen, welche die Kinder mitbringen, eine große Herausforderungen für den Schulalltag dar, der darauf ausgerichtet ist, eine möglichst homogene Gruppe auf einen ver-gleichbaren Wissensstand zu bringen.

Alle Projekte, die von der Brunnenpassage unter dem Titel Freiraum Schule entwickelt werden, begreifen die Heterogenität der SchülerInnen nicht als Problem. ohne die vorhandenen Herausforderungen zu leugnen, legen wir unseren Fokus auf das posi-tive Potenzial der Diversität. Kunstprojekte nehmen die Unterschiedlichkeit der Indi-viduen, das Besondere jeden Kindes, die Vielfalt als Bereicherung wahr. Künstleri-sche Prozesse eignen sich hervorragend als Methoden in der Schule, denn sie lassen der/dem Einzelnen immer den Freiraum einer eigenen Meinung und Deutung.

Intensität und Langfristigkeit sind für die Freiraum-Schule-Projekte von zentraler Bedeutung. Sie ermöglichen den Aufbau einer individuellen Beziehung zwischen den Kindern und den Künstlerinnen und Künstlern.

Freiraum Schule schafft Freiräume in der Institution Schule. Die KünstlerInnen setzen neue Impulse durch außergewöhnliche Methoden und Zugänge.

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BrunnenpassageIn der Brunnenpassage am Wiener Brunnenmarkt können Menschen unterschiedli-cher Herkunft an Kunstprojekten mitwirken und einander dabei kennenlernen. Täglich treffen sich in der ehemaligen Markthalle Menschen, um gemeinsam mit Künstlerin-nen und Künstlern zu proben, zu produzieren und auf der Bühne zu stehen. Die Brunnenpassage begreift den Zugang zu Kunst und Kultur als Menschenrecht. Kunst ermöglicht Menschen die eigene Identität zu finden und auszuleben.

Zudem wird das Potenzial von künstlerischen Prozessen auch als Mittel für sozialen Wandel genutzt. über Kunst wird erlebbar, dass kulturelle Vielfalt die Gesellschaft bereichert.

Die Brunnenpassage versteht sich als Modellprojekt. Es werden über Kunst neue Begegnungsmöglichkeiten geschaffen. Weit über die Bezirksgrenzen hinweg ist die Brunnenpassage ein ort, in dem kulturelle und soziale Teilhabe beispielhaft gelebt wird.

Bei den Besucherinnen und Besuchern handelt es sich vor allem um aktive Teilneh-merInnen (ChorsängerInnen, Tanzende, Workshop-TeilnehmerInnen usw.). Viele Menschen sind über die Brunnenpassage erstmalig BesucherInnen eines Theater-stücks, eines Jazzkonzerts oder aktive Mitwirkende einer Kunstproduktion geworden.

Die BesucherInnen geben ein Bild der Vielfalt des Wiener Brunnenmarktes wieder. Das Publikum erstreckt sich über alle Herkünfte, Altersklassen, Glaubensrichtungen, Einkommensschichten und Bildungsstände.

Trägerin der Brunnenpassage ist die Caritas Wien.

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Das mündliche Erzählen ist zu einem Schwerpunkt in der Arbeit der Brun-nenpassage geworden. Neben dem Projekt Freiraum Erzählen existieren seit 2009 noch folgende andere Pro-jekte und Programmreihen:

Die Kunst des ErzählensDie Auftritte internationaler Erzähl-künstlerInnen zeigen Erzählkunst auf hohen Niveau und in ihrer großen Bandbreite. Mit dieser Vorstellungs-reihe hat die Brunnenpassage einen einmaligen ort in Österreich geschaf-fen, wo internationale ErzählkünstlerIn-nen auch außerhalb von Festivals zu sehen sind.

Workshop ErzählenEin- oder zweitägige Workshops er-möglichen es allen Interessierten, sich unter professioneller Anleitung im mündlichen Erzählen auszuprobieren und weiterzubilden.

Erzählen in der Brunnenpassage

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päischen Partnern mit den Möglich-keiten des Storytelling in der Er- wachsenenbildung – insbesondere beim Erlernen von Sprachen – be-schäftigen.

Zeit.GeschichtenViele Menschen am Brunnenmarkt haben eine spannende persönliche Geschichte zu erzählen. Das Projekt Zeit.Geschichten will diesen Geschich-ten einen passenden Rahmen auch außerhalb der Theaterbühne bieten. Die Geschichten werden an unter-schiedlichen orten am Brunnenmarkt erzählt, zu denen die Erzählenden einen direkten Bezug haben: oft die eigene Arbeitsstätte, der Frisörsalon oder ein Lokal. Das Publikum wandert von ort zu ort zur nächsten Geschichte.

offene ErzählsessionBei diesem offenen Veranstaltungsfor-mat gibt es kein vorstrukturiertes Pro-gramm. Im einem Zelt innerhalb der Brunnenpassage auf Teppichen sit-zend, können die Teilnehmenden er-zählen oder einfach nur zuhören. Pro-fessionelle ErzählerInnen und Laien treffen sich hier auf einer Augenhöhe. Hier finden sowohl Alltagsgeschichten als auch Zaubermärchen aufmerksame Zuhörende.

EU Project SheherazadeIm Rahmen des EU-Projektes „Shehe-razade, 1001 Stories for Adult Lear-ning“ – realisiert im „Grundtvig Pro-gramm Lebenslanges Lernen“ – wird sich die Brunnenpassage in den Jah-ren 2012 -14 mit einer Reihe von Euro-

Die Brunnenpassage wird gefördert von

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Ich bin stolz auf meine Kinder – sie haben sich Applaus verdient.

Lehrerin VS Liebhartsgasse