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DIE SEITE 3 Freitag, 22. Juli 2016 Nummer 168 Von Korbinian Klinghardt A ls Immersion bezeichnen Medienwissenschaftler das Eintauchen in digitale Wel- ten. Gute Computerspiele ziehen ihre Nutzer dermaßen in Bann, dass sie die reale Welt vergessen und gänzlich in der virtuellen auf- zugehen scheinen. Was abstrakt klingt, lässt sich zur Zeit sehr kon- kret im öffentlichen Raum be- obachten. Egal ob im Stadtpark oder in der Fußgängerzone Pokémon Go-Spieler sind unüber- sehbar. Völlig versunken starren sie auf das Display ihrer Smart- phones und vergessen dabei nicht selten, wo sie eigentlich hinlaufen. Pikachu erobert mal wieder die Welt Mit Joint auf Pokémon-Jagd Menschen, die auf das Display ihres Smartphones starrend durch die Fußgängerzone laufen, sind in Großstädten keine Seltenheit. Au- ßergewöhnlich wird es dann, wenn sie zudem noch Drogen kon- sumieren. So wie am Sonntagmor- gen, als Polizisten einen 30-Jähri- gen am Richard-Strauß-Brunnen in der Münchner Fußgängerzone stellten, der neben dem Smart- phone auch noch einen Joint in der Hand hielt. „Oh Shit, darf ich das noch schnell fertig machen?“, rea- gierte der Mann und erklärte den Beamten, dass er gerade damit be- schäftigt sei, die „hiesige Arena“ einzunehmen. Widerstandslos folgte der Marihuana rauchende Pokémon-Jäger dann ins Polizei- präsidium, das er nach Aufnahme einer Anzeige wieder verlassen durfte. Ebenfalls Ärger mit der Polizei handelte sich ein 18-Jähriger in Trier beim Pokémon-Spielen ein. Der per Haftbefehl gesuchte Mann bemerkte bei der Jagd nach den vir- tuellen Pocketmonstern über- haupt nicht, dass sich ihm Polizis- ten näherten und wurde daraufhin festgenommen. Nun muss er seine Haftstrafe von einem halben Jahr absitzen. In Schießübung der Bundeswehr geraten Die Lüneburger Heide ist be- kannt für ihre flachwellige Heide- und Waldlandschaft. Sie ist ein be- gehrtes Ausflugs- und Urlaubsziel, und neuerdings verschlägt es auch Pokémon-Jäger dorthin. Dass drei Spieler am Wochenende das nord- deutsche Tiefland wieder lebend verlassen konnten, verdanken sie einer gehörigen Portion Glück. Sie waren nämlich derart vertieft in das Handyspiel, dass sie nicht be- merkten, wie sie auf ein Gelände der Bundeswehr gerieten, auf dem gerade eine Schießübung mit scharfer Munition durchgeführt wurde. Der Wachdienst des Trup- penübungsplatzes hatte die drei Spieler entdeckt und rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Spieler behindern Polizeieinsatz Nicht nur Gaffer, die mit ihren Smartphones Fotos und Videos zum Beispiel von Autounfällen machen, bereiten Rettungskräften und Polizeibeamten zurzeit große Sorgen. Auch Pokémon-Go-Spie- ler können polizeiliche Ermitt- lungsmaßnahmen behindern. So wie in Kaiserslautern. Am Wo- chenende waren Polizisten ausge- rückt, weil ein 19-Jähriger ein 17- jähriges Mäd- chen mehrfach ge- schlagen, sie zu Boden geschubst, bespuckt und beleidigt hatte. Als die Polizis- ten den stark alkoholisierten und sehr aggressiven Mann festneh- men wollten, wurden sie dabei nicht nur von einem seiner Freun- de, sondern auch durch Pokémon- Jäger behindert. Diese waren so auf ihr Spiel konzentriert, dass sie den Polizeieinsatz gar nicht wahr- nahmen und völlig un- beeindruckt zwi- schen den Beam- ten und den Stö- renfrieden Aus- schau nach den japanischen Zeichen- trickmonstern hielten. Liebespaar und Leiche entdeckt Anstelle von wilden Pokémon entdeckte ein 18-Jähriger in der Nacht auf Montag im Neu-Ulmer Stadtteil Offenhausen ein Pärchen, dass sich leidenschaftlich einander hingab. Der Mann war in einer städtischen Grünanlage unter- wegs, als er die 48-Jährige und ih- ren 33-Jährigen Liebhaber in fla- granti beim Liebesspiel erwischte. Das Pärchen schenkte ihm und sei- ner Forderung, den Liebesakt ein- zustellen, allerdings keine Beach- tung. Also informierte der resolute Pokémon-Fänger die Polizei, die Anzeige wegen Erregung öffentli- chen Ärgernisses gegen die beiden Liebenden stellte. Ähnlich Aufsehen erregend ist die Entdeckung eines 49-Jährigen in Dänemark. Er suchte an einem Abwasserkanal auf der Insel Fü- nen nach Pokémon, fand stattdes- sen jedoch eine Leiche. Diese habe dort wohl schon eine ganze Weile gelegen, teilte die Polizei mit. Es sei nicht mehr möglich gewesen, Ge- schlecht, Alter oder Identität des Toten festzustellen. Minen bedrohen Spieler Ein besonderes Risiko gehen Pokémon-Go-Spieler in Bosnien- Herzegowina ein. Von 1992 bis 1995 tobte in dem Land ein schrecklicher Bürgerkrieg. Zahl- reiche Minen wurden bis heute noch nicht geborgen. Da das die Handyspieler bisher nicht aufhält, auch in entlegeneren Landschaf- ten des Balkanlandes nach Pocket- monstern zu suchen, raten Medien und Fachorganisationen in Saraje- vo eindringlich, die aufgestellten Tafeln in den von Minen verseuch- ten Gebieten zu beachten. Spielverbot für Indonesiens Polizei Obwohl Pokémon Go in Indo- nesien offiziell gar nicht verfügbar ist, wurde es nun den Einsatzkräf- ten der Nationalpolizei verboten. Polizeisprecher Boy Rafli fürchtet nämlich, dass die Beamten eher auf Pokémon-Jagd gehen, als die Einhaltung von Recht und Ord- nung in dem Inselstaat zu gewähr- leisten. Grund für das Verbot war die vorübergehende Festnahme ei- nes Franzosen, der beim Pokémon-Spielen in der Stadt Ci- rebon an der Nordküste der Insel Java versehentlich in einen Militär- stützpunkt eingedrungen war. Das Pokémon-Verbot gilt übrigens auch für die Einsatzkräfte der Ma- rine. Der Grund: Da das Handy- spiel GPS-Satellitendaten und Vi- deo-Streaming nutze und lokale Daten sammle, sei es aus Sicher- heitsgründen für die Militärs tabu, so Marinechef Ade Supandi. Mit Waffen bedroht und ausgeraubt Dass die Jagd nach virtuellen Monstern unter Umständen schlimme Folgen im realen Leben haben kann, zeigen Beispiele aus den USA. In Kalifornien beispiels- Pokémon Go ist zurzeit wohl das beliebteste Handyspiel. Teilweise sind die Spieler so darin vertieft, dass sie ihre Umgebung fast vollständig ausblenden und sich dabei ungewollt in skurrile Pokémon-Situationen bringen. Die PNP hat die kuriosesten Fälle zusammengefasst. weise ist Medienberichten zufolge ein Spieler von fünf oder sechs jun- gen Männern niedergestochen worden, als er im Schweitzer Park in Anaheim unterwegs war. Auch gibt es Berichte von Übergriffen an Universitäten, zum Beispiel auf dem Campus der University of Ma- ryland. Drei Pokémon jagende Studenten sollen dort mit Waffen bedroht und ausgeraubt worden sein. Dass die Handyspieler eben nicht überall gerne gesehen sind, belegt auch ein Fall aus Florida. Dort wurden sie von Unbekannten mit Feuerwerkskörpern aus einem Auto heraus beworfen. Derartige Übergriffe hat es in Deutschland bisher noch nicht gegeben, doch gibt es hierzulande auf Twitter schon Aufrufe, die Pokémon-Spie- ler mit Wasserbomben zu bewer- fen. Pokémon sind „unislamisch“ Bislang ist Pokémon Go in Sau- di-Arabien nicht erhältlich, und geht es nach den Religionsgelehr- ten, soll das auch in Zukunft so bleiben. Pokémon spielen, egal ob mit den klassischen Spielkarten oder auf dem Smartphone, sei un- islamisch, heißt es in einem islami- schen Rechtsgutachten des Ständi- gen Ausschusses für Forschung und Fatwas. Die britische Zeitung „The Independent“ berichtet, dass diese Einschätzung unter anderem darauf beruhe, dass im Spiel Sym- bole wie das Kreuz oder der sechs- zackige Stern vorkommen, Sym- bole also, die Bezug zum Christen- bzw. zum Judentum haben. Dass der Ausschuss sich überhaupt mit diesem Thema befasste, hängt mit zahlreichen Anfragen von Musli- men zusammen. Nach Angaben der saudischen Nachrichtenseite Al-Muwatin wurden schon drei Männer festgenommen, die auf dem Parkplatz des Flughafens von Dschasan Pokémon suchten. Wel- che Strafen ihnen nun drohen, ist nicht bekannt. Eine Übersicht der originellsten Reaktionen im Netz zum Thema Pokémon Go finden Sie auf www.pnp.de/pokemon. Von Korbinian Klinghardt D as Handyspiel Pokémon Go lässt die Emotionen hochko- chen. Für die einen ist es Sinnbild für den endgültigen Untergang des Abendlandes, für die anderen ein geniales Spiel, das die Welt, wie wir sie kennen, grundlegend verän- dert. Unumstritten hingegen ist der Erfolg des Spiels. Seit dem 6. Juli ist Pokémon Go in den USA erhält- lich – eine Woche später konnten es Nutzer in Deutschland installie- ren. Seitdem wurde es weltweit über zehn Millionen Mal auf Smartphones mit dem Betriebssys- tem Android heruntergeladen. Für Diplom-Psychologe Micha- el Brill ist dieser Erfolg wenig über- raschend. Der 32-Jährige ist wis- senschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Julius-Maximilians-Univer- Bei der Pokémon-Jagd: „Mitdenken schadet nie“ sität Würzburg, forscht zu Compu- ter- und Videospielen und war mit seinem Smartphone selbst schon auf Pokémon-Jagd. Ein Grund, weshalb Pokémon Go so beliebt ist, ist seiner Mei- nung nach die „Verschmelzung von realer und digitaler Welt“. In- formatiker bezeichnen dies als er- weiterte Realität („augmented rea- lity“). Die virtuelle Realität, also die verschiedenen, am Smart- phone sichtbaren Pokémon, wer- den mit Hilfe der Handykamera in die reale Welt integriert, erklärt Brill. Sie erscheinen zum Beispiel auf einer Wiese, auf dem Spielplatz oder mitten in der Fußgängerzone. Bislang gibt es nicht viele Spiele, die nach dem Prinzip der erweiter- ten Realität funktionieren. Entscheidend für den Erfolg ist auch die lange Tradition, an die das Handyspiel anknüpft. „Pokémon sind grundsätzlich nicht neu. Die Älteren kennen sie noch aus ihrer Jugend“, sagt Brill. Tatsächlich wurden die Taschenmonster Mitte der 1990er Jahre auf „allen Kanä- len beworben“ – es gab eine Zei- chentrickserie, Sammelkarten, Gameboy-Spiele und Haushaltsar- tikel oder Bettwäsche. Auch weil das Spiel derzeit medial sehr prä- sent sei und weil der Nutzer außer einem Smartphone und der Pokémon-Go-App nichts weiter zum Spielen benötige, sei es so be- gehrt. Trotz aller Pokémon-Sammellei- denschaft und Freude an der digi- talen „Schnitzeljagd“ fordert Mi- chael Brill die Nutzer auf, an die Spiele-App „mit gesundem Men- schenverstand“ heranzugehen. „Wenn ein Spiel gut gemacht ist, spricht nichts dagegen, für eine ge- wisse Zeit der realen Welt zu ent- fliehen.“ Doch wie bei allem, was Spaß macht, müsse der Nutzer auch wissen, „wann es wieder gut ist“. Gerade die Eltern junger Spie- ler fordert Brill auf, sich mit der App auseinanderzusetzen und mit ihrem Nachwuchs über das Spiel zu diskutieren. Im Gegensatz zu Konsolenspielen, die in der Regel an einen Fernseher angeschlossen sind, sei es für Erwachsene schwe- rer zu kontrollieren, wie die Kin- der am Smartphone ihre Freizeit verbringen. Angesichts der zahlreichen Vor- fälle, in denen Spieler derart ver- tieft nach Pokémon gejagt haben, dass sie ihre Umgebung vergessen und beispielsweise Verkehrsunfäl- le provoziert haben oder sich an- derweitig in Gefahr gebracht ha- ben, plädiert Brill für einen Medi- enkonsum, der die Realität nicht aus dem Auge verliert: „Mitdenken schadet sicher nie.“ Auch warnt der Psychologe die Nutzer davor, in die Kostenfalle zu tappen. Gegen Geld können Spie- ler Pokébälle, Rucksäcke, Köder und weitere Spielelemente kaufen. Bis zu 99,99 Euro können mit ei- ner einzigen Transaktion ausgege- ben werden. Die Gefahr, dass Pocketmonster für das Spiel unpassende Orte wie zum Beispiel Gedenkstätten be- völkern, sieht der Wissenschaftler gelassen. Die Entwickler würden in solchen Fällen erfahrungsge- mäß schnell reagieren. Dass Pokémon Go letztlich nur ein großer Hype mit kurzer Halt- barkeit ist, möchte Brill nicht aus- schließen. „Jetzt ist das Spiel da, es bietet großen Anreiz, es auszupro- bieren.“ Doch dass zurzeit alle Welt in der freien Natur und in Städten nach Pocketmonstern jagt, hänge auch damit zusammen, dass es die sommerlichen Temperatu- ren erlauben. „Warten wir mal den Winter ab“, gibt Brill zu bedenken. Mit dem Handyspiel Pokémon Go können Nutzer quasi an allen öffentlichen Plätzen Jagd auf die Pocketmons- ter machen. Hier wartet zum Beispiel das Schlafpokémon Traumato mitten auf dem Pariser Platz in Berlin darauf, von einem Spieler mit einem Pokéball gefangen zu werden. - Foto: dpa Klein, gelb und ein absoluter Publikumsliebling: Das Elektropokémon Pikachu zählt zu den bekanntesten und beliebtesten Pocketmonstern. Diplom-Psychologe Michael Brill erforscht Präsenzerleben in Video- spielen. - F.: Universität Würzburg

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DIE SEITE 3Freitag, 22. Juli 2016 Nummer 168

Von Korbinian Klinghardt

A ls Immersion bezeichnenMedienwissenschaftler dasEintauchen in digitale Wel-

ten. Gute Computerspiele ziehenihre Nutzer dermaßen in Bann,dass sie die reale Welt vergessenund gänzlich in der virtuellen auf-zugehen scheinen. Was abstraktklingt, lässt sich zur Zeit sehr kon-kret im öffentlichen Raum be-obachten. Egal ob im Stadtparkoder in der Fußgängerzone –Pokémon Go-Spieler sind unüber-sehbar. Völlig versunken starrensie auf das Display ihrer Smart-phones und vergessen dabei nichtselten, wo sie eigentlich hinlaufen.

Pikachu erobert mal wieder die Welt

Mit Joint aufPokémon-Jagd

Menschen, die auf das Displayihres Smartphones starrend durchdie Fußgängerzone laufen, sind inGroßstädten keine Seltenheit. Au-ßergewöhnlich wird es dann,wenn sie zudem noch Drogen kon-sumieren. So wie am Sonntagmor-gen, als Polizisten einen 30-Jähri-gen am Richard-Strauß-Brunnenin der Münchner Fußgängerzonestellten, der neben dem Smart-phone auch noch einen Joint in derHand hielt. „Oh Shit, darf ich dasnoch schnell fertig machen?“, rea-gierte der Mann und erklärte denBeamten, dass er gerade damit be-schäftigt sei, die „hiesige Arena“einzunehmen. Widerstandslosfolgte der Marihuana rauchendePokémon-Jäger dann ins Polizei-präsidium, das er nach Aufnahmeeiner Anzeige wieder verlassendurfte.

Ebenfalls Ärger mit der Polizeihandelte sich ein 18-Jähriger inTrier beim Pokémon-Spielen ein.Der per Haftbefehl gesuchte Mannbemerkte bei der Jagd nach den vir-tuellen Pocketmonstern über-haupt nicht, dass sich ihm Polizis-ten näherten und wurde daraufhinfestgenommen. Nun muss er seineHaftstrafe von einem halben Jahrabsitzen.

In Schießübung derBundeswehr geraten

Die Lüneburger Heide ist be-kannt für ihre flachwellige Heide-und Waldlandschaft. Sie ist ein be-gehrtes Ausflugs- und Urlaubsziel,und neuerdings verschlägt es auchPokémon-Jäger dorthin. Dass dreiSpieler am Wochenende das nord-deutsche Tiefland wieder lebendverlassen konnten, verdanken sieeiner gehörigen Portion Glück. Siewaren nämlich derart vertieft indas Handyspiel, dass sie nicht be-merkten, wie sie auf ein Geländeder Bundeswehr gerieten, auf demgerade eine Schießübung mitscharfer Munition durchgeführtwurde. Der Wachdienst des Trup-penübungsplatzes hatte die dreiSpieler entdeckt und rechtzeitig inSicherheit gebracht.

Spieler behindernPolizeieinsatz

Nicht nur Gaffer, die mit ihrenSmartphones Fotos und Videoszum Beispiel von Autounfällenmachen, bereiten Rettungskräftenund Polizeibeamten zurzeit großeSorgen. Auch Pokémon-Go-Spie-ler können polizeiliche Ermitt-lungsmaßnahmen behindern. Sowie in Kaiserslautern. Am Wo-chenende waren Polizisten ausge-rückt, weil ein 19-Jähriger ein 17-

jähriges Mäd-chen mehrfach ge-

schlagen, sie zu Bodengeschubst, bespuckt und

beleidigt hatte. Als die Polizis-ten den stark alkoholisierten undsehr aggressiven Mann festneh-men wollten, wurden sie dabeinicht nur von einem seiner Freun-de, sondern auch durch Pokémon-Jäger behindert. Diese waren soauf ihr Spiel konzentriert, dass sieden Polizeieinsatz gar nicht wahr-

nahmen und völlig un-beeindruckt zwi-

schen den Beam-ten und den Stö-renfrieden Aus-schau nach den

japanischen Zeichen-trickmonstern hielten.

Liebespaar undLeiche entdeckt

Anstelle von wilden Pokémonentdeckte ein 18-Jähriger in derNacht auf Montag im Neu-UlmerStadtteil Offenhausen ein Pärchen,dass sich leidenschaftlich einanderhingab. Der Mann war in einerstädtischen Grünanlage unter-wegs, als er die 48-Jährige und ih-ren 33-Jährigen Liebhaber in fla-granti beim Liebesspiel erwischte.Das Pärchen schenkte ihm und sei-ner Forderung, den Liebesakt ein-zustellen, allerdings keine Beach-tung. Also informierte der resolutePokémon-Fänger die Polizei, dieAnzeige wegen Erregung öffentli-chen Ärgernisses gegen die beidenLiebenden stellte.

Ähnlich Aufsehen erregend istdie Entdeckung eines 49-Jährigenin Dänemark. Er suchte an einemAbwasserkanal auf der Insel Fü-nen nach Pokémon, fand stattdes-sen jedoch eine Leiche. Diese habe

dort wohl schon eine ganze Weilegelegen, teilte die Polizei mit. Es seinicht mehr möglich gewesen, Ge-

schlecht, Alter oder Identität desToten festzustellen.

Minen bedrohenSpieler

Ein besonderes Risiko gehenPokémon-Go-Spieler in Bosnien-Herzegowina ein. Von 1992 bis1995 tobte in dem Land einschrecklicher Bürgerkrieg. Zahl-reiche Minen wurden bis heutenoch nicht geborgen. Da das dieHandyspieler bisher nicht aufhält,auch in entlegeneren Landschaf-ten des Balkanlandes nach Pocket-monstern zu suchen, raten Medienund Fachorganisationen in Saraje-vo eindringlich, die aufgestelltenTafeln in den von Minen verseuch-ten Gebieten zu beachten.

Spielverbot fürIndonesiens Polizei

Obwohl Pokémon Go in Indo-nesien offiziell gar nicht verfügbarist, wurde es nun den Einsatzkräf-ten der Nationalpolizei verboten.Polizeisprecher Boy Rafli fürchtetnämlich, dass die Beamten eherauf Pokémon-Jagd gehen, als dieEinhaltung von Recht und Ord-nung in dem Inselstaat zu gewähr-leisten. Grund für das Verbot wardie vorübergehende Festnahme ei-nes Franzosen, der beimPokémon-Spielen in der Stadt Ci-rebon an der Nordküste der InselJava versehentlich in einen Militär-stützpunkt eingedrungen war. DasPokémon-Verbot gilt übrigensauch für die Einsatzkräfte der Ma-rine. Der Grund: Da das Handy-spiel GPS-Satellitendaten und Vi-deo-Streaming nutze und lokaleDaten sammle, sei es aus Sicher-heitsgründen für die Militärs tabu,so Marinechef Ade Supandi.

Mit Waffen bedrohtund ausgeraubt

Dass die Jagd nach virtuellenMonstern unter Umständenschlimme Folgen im realen Lebenhaben kann, zeigen Beispiele ausden USA. In Kalifornien beispiels-

Pokémon Go ist zurzeitwohl das beliebtesteHandyspiel. Teilweisesind die Spieler sodarin vertieft, dass sieihre Umgebung fastvollständig ausblendenund sich dabeiungewollt in skurrilePokémon-Situationenbringen. Die PNP hatdie kuriosesten Fällezusammengefasst.

weise ist Medienberichten zufolgeein Spieler von fünf oder sechs jun-gen Männern niedergestochenworden, als er im Schweitzer Parkin Anaheim unterwegs war. Auchgibt es Berichte von Übergriffen anUniversitäten, zum Beispiel aufdem Campus der University of Ma-ryland. Drei Pokémon jagendeStudenten sollen dort mit Waffenbedroht und ausgeraubt wordensein. Dass die Handyspieler ebennicht überall gerne gesehen sind,belegt auch ein Fall aus Florida.Dort wurden sie von Unbekanntenmit Feuerwerkskörpern aus einemAuto heraus beworfen. DerartigeÜbergriffe hat es in Deutschlandbisher noch nicht gegeben, dochgibt es hierzulande auf Twitterschon Aufrufe, die Pokémon-Spie-ler mit Wasserbomben zu bewer-fen.

Pokémon sind„unislamisch“

Bislang ist Pokémon Go in Sau-di-Arabien nicht erhältlich, undgeht es nach den Religionsgelehr-ten, soll das auch in Zukunft sobleiben. Pokémon spielen, egal obmit den klassischen Spielkartenoder auf dem Smartphone, sei un-islamisch, heißt es in einem islami-schen Rechtsgutachten des Ständi-gen Ausschusses für Forschungund Fatwas. Die britische Zeitung„The Independent“ berichtet, dassdiese Einschätzung unter anderemdarauf beruhe, dass im Spiel Sym-bole wie das Kreuz oder der sechs-zackige Stern vorkommen, Sym-bole also, die Bezug zum Christen-bzw. zum Judentum haben. Dassder Ausschuss sich überhaupt mitdiesem Thema befasste, hängt mitzahlreichen Anfragen von Musli-men zusammen. Nach Angabender saudischen NachrichtenseiteAl-Muwatin wurden schon dreiMänner festgenommen, die aufdem Parkplatz des Flughafens vonDschasan Pokémon suchten. Wel-che Strafen ihnen nun drohen, istnicht bekannt.

Eine Übersicht der originellstenReaktionen im Netz zum ThemaPokémon Go finden Sie aufwww.pnp.de/pokemon.

Von Korbinian Klinghardt

Das Handyspiel Pokémon Golässt die Emotionen hochko-

chen. Für die einen ist es Sinnbildfür den endgültigen Untergang desAbendlandes, für die anderen eingeniales Spiel, das die Welt, wie wirsie kennen, grundlegend verän-dert. Unumstritten hingegen ist derErfolg des Spiels. Seit dem 6. Juli istPokémon Go in den USA erhält-lich – eine Woche später konntenes Nutzer in Deutschland installie-ren. Seitdem wurde es weltweitüber zehn Millionen Mal aufSmartphones mit dem Betriebssys-tem Android heruntergeladen.

Für Diplom-Psychologe Micha-el Brill ist dieser Erfolg wenig über-raschend. Der 32-Jährige ist wis-senschaftlicher Mitarbeiter amLehrstuhl für Medienpsychologiean der Julius-Maximilians-Univer-

Bei der Pokémon-Jagd: „Mitdenken schadet nie“

sität Würzburg, forscht zu Compu-ter- und Videospielen und war mitseinem Smartphone selbst schonauf Pokémon-Jagd.

Ein Grund, weshalb PokémonGo so beliebt ist, ist seiner Mei-nung nach die „Verschmelzungvon realer und digitaler Welt“. In-formatiker bezeichnen dies als er-weiterte Realität („augmented rea-lity“). Die virtuelle Realität, alsodie verschiedenen, am Smart-phone sichtbaren Pokémon, wer-den mit Hilfe der Handykamera indie reale Welt integriert, erklärtBrill. Sie erscheinen zum Beispielauf einer Wiese, auf dem Spielplatzoder mitten in der Fußgängerzone.Bislang gibt es nicht viele Spiele,die nach dem Prinzip der erweiter-ten Realität funktionieren.

Entscheidend für den Erfolg istauch die lange Tradition, an die dasHandyspiel anknüpft. „Pokémonsind grundsätzlich nicht neu. DieÄlteren kennen sie noch aus ihrerJugend“, sagt Brill. Tatsächlichwurden die Taschenmonster Mitte

der 1990er Jahre auf „allen Kanä-len beworben“ – es gab eine Zei-chentrickserie, Sammelkarten,Gameboy-Spiele und Haushaltsar-tikel oder Bettwäsche. Auch weildas Spiel derzeit medial sehr prä-sent sei und weil der Nutzer außereinem Smartphone und derPokémon-Go-App nichts weiterzum Spielen benötige, sei es so be-gehrt.

Trotz aller Pokémon-Sammellei-denschaft und Freude an der digi-talen „Schnitzeljagd“ fordert Mi-chael Brill die Nutzer auf, an dieSpiele-App „mit gesundem Men-schenverstand“ heranzugehen.„Wenn ein Spiel gut gemacht ist,spricht nichts dagegen, für eine ge-wisse Zeit der realen Welt zu ent-fliehen.“ Doch wie bei allem, wasSpaß macht, müsse der Nutzerauch wissen, „wann es wieder gutist“. Gerade die Eltern junger Spie-

ler fordert Brill auf, sich mit derApp auseinanderzusetzen und mitihrem Nachwuchs über das Spielzu diskutieren. Im Gegensatz zuKonsolenspielen, die in der Regelan einen Fernseher angeschlossensind, sei es für Erwachsene schwe-rer zu kontrollieren, wie die Kin-der am Smartphone ihre Freizeitverbringen.

Angesichts der zahlreichen Vor-fälle, in denen Spieler derart ver-tieft nach Pokémon gejagt haben,dass sie ihre Umgebung vergessenund beispielsweise Verkehrsunfäl-le provoziert haben oder sich an-derweitig in Gefahr gebracht ha-ben, plädiert Brill für einen Medi-enkonsum, der die Realität nichtaus dem Auge verliert: „Mitdenkenschadet sicher nie.“

Auch warnt der Psychologe dieNutzer davor, in die Kostenfalle zutappen. Gegen Geld können Spie-

ler Pokébälle, Rucksäcke, Köderund weitere Spielelemente kaufen.Bis zu 99,99 Euro können mit ei-ner einzigen Transaktion ausgege-ben werden.

Die Gefahr, dass Pocketmonsterfür das Spiel unpassende Orte wiezum Beispiel Gedenkstätten be-völkern, sieht der Wissenschaftlergelassen. Die Entwickler würdenin solchen Fällen erfahrungsge-mäß schnell reagieren.

Dass Pokémon Go letztlich nurein großer Hype mit kurzer Halt-barkeit ist, möchte Brill nicht aus-schließen. „Jetzt ist das Spiel da, esbietet großen Anreiz, es auszupro-bieren.“ Doch dass zurzeit alleWelt in der freien Natur und inStädten nach Pocketmonstern jagt,hänge auch damit zusammen, dasses die sommerlichen Temperatu-ren erlauben. „Warten wir mal denWinter ab“, gibt Brill zu bedenken.

Mit dem Handyspiel Pokémon Go können Nutzer quasi an allen öffentlichen Plätzen Jagd auf die Pocketmons-ter machen. Hier wartet zum Beispiel das Schlafpokémon Traumato mitten auf dem Pariser Platz in Berlin darauf,von einem Spieler mit einem Pokéball gefangen zu werden. − Foto: dpa

Klein, gelb und ein absoluter Publikumsliebling: DasElektropokémon Pikachu zählt zu den bekanntesten undbeliebtesten Pocketmonstern.

Diplom-Psychologe Michael Brillerforscht Präsenzerleben in Video-spielen. − F.: Universität Würzburg