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Vandenhoeck & Ruprecht Marita Koerrenz/Ralf Koerrenz Frieden leben Mit Jugendlichen Religion und Ethik denken Materialien für die Klassen 7–10 ISBN Print: 9783525776896 — ISBN E-Book: 9783647776897 © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen zur Vollversion

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Vandenhoeck & Ruprecht

Marita Koerrenz/Ralf Koerrenz

Frieden leben

Mit Jugendlichen Religion und Ethik denken

Materialien für die Klassen 7–10

ISBN Print: 9783525776896 — ISBN E-Book: 9783647776897

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

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Inhalt

»Frieden lernen« – Einleitende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. »Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst . . . . . . . . . 8

M1 Unterwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

M2 Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

M3 Bei Verstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

M4 Augustinus, Luther: Zu mir kommen, bei mir sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

M5 Ernst Lange: Die zehn großen Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

M6 Ulrich Schaffer: In uns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2. »Nehmet einander an, so wie …« – Frieden und Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

M1 Der Mensch als soziales Wesen: Adam, Eva, Kain und Noah . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

M2 Gewaltfreie Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

M3 Das Turmbau-Kollektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

M4 Andere Menschen – Nein, danke! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

M5 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

M6 Kinderrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

M7 Die zwei Säulen des Respekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

M8 Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3. »Selig sind die Friedensstifter!« – Krieg und Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

M1 Gudrun Pausewang: Wir spielen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

M2 Genfer Flüchtlingskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

M3 Jan Gildemeister: Flucht und Migration als Herausforderung und Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

M4 Christiane Tietz: Was ist Frieden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

M5 David Lutz: Kann es gerechte Kriege geben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

M6 Aus Gottes Frieden leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

M7 Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

M8 Erich Kästner: Fantasie von Übermorgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

4. »Wie die Vögel am Himmel!« – Frieden mit der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

M1 Franz von Assisi: Der Sonnengesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

M2 Die Natur und der Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

M3 Euler R. Westphal: Frieden und Schöpfung in der Konsumgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

M4 Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

M5 Reichtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

M6 Was brauche ich? Was ist mir wichtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

M7 Agenda 21 – Die Zukunft der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

5. »Meinen Frieden gebe ich Euch!« – Frieden im Gespräch der Weltreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

M1 Jesus von Nazareth – Die Bergpredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

M2 Buddha – Der innere Weg zum Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

M3 Konfuzius – Frieden als Lernweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

M4 Mo Ti – Gegen den Angriffskrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

M5 Dietrich Bonhoeffer – »Friede auf Erden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

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7»Frieden lernen« – einleitende Gedanken

»Frieden lernen« – Einleitende Gedanken

»Frieden« ist ein hema, in dem ganz unterschiedliche Dimensionen angesprochen werden. Und es stellt sich die Frage, wie diese Dimensionen zusammenhängen und ob sie irgendwie miteinander verbunden sind. In dem Motiv, dass wir »Frieden leben« können oder sollen, kommt zum Ausdruck: Frieden ist nichts Abs-traktes. Frieden hat etwas mit Leben zu tun. So sehr wir in unserem Alltag von Rollenerwartungen, von über viele Jahre hinweg angeeigneten Wahrnehmungs- oder Handlungsmustern und nicht zuletzt von Routi-nen gelenkt werden, so sehr wird in dieser Formulie-rung deutlich, dass »Frieden leben« eine bestimmte Orientierung in unser Denken und Handeln hinein-trägt. Dabei kommen uns ganz unterschiedliche Ge-danken in den Sinn. Wir leben in Zeiten, in denen wir (sofern wir nicht aus anderen Ländern gelohen sind) Krieg als Gegenteil von Frieden nicht am eigenen Leib erfahren haben. Mit der eigenen Seele mag es da – je nach Sensibilität – angesichts der medialen Übertra-gungswege von Weltkonlikten via unterschiedlicher Medien wie Fernsehen und Internet schon anders aus-sehen. Nachrichten bedrücken und belasten, fordern uns auf, Irritierendes und Verstörendes in unsere All-tagswahrnehmung zu integrieren. Zuweilen kommt jedoch über ganz andere Denkzugänge auch in den Blick, dass wir mit unserem Konsumverhalten und unseren Bedürfnisstrukturen vielleicht ein gar nicht so friedliches Verhältnis zur Umwelt bzw. zur Schöp-fung plegen. Und wieder anders taucht die Friedens-hematik vor unserem inneren Auge auf, wenn wir Konlikte in den Schulklassen oder in den Peergroups zum Indikator von Frieden bzw. Unfrieden machen. Schließlich weist das Friedensmotiv zurück auf die Art und Weise, wie wir uns als einzelne Menschen selbst sehen, wie wir uns akzeptieren können und mit unse-

rem Leib und unserer Seele klar kommen. »Frieden« ist gerade im Jugendalter in der ganzen Spannbreite von Selbstwahrnehmung, Anerkennung im Nahbe-reich über die Auseinandersetzung mit politisch-mi-litärischen Konlikten bis hin zum Umgang mit Natur und Schöpfung ein umfassendes hema, weil es auf verschiedene Dimensionen der Identitätsgewinnung in dieser Lebensphase Bezug nimmt.

Das vorliegende hemenhet versucht diese Spann-breite aufzunehmen, indem es »Frieden leben« als eine Chance und Herausforderung auf ganz unter-schiedlichen Ebenen begreit. Alle diese Ebenen tra-gen ihren Sinn und ihre existenzielle Bedeutung in sich. Es macht hingegen wenig Sinn, die eine gegen die andere Dimension auszuspielen, weil erst im Zusam-menspiel der Ebenen denkbar wird, dass »Frieden« in einem umfassenden Sinn mit »Leben« verknüpt werden kann. Didaktisch-methodische Überlegungen stehen am Beginn jeden Abschnitts. Den Lehrerinnen und Lehrern eröfnet die vorliegende Zusammenstel-lung von Materialien die Möglichkeit, verschiedene, an die jeweilige Lerngruppe angepasste, Unterrichts-reihen zu konzipieren. So können die Materialien aus den hier beschriebenen fünf Zugängen in ganz unter-schiedlicher Weise kombiniert werden – von einem Schwerpunkt in nur einem oder zwei Zugängen bis hin zur Auswahl von je einem Materialimpuls aus je-dem Zugang. Dabei entstehen ganz unterschiedliche Reihen, die durch anderes Material ergänzt werden können. Wenn es ein speziisches Anliegen dieses Hef-tes gibt, dann besteht es darin, die Mehrdimensionali-tät von »Frieden« und »Frieden leben« zur Geltung zu bringen. Diese Mehrdimensionalität könnte auf dem Lernweg der Schülerinnen und Schüler zu sich selbst bereits an sich ein wichtiger Lernimpuls sein.

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8 »Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

1. »Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

Didaktische Leitgedanken

»Frieden fängt beim Einzelnen an.« So problematisch dieser Satz mit Blick auf die verschiedenen sozialen Formen des Unfriedens auch ist, so berührt das hema »Frieden« zweifelsohne auch das Verhältnis des Men-schen zu sich selbst. Die Rede ist dann von einem »in-neren Frieden« oder einer »inneren Ruhe«. Das damit verbundene Motiv ist das eines unruhigen, irritierten, aufgebrachten Herzens, das auf der Suche nach einem Halt und einem festen Grund ist. Gerade die Über-gangsphase von Kindheit zur gesellschatlich deinier-ten Phase der Jugend bringt Herausforderungen mit sich, in denen das Verhältnis zu sich selbst seelisch und körperlich neu ausbalanciert werden muss. Der in aller Unterschiedlichkeit der sozialen Ausgangsbedin-gungen von der Selbstwahrnehmung her in der Regel sichere Hafen der Kindheit wird verlassen, um ausge-rüstet mit neuen kognitiven Fähigkeiten die Welt für sich neu zu deinieren. Der Blick in den Spiegel führt dann die eigene Unsicherheit und Orientierungsbe-dürtigkeit vor Augen, in der die Formel des »inneren Friedens« geradezu schönfärberisch wirkt. Alles steht neu auf dem Spiel. Die Rolle als soziales Wesen gilt es neu zu inden – otmals in einem relativen Kommu-nikationsabbruch gegenüber den Eltern und in einem Ausgeliefertsein an die Peergroup. In dieser Kons-tellation stellt sich dann – wenn auch otmals wenig selbstrelektiert – die Frage, für wen man sich selbst hält. Kann ich mich akzeptieren, wie ich mich wahr-nehme? Kann ich mich akzeptieren, wie die anderen mich wahrnehmen? Mit wem kann ich darüber spre-chen, dass ich mir selbst ein Problem bin – otmals ein viel größeres als die anderen? Darf ich so sein, wie ich bin? Die Suche nach sich selbst äußert sich otmals in einem aufwendigen Versteckspiel, in dem die eigene Unsicherheit hinter Klamotten, Musikgeschmack und vermeintlich unvermeidbaren Initiationsriten wie Al-kohol- und Drogenexperimenten verschwindet. Wie kann ich Frieden mit mir selbst schließen? Diese Fra-ge hat für das Jugendalter eine existenzgründende Bedeutung. Die Lehrenden stehen gerade bei diesem hema vor der Herausforderung, in besonderer Weise der sozialen Konstellation in ihrer Lerngruppe Auf-merksamkeit schenken zu müssen. Denn die hema-

tisierung dieser Frage kann bei Einzelnen Abgründe aufreißen. Dies kann und darf man nicht planen oder gar provozieren, doch sollte die Ambivalenz der Wir-kung solcher hemen bei den SuS1 den Lehrenden be-wusst sein. Gleichzeitig eröfnet das Einbringen dieser Dimension von Frieden in den Unterricht die Mög-lichkeit, einen Raum für Sprache zu öfnen, für die es woanders keinen Ort gibt.

Methodische Impulse

M 1 Das Gedicht von Paul thematisiert allgemein die Erfahrung des Übergangs und der Orientierungsbe-dürtigkeit. Pauls Antwort auf die im Religionsunter-richt gestellte Frage »Wer bin ich?« bietet ein Muster der Selbstwahrnehmung. Die SuS werden durch die Auseinandersetzung mit Pauls Gedicht dazu angeregt, das Nachdenken über sich selbst als eine eigene Her-ausforderung zu verstehen.

M 2 Das Gedicht von Anna rückt die Unsicherheit in den Vordergrund – mit dem eigenen Körper, mit dem äußeren Erscheinungsbild, mit dem sozialen Autreten. Die damit verbundene Frage beschätigt sich damit, was einen Menschen eigentlich ausmacht. Wenn wir uns im Spiegel betrachten, stehen wir vor der Aufgabe, uns so anzunehmen wie wir sind. Das bedeutet ja keineswegs, dass wir nicht herausgefordert sind, an uns zu arbeiten und uns zu verändern. Auf welcher Grundlage wird jedoch entschieden, dass wir so sein dürfen, wie wir sind, und wohin wir uns ver-ändern können und sollen? Die Bilder von dem sich im Wasser spiegelnden Vogel und von dem neugie-rig-skeptisch blickenden Kind im Spiegel können in die Auseinandersetzung mit Annas Text einbezogen werden.

M 3 Die Punkband EC DAS beschreibt in ihrem Songtext die Verzweilung, die einen Menschen über-kommen kann, wenn er angesichts von Notsituatio-nen in der Welt über sich nachzudenken beginnt. Die SuS sollen lernen, dass das Verhältnis zu sich selbst immer in einem sozialen Raum stattindet. Während dieser soziale Raum bei Anna noch durch das Ver-

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9»Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

hältnis von Selbstwahrnehmung und unmittelbarer Fremdwahrnehmung bestimmt ist, geht es bei EC DAS um die Selbstwahrnehmung angesichts der globali-sierten Moderne.

M 4 Augustinus und Luther sind die vielleicht pro-minentesten Personen in der Geschichte des Chris-tentums, denen es in besonderem Maße um die Suche nach einem Fundament für den inneren Frieden ging. Die SuS sollen an ihrem Beispiel lernen, dass diese Suche ein wesentlicher Punkt des christlichen Glau-bens ist. Die Frage nach den Göttern des Alltags bie-tet eine Verknüpfung von der Selbstrelexion (im Spie-gel) mit den folgenden Dimensionen des Friedens im sozialen Bereich.

M 5 Die Übertragung von Ernst Lange interpretiert die Zehn Gebote als Befreiungsbotschat von den Ängsten, die Menschen in ihrem Leben entwickeln. Gerade in der Phase des Jugendalters stellt sich die Frage, woher eine Ermutigung für das eigene Handeln

zu erwarten ist. Neben der leitenden Norm einer so-zialen Anerkennung durch die Peers kommt hier Gott nicht als Aufseher und Richter, sondern als Befreier und Unterstützer ins Spiel. Gerade mit Blick auf die Selbstwahrnehmung erweitert der Text von Lange das Spektrum an Gottesbildern.

M 6 Das Gedicht von Ulrich Schafer bildet die Brü-cke zwischen den sozialen Dimensionen des Friedens und der Selbstwahrnehmung. Das Gedicht stellt die übliche Identiikation von Frieden mit dem Gegenteil von militärischer Auseinandersetzung oder Ausbeu-tung infrage. Dieses Motiv ist ambivalent, wenn es auf einen Rückzug ins Private reduziert wird. Es eröfnet jedoch zugleich noch einmal die Möglichkeit, Frieden mit sich selbst auch als eine wesentliche Grundlage für die in den anderen Bausteinen folgenden sozialen Aspekte des Friedens zu sehen.

1 »SuS« wird im Folgenden als Kurzform für »Schülerinnen und Schüler« verwendet.

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10 »Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

M 1 Unterwegs

Wir sind unterwegs,von einem Date zum anderen.Wir sind auf der Suchenach festem Boden unter den Füßen.Wir leben in der Frage:Was macht uns aus?

Wir verändern unsjeden Tag,jede Stunde,jede Minute.

Und doch bin ich auch jenseits der Zeit.Ich suche mich.Ich kämpfe mit mir um mich.Wie kann ich bei mir bleiben?

Ich bleibe bei mir,indem ich mich verändereund mich dabei nicht verliere.

Paul, 16 Jahre

1. Paul hat mit seinem Gedicht auf die Frage »Wer bin ich?« geantwortet. Fasse die wichtigsten Aussagen von Paul zusammen. Kannst du mit seinen Gedanken etwas anfangen?

2. Wie würde deine Antwort auf die Frage »Wer bin ich?« aussehen? Versuche deine eigenen Gedanken in Sätze zu bringen. Du kannst dafür die Gestalt eines Gedichts wählen oder aber auch jede andere Form der Sprache.

3. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard hat mit diesem Satz versucht, eine Aussage über den Menschen zu formulieren. Versuche, diesen schwierigen Gedanken in deine eigene Welt zu übersetzen, und hierzu eine Beispielgeschichte zu schreiben.

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»Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält.«Søren Kierkegaard, Krankheit zum Tode (1849)

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11»Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

M 2 Mensch

Dick oder dünn –mein Spiegel sagt:Uncool und out, du bist kein Mensch!

Rote Haare und Segelohren –mein Spiegel sagt:Uncool und out, du bist kein Mensch!

Sommersprossen und Gurkennase –mein Spiegel sagt:Uncool und out, du bist kein Mensch!

Lahme Ente und ungeschickter Esel –mein Spiegel sagt:Uncool und out, du bist kein Mensch!

Falsches Handy, falsche Schuhe,falsche Brille, falsche Klamotten –mein Spiegel sagt:Uncool und out, du bist kein Mensch!

Wer bist du, Spiegel?Warum hast du solche Macht, Spiegel?Warum bin ich dein Sklave, Spiegel?

Anna, 15 Jahre

1. Wen siehst du, wenn du in den Spiegel schaust? Überlege dir, welche deiner Gedanken du anderen mittei-len möchtest und was dein Geheimnis bleiben soll, und schreibe sie dann auf.

2. Uncool und out! – Was sind in deiner Umgebung die Dinge, die eine Andere oder einen Anderen uncool und out machen? Mache eine Liste von In und Out und bespreche in einer kleinen Gruppe, welche Bedeu-tung und Macht diese Punkte haben.

3. Der Vogel spiegelt sich im Wasser, das kleine Kind schaut neugierig und Anna ziemlich verzweifelt in den Spiegel. Vergleiche diese drei Situationen und denke dir in einer Dreiergruppe ein Rollenspiel aus, in dem sich der Vogel, das kleine Kind und Anna über die Erfahrungen mit ihrem Spiegelbild unterhalten.

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12 »Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

M 3 Bei Verstand?

Ich glaub es nicht,Ich raf es nicht,das gibt es nicht,das darf ’s nicht geben.

News gecheckt, nichts verstanden.Ich kapier es nicht,lauter Krieg,lauter Armut,lauter Tod.

Fass mir an den Kopf,suche den Verstand,greif nach der Vernunt,inde nix, nix, nix.

Laut, laut, laut,in der Stille meines Kopfs.

Wo bin ich hier,was kann ich fassen,muss Bilder ziehen lassen.

Laut, laut, laut,in der Stille meines Kopfs.

Bin ich noch, bin ich noch,bin ich noch – bei Verstand?

Laut, laut, laut,in der Stille meines Kopfs.

Ein Song der Band EC DAS

1. Beschreibe die Stimmung, die die Band in ihrem Songtext zum Ausdruck bringt. Worum geht es ihr?2. Wenn du ein Cover für die CD dieses Songs entwerfen würdest – welches Motiv (Foto oder Zeichnung)

würdest du wählen?3. Was hat das Bild von dem Zeitungskiosk in der afrikanischen Stadt Bolgatanga (Ghana) mit dem Songtext

zu tun? Schreibe eine kurze Zeitungsnotiz dazu.

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13»Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft …« – Frieden mit sich selbst

M 4 Augustinus, Luther: Zu mir kommen, bei mir sein

In der Geschichte des christlichen Glaubens gibt es viele kluge Denker, die sich mit der Frage beschätigt haben: Wie komme ich mit mir selbst klar? Welche Bedeutung hat dabei mein Glaube an Gott? Kann der Glaube mir helfen, mich selbst zu verstehen und zu akzeptieren? Während die Kirche den Menschen zu vielen Zeiten ein schlechtes Gewissen eingeredet und damit ot auch ungerechte soziale Verhältnisse gestützt hat, erinnern diese Denker daran, dass es im christli-chen Glauben um etwas sehr Persönliches geht.

In seinen »Bekenntnissen« blickt Augustinus (354–430), ein bedeutender Kirchenlehrer und Philosoph aus dem heutigen Algerien, auf seinen Weg zum christlichen Glauben zurück. Er hatte sehr viel Un-ruhe in seinem Herzen und Denken. In diesem Text schreibt Augustinus am Anfang:

»Groß bist Du, o Herr, und wir können Dich gar nicht genug loben; groß ist die Fülle Deiner Krat und Deine Weisheit ist unermesslich. Und loben will Dich der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung; der Mensch, der sich unter der Last der Sterblichkeit beugt […]; und doch will dich der Mensch loben, auch wenn er ein so geringer Teil deiner Schöpfung ist. Du schafest, dass er mit Freuden Dich preise, denn zu Dienst an Dir erschufst Du uns, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in Dir.«

Martin Luther (1483–1546) ist von der Frage getrieben: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Worauf kann ich bau-en, wenn ich in meinem Le-ben mit mir selbst in Frieden leben will? Seine Antwort da-rauf indet er in einem Gedan-ken, der zwei Seiten hat. Auf

der einen Seite steht die Einsicht, dass der Mensch sich diesen inneren Frieden schenken lassen muss. Er kann diesen Frieden durch all sein Handeln nicht selbst erwirken. Auf der anderen Seite steht jedoch zugleich die Überzeugung, dass der Mensch diesen Frieden auch tatsächlich geschenkt bekommt – von Gott. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, sich immer neu zu fragen, was ihn eigentlich so unruhig und unsicher macht. Martin Luther hält dem Men-schen in diesem Sinne einen Spiegel vor, indem er ihn fragt: Welchen Göttern folgst du eigentlich in deinem Leben? Diesen Spiegel beschreibt er beispielsweise in der Auslegung des Ersten Gebotes (Dtn 5,7) in sei-nem »Großen Katechismus«. Das erste Gebot lautet: »Du sollst nicht andere Götter haben«. Martin Luther kommentiert das so:

»Was heißt, einen Gott haben, oder was ist Gott? Antwort: ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zulucht haben in allen Nöten; also dass einen Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben; wie ich ot gesagt habe, dass allein das Trauen und Glauben des Herzens beide macht, Gott und Abgott. Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht; und wiederum, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zu Haufe, Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.«

1. Augustinus und Luther haben zu ganz unterschiedlichen Zeiten gelebt. Und doch waren sie von ganz ähn-lichen Fragen getrieben. Beschreibe ihre Positionen und vergleiche sie.

2. Luther schreibt dem Menschen die Aufgabe zu, sich selbst zu beobachten und nach den Göttern zu su-chen, an denen das eigene Herz hängt. Welche wirksamen Götter würde Luther heute wohl in unserem Alltag entdecken? Nenne drei von ihnen und erläutere deren Wirkungsmacht.

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21»Nehmet einander an, so wie …« – Frieden und Anerkennung

M 3 Das Turmbau-Kollektiv

Wie ist es um die Voraussetzungen für das Zusam-menleben von Menschen bestellt? Die Bibel hat dar-auf eine klare Antwort. Der Mensch ist immer in Ge-fahr, anderen Menschen gegenüber zu einer Bestie zu werden. Im schlimmsten Fall bringt Kain sogar sei-nen Bruder Abel um. Der Mensch ist von sich selbst, von seiner Existenz entfremdet. Darüber hinaus hat er auch nicht die besten Voraussetzungen, sich durch sein Denken und Reden mit anderen Menschen zu verständigen. Auch hierfür hält die Bibel eine sehr eindrückliche Geschichte bereit: die Geschichte vom Turmbau-Kollektiv zu Babel.

Es ist der Entschluss von Menschen, so sein zu wol-len wie Gott, der den Entfremdungsprozess in Gang

setzt. Das Projekt, einen Turm bis in den Himmel bau-en zu wollen, endet in völliger sozialer Entfremdung. Der Ausgangspunkt ist klar formuliert: »Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Na-men machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.« (Gen 11,4)

Von Bescheidenheit und Selbstbeschränkung keine Spur. Es geht um Bedeutsamkeit, unendliche Cool-ness, die zum Himmel reicht. Die Vision, sich mit einem Turm einen unsterblichen Namen zu machen und so die Sterblichkeit zu überwinden, geht jedoch nach hinten los. Die Entfremdung des Menschen von den anderen Menschen und nicht der Turm wird auf

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22 »Nehmet einander an, so wie …« – Frieden und Anerkennung

die Spitze getrieben. Der Mensch wird in seiner Fä-higkeit zur Verständigung mit anderen radikal be-schränkt. In der Bibel wird das so dargestellt, dass Gott auf die Überheblichkeit und Arroganz der Menschen mit einem großen Stimmengewirr reagiert. Die Ant-wort Gottes auf den übermütigen Plan der Menschen lautete: »Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Spra-che verstehe!« (Gen 11,7)

In der Fremdheit dessen, was andere Menschen in der Sprache äußern, wird die Entfremdung des einzelnen Menschen von sich selbst vollkommen. Die Schwierig-keit, sich selbst zu verstehen, wird dadurch erschwert,

dass die Verständigung mit anderen Menschen zum grundlegenden Problem wird. Der Schrei »Warum versteht mich denn keiner?« ist der lange Schatten des gescheiterten Turmbau-Projekts.

Danach ist es wahrscheinlicher, dass Menschen ein-ander nicht verstehen, als dass wir von der Annahme ausgehen können: Wir verstehen uns, klar. Das bedeu-tet aber umgekehrt auch: Wenn wir einen Menschen gefunden haben, der uns zuhört und versteht, ist das ein großes Glück, ein großes Geschenk.

Bibelzitat Gen 11,4 und Gen 11,7: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschat, Stuttgart

1. Der Text interpretiert die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel. Welche Aussagen über den Men-

schen stecken in dieser Geschichte? Entwirf auf Grundlage dieser Aussagen ein Plakat, mit dem nach den

Erbauern des Turms gefahndet werden kann.

2. Wir können eigentlich gar nicht anders, als uns mit anderen Menschen auszutauschen und zu verstän-

digen. Das gescheiterte Turmprojekt entwickelt eine bestimmte Perspektive, wie wir die Möglichkeit der

Verständigung zwischen Menschen deuten sollen. Diskutiere mit deiner Nachbarin oder deinem Nachbarn

darüber, wodurch das Verstehen von Menschen geprägt ist. Und: Diskutiert am Ende, ob ihr euch gut ver-

standen habt.

3. Wenn du den Turmbau zu Babel auf unsere Gegenwart und das Thema »Frieden« beziehst: Woran denkst

du? Formuliere einen Tagebuch-Eintrag.

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23»Nehmet einander an, so wie …« – Frieden und Anerkennung

M 4 Andere Menschen – Nein, danke!

Andere Menschen sind eine Herausforderung, der wir uns erst einmal stellen müssen. Der Satz klingt merkwürdig, weil es doch ganz normal ist, anderen Menschen zu begegnen. In unseren eigenen Lebens-geschichten sind wir immer wieder anderen Men-schen begegnet und das in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen – in der Familie, im Freundeskreis, im Kindergarten, in der Schule, vielleicht in einem Sportverein.

Andere Menschen sind eine Herausforderung, der wir uns erst einmal stellen müssen. Der Satz ist viel-leicht dann nicht mehr so merkwürdig, wenn wir uns die Alternative vorstellen: Wir können uns auch ab-schotten, wir können uns verkriechen, wir können uns den Anderen verweigern. Dafür gibt es ganz unter-schiedliche Formen. Fast jeder von uns kennt die Si-tuation, dass er mal ganz für sich allein sein und mit anderen Menschen nichts zu tun haben will. Diese Phasen kommen, sie gehen aber auch wieder – mal

dauert dies länger, mal ist es nur ganz kurz. Es geht jedoch auch radikaler.

In einem Bericht der Zeitschrit »Der Spiegel« wird die Situation von Jugendlichen in Japan geschildert, die sich komplett von ihrer Umwelt abschotten. Dieser Artikel handelt von sogenannten »Hikikomori«. Ein Hikikomori ist ein Mensch, der sich von seiner Umge-bung zurückgezogen hat. Es sind Kapsel-Jugendliche, die auf den Druck der Umwelt so reagieren, dass sie mit nichts mehr irgendwas zu tun haben wollen. Der Leistungsdruck, der im japanischen Schulsystem, vor allem mit Blick auf die Qualiikation für ein Univer-sitätsstudium, extrem ist, ist diesen Jugendlichen zu viel. Die Lösung heißt dann »Hikikomori« – Verwei-gerung, Rückzug, Einkapselung. Der Bericht schildert die Situation von Joe. Der hat sich ein Zimmer ein-gerichtet, das er nicht mehr verlassen will – einfach, klein, mit einer Matratze und einem Schreibtisch. Fast wie in einer Zelle. Das Fenster, mit Papier verklebt,

soll vor den Blicken aus den benachbarten Büroräumen schützen. Und von innen aus betrachtet, will Joe von dem Treiben »da draußen« möglichst wenig mitkriegen. In Büchern und in der rastlosen Reise durch das Internet sucht er Antworten auf die eine Frage: »Warum kann die japanische Gesell-schat mich nicht so akzeptieren, wie ich bin?« Das Tagebuch seiner Suche füllt schon 200 Bände. In dem »Spiegel«-Artikel wird der Weg von Joe so skizziert:

Dass er anders ist, das zeigte sich schon früh. Bei der Schulgymnastik drehte er sich nach rechts, wenn er sich nach links drehen sollte. Ständig kam er auf eigene Ideen, sei-nen Lehrern und Mitschülern ging er damit bald auf die Nerven. Abweichler haben es schwer in japanischen Schulen, wo das Lern-ziel Anpassung heißt, nicht Kritikfähigkeit. So rutschte Joe in die Rolle des Außensei-ters. Als er 16 war, nahmen seine Eltern ihn für ein Jahr aus der Oberschule. Doch das half ihm nicht, im Gegenteil: Um versäum-ten Stof nachzuholen, musste er nach sei-ner Rückkehr zusätzlich an einer Juku, einer

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42 »Selig sind die Friedensstifter!« – Krieg und Frieden

M 7 Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins!

Du, Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst keine Wasserrohreund keine Kochtöpfe mehr machen –sondern Stahlhelme und Maschinengewehre,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du, Mädchen hinterm Ladentischund Mädchen im Büro.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst Granaten füllen undZielfernrohrefür Scharfschützengewehre montieren,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du Besitzer der Fabrik.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst statt Puder und KakaoSchießpulver verkaufen,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du, Forscher im Laboratorium.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst einen neuen Toderinden gegen das alte Leben,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du, Arzt am Krankenbett.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst die Männerkriegstauglich schreiben,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du, Pfarrer auf der Kanzel.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst den Mord segnen undden Krieg heilig sprechen,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du, Pilot auf dem Flugfeld.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst Bomben und Phosphor

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über die Städte tragen,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du Mann auf dem Bahnhof.Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst das Signal zur Abfahrt gebenfür den Munitionszug undfür den Truppentransport,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Du, Mann auf dem Dorf undMann in der Stadt.Wenn sie morgen kommenund dir den Gestellungsbefehl bringen,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!

Mütter in allen Erdteilen,Mütter in der Welt,wenn sie morgen befehlen,ihr sollt Kinder gebären,Krankenschwestern für Kriegslazarette undneue Soldaten für neue Schlachten,Mütter in der Welt,dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN, Mütter, sagt NEIN!Denn wenn ihr nicht NEIN sagt,wenn IHR nicht NEIN sagt,dann, wird der letzte Mensch,mit zerfetzten Gedärmenund verpesteter Lunge,antwortlos und einsamunter der gitig glühenden Sonneund unter wankenden Gestirnen umherirren,und seine furchtbare Klage:WARUM?

wird ungehört in der Steppe verrinnen,durch die geborstenen Ruinen wehen,versickern im Schutt der Kirchen,gegen Hochbunker klatschen,ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tiers Mensch –all dieses wird eintrefen,morgen vielleicht,vielleicht heute nacht schon,vielleicht heute nacht,wenn –wenn ihr nicht NEIN sagt.

Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk. Erweiterte und revidierte Neuausgabe, Reinbek 2007 © Rowohlt

1. Wolfgang Borchert (1921–1947) war ein berühmter Dichter, der im Zweiten Weltkrieg schreckliche Erfah-

rungen gemacht und in seinem Werk verarbeitet hat. Worum geht es ihm in seinem Gedicht »Dann gibt es

nur eins!«? Fasse dieses Anliegen in einem kurzen Text zusammen.

2. In unserer Gesellschaft gibt es ganz unterschiedliche Berufe und auch allgemein gesellschaftliche Posi-

tionen. In den zurückliegenden Jahrzehnten haben die Neuen Medien und vor allem das Internet eine be-

sondere Bedeutung bekommen. Ergänze das Gedicht auf diese Entwicklung hin und formuliere mit Blick

auf Berufe oder auch allgemein auf das Handeln im Internet zwei neue Strophen im Sinne von Wolfgang

Borchert.

3. Vor dem Hauptgebäude der Vereinten Nationen in New York steht die Skulptur, die du auf dem Foto ab-

gebildet siehst. Setze dieses Bild zu dem Gedicht in Beziehung und schreibe aus der Sicht der Skulptur

einen Brief an Wolfgang Borchert.

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44 »Selig sind die Friedensstifter!« – Krieg und Frieden

M 8 Erich Kästner: Fantasie von Übermorgen

Und als der nächste Krieg begann

da sagten die Frauen: Nein!

und schlossen Bruder, Sohn und Mann

fest in der Wohnung ein.

Dann zogen sie, in jedem Land,

wohl vor des Hauptmanns Haus

und hielten Stöcke in der Hand

und holten die Kerls heraus.

Sie legten jeden übers Knie,

der diesen Krieg befahl:

die Herren der Bank und Industrie,

den Minister und General.

Da brach so mancher Stock entzwei.

Und manches Großmaul schwieg.

In allen Ländern gab’s Geschrei,

und nirgends gab es Krieg.

Die Frauen gingen dann wieder nach Haus,

zum Bruder und Sohn und Mann,

und sagten ihnen, der Krieg sei aus!

Die Männer starrten zum Fenster hinaus

und sahn die Frauen nicht an …

Erich Kästner: Fantasie von übermorgen, in: Werke. Bd. 1: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte. Hg. v. Harald Hartung, München/Wien 1998, S. 72 f. © Hanser

1. In dem Gedicht des Schriftstellers und Jugendbuchautors Erich Kästner (1899–1974) wird ein ganz be-

stimmtes Verhältnis von Männern und Frauen dargestellt. Beschreibe dieses Verhältnis in einem kurzen

Text und diskutiere ihn in deiner Lerngruppe.

2. Wenn gegen den Krieg protestiert wird, indet sich auf Plakaten oft auch der Spruch »Stell dir vor, es ist

Krieg und keiner geht hin«. Was hältst du von diesem Satz, ist er eine Möglichkeit, Frieden zu denken und

praktisch zu schaffen? Entwickle in kurzen Sätzen eine Pro- oder Contra-Position.

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45»Wie die Vögel am Himmel!« – Frieden mit der Schöpfung

4. »Wie die Vögel am Himmel!« – Frieden mit der Schöpfung

Didaktische LeitgedankenIn Ländern des globalen Südens (Entwicklungs- und Schwellenländer) wird bei der Gleichsetzung von Frie-den mit der Abwesenheit von Krieg beklagt, dass ein wesentlicher und vorgelagerter Aspekt übergangen wird: die zerstörerischen Wandlungsprozesse im Be-reich der Umwelt, die die Grundlage für alles Leben auf der Erde gefährden. Welche der drei sozialen Di-mensionen von Frieden im Sinne des konziliaren Pro-zesses (1. Abwesenheit von Krieg, 2. Gerechtigkeit, 3. Bewahrung der Umwelt) zum Ausgangspunkt ge-nommen wird, um über Frieden nachzudenken und entsprechende Herausforderungen zu identiizieren, hängt danach ganz wesentlich von einer Entscheidung ab. Aus dem jeweiligen Lebenskontext stellt sich die Frage anders, was eigentlich die Grundvoraussetzung für Frieden ist. Insbesondere in Ländern des globalen Südens, in denen, wie bei Inseln im paziischen Ozean, durch klimatische Veränderungen und in deren Fol-ge durch einen steigenden Meeresspiegel die Lebens-grundlagen gefährdet sind, wird der Zugang zum he-ma »Frieden« über den Aspekt der Umwelt präferiert. Gleiches gilt für Regionen, in denen auf industrielle Verwertungsprozesse ausgerichtete Monokulturen im Anbau von Planzen zur Zerstörung intakter Ökosys-teme führen oder in denen mittels Patentverfahren im Bereich der Genforschung neue Dimensionen kolo-nialistischer Ausbeutung etabliert werden. Nicht zu-letzt werden durch Umweltveränderungen nach Prog-nosen der Vereinten Nationen in der Zukunt globale Migrationswellen ausgelöst und die Klut zwischen Arm und Reich verschärt. Deutlich ist bei alldem, dass die drei genannten Dimensionen des konzilia-ren Prozesses letztlich untrennbar miteinander ver-lochten sind.

In den Erfahrungshorizonten der SuS spielen diese, für küntige globale Entwicklungen so bedeutsamen Entwicklungen in der Regel keine prägende Rolle. Wenn überhaupt eine Schülerin oder ein Schüler mit solchen hemen schon einmal konfrontiert worden ist, so wirken diese Probleme eher weit entfernt und wenig alltagsrelevant. Gleichzeitig lässt sich der Sache nach die hematisierung von Umwelt als Dimension von Frieden jedoch sehr wohl an die Erfahrungsmög-

lichkeiten von SuS anknüpfen. Bei aller Prägung des Erfahrungshorizonts durch Verstädterung, Glauben an den technischen Fortschritt und Wirklichkeits-modellierung durch Werbebotschaten (Sind Kühe nun eigentlich lila oder nicht?) ist der Umgang mit der Natur und im weiteren Sinne mit der Umwelt ein hema, das als relevant für die eigene Entwicklung vermittelt werden kann. Diese Perspektive soll – ein-gebunden in die biblische Deutung der Natur und Umwelt als Schöpfung – in diesem Teil als Dimension des »Friedens« entfaltet werden. Der Leitgedanke lau-tet: Zu einem umfassenden Verständnis von »Frie-den« gehört das Nachdenken über einen verantwort-lichen Umgang mit Natur und Umwelt untrennbar hinzu. Ohne ein Bewusstsein für die Bedeutung von Natur und Umwelt bleibt »Frieden« in sozialer und in ökologischer Hinsicht unvollkommen. Dieses Be-wusstsein hat bei näherem Hinsehen letztlich auch unmittelbar etwas mit unserem Alltag zu tun. Dies kommt unter anderem in der Frage nach Bedürfnis-strukturen und Konsumverhalten zum Ausdruck. In Ergänzung der hier vorgelegten Impulse und Mate-rialien kann diese Dimension des »Friedens« je nach Struktur der Lerngruppe auf das Verhältnis zu Tie-ren und auf Tierethik (z. B. mit Blick auf Tierhaltung oder Fleischkonsum) weiterentwickelt werden. Öko-logische Partnerschaten mit Regionen des globalen Südens wären ein hema, aus dem sich ein mittel-fristiges Projekt entwickeln könnte. Die vorliegen-den Impulse wollen einen Bogen schlagen von der Deutung der Natur als Schöpfung, bis hin zu der Be-deutung eines kritischen Umweltbewusstseins für die eigene Alltagsgestaltung.

Methodische ImpulseM 1 Der Sonnengesang des Franz von Assisi gehört zu den prägnantesten Texten, in denen ein versöhnter Umgang des Menschen mit der Natur in eindrückli-chen Bildern beschrieben wird. Die SuS können an der Beschätigung mit diesem Text die verschiedenen Bezüge des Menschen zu den Dimensionen der Natur unterscheiden lernen. Die von Franz von Assisi for-mulierten Verwandtschatsbezüge zur Natur sind fas-

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