Fünf Mal am Tag sollen Muslime beten – Der bevorzugte Ort ... · voller Inbrunst vorgetragen,...

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SEITE C2 NR. 268 SA/SO, 17./18. NOVEMBER 2012 LOKALES MZG Freitagsgebet Was für Christen der Sonntag, ist der Freitag für Muslime. In Merzig versammeln sie sich in einem ehemaligen Reifenlager, das sich die Gläubigen zu einer Moschee umgebaut haben. Ü ber der tristen Milch- glastür am Ende des schmucklosen Hofs prangt ein Schriftzug auf Arabisch. Ansonsten ist kaum zu erahnen, dass dieses ehemali- ge Reifenlager für Merziger Mus- lime eine besondere Bedeutung hat. Die Moschee an der Klein- bahn kommt ohne Kuppel und Minarett aus – jenen typischen Turm, der Gläubige schon von Weitem auf islamische Gottes- häuser hinweisen soll. „Wir können uns hier nicht den Luxus erlauben, Moscheen opti- mal zu bauen“, lässt Hamim Sa- hin wissen, ein freundlicher Mann in schickem Anzug. Der 44-jährige gebürtige Merziger ist stellvertretender Vorsitzender von ditib Saarland, dem Träger- verband türkischer Moscheen. Als beglaubigter Übersetzer ist er auch für Moscheeführungen ausgebildet. „Die Baustruktur ist nicht das Wichtigste. Zentral für uns ist, dass wir unser Gebet ma- chen können.“ Sich betend an Al- lah zu wenden, ist ein Grundpfei- ler des Islam, jeder Muslim soll das fünfmal am Tag tun – „wenn er geistig und körperlich gesund ist“, wie Sahin ergänzt. Grund- sätzlich ist Muslimen freigestellt, wo sie ihren Gott anrufen, doch Moscheen sind der bevorzugte Ort dafür. Im Flur hinter der Milchglastür stehen allerlei Schuhe herum, sie sind im Gebetsraum nicht gestat- tet. Allmählich finden sich im sak- ralen Zentrum der Moschee Gläubige zum Freitagsgebet ein. Ein weinroter, gemusterter Tep- pich erstreckt sich über den ge- samten Fußboden. Filigran ge- staltete Kacheln, rot und weiß, blau und grün schimmernd, zie- ren die Wände. Mangels staatli- cher Gelder hat die Gemeinde das Inventar aus Spenden und Mit- gliedsbeiträgen finanziert. Doch unterm Strich „ist das Wichtigste die Gemeinde, ohne sie wäre der Rest nutzlos“, ist sich der Mann im Anzug sicher. In der Mitte der vorderen Wand ist eine Gebetsnische (Mik- rap) eingelassen, laut Sahin „die wichtigste Stelle in der Mo- schee“. Der Koran verbietet es muslimischen Gläubigen, sich ein Bild von Allah oder dem Prophe- ten Mohammed zu machen, doch deren Namen sind in blauen Kal- ligrafien an den Wänden ver- ewigt. Gegen 14.30 Uhr erhebt der Vorbeter, der Muezzin, seine Stimme. Ungewohnte Tonfolgen, voller Inbrunst vorgetragen, hal- len durch den reich verzierten Gebetsraum. Von Schulkindern bis hin zu Hochbetagten sind – männliche – Muslime aller Al- tersgruppen vertreten. Durch die schlichte Holztür kommen immer wieder Gläubige herein. In christlichen Gottes- häusern ruft Unpünktlichkeit mürrische Blicke hervor, für Muslime ist die Verspätung teils nicht zu vermeiden: Der Freitag als ihr Gebetstag ist in Deutsch- land fast immer ein „normaler“ Arbeitstag, mancher schafft es daher nicht pünktlich oder kann gar nicht zum Freitagsgebet kom- men. Ein Problem? „Der Islam toleriert vieles“, antwortet Ha- mim Sahin entspannt. Wer sich dazu gesellt, kniet nie- der, wo gerade Platz ist. Die Ver- späteten scheinen sofort zu wis- sen, wie weit das religiöse Proze- dere fortgeschritten ist, sind von jetzt auf gleich ein Teil der beten- den Gemeinschaft. Die Stimme des Muezzins senkt sich, plötz- lich stehen alle im Raum auf. Sie beten nun gemeinsam gen Südos- ten, in Richtung Mekka, wo das bedeutendste Heiligtum des Is- lam steht, „damit alle Herzen auf einen Punkt gerichtet sind“, wie ein Mann flüsternd erläutert. „Wende dein Gesicht in Richtung der heiligen Moschee“, mahnt ei- ne kunstvolle arabische Kalligra- fie über der Gebetsnische die Gläubigen. Dann gehen sie auf die Knie, beten gemeinsam, erheben sich und bücken sich wieder. Im ers- ten Teil des Pflichtgebets ist je- dem freigestellt, wo er Platz nimmt. Danach stehen alle in ge- ordneten Bahnen nebeneinan- der, akkurat aufgereiht wie die Glieder einer Perlenkette. Und immer wieder eine auffällige Ges- te: Vor dem Gebet halten die Muslime ihre geöffneten Hand- flächen hinter die Ohrmuscheln. Die Ohren für Allah aufsperren? Weit gefehlt. „Das bedeutet, dass man alles Weltliche hinter sich lässt“, erklärt einer die symboli- sche Gebärde. Schließlich betritt der Imam – der Prediger – einen mehrstufi- gen Aufgang in der rechten vor- deren Ecke des Raumes. Der Pre- diger heißt Seyyit Sahin, ein 17- Jähriger mit spärlichem Bart- wuchs, der in Deutschland aufge- wachsen ist. Seyyit wurde, ge- meinsam mit anderen Jugendli- chen aus der Gemeinde, ausgebil- det, um den Imam zu vertreten. Der ist gerade im Urlaub. Durch sein strahlend weißes Gewand und die Kopfbedeckung hebt sich der Aushilfs-Imam op- tisch von allen anderen ab und steht – ähnlich einem Pfarrer auf der Kanzel – höher als die Ge- meinde. Viele Imame werden auf Kos- ten des türkischen Staats in der Türkei ausgebildet und dann als Staatsbedienstete nach Deutsch- land geschickt, um zu predigen. Kritiker bemängeln, dass diese Imame der deutschen Sprache häufig nicht mächtig seien und wenig über die Lebensumstände von Muslimen in Deutschland wüssten. Der jugendliche Imam in Mer- zig predigt auf Türkisch, die meisten der 67 Gemeindemitglie- der haben ihre Wurzeln in Klein- asien. Daneben gehören unter anderem einige gebürtige Koso- vo-Albaner dazu. Mir ruhiger Stimme liest der Prediger von einem kleinen Zet- tel ab. Anlass ist das islamische Opferfest, es geht um Solidarität und Almosen. „Der beste Mensch ist der, der den Menschen dient. Der beste Besitz ist der, der im Dienste Allahs eingesetzt wird“, formuliert der Imam. Laut isla- mischer Überlieferung gehört es zu den „fünf Säulen des Islam“, 2,5 Prozent des Überschusses ei- nes Haushalts zu spenden. Weite- re Säulen sind das Glaubensbe- kenntnis, das Gebet, das Fasten im Fastenmonat Ramadan und die einmalige Pilgerfahrt nach Mekka. Muslime vertrauen da- rauf, dass Allah diese Taten und Bekenntnisse in seiner „ewigen Buchführung“ würdigen und einst im Jenseits belohnen wird. Auffällig ist der sechskantige, schwarz glänzende Steinblock, aus dem Wasserhähne herausra- gen und der sich einige Meter vom Gebetsraum entfernt befin- det. Hier waschen sich die Musli- me vor dem Gebet, der Koran gibt auch für diesen Ritus detaillierte Regeln vor. „Die Finger müssen ganz gereinigt werden“, sagt di- tib-Stellvertreter Sahin, außer- dem ist vorgeschrieben, Nase und Mund je dreimal auszuspülen, den Kopf anzufeuchten und die Füße bis zum Knöchel zu wa- schen. Wichtig ist vor allem, dass der betende Muslim „unbefleckt ist“, also keinerlei Körperflüssig- keit auf seiner Haut hat. Mindestens 40 Schritte sollen Muslime gewaschen zurückle- gen, bis sie den Gebetsraum be- treten. Der Schritt über die Tür- schwelle markiert „einen Punkt, wo man seine Würde ganz hinter sich schmeißt und sich Gott ganz hingibt“, erläutert der Moschee- führer. Muslimische Frauen dürfen diese Hingabe nicht im Gebets- raum zeigen, er ist für sie Tabu. Eine religiöse Ungleichbehand- lung, die Männer davon abhalten soll, sich von der Zwiesprache mit Allah ablenken zu lassen. Muslima leben in Deutschland ohnehin in einem Zwiespalt, dür- fen einerseits aus religiöser Sicht keine Haut zeigen und wachsen andererseits in einer relativ offe- nen westlichen Gesellschaft auf. Sahin hat seine ganz eigene Sicht darauf: „Wir können nicht von unseren Traditionen abkommen, sondern müssen Gemeinsamkei- ten finden.“ Für seine Töchter sei das ganz selbstverständlich. Eine von ihnen wird gerade zur Islam- lehrerin ausgebildet, die Per- spektiven sind jedoch be- schränkt: Sie könne danach orga- nisatorisch tätig sein oder Frauen unterrichten, sagt ihr Vater. Ihm und der ditib gehe es ins- gesamt darum, gleichbehandelt zu werden: „Wir leben seit den 1960ern hier, früher waren wir Gäste, jetzt sind wir ein Teil des Staats. Wir fühlen uns hier zu Hause und wollen friedlich zu- sammenleben.“ „Unsere Tür steht immer of- fen“, und wegen Moscheeführun- gen könne man sich gern an die Gemeinde wenden, wirbt Sahin. Andere Menschen zu missionie- ren, sei im Islam verboten. „Aber wenn jemand Interesse hat, dann haben wir die Pflicht, unsere Tü- ren und Herzen zu öffnen.“ Die Gebete neigen sich dem En- de zu. Allmählich schlüpfen die Muslime wieder in ihre Jacken, verlassen den Gebetsraum und ziehen die Schuhe an. Noch ein kurzer Plausch, dann schlendern sie über den grauen Hinterhof zurück nach Hause. Zurück in den Alltag jenseits des alten Rei- fenlagers. Kontakt: Ansprechpartner für Moscheebesuche in Merzig ist der Gemeindevorsitzende Murat Gü- nez, Tel. (01 60) 95 73 81 45. Wenn der Muezzin seine Stimme erhebt Fünf Mal am Tag sollen Muslime beten – Der bevorzugte Ort, um Allah anzurufen, ist in Merzig der Gebetsraum an der Kleinbahn Von SZ-Redaktionsmitglied Jonas Wissner Von Schulkindern bis hin zu Hochbetagten sind beim Freitagsgebet in der Merziger Moschee alle Altersgruppen vertreten. FOTOS: JONAS WISSNER STICHWORT ............................................................................. Die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (türki- sche Abkürzung: ditib) wurde 1984 gegründet und ist ein einge- tragener Verein, der in vielen Bundesländern Landesverbände unterhält; ditib gehört dem deutschen Koordinierungsrat der Muslime an und ist für die Belange türkisch-muslimischer Mo- scheegemeinden in Deutschland zuständig. Mit der türkischen Regierung arbeitet der Verein eng zusammen: Die Türkei ent- sendet ausgebildete Imame nach Deutschland und kommt für die Kosten auf. Der Verein ist auch Bauherr der Moschee in Köln-Ehrenfeld, des größten muslimischen Gotteshauses in Deutschland. Das saarländische Sozialministerium nennt ditib Saarland auf SZ-Anfrage einen „verlässlichen Partner“, der als Bindeglied zwischen den Mitgliedern und dem Land gut mit der Landes- regierung zusammenarbeite und „gegen jegliche Form von Ra- dikalismus“ stehe. Als Religionsgemeinschaft ist ditib in Deutschland bislang nicht anerkannt, bemüht sich aber darum; laut Sozialministerium hat eine juristische Prüfung der Erfolgsaussichten bislang nicht stattgefunden. jow Imam Seyyid Sahin predigt über Solidarität und Almosen. Nah dran SZ-Reportage zum Wochenende Hamim Sahin bei der rituellen Waschung vor dem Gebet. PRODUKTION DIESER SEITE: MARGIT STARK EDMUND SELZER

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S E I T E C 2 N R . 2 6 8 S A / S O , 1 7 . / 1 8 . N O V E M B E R 2 0 1 2LOKALESMZG

Freitagsgebet Was für Christen der Sonntag, ist der Freitag für Muslime. In Merzig versammeln sie sich in

einem ehemaligen Reifenlager, das sich die Gläubigen zu einer Moschee umgebaut haben.

Über der tristen Milch-glastür am Ende desschmucklosen Hofsprangt ein Schriftzug

auf Arabisch. Ansonsten ist kaumzu erahnen, dass dieses ehemali-ge Reifenlager für Merziger Mus-lime eine besondere Bedeutunghat. Die Moschee an der Klein-bahn kommt ohne Kuppel undMinarett aus – jenen typischenTurm, der Gläubige schon vonWeitem auf islamische Gottes-häuser hinweisen soll.

„Wir können uns hier nicht denLuxus erlauben, Moscheen opti-mal zu bauen“, lässt Hamim Sa-hin wissen, ein freundlicherMann in schickem Anzug. Der44-jährige gebürtige Merziger iststellvertretender Vorsitzendervon ditib Saarland, dem Träger-verband türkischer Moscheen.

Als beglaubigter Übersetzer ister auch für Moscheeführungenausgebildet. „Die Baustruktur istnicht das Wichtigste. Zentral füruns ist, dass wir unser Gebet ma-chen können.“ Sich betend an Al-lah zu wenden, ist ein Grundpfei-ler des Islam, jeder Muslim solldas fünfmal am Tag tun – „wenner geistig und körperlich gesundist“, wie Sahin ergänzt. Grund-sätzlich ist Muslimen freigestellt,wo sie ihren Gott anrufen, dochMoscheen sind der bevorzugteOrt dafür.

Im Flur hinter der Milchglastürstehen allerlei Schuhe herum, siesind im Gebetsraum nicht gestat-tet.

Allmählich finden sich im sak-ralen Zentrum der MoscheeGläubige zum Freitagsgebet ein.Ein weinroter, gemusterter Tep-pich erstreckt sich über den ge-samten Fußboden. Filigran ge-staltete Kacheln, rot und weiß,blau und grün schimmernd, zie-ren die Wände. Mangels staatli-cher Gelder hat die Gemeinde dasInventar aus Spenden und Mit-gliedsbeiträgen finanziert. Dochunterm Strich „ist das Wichtigstedie Gemeinde, ohne sie wäre derRest nutzlos“, ist sich der Mannim Anzug sicher.

In der Mitte der vorderenWand ist eine Gebetsnische (Mik-rap) eingelassen, laut Sahin „diewichtigste Stelle in der Mo-schee“. Der Koran verbietet esmuslimischen Gläubigen, sich einBild von Allah oder dem Prophe-ten Mohammed zu machen, dochderen Namen sind in blauen Kal-ligrafien an den Wänden ver-ewigt.

Gegen 14.30 Uhr erhebt derVorbeter, der Muezzin, seineStimme. Ungewohnte Tonfolgen,voller Inbrunst vorgetragen, hal-len durch den reich verziertenGebetsraum. Von Schulkindernbis hin zu Hochbetagten sind –männliche – Muslime aller Al-tersgruppen vertreten.

Durch die schlichte Holztürkommen immer wieder Gläubigeherein. In christlichen Gottes-häusern ruft Unpünktlichkeitmürrische Blicke hervor, fürMuslime ist die Verspätung teilsnicht zu vermeiden: Der Freitagals ihr Gebetstag ist in Deutsch-land fast immer ein „normaler“Arbeitstag, mancher schafft esdaher nicht pünktlich oder kanngar nicht zum Freitagsgebet kom-men. Ein Problem? „Der Islamtoleriert vieles“, antwortet Ha-mim Sahin entspannt.

Wer sich dazu gesellt, kniet nie-der, wo gerade Platz ist. Die Ver-späteten scheinen sofort zu wis-sen, wie weit das religiöse Proze-dere fortgeschritten ist, sind vonjetzt auf gleich ein Teil der beten-den Gemeinschaft. Die Stimmedes Muezzins senkt sich, plötz-

lich stehen alle im Raum auf. Siebeten nun gemeinsam gen Südos-ten, in Richtung Mekka, wo dasbedeutendste Heiligtum des Is-lam steht, „damit alle Herzen aufeinen Punkt gerichtet sind“, wieein Mann flüsternd erläutert.„Wende dein Gesicht in Richtungder heiligen Moschee“, mahnt ei-ne kunstvolle arabische Kalligra-fie über der Gebetsnische dieGläubigen.

Dann gehen sie auf die Knie,beten gemeinsam, erheben sichund bücken sich wieder. Im ers-ten Teil des Pflichtgebets ist je-dem freigestellt, wo er Platznimmt. Danach stehen alle in ge-ordneten Bahnen nebeneinan-der, akkurat aufgereiht wie dieGlieder einer Perlenkette. Undimmer wieder eine auffällige Ges-te: Vor dem Gebet halten dieMuslime ihre geöffneten Hand-flächen hinter die Ohrmuscheln.Die Ohren für Allah aufsperren?Weit gefehlt. „Das bedeutet, dassman alles Weltliche hinter sichlässt“, erklärt einer die symboli-sche Gebärde.

Schließlich betritt der Imam –der Prediger – einen mehrstufi-gen Aufgang in der rechten vor-deren Ecke des Raumes. Der Pre-diger heißt Seyyit Sahin, ein 17-Jähriger mit spärlichem Bart-wuchs, der in Deutschland aufge-wachsen ist. Seyyit wurde, ge-meinsam mit anderen Jugendli-chen aus der Gemeinde, ausgebil-det, um den Imam zu vertreten.Der ist gerade im Urlaub.

Durch sein strahlend weißesGewand und die Kopfbedeckunghebt sich der Aushilfs-Imam op-tisch von allen anderen ab undsteht – ähnlich einem Pfarrer aufder Kanzel – höher als die Ge-meinde.

Viele Imame werden auf Kos-ten des türkischen Staats in derTürkei ausgebildet und dann alsStaatsbedienstete nach Deutsch-land geschickt, um zu predigen.Kritiker bemängeln, dass dieseImame der deutschen Sprachehäufig nicht mächtig seien undwenig über die Lebensumständevon Muslimen in Deutschlandwüssten.

Der jugendliche Imam in Mer-zig predigt auf Türkisch, die

meisten der 67 Gemeindemitglie-der haben ihre Wurzeln in Klein-asien. Daneben gehören unteranderem einige gebürtige Koso-vo-Albaner dazu.

Mir ruhiger Stimme liest derPrediger von einem kleinen Zet-tel ab. Anlass ist das islamischeOpferfest, es geht um Solidaritätund Almosen. „Der beste Menschist der, der den Menschen dient.Der beste Besitz ist der, der imDienste Allahs eingesetzt wird“,formuliert der Imam. Laut isla-mischer Überlieferung gehört eszu den „fünf Säulen des Islam“,2,5 Prozent des Überschusses ei-nes Haushalts zu spenden. Weite-re Säulen sind das Glaubensbe-kenntnis, das Gebet, das Fastenim Fastenmonat Ramadan und

die einmalige Pilgerfahrt nachMekka. Muslime vertrauen da-rauf, dass Allah diese Taten undBekenntnisse in seiner „ewigenBuchführung“ würdigen undeinst im Jenseits belohnen wird.

Auffällig ist der sechskantige,schwarz glänzende Steinblock,aus dem Wasserhähne herausra-gen und der sich einige Meter

vom Gebetsraum entfernt befin-det. Hier waschen sich die Musli-me vor dem Gebet, der Koran gibtauch für diesen Ritus detaillierteRegeln vor. „Die Finger müssenganz gereinigt werden“, sagt di-tib-Stellvertreter Sahin, außer-dem ist vorgeschrieben, Nase undMund je dreimal auszuspülen,den Kopf anzufeuchten und dieFüße bis zum Knöchel zu wa-schen. Wichtig ist vor allem, dassder betende Muslim „unbeflecktist“, also keinerlei Körperflüssig-keit auf seiner Haut hat.

Mindestens 40 Schritte sollenMuslime gewaschen zurückle-gen, bis sie den Gebetsraum be-treten. Der Schritt über die Tür-schwelle markiert „einen Punkt,wo man seine Würde ganz hintersich schmeißt und sich Gott ganzhingibt“, erläutert der Moschee-führer.

Muslimische Frauen dürfendiese Hingabe nicht im Gebets-raum zeigen, er ist für sie Tabu.Eine religiöse Ungleichbehand-lung, die Männer davon abhaltensoll, sich von der Zwiesprache mitAllah ablenken zu lassen.

Muslima leben in Deutschlandohnehin in einem Zwiespalt, dür-fen einerseits aus religiöser Sichtkeine Haut zeigen und wachsenandererseits in einer relativ offe-nen westlichen Gesellschaft auf.Sahin hat seine ganz eigene Sichtdarauf: „Wir können nicht vonunseren Traditionen abkommen,sondern müssen Gemeinsamkei-ten finden.“ Für seine Töchter seidas ganz selbstverständlich. Einevon ihnen wird gerade zur Islam-lehrerin ausgebildet, die Per-spektiven sind jedoch be-schränkt: Sie könne danach orga-nisatorisch tätig sein oder Frauenunterrichten, sagt ihr Vater.

Ihm und der ditib gehe es ins-gesamt darum, gleichbehandeltzu werden: „Wir leben seit den1960ern hier, früher waren wir

Gäste, jetzt sind wir ein Teil desStaats. Wir fühlen uns hier zuHause und wollen friedlich zu-sammenleben.“

„Unsere Tür steht immer of-fen“, und wegen Moscheeführun-gen könne man sich gern an dieGemeinde wenden, wirbt Sahin.Andere Menschen zu missionie-ren, sei im Islam verboten. „Aberwenn jemand Interesse hat, dannhaben wir die Pflicht, unsere Tü-ren und Herzen zu öffnen.“

Die Gebete neigen sich dem En-

de zu. Allmählich schlüpfen dieMuslime wieder in ihre Jacken,verlassen den Gebetsraum undziehen die Schuhe an. Noch einkurzer Plausch, dann schlendernsie über den grauen Hinterhofzurück nach Hause. Zurück inden Alltag jenseits des alten Rei-fenlagers.

I Kontakt: Ansprechpartner fürMoscheebesuche in Merzig ist derGemeindevorsitzende Murat Gü-nez, Tel. (01 60) 95 73 81 45.

Wenn der Muezzin seine Stimme erhebtFünf Mal am Tag sollen Muslime beten – Der bevorzugte Ort, um Allah anzurufen, ist in Merzig der Gebetsraum an der Kleinbahn

Von SZ-Redaktionsmitglied Jonas Wissner

Von Schulkindern bis hin zu Hochbetagten sind beim Freitagsgebet in der Merziger Moschee alle Altersgruppen vertreten. FOTOS: JONAS WISSNER

STICHWORT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (türki-sche Abkürzung: ditib) wurde 1984 gegründet und ist ein einge-tragener Verein, der in vielen Bundesländern Landesverbändeunterhält; ditib gehört dem deutschen Koordinierungsrat derMuslime an und ist für die Belange türkisch-muslimischer Mo-scheegemeinden in Deutschland zuständig. Mit der türkischenRegierung arbeitet der Verein eng zusammen: Die Türkei ent-sendet ausgebildete Imame nach Deutschland und kommt fürdie Kosten auf. Der Verein ist auch Bauherr der Moschee inKöln-Ehrenfeld, des größten muslimischen Gotteshauses inDeutschland.Das saarländische Sozialministerium nennt ditib Saarland aufSZ-Anfrage einen „verlässlichen Partner“, der als Bindegliedzwischen den Mitgliedern und dem Land gut mit der Landes-regierung zusammenarbeite und „gegen jegliche Form von Ra-dikalismus“ stehe.Als Religionsgemeinschaft ist ditib in Deutschland bislang nichtanerkannt, bemüht sich aber darum; laut Sozialministeriumhat eine juristische Prüfung der Erfolgsaussichten bislangnicht stattgefunden. jow Imam Seyyid Sahin predigt über Solidarität und Almosen.

Nah dranSZ-Reportage zum Wochenende

Hamim Sahin bei der rituellen Waschung vor dem Gebet.

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EDMUND S E LZER