FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte...

18
100 Luftaufnahme des Areals der ehemaligen Darby- Kaserne von Südwesten, 2007. Der großzügig angelegte Südstadtpark entwickelte sich zum neuen Mittelpunkt der Südstadt. rechts: In das alte Speichergebäude in der Ullsteinstraße wurden Wohnungen einge- baut. Fotografie 2016.

Transcript of FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte...

Page 1: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

100

Luftaufnahme des Areals der ehemaligen Darby-

Kaserne von Südwesten, 2007.

Der großzügig angelegte Südstadtpark entwickelte

sich zum neuen Mittelpunkt der Südstadt.

rechts: In das alte Speichergebäude in der

Ullsteinstraße wurden Wohnungen einge-

baut. Fotografie 2016.

Page 2: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

101

»Es ist eine Anekdote, die der lang-jährige Fürther Baureferent JoachimKrauße gern erzählt. Bei seinem Amts-antritt 1993 habe ihn der damalige Rat-hauschef Uwe Lichtenberg mit denWorten empfangen: Er brauche sich alsneuer Stadtbaurat keinen Illusionenhinzugeben und hochfliegende Pläne zuverfolgen; in Fürth gelte es, den Mangelzu verwalten. Nur zwei Jahre späterstanden Krauße und die gesamte Stadt-verwaltung vor ›einer Jahrhunderauf-gabe‹, wie er es heute nennt: die Um-wandlung riesiger Brachflächen inWohn- und Gewerbegebiete – Konver-sion genannt.«1

Anfang der 1990er Jahre deutetenichts auf einen Abzug der amerikani-schen Streitkräfte aus der »NuernbergMilitary Community« hin. In Fürth leb-ten etwa 15.000 Amerikaner2; drei Ka-sernen und Wohnungen für Offiziere,

Mannschaftsdienstgrade und ihre Ange-hörigen lagen auf Fürther Stadtgebiet.Dazu kamen noch Schulen, Einkaufs-zentren, Reparaturwerkstätten und eineigener Radiosender. Weitere Kasernenin Nürnberg, Schwabach und Erlangengehörten dazu, ebenso das riesige »USArmy Hospital« an der Rothenburger

Straße. Nach dem ersten Irakkrieg 1991schien die »Community« ein Zentrumder US-Army in Bayern zu bleiben.Doch bald nach dem Zerfall des War-schauer Paktes reduzierten die US-Streitkräfte ihre überseeischen Truppen.Es folgten erste Kasernenschließungenin Deutschland und – im Oktober 1994

Überraschende JahrhundertaufgabeKonversion! Die Südstadt verändert ihr Gesicht

KO

NV

ER

SI

ON

Open Air Sommernachtskonzert der »Jungen Fürther Streichhölzer« von der Musikschule

Fürth im Südstadtpark, Fotografie Juli 2016.

Text: Bernd Jesussek

Page 3: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

102

– die Nachricht der vollständigenSchließung aller US-Einrichtungen derNuernberg Military Community.

In den Jahren zuvor war die StadtFürth bereits am Ende ihrer Entwick-lungs- und Ausdehnungsmöglichkeitenangelangt, begrenzt durch die grünenFlusstäler, den großen Stadtwald undden Nachbarn Nürnberg. Jetzt hatte dieStadt plötzlich über 270 Hektar Flächemehr zur Verfügung, davon etwa 140Hektar in der Südstadt. Die Flächen gehörten aber weder den Amerikanernnoch der Stadt, sondern der Bundes-republik Deutschland, vertreten durchdie Bundesvermögensverwaltung. Pla-

nungshoheit hatte jedoch die Stadt.Schnelles Handeln war erforderlich, umden Verfall der Liegenschaften durchWitterung oder Vandalismus zu vermei-den. Die Stadt Fürth verfügte Mitte der1990er Jahre über keine finanziellenMittel, sowohl die US-Flächen zu er-werben, als auch die Anpassung der In-frastruktur an zivile Bedürfnisse vorzu-nehmen. Schon die Einschätzung derBoden- und Immobilienpreise gestaltetesich unter Berücksichtigung von Altlas-ten, Verschleiß und bisher dort ange-wandten US-Standards schwierig.Hinzu kam ein generelles Misstrauenzwischen den Bundesbehörden und den

Kommunen, weil jeder annahm, dereine wolle bei der Konversion einen fi-nanziellen Nutzen auf Kosten des ande-ren ziehen.

Durch den »Fürther Weg«, der spä-ter auch anderen betroffenen Kommu-nen als Vorbild diente, gelang es derStadt, die Konversion ihrer Flächen zü-gig, städtebaulich verträglich und finan-ziell erträglich durchzuführen. Hilfreichwar dabei, dass sich der Stadtrat bereitsAnfang 1995 auf die Nutzungsarten dereinzelnen Flächen einigen konnte. Fürdie Darby-Kaserne waren u. a. eine bes-sere verkehrstechnische Nord-Süd-Durchlässigkeit, eine große Parkfläche,

Städtebaulicher Rahmenplan für die Entwicklung des Darby-Geländes aus dem Jahr 2005. Er wurde aus

dem 1. Preis des Büros Freiraum / Prof. Aufmkolk des städtebaulichen Ideenwettbewerbs entwickelt.

Page 4: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

103

KO

NV

ER

SI

ON

eine Wohnbebauung und – im östlichenTeil – »nicht störendes« Gewerbe vor-gesehen. In der Kalb-Housing solltekeine Nachverdichtung der Wohnun-gen stattfinden.

Durch die permanente Einbezie-hung von Vertretern des Bundes in dievon der Stadt eingerichtete Arbeits-gruppe kam es zu einer »[…] wohlziemlich einmaligen Gesprächs- undVerhandlungskultur zwischen Bundund Stadt«4, was den Konversionspro-zess wesentlich beschleunigte. Hinzukam die teilweise Anwendung desneuen Instruments der »städtebauli-chen Verträge«. Dabei verkaufte der Ei-gentümer, also die BundesrepublikDeutschland, das Grundstück bzw. dieImmobilie direkt an den Käufer, zahlteaber der Stadt pro Quadratmeter eineAusgleichszahlung für notwendige In-frastrukturmaßnahmen. Außerdem er-hielt die Stadt nach intensivem Bemü-hen Landes- und EU-Fördermittel fürdie Umsetzung der Maßnahmen.

Die Umwandlung der Kasernen-und Wohnflächen in der Fürther Süd-

stadt beschäftigte drei Fürther Bürger-meister: Der Start erfolgte noch unterUwe Lichtenberg (Oberbürgermeister1984–1996), dann kam Wilhelm Wen-ning (1996–2002), der von Dr. ThomasJung abgelöst wurde. Inzwischen ist dieKonversion fast vollständig abgeschlos-sen. Dem 1997 noch als persönlichenMitarbeiter von OB Wenning tätigenHorst Müller verschafften die vielfälti-gen Konversionsaufgaben der US-Lie-genschaften den Posten des (damalswieder) neu geschaffenen Wirtschafts-referenten, den er bis heute ausfüllt.

Die William O. Darby-Kaserne

Die William O. Darby-Kaserne warmit 42 Hektar Fläche die zweitgrößteUS-Liegenschaft in Fürth, nach den Atzenhofer Monteith Barracks. Durchihre zentrale Lage in der Südstadt warihre schnelle Konversion noch wichti-ger als bei den anderen Flächen. Esgalt, 40 denkmalgeschützte der etwa100 Gebäude durch schnelles Reagie-ren vor dem Verfall zu bewahren unddiesem wichtigen Bestandteil der Für-

ther Südstadt neues Leben einzuhau-chen. Bereits Anfang 1995 wurde dasGelände vom Fürther Stadtrat zum Sa-nierungsgebiet erklärt5 und 1996 wurdeein städtebaulicher Wettbewerb ausge-schrieben. Eckpunkte waren, die Süd-stadt mit mehr Grünflächen auszustat-ten, die Kalb-Siedlung mit einzubindenund die großen Brachflächen auf demKasernengelände durch eine Wohnbe-bauung im Westteil und Gewerbe imOsten nachhaltig zu nutzen. Danebenwaren die denkmalgeschützten Ge-bäude in die Planung einzubeziehen.Dies würde sich nicht einfach gestalten,da die US Army in ihrer 50-jährigenAnwesenheit viele Gebäude innen undaußen gravierend verändert hatte. Zu-dem war klar, dass etliche umweltbelas-tende Stoffe sorgfältig zu beseitigen wa-ren.

Die gesamte technische Infrastruk-tur war veraltet und erneuerungsbedürf-tig. »Im Innern der langgestrecktenHalle riecht es nach Öl, das dunkle Fle-cken auf dem blanken Beton am Fuß-boden hinterlassen hat. Neonröhrentauchen die Räume in kaltes Licht. Einemeterlange Reparaturgrube unterbrichtdie Betondecke. Die US Army hatte inder ehemaligen Stallbaracke, die auf150 Metern Länge die östliche Grenzedes früheren Artilleriebereichs aus demspäten 19. Jahrhundert markiert, ihrenFuhrpark untergestellt und gewartet.Ursprünglich logierten hinter der reichgegliederten und mit aufwendigenMauerungen verzierten Fassade ausZiegelsteinen rund 120 Pferde. An ihrenBedürfnissen orientierte sich auch diePlanung der Stallbaracke an der Son-nenstraße. In regelmäßigen Abständen

Die ehemalige Stallbaracke aus dem späten 19. Jahrhundert (Gebäude 50) war von der

US-Army als Unterstandshalle für ihren Fuhrpark genutzt worden. Dahinter stehen be-

reits die ersten Neubauten. Fotografie 2003.

Page 5: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

104

fanden sich sogenannte Aufzugsgauben,kleine Vorsprünge, über die das Futterunter den Dachstuhl zur Lagerung ein-geholt wurde. Unter dem Dachgebälksind noch die Spuren zu finden, die aufdas Futterlager verweisen: quadratför-mige Luken dienten als Abwurfkanälein Richtung Futtertröge. […] In derWeimarer Zeit wichen die Pferde in derStallbaracke einer Kraftfahrkompanie.Die Nationalsozialisten quartierten hierdie Luftabwehr ein.«6

Im Juli 1996 vergab die Wettbe-werbs-Jury für die Darby-Konversionden ersten Platz an die Planer Peschund Aufmkolk, deren Konzept »[…] istin sich logisch und besticht sofort durchseine klaren, ruhigen Bau- und Frei-raumstrukturen. Die streng geometrischangelegte Freifläche des Parks gliedertdas ehemalige Kasernengelände deut-lich aber spannungsvoll in drei Teile.«7

Ursprünglich waren unter den dieGrünfläche begrenzenden BäumenParkplätze vorgesehen, dies wurde aberzugunsten einer dezentralen Unterbrin-

gung der Autos verworfen. Allerdingsholte man sich dabei zwei Probleme insHaus. Nicht alle Wohnungen waren mitdem Auto anfahrbar, außerdem gab es –wie meistens bei solchen Planungen –zu wenige Parkplätze. Kern der Plänewar das Siedlungsmodell »OffensiveZukunft Bayern«, das einen ökologi-schen, erschwinglichen und sozial ori-entierten Wohnungsbau besonders fürjunge Familien mit Kindern vorsah. Miteinem zinsgünstigen Zehn-Millionen-DM-Darlehen sollte die Stadt die ersten200 Wohnungen errichten. Im Gegen-satz zu den Johnson-Barracks konntedie erst einige Jahre zuvor für die Ame-rikaner gebaute Fernwärmeversorgungauch für die konvertierten und die neugebauten Wohnungen genutzt werden.

Anfang Oktober 1998 unterschrie-ben OB Wilhelm Wenning und Bundes-finanzminister Theo Waigel (»Wir ma-chen hier Schwerter zu Pflugscharen«)den Kaufvertrag zur zivilen Nutzungder Darby-Kaserne, durch den die Stadtdie öffentlich nutzbaren Flächen erhielt.

Nun musste die Stadt viele Aufgabenstemmen. Altlasten waren zu beseitigen,sechzig nicht denkmalgeschützte Ge-bäude abzureißen, Verkehrsflächen zuentsiegeln und Leitungen zu erneuern.Gleichzeitig waren Bau- und Kaufwil-lige für die zu konvertierenden Altbau-ten und für die Neubauten zu begeis-tern.

Die Firma Reichhart startete als ers-ter Bauträger auf dem Gelände der ehe-maligen Army-Tankstelle an der Maga-zinstraße im Herbst 2000 mit dem Neu-bau von sechs Zeilen mit je fünf Reihen-häusern. Ebenfalls noch im Jahr 2000sicherte sich das Türkisch-IslamischeKulturzentrum (Ditib) das Gebäude ander Ecke Steuben- und Flößaustraßeund richtete die 2.000 QuadratmeterNutzfläche in Eigenregie für religiöse,kulturelle und soziale Zwecke her. Indie benachbarte ehemalige US-Chapelzog – ebenfalls nach umfangreichenUmbauten – die Freie Christenge-meinde ein. Ähnlich wie Ditib hatteauch die Fürther Musikschule schon

Gebäudebestand der ehemaligen Darby-

Kaserne mit der offiziellen Gebäudenum-

merierung. Die rot markierten Gebäude

standen unter Denkmalschutz.

Page 6: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

105

KO

NV

ER

SI

ON

lange nach einem neuen Quartier ge-sucht. Jetzt plante man, für die Schuledie Gebäude 53 und 54 inmitten desSüdstadtparks durch einen kleinenKonzertsaal miteinander zu verbinden.Es dauerte aber noch bis 2006, bis der4,5 Millionen Euro teure Umbau desehemaligen Waffenlagers und der Um-zug abgeschlossen waren.

Südstadtpark und Grüne HalleEnde des Jahres 2001 begannen

großflächig die Erdarbeiten auf demGelände der ehemaligen Darby-Ka-serne. Besondere Mühe bei der Ausge-staltung gab man sich mit dem Park inder Mitte. Für die zehn Hektar großeFläche, die durch eine paradeförmigeBaumbepflanzung an die militärische

Nutzung erinnern sollte, baute man ei-gens ein 30 mal 40 Meter großes An-schauungsstück mit Bäumen, Bänkenund Lampen, um den Fürther Bauaus-schuss für die auf 10 Millionen DM ge-schätzten Ausgaben zu gewinnen. ImSommer 2003 säte man das Gras imPark an und im November begann dieAnpflanzung der 350 Lindenbäume. Beinasskaltem Wetter wurde der Südstadt-park am 24. September 2004 für die Öf-fentlichkeit freigegeben. In der vonBäumen umrahmten zehn Hektar gro-ßen Grünfläche ließ die Stadt 112Bänke, 55 Abfallbehälter, 122 Absperr-poller, 68 Bodenleuchten, 67 Boden-strahler und zwei Trinkbrunnen instal-lieren. Bei 5,3 Millionen Euro Baukos-ten kalkulierte man mit 330.000 Eurojährlichen Pflegekosten.8

In den folgenden Jahren wurde derPark um eine Kletterwand und eineSkateboard-Bahn ergänzt. Neben derGrünen Halle legte man drei Boule-Bahnen an. Weitere Bäume innerhalb desrechteckigen Grüns lockerten den stren-gen Park-Charakter etwas auf und spen-den den sich dort Erholenden Schatten.Das Parkgelände dient als Bühne für denWeltkindertag, für Boule-Wettkämpfe undfür Klassik-Open-Air-Konzerte.Die »Jungen Fürther Streichhölzer« bei ihrem Open Air Konzert 2016.

Zwei unter Denkmalschutz stehende Gebäude im Park wurden erhalten und durch einen Neubau verbunden. In ihnen fand die Fürther

Musikschule ein neues Quartier. Fotografie 2016.

Page 7: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

106

Ungeklärt blieb lange das Schicksalder Schickedanz-Villa in der Parkmitte.Das 1908 erbaute Unteroffiziers-Quar-tier wurde später von der Firma Schi-ckedanz und von den Amerikanern fürBürozwecke genutzt. Endlich erwarbim Februar 2009 die Diakonie Neuen-dettelsau die Villa, um dort die »ErsteHochschule in der Wissenschaftsstadt«9

einzurichten. Am 15. November 2011wurde das Institut für Pflegemanage-ment eingeweiht und ein knappes Jahrspäter erfolgte die staatliche Anerken-nung als Wilhelm-Löhe-Hochschule.Weil sich innerhalb von drei Jahren dieStudentenzahlen auf 225 fast verzehn-

Inmitten des ehemaligen Darby-Geländes entstand der zehn Hektar große Südstadtpark,

Fotografie nach Südwesten 2003.

Blick vom Dach des ehemaligen Mannschaftsquartiers an der Flößaustraße über den zu-

künftigen Südstadtpark. Im Vordergrund die Gebäude der heutigen Musikschule, dahin-

ter die heutige Wilhelm-Löhe-Hochschule. Fotografie 2003.

Page 8: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

107

KO

NV

ER

SI

ON

fachten und weitere Steigerungen wahr-scheinlich waren, entsteht gegenwärtigein Erweiterungsbau in der Nähe.

Ab Ende 2002 wandelte nördlichder Isaak-Loewi-Straße die Firma Son-towski & Partner, einer von 13 Investo-ren auf dem Gelände, ehemalige Büro-räume in 79 Wohnungen um und er-richtete auf der Brachfläche davor ander Kellermannstraße 27 Reihenhäuserund 12 Doppelhaushälften. Zur selbenZeit sanierte die Firma Peter & Partner(P&P) das »Steuben-Karree« zwischender Steubenstraße und der (neuen)Liesl-Kießling-Straße und warb für die149 »[…] hochwertigen Wohneinhei-ten, die den Charme eines eindrucks-vollen Baudenkmals mit modernemWohnkomfort verbinden«.10 Als dieFirma für das dortige ehemalige Biblio-theksgebäude der Amerikaner keinenKäufer fand, nutzte sie es schließlichselbst als Firmensitz. Ein solches zen-trales Büro schien auch erforderlich,hatte doch P&P nach einem unerwarteterfolgreichen Verkauf der Steuben-Kar-ree-Wohnungen auch das als fast unver-käuflich geltende Gebäude 41, den

»Kopfbau«, entlang der Flößaustraßeerworben. Das 210 Meter lange undsechs Stockwerke hohe ehemaligeMannschaftsgebäude wurde sogar derFirma Quelle als Verwaltung angeboten,auch ein Abriss stand zur Debatte.Durch Verlegung der Treppenhäuser,durch den Einbau von Aufzügen und

Außenbalkonen und durch viele Glas-elemente schaffte es P&P, 147 attraktiveWohnungen unterzubringen. Nach demUmbau erschien das Gebäude viel auf-gelockerter und freundlicher. Um einevollständige Abriegelung der Flößau-straße zu vermeiden, wurden Durch-gänge zum Park geschaffen.

Weitere Bauaktivitäten im Westteilder ehemaligen Kaserne verzeichnetender Humanistische Verband (HVD)und die Bayernstift GmbH. Der HVDeröffnete 2004 in der Dr.-Meyer-Spre-ckels-Straße einen Neubau für einenKindergarten mit 100 Plätzen, obwohles vorher teils heftigen Widerstand sei-tens der Kommunalpolitiker gegen des-sen Erziehungskonzept gegeben hatte.Und die Bayernstift baute in der Steu-benstraße ein Seniorenzentrum. Hiermusste das denkmalgeschützte Ge-bäude 21 weichen, vorher Heimat des

Die ehemalige Schickedanz-Villa stand nach den Konversionsplanungen mitten im Süd-

stadtpark. Sie fand als Hochschule für Pflegemanagement der Diakonie Neuendettelsau

eine neue Verwendung. Fotografie 2016.

Am Rande des Südstadtparks wurden 350 Linden in mehreren Reihen angepflanzt. Foto-

grafie 2016.

Page 9: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

108

Redaktionsbüros der Soldatenzeitung»Sentinel«. Endlich fand im Jahr 2005an der Steubenstraße der frühere NCO-Club der Amerikaner einen Käufer. Diegläsernen Dachaufsätze nach dem Um-bau erhöhten zwar den Wohnwert, wa-ren aber dem Gesamteindruck desschönen Jugendstilgebäudes eher ab-träglich.

Neben dem grünen Südstadtpark inder Mitte sollte die direkt angegliederte»Grüne Halle« ein Treffpunkt für dieBewohner werden. Sechs Investorenhatten 2003 das von den Amerikanern

Das ehemalige Mannschaftsgebäude der US-Army an der Flößaustraße, das längste Ge-

bäude Fürths, wurde in attraktive Wohnungen mit Parkblick umgebaut. Fotografie 2004.

unten: Blick durch den Südstadtpark auf das neue Wohngebäude, Fotografie 2016.

Page 10: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

109

KO

NV

ER

SI

ON

erbaute ehemalige »Gym«, die Turn-halle, erworben und für fünf MillionenEuro umgebaut. »Ein Einkaufstreff-punkt der anderen Art« sollte es sein,mit Einzelhändlern und Imbiss-Ständenfür den gehobenen Bedarf. Am 5. März2004 wurde die Halle eröffnet und nichteinmal drei Wochen später beklagtensich die Händler, meist kleine Familien-betriebe, über ausbleibende Kundschaft.Ursachen seien die umgebende Baustel-lenlandschaft mit vielen Umleitungen,mangelhafte Beschilderung und feh-lende Parkplätze. Doch auch später ka-

Die ehemalige Turnhalle der US-Army wurde erhalten und in eine multifunktionale

Markthalle umgebaut. Fotografien 2003 und 2016.

Page 11: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

110

men die Händler nicht auf ihre Kosten,das Publikum blieb einfach aus. Viel-leicht hatten die vielen jungen Familienmit Kindern nach ihrem Einzug in dieneuen Wohnungen andere Sorgen undzu wenig Geld und Zeit, um aus demgehobenen Wein-, Käse- und Fischsorti-ment in Ruhe auszuwählen. SiebenJahre nach der Eröffnung warfen dieletzten Händler das Handtuch. Die In-vestorengemeinschaft schaffte es zuerst,durch ein stetig wachsendes Veranstal-tungsangebot Leben in die Grüne Hallezu bringen. Neujahrsempfänge, das all-jährliche japanische Kirschblütenfest,Tanztees, private Feiern und viele Mu-sik-Events machten die Halle zur»Event-Location« in der Südstadt.Durch den Lärm der Veranstaltungenfühlten sich jedoch Anwohner gestörtund deshalb schloss die Grüne Hallewegen der vielen Auflagen zum Jahres-ende 2016 ihre Pforten. Seitdem wirdsie von einem Architekturbüro genutzt.

Zwischenbilanz

Zehn Jahre nach dem Abzug derAmerikaner zog der Fürther Wirt-schaftsreferent Horst Müller im Jahr2005 eine positive Zwischenbilanz derKonversion. Südstadtpark und Westteilder ehemaligen Darby-Kaserne warenfast vollständig bebaut, lediglich im Ost-teil mussten etliche Parzellen, die für»nicht störende Gewerbenutzung« vor-gesehen waren, mangels Interesse fürWohnbebauung freigegeben werden.11

Anlässlich des Jubiläums enthüllte OBThomas Jung am 19. Dezember 2005am Rande des Südstadtparks eine Ge-denktafel für die Amerikaner mit demText: »In freundschaftlicher und dank-

barer Erinnerung an die hier zwischen1945 und 1995 stationierten amerikani-schen Soldaten. Sie halfen, den Friedenin Europa zu sichern«. Diese kleine Er-innerungstafel an einer Mauer am Mar-maris-Platz ist heute der einzige Hin-weis auf die 50 Jahre hier lebendenamerikanischen Soldaten und ihre An-gehörigen.

In der Folgezeit nach 2005 schrittendie Renovierung und Verdichtung aufdem Darby-Gelände weiter voran. Öst-lich des Parks zauberte P&P im Jahr2006 in einen Kasernen-Altbau der kai-serlichen Artillerie 100 Lofts und nanntedas Vorhaben »Merkur-Esplanade«.Sontowski & Partner wiederum füllteweiter nördlich direkt am Park das letztefreie Grundstück mit vier Mehrfamilien-häusern. Ganz oben in der Nordosteckerichtete 2007 das Hotel Prima Vera indrei ehemaligen CID-Gebäuden (denmilitärischen US-Strafverfolgungsbehör-den) 59 Zimmer ein und daneben sa-nierte eine Bauherrengemeinschaft einehemaliges Marstallgebäude undmachte zwölf Wohnungen daraus.

Ein großer Neubau in der Wald-straße, gebaut von P&P, riegelte 2012die Kasernenfläche nach Osten ab.Ein Stück dahinter eröffnete im Sep-tember 2008 das Phönix-Seniorenzen-trum seine Pforten für 130 ältereMenschen.

Im Westteil der Darby-Kaserne ließman den früheren Getreidespeicher ander Ullsteinstraße lange in Ruhe. Mitvier Stockwerken und schießscharten-ähnlichen Fenstern war der Backstein-bau kaum verkäuflich. Aber schließlichwagte sich 2006 auch hier ein Investoran den Umbau und es entstanden 26 Ei-gentumswohnungen. Zwei Jahre spätersanierte P&P das Kasernengebäude inder Steubenstraße, zwischen Flößau-straße und Dr.-Meyer-Spreckels-Straße,und wieder ein Jahr später setzte der-selbe Bauträger mit dem ProjektCity.Appart sieben Stadtvillen mit 90Wohnungen in das SteubenKarree, denehemaligen Paradeplatz der US-Army.Am Kreisverkehr Fronmüller- undLiesl-Kießling-Straße legte die evangeli-sche Kirchengemeinde Maria Magda-

Heute erinnert nur noch eine kleine Gedenktafel an die nahezu 50-jährige Anwesenheit

der US-Army in der Südstadt. Sie wurde 2005 durch OB Thomas Jung eingeweiht.

Page 12: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

111

KO

NV

ER

SI

ON

lena am 30. Juni 2007 den Grundsteinfür eine Kirche und für ein Senioren-heim. Achtzehn Monate später konntendie Senioren in das neue Sofienheimeinziehen und Landesbischof JohannesFriedrich den ersten Fürther Kirchen-neubau seit 42 Jahren weihen.

Inzwischen ist die Konversion derehemaligen Artillerie-, Train- und Infan-terie-Kaserne oder späteren Darby-Ka-serne abgeschlossen. Das Areal bietetetwa 4.000 Menschen Wohnraum undist ein Erholungszentrum für die ge-samte Südstadt.

Kalb-Housing

Am Südrand der William O. Darby-Kaserne schloss sich mit der Kalb-Hou-sing ein komplettes Wohnviertel an, dasder Stadt Fürth quasi in den Schoß fielund das man – so dachte man – nur auf-hübschen müsse. Die »Ami-Wohnun-gen« hatten meist vier oder sogar fünfZimmer und waren mit Parkettböden,Wandschränken und einer Zentralhei-zung im Keller ausgestattet. Ungewöhn-lich war der typisch amerikanische Zu-schnitt, bei dem man vom Treppenhausdirekt ins Wohnzimmer gelangte. In derHousing gab es eine Tankstelle, Schulenund Kindergärten, ein Kino und einEinkaufszentrum, die Infrastruktur waralso vollständig vorhanden. Es stelltesich aber heraus, dass man dort dochnicht so einfach einziehen konnte.

Mitte der 1990er Jahre hatten pri-vate Investoren in Fürth begonnen, aufBaulücken und ehemaligen Gewerbe-grundstücken neue Wohnhäuser zu er-richten. Das Baureferat warnte davor,die Häuser der Kalb-Siedlung ebenfallsan private Firmen abzugeben, weil da-

Das ehemalige Stallgebäude, die spätere Kfz-Unterstandshalle, wurde zu

attraktiven Reihenhäusern umgebaut. Fotografie 2016.

Ausbau der Isaak-Loewy-Straße, Fotografie 2002.

Page 13: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

112

durch die Stadt jeglichen Einfluss aufdie Bewohnerstruktur verloren hätteund eine Ghettobildung möglich schien.Zudem drängte die Zeit, denn die seitSeptember 1995 leer stehenden undeingezäunten Gebäude mussten mit ei-nem Wachdienst vor Vandalismus ge-schützt werden. Leider konnten sich dievier Fürther Wohnungsbaugesellschaf-ten nicht auf ein gemeinsames Konsor-tium zum Kauf verständigen, weshalbder Stadt nichts anderes übrig blieb, alsdie Häuser selbst zu erwerben. Im Juni1996 hatte man sich schließlich geeinigtund am 23. Juli 1996 besiegelten Bun-desfinanzminister Theo Waigel undFürths Oberbürgermeister WilhelmWenning die »Jahrhundertaufgabe fürdie Stadt Fürth«. Die städtische Woh-nungsbaugesellschaft (WBG) erwarb die1.234 Wohnungen für 76,5 MillionenDM und verdoppelte damit fast ihrenWohnungsbestand. Vertragsbestandteilwar die Verpflichtung, 20 Prozent derWohnungen als Sozialwohnungen aus-zuweisen und vierzig Prozent zu vermie-ten. Der Rest durfte als Eigentumswoh-nungen verkauft werden, um die Um-baukosten zu decken.

Bereits während der Verhandlungenmit dem Bund arbeiteten Bauamt undWBG zusammen mit dem Fürther Ar-chitekten Josef Reimann und dem Nürn-berger Landschaftsgärtner Michael Ad-ler an den Plänen zur Umgestaltung undModernisierung der Gebäude und Au-ßenanlagen. Eckpunkte in den Außen-bereichen waren eine Entsiegelung derriesigen Parkplatzflächen zwischen denGebäuden durch Baumpflanzungen undHecken und das Anlegen von Rasenflä-chen und von Gärten für Erdgeschoss-

wohnungen der Eigentümer. Zudemmussten die großen Kinderspielplätzedeutschen Standards angepasst werden.Generalunternehmer war die FirmaWayss&Freytag, die noch auf die altenBaupläne aus den 1950er Jahren zu-rückgreifen konnte. »Allein die Investi-tionen in den Außenbereichen erreichendie Größenordnung einer Landesgarten-

schau«.12 In den Häusern selbst waren15 Handwerksbetriebe – die meisten ausFürth – damit befasst, durch den Leer-stand entstandene schimmelige Wändeund aufgeworfene Parkettböden zu re-parieren und Fenster, Fliesen und alteWasserleitungen auszutauschen. DieZimmer im Dachgeschoss, wo in denfünfziger Jahren die (meist deutschen)

Die ehemalige Mannschaftsunterkunft mit renovierten Wohnungen dominiert den

Marmarisplatz. Fotografie 2017.

Page 14: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

113

KO

NV

ER

SI

ON

Dienstmädchen der US-Soldaten unter-gebracht waren, verband man mit derdarunter liegenden Wohnung. Für Au-ßenstehende markant waren die an al-len Wohnungen neu angebrachten Bal-kone aus verzinkten Metallkonstruktio-nen mit Lochblechen. Obwohl die Woh-nungspreise augenscheinlich günstig an-gesetzt waren, war man bei der WBGskeptisch, ob es ausreichend Kauf- undMietinteressenten geben würde. »DieTüren eingerannt« (10. August 1996)und »Großer Ansturm auf Wohnungen«(12. November 1996) schrieben danndie »Fürther Nachrichten«. Bis zumZeitpunkt der Fertigstellung der erstenMusterwohnung Ecke Fronmüller- undMagazinstraße hatten sich bereits 4.000Miet- und Kaufinteressenten gemeldet.Bei der in die Finanzierung eingebunde-nen Sparkasse Fürth waren bis zu 40Mitarbeiter täglich – teilweise auch anWochenenden – mit der Geldbeschaf-fung für die Käufer befasst. Auf beson-ders großes Interesse stießen die 36 ehe-maligen Offizierswohnungen an derThomas-Mann-Straße, so dass die WBGdie Wohnungen sogar per Losentscheid

verteilen musste. Für jedes der durchweggroßzügig geschnittenen Eigenheime,die alle über offene Kamine und Parkett-böden verfügen, lagen bis zu 12 Bewer-bungen vor. Damit es den rund 300 Inte-ressenten an diesem kühlen windigenNovembertag an nichts fehlte, ließWBG-Geschäftsführer Karl-Heinz Con-rad sogar eine Imbissbude mit ange-schlossenem Glühweinausschank auf-fahren.

Bereits Mitte November 1996 warendie meisten der 108 Wohnungen desersten (Um-) Bauabschnitts vergeben,ebenso 43 der 48 Mietwohnungen des2. Bauabschnitts. Neben dem großenZuspruch erfreute die Stadt auch dieTatsache, dass meistens junge Familienmit Kindern einzogen, also genau dieZielgruppe die man in der Kalb-Hou-sing ansiedeln wollte. Gut die Hälftezog aus anderen Fürther Stadtteilen zu,zehn Prozent aus dem Umland und sa-genhafte 32 Prozent aus Nürnberg.«»Als Folge der Vermarktung der Kalb-siedlung ist der Markt für gebrauchteEigentumswohnungen in Fürth zeit-weise zusammengebrochen.«14

Niemand ahnte jedoch bisher etwasvon der Zeitbombe unter den Böden. Infast jeder Wohnungsbeschreibung hat-ten die »Fürther Nachrichten« die wieneu aussehenden abgeschliffenen Par-kettböden gelobt. Anfang 1998 fandman bei fast bau- und zeitgleich für dieAmerikaner errichteten Wohnungen inFrankfurt deutlich überhöhte Konzen-trationen von polyzyklischen aromati-schen Kohlenwasserstoffen (PAK), dieals krebserregend gelten. Diese warenin einer mit Bitumen getränkten Pappeenthalten, die unter der Mineralwolleunter dem Holzparkett in der Bauphaseverlegt worden war. Eine deutscheStandard-Bautechnik aus den 1950erJahren. Die Gase traten wohl mit derZeit aus und gelangten in die Raumluft.WBG und etliche Mieter und Eigentü-mer gaben Laboruntersuchungen inAuftrag. Die Stadt hatte zwar vor demKauf alle öffentlichen Gebäude aufWohngifte untersuchen lassen, nicht je-doch die als unkritisch eingestuftenWohnungen. Der Schock war für alleBeteiligten groß. Die Laboruntersu-chungen ließen aber keine Zweifel da-ran aufkommen, dass es sich bei denPAKs um eine »tickende Zeitbombe«handelte und die Wohnungen nicht aufDauer bewohnbar sein würden. Ver-schärft wurde die Situation noch da-durch, dass bei den Messungen auch er-höhte Werte der Insektizide DDT undLindan gefunden wurden, die die Ame-rikaner sehr großzügig versprüht hatten.Die Sanierungskosten wurden auf 27bis 30 Millionen DM geschätzt. Jetzt be-gann natürlich der Streit, wer diese Kos-ten tragen sollte. Obwohl in den jewei-ligen Kaufverträgen Klauseln die Ge-

Sanierter Wohnblock in der Kalb-Siedlung, Fotografie 2017.

Page 15: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

114

währleistung ausschlossen, war abzuse-hen, dass es zu langwierigen Verhand-lungen und juristischen Auseinander-setzungen kommen würde. Vorwürfekamen auf, dass dem Bund und derStadt eine mögliche Schadstoffbelas-tung der Objekte bereits vorher bekanntgewesen war.

Trotz ungeklärter Finanzierung be-gann die WBG schon im April 1998 un-ter großen Arbeitsschutzvorkehrungenmit der Sanierung der ersten – nochnicht bezogenen – Wohnungen. ImMärz 1999 folgten endlich die bereitsbewohnten Häuserblöcke. Während dieStadt und die WBG Verhandlungen mitder Oberfinanzdirektion und mit Bonnwegen Kaufpreisnachlässen aufgrunddieser versteckten Mängel führten, hat-ten besorgte Bewohner einen Verein ge-gründet, der ihre Interessen vertretensollte. Die »IG Kalb-Siedlung« fordertezusätzlich zur PAK-Entfernung aucheine Beseitigung der Pestizid-Belastungin allen Wohnungen, außerdem sollte esfür alle Käufer aufgrund der Situationeine Rücktrittsmöglichkeit vom Kauf-vertrag geben. Während der größte Teilder Betroffenen die Lösungen akzep-tierte, klagten fast 40 Käufer vor Ge-richt. WBG-Geschäftsführer Conradwurde zum Prügelknaben, dem sogararglistige Täuschung und Betrug vorge-worfen wurden.

Schließlich summierten sich die ge-samten Sanierungskosten auf 19 Millio-nen Mark.16 Im Februar 2000 stand dieWBG vor der Zahlungsunfähigkeit. Ver-handlungen mit der Stadt um die Erlas-sung bzw. Stundung von acht MillionenDM, die die WBG als Strukturbeihilfegezahlt hatte, und von 19,4 Millionen

DM, die der Bund als Gewinnabschöp-fung kassiert hatte, führten zum Erfolg.Außerdem mussten 236 zur Vermietungvorgesehene Wohnungen in Eigentums-wohnungen umgewandelt werden, umdie Verluste wett zu machen. Mitte No-vember 2001 kehrte der letzte Mieter inseine sanierte Wohnung zurück und ei-nen Monat später enthüllten OB Wil-helm Wenning und WBG-AufsichtsratFerdinand Metz einen Gedenkstein –der Findling war ihnen wahrscheinlichvom Herzen gefallen.

Einkaufsmöglichkeiten und Verkehr

Rings um die Kasernen und die Hou-sing Area war während der Stationierungder Amerikaner eine eigene Geschäfts-welt entstanden, zugeschnitten auf dieWünsche der GIs und ihrer Angehöri-gen. Dies ging von den Klassikern wieMcDonalds, Burger King, KentuckyFried Chicken und Pizza Hut bis zuAuto- und Souvenirhändlern. Alle beka-men den Abzug der Soldaten unmittel-bar am Umsatz zu spüren. Die Taxifahrerbüßten dreißig Prozent ein, etwa zwan-zig Gaststätten hatten fast ausschließlich

Amerikaner als Gäste gehabt. Nach undnach verschwanden die englischen Textevon den Ladenfronten, etliche Inhabergaben auf. Als Überbleibsel findet manheute nur noch Pizza Hut an der Fron-müllerstraße und Kentucky Fried Chi-cken an der Waldstraße.

Die Gebrauchtwarenhändler ausder Zeit der Amerikaner an der Wald-straße gaben zumeist auf, dafür ließensich viele »fliegende« osteuropäischeHändler mit ihren Sattelschleppern nie-der. Zwischen 2008 und 2010 wurdendie Leyher Straße und die Waldstraßesaniert und mit kürzeren und schmäle-ren Parkbuchten versehen, um dieLKW fern zu halten. Dadurch verbes-serte sich die Situation deutlich.

Während das frühere PX-Zentrumnoch einer ungewissen Zukunft entge-gen ging, entstand bereits am westlichenEnde der Fronmüllerstraße ein »richti-ges« Einkaufszentrum für den täglichenBedarf der ständig an Zahl zunehmen-den Bewohner in dieser Gegend. An-fang 1997 begann man mit dem Abrissder ehemaligen US-Tankstelle und desKinos (»Community Theater«).

Sanierter Wohnblock in der Kalb-Siedlung, Fotografie 2017.

Page 16: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

115

KO

NV

ER

SI

ON

Am 9. September 1999 erfolgte dieEinweihung des »Südstadt Centers«.»Die Architektur erinnere an eine ame-rikanische Mall und korrespondiere mitdem ehemaligen ›Klein-Amerika‹ inFürth«, so der SPD-Fraktionschef Hart-mut Träger.17

Auf der Ostseite der Waldstraßestand das E-förmige PX (»Post Ex-change«), bis Kriegsende das Beklei-

dungsamt der Wehrmacht, mit dessenKonversion sich die Stadt Fürth sehrschwer tat. Es erfolgte ein Spatenstichfür ein Kino, das nie gebaut wurde. DieAnsiedlung etlicher großer Einzelhan-delsmärkte scheiterte am Einspruch derStadt, die eine Konkurrenz zur Innen-stadt vermeiden wollte.

Gegenüber dem früheren Einkaufs-zentrum der Amerikaner und den hoch-

fliegenden Konversionsplänen nimmtsich das heutige Phönix-Center beschei-den aus. Es bildet aber eine Ergänzungzum Nahversorgungszentrum am ande-ren Ende der Fronmüllerstraße. Für dasgegenüber dem PX an der Waldstraßeliegende Commissary, also den ehemali-gen Lebensmittel-Supermarkt der Ame-rikaner, interessierte sich Anfang 1999die Firma Dehner. Hier gab es keineweiteren Probleme, bereits im April2000 bezog die Gartencenter-Kette dasGebäude.

Soziale Einrichtungen

Ende 1996 hatte die Stadt Fürth inder Südstadt Schulen und Kindergärtenfür elf Millionen Mark erworben. Für dieKinder der amerikanischen Familienhatten drei Kindergärten mit insgesamt475 Plätzen zur Verfügung gestanden:einer an der John-F.-Kennedy-Straße,das »Kleeblatt« mit den drei achtecki-gen Pavillons an der Gerhart-Haupt-mann-Straße und einer an der Wald-straße neben dem Burger King. Es warklar, dass durch die abweichenden deut-schen Bauvorschriften einiger Umbau-aufwand auf die neuen Eigentümer zu-kommen würde. »Die Planung der ge-meinhin als kinderlieb eingeschätztenAmerikaner findet kaum Gnade vordem gestrengen Auge des bayerischenGesetzes«.18 Als erste sicherte sich dieLebenshilfe den Kindergarten an derJohn-F.-Kennedy-Straße und in den Kin-dergarten an der Waldstraße zog derHumanistische Verband Deutschlands(HVD) ein. Im ehemaligen »Child CareCenter«, den drei Pavillons an der Ger-hart-Hauptmann-Straße, entstand einÖkumenisches Zentrum mit einem

Im Jahr 2000 begann der Abriss des ehemaligen Wehrmachtsgebäudes.

Im Februar 1997 wurde das seit 1955 bestehende Kino der Amerikaner in der Fronmüller-

straße abgerissen. Heute steht eine Lidl-Filiale auf diesem Platz.

Page 17: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

116

evangelischen und einem katholischenKindergarten und ein Begegnungszen-trum.

An der Fronmüllerstraße erwarb dieLebenshilfe Fürth direkt vom Bund ein6.600 Quadratmeter großes Gelände-stück, um dort ihre Zentrale zu errich-ten. Ende Juni 2001 konnte der Vorsit-zende der Lebenshilfe Fürth, ThomasJung, die vier zwei- bis dreigeschossigenGebäude einweihen.

Schulen

Für die etwa 2.500 größeren ameri-kanischen Kinder waren die Elemen-tary School an der John-F.-Kennedy-Straße und die wegen ihrer frontalenGröße beeindruckende »NuernbergHigh School« an der Fronmüllerstraßezur Verfügung gestanden. Deren Kon-version war nicht einfach. Schulkon-zepte, Raumaufteilungen und Decken-höhen entsprachen nicht deutschenStandards. Die Ersten waren im Sep-tember 1997 200 Grundschüler undihre Lehrer, die in das noch nicht reno-vierte ehemalige US-Gebäude Nr. 1469an der John-F.-Kennedy-Straße einzo-gen. Die später doch notwendigen Re-novierungen bedeuteten eine große Be-lastung für Schüler und Lehrer. Ab Sep-tember 2002 zog das FörderzentrumSüd in die erst 1975 eingeweihte frü-here amerikanische Mittelschule an derJakob-Wassermann-Straße ein. EinenMonat später wurde endlich der »großeBrocken«, die Hans-Böckler-Schule(HBS) eingeweiht. Die Idee für die ei-genartige Farben-Wischtechnik an denFassaden der Hans-Böckler-Schule undder Turnhalle stammte von der Nürn-berger Künstlerin Elke Harrer, die mit

dem Camouflage-Effekt an die US-Army erinnern wollte und junge unddynamische Farbtöne dagegen setzte.

Der Volksbücherei stand im Ge-bäude »1443« an der Fronmüllerstraßeab Januar 1998 mit 1.800 Quadratme-tern mehr als doppelt so viel Raum zurVerfügung wie vorher. Befürchtungen,dass durch den Wegzug aus der FürtherInnenstadt weniger Leser kommen wür-den, bewahrheiteten sich nicht.

Johnson-Barracks

Die Johnson-Barracks, die ehema-lige Panzerkaserne der Wehrmacht, um-fasste 51 Hektar, davon lagen 11 Hektarin der Südostecke auf Nürnberger Ge-biet. Weder die Verwaltungsgebäude imWinkel zwischen der SchwabacherStraße und dem Main-Donau-Kanalnoch die riesigen Lagerhäuser standenunter Denkmalschutz. Dies erleichtertedem Fürther Stadtrat die Entscheidung,das Gelände vorrangig für Gewerbe zunutzen. Als erste Firma erwarb dieBrauerei Tucher 1996 die Südosteckeder Kaserne, halb auf Nürnberger, halbauf Fürther Gebiet. Am 16. Dezember

1997 feierte Tucher das Richtfest für einLogistikzentrum, vier Jahre später folgtedie Inbetriebnahme einer neuen Abfüll-anlage. Die Brauerei hatte dafür eigensunterirdisch drei Kilometer Bierleitun-gen vom Sudhaus an der SchwabacherStraße verlegen lassen – die Leitungenwären den GIs sicher sympathisch ge-wesen. Seit im Jahr 2008 auf dem neuenGelände gebraut wird, versorgen dieseLeitungen die Sudkessel mit Wasser ausden ursprünglichen Brunnen der Braue-rei im Rednitzgrund. Den Abschluss derVerlagerung der ehemaligen Humbser-,dann Patrizier-, dann Tucher-Brauereibildete die Einweihung des Verwal-tungsgebäudes an der Tucherstraße imJahr 2009.

In den Jahren ab 1996 wurden nachund nach alle Gebäude der Johnson-Ba-racks abgerissen. Im letzten großen ehe-maligen Wehrmachts-Lagerhaus ver-kaufte die amerikanische DRMO bisAugust 2002 gebrauchtes Büromaterial,bevor auch dieses Haus dem Baggerzum Opfer fiel. Um der Innenstadt nichtzu viel Kaufkraft zu entziehen, ließ mannach langem Ringen 2006 nur einen

Die letzte der ursprünglichen Wehrmachts-Lagerhallen in den Johnson-Barracks wird

2007 abgerissen.

Page 18: FuerthSued PDF - stadtheimatpflege-fuerth.de€¦ · Fotografie 2003. 104 fanden sich sogenannte Aufzugsgauben, kleine Vorsprünge, über die das Futter unter den Dachstuhl zur Lagerung

117

KO

NV

ER

SI

ON

BayWa-Baumarkt mit angeschlossenemBaustoffhandel zu. Entlang der mittle-ren Schwabacher Straße siedelten sichab 1998 etliche Autohäuser an.

Fünf Jahre nach der Übergabe be-völkerten bereits 40 Unternehmen dasGebiet, die etwa 800 Menschen Arbeits-plätze boten. Bis zum Jahr 2006 hattensich bereits 102 Unternehmen im »Ge-werbepark Süd« niedergelassen.19 Alsim Juni 2016 die Firma Hoefer & SohnFlächen auf dem Gelände erwarb, warFürths Gewerbepark Süd vollständigbelegt.

Das Gelände der Johnson-Baracksbot sich geradezu für die Ansiedlungvon Gewerbe an und deckte damit ei-nen Teil des großen Bedarfs der StadtFürth. Zwar liegt der Schwerpunkt beiAuto- und Autozubehörhändlern, dane-ben haben sich aber auch mittelständi-sche Unternehmen niedergelassen. Zu-dem bietet das »Complex«, ein Gewer-behof für mittelständische Handwerks-betriebe, Dienstleistungsunternehmenund Existenzgründer, vielen Kleinbe-

trieben ein Zuhause. Die Zielsetzungder Stadt ist aufgegangen, »Gewerbeunter Berücksichtigung wasserrechtli-cher Auflagen und Umweltverträglich-keit (auch möglich: sportliche Nutzun-gen).«20

Ein eigenes Kapitel hätte man überdas geplante Fußballstadion im Gewer-bepark Süd schreiben können. Nach

dem Aufstieg der SpVgg Greuther Fürthin die 1. Bundesliga im Jahr 2012 wollteman groß bauen, scheiterte aber an ei-ner geschützten Vogelart namens Kie-bitz. Der Wiederabstieg der SpVgg unddie Pachtverlängerung im alten Ronhofbesiegelten schließlich das Ende desProjekts.

Konversion gelungen

Sucht man heute nach Spuren derAmerikaner in Fürth, wird man kaumnoch fündig. Einige kleinere Gebäudezeigen an ihren noch unrenoviertenFassaden die alten Gebäudenummernaus amerikanischer Zeit. Die Notwen-digkeit der Konversion der Fürther Ka-sernenflächen in der Südstadt fiel ineine Zeit der Wiederbelebung des Urba-nen, also der Zurückorientierung aufdie Nähe zur Stadt. Die Immobilienfir-men boten die vielen Wohnungen,Stadthäuser, »Villen« und Lofts ge-schickt kombiniert mit den Attributen»Park-«, »Karree-«, »Esplanade-« oder»Promenade-« an und fanden schnellKäufer. Zur Freude der Stadt waren dieszumeist junge solvente Familien, zumalman ja im Zuge der überraschend um-fangreichen Sanierung der Kalb-Hou-sing den Sozialwohnungsanteil auf 15Prozent hatte reduzieren müssen. Diemeisten der etwa 8.000 Bewohner vonSüdstadtpark und Kalb-Housing sindmit ihrem Wohnumfeld sehr zufrieden,finden es »städtisch zentral, architekto-nisch stilvoll, tolerant und abwechs-lungsreich«21 und schätzen die Grünflä-chen.

Die frühere Darby-Kaserne und die»Kalb-Housing« sind heute ein lebendi-ger und integrierter Teil der FürtherSüdstadt.Amerikanische Gebäudenummer an der Volksbücherei Fronmüllerstraße. Fotografie 2016.

Die Laternenmasten stammen noch aus

den 1950er Jahren. Fotografie 2016.