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S ofte Popmusik quillt aus den Bo- xen, Menschen fallen sich in die Arme und begrüßen sich, als hätten sie sich jahrzehntelang nicht gesehen. Auf vier riesigen Monitoren, die unter der Hallendecke hän- gen, sieht man Fotos von gesund und glück- lich aussehenden Frauen und Männern. Dazu werden große Lettern eingeblendet: „Beyond the horizon“ – hinter dem Hori- zont. Es ist das Motto des diesjährigen Events „Spirit of Lifeplus 2017“ des ameri- kanischen Nahrungsergänzungsmittel- Konzerns Lifeplus in der Stuttgarter Mes- sehalle, zu dem etwa 15 000 Menschen ge- pilgert sind. Und diese sitzen nun, an einem strahlenden Sommertag, in der Messehal- le 1 in schier endlos scheinenden Stuhlrei- hen und warten auf den Auftritt ihrer Idole. Eine Frau betritt mit ihrem Mann die Halle, fädelt sich in die vorletzte Stuhlreihe ein – und gerät in Panik. „Ihr habt doch ver- sprochen, uns einen Platz zu besetzen, wa- rum habt ihr das nicht getan?“, fragt sie ihre Bekannten. Sie ist den Tränen nahe. Kei- nen Sitzplatz an diesem wichtigen Tag in dieser riesigen Halle zu ergattern muss für die Lifeplus-Anhänger eine albtraumhafte Vorstellung sein. Glücklicher sind diejeni- gen, die schon um Punkt acht Uhr am Mor- gen zur Saalöffnung die Halle in Scharen enterten und sich einen der guten Plätze ganz weit vorne sicherten. Nah bei den Stars, nah dran an den Emotionen, den Hoffnungen, dem echten, wahren Lifeplus- Gefühl. Dann geht es los. Kurz nach zehn Uhr gehen die Lichter aus, die Musik wird noch lau- ter, Nebel steigt auf, Laser- strahlen durchdringen das Dunkel. Der Moderator und Top-Lifeplus-Mann Ott- mar Job betritt die Bühne und strahlt übers ganze Gesicht. „Es ist ein Wahnsinn, hier zu sein, ich spüre diese unglaubliche Energie, die von euch ausgeht“, ruft er in die Menge und erntet ein begeistertes Jubeln. Fähn- chen werden geschwenkt, Selfies geschos- sen und Videos gedreht. Diejenigen, die heute das erste Mal hier beim Event seien – im Lifeplus-Jargon sind das die sogenannten „Believer“, also die Menschen, die an sich und an die Kraft des Unternehmens glauben – sollten nun bitte aufstehen und sich begrüßen. Daraufhin erheben sich schätzungsweise 3000 Men- schen, sie schütteln sich die Hände, fallen sich um den Hals und jauchzen, als gäbe es etwas Unglaubliches zu feiern. Es sind Menschen aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, der Schweiz, den Nie- derlanden, sogar aus Kanada, Norwegen, Schweden und den USA. Es sind Menschen aller Couleur: dicke und dünne, große und kleine, Teenager, Mittfünfziger und Senio- ren, Menschen mit Kindern neben sich und Babys auf den Armen. Es sind Menschen mit Sportschuhen oder High Heels an den Füßen. Alle sind sie an diesem Wochenende nach Stuttgart gereist, um sich und ein Unternehmen zu feiern, dem sie sich offen- sichtlich eng verbunden fühlen. Als der Firmengründer Bob Lemon die Bühne betritt, gibt es kein Halten mehr. Wer sich jetzt nicht vom Stuhl erhebt und in das rhythmische Klatschen einfällt, wird mit strafenden Blicken bedacht. „Oh, es fühlt sich so toll an, heute hier zu sein, mein Herz hüpft vor Freude“, ruft der etwa 80- Jährige – Lemons genaues Alter ist unbe- kannt – wie ein Popstar in die riesige Men- ge unter ihm. „Ihr seid für mich die Zukunft von Lifeplus! Nur ihr, die echten, wahren und atmenden Menschen, habt all das mög- lich gemacht, was mit Lifeplus geschehen ist. Wir haben es zusammen geschehen las- sen! Die Mischung aus unseren Talenten und euch wunderbaren Menschen, das ist Lifeplus und macht uns zu so etwas Besonderem!“ Wieder Jubel. Lemon erzählt seine Ge- schichte, wie er sie schon oft und an vielen Orten erzählt hat: Als er vor vielen Jahren als Pharmazeut seine Apothe- ken betrieben habe, habe er ir- gendwann festgestellt, dass die meisten Menschen zu vie- le Medikamente genommen hätten. „Sie mussten Arzneien schlucken, um die Nebenwirkungen anderer Arzneien zu lindern“, sagt er. Schließlich, vor etwa 25 Jahren, habe er dann den jungen Arzt Dwight McKee getroffen und mit ihm ge- meinsam seine persönliche Vision wahr ge- macht: allen Menschen mittels pflanzli- cher Präparate zu helfen und ihnen damit „zu einem besseren, glücklicheren Leben“ zu verhelfen. Die Idee und das Unterneh- men Lifeplus waren geboren. Aus den kleinen Anfängen ist bis heute ein global agierendes Unternehmen mit Hauptsitz in den USA geworden, die Euro- pazentrale operiert von Großbritannien aus. Produziert und vertrieben werden Multivitaminpillen und Protein-Shakes, Omega-3-Fettsäuren, Pülverchen zum leichteren Abnehmen und Körperpflege- produkte. Die sogenannten Vitalstoffe – der Renner schlechthin – vertreibt Lifeplus zwar nicht explizit unter diesem Namen, dennoch begegnet man dem Begriff immer und überall, wenn man sich mit Lifeplus- Anhängern unterhält. Vor der Halle sitzen zwei Besucherin- nen aus Bonn in der Sonne und rauchen. „Ich hatte ständig Kopfschmerzen und jah- relang Meningitis“, erzählt die eine. „Nach ein paar Wochen der Einnahme von Vital- stoffen hatte ich nichts mehr.“ Dass in den Lifeplus-Pillen nachgewiesenermaßen eine um ein Vielfaches zu hoch dosierte Vi- tamindosis enthalten sei, störe sie nicht. „Wenn ich so Zeug im Drogeriemarkt kaufe, ist noch Chemie beigemischt – da nehme ich doch lieber das von Lifeplus.“ Und über- haupt: Großartig sei dieses Event, ein un- glaublicher Spirit herrsche in der Stuttgar- ter Messehalle. Lifeplus habe eine „sanfte Revolution“ in Gang gesetzt, es gehe hier einfach nur um ganz viel positives Denken. Ein paar Meter weiter steht ein Mann Mitte dreißig und vespert einen Supreme- Riegel, Inhaltsstoffe: Magnesium, Kalzium, Vitamine D, B12, B2, B6 sowie Niacin. Er sei berufsunfähiger Maler, erzählt der Mann, sein Arzt habe ihm kein langes Leben prog- nostiziert. Doch dann habe er Lifeplus ken- nengelernt, nun gehe es ihm körperlich sehr gut und mental sowieso. Denn bei Life- plus sei Zwischenmenschliches sehr wich- tig. Aber warum wirkt das Event wie die Werbeveranstaltung einer Sekte? „Ist doch schön, wenn sich alle als eine große Familie fühlen. Hast du keine Familie?“ Der Vertrieb des riesigen US-Konzerns, der keinerlei Zahlen bezüglich Umsatz und Gewinn herausgibt, basiert auf dem soge- nannten Multi-Level-Marketing, kurz MLM: Person A – nennen wir sie Anna – kauft und konsumiert Lifeplus-Produkte, etwa um abzunehmen. Ihre Freundin Bea- te, Person B, findet sich ebenfalls zu dick und kauft auf Empfehlung von Anna nun auch das Produkt. Für diese Empfehlung erhält Anna einen Bonus in Höhe von fünf Prozent. Eine dritte Person, Christiane, in- teressiert sich nun dafür und bestellt wie- derum bei Beate. Für diesen Schritt erhält Beate einen Bonus von fünf, Anna einen von 25 Prozent. Christiane ist nun so be- geistert, dass auch sie die Produkte weiter- empfiehlt, nämlich an Doreen. Kauft diese ein, erhält Christiane dafür fünf und Beate 25 Prozent, Anna als erstes Glied in der Kette und Ursprungsverkäuferin streicht immerhin noch zehn Prozent ein. Der Bo- nus für Anna ist allerdings an eine Bedin- gung geknüpft: Sie muss noch drei weitere sogenannte „aktive Beine“ haben, also Partner, die jeden Monat zu einem Min- destbetrag bei Lifeplus bestellen. Je mehr Partner Anna wirbt und je mehr Menschen unter ihr als ihre „Downline“ arbeiten, um- so höher ist ihr eigener Verdienst, und um- so schneller kommt sie an die begehrten Sonderauszeichnungen von Bronze über Silber und Gold bis Diamant. Für die beson- ders Fleißigen gibt es zusätzlich Sternchen. Diese Vertriebsstruktur wirkt wie ein Schneeballsystem – das wäre hierzulande verboten. Doch Lifeplus be- dient sich eines legalen Tricks: Man muss kein eige- nes Kapital einsetzen, es geht lediglich um die Weiteremp- fehlung der Produkte. Zumin- dest theoretisch. Praktisch funktioniert das System so: Kauft man nicht selbst jeden Monat Produkte im Wert von etwa 60 Euro ein – Lifeplus rechnet in den sogenannten Internationalen Punkten (IP) – ist man nicht provisionsberechtigt. Bei rund 60 Euro im Monat kommt jeder Einzelne also auf Ausgaben von etwa 720 Euro pro Jahr. Die Professorin Claudia Groß von der Universität Nijmegen betrachtet diese Ver- triebsstruktur kritisch: Das Unternehmen agiere in einer rechtlichen Grauzone. „Die Kriterien für die Definition eines Schnee- ballsystems treffen nicht zu, weil jedes Mit- glied von Lifeplus automatisch auch Ge- schäftspartner wird und somit kein norma- ler Verbraucher mehr ist“, sagt die Expertin für Empfehlungsmarketing. Auch bezüg- lich des Verdienstes schlüpfe Lifeplus im- mer in eine Nische: Das Unternehmen ver- meide es partout, den Kunden und Part- nern Einkommensversprechen zu machen. Die zwei Worte „finanzielle Unabhän- gigkeit“ kommen freilich in Werbemitteln und im direkten Dialog mit Lifeplus-Leu- ten ständig vor. Von Freiheit wird gespro- chen und von Chancen, von Inspiration und ziemlich viel vom Glücklichsein. Gleichzeitig ist das Unternehmen aber auch sehr vorsichtig. „Denken Sie daran: Lassen Sie sich nicht von Behauptungen ir- reführen, hohe Einnahmen seien leicht zu erzielen“, steht in einem Flyer. Das eigentliche Problem sieht die Ex- pertin Claudia Groß bei den Vertrieblern selbst, von denen es zwei Sorten gebe. „Zum einen gibt es die Personen, die null Ahnung von der Materie Ernährung und Gesundheit haben, aber dennoch in diesem Bereich beraten. Diese Leute werden zwar von Lifeplus geschult, aber eben immer nur produktabhängig.“ Die andere Sorte wiede- rum seien die Vertriebler mit Fachwissen, also etwa Mediziner, Heilpraktiker und Apotheker. Hier vertraue der Käufer auf deren Expertise, was der Verkäufer wiede- rum missbrauche: „Denn derjenige, der diese Produkte empfiehlt, verdient ja nicht an der Beratung, sondern am Produkt selbst – es kann hier also gar keine unab- hängige Empfehlung stattfinden, sondern es wird einfach nur das Produkt empfoh- len.“ Bei Unternehmen mit einer ähnlichen Vertriebs- struktur wie Tupperware sei das in Ordnung, bei Nah- rungsergänzungsmitteln hal- te sie das für fatal. Welche Versprechungen gemacht werden, hat bei- spielsweise die Mutter eines behinderten Kindes erfahren. Sie wandte sich kürzlich an die Verbraucherzentrale Baden- Württemberg mit der Frage, was von Life- plus-Produkten eigentlich zu halten sei, weil sie Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Unternehmens habe. Über ihre Yogalehre- rin hatte sie eine Heilpraktikerin kennen- gelernt, die ihr wiederum weismachen wollte, dass durch die richtige Gabe der so- genannten Vitalstoffe Krebs oder Gende- fekte heilbar seien. „Solche Thesen sind ab- soluter Humbug und auch nicht rechtens“, betont Christiane Manthey von der Ver- braucherzentrale. Ähnlich wie jene Heil- praktikerin schürten viele Lifeplus-Ver- käufer Erwartungen bei ihren Kunden, die nicht eingehalten werden könnten, so Manthey. „Und das, obwohl offiziell keiner der Lifeplus-Vertriebler ein Gesundheits- versprechen machen darf.“ Auch Dwight McKee weiß das. Der Ame- rikaner mit dem grauen Schnauzbart ist Bob Lemons Kompagnon und der wissen- schaftliche Direktor von Lifeplus. Sorgfäl- tig vermeidet er medizinische Aussagen und Versprechen, lieber redet er davon, den Menschen den „Weg zu einem besseren, ge- sünderen und glücklicheren Leben“ zu zei- gen. Was Lifeplus tue, gründe auf einer Jahrtausende alten Wahrheit, ruft er ins Publikum. Dann sagt er aber doch: „Genex- pressionen verändern unsere Gesundheit. Mit Lifeplus können wir die Langlebigkeit und die Gesundheit der nächsten Genera- tion verändern!“. Dann verlässt er unter riesigem Jubel der Menge die Bühne. Ganz großes Kino Gesellschaft Jährlich pilgern 15 000 Menschen in die Stuttgarter Messehalle zu einem Event des Pillenkonzerns Lifeplus. Was zieht die Massen an? Von Claudia Bell „Es ist ein Wahnsinn, hier zu sein. Ich spüre diese unglaubliche Energie, die von euch ausgeht.“ Der Moderator Ottmar Job begrüßt das Publikum. „Die Mischung aus unseren Talenten und euch wunderbaren Menschen, das ist Lifeplus.“ Firmengründer Bob Lemon bei seinem Auftritt Foto: Lg/Verena Eckert 28 Nr. 140 | Mittwoch, 21. Juni 2017 STUTTGARTER ZEITUNG REPORTAGE

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  • S ofte Popmusik quillt aus den Bo-xen, Menschen fallen sich in dieArme und begrüßen sich, alshätten sie sich jahrzehntelangnicht gesehen. Auf vier riesigenMonitoren, die unter der Hallendecke hän-gen, sieht man Fotos von gesund und glück-lich aussehenden Frauen und Männern.Dazu werden große Lettern eingeblendet:„Beyond the horizon“ – hinter dem Hori-zont. Es ist das Motto des diesjährigenEvents „Spirit of Lifeplus 2017“ des ameri-kanischen Nahrungsergänzungsmittel-Konzerns Lifeplus in der Stuttgarter Mes-sehalle, zu dem etwa 15 000 Menschen ge-pilgert sind. Und diese sitzen nun, an einemstrahlenden Sommertag, in der Messehal-le 1 in schier endlos scheinenden Stuhlrei-hen und warten auf den Auftritt ihrer Idole.

    Eine Frau betritt mit ihrem Mann dieHalle, fädelt sich in die vorletzte Stuhlreiheein – und gerät in Panik. „Ihr habt doch ver-sprochen, uns einen Platz zu besetzen, wa-rum habt ihr das nicht getan?“, fragt sie ihreBekannten. Sie ist den Tränen nahe. Kei-nen Sitzplatz an diesem wichtigen Tag indieser riesigen Halle zu ergattern muss fürdie Lifeplus-Anhänger eine albtraumhafte Vorstellung sein. Glücklicher sind diejeni-gen, die schon um Punkt acht Uhr am Mor-gen zur Saalöffnung die Hallein Scharen enterten und sicheinen der guten Plätze ganzweit vorne sicherten. Nah bei den Stars, nah dran an denEmotionen, den Hoffnungen, dem echten, wahren Lifeplus-Gefühl.

    Dann geht es los. Kurz nachzehn Uhr gehen die Lichteraus, die Musik wird noch lau-ter, Nebel steigt auf, Laser-strahlen durchdringen das Dunkel. DerModerator und Top-Lifeplus-Mann Ott-mar Job betritt die Bühne und strahlt übersganze Gesicht. „Es ist ein Wahnsinn, hier zusein, ich spüre diese unglaubliche Energie,die von euch ausgeht“, ruft er in die Menge und erntet ein begeistertes Jubeln. Fähn-chen werden geschwenkt, Selfies geschos-sen und Videos gedreht.

    Diejenigen, die heute das erste Mal hierbeim Event seien – im Lifeplus-Jargon sinddas die sogenannten „Believer“, also dieMenschen, die an sich und an die Kraft desUnternehmens glauben – sollten nun bitteaufstehen und sich begrüßen. Daraufhinerheben sich schätzungsweise 3000 Men-schen, sie schütteln sich die Hände, fallensich um den Hals und jauchzen, als gäbe es

    etwas Unglaubliches zu feiern. Es sindMenschen aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, der Schweiz, den Nie-derlanden, sogar aus Kanada, Norwegen,Schweden und den USA. Es sind Menschenaller Couleur: dicke und dünne, große undkleine, Teenager, Mittfünfziger und Senio-ren, Menschen mit Kindern neben sich undBabys auf den Armen. Es sind Menschen mit Sportschuhen oder High Heels an denFüßen. Alle sind sie an diesem Wochenendenach Stuttgart gereist, um sich und einUnternehmen zu feiern, dem sie sich offen-sichtlich eng verbunden fühlen.

    Als der Firmengründer Bob Lemon dieBühne betritt, gibt es kein Halten mehr.Wer sich jetzt nicht vom Stuhl erhebt undin das rhythmische Klatschen einfällt, wirdmit strafenden Blicken bedacht. „Oh, es fühlt sich so toll an, heute hier zu sein, meinHerz hüpft vor Freude“, ruft der etwa 80-Jährige – Lemons genaues Alter ist unbe-kannt – wie ein Popstar in die riesige Men-ge unter ihm. „Ihr seid für mich die Zukunftvon Lifeplus! Nur ihr, die echten, wahrenund atmenden Menschen, habt all das mög-lich gemacht, was mit Lifeplus geschehenist. Wir haben es zusammen geschehen las-sen! Die Mischung aus unseren Talentenund euch wunderbaren Menschen, das ist

    Lifeplus und macht uns zu soetwas Besonderem!“ WiederJubel.

    Lemon erzählt seine Ge-schichte, wie er sie schon oftund an vielen Orten erzählthat: Als er vor vielen Jahrenals Pharmazeut seine Apothe-ken betrieben habe, habe er ir-gendwann festgestellt, dassdie meisten Menschen zu vie-le Medikamente genommen

    hätten. „Sie mussten Arzneien schlucken,um die Nebenwirkungen anderer Arzneienzu lindern“, sagt er. Schließlich, vor etwa 25Jahren, habe er dann den jungen ArztDwight McKee getroffen und mit ihm ge-meinsam seine persönliche Vision wahr ge-macht: allen Menschen mittels pflanzli-cher Präparate zu helfen und ihnen damit„zu einem besseren, glücklicheren Leben“zu verhelfen. Die Idee und das Unterneh-men Lifeplus waren geboren.

    Aus den kleinen Anfängen ist bis heuteein global agierendes Unternehmen mitHauptsitz in den USA geworden, die Euro-pazentrale operiert von Großbritannienaus. Produziert und vertrieben werdenMultivitaminpillen und Protein-Shakes,Omega-3-Fettsäuren, Pülverchen zum

    leichteren Abnehmen und Körperpflege-produkte. Die sogenannten Vitalstoffe –der Renner schlechthin – vertreibt Lifepluszwar nicht explizit unter diesem Namen, dennoch begegnet man dem Begriff immerund überall, wenn man sich mit Lifeplus-Anhängern unterhält.

    Vor der Halle sitzen zwei Besucherin-nen aus Bonn in der Sonne und rauchen.„Ich hatte ständig Kopfschmerzen und jah-relang Meningitis“, erzählt die eine. „Nachein paar Wochen der Einnahme von Vital-stoffen hatte ich nichts mehr.“ Dass in denLifeplus-Pillen nachgewiesenermaßeneine um ein Vielfaches zu hoch dosierte Vi-tamindosis enthalten sei, störe sie nicht.„Wenn ich so Zeug im Drogeriemarkt kaufe,ist noch Chemie beigemischt – da nehmeich doch lieber das von Lifeplus.“ Und über-haupt: Großartig sei dieses Event, ein un-glaublicher Spirit herrsche in der Stuttgar-ter Messehalle. Lifeplus habe eine „sanfteRevolution“ in Gang gesetzt, es gehe hiereinfach nur um ganz viel positives Denken.

    Ein paar Meter weiter steht ein MannMitte dreißig und vespert einen Supreme-Riegel, Inhaltsstoffe: Magnesium, Kalzium,Vitamine D, B12, B2, B6 sowie Niacin. Er seiberufsunfähiger Maler, erzählt der Mann,sein Arzt habe ihm kein langes Leben prog-nostiziert. Doch dann habe er Lifeplus ken-nengelernt, nun gehe es ihm körperlichsehr gut und mental sowieso. Denn bei Life-plus sei Zwischenmenschliches sehr wich-tig. Aber warum wirkt das Event wie dieWerbeveranstaltung einer Sekte? „Ist dochschön, wenn sich alle als eine große Familiefühlen. Hast du keine Familie?“

    Der Vertrieb des riesigen US-Konzerns,der keinerlei Zahlen bezüglich Umsatz undGewinn herausgibt, basiert auf dem soge-nannten Multi-Level-Marketing, kurzMLM: Person A – nennen wir sie Anna –kauft und konsumiert Lifeplus-Produkte,etwa um abzunehmen. Ihre Freundin Bea-te, Person B, findet sich ebenfalls zu dickund kauft auf Empfehlung von Anna nunauch das Produkt. Für diese Empfehlungerhält Anna einen Bonus in Höhe von fünfProzent. Eine dritte Person, Christiane, in-teressiert sich nun dafür und bestellt wie-derum bei Beate. Für diesen Schritt erhältBeate einen Bonus von fünf, Anna einenvon 25 Prozent. Christiane ist nun so be-geistert, dass auch sie die Produkte weiter-empfiehlt, nämlich an Doreen. Kauft dieseein, erhält Christiane dafür fünf und Beate25 Prozent, Anna als erstes Glied in der Kette und Ursprungsverkäuferin streichtimmerhin noch zehn Prozent ein. Der Bo-

    nus für Anna ist allerdings an eine Bedin-gung geknüpft: Sie muss noch drei weitere sogenannte „aktive Beine“ haben, also Partner, die jeden Monat zu einem Min-destbetrag bei Lifeplus bestellen. Je mehrPartner Anna wirbt und je mehr Menschenunter ihr als ihre „Downline“ arbeiten, um-so höher ist ihr eigener Verdienst, und um-so schneller kommt sie an die begehrtenSonderauszeichnungen von Bronze überSilber und Gold bis Diamant. Für die beson-ders Fleißigen gibt es zusätzlich Sternchen.

    Diese Vertriebsstruktur wirkt wie einSchneeballsystem – das wäre hierzulande verboten. Doch Lifeplus be-dient sich eines legalenTricks: Man muss kein eige-nes Kapital einsetzen, es gehtlediglich um die Weiteremp-fehlung der Produkte. Zumin-dest theoretisch. Praktisch funktioniert das System so:Kauft man nicht selbst jedenMonat Produkte im Wert vonetwa 60 Euro ein – Lifeplusrechnet in den sogenanntenInternationalen Punkten (IP) – ist mannicht provisionsberechtigt. Bei rund 60Euro im Monat kommt jeder Einzelne also auf Ausgaben von etwa 720 Euro pro Jahr.

    Die Professorin Claudia Groß von derUniversität Nijmegen betrachtet diese Ver-triebsstruktur kritisch: Das Unternehmenagiere in einer rechtlichen Grauzone. „Die Kriterien für die Definition eines Schnee-ballsystems treffen nicht zu, weil jedes Mit-glied von Lifeplus automatisch auch Ge-schäftspartner wird und somit kein norma-ler Verbraucher mehr ist“, sagt die Expertinfür Empfehlungsmarketing. Auch bezüg-lich des Verdienstes schlüpfe Lifeplus im-mer in eine Nische: Das Unternehmen ver-meide es partout, den Kunden und Part-nern Einkommensversprechen zu machen.

    Die zwei Worte „finanzielle Unabhän-gigkeit“ kommen freilich in Werbemittelnund im direkten Dialog mit Lifeplus-Leu-ten ständig vor. Von Freiheit wird gespro-chen und von Chancen, von Inspirationund ziemlich viel vom Glücklichsein. Gleichzeitig ist das Unternehmen aber auch sehr vorsichtig. „Denken Sie daran:Lassen Sie sich nicht von Behauptungen ir-reführen, hohe Einnahmen seien leicht zuerzielen“, steht in einem Flyer.

    Das eigentliche Problem sieht die Ex-pertin Claudia Groß bei den Vertrieblernselbst, von denen es zwei Sorten gebe.„Zum einen gibt es die Personen, die nullAhnung von der Materie Ernährung und

    Gesundheit haben, aber dennoch in diesemBereich beraten. Diese Leute werden zwarvon Lifeplus geschult, aber eben immer nurproduktabhängig.“ Die andere Sorte wiede-rum seien die Vertriebler mit Fachwissen, also etwa Mediziner, Heilpraktiker und Apotheker. Hier vertraue der Käufer aufderen Expertise, was der Verkäufer wiede-rum missbrauche: „Denn derjenige, derdiese Produkte empfiehlt, verdient ja nichtan der Beratung, sondern am Produktselbst – es kann hier also gar keine unab-hängige Empfehlung stattfinden, sondernes wird einfach nur das Produkt empfoh-

    len.“ Bei Unternehmen miteiner ähnlichen Vertriebs-struktur wie Tupperware seidas in Ordnung, bei Nah-rungsergänzungsmitteln hal-te sie das für fatal.

    Welche Versprechungengemacht werden, hat bei-spielsweise die Mutter einesbehinderten Kindes erfahren.Sie wandte sich kürzlich an dieVerbraucherzentrale Baden-

    Württemberg mit der Frage, was von Life-plus-Produkten eigentlich zu halten sei,weil sie Zweifel an der Wahrhaftigkeit desUnternehmens habe. Über ihre Yogalehre-rin hatte sie eine Heilpraktikerin kennen-gelernt, die ihr wiederum weismachenwollte, dass durch die richtige Gabe der so-genannten Vitalstoffe Krebs oder Gende-fekte heilbar seien. „Solche Thesen sind ab-soluter Humbug und auch nicht rechtens“, betont Christiane Manthey von der Ver-braucherzentrale. Ähnlich wie jene Heil-praktikerin schürten viele Lifeplus-Ver-käufer Erwartungen bei ihren Kunden, dienicht eingehalten werden könnten, soManthey. „Und das, obwohl offiziell keinerder Lifeplus-Vertriebler ein Gesundheits-versprechen machen darf.“

    Auch Dwight McKee weiß das. Der Ame-rikaner mit dem grauen Schnauzbart istBob Lemons Kompagnon und der wissen-schaftliche Direktor von Lifeplus. Sorgfäl-tig vermeidet er medizinische Aussagenund Versprechen, lieber redet er davon, denMenschen den „Weg zu einem besseren, ge-sünderen und glücklicheren Leben“ zu zei-gen. Was Lifeplus tue, gründe auf einerJahrtausende alten Wahrheit, ruft er insPublikum. Dann sagt er aber doch: „Genex-pressionen verändern unsere Gesundheit.Mit Lifeplus können wir die Langlebigkeitund die Gesundheit der nächsten Genera-tion verändern!“. Dann verlässt er unterriesigem Jubel der Menge die Bühne.

    Ganz großes Kino Gesellschaft Jährlich pilgern 15 000 Menschen in die Stuttgarter Messehalle zu einem Event des Pillenkonzerns Lifeplus. Was zieht die Massen an? Von Claudia Bell

    „Es ist ein Wahnsinn, hier zu sein. Ich spüre diese unglaubliche Energie, die von euch ausgeht.“Der Moderator Ottmar Job begrüßt das Publikum.

    „Die Mischung aus unseren Talenten und euch wunderbaren Menschen, das ist Lifeplus.“Firmengründer Bob Lemon bei seinem Auftritt

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    28 Nr. 140 | Mittwoch, 21. Juni 2017STUTTGARTER ZEITUNGREPORTAGE