Ganzglastreppe mit transparenten SGP-Klebeverbindungen – Konstruktion und statische Berechnung

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151 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 76 (2007), Heft 3 1 Einleitung Im konstruktiven Glasbau werden für Anschlußdetails meist gebohrte Punkt- halter oder mechanische Klemmteller verwendet. In solchen Verbindungen treten häufig Spannungsspitzen auf, die der spröde Werkstoff Glas nicht duktil abbauen kann. Dagegen wer- den beim Kleben die Anschlußkräfte flächig eingeleitet. Außerdem wird eine Vorschädigungen der Verglasung durch mechanische Bearbeitung der Anschlußpunkte vermieden. Diese offenkundigen Vorteile führen zu in- tensiven Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet des Klebens von Glas. Die Untersuchungen konzentrieren sich dabei vor allem auf Silikonkleb- stoffe, die wegen ihrer hervorragen- den Alterungsbeständigkeit unter be- stimmten Bedingungen bauaufsicht- lich zugelassen sind, und auf höher- feste und hochtransparente Acrylate. Eine neue Alternative hierzu stellen die transparenten SGP-Folien (SentryGlas Plus ® ) dar, die derzeit als Zwischen- schicht von hochbeanspruchten Ver- bundgläsern (blast resistance) einge- setzt werden. Die Glastreppe, die im folgenden beschrieben wird, soll zei- gen, daß diese neue Technik auch für lastabtragende Verbindungsdetails des konstruktiven Glasbaus eingesetzt werden kann und damit neue Anwen- dungen ermöglicht, die weit über die Zwischenschicht von Verbundgläsern hinausreichen. 2 Ganzglaskonstruktionen und Klebeverbindungen Schon seit einigen Jahren werden Fassaden realisiert, bei denen die Ver- glasung linienförmig mit Silikon auf eine Unterkonstruktion aus Alumi- nium geklebt wird. Silikon zeichnet sich durch eine sehr hohe Beständig- keit gegen Umgebungseinflüsse aus. Die dicke und elastische Silikonfuge ist in der Lage, die unterschiedlichen thermischen Dehnungen der Füge- partner dauerhaft aufzunehmen. Nach- teilig sind allerdings die niedrige An- fangsfestigkeit, die zu vergleichsweise großen Klebeflächen führt, sowie die trüb bis opake Einfärbung, die die Transparenz der Glaskonstruktionen beeinträchtigt. Daher gibt es ein großes Inter- esse an höherfesten und hochtrans- parenten Klebstoffen, wie zum Bei- spiel UV- und lichthärtende Acrylate, die derzeit Gegenstand mehrerer Un- tersuchungen sind [1]. Dabei zeigt sich, daß sowohl Material und Ober- fläche der Fügepartner als auch Geo- metrie und Dicke der Klebefuge einen wesentlich größeren Einfluß auf die Tragfähigkeit haben, als bei den gut- mütigen Silikonverklebungen. Beson- deres Augenmerk muß auf die Alte- rungsbeständigkeit gelegt werden. Nicht in allen Fällen konnten hierfür befriedigende Werte nachgewiesen werden. Dies gilt insbesondere für dickere Klebefugen (> 2 mm), die bei linienförmigen Verklebungen zum Aus- gleich von thermischen Dehnungsdif- ferenzen und Fertigungstoleranzen erforderlich sind [2]. Auch Polyvinylbutyral (PVB) ist ein hochtransparenter Klebstoff, der im Glasbau eingesetzt wird. Dabei handelt es sich um einen amorphen Thermoplast, dessen Glasübergangs- temperatur im Bereich der Raumtem- peratur liegt (von 12 bis 23 °C je nach Herstellerangabe), so daß sein Ver- halten stark temperatur- und zeitab- hängig ist und eine ausgeprägte Nei- gung zum Kriechen zeigt. PVB wird daher nur als Zwischenschicht in Ver- bundsicherheitsgläsern eingesetzt und kann für lastabtragende Verklebun- gen nicht verwendet werden. Eine Alternative zu PVB stellen die SGP-Folien dar (SentryGlas Plus ® der Firma Dupont). Dies sind eben- falls transparente amorphe Thermo- Fachthemen Ganzglastreppe mit transparenten SGP-Klebeverbin- dungen – Konstruktion und statische Berechnung Stefan Peters Andreas Fuchs Jan Knippers Stefan Behling Auf der glasstec 2006 in Düsseldorf, der weltweit größten Messe der glaserzeugenden und glasverarbeitenden Industrie, wurde von der Firma Seele eine Ganzglastreppe mit einer freien Spannweite von sieben Metern errichtet. Die beiden tragenden Wangen be- stehen aus jeweils einer mehrlagigen Floatglasscheibe ohne Stoß. Neben der großen Spannweite der Glasscheiben ist vor allem die Verwendung einer neuartigen Klebetech- nik mittels hochtransparenter SGP (SentryGlas ® Plus)-Folien bemerkenswert. Im Mittel- punkt dieses Aufsatzes stehen das statische Konzept der Treppe sowie die Ausführung und Bemessung der Klebeverbindungen. Glass staircase with transparent SGP bonding foils – structural details and analysis. At the Glasstec 2006 in Düsseldorf, the worlds largest fair for the glass-producing and trading industry, a glass staircase with a free span of 7,0 m was erected by the company Seele. Each of the supporting walls of the staircase consists of one laminated float glass pane without any joints. In addition to the large span of the glass panes an innovative aspect is the new adhesive joining technique using the highly transparent SGP (SentryGlas ® Plus) foils. This report focuses on the structural layout of the staircase as well as on the application of the new bonding technique and the structural analysis of the adhesive joints. DOI: 10.1002/stab.200710017

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151© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 76 (2007), Heft 3

1 Einleitung

Im konstruktiven Glasbau werden fürAnschlußdetails meist gebohrte Punkt-halter oder mechanische Klemmtellerverwendet. In solchen Verbindungentreten häufig Spannungsspitzen auf,die der spröde Werkstoff Glas nichtduktil abbauen kann. Dagegen wer-den beim Kleben die Anschlußkräfteflächig eingeleitet. Außerdem wirdeine Vorschädigungen der Verglasungdurch mechanische Bearbeitung derAnschlußpunkte vermieden. Dieseoffenkundigen Vorteile führen zu in-tensiven Forschungsaktivitäten aufdem Gebiet des Klebens von Glas.Die Untersuchungen konzentrierensich dabei vor allem auf Silikonkleb-stoffe, die wegen ihrer hervorragen-den Alterungsbeständigkeit unter be-stimmten Bedingungen bauaufsicht-lich zugelassen sind, und auf höher-feste und hochtransparente Acrylate.Eine neue Alternative hierzu stellen dietransparenten SGP-Folien (SentryGlasPlus®) dar, die derzeit als Zwischen-

schicht von hochbeanspruchten Ver-bundgläsern (blast resistance) einge-setzt werden. Die Glastreppe, die imfolgenden beschrieben wird, soll zei-gen, daß diese neue Technik auch fürlastabtragende Verbindungsdetails deskonstruktiven Glasbaus eingesetztwerden kann und damit neue Anwen-dungen ermöglicht, die weit über dieZwischenschicht von Verbundgläsernhinausreichen.

2 Ganzglaskonstruktionen undKlebeverbindungen

Schon seit einigen Jahren werdenFassaden realisiert, bei denen die Ver-glasung linienförmig mit Silikon aufeine Unterkonstruktion aus Alumi-nium geklebt wird. Silikon zeichnetsich durch eine sehr hohe Beständig-keit gegen Umgebungseinflüsse aus.Die dicke und elastische Silikonfugeist in der Lage, die unterschiedlichenthermischen Dehnungen der Füge-partner dauerhaft aufzunehmen. Nach-teilig sind allerdings die niedrige An-

fangsfestigkeit, die zu vergleichsweisegroßen Klebeflächen führt, sowie dietrüb bis opake Einfärbung, die dieTransparenz der Glaskonstruktionenbeeinträchtigt.

Daher gibt es ein großes Inter-esse an höherfesten und hochtrans-parenten Klebstoffen, wie zum Bei-spiel UV- und lichthärtende Acrylate,die derzeit Gegenstand mehrerer Un-tersuchungen sind [1]. Dabei zeigtsich, daß sowohl Material und Ober-fläche der Fügepartner als auch Geo-metrie und Dicke der Klebefuge einenwesentlich größeren Einfluß auf dieTragfähigkeit haben, als bei den gut-mütigen Silikonverklebungen. Beson-deres Augenmerk muß auf die Alte-rungsbeständigkeit gelegt werden.Nicht in allen Fällen konnten hierfürbefriedigende Werte nachgewiesenwerden. Dies gilt insbesondere fürdickere Klebefugen (> 2 mm), die beilinienförmigen Verklebungen zum Aus-gleich von thermischen Dehnungsdif-ferenzen und Fertigungstoleranzenerforderlich sind [2].

Auch Polyvinylbutyral (PVB) istein hochtransparenter Klebstoff, derim Glasbau eingesetzt wird. Dabeihandelt es sich um einen amorphenThermoplast, dessen Glasübergangs-temperatur im Bereich der Raumtem-peratur liegt (von 12 bis 23 °C je nachHerstellerangabe), so daß sein Ver-halten stark temperatur- und zeitab-hängig ist und eine ausgeprägte Nei-gung zum Kriechen zeigt. PVB wirddaher nur als Zwischenschicht in Ver-bundsicherheitsgläsern eingesetzt undkann für lastabtragende Verklebun-gen nicht verwendet werden.

Eine Alternative zu PVB stellendie SGP-Folien dar (SentryGlas Plus®

der Firma Dupont). Dies sind eben-falls transparente amorphe Thermo-

Fachthemen

Ganzglastreppe mit transparenten SGP-Klebeverbin-dungen – Konstruktion und statische Berechnung

Stefan PetersAndreas FuchsJan KnippersStefan Behling

Auf der glasstec 2006 in Düsseldorf, der weltweit größten Messe der glaserzeugendenund glasverarbeitenden Industrie, wurde von der Firma Seele eine Ganzglastreppe miteiner freien Spannweite von sieben Metern errichtet. Die beiden tragenden Wangen be-stehen aus jeweils einer mehrlagigen Floatglasscheibe ohne Stoß. Neben der großenSpannweite der Glasscheiben ist vor allem die Verwendung einer neuartigen Klebetech-nik mittels hochtransparenter SGP (SentryGlas® Plus)-Folien bemerkenswert. Im Mittel-punkt dieses Aufsatzes stehen das statische Konzept der Treppe sowie die Ausführungund Bemessung der Klebeverbindungen.

Glass staircase with transparent SGP bonding foils – structural details and analysis.At the Glasstec 2006 in Düsseldorf, the worlds largest fair for the glass-producing andtrading industry, a glass staircase with a free span of 7,0 m was erected by the companySeele. Each of the supporting walls of the staircase consists of one laminated float glasspane without any joints. In addition to the large span of the glass panes an innovative aspect is the new adhesive joining technique using the highly transparent SGP (SentryGlas®

Plus) foils. This report focuses on the structural layout of the staircase as well as on theapplication of the new bonding technique and the structural analysis of the adhesivejoints.

DOI: 10.1002/stab.200710017

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plaste, die allerdings eine gänzlichandere Last/Verformungscharakteri-stik zeigen (Bild 1 und Tabelle 1). Ins-besondere die Anfangssteifigkeit beiRaumtemperatur ist deutlich höher.Derzeit werden umfangreiche Unter-suchungen zur Charakterisierung desmechanischen Verhaltens und der Al-

terungsbeständigkeit von SGP durch-geführt [3]. Wegen der höheren Glas-übergangstemperatur von 55 °C fälltdie Steifigkeit erst ab einer Tempera-tur von ca. 40 °C spürbar ab. Bis zudieser Grenze erreichen Verbundgläsermit SGP-Folie fast die Steifigkeit einermonolithischen Einzelscheibe gleicherDicke. Die Folien werden bisher vorallem fürZwischenschichten von hochbeanspruchten Verbundgläsern (blastresistance) verwendet. Die günstigenmechanischen Eigenschaften legen je-doch ihre Verwendung für lastabtra-gende Verklebungen nahe, wie dies beidieser Treppe vermutlich zum erstenMal erfolgt ist.

3 Konzeption und Gestaltung der Treppe

Im Anschluß an die glasstec 2004 be-gann ein intensiver Dialog zwischen derFirma Seele und dem IBK Forschung +Entwicklung über die Möglichkeitenund das gestalterische Potential derneuen Laminiertechnik im Bereich des

konstruktiven Glasbaus und der Fas-sadentechnik. Im Verlauf eines kon-tinuierlichen Entwicklungsprozesseskristallisierten sich Anfang 2006 zweiKonstruktionen heraus, die zur glasstec2006 realisiert werden konnten und diegeeignet schienen, die Leistungsfähig-keit dieser neu entwickelten Technolo-gie zu demonstrieren: eine frei span-nende Ganzglastreppe und eine 6 mhohe Ganzglasfassade. Erfahrungenaus unterschiedlichsten Forschungs-projekten flossen in die Konzeptionender Treppe ein. Die heute üblichenGlaskonstruktionen trennen oftmalsnoch zwischen linearen Verbindungs-elementen aus Stahl oder Aluminiumund der flächigen Verglasung. Diese Artder Konstruktion nutzt das konstruk-tive Potential des Glases nicht vollstän-dig aus. Für einen ganzheitlichen Kon-struktionsansatz ist ein kraftschlüssi-ger Verbund erforderlich, wofür sichdie Klebe- bzw. Laminiertechnologieals ideale Fügetechnik anbietet. Dankder neuartigen, hochtransparenten Ver-fahren scheinen die Glasscheiben vorden auf das konstruktiv notwendigeminimierten Beschlagteilen zu schwe-ben – in Wahrheit bilden sie einekraftschlüssige Einheit. Durch dieVerbindungstechnik werden die ein-zelnen Elemente zu einer tragfähigenGesamtkonstruktion gefügt, gleich-zeitig wird aber auch die Montagebzw. Demontage ermöglicht. DieGlastreppe ist nicht nur ein Objektder angewandten Forschung, sondernversteht sich gleichzeitig auch als Bei-trag zurVerankerung dieser neue Tech-nologie in Architektur und Design(Bilder 2 und 3).

Tabelle 1. Vergleich effektiver Schubmodul G (MPa) von SGP- und PVB-Folien(nach [8])Table 1. Comparison of effective shear modulus of SGP and PVB foils

T °C 3 Sek 1 Min 1 Std 1Tag 1 Mo 1 Jahr

20 °C 8,060 1,640 0,840 0,508 0,372 0,266

PVB30 °C 0,971 0,753 0,441 0,281 0,069 0,052

40 °C 0,610 0,455 0,234 0,234 0,052 0,052

50 °C 0,440 0,290 0,052 0,052 0,052 0,052

20 °C 125,000 96,000 42,700 21,600 9,700 6,500

SGP30 °C 65,700 35,400 14,600 6,900 3,100 2,900

40 °C 22,200 11,600 5,100 2,900 2,800 2,000

50 °C 7,100 3,800 2,900 2,600 2,000 2,000

Bild 1. Last-Verformungsverhalten vonSGP-Folien und PVB-Folien (nach [8])Fig. 1. Load bearing behaviour of SGPand PVB foils

Bild 2. Isometrie Treppe (IBK Forschungund Entwicklung)Fig. 2. Isometry of staircase

Bild 3. Gesamtansicht Treppe (Foto: Seele)Fig. 3. General view of staircase

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4 Gesamtstabilität

Die Konstruktion des Treppenlaufesbeschränkt sich auf nur zwei Ele-mente, die Wangen und die horizon-talen Stufen. Zu Gunsten der Klarheitder Konstruktion sollte auf vertikaleSetzstufen versichtet werden. Somitstanden diese auch nicht für die Aus-steifung der Konstruktion zur Verfü-gung. Die Beanspruchung derWangenteilt sich in zwei wesentliche Bestand-teile: erstens in die eines gelenkig ge-lagerten Einfeldträgers unter vertika-ler Belastung mit einer Spannweitevon 7 m und zweitens in die eineseingespannten Geländers mit einerhorizontalen Belastung (Holmlast).

Die Biegespannungen der Wan-gen um die starke Achse sind durchdie große statische Höhe relativ ge-ring. Die Stabilität der Wangenträgerwurde durch einen Spannungsnach-weis nach Theorie II. Ordnung über-prüft. Die Imperfektionsfigur wurdeaffin zur Geometrie der ersten Eigen-schwingung gewählt (Bild 4).

Bei der horizontalen Beanspru-chung durch die Holmlast sind dieEinspannung derWange über die Stu-fengeometrie sowie die Auflager-punkte an den Enden maßgebend fürderen Dimensionierung. Die Verbin-dung der Stufen mit den Wangen er-folgte gelenkig, um Beanspruchungs-spitzen aus einer Auflagereinspan-nung zu vermeiden. Die gesamtehorizontale Aussteifung der Treppeerfolgt über eine Scheibenwirkung

der Stufen. Dies gelingt über zwei Be-festigungspunkte je Stufenseite, dieim vorliegenden Fall dem angreifen-den Moment aus der Holmlast einenHebelarm von ca. 9 cm entgegensetzen.Die Befestigungspunkte müssen soneben den vertikalen Auflagerkräftenals maßgebende Belastung ein Kräf-tepaar aus Zug und Druck übertragen.Durch die Aktivierung der Scheiben-steifigkeit der Stufen ist dieses Prinzipauch für deutlich größere Treppenbrei-ten anwendbar. Die Wirksamkeit diesesMechanismus wird allerdings durchdie Neigung der Treppe bestimmt: jeflacher die Treppe, desto geringer dieaussteifende Wirkung und desto grö-ßer die auftretenden Kräfte (Bild 5).

Für die Berechnung mit FinitenElementen wurde ein Volumenele-mentmodell mit der Nachbildung desschichtenweisen Aufbaus der Wangenaus drei Floatglasscheiben mit 15 mmDicke und zwei Schichten SGP-Foliemit 1,52 mm Dicke erstellt. DiesesModell diente der Ermittlung der glo-balen Spannungen und Verformun-gen. Vergleichende FE-Berechnungenhaben gezeigt, daß die Steifigkeit nurgeringfügig niedriger ist als bei einerModellierung mit einer monolithi-schen Scheibe. Die räumlichen Be-rechnungsmodelle wurden neben demEigengewicht durch eine vertikaleVerkehrslast von 5,0 kN/m2 und eineHolmlast von 1,5 kN/m belastet. Letz-tere entspricht den Ansätzen für dieGlastreppe des Apple Stores in Na-goya, Japan.

Eine zentrale Fragestellung inder Entwurfsphase des Projektes war,ob die Gebrauchstauglichkeit durchQuerschwingungen beeinträchtigt wer-den könnte. In vertikaler Richtungwaren aufgrund der großen statischenHöhe der Wangenträger keine Pro-bleme zu erwarten. Es wurden hori-zontale Eigenfrequenzen von etwa4 Hz unter Eigengewicht und 3 Hzunter Vollast ermittelt. UnerwünschteEffekte sind im allgemeinen nicht zuerwarten, wenn die horizontale Ei-genfrequenz über 3,5 Hz liegt [4], [5].Die fertige Treppe bestätigte späterdie Berechnungen, da sie durch einesehr hohe Steifigkeit überzeugte. Auchbei vollem Messebetrieb waren wedervertikale noch horizontale Schwin-gungen spürbar.

5 Details und Detailnachweise

Für die Fügung der Treppe waren imwesentlichen drei konstruktive Details,das untere und obere Auflager derWangen sowie derAnschluß derTrep-penstufen an die Wangen, zu lösen.Exemplarisch soll an letzterem die Vor-gehensweise für die Auslegung undDimensionierung verdeutlicht werden.Die Konstruktion und Fügung desGlaspodestes, welche den oberen Trep-penabschluß bildete,werden hier nichtweiter behandelt.

Die Beanspruchung der Füge-punkte zwischen Stufen und Wangensetzten sich aus den vertikalen Stu-fenauflagerlasten und den bereits be-

Bild 4. Erste Eigenform der Treppe Fig. 4. First eigen-value of staircase

Bild 5. Aktivierung der Scheibensteifigkeit der Stufen über Zug- und DruckkräfteFig. 5. Activation of in-plane stiffness by a pair of compression and tension forces

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schriebenen Zug- und Druckkräftenzur Stabilisierung derWangen zusam-men. Eine problemlose Austausch-barkeit von beschädigten Stufen warwichtiger Bestandteil des Konzeptesund führte letztlich zu der gewähltenkonstruktiven Lösung, welche aufge-klebte Beschlagteile auf der Wangen-innenseite und einlaminierte Stahl-bleche im VSG-Aufbau der Stufe vor-sah. Eine wesentliche geometrischeForderung aus der Statik war einesymmetrische Einleitung derZug- undDruckkräfte in die Beschlagteile zumErreichen einer möglichst gleichmä-ßigen Spannungsverteilung in derKlebefläche. In der endgültigen Um-setzung wurden für die BeschlagteileEdelstahlteile aus Flachstahl der Dicke15 mm mit einer Fläche von 100 ×39 mm gewählt, die zur Stufenseitehin schienenartig ausgefräst waren,um die Treppenstufenanschlüsse auf-

Bild 6. Befestigungspunkt Stufen/Wange (Zeichnungen: Seele)Fig. 6. Detailed drawing of step joint

nehmen zu können. Der stufenseitig,auf Höhe der mittleren der drei tra-genden Scheiben einlaminierte Flach-stahl bildet zum einen das vertikaleAuflager der Stufen und gleichzeitigdie zug- und druckfeste Verbindungzum Beschlagteil der Wange durchinsgesamt vier stirnseitig eingedrehteEdelstahlschrauben M8, die zudem denToleranzausgleich sichern (Bilder 6und 7).

Die Befestigung jeder Treppen-stufe über insgesamt vier (je Stufen-seite zwei) geklebte Halter mit derWange läßt auch das Versagen einerdieser Klebepunkte zu, ohne ein Her-abfallen einer Stufe zu verursachen.

Die FE-Nachweise der Detailsund Klebeverbindungen erfolgten anAusschnittsmodellen. Die hierbei er-mittelten Ergebnisse sind von sehrvielen Parametern abhängig, die vonder Wahl des Berechnungsprogramms

und dessen Volumenelementen, derVernetzung bis hin zu den Ansätzenfür Materialeigenschaften der Klebe-schichten reichen. Daher müssen dieFE-Berechnungen für den Nachweisder Klebeverbindungen an Bauteil-versuchen verifiziert werden (Bilder 8und 9).

Bild 7. Befestigungspunkt Wange(Foto: IBK Forschung und Entwicklung)Fig. 7. Photo of step joint

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Die Versuchsaufbauten orientie-ren sich an den Belastungen, die auchan der Treppe auf die Beschlagteileerwartet wurden: Zug, Druck, Biege-zug auf Floatflächen sowie auf VSG-Float-Stirnseiten. Neben der Erfassungder typischen Bruchbilder dientendiese Versuche vor allem auch der Er-mittlung von Bruchfestigkeiten Ru,5als Anwendungsgrenzen für die un-terschiedlichen Belastungen. In An-lehnung an die ETAG Nr. 002 wurdefür die Ermittlung der Bruchfestigkei-ten aus Versuchsergebnissen an Kle-beproben folgender Toleranzbereichangewandt:

R x su aß, , ,5 σ τ τ= − ⋅

Bild 8. Zugversuch und dazugehörigesFE-ModellFig. 8. Tension test and correspondingFE-model

Bild 9. Balkendiagramm mit Versuchsergebnissen und Vergleich Mittelwert/Bruchfestigkeit (für den Zugversuch)Fig. 9. Test results in comparison to design values

Arithmetischer Mittelwert:

Standardabweichung:

τaß Variablen in Abhängigkeit von derZahl der Prüfkörper [6]

Die Annahmen entsprechen folgen-dem Schrankenkriterium: Mit einerWahrscheinlichkeit von 75 % über-schreiten 95 % der zukünftigen Prüf-ergebnisse den Wert Ru,5 (Bild 8).

In der weiteren Vorgehensweisewurden die Bauteilversuche ebenfallsmit FE-Modellen nachgerechnet. Da-bei wurden die gleichen Vernetzun-gen und Materialgesetze gewählt, wiesie bei den Details derTreppe Anwen-

x x x x

nn= +

−( ) + + −( )− 1

12 2

...

sn

x xii

n

= +−

−( ) ==∑1

12

1

xn

x x x xni

i

nn= = + + +

=∑1

1

1 2 ...

dung finden sollten. Dadurch erhieltman für jede untersuchte Belastungs-art zugehörige Bruchspannungsver-läufe im Glas bzw. in den SGP-Schichten, die für die Dimensionie-rung der Treppendetails als Anwen-dungsgrenze gelten sollten. Der Si-cherheitsbeiwert γ als Verhältnis vondiesen Bruchspannungen zu den unterrealer Beanspruchung errechnetenSpannungen wurde bei dieser Treppezu etwa 3 bis 4 gewählt. Die Inter-aktion gleichzeitig auftretender Zug-und Schubspannungen wurde in An-lehnung an [7] folgendermaßen durch-geführt:

σZ,Sd einwirkende Zugspannung senk-recht zur Klebefläche

σZ,Rd Widerstand senkrecht zur Klebe-fläche

τSd einwirkende Schubspannunglängs zur Klebefläche

τRd Widerstand längs zur Klebe-fläche

σσ

ττ

Z Sd

Z Rd

Sd

Rd

,

,

⎝⎜⎞

⎠⎟+

⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

<2 2

1

Zahl der Prüfkörper 5 6 7 8 9 10 15 30 ∞

Variable τaß 2,46 2,33 2,25 2,19 2,14 2,10 1,99 1,87 1,64

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6 Aufbau und Montage

Für den Erhalt der Standgenehmigungwar die Prüfung der Konstruktion instatischer und bautechnischer Hinsichtdurch einen von der Messe Düssel-dorf beauftragten externen Prüfinge-nieur notwendig. DerTatsache, daß essich um einen neuartigen Technolo-gieträger auf einer Innovationsmessehandelt, wurde bei der Prüfung Rech-nung getragen. Die neuartige Verbin-dungstechnik konnte in einem sehrengen Zeitrahmen durch Versuche undBerechnungen nachgewiesen werden.Den Umfang einer sonst notwendigen„Zustimmung im Einzelfall“ erreichtdieses Verfahren allerdings nicht.

Die Fertigung solch großformati-ger Glasbauteile stellt sehr hohe Anfor-derungen an die ausführenden Firmen.Sowohl derZuschnitt der Glasteile, dieVerklebung der einzelnen Scheiben zuVSG mit Verklebung der Edelstahlbe-schlagteile als auch die Nachbearbei-tung der Glaskanten konnten beimAuftraggeber auf dem firmeneigenenGlasbearbeitungszentrum und im Au-toklav aus einer Hand an einem Ort ineinem sehr engen Zeitfenster ausge-führt werden. Die Beherrschung derWarmverklebung über Druck undTemperatur in einem Autoklav erfor-dert große technische Erfahrung in derVorbehandlung,Ausrichtung und Fixie-rung der Fügeteile sowie in der Wahldes Temperaturprogramms für die Her-stellung derVerklebungen.

Für die Montage der Treppe aufder Messe wurde zuerst das separatstehende Glaspodest aufgestellt undam Boden verdübelt. Im Anschlußwurden die Treppenwangen mit ihrenAbmessungen von 8,50 × 1,30 m und

einem Gewicht von 1,3 t in die beidenAuflager eingehoben und zunächst inihrer Lage stabilisiert. Danach wur-den die Stufen in die BeschlagteilederWangen eingeschoben und fixiert.Nach dem Einbau aller Stufen konn-ten die Hilfsbefestigungen entferntwerden. Insgesamt wurden für denAufbau der Treppe ca. vier Tage mit jevier Monteuren benötigt (Bild 11).

7 Schlußbemerkungen

Auch wenn bis zu einer zukünftigenZulassung dieser Bauweise noch um-fangreiche Untersuchungen hinsicht-lich der Alterungsbeständigkeit durch-zuführen sind, zeigt die Treppe dasgroße Potential dieser neuen Klebe-technologie. Dies wurde auch durchden Innovationspreis Glas und Archi-tektur der Messe Düsseldorf, mit demdie Treppe ausgezeichnet worden ist,

und vor allem durch das große Inter-esse der Messebesucher bestätigt.

Projektbeteiligte:Fertigung und Montage:Seele GmbH & Co KG, Gersthofen Konzeption und Gestaltung:TTI GmbH an der Universität Stuttgart,IBK Forschung + Entwicklung,Prof. Dipl.-Ing Stefan Behling,Dipl.-Ing. Andreas FuchsBerechnung und Konstruktion:TTI GmbH an der Universität Stuttgart,ITKE Entwicklung und Anwendung,Prof. Dr.-Ing. Jan Knippers,Dr.-Ing. Stefan PetersDurchführung Bauteilversuche:FH München Labor für Stahl- und LeichtmetallbauProf. Dr.-Ing. Ömer Bucak

Literatur

[1] Weller, B., Prautzsch, V., Tasche, S.,Vogt, I., Jansen, I.: Fügen und Verbindenmit UV- und lichthärtenden Acrylaten.Stahlbau 75 (2006), H. 6. S. 521–528.

[2] Peters, S.: Kleben von GFK und Glasfür baukonstruktive Anwendungen. For-schungsbericht Nr. 27 des Instituts fürTragkonstruktionen und KonstruktivesEntwerfen, Prof. Dr. Jan Knippers, Uni-versität Stuttgart, 2006.

[3] Bucak, Ö., Schuler, C., Meißner, M.:Verbund im Glasbau – Neues undBewährtes. Stahlbau 75 (2006), H. 6,S. 529–543.

[4] Petersen, C.: Dynamik der Baukon-struktionen. Braunschweig/Wiesbaden:Vieweg und Sohn Verlagsgesellschaft,2000.

[5] Bachmann, H.: Lebendige Fußgänger-brücken – Eine Herausforderung. Bau-technik 81 (2004), H. 4, S. 227–236.

[6] ETAG Nr. 002: Leitlinie für die Euro-päische Technische Zulassung für Ge-klebte Glaskonstruktionen: Teil 1: Ge-stützte und ungestützte Systeme.

[7] Vallée, T.: Adhesively bonded LapJoints of pultruded GFRP shapes. Dis-sertation, ETH Lausanne, CCLab, 2003.

[8] Bennison, S.: Structural Propertiesof Laminated Glass: Werkstoffangabenzu SentryGlas® Plus (DuPont).

Autoren dieses Beitrages:Prof. Dr.-Ing. Jan Knippers, Dr.-Ing. Stefan Peters,Institut für Tragkonstruktionen und Konstruk-tives Entwerfen, Universität Stuttgart, Keplerstraße 11, 70188 Stuttgart;Prof. Dipl.-Ing. Stefan Behling, Dipl.-Ing. AndreasFuchs, Institut für Baukonstruktionen und Entwerfen, Lehrstuhl 2, Universität Stuttgart,Keplerstraße 11, 70178 Stuttgart

Bild 10. Nachbearbeitung der Wangenmit laminierten Beschlagelementen(Foto: Seele)Fig. 10. Mechanical finishing of sup-porting walls with laminated joints

Bild 11. Montage auf der Messe (Foto: IBK Entwicklung und Forschung)Fig. 11. Erection at the fair