Gauck

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 POL T K 4 Prediger der Demokratie Joachim Gauck, 72 olitisch e r Christ Der gebürtige Rostocker ist evangelischer Pastor . Zur Wendezeit engagierte er sich beim Neuen Forum. Gauck leitete zehn Jahre lang die Stasi-Unter lagen-Behörde in Berlin . 2010 kandidierte er als Bundespräs i dent und unterlag Christian Wulff nach drei wahlgängen . ufruf an die Deutsch e n Sein neues Buch Fr e i heit. Ein P l ädoyer (Kösel Verlag) erscheint am 20. Februar.

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POLITIK

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Prediger

der Demokratie

Joachim Gauck, 72

Politischer Christ

Der gebürtige Rostocker

is t evangelischer Pastor.

Zur Wendezeit engagierte

er sich beim Neuen

Forum. Gauck leitete zehn

Jahre lang die Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin .

2010 kandidierte er als

Bundespräs ident und

unterlag Christian Wulff

nach drei wahlgängen .

Aufruf an die Deutschen

Sein neues Buch .Fre iheit.

Ein Plädoyer" (Kösel Verlag)

erscheint am 20. Februar.

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Für viele Deutsche is t Joachim Gauck der

gefühlte Bundespräsident. Der ehemalige DDR-

Bürgerrechtler verkörpert Anstand und Integrität.

Sein Wort bietet Orientierung. In seinem neuen

Buch widmet sich Gauck den Werten des Westens

und fordert uns auf, für sie einzutreten

------- AUSZÜGE AUS GAUCKS NEUEM BUCH -----FREIHEIT

I ch bin in diesem Land viel unterwegs,

und nicht selten beschleicht mich dabei

das Gefühl. einer gewissen Minderheitanzugehören. Nicht etwa , weil ich au s

Mecklenburg komme. Das ist es nicht,was dieses Minderheitengefühl erzeugt.Es ist vielmehr meine tiefe Überzeugung,dass die Freiheit das Allerwichtigste imZusammenleben ist un d erst Freiheitunserer Gesellschaft Kultur, Substanz

und Inhalt verleiht. Bei vielen Menschen

aber, die mir im Land begegnen, vennuteich eine geheime Verfassung, deren Artikel 1 lautet: "Die Besitzstandswahrung

ist unantastbar."

heit haben als etwa die US-am

nische Nation oder unser poln

Nachbarvolk?

Eine historische Erklärung führt

re Neigung, auf gu tem Fuß mitrer jeweiligen Obrigkeit zu stehe

den Dreißigjährigen Krieg (1618-zurück. Damals konnte eine ganz

neration Deutscher hingemorde

missachtet, geschändet, vertriebe

aU ihrer Rechte beraubt werden.

dem Westfälischen Frieden hätte

Landesherren ihren Untertanen dientbehrte Sicherheit, Rechtssichun d Uberlebenschance garantiert

daher rühre die tiefe Dankbarke

jeweiligen Obrigkeit gegenüber.

Ich habe nichts gegen Besitz , au chnichts gegen materielle Sicherhei t. Das

alles ist erfreulich, vor allem wenn man

darauf verzich te n musste wie meine

Generation, die Krieg und Nachkriegs

zeit erlebt hat. Aber wie kommt es, dass

wir Deutschen ein erkennbar anderes

Verhältnis zum Grundprinzip der Frei-

Ich kann un d will diesen Erklär

versuch nicht fachlich beurteilen

sache ist jedenfalls, dass sich be

Deutschen ein besonderes Verhur Freiheit entwickel t hat.Heinrich Heine hat es einmal

Bonmot gefasst. In seinen "Engl

Fragmenten" heißt es:

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POLITIK

"Der Engländer liebt die Freiheit wiesein rechtmäßiges We ib. Er besitzt sie,und wenn er sie auch nicht mit absonderlicher Zärtlichkeit behandelt, so weiß

er sie doch im Notfall wie ein Mann zu

verteidigen. Der Franzose liebt die Freiheit wie seine envählte Braut. Er wirftsich zu ihren Füßen mit de n überspann-

testen Beteuerungen. Er schlägt sich rufsie auf Tod und Leben. Er begeht für

sie tausenderlei Torheiten. Der Deutscheliebt die Freiheit wie seine Großmutter."

Ich kann nicht behaupten, dass michHeines Worte ge tröstet

hätten. Inzwischen weißich aber, dass er nur

bedingt Recht hatte. Dennder 17. Juni 1953 und das

Jah r 1989 haben mich

gelehrt , dass sich auch

Deutsche für die Freiheit"schlagen " können.

So ha t 1989 mein Leben

in e ine r wunderbaren

Weise verwandelt. Ich warplötzlich wieder in einer

positiven Beziehung zu

meiner Nation, we il die

Menschen im Osten, die

so lange ohnmächtig gelebt haben, die Freiheitplötzlich liebten - nichtnur Minderheiten vonDissidenten, Widerständlern un d Oppositionellen,nem, breite Schich ten

aus der Mitte einer Bevölkerung heraus,die viele lange Jahre ganz gut in einer

unüberzeugten Minimalloyali tät überwintern konnten. Denn in der DDR hat

sich nicht eine Implosion ereignet, dieEn twick lung verdankt sich auch nichtnur dem guten Willen eines Herrn Gorbatschow. Letztendlich sind es deutsche

Bürgerinnen und Bürger gewesen, die aufden sächsischen Straßen eine Erkennt

nis umgesetzt haben, die in Frankreichals kostbarstes Wort der Politikgeschichtelängst in jedem Klassenzimmer hängen

würde: "Wir sind das Volk! "Dieser Satz ha t uns gelehrt, dass wir,

wenn wir unserer Sehnsucht glauben

und ihr vertrauen, die Angst verlierenkönnen. Eine Angst. die die willfährigeDienerin jeder Art von nicht legitimierter Herrschaft ist, die uns ohnmächtig

macht, die uns bindet. In dem Augenblickaber, in dem wir unsere Angst als Angst

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)) Ieh glaube nicht,dass derjenige,demaUesegal ist, einenPreis für Toleranzverdient ((

Strahlende Gewinner und Verlierer

Wen ige Tage nach der Bundespräsidenten-

wahl 2010 fe iern Joachim Gauck und

seine Lebensgefährtin Oaniela Schadt

mit dem Ehepaar Wulff auf dem Sommer-

fest im Schloss Bel levue in Berlin

Bundespräsidentenwahl

Ergebnisdes

drittenWah

lgangs

Christian Wulff Joaehim Gaudi:CDU, CSU, SPD, Grüne .

FDP SSW

Stimm en

Knappe Entscheidung Erst im dritten

Wahlgang konnte sich Christian Wu lff in

der Bundesversammlung durchsetzen

Que ll< : Deut. ehe r BU """"8 i

benennen und Anpassung und

als Geschwis terkinder erkennen

wir möglichen.veise bereit zu erpKönnen wir auch ohne sie lebgenau diesem Augenblick wachs

jene Kräfte zu , die eine ganze

schaft verändern können.

VERANTWORTUNG

E in Jahr etwa nach de r fried

Revolution kam ich e inmal

in meine Heimatstadt Rostock. Izu dieser Zeit schomehr Pfarrer, sondpolitischen RaumDa kam ein eh

ge r Amtsbruder u

klagte sich: "Du g

nicht, wer je tzt adie Ämter drängelerstens die alten

sen un d zweiten

Katholiken. " Er em

Widerwillen gege

neue Situation. Doze igte kein Verstfragte vielmehr: "

Freund, hast du

selbst de n Fingerben, als es um dieging, auf denen je

sitzen, deren An

heit du beklagst?"Auf die Idee war e

gekommen: Er seiMacht kritisch zu beäugen und z

rollieren. "Aber selbst Macht ausü

Dazu sei er gar nicht ausgebildet.Da war es, dieses merkwürdige

mögen, aktiv zu werden, wenn a

Sehnsucht nach Freiheit die Ges

von Freiheit wird. Plötzlich füllendiejenigen die öffentlichen Räumewir gar nicht oder nur wenig vertr

Zu üben ist also nicht eine Fähigk

wir mühsam studieren müssen, zist die Bereitschaft, ja zu sagen

vorfindlichen Möglichkeiten der

tung und Mitgestaltung. Wenn wderart zu der in uns wohnenden Fäund zu der uns umgebenden Wirkverhalten, dürten wir dies als Veratung bezeichnen. Ich nenne die Fder Erwachsenen "Verantwortung

Wenn ich für Freiheit als Verantwwerbe, mache ich das so: Wir könn

eigentlich alle. Denn wir alle hab

FOCUS

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natürliches Empfinden für eine Aufgabeoder kennen die Hingabe. Schon bevorwir politisch werden, lernen wir, dass

es möglich is t, die Bezogenheit auf das

eigene Selbst hintanzustellen.Wir sind geboren zur Lebensform der

Bezogenhei l. Wir erleben sie als eine

zentrale Menschenmöglichkeit, lange

bevor wir sie politisch als Bürgerinnenund Bürger erfassen - meist keinesfallsals erdrückende Last, sondern als glückhaftes Geschehen, als Teil unserer humanen Existenz.

Schauen Sie sich die Jugendlichen an,die in der Freiwilligen Feuerwehr lernenund üben, wie man einen Brand löschtoder eine hilflose Person rettet. Oder dieDorf ugend, die nach Feierabend Fußballtrainiert. Oder die jungen Musikerinnenund Musiker aus ganz Deutschland, dieim Bundesjugendorchester gemeinsam

musizieren. Schauen Sie sich die Gesich-

ter der Menschen an, wenn sie einen

Brand gelöscht, ein Fußballspiel gewonnen oder eine Symphonie gespielt haben

- und Sie spüren, wovon ich rede.

TOLERANZ

Zum Schluss möchte ich mich noch der

Toleranz zuwenden.leh glaube nicht,wie es in einigen Teilen meiner neuen

Berli ner Heimat inzwischen üb lich ist,dass derjenige, dem alles egal ist, den

Preis für Toleranz verdient. Gleichgültigkeit ist kein anderer Name für Toleranz.Gleichgültigkeit ist vielmehr ein anderer

Name für Verantwortungslosigkeit.Manche denken, wenn ich keine Über

zeugung habe, dann kann ich auch keinen stören. Sogar manche Politiker definieren in dieser Weise" liberal". Aber wirwissen, dass wir besonders dann glaubwürdig sind, wenn wir uns zu erkennen

geben. Es ist wichtig zu begreifenwir der Toleranz nicht dienen, we

unser Profil verwässern, sondern wir uns umgekehrt unserer eigene

te wieder vergewissern. Nicht diejeverbrennen Bücher und jagen sicandere in die Luft, die sich sicheüber die Werte, die ihnen am H

liegen, sondern im Gegen teil dgen, die tief verunsichert sind, leicseelische Gleichgewicht verliereim Groll feststecken .

Wir sollten daher nicht der irrigennung sein, dass wir der ToleranzBöses antun , wenn wir noch einmalre christlich-jüdische Dogmatik ans

en, fragen , welche Werte fü r u

Gese llschaft heilsam und wichtigund sie neu zu schätzen lernen. Wder Toleranz auch nichts Böses an,wi r die Menschenrechte verteiwie sie in den letzten Jah rhunder

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POLITIK

und Jahrzehnten entwickelt un d nieder-

geschrieben wurden in der Allgemei-

nen Erklärung der Menschenrechte der

Vereinten Nationen und einer Vielzahlvon Konventionen, die detailliert de n

Schutz einzelner Menschenrechte regeln.Die Menschenrechte sind e in gemein

sames Gut der Menschheit. Und wir

dürfen un d müssen gegenüber kommu-

nistischen, fanatisch islamistischen oder

despotischen Staaten üb e r ihre Verletzung sprechen; denn als Menschen sind

wir verpflich te t, die Menschenrech te

unserer Mitmenschen zu

respek tieren und zu ver-

teidigen. Und als Deutsche, die diese Werte

erst missachtet und dan n

in einem Te il des Lan

des verloren haben, sind

wir Zeugen, wie aus der

Trauer über Schuld und

Ve rlust Fre ude über das

Gelingen entstehen kann.Kann - sage ich. Denn

wo erleben wir eine ge

lassene Freude darüber,

dass Selbstbestimmung

in unserem politischen

Raum möglich ist? Warum

ist im Diskurs zwischen

un terschiedlichen Kultu

ren die Freude des Westens an einer bewah

renden und schützenden

Freiheit kaum spürbar?

Warum gehen wir oft in die nicht demokratische We lt hinaus und tun so, als

hätte unsere demokratische Welt .Nichtwerte", fühlen uns stattdessen be troffen

von dem, was die Potentaten dort über

uns behaup ten: Wir seien Imperialisten, wir wollten ihnen unsere westlichen

Werte überstülpen?

Gerade bei meinen evangelischen Brüdern und Schwestern und einigen Grü

nen und sozialdemokratischen Ch risten sind Güte und Großmut teilweise so

unendlich groß, dass sie fortwährend alleSchuld der Welt einräumen, anstatt zu

sagen: In diesem unserem Land herrschtsei t über 60 Jahren Frieden, im Wes ten

unseres Landes werden seit über 60 Jah

ren die Bürger- un d die Menschenrechte

respektiert. Europa ist trotz mancher uns

auch ängs tigender Krisen der Kontinent,

nach dem sich die Menschen in anderen

Teilen der Welt sehnen, zu dem sie flie -

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»Di

eUnter-

drückten

derWelt verstehendie universelleSprache derMenschemechte«

Für Freiheit und Demokratie

Der spätere tschechoslowakische

Präsident Vaclav Havel ( t 2Q11)

fe ier t 1989 auf dem Wenzelsplatz

in Prag mit seinen Anhängern

das Ende des Kommunismus

hen wollen und den sie nicht erreichen.

Kann nur ein polnischer Ministerpräsident wie Donald Tusk, der die Unfrei

heit des Sozialismus erlebt hat, formu

lieren, was unser aller GrundeinsteIlung

zu Europa sein sollte: "Es ist tatsächlichder beste Ort der Welt, etwas Besseres hat

bisher niemand erdacht!"

Warum lernen wir nicht von ViiclavHavel und den anderen, die uns beibrin

gen könnten, dass die Unterdrückten der

Welt die universelle Sprache der Men

schenrechte überall verstehen? Dort, in

den Ländern mit den grünen Ba

mit den roten oder anderen Baverstehen die Unterdrückten sofo

ohne Umwege, was Menschen

Bürgerrechte fü r sie bedeuten w

Nur ihre Unterdrücker un d ihre

scher und fundamen talistische

pen, die die Menschen in Abhän

zu halten trachten, behaupten,

eine art- oder wesensfremde od

auch immer fremde Kultur.Ja , es gibt auch Mängel in u

Demokratie und Marktwirtschawissen, dass d iese

tem nicht vollkomm

und ständ iger Ve r

rung bedarf. Aber

ein lernfähiges S

das VorbildcharakDer Osten Europas

Asiens un d Nordasie alle haben sich

ein neues System

dacht, vielmehr w

hend das überno

was hier schon exiSogar die Ostdeu

und die linken Pro

te n sind darauf g

men, dass wir

neuen, dritten Weg

nen konnten.

60 Ja hre nachde

se Republik sich z

demokratischen R

lik e rklärt ha t , k

wir daran glauben, dass sie es v

eine demokratische Gesellsch

sein. Nu n müssen wir dieser G

schaft dabei helfen, daran zu gl

dass sie den neuen Herausforde

gewachsen sein wird.

Denn nur wenn wir an die Poglauben, die in uns verborgen sindwir sie nutzen und anwenden, wer

mit uns selbst zufrieden und ande

Segen sein können. Die Bewussthrüber, wozu wir in der Zukunftsges

imstande sind, muss deutlicher neb

Bewusstheit darüber treten, welche

und Verbrechen wir oder unsere Vo

in der Vergangenheit begangen hIch wünschte mir, dass sich

Gesellschaft tolerant, wertbewus

vor allen Dingen in Liebe zur Fen twickelt und nicht vergisst, da

Freiheit der Erwachsenen Ve ratung heißt.

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