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In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan- weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern. Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“. Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe. Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums. Das Schnell-Merk-System fürs Abi – aufschlagen, nachschlagen, merken Buch … Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen … und Download Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren kostenlos auf www.duden.de/abitur Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft Originalklausur mit Musterlösung Abitur Geschichte Aufgabe 1: Wiedervereinigung / Zwei-plus-Vier-Vertrag Aufgabe 2: Kaiserreich / Nationalstaat Aufgabe 3: Nationalsozialismus / Adolf Hitler Aufgabe Nachtermin: Deutscher Nationalstaat 19./20. Jahrhundert

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In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan-weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern.

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In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan-weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern.

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AbiturGeschichteAufgabe1: Wiedervereinigung / Zwei-plus-Vier-VertragAufgabe2: Kaiserreich / NationalstaatAufgabe3: Nationalsozialismus / Adolf Hitler

AufgabeNachtermin: Deutscher Nationalstaat 19./20. Jahrhundert

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Nur für den Dienstgebrauch!

Abiturprüfung 2008

Geschichte, Leistungskurs

Aufgabenstellung:

Interpretieren Sie die vorliegende Quelle, indem Sie 1. sie analysieren, (26 Punkte) 2. den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ in den historischen Zusammenhang einordnen sowie in

den Grundzügen Inhalt und Funktion des Vertrags erläutern, (28 Punkte)

3. Genschers Sicht des Vertragswerks als „Schlusspunkt der europäischen Nachkriegs-

geschichte“ aus der Perspektive und unter Berücksichtigung der Interessen aller Vertrags-partner erörtern. (26 Punkte)

Materialgrundlage: • Hans-Dietrich Genscher: Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag zum

„Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ („Zwei-plus-Vier-Vertrag“) vom 20.9.1990. In: Ders.: Unterwegs zur Einheit: Reden und Dokumente aus bewegter Zeit. Berlin 1991, S. 274 ff.

Zugelassene Hilfsmittel: • Wörterbuch zur deutschen Rechtschreibung

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Nur für den Dienstgebrauch!

Aus der Regierungserklärung von Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor dem Deutschen Bundestag zum „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ (20.9.1990) Am 12. September ist der „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutsch-land“ in Moskau unterzeichnet worden. Zusammen mit dem Einigungsvertrag, über den wir heute abschließend beraten, öffnet er uns Deutschen den Weg zur Vereinigung in Freiheit. Die Unterzeichnung des abschließenden Dokuments bildet den Schlußpunkt der europäischen Nachkriegsgeschichte. Uns Deutschen eröffnet sich eine neue Chance. Europa erhält die 5

Möglichkeit eines umfassenden Neuanfangs. Der Vertrag weist in eine bessere europäische Zukunft. Er ist ein Dokument des Friedenswillens aller Beteiligten. [...] Mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland bekennen wir Deutschen uns zur Friedensverantwortung des vereinten Deutschland. In feierlicher Form bekräftigen wir, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Wir stellen fest, daß 10

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzu-bereiten, verfassungswidrig und strafbar sind. Wir bekunden vor aller Welt, daß wir keine unserer Waffen jemals einsetzen werden, es sei denn in Übereinstimmung mit unserer Ver-fassung und der Charta der Vereinten Nationen. [...] 15

Am 3. Oktober wird das deutsche Volk wieder in einem demokratischen Staat leben – zum ersten Mal nach siebenundfünfzig Jahren. Nach dem 30. Januar 1933, an dem die Nacht des Faschismus über Deutschland hereinbrach, verloren wir zuerst unsere Freiheit und unseren inneren Frieden. Wir verloren den äußeren Frieden, und wir verloren unsere staatliche Ein-heit. Viele Deutsche verloren Leben, Gesundheit, Hab und Gut und die Heimat. Und wir 20

alle verloren die Achtung und die Freundschaft der anderen Völker. Alles das begann am 30. Januar 1933. Wir gedenken im Bewußtsein der Zustimmung der Vier Mächte zur staatlichen Einheit der Deutschen des unendlichen Leids, das in deutschem Namen über die Völker gebracht worden ist. Wir gedenken aller Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft. Wir vereinen uns in 25

dem Willen, daß alles das nie wieder geschehen darf. In besonderer Weise gelten unsere Gedanken dem jüdischen Volk. Auch das vereinte Deutschland ist sich seiner besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk bewußt. Wenn wir heute die Unterzeichnung des Vertrages über die abschließende Regelung würdi-gen, empfinden wir, daß uns die Völkergemeinschaft mit ihrem Vertrauen auf dem Wege in 30

die staatliche Einheit begleitet. Der Aufbau einer freiheitlichen Staats- und Gesellschafts-ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, die Politik des Friedens und der Verantwortung unseres Staates hat uns das Vertrauen der Völker wieder erworben. Die friedliche Freiheits-revolution in der DDR hat die Völker der Welt überzeugt, daß die Deutschen die Chance der Freiheit für Freiheit und Frieden nutzen. 35

Die Welt hat erkannt: Wir Deutschen setzen auf die friedensstiftende Kraft von Menschen-recht und Menschenwürde, von Freiheit und Demokratie. Es ist ein weiter Weg, der uns aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs hierher geführt hat. Es entstand die freiheitlichste und sozialste Staats- und Gesellschaftsordnung unserer Geschichte. Die außenpolitischen Meilen-steine dieses Weges sind die Mitgliedschaften im Europarat, im westlichen Bündnis und in 40

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Nur für den Dienstgebrauch!

der Europäischen Gemeinschaft. Mit diesen Schritten kehrten wir zurück in die Gemeinschaft der Demokratien. Mit den Verträgen von Moskau und Warschau, mit dem Vertrag mit der CSSR und dem Grundlagenvertrag mit der DDR wurde die Grundlage für ein neues Verhältnis mit unseren östlichen Nachbarn gelegt und das Verhältnis der beiden deutschen Staaten für die Zeit der 45

staatlichen Trennung geregelt. Die Namen Konrad Adenauer, Willy Brandt und Walter Scheel stehen für die Grundentscheidungen der deutschen Nachkriegsaußenpolitik. [...] Die deutsche Vereinigung eröffnet für uns Deutsche die historische Chance, gemeinsam unseren Beitrag für ein friedliches, freies und vereintes Europa zu leisten. Mit dem europäi-schen Weg der Deutschen zu ihrer staatlichen Einheit vollendete sich, was in der Präambel 50

unseres Grundgesetzes verankert wurde. [...] Wir werden unsere volle Souveränität in europäischer Friedensverantwortung wahrnehmen. Das souveräne, das demokratische und das freiheitliche Deutschland wird der Einheit, der Stabilität und dem Fortschritt Gesamteuropas verpflichtet sein. Wir wollen auch dazu beitra-gen, daß Europa seiner Verantwortung bei der Gestaltung einer neuen Weltordnung gerecht 55

werden kann. Das vereinigte Deutschland wird größeres Gewicht haben. Wir wissen, daß die Völker Europas sich die Frage stellen, wie wir Deutschen dieses größere Gewicht nutzen werden: Mit diesem größeren Gewicht streben wir nicht nach mehr Macht, wohl aber sind wir uns der größeren Verantwortung bewußt, die daraus erwächst. Die Politik des vereinten Deutschlands wird bestimmt von der Friedenspflicht und von den 60

Grundwerten unseres Grundgesetzes. Mit Hochachtung und Dankbarkeit gedenken wir der Weitsicht und Klugheit der Frauen und Männer, die unser Grundgesetz geschaffen haben. Auch mit den Erfahrungen von vier Jahrzehnten deutscher Nachkriegspolitik könnte unser Auftrag heute nicht eindrucksvoller formuliert werden als der Verfassungsauftrag in der Präambel unseres Grundgesetzes: die Einheit Deutschlands zu vollenden, Europa zu vereini-65

gen, dem Frieden der Welt zu dienen. Das bestimmt die europäische Berufung und die Friedensverantwortung der Deutschen. [...] Anmerkung: Hans-Dietrich Genscher (geboren 1927): FDP-Politiker; von 1969 – 1974 Innenminister, von 1974 – 1982 Außenminister und Vizekanzler in der sozial-liberalen Koalition, von 1982 – 1992 Außenminister und Vize-kanzler in der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl; nahm 1990 für die Bundesrepublik Deutsch-land an den „Zwei-plus-Vier“-Verhandlungen teil.

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Nur für den Dienstgebrauch!

Abiturprüfung 2008

Geschichte, Leistungskurs

Aufgabenstellung:

1. Analysieren Sie den vorliegenden Textauszug des 19. Jahrhunderts. (24 Punkte) 2. Arbeiten Sie den von Ullmann festgestellten Inhalts- und Funktionswandel des Nationa-

lismus heraus und erläutern Sie seine beiden Ausprägungen anhand historischer Ereig-nisse und Entwicklungen der deutschen Geschichte. (30 Punkte)

3. Setzen Sie sich mit Ullmanns abschließendem Urteil über das Kaiserreich (Z. 68/69)

auseinander, indem Sie die Entwicklung Deutschlands nach der Jahrhundertwende und im Ersten Weltkrieg heranziehen. (26 Punkte)

Materialgrundlage: • Hans-Peter Ullmann: Das Deutsche Kaiserreich 1871 – 1918 (Moderne Deutsche

Geschichte, Band 7). Darmstadt: Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesell-schaft 1997, S. 25 ff.; erstmals erschienen bei Suhrkamp 1995

Zugelassene Hilfsmittel: • Wörterbuch zur deutschen Rechtschreibung

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Nur für den Dienstgebrauch!

Das Kaiserreich als Nationalstaat [...] Wie sich der deutsche Nationalstaat in das europäische Mächtesystem einfügen könnte, war jedoch nur die eine, äußere Seite der Nationalstaatsgründung. Auf der anderen Seite, im Innern, stellte sich die Integration als entscheidendes Problem. Denn die Einstellung der Bevölkerung zum neuen Reich war alles andere als einheitlich. Bei vielen Übergängen und Zwischentönen gab es jene, die den Nationalstaat begrüßten, solche, die ihn im großen und 5

ganzen ablehnten, viele endlich, die seine Existenz noch kaum zur Kenntnis genommen hatten. Für die Anhänger der Nationalbewegung lagen die Dinge klar, wenigstens auf den ersten Blick. Denn sie hatten das lange verfolgte Ziel erreicht, einen Nationalstaat zu schaffen. Allerdings war dieser Erfolg, was ihre nationale Euphorie dämpfte, nur im Bündnis mit 10

Preußen möglich gewesen, mithin um den Preis erheblicher Abstriche an liberalen Prinzipien und des Verzichts auf großdeutsche Träume. [...] Der deutsche Nationalstaat besaß nicht nur Anhänger und Gegner. Es gab auch, jedenfalls zur Zeit der Reichsgründung, große Teile der Bevölkerung, für die er noch gar nicht zu existieren schien. Sie lebten nach wie vor in ihren begrenzten Welten und lokalen Erfahrungsräumen, 15

weitgehend unberührt vom Prozeß der inneren Nationsbildung, der auf wirtschaftlicher, soziokultureller und politischer Ebene bis zur Reichsgründung zwar Fortschritte gemacht, die Bevölkerung aber je nach sozialer Schicht, Region oder Konfession unterschiedlich stark erfaßt hatte. Auch deshalb gilt das Kaiserreich, um einen treffenden, obwohl nicht unproble-matischen Begriff aufzugreifen, als ein »unvollendeter Nationalstaat« (Theodor Schieder). 20

Denn die Entstehung des Reiches war eines, seine nationalstaatliche Integration etwas ande-res. Mochte die »äußere« Reichsgründung abgeschlossen sein, die »innere« stand noch aus. So setzten sich, jetzt im Rahmen des Nationalstaates, die Prozesse innerer Nationsbildung auf verschiedenen Ebenen fort. Bei der inneren Nationsbildung spielte der Nationalismus eine wichtige Rolle. Er wurde 25

erstens, obwohl viele Millionen Menschen deutscher Sprache außerhalb des Nationalstaates lebten, zu einem Reichsnationalismus. Dieser setzte Nation und Reich in eins, nahm es vor-erst hin, daß sich die Sprach- und Kulturnation nicht mit der Staatsnation deckte. Zweitens änderte der Nationalismus Inhalt und Funktion. Er wurde von einer »linken« zu einer »rech-ten« Angelegenheit, auch wenn beides in ihm angelegt war und dieser Wandel sich schon 30

länger abgezeichnet hatte. Bis 1871 hatte »Nation« noch mehr für eine Staats- und Gesell-schaftsordnung der Zukunft gestanden, ebenso für Veränderung und Reform, ja, für »Fort-schritt« schlechthin. Nach der Reichsgründung ging diese Perspektive immer mehr verloren. Viele begannen »Nation« mit dem Bestehenden, der im Kaiserreich herrschenden politischen und sozialen Ordnung, gleichzusetzen. Auch die meisten Konservativen freundeten sich 35

jetzt mit dem Nationalstaat an, machten die nationale Sache zu der ihrigen. Drittens trat der Nationalismus jetzt sowohl im Inneren als auch nach außen fordernder auf. Zwar hatte er sich im Wechselspiel von Integration und Abgrenzung formiert. Doch verlangte er nach der Reichsgründung im Inneren kompromißloser die Loyalität zur Nation und die Einpassung in den Nationalstaat, machte schärfer Front sowohl gegen die nationalen Minderheiten als 40

auch gegen die sogenannten »Reichsfeinde«, vor allem Sozialdemokraten und Katholiken, und bestritt nicht zuletzt den deutschen Juden ihre Zugehörigkeit zur Nation. Zugleich

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Nur für den Dienstgebrauch!

drängte der Nationalismus – nach der nationalstaatlichen Einigung und den militärischen Erfolgen, die sie möglich gemacht hatten – noch stärker auf eine Machtentfaltung der Nation nach außen. Er wollte also den Nationalstaat als entschiedenen Machtstaat. 45

Nach der Reichsgründung traten nicht nur andere Facetten des Nationalismus stärker hervor; er erfaßte auch weitere Kreise der Bevölkerung, wohl rascher in der Stadt und langsamer auf dem Land, integrierte sie zunehmend in die Nation. Die »Nationalisierung der Massen« (George L. Mosse)1 geschah auf vielerlei Weise. Dabei spielten neben Schule und Heer, später Kolonien und Flotte oder auch der Währung nicht zuletzt nationale Symbole, Feste 50

und Denkmäler eine wichtige Rolle. [...] Jedes Jahr zelebrierte sich die Nation, in monar-chisch-dynastischer oder militärischer Tradition, am Kaisergeburtstag und am 2. September, dem Tag der Schlacht von Sedan. Politische Feiern, die große Menschenmengen anzogen, fanden auch bei Kaiserbegräbnissen oder Regierungsjubiläen statt. Tausende von Denk-mälern wurden errichtet: Kriegerdenkmäler praktisch in jedem Ort, später Kaiser-Wilhelm- 55

und Bismarck-Denkmäler, daneben Monumente wie das Niederwald- oder Hermannsdenkmal. In diesen stellte sich die Nation, verschieden in sich, wie sie war und sich sah, selbst dar und vergewisserte sich ihrer Identität. Viele Symbolisierungen des Nationalstaates gingen auf monarchische oder staatliche Initiativen zurück. Doch wurden nationale Symbole nicht nur propagiert, sondern auch angenommen, politische 60

Feste ebenso inszeniert wie gefeiert, Denkmäler sowohl vom Staat als auch von der Gesell-schaft, von verschiedenen, meist bürgerlichen Kreisen, initiiert und finanziert. Neben dem offiziellen, staatlich veranstalteten gab es einen in der Bevölkerung zunehmend tiefer ver-ankerten Nationalismus. Das war jedoch nur die eine Seite, auf der anderen blieb die Symbo-lisierung des Nationalstaats ebenso umstritten wie dieser selbst. In scharfen Auseinander-65

setzungen, die sich an den Sedansfeiern entzündeten, aber nicht nur an ihnen, brachen die konfessionelle Spaltung, das fortdauernde Eigengewicht der Regionen sowie nicht zuletzt die soziokulturelle Segmentierung2 der Gesellschaft auf. Obwohl allmählich eine nationale Gesellschaft entstand, blieb sie von Rissen durchzogen, die nur langsam verschwanden. Anmerkung: 1 George L. Mosse (1918 – 1999) war amerikanischer Historiker, geboren und aufgewachsen in Berlin,

musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft emigrieren. 2 Aufspaltung, in einzelne Segmente zerlegt

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Abiturprüfung 2008

Geschichte, Leistungskurs

Aufgabenstellung:

Interpretieren Sie die vorliegende Quelle, indem Sie

1. sie analysieren, (28 Punkte)

2. die außenpolitischen Sachverhalte und Ereignisse, auf die Hitler in seiner Rede Bezug

nimmt, erläutern sowie die Redestrategie Hitlers charakterisieren, (26 Punkte)

3. die Aussagen Hitlers hinsichtlich der Politik der „demokratischen Staaten“ gegenüber

Deutschland überprüfen und die Rede vor dem Hintergrund der tatsächlichen Ziele der

nationalsozialistischen Außenpolitik beurteilen. (26 Punkte)

Materialgrundlage: • Adolf Hitler: Rede auf dem Gautag der thüringischen Nationalsozialisten in Weimar

am 6. November 1938 (Auszug). In: Völkischer Beobachter. Kampfblatt der national-sozialistischen Bewegung Großdeutschlands (Norddeutsche Ausgabe), Nr. 311 vom 7.11.1938, S. 1 f.

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Aus der Rede Adolf Hitlers auf dem Gautag1 der thüringischen Nationalsozialisten in Weimar am 6. November 1938 (Auszug)

[...] Ich habe vom ersten Tage an einen Grundsatz aufgestellt: Der Deutsche ist entweder

der erste Soldat der Welt, oder er ist überhaupt keiner. Keine Soldaten können wir nicht

sein und wollen wir nicht sein. Daher werden wir nur die ersten sein. Als friedliebender

Mann habe ich mich bemüht, dem deutschen Volk jene Wehr und Waffen nunmehr zu

schaffen, die auch andere vom Frieden zu überzeugen geeignet sind. Es gibt nun allerdings 5

Leute, die den Igel beschimpfen, weil er Stacheln hat. Sie brauchen freilich diesem Tier nur

seine Ruhe zu lassen! Es hat noch kein Igel angegriffen, es sei denn, er wurde selbst bedroht.

Das möchten auch wir uns vornehmen! Man soll uns nicht zu nahe treten. Wir wünschen

nichts anderes als unsere Ruhe, unsere Arbeitsmöglichkeit und das Lebensrecht für unser

Volk, das gleiche Recht, das auch die anderen für sich in Anspruch nehmen. 10

Das müssten gerade die demokratischen Staaten begreifen und verstehen, denn sie reden ja

dauernd von Gleichberechtigung! Wenn sie von den Rechten der kleinen Völker sprechen,

wie können sie dann empört sein, wenn auch ein großes Volk das gleiche Recht beansprucht!

Der Sicherung und der Garantierung dieses Rechtsanspruches dient unsere nationalsozialis-

tische Wehrmacht! 15

In diesem Sinne habe ich auch außenpolitisch eine Umstellung vorgenommen und mich jenen

Staaten genähert, die ähnlich wie wir gezwungen waren, sich für ihr Recht einzusetzen. Wenn

ich heute die Ergebnisse dieses unseres Handelns überprüfe, dann kann ich sagen: Urteilt alle

selbst, ob wir nicht wirklich Ungeheueres mit diesen Prinzipien erreicht haben!

Wir wollen aber gerade deshalb nie vergessen, was uns diese Erfolge möglich gemacht hat. 20

Wenn heute gewisse ausländische Zeitungen schreiben: „Das hättet ihr doch alles auf dem

Verhandlungswege erreichen können!“ – so wissen wir sehr wohl, daß ja das Deutschland

vor uns nichts anderes getan hat als andauernd zu verhandeln. 15 Jahre lang haben sie nur

verhandelt und haben dabei alles verloren.

Ich bin ebenfalls bereit zu verhandeln, aber ich lasse keinen Zweifel darüber: Das deutsche 25

Recht lasse ich weder auf dem Verhandlungswege noch auf irgendeinem anderen für

Deutschland kürzen! […]

Wenn wir das Jahr 1938 heute noch einmal im Geiste an uns vorüberziehen lassen, dann

kann es uns nur mit tiefstem Stolz und mit größter Freude erfüllen. Deutschland ist größer

geworden auf dem natürlichsten und auf dem moralisch unanfechtbarsten Wege, den es gibt! 30

Millionen von Volksgenossen, deren einzige Sehnsucht und einziges Ziel es war, zu Deutsch-

land zurückkehren zu können, sind nun in unsere Gemeinschaft eingerückt! Sie werden das

Reich nunmehr mittragen helfen und ihm als treue Glieder dienen, weil sie selbst am besten

erkennen konnten, was es heißt, abgesprengt und verlassen zu sein.

Dieses Jahr ist aber für uns auch ein Jahr großer Verpflichtungen: Wir müssen aus ihm die 35

Erkenntnis und den Entschluss gewinnen, den erfolgreichen Weg niemals mehr zu verlassen!

Wenn die andere Welt von Abrüstung spricht, dann sind auch wir dazu bereit, aber unter

einer Bedingung: daß erst die Kriegshetze abgerüstet wird!

Solange die anderen aber von Abrüstungen nur reden, die Kriegshetze aber infam weiter-

betreiben, nehmen wir an, daß sie uns nur unsere Waffen stehlen wollen, um uns noch ein-40

mal das Schicksal von 1918/19 zu bereiten.

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Da aber kann ich den Herren Churchill2 und Genossen nur eines sagen: das gibt es nur ein-

mal, und das kehrt nicht wieder!

Ich habe meinen Weg begonnen mit einem unbändigen Glauben an das deutsche Volk. Was

anders hätte uns denn damals vor der Verzweiflung zurückhalten können? Ich glaubte an das 45

deutsche Volk, an seine inneren Werte und damit auch an seine Zukunft.

Heute ist dieser Glaube wunderbar gerechtfertigt. Er hat in diesem letzten Jahr nur noch eine

weitere Stärkung erfahren. Wie hat sich unser Volk in diesen fünf, sechs Jahren bewährt!

Ist nicht alles das in Erfüllung gegangen, was ich Jahr um Jahr prophezeite, und was wir alle

endlich erwarteten. 50

Wie hat sich nicht in diesen letzten Wochen und Monaten unser Volk so ganz wunderbar

benommen! Sie können es mir glauben, meine Volksgenossen, ich bin ja so stolz und glück-

lich, daß ich euer Führer sein darf.

Gerade in diesen letzten Wochen hat unser deutsches Volk ein ebenso herrliches Bild harter

Entschlossenheit gezeigt, wie ich es in seinen schwersten Belastungszeiten im Kriege kennen-55

gelernt habe: keine Nervosität, keine Hast, keine Unsicherheit, keine Verzweiflungsstimmung,

sondern Zuversicht und treueste Gefolgschaft. Jeder einzelne Mann und jede einzelne Frau

hat es gewußt, daß das Schicksal vielleicht auch den letzten Einsatz von uns hätte fordern

können.

Dieser Geschlossenheit und dieser Ruhe ist es zu verdanken, wenn dieser letzte Einsatz uns 60

erspart blieb! Das Schicksal hat uns nicht in die Schranken gefordert, weil es uns stark wußte!

Das wollen wir als Lehre mitnehmen für alle Zukunft!

Dann kann unserem geliebten Deutschland nichts zustoßen, jetzt nicht und nicht in alle

Ewigkeit.

Deutschland! Sieg-Heil! 65

Anmerkungen: 1 Gautag: Veranstaltung der NSDAP auf der Ebene eines Gaues als regionaler Gliederungsebene der Partei

2 Winston Churchill (1874 – 1965): britischer Politiker, zum Zeitpunkt der Rede ohne Regierungsamt;

scharfer Kritiker der Appeasement-Politik des Premierministers Chamberlain; übernimmt im Mai 1940

das Amt des Premierministers

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Musterlösungen für die Prüfungsaufgaben Abitur Prüfungsfach: Geschichte (Nordrhein-Westfalen 2008) Autorin: Krista Düppengießer Hinweis: Die gesamte Abiturprüfung (Haupttermin) besteht aus drei Aufgaben. Hier wird die Lösung der Aufgaben 1 und 3 beschrieben. Anstelle der Aufgabe 2 des Haupttermins ist die Aufgabe 2 des Nachtermins gelöst.

Aufgabe 1 Aufgabenstellung 1 Der vorliegende Auszug aus einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag von Hans-Dietrich Genscher (*1927), Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, stammt vom 20. September 1990. Neben dem Deutschen Bundestag sind auch ausländische Regierungen und natürlich die deutsche und internationale Öffentlichkeit adressiert. Diese Rede hielt Genscher anlässlich des „Zwei-plus-Vier-Vertrages“ sowie dessen Bedeutung und, um die Grundsätze der deutschen Politik des wiedervereinigten Deutschlands darzustellen. Das öffentliche Dokument oder auch Überrest ist somit historisch in den Prozess der deutschen Wiedervereinigung im Epochen- und Wendejahr 1989/90 einzuordnen. Genscher will mit seiner Rede die historisch-politische Bedeutung des Vertrages sowie die Zukunftsperspektiven des vereinigten Deutschlands und dessen Bedeutung in einem vereinten Europa aufzeigen. Zu Beginn der vorliegenden Quelle (Z.1–7) stellt Außenminister Genscher klar, dass das Dokument des „Zwei-plus-Vier-Vertrages“ „den Schlusspunkt der europäischen Nach-kriegsgeschichte“ (Z. 4/5) darstellt und somit auch in eine „europäische Zukunft“ (Z. 6/7) weist. Also besitze der Vertrag einen hohen Stellenwert. Im zweiten Textabschnitt (Z. 8–15) beteuert er, dass Deutschland sich seiner Friedens-verantwortung bewusst ist und nur in „Übereinstimmung mit unserer Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“ (Z. 14/15) von Waffen Gebrauch machen würde. Einen Angriffskrieg schließt Genscher kategorisch aus. In der vierten Passage der vorliegenden Quelle (Z. 16–22) betrachtet der Redner die Wiedervereinigung historisch: Der deutsche Außenminister konstatiert, dass das deutsche Volk zum ersten Mal seit 57 Jahren in einem demokratischen Staat leben wird (Z. 16/17). Hierbei richtet er sein Augenmerk auf den 30.1.1933, den Tag, an dem „die Nacht des Faschismus über Deutschland hereinbrach“ (Z. 17/18) und nach dem die Deutschen „Leben, Gesundheit, Hab und Gut, und die Heimat“ (Z. 20) verloren.

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Im weiteren Textverlauf nennt er der Weltöffentlichkeit die Grundlagen dafür, dass ein Vertrauen gegenüber dem wiedervereinigten Deutschland gerechtfertigt ist: So sagt er zuerst, dass sich auch das vereinte Deutschland seiner Schuld und Verantwor-tung sowohl gegenüber den Juden als auch gegenüber allen anderen Opfern des Krieges bewusst sei (Z. 23–28). Im nächsten Abschnitt (Z. 28–35) betont Genscher, dass die Deutschen „die Chance der Freiheit für Freiheit und Frieden nutzen“ (Z. 34/35). Damit verweist er auf die friedliche Revolution in der DDR. Weiterhin bekräftigt er im folgenden Teil des Textes (Z. 36–42), dass die Deutschen einen besonderen Wert auf „Menschenrecht und Menschenwürde“ (Z. 36/37) legten und somit eine friedliche Gesinnung hegten. Diese Aus-sage versucht der deutsche Außenminister auch durch die Erwähnung der Beitritte des deutschen Staates in den Europarat, in die EG (Europäische Gemeinschaft) und auch in das „westliche[ ] Bündnis“ (Z. 40), womit die NATO gemeint sein dürfte, zu bekräftigen. Des Weiteren versucht Genscher mit der bisherigen friedlichen Außenpolitik zu argumentieren und führt die diversen Verträge mit osteuropäischen Staaten an (Z. 43–47). In der nächsten Passage (Z. 47–51) der zu bearbeitenden Quelle erwähnt Genscher das deutsche Grund-gesetz und sieht die Wiedervereinigung als Vollendung von dessen Präambel an (Z. 49–51). Außerdem sieht Genscher durch die deutsche Wiedervereinigung eine höhere Gewichtung der Deutschen, doch er lehnt direkt das Streben nach mehr Macht ab und stellt Deutschland in den Dienst Europas (Z. 56–59). Deshalb sieht er das vereinigte Deutschland als Chance für ein gemeinsames Europa und Deutschland in der Friedenspflicht (Z. 60–67). Aufgabenstellung 2 Das Thema dieser Quelle ist die Annahme des Vertrages, der die deutsche Einheit besiegelt. Des Weiteren ist zu betonen, dass Genscher vor allen Dingen die Aspekte des friedlichen, freien und demokratischen Deutschland hervorhebt sowie versichert, dass dessen Zukunft im vereinten Europa liege. Historisch ist der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ in das Epochen- und Wendejahr 1989/90 einzu-ordnen. Nach der Reformpolitik von Michail Gorbatschow („Glasnost“ und „Perestroika“) schwappt die Welle der Reformen auch in die DDR und andere Satellitenstaaten der UdSSR über. In der DDR wird diese zuerst noch weitestgehend ignoriert. Doch durch die Lockerung der Grenzen in der Tschechoslowakei und Ungarn beginnt eine Ausreisewelle in den Wes-ten. Parallel dazu entwickelt sich in der DDR auch eine Demonstrationsbewegung. Nach der Feier zur Staatsgründung vor 40 Jahren (7.10.1989) steigern sich diese Demonstrationen noch: vor allem in Leipzig und Ostberlin demonstrieren bis zu einer Million Bürger gegen das Regime der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands). Der Höhepunkt dieser „fried-lichen Freiheitsrevolution“ (Z. 33/34) ist der Fall der Berliner Mauer (9.11.1989), gleichzeitig das Ende der SED-Regierung. Nun stellt sich die Frage, was mit der DDR geschehen soll: Vereinigung mit der BRD oder doch Eigenständigkeit? Marktwirtschaft, Sozialismus oder ein dritter Weg? Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, 1982–1998) legt einen Zehn-Punkte-Plan vor, der die schrittweise Inte-gration der beiden Teilstaaten vorsah. Doch nun entwickelt sich eine Eigendynamik durch die Bevölkerung der DDR, die die schnelle Einheit fordert. So werden die ersten freien Wahlen in der DDR vom 6.5.1990 auf den 18.3.1990 vorgezogen. Die neue Regierung unter Lothar de Maizière (CDU) handelt direkt nach ihrer Wahl die Modalitäten einer Wiedervereinigung aus. Im Staatsvertrag (18.5.1990) wird bereits die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen DDR und BRD beschlossen, doch um diese umsetzen zu können, brauchen die beiden Staaten erst die Zustimmung der Siegermächte (USA, UdSSR, Frankreich und Großbritannien) des Zweiten Weltkrieges (1939–45). In den so genannten „Zwei-plus-Vier-Gesprächen“ (5.5.–12.9.1990) treffen sich Vertreter der zwei deutschen Staaten und der vier Siegermächte zum Aushandeln der Einigungsbedingungen.

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Der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ beinhaltet folgende Punkte:

Das vereinigte deutsche Staatsgebiet umfasst die Staatsgebiete der BRD und DDR Festlegung der deutschen Grenzen, insbesondere der deutsch-polnischen Grenze (Verstärkung im deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag vom 17.6.1991)

Verzicht auf Besitz und Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen „Waffen“ (Z.14)

Beendigung der Rechte der Siegermächte in Bezug auf das gesamte deutsche Staatsgebiet (inklusive Berlin)

Die Truppenstärke der deutschen Armee darf maximal 370000 Mann betragen Alle sowjetischen Truppen werden vom deutschen Staatsgebiet abgezogen Wirtschaftshilfe für die UdSSR und einer deutsch-sowjetischen Partnerschaft (9.11.1990)

Reform der NATO von einem militärischen Bündnis zu einem Politischem Das wiedervereinigte Deutschland erhält vollkommene Souveränität

Neben dem „Zwei-plus-Vier-Vertrag“, der vor allen Dingen die außenpolitischen Probleme der Wiedervereinigung löst, gibt es noch den Einigungsvertrag (31.8.1990) zwischen der BRD und der DDR, der vor allem innenpolitische Fragen beantwortet: Neben der zuvor schon durchgeführten Währungsunion (1.7.1990) beinhaltet der Vertrag vor allen Dingen den Punkt, dass die DDR gemäß dem Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik beitritt. Das heißt, dass sowohl das Grundgesetz und alle Gesetze für die DDR übernommen werden, als auch die politischen Bindungen wie z.B. die Zugehörigkeit zur EG und zur NATO für die neuen Bundesländer gelten. Festzuhalten ist weiterhin in Bezug auf den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ ist weiterhin, dass er im Grunde genommen kein Friedensvertrag im herkömmlichen Sinne ist, da nicht alle Staaten, die Deutschlands Kriegsgegner waren, an den Verhandlungen beteiligt sind. Aber dennoch erfüllt dieser die Funktion eines Friedensvertrages, da die deutsche Souveränität wieder-hergestellt wird und der Einfluss der vier Siegermächte unterbunden wird. Insgesamt dient der Vertrag dazu, „die Einheit Deutschlands zu vollenden, Europa zu vereinigen [und] dem Frieden der Welt zu dienen“ (Z. 65/66). Er ist der „Schlusspunkt der europäischen Nach-kriegsgeschichte“(Z. 4/5) und weist Deutschland den Weg in Richtung Europa, für dessen Einheit, Stabilität und Fortschritt (Z. 53/54) es nun verantwortlich ist. Die „historische Chance“ (Z. 48) findet in der offiziellen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ihre Umsetzung. Dieser Tag ist von nun an auch der deutsche Nationalfeiertag. Aufgabenstellung 3 Hans-Dietrich Genscher sieht den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ als „Schlusspunkt der europäi-schen Nachkriegsgeschichte“ (Z. 4/5). In Genschers Rhetorik erkennt man eindeutig, wel-chen Stellenwert dieser Vertrag für ihn hat: Ein Beispiel dafür finden wir in Zeile 3: Der Vertrag „öffnet [ ] uns Deutschen den Weg zur Wiedervereinigung in Freiheit“. Allein an diesem Beispiel lässt sich feststellen, welch hohe politische und diplomatische Bedeutung er dem „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ zuschreibt. Weiterhin ist das auch z.B. in Zeile 7 festzustellen: „Er ist ein Dokument des Friedenswillens aller Beteiligten“. Bei der Betrachtung der verschiedenen Positionen ist Genscher Sicht, also verallgemeinert die Sicht aus deutscher Perspektive, die, die es als erstes zu betrachten gilt. Aus westdeutscher Betrachtung scheint die These Genschers, dass der Vertrag „Schluss-punkt der europäischen Nachkriegsgeschichte“ (Z.4/5) ist, richtig. Es wird schließlich die deutsche Teilung wieder aufgehoben, und Deutschland erhält zum ersten Mal seit 44 Jahren

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wieder volle Souveränität. Somit gibt es nur einen deutschen Nationalstaat, der zudem noch in dem Vertrag seine internationalen Bindungen, wie den Verbleib in der NATO und EG (EU) sichern konnte. Weiterhin dürfte auch aus Sicht der Bevölkerung sowohl aus Ost- als auch Westdeutschland dies der positive Schlusspunkt sein, da wieder eine nationale und wirt-schaftliche Einheit besteht. Schließlich haben die Menschen in Ostdeutschland auch mit der „friedlichen Freiheitsrevolution“ (Z.27/28) dafür gekämpft. Im Gegensatz dazu stehen die SED-Funktionäre der DDR und die Anhänger der kommunistischen Ideologie, die dies zwar als Schlusspunkt sehen, aber als negativen, denn der reale Sozialismus ist gescheitert. Bei den weiteren beteiligten Nationen, den vier Siegermächten des 2. Weltkrieges, wird dieser Vertrag auch als Schlusspunkt der Nachkriegsgeschichte aufgefasst, allerdings mit unterschiedlichen Gefühlen und Erwartungen an den neuen deutschen Staat. Die USA haben mit diesem Vertrag alle Ziele erreicht: Deutschland ist ein demokratischer und kapitalistischer Staat, der vor allem durch die USA unterstützt und geformt wurde. Weiterhin können sie auch durch diesen Vertrag als Sieger im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion fühlen. Außerdem ist er eine Bestätigung für den Sieg der Demokratie über den Sozialismus und eine wirtschaftliche Chance für das neue Deutschland. Großbritannien hat die Wiedervereinigung eher mit gemischten Gefühlen beobachtet. So haben die Briten Angst vor einer Störung des europäischen Gleichgewichts und einer erneuten Hegemonie Deutschlands. Allerdings wurden die Verantwortlichen von ihrem „Bruder“, den USA zur Zustimmung bewegt. In Frankreich mag diese Angst eine größere Rolle spielen. Das ist allerdings verständlich auf Grund der historischen Fakten, zu denen u. a die Besetzung Frankreichs und auch die Errichtung von Konzentrationslagern auf französischem Boden zählen. Doch Frankreich erwartet von Deutschland „europäische[ ] Friedenverantwortung“ (Z. 52) und erwartet vom vereinigten Deutschland wie von der bisherigen BRD, mit ihm gemeinsam die EG und auch später die EU (Europäische Union) voranzutreiben. Die von Adenauer initiierte Politik der Aussöhnung und Westintegration hat Früchte getragen. Für die Sowjetunion bedeutet der Vertrag eigentlich das Gegenteil wie für die USA: die Niederlage im Kalten Krieg und den Zusammenbruch des eigenen Systems sowie den Machtverlust in Mitteleuropa. Die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow hat allerdings bereits die Zeichen der Zeit erkannt, und so kann man diesen Vertrag auch als einen Schritt in die richtige Richtung ansehen. So ist vor allen Dingen ein friedliches Europa ein Ziel des sowjetischen Staatspräsidenten. Insgesamt ist der Vertrag zwar eigentlich ein Zeichen der sowjetischen Niederlage, aber kann dennoch als positive Wandlung in der Deutschland- und Europapolitik der UdSSR angesehen werden. In einer Schlussbetrachtung ist festzuhalten, dass der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ in der Tat für jede Nation als „Schlusspunkt der europäischen Nachkriegsgeschichte“ (Z.4/5) zu sehen ist. Aber dennoch hat jede beteiligte Nation ihre eigene Wahrnehmung der deutschen Einheit, ob positiv oder negativ.

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Aufgabe 3 Aufgabenstellung 1 Die vorliegende öffentliche Rede Adolf Hitlers (1889–1945), deutscher Reichskanzler und Führer der NSDAP, auf dem thüringischen Gautag am 11.6.1939 in Weimar hat die Bilanz der Außenpolitik des Redners und seiner Partei zum Thema. In dieser Primärquelle, auch als Überrest und Dokument zu bezeichnen, ist eine Rechtfertigung des eingeschlagenen außenpolitischen Weges intendiert. Im ersten Abschnitt (Z. 1–15) wird zunächst dargestellt, dass die Deutschen sich wieder-bewaffnet hätten und dass sie, gleich dem Igel, nie angreifen würden, ohne bedroht zu werden. Auch werden hier die Siegermächte des Ersten Weltkrieges angesprochen, indem ein gleiches Recht für die Deutschen gefordert wird. Im Folgenden (Z. 16–19) geht Hitler auf seine Umgestaltung der Außenpolitik ein und preist deren enorme Wirkungen. Hiernach (Z. 20–27) wird die von den ausländischen Medien vorgebrachte Kritik, dass die deutsche Regierung nicht verhandelt habe, beiseite geschoben, indem Hitler behauptet, dass in „15 Jahr[en]“ (Z. 23) Weimarer Republik durch Diplomatie nichts erreicht worden sei, sondern vielmehr Verlust entstanden sei. Auch die Bereitschaft, dies selbst zu tun, solange es Deutschland nicht zum Schaden gereiche, wird signalisiert. Der Erfolg des Jahres 1938, in dem „Millionen von Volksgenossen“ (Z. 31) heimgekehrt seien, wird im anschließenden Absatz beschworen (Z. 28–43). Dieses „auf dem natürlichsten und auf dem moralisch unanfechtbarsten Wege“ (Z. 30) geschehene Ereignis verpflichte natürlich zu mehr. Auch wird noch klargestellt, dass Deutschland die Option anbiete abzurüs-ten, solange „die Kriegshetze [nicht] [...] infam“ (Z. 39 b) fortgeführt werde. Auch werde Deutschland nie mehr das Versagen des Verlierens erleiden. Danach (Z. 44–53) erklärt Hitler, dass sein mit gigantischem Vertrauen in das deutsche Volk begonnenes Werk Erfolg habe, was dieses nochmals stärke und gemäß seinen Prophe-zeiungen sei, wodurch er „so stolz und glücklich“ (Z. 52–53) sei. Das vom deutschen Volk gezeigte „Bild harter Entschlossenheit“ (Z. 54–55) habe ihn darin nochmals bestärkt. Zumal der „letzte Einsatz von [ihnen]“ (Z. 59) hätte gefordert werden können, den sie gewiss erbracht hätten. Er schließt nun (Z. 60–65) mit dem Verweis auf eine Stärke, die ewig währen solle. In dieser Rede nutzt Hitler normative und emotionale Argumente, z.B. fügt er das kommunistische Feindbild mit dem Westen zusammen mit der Bezeichnung „den Herrn Churchill und Genossen“ (Z.45). Auch wird er zum Ende seiner Ansprache (Z. 63–64) pseudoreligiös, um sein Volk in Hass und Gemeinschaft zu einen. Des Weiteren nutzt der Redner seine eigene Popularität aus, um die Massen zu begeistern und hinter sich zu scharen. Die hier verwendete Strategie ist eine manipulativ überzeugende.

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Aufgabenstellung 2 Hitler bilanziert mit dieser Rede auf dem Gautag die bisherige Außenpolitik und versucht eine Erklärung für die neue deutsche Außenpolitik zu geben, wobei hier z.B. der Grund der Gleichberechtigung unter den Nationen angeführt wird. In seinem Buch „Mein Kampf“ (1925/27) spricht Hitler bereits seine außenpolitischen Ziele an:

Revision des Versailler Vertrages Schaffung der Vorraussetzungen für eine imperialistische Politik Eroberung neuen Lebensraumes im Osten unter Zerschlagung des Bolschewismus und Germanisierung der Gebiete durch Ausrottung des Judentums

Hegemonialstellung in Europa Kampf mit den U.S.A um die Weltherrschaft

Doch diese bereits früh formulierten Ziele nahm niemand sowohl innerhalb als auch außer-halb Deutschlands ernst. Unter anderem auch wegen solcher Friedensbeteuerungen: „Als friedliebender Mann habe ich mich bemüht, dem deutschen Volk jene Wehr und Waffen nunmehr zu schaffen, die auch andere vom Frieden zu überzeugen geeignet sind“ (Z. 3–5). Das ist Hitlers erste Aussage, mit der er versucht zu erklären, welche außenpolitische Moti-vation er hat. Am 14.10.1933 tritt Hitler-Deutschland aus dem Völkerbund aus, nachdem Hitler zuvor die Genfer Abrüstungskonferenz boykottieren ließ. Damit wollte er „für unser Volk, das gleiche Recht, das auch die anderen für sich in Anspruch nehmen“ (Z. 9/10), erzwingen. Denn der Austritt ebnet den Weg für eine militärische Aufrüstung Deutschlands. Doch um außenpolitisch nun nicht an Kredit zu verlieren und nicht als angreifende Nation zu gelten, sondern als „Igel“ (Z. 6), schließt Hitler zuerst den Nichtangriffspakt mit Polen (26.1.1934) und dann noch das deutsch-britische Flottenabkommen (18.6.1935) ab. Innen-politisch treibt er die Rüstung jedoch immer weiter voran: so führt er erst die allgemeine Wehrpflicht ein (16.3.1935) und lässt danach noch das entmilitarisierte Rheinland besetzen (7.3.1936). Beides sind grobe Verstöße gegen den Versailler Vertrag (28.6.1919), der Friedensvereinbarung nach dem Ersten Weltkrieg, die der deutschen Bevölkerung ein Dorn im Auge ist. Durch das Versprechen, diesen zu revidieren, wurde in der Weimarer Republik ein Großteil der Bevölkerung in die Arme Hitlers getrieben. Diese Brüche des Vertrages bleiben allerdings ungeahndet, da Frankreich innenpolitische Probleme hat, Italien sich Deutschland annähert und Großbritannien durch das Abkommen ruhig gehalten wird. Die deutsch-italienische Annäherung findet auch im spanischen Bürgerkrieg(18.7.1936–28.3.1939) ihren Ausdruck: Hier unterstützen beide Länder den Putschversuch des Generals Franco, der gelingt, so dass auch in Spanien ein faschistisches Regime errichtet wird. Im November 1936 findet Deutschland einen weiteren Verbündeten, Japan. Dieses will nämlich im asiatischen Raum seine Expansionspolitik ausweiten, und somit haben beide Staaten den gleichen Feind: die Sowjetunion. Also verbünden sich Japan und Deutschland im Antikominternpakt (25.11.1936). Diesem Bündnis tritt am 6.11.1937 auch Italien bei, womit die „Achse Berlin-Rom“ vertraglich gefestigt ist. „Das Jahr 1938“ (Z. 28) ist das, außenpolitisch gesehen, bisher erfolgreichste für das Dritte Reich, denn Deutschland, ist wie Hitler konstatiert, „größer geworden“ (Z. 29/30). Neben dem Anschluss Österreichs (14.3.1938), das durch das deutsch-italienische Bündnis unter Druck gesetzt worden und die Regierung an die DNSAP (österreichisches Pendant zur NSDAP) abgegeben hat, erhält Deutschland auch das Gebiet des Sudetenlandes zurück, das nach dem Ersten Weltkrieg an die Tschechoslowakei abgetreten werden musste. Doch durch Hitlers erste außenpolitische Erfolge wird dieser mutiger und fordert das Sudetenland unter Androhung einer militärischen Intervention zurück. Auf Drängen Italiens wird nun allerdings die Münchener Viermächtekonferenz (England, Frankreich, Italien und Deutschland)

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einberufen, und ohne eine Teilnahme der Tschechoslowakei wird in dem Münchener Abkom-men (29./30.9.1938) die Abtretung und anschließende Annexion des Sudetenlandes durch Deutschland beschlossen. Dadurch sind „Millionen von Volksgenossen“ (Z. 31) wieder in die deutsche Gemeinschaft einverleibt worden. In dieser Rede wird Hitlers typische Redestrategie deutlich: eine Mischung aus scheinbarem Friedenswillen, Forderung nach Gleichberechtigung und Härte. Mit einer Wendung aus der Antike kann man diese Zweigleisigkeit als Redestrategie „mit Zuckerbrot und Peitsche“ bezeichnen. Auf der einen Seite proklamiert Hitler in dieser Rede defensive und friedliche Absichten, indem er das Deutsche Reich mit einem Igel vergleicht (Z. 7). So stellt er das Deutsche Reich nach Außen als friedlich dar und legitimiert seine Politik der Aufrüstung mit dem Recht auf die Fähigkeit zur militärischen Selbstverteidigung. Andererseits wird in dieser Rede auch seine scheinbar berechtigte Forderung nach „Gleich-berechtigung“ (Z.12) deutlich, denn er wolle für das Volk nur das gleiche Recht, wie die anderen es schon hätten, in Anspruch nehmen (Z. 8–3). An anderen Stellen der Rede erkennt man, dass der „Führer“ versucht, das Volk von seiner Sicht zu überzeugen: so vergleicht er das Dritte Reich und Weimar und kommt zu dem Schluss, dass während der Weimarer Republik „15 Jahre lang“ (Z. 23) nur verhandelt wurde und er „Ungeheueres mit diesen neuen Prinzipien“ (Z.19) erreicht habe. Auch erreicht er eine Solidarisierung der Bevölkerung damit, dass er erneut auf „das Schicksal von 1918/19“ (Z.41) hinweist und somit das Trauma der Bevölkerung, die Kriegsniederlage und den Versailler Vertrag, benutzt, um diese für seine imperialistische Politik zu begeistern. Weiterhin verspottet er „den Herren Churchill und Genossen“ (Z. 42) mit dieser Anrede, da er mit „Genossen“ die Verbindung zum bolschewistischen Klassenfeind herstellt und dieses Wort in diesem Zusammenhang einen negativen Beigeschmack erhält. Weiterhin ist die Apostrophe auch eine Verspottung durch die Tatsache, dass er die anderen Staatschefs für unwichtig hält und ihre Namen nicht nennt. Zum Ende der Rede umwirbt er die Hörerschaft noch einmal, indem er sie lobt (Z. 54–59) und sich ihretwegen glücklich preist (Z. 52/53). Außerdem wird zum Ende der Quelle deutlich, dass Hitler pseudoreligiöse Ansprüche erhebt, da seine „Prophezeiung“ „in Erfüllung“ (Z. 49) gegangen ist und er sich somit als Messias darstellt, der auch noch prophezeit, dass Deutschland „jetzt nicht und nicht in alle Ewigkeit“ (Z. 63/64) etwas zustoßen könne. Durch diese Elemente der Rhetorik begeistert Hitler die eigene Bevölkerung und stellt die ausländischen Regierungen ruhig, um seine eigentlichen Pläne durchzusetzen. Aufgabenstellung 3 Hitler macht in seiner Rede den „demokratischen Staaten“ (Z. 11) verschiedene Vorwürfe: Zum einen ist da der Vorwurf der Verweigerung von „Gleichberechtigung“ (Z.12) und zum anderen der der „Kriegshetze“ (Z. 38) und Verfolgung ähnlicher Ziele wie „1918/19“ (Z. 41). Diese starken Vorwürfe müssen nun auf ihre historische Richtigkeit überprüft werden: Der Vorwurf der Verweigerung der Gleichberechtigung ist insofern gerechtfertigt, wenn man von dem Versailler Vertrag, dem Diktatfrieden nach dem Ersten Weltkrieg, ausgeht. Dieser gesteht Deutschland nämlich in Bezug auf Wirtschaft und Militär keine Gleichberechtigung zu, da die Reparationszahlungen hoch angesetzt wurden und ein Militär faktisch verboten wurde. Doch von dem Standpunkt dieser Rede ausgehend, muss auch Hitler anerkennen, dass die europäischen Staaten ihm die Freiheit gelassen haben, die Gleichberechtigung wiederherzustellen. Denn neben den bereits früh abgeschlossenen Reparationszahlungen

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(Reparationskonferenz in Lausanne 1932) konnte Hitler neben der Einführung der Wehr-pflicht (1935) und der Besetzung des Rheinlandes (1936) sogar noch eine Vergrößerung des Reiches mit Anschluss Österreichs (1938) und der Annexion des Sudetenlandes (1938) erreichen. So sind Frankreich und England durchaus kompromissbereit und gewillt, die deutschen Interessen anzuerkennen, was sich vor allem durch den Abschluss des Münche-ner Abkommens (1938) zeigt. Zur abschließenden Betrachtung der Rede müssen die tatsächlichen außenpolitischen Ziele Hitlers mit in Betracht gezogen werden: Wie bereits zuvor angedeutet, verfolgt Hitler außenpolitisch eine Doppelstrategie. Im Gegensatz zu seiner außenpolitischen Darstellungsweise, die eine durchaus friedliche Gesinnung offenbarte, wie auch in den Verträgen mit Großbritannien und Polen deutlich wird, und nur die Revision des Versailler Vertrages offenkundig anstrebt. Diese „Igel“-Attitüde (Z. 5–9) beteuert Hitler auch in dieser Rede. Doch diese Verträge und die Igel-Metapher sind nur Täuschungen und Mittel zum Zweck der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. In Deutschland war allerdings schon länger bekannt durch „Mein Kampf“ (1925/27) und auch später durch das „Hoßbach-Protokoll“ (5.11.1937), dass Hitler weit mehr anstrebte als eine Revision des Versailler Vertrages. In dem Protokoll heißt es z. B., dass der Krieg frühes-tens1938 und spätestens 1943 begonnen werden soll. Doch auch in Deutschland wurden diese als übertrieben angesehenen Ziele nur belächelt. In der Aussage „Dann kann unserem geliebten Deutschland nichts zustoßen, jetzt nicht und nicht in alle Ewigkeit“ (Z. 63/64) deu-ten sich Hitlers Größenwahn und auch sein Streben nach Höherem an. Seine wahren Ziele waren zuerst eine Hegemonialstellung in Europa und später der Welt. Konkret wollte Hitler Lebensraum im Osten erschließen, hierein spielen die ideologischen Grundsätze Hitlers in Bezug auf Rassismus und Sozialdarwinismus. So stand neben der Ausrottung der jüdischen Rasse auch die Unterwerfung der slawischen „Untermenschen“ auf Hitlers Plan. Neben diesen ideologisch begründeten Zielen drückt sich hier auch sein Antikommunismus aus. Alles in allem ist zu konstatieren, dass Hitler auf ganzer Linie unterschätzt wurde. Mit dieser Rede wird deutlich, wie Hitler es schaffte, einen militärischen Eingriff der anderen Nationen zu unterbinden und selbst zu militärischer Stärke zu kommen. Außerdem zeigen sich eindeutig Hitlers rhetorische und manipulative Fähigkeiten, die sowohl das deutsche Volk als auch die Staatschef Europas beeinflussten und überzeugten.

Aufgabe 2 (Nachschreibtermin) Aufgabenstellung 1 In seiner (Fest-)rede vom 28.5.2007 anlässlich des 175. Jahrestages des Hambacher Festes geht der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker auf die Hambacher Ideen, Freiheit und Einheit, im Lauf der deutschen Geschichte ein. Diese Sekundärquelle richtet sich mit der Intention, die Wichtigkeit der Hambacher Thesen auch in der heutigen Zeit zu betonen, an den historisch und/oder politisch interessierten Besucher bzw. auch Leser. Das Dokument oder auch der Überrest ist im Kontext der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts zu betrachten. Nicht nur der Wahlspruch des Hambacher Festes, „Freiheit und Einheit“ (Z.1b), sondern auch die im Vergleich zu den anderen Nationen nicht (mehr) vorhandene Nation wird in der ersten Passage (Z.1–10) präsentiert. Im übrigen Teil des Textes (Z.11–74) wird nun die deutsche Geschichte des 19. Jahrhun-derts von Herrn von Weizsäcker mit Blick auf die Intentionen des Hambacher Festes chro-nologisch beleuchtet. Dies begründet er im nächsten Abschnitt (Z.11–18), in dem zunächst

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die drängenden Fragen des Festes nach „Freiheit und Einheit“ (Z.1b) und nach deren Gewichtung rekapituliert werden und anschließend die These aufgestellt wird, dass bei intensiver Betrachtung dieser Fragen ihr Gewicht bis in die jetzige Zeit reiche. Der nächste Absatz (Z.19–22) handelt von der Auflösung des Heiligen römischen Reichs Deutscher Nation und dessen Wiederherstellung im losen Deutschen Bund. Doch in diesem sei erst recht die Frage nach dem Wesen der deutschen Nation aufgekommen. Im folgenden (Z.28–40) geht der Redner auf das Hambacher Fest als „erste[n] demokratisch-republikanische[n] Großveranstaltung“ (Z.10ex–31in) ein, die „Einheit und Freiheit“ (Z.1) als nationales Wollen dokumentiere. Hierauf (Z.41–45) sei es zum Scheitern der Revolution von 1848 und deren Hambach ähnlich formulierten Zielen gekommen. Doch trotzdem sei die Nationalbewegung erhalten geblieben. In der nachfolgenden Passage (Z.46–62) ist zum einen die Reichsgründung von oben Thema, die gewiss nicht den Hambacher Ideen entsprechend vollzogen worden sei, und zum anderen der auch mit daraus resultierende Imperialismus. Im letzten Absatz wird noch einmal, auch am Beispiel der französischen und deutschen Nationalfeiertage, gezeigt, dass der Nationalismusgedanke, insbesondere auch in Deutsch-land, sich überhöht habe und sich, von dem Gedanken der Freiheit entkoppelt, angeschickt habe, die anderen Völker zu bedrohen. Durch seine auf historische Fakten gestützte Argumentation versucht von Weizsäcker zu überzeugen und aufzuklären. Aufgabenstellung 2 In der Quelle stehen die beiden Hambacher Ideale, die Leitideen des 19. Jahrhundert, „Einheit und Freiheit“ (Z.1), Nationalismus und Liberalismus, sowie deren Entwicklung in Deutschland im Mittelpunkt. Das Hambacher Fest (28.5.1832) ist als eine Gegenbewegung zu den Restaurations-bestrebungen der Pentarchiemächte (England, Frankreich, Russland, Österreich und Preußen) zu sehen. Vorher hatte Napoleon Europa bis 1807 fast völlig erobert und es seinen Ideen entsprechend reorganisiert, d.h. z.B. „der Kaiser [legte] in Wien die Krone des heiligen römischen Reiches Deutscher Nation ab“ (Z.18b–19a) (1806), sowie auch die Einführung des liberalen Code Civil (1804), durch den die schon durch die Französische Revolution verbreiteten Ideen von Liberalismus und Nationalismus weitere Verbreitung fanden. Als in den Freiheitskriegen (1812–1815) die napoleonische Fremdherrschaft abgeschüttelt wurde, war die Euphorie bei den Nationalen groß, doch schon bald dämpften die absolutis-tischen Herrscher der Pentarchie mit den Beschlüssen des Wiener Kongresses diese. Be-sonders in Deutschland, wo die Hoffnung auf einen geeinten Nationalstaat aufgeflackert war, wurde diese mit dem lockeren und „praktisch machtlose[n]“ (Z.25b) Deutschen Bund (1815) längst nicht erfüllt. Aber die Herrschenden waren nicht bereit, ihr restauriertes Europa, das sie sich legitim solidarisch teilten, dem aufstrebenden Bürgertum oder gar dem restlichen „Pöbel“ zu überlassen. Und so verringerte sich das Feuer der national-liberalen Bewegung und wurde mit den restriktiven Karlsbader Beschlüssen (1819) fast vollends gelöscht. Die Ära der Restauration oder auch die Metternichs, als des führenden Kopfs des Europa neu ordnenden Wiener Kongresses, hatte begonnen. Doch die Ideen der französischen Revolution und der Befreiungskriege waren in den Köpfen der Menschen geblieben. Durch den griechischen Freiheitskampf (1821–29) und die Juli-

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revolution (1830) wurden sie wiedererweckt, sodass es in ganz Europa zu nationalen Erhebungen kam, unter anderem auch dem Hambacher Fest (28.5.1832). „Auf der ersten demokratisch-republikanischen Großveranstaltung“ (Z.30ex–31in) wurde eine Bewegung, vor allem der seit 1818 in Burschenschaften organisierten Studenten, gegen die von Gott „gewollten“ Herrscher deutlich. Die Forderungen, „Ehre, Freiheit, Vaterland“, dieser Bur-schenschaften, die ihren deutschen Studentenstaat schon in ihrem Gründungsjahr als Vorgriff auf den ersehnten Nationalstaat sahen, wurden im Hambacher Fest als „Freiheit und Einheit“ (Z.1) erneuert. Auch deren Farben, von den Lützowschen Freikorps übernommen, wurden als „Symbol des freien Volkes auf dem Weg zu Einheit“ (Z.36ex–37a) eingeführt, unsere heutigen Nationalfarben. Man könnte das Hambacher Fest also eine Gegenbewegung zu den monarchisch-absolutistischen Mächten verstehen, die mit ihrer Thematik von „Freiheit und Einheit“ (Z.1) eine national-liberale, also auch in gewissen Facetten eine demokratische ist. Nachdem nun die Charakterisierung des Hambacher Festes weitestgehend abgeschlossen ist, zum zweiten Teil des historischen Kontexts: Der von nun an immer stärker werdende Strom der national-liberalen Bewegung mündete in der „hoffnungsvollen wie ergebnisarmen [März]revolution des Jahres 1848“ (Z.41b). Diese an den vielfältigen Problemen, wie z.B. der Festlegung der Reichsgrenzen (mit oder ohne Österreich, groß- oder kleindeutsch, und, wenn großdeutsch, dann mit dem übrigen Teil des zur Donaumonarchie gehörenden Landes) oder der Erarbeitung einer Verfassung, und einer damit verbundenen Machtlosigkeit, die sich in der Schleswig-Holstein-Frage offenbart, scheiternde Revolution führt in eine Phase der Reaktion (1849–59) der wieder erstarkten alten Mächte. Seit 1850 allerdings gab es in Preußen eine vom König oktroyierte Verfassung und daraus resultierend eine Abgeordnetenkammer, die unter anderem das Haushaltsrecht hatte. Seit 1860 versuchte der preußische König eine Heeresreform durchzuführen, um sein Heer, vor allem auch gegen Österreich, zu stärken, doch die Kammer blockierte dieses Vorhaben, sodass sich die Heeresreform in einen Verfassungskonflikt verwandelte. Aus dieser Krise sollte der konservative Otto von Bismarck helfen, und der neu ernannte Ministerpräsident tat dies umgehend: Eine Lücke in der Verfassung nutzend, nach der nicht geregelt sei, wer im Streitfalle Recht habe, König oder Kammer, entschied er sich für den König und regierte gegen die Volksvertreter und ohne abgesegneten Haushalt. Nachdem er den deutsch-däni-schen Krieg um Schleswig-Holstein (1864) (der alte Zwist von 1848 wurde von ihm geschickt provoziert) und den deutsch-deutschen oder preußisch-österreichischen (1866) gewonnen hatte, legte er der Kammer eine Indemnitätsvorlage vor (9.1866), die seine Haushaltspolitik nachträglich legitimierten sollte. Die Abgeordneten standen nun vor einer schwierigen Entscheidung: sollten sie das liberale Prinzip verraten und Bismarck legitimieren oder die Vorlage ablehnen und damit den Weg zu einem Nationalstaat (von oben) blockieren? Sie entschieden sich für die erstere Lösung und spalteten damit ihr Lager in Liberale und Nationale. Mit „Blut und Eisen“ (Z.48in) und einer diplomatischen Meisterleistung erschuf Bismarck das Deutsche Reich (1871). Im Gegensatz zu den anderen Nationen entstand die „verspätete Nation“ (Z.50ex) nicht aus dem Volk heraus, sondern von oben aus reinem machtpolitischem Kalkül. Das Deutsche Reich war eines, in dem alle Macht bei Preußen, dessen Reichskanzler und Kaiser lag. Lange ließ Kaiser Wilhelm I. Bismarck seine brillante und komplizierte Außen-politik aufbauen, die dazu führt, dass das Deutsche Reich von den anderen Pentarchie-mächten geduldet wurde: Deutschland war saturiert, d.h. es war das Gewicht an der Waage in jeder außenpolitischen Situation in Europa, wie sich z.B. während des Berliner Kongresses zeigt (6./7.1978). Aber „nur er vermochte es“ (Z.68ex).

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Als 1888 Wilhelm II., ein nach Macht und Einfluss strebender junger Mann, Kaiser wurde und das Ruder an sich reißen wollte, stand der beliebte und mächtige Bismarck im Weg. Als dieser im Jahre 1890 abtrat, war der Weg frei zu einem „Platz an der Sonne“: Wilhelm II. wollte nun endlich auch Kolonien erwerben, und das in einer Zeit, als die Welt schon fast völlig aufgeteilt war. Innerhalb von wenigen Jahren zerstörte er das gesamte Bismarcksche Bündnissystem, indem er seine nationalistische und imperialistische Politik begann. Auch das starke, deutsche Nationalgefühl wandelte sich unter ihm: Es wurde vom Libera-lismus abgespalten immer bösartiger und übersteigerter, kurzum es wurde nationalistisch und chauvinistisch. Die ganze Gesellschaft wurde von nationalen Festen, Denkmälern und massiver militaristischer Propaganda indoktriniert. Kein Wunder also das der Beginn des ersten Weltkrieges gefeiert wurde. „Hambach war entschwunden.“ (Z.74) Entschwunden die Worte Siebenpfeiffers auf dem Hambacher Fest: „Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört! Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch!“ Einzig „Macht und Glanz“ (Z.62ex), „deutsche Kolonien und Seegeltung“ (Z.59ex), wie sich in der Flottenbaupolitik oder der dem Flottenbauwahnsinn zeigt, zählten für Kaiser und Volk. Aufgabenstellung 3 Mit der Teilung Deutschlands in die vier Zonen auf der Potsdamer Konferenz (16.7.–2.8.1945) und der folgenden eigentlichen Teilung in die Bundesrepublik Deutschland (gegründet am 23.5.1949) und die Deutsche Demokratische Republik (gegründet am 7.10.1949) entschwand Einheit so wie die schon spätestens 1933 nach der freien Phase der Weimarer Republik entschwundene Freiheit. Die Forderungen von Hambach „waren in den Hintergrund gerückt“ (Z.63ex–64in). In den Westzonen, denen Frankreichs, Englands und der USA, gab man dem Volk mehr und mehr Freiheiten zurück. Auch in der ab dem 5.5.1955 weitestgehende Souveränität und damit auch Freiheit genießenden BRD war diese auch für den Bürger als Individuum spürbar; zudem wurde mit der Sozialen Markwirtschaft Ehrhardts ein sehr freiheitliches Wirtschaftskonzept für diesen Staat geprägt. Auch die Sehnsucht nach Einheit, schon in der Präambel des Grundgesetzes erwähnt, war offensichtlich und damit auch die Hambacher Ideen. Das primäre Ziel war jedoch nicht wie 1866 die Einigung, sondern die Freiheit, die man durch die Westintegration zu erringen suchte. Die Einheit würde dann, der Magnettheorie zufolge, zwangsläufig folgen. Auch in der DDR sind diese Ideale theoretisch präsent: Bis zur Verfassung von 1974 bleibt die Wiedervereinigung ein erklärtes Ziel dieses Staates. Allerdings soll dieses angestrebte Land ein sozialistisches sein, so wie die Parteifunktionäre und die UdSSR es gerne sehen würden. Man sieht also, dass dieser Staat, der 1955 seine „Souveränität“ erhielt, keineswegs frei ist, wie die sozialistische Propaganda es verhieß: Ihm wird ein System aufgezwungen, das keineswegs Freiheit verheißt, nämlich das sozialistische. Ähnlich wie beim „großen Bruder“ werden nach und nach die Bürger immer weiter unterdrückt. Das zeigt sich z.B. im Bau der Berliner Mauer (13.8.1961), wodurch den Bürgern der DDR die Freiheit zu reisen genommen wurde, oder auch in dem Aufbau der Stasi, also einem totalitären Überwa-chungsapparat, ganz nach dem Vorbild der Tscheka oder auch der GeStaPo. Auch war die DDR stark von der Führung Moskaus abhängig, nicht nur wegen der Planwirtschaft, sondern auch weil sie durch die Hallstein-Doktrin (1955) der BRD außenpolitisch sonst völlig isoliert war. Man kann also in der DDR auf keinen Fall die Parolen Hambachs praktisch umgesetzt sehen. Als jedoch ab 1985 Gorbatschow in der UdSSR die Macht übernimmt und eine neue Ära einläutet, geprägt durch Glasnost (Offenheit, Durchschaubarkeit) und Perestroika (Wandel, Umgestaltung), wird auch das unterdrückte deutsche Volk in der DDR unruhig: Spätestens durch die Erfolge der Reformen des dem Ostblock angehörenden Ungarn spitzt sich die

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Lage zu. Die Parole „Wir sind das Volk“ fordert Selbstbestimmung und Freiheit bei zahlreichen Montagsdemonstrationen. Unter dem Druck des Volkes tritt der langjährige Parteichef Erich Honecker zurück. Man sieht also, dass die Forderung Hambachs nach Freiheit hier wieder auftritt: Eine nach der Freiheit zu reisen, nach der Freiheit eines jeden Individuums, der Freiheit also, die schon in den während der Aufklärung eingeforderten Naturrechten der Menschen zentral ist. Doch auch der Ruf nach Einheit kommt bald auf: Nachdem man teilweise sogar von einem Weiterexistieren der DDR, wenn auch umstrukturiert, ausgegangen war, so forderte das Volk bald mit der Parole „Wir sind ein Volk“ die Wiedervereinigung, unterstützt von der BRD, und zwar nach dem politischen wie wirtschaftlichen Modell des „erfolgreicheren“ Staates. So wurde 1989 also die Ideen Hambachs von „Einheit und Freiheit“ (Z.1) reanimiert. Allerdings muss man sich fragen, ob die deutsche Einheit wirklich schon vollzogen ist, denn ein West-Ost-Gefälle besteht noch immer, wie man schon an den stark von einander abweichenden Arbeitslosenzahlen sieht. Das Problem an dieser Stelle ist also, dass die wirtschaftlich noch schlechter gestellten Bürger zwar Freiheit haben, diese aber nicht immer so nutzen können, wie sie wollen. Man muss also der Hambacher Forderung nach Einheit Rechnung tragen und diese nicht nur auf dem Papier und der Landkarte erschaffen, sondern auch in der Kultur, der Wirtschaft und den Köpfen. Dies kann aber nur langsam geschehen, denn vierzig Jahre Indoktrinierung sind durch fast zwanzig Jahre Freiheit nicht völlig ungeschehen zu machen.

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