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Special | Fachbuch BuchMarkt April 2012 60 Branche I n einem Papier, das von der Kom- mission Zukunft der Informationsin- frastruktur (KII) veröffentlicht wurde, geht es um nichts weniger als um die Neu- aufteilung des Bibliotheksgeschäfts. Das bewegt nun seit einem Jahr die Gemüter. Denn zahlreiche Marktteilnehmer wurden zwar befragt, aber an intensiven Beratun- gen nicht beteiligt. Wir fragten Eva Wille, Vorstandsmitglied in der Deutschen Fach- presse, Berndt Dugall, Direktor der Univer- sitätsbibliothek Frankfurt am Main, Klaus Tapken, Mit-Geschäftsführer von Missing Link und im Vorstand des Arbeitskreises wissenschaftlicher Sortimenter (AWS), und Cary Bruce, Geschäftsführer bei EBSCO Deutschland, wo sie in Zukunft ihre Posi- tion im Bibliotheksgeschäft sehen. Wenn man das KII-Papier liest, scheinen Verlage, Buchhandel und Aggregatoren, die den Handel mit Zeitschriften organisieren, in Zukunft überflüssig zu sein. Ebenso kommen nur noch wenige Bibliotheken in dem Papier vor. Fühlen Sie sich überflüssig? Dugall: Das Internet ist auf derartige Ver- mittlungsinstitutionen wie die unseren gar nicht mehr angewiesen. Im Internet kön- nen der Erzeuger eines Beitrages und der Abnehmer eines Beitrages direkt mitein- ander in Beziehung treten. Die eigentliche Frage lautet: Wer kann in seiner bisherigen Rolle neue Geschäftsmodelle finden, mit denen er gegebenenfalls zu Lasten von anderen überleben oder zumindest das Aussterben hinauszögern kann? Wie zeigt sich das? Dugall: Wir erleben, dass die Verlage in Teilen als Distributoren auftreten. Und zwar für den Endkunden. Und wir erleben zum Beispiel bei der Open-Access-Diskussion, dass die Bibliotheken mit erheblichen Anstrengun- gen selbst dafür sorgen, sich in Teilen über- flüssig zu machen. Die agieren gelegentlich so, als würde ein Busfahrer sich für die Ab- schaffung des Straßenverkehrs einsetzen. Tapken: Wenn das Modell so aussehen soll, dass der Autor zahlt, kann es zu einer Ver- wässerung des Peer Review kommen, also der unabhängigen Begutachtung wissen- schaftlicher Arbeiten durch andere Wis- senschaftler. Denn ein Verlag könnte ein Interesse entwickeln, möglichst viel online zu stellen, um Einnahmen zu generieren. Die Qualität steht dann aber in Frage. Dugall: Das könnte man meinen, aber wenn die Qualität einer Plattform nicht gehalten wird, dann sinkt der Anreiz, auf einer be- stimmten Plattform zu veröffentlichen und dafür zu zahlen. Es gibt Buchhändler, die bündeln 41.000 Liefe- ranten. Wie wollen die Institutionen in Zukunft die Inhalte alle zusammenbringen? Dugall: Es ist ja nicht so, dass wir nicht mit allen Verlagen zu tun haben. Besten- falls werden 98 Prozent des Geschäftes mit etwas über 100 Verlagen abgewickelt. Wertneutral ausgedrückt heißt das, dass die Aktivitäten eine starke Bündelung er- fahren. Und diese Bündelung führt dazu, dass die Preise hochgehalten werden. Hin- zu kommt: Wissenschaftliche Produkte sind solche, die keinen Wettbewerb zu- lassen. Ich kann ja nicht sagen, weil mir die Zeitschrift X zu teuer ist, kaufe ich die Zeitschrift Y. Der wissenschaftliche Pub- likationsmarkt funktioniert nicht wie der Automarkt oder der Computermarkt, wo ich zwischen VW und Opel oder zwischen Dell und Asus entscheide. Jedes einzelne Publikationsprodukt ist ein Monopol. Gibt es wirklich keinen Wettbewerb um die Werke der Verlage? Wille: Ja und nein. Sicher ist jedes urhe- berrechtlich geschützte Werk ein Solitär. Auf der anderen Seite erleben wir im Verlagsbereich tagtäglich einen enormen Wettbewerb. Es geht um die Frage, wo publiziert der Autor? Wo werden welche Zeitschriften neu gegründet? Nehmen wir die Chemie als Beispiel: Wir haben vor drei Jahren mit kontinentaleuropäischen chemischen Gesellschaften eine Zeit- schrift für den Bereich der Katalyse mit einem neuem Konzept gegründet; wenige Monate später bringt die amerikanische Gebt uns eine faire Chance Vor genau einem Jahr machten die Wissenschaftsorganisationen mit dem KII-Papier einen Vorschlag, wie die wissenschaftlichen Einrichtungen in Zukunft mit Informationen versorgt werden sollen. Das hat bis heute eine hoch emotionalisierte Debatte ausgelöst Das Internet ist auf derartige Vermittlungsinstitutionen wie die unseren gar nicht mehr angewiesen Berndt Dugall

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BuchMarkt April 201260

Branche

In einem Papier, das von der Kom-mission Zukunft der Informationsin-frastruktur (KII) veröffentlicht wurde,

geht es um nichts weniger als um die Neu-aufteilung des Bibliotheksgeschäfts. Das bewegt nun seit einem Jahr die Gemüter. Denn zahlreiche Marktteilnehmer wurden zwar befragt, aber an intensiven Beratun-gen nicht beteiligt. Wir fragten Eva Wille, Vorstandsmitglied in der Deutschen Fach-presse, Berndt Dugall, Direktor der Univer-sitätsbibliothek Frankfurt am Main, Klaus Tapken, Mit-Geschäftsführer von Missing Link und im Vorstand des Arbeitskreises wissenschaftlicher Sortimenter (AWS), und Cary Bruce, Geschäftsführer bei EBSCO Deutschland, wo sie in Zukunft ihre Posi-tion im Bibliotheksgeschäft sehen.

Wenn man das KII-Papier liest, scheinen Verlage, Buchhandel und Aggregatoren, die den Handel mit Zeitschriften organisieren, in Zukunft überflüssig zu sein. Ebenso kommen nur noch wenige Bibliotheken in dem Papier vor. Fühlen Sie sich überflüssig?Dugall: Das Internet ist auf derartige Ver-mittlungsinstitutionen wie die unseren gar nicht mehr angewiesen. Im Internet kön-nen der Erzeuger eines Beitrages und der Abnehmer eines Beitrages direkt mitein-ander in Beziehung treten. Die eigentliche

Frage lautet: Wer kann in seiner bisherigen Rolle neue Geschäftsmodelle finden, mit denen er gegebenenfalls zu Lasten von anderen überleben oder zumindest das Aussterben hinauszögern kann?

Wie zeigt sich das? Dugall: Wir erleben, dass die Verlage in Teilen als Distributoren auftreten. Und zwar für den Endkunden. Und wir erleben zum Beispiel bei der Open-Access-Diskussion, dass die Bibliotheken mit erheblichen Anstrengun-gen selbst dafür sorgen, sich in Teilen über-flüssig zu machen. Die agieren gelegentlich so, als würde ein Busfahrer sich für die Ab-schaffung des Straßenverkehrs einsetzen. Tapken: Wenn das Modell so aussehen soll, dass der Autor zahlt, kann es zu einer Ver-wässerung des Peer Review kommen, also der unabhängigen Begutachtung wissen-schaftlicher Arbeiten durch andere Wis-senschaftler. Denn ein Verlag könnte ein Interesse entwickeln, möglichst viel online zu stellen, um Einnahmen zu generieren. Die Qualität steht dann aber in Frage.Dugall: Das könnte man meinen, aber wenn die Qualität einer Plattform nicht gehalten wird, dann sinkt der Anreiz, auf einer be-stimmten Plattform zu veröffentlichen und dafür zu zahlen.

Es gibt Buchhändler, die bündeln 41.000 Liefe-ranten. Wie wollen die Institutionen in Zukunft die Inhalte alle zusammenbringen?

Dugall: Es ist ja nicht so, dass wir nicht mit allen Verlagen zu tun haben. Besten-falls werden 98 Prozent des Geschäftes mit etwas über 100 Verlagen abgewickelt. Wertneutral ausgedrückt heißt das, dass die Aktivitäten eine starke Bündelung er-fahren. Und diese Bündelung führt dazu, dass die Preise hochgehalten werden. Hin-zu kommt: Wissenschaftliche Produkte sind solche, die keinen Wettbewerb zu-lassen. Ich kann ja nicht sagen, weil mir die Zeitschrift X zu teuer ist, kaufe ich die Zeitschrift Y. Der wissenschaftliche Pub-likationsmarkt funktioniert nicht wie der Automarkt oder der Computermarkt, wo ich zwischen VW und Opel oder zwischen Dell und Asus entscheide. Jedes einzelne Publikationsprodukt ist ein Monopol.

Gibt es wirklich keinen Wettbewerb um die Werke der Verlage?Wille: Ja und nein. Sicher ist jedes urhe-berrechtlich geschützte Werk ein Solitär. Auf der anderen Seite erleben wir im Verlagsbereich tagtäglich einen enormen Wettbewerb. Es geht um die Frage, wo publiziert der Autor? Wo werden welche Zeitschriften neu gegründet? Nehmen wir die Chemie als Beispiel: Wir haben vor drei Jahren mit kontinentaleuropäischen chemischen Gesellschaften eine Zeit-schrift für den Bereich der Katalyse mit einem neuem Konzept gegründet; wenige Monate später bringt die amerikanische

Gebt uns eine faire ChanceVor genau einem Jahr machten die Wissenschaftsorganisationen mit dem KII-Papier einen Vorschlag, wie die wissenschaftlichen Einrichtungen in Zukunft mit Informationen versorgt werden sollen. Das hat bis heute eine hoch emotionalisierte Debatte ausgelöst

Das Internet ist auf derartige Vermittlungsinstitutionen wie die unseren gar nicht mehr angewiesen Berndt Dugall

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chemische Gesellschaft eine Zeitschrift mit dem gleichen Konzept auf den Markt und etwas später gründet die englische chemische Gesellschaft noch eine derar-tige Zeitschrift mit diesem Konzept und ähnlichen Leuten.

Dann kann die Bibliothek also wählen, welche Zeitschrift die günstigere ist? Dugall: Was kostet heute ein Abo der „An-gewandten Chemie“?Wille: Etwa zwischen 2.000 – 3.000 Euro für die meisten Bibliotheken. Dugall: Als ich studiert habe, hat ein Abo 62 D-Mark pro Jahr gekostet. Wir haben es nicht mit Preissprüngen um den Faktor fünf oder sechs zu tun, wie sie auf dem Markt ansonsten üblich sind. Wir haben es mit dem Faktor 50 bis 70 zu tun. Die Zeit-schrift ist aber nicht im Umfang um das 70-fache größer geworden. Das können Sie bei sich besichtigen, Frau Wille, denn die ist bei Ihnen im Verlag Wiley-VCH.Wille: Als Sie studierten, kam sie noch mo-natlich. Da hatte sie in etwa 12 mal 100 Seiten im Jahr. Jetzt publiziert die „An-gewandte Chemie“ über 12.000 Seiten und erscheint wöchentlich. Damals hatte die Zeitschrift ca. 500 Einreichungen pro Jahr, jetzt hat sie etwa zwischen 8.000 und 9.000. Damals hatte sie fünf Redakteure, heute arbeiten 24 promovierte Chemiker aus aller Welt im Verlag dran. Der Lis-tenpreis der „Angewandten Chemie“ hat sich seit Ende der achtziger Jahre um das 15fache erhöht, dabei ist zu beachten, dass der Umfang um das 10fache anwuchs und die Inflation den Preis in etwa verdoppel-te. Der Preis der „Angewandten Chemie“ ist ziemlich genau direkt proportional zu Inflation und Umfang gestiegen; für die Bibliotheken dank der Konsortialverträge sogar deutlich weniger gestiegen. Dabei leisten wir auch sonst jede Menge Ex-traservices.

Dugall: Die Abläufe der Herstellung haben sich aber auch gewaltig vereinfacht. Sie können Vieles viel kostengünstiger pro-duzieren. Wille: Wir leisten aber dafür sehr viel mehr. Wir machen Links, Keywords und bieten online Supporting-Information mit Origi-naldaten, Videos etc. Jede Literaturstelle wird verlinkt, für jede Literaturstelle kau-fen wir einen DOI, man kann schon Preise vergleichen, aber dann muss man auch den Service vergleichen.Bruce: Das ist eine Diskussion, die seit Jahren geführt wird. Wenn wir uns das aus der Vogelperspektive anschauen, müssen wir tatsächlich feststellen, dass Wissenschaftsverlage eine Umsatzren-dite haben, die über dem Durchschnitt anderer Branchen liegt. Und die Frage ist, ob das nicht übermäßig ist. Aber auch wenn es so ist: Nehmen wir an, das Ergebnis würde halbiert, statt 25 Prozent gäbe es nur 13 Prozent Rendite, und das Geld würde in die Bibliotheken zurückfließen. Würde das das Problem der Bibliotheken lösen? Dugall: Die Halbierung der Rendite allein sicher nicht. Aber im Gespräch mit Che-mikern der Universität über die Erwer-bung musste ich wieder sagen, dass wir mit einer Preissteigerung von acht Prozent rechnen müssen. Das geht seit Jahr und Tag so. Zeigen Sie mir mal andere Märkte, wo Produkte jedes Jahr mit diesen Preis-steigerungen versehen werden.

Welche Rendite macht Wiley?Wille: Ich habe Ihnen hier den Jahresbericht 2011 von Wiley mitgebracht, den ein börsen-notiertes Unternehmen vorlegen muss. Das Net Income (GAAP) liegt bei 9,86 Prozent. Sicher, das gilt für den gesamten Verlag von der wissenschaftlichen Zeitschrift über die

„For Dummies“ bis zu den Lehrbüchern. Wenn man am Markt bleiben will, braucht

man Mittel, um zeitgemäß zu investieren. Sonst werden Verlage von den berühmten

„GAFA“, also Google, Amazon, Facebook und Apple, substituiert. Und ich weiß nicht, ob diese Monopole für uns alle besser wären.

Das KII-Papier träumt ja davon, dass alle Dateien auf einem zentralen Server liegen und von dem aus sich dann alle bedienen können. Aber ist das überhaupt realistisch? Und ist das für den Qualitätsanspruch förderlich?Dugall: Auch das wird so nie kommen, um es ganz deutlich zu sagen. Denn: Jedes Modell, das über eine gewisse Zentrali-sierung hinausgeht, hat die Eigenschaft eines sich aufblähenden Sterns: Der fällt irgendwann in sich zusammen und wird zum schwarzen Loch. Die Frage ist ein bisschen anders zu stellen. Was wir bis-her erleben, ist ein Prozess, der seit 20 Jahren läuft. Was sich an Arbeitsabläufen über viele Jahrzehnte eingeschliffen hat, versuchen wir nun in eine digitale Welt zu übertragen. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass sich völlig neue Prozesse entwickeln. Tapken: Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb muss man sehr innovativ sein und neue Produkte ausprobieren, man muss hef-tig investieren, und jeder steht unter Legi-timationsdruck. Auch die Bibliotheken …Dugall: … natürlich …Tapken: Als Buchhändler verkaufen wir E-Books an Bibliotheken in einem Klein-Klein-Geschäft von den Plattformen vieler kleiner Verlage. Das machen wir von den Plattformen kleiner Verlage oder mit Hilfe eines Aggregator-Partners wie MyLibrary. Das bleibt aber ein Geschäft wie gehabt. Denn Bibliotheken wollen ja auch nicht mit kleinen Verlagen wie der Edinburgh Press über einen einzelnen Titel für 29,95 Briti-sche Pfund verhandeln. Die Bibliothek will das auf elektronischem Wege bestellen kön-nen und es reibungslos geliefert bekommen. Sie will perfekte Metadaten, die müssen

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Wir brauchen Mittel, um zeitgemäß zu investieren. Sonst werden wir von Google,

Amazon, Facebook und Apple substituiert Eva Wille

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eingelesen werden können, und am Ende steht alles auf einer Edifakt-Abrechnung. Diesen Service will sie für die vielen Verla-ge von einem Bibliothekslieferanten haben. Bruce: Ich kann dem nur zustimmen. Ich denke, uns noch als Händler zu bezeichnen ist bereits antiquiert. Wir sind Dienstleister. Denn wir beschäftigen uns viel mit Prozes-sen, die vor und nach dem Kauf stattfinden. Wenn der Erwerb über uns läuft, ist das nur noch ein Beiprodukt. Wir haben zum Bei-spiel den „Discovery-Service“ entwickelt, mit dem wir den Bibliotheken helfen, gegen Google zu konkurrieren. Denn mit ihm ste-hen der Bibliothek bessere Suchfunktionen und bessere Anbindungen der Ressourcen zur Verfügung als bei Google. Wir alle pro-bieren derzeit viel aus und fragen, welche Dienstleistungen gebraucht werden.

Wo sehen Sie den Innovationsdruck für die Bibliotheken? Dugall: Wir müssen uns damit arrangieren, dass wir zunehmend mehr Informationen in digitaler Form anbieten müssen. Vor zehn Jahren haben wir in unserem Haus die Zet-telkästen abgeschafft und 105 neue Compu-terarbeitsplätze eingerichtet. Die sind heute schon wieder überflüssig, heute wollen die Studenten alles auf dem eigenen Rechner haben. Da haben sie es aber mit den unter-schiedlichsten Systemen zu tun. Das heißt, ich muss technisch noch mehr diversifizie-ren, als ich das in der Vergangenheit getan habe. Das ist zwar alles machbar, aber das ist nicht trivial. Das PDF als Standard bei Zeitschriften war noch einfach, es wird aber von immer neuen Formaten abgelöst. Infor-mation heute in voller Breite abzubilden, ist kaum noch zu schaffen.

Stichwort Google und Amazon: Müssen Sie als Bibliothekar Konkurrenz befürchten?Dugall: Da müssen wir zwei Dinge aus-einander halten. Google ist auf der Re-

cherche-Ebene sicher ein ganz großer Konkurrent, da gibt es nichts zu diskutie-ren. Denn Google schlägt mit Masse und mit Schlichtheit. Meine Profession sieht zwar immer nur die Schwächen, aber wir müssen auch feststellen, dass die Masse der Konsumenten an diesen Schwächen gar nicht interessiert ist. Nicht so bei Ama-zon: In den USA mag das anders sein, aber Amazon ist bisher kein großer Lieferant für Bibliotheken. Das hängt auch mit der Preisbindung in Deutschland zusammen. Und da können andere Einrichtungen ei-nen besseren Service bieten als Amazon das kann und will. Bruce: Global gesehen zeigen uns Goog-le und Amazon etwas anderes. Nämlich, welche neuen Rollen von Vermittlung von Informationen in der Internetwelt entste-hen können. Wenn wir auf die reine For-schung blicken, müssen wir erkennen, dass nur noch ein paar Informationsmanager gebraucht werden, die die Auswahl und das Verfügbarmachen von Informationen organisieren. Bibliotheken in ihrer physi-schen Form sind aus dieser Sicht mit ihren Einrichtungen passé und suchen auch nach neuen Rollen. Im universitären Bereich haben Bibliotheken aber noch eine Reihe von anderen Funktionen wie zum Beispiel die Versorgung der Studenten mit Informa-tionskompetenz, Betreiber von Social Me-dia Plattformen oder Zurverfügungstellen von Arbeitsplätzen.Tapken: Die Spitzenforschung ist der klare Adressat des KII-Papiers. Die Frage ist, wie kriege ich es hin, das Lehrbuchge-schäft zu erhalten und zwar als E- und als Print-Geschäft. Die AWS-Studie hat ergeben, dass die Bibliotheken und Nutzer weiter Print kaufen wollen. Und auch für die Studenten werden immer mehr neue Produkte entwickelt. Dugall: Die Wissenschaftsorganisationen arbeiten wie die Deutsche Bahn. Letztere

hat die Hauptstrecken ausgebaut und die Nebenstrecken eingestellt. In den Zentren haben die Bahnhöfe noch andere Funktio-nen, wie die Marktfunktion, übernommen, so dass man manchmal eher von einem Ein-kaufszentrum mit angeschlossenen Gleisen sprechen kann. So ist das auch mit dem KII-Papier. Die KII-Studie ist politisch sehr einseitig. Sie ist dominiert von Personen, die aus Leibniz-Institutionen kommen und die nur die reine Forschung im Blick haben. Ihre einzige Frage lautet: Wie kann ich mei-ne eigene Institution erhalten? Deshalb ist das Ganze so zugeschnitten, dass ein paar Einrichtungen sehr gut dabei wegkommen, und die anderen sollen über den Jordan ge-hen. Das ist das Faktum.

Offene Worte. Aber ich erlebe das Papier auch als Wunschliste. Daraus lassen sich auch positive Aussagen ziehen, wenn nicht sogar Geschäftsmodelle entwickeln.Dugall: Die wesentliche Aussage ist, dass eine lineare Fortsetzung dessen, was bisher passiert ist, nicht weiter betrieben werden kann, weil es ganz neue Anforderungen gibt. Dazu gehört die Überwindung der Trennung von Publikationen auf der einen und den dazugehörigen Forschungsdaten auf der anderen Seite. Zum anderen wird vom Papier aufgezeigt, dass wir vor neuen Herausforderungen stehen, die bis heute nicht gelöst sind. Stichwort Langzeitar-chivierung. Andererseits kommen viele andere Aufgaben einer Bibliothek nicht vor, weil das Papier eben auf reine For-schungsfragen fixiert ist.

Und solche Projekte wie Vascoda, das als zent-rales Wissenschaftsportal mit enormen Mitteln von Bund und DFG aufgebaut wurde, haben viel Geld verbraucht. Vascoda wird jetzt eingestellt.Bruce: Ich habe Verständnis dafür, wenn man mit solchen Projekten Grundlagen-forschung betreibt. Aber wenn man damit

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Man muss innovativ sein und neue Produkte ausprobieren, man muss heftig investieren, und jeder steht unter Legitimationsdruck Klaus Tapken

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in Wettbewerb steht zu anderen oder beste-henden Projekten, dann tötet das sämtliche Privatinitiative ab. An diesem Punkt kön-nen wir als Dienstleister nur appellieren: Gebt uns eine faire Chance, Lösungen zu entwickeln. Denn wenn andere Angebote subventioniert werden und kostenlos sind, dann haben wir keine Chance. Wir wollen mit den gleichen Spielregeln spielen.

Wird das Papier bereits umgesetzt?Tapken: Es gibt eine erste Ausschreibung, die sich an dem KII-Papier orientiert. Und da zeigen sich schon erste Probleme bei der Umsetzung. Wir haben ja ein förderatives System, und die Verbünde setzen unter-schiedliche EDV-Systeme ein. Mit der Aus-schreibung soll jetzt eine Vereinheitlichung vorgenommen werden, damit es überhaupt zu einer Umsetzung kommen kann.

Eine Vereinheitlichung wäre ja sicher nicht schlecht. Dugall: Wie es wirklich geht, machen uns die internationalen Anbieter vor. Die großen Anbieter sind gerade dabei, ihre gesamte Infrastruktur zu verändern. Die setzen alle auf webbasierte Dienste mit Cloud-Computing. Das heißt, die Prozes-se laufen völlig losgelöst von dem, was im KII-Papier steht. Ich habe bereits ein mulmiges Gefühl, wenn am Anfang einer Initiative erst einmal ein zentrales Steue-rungsgremium steht. Dann habe ich schon meine große Sorge, ob daraus etwas wird.Wille: Worüber man sich wundern kann, ist: Wir leben in einem Land, das mehr Forschung will. Jeder will, dass der Out-put steigt. Wir bekommen in den Verlagen also deutlich mehr Content. Aber niemand denkt darüber nach, dass das mehr Arbeit bedeutet. Müssten da die Bibliotheken nicht auch entsprechende Forderungen erheben dürfen? Stattdessen werden Zeit-schriften als zu teuer kritisiert.

Dugall: Die Verteilungsmechanismen in den Universitäten sind auch nicht einfach. Ich denke, Preissteigerungen sind nicht des Teufels. Das Problem wird erst dann spürbar, wenn die Preissteigerungen über denen der Inflationsrate liegen. Wille: Ich sehe kein Problem darin, wenn eine Bibliothek eine Zeitschrift abbestellt. Ich fra-ge mich, warum machen Bibliotheken nicht Gebrauch von Coupon-Angeboten. Damit zahlen Sie für eine einzelne Nutzung. Dugall: Dazu muss man sagen, dass die Pay-Per-View-Modelle in der Wissenschaft überhaupt nicht akzeptiert sind. Und was das Abbestellen betrifft: Ich habe zum Bei-spiel das Problem mit ihrem Konsortial-vertrag, dass ich gar nicht abbestellen darf

– abgesehen von einem kleinen Umfang.

Warum hat es das System Pay-Per-View so schwer?

Dugall: Wenn ich zum Beispiel einen Ver-trag mit Wiley über den Zugriff auf Ihre Zeitschriften schließe, dann ist das nicht billig, aber ich weiß genau, was es kos-tet. Bei Pay-Per-View habe ich überhaupt keine Ahnung, wo ich am Ende stehe. Wenn ich einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung habe und der ist im Okto-ber aufgebraucht, dann muss ich irgend-jemanden, der sich im November etwas ausleihen will, sagen, du bist zu spät. Und dazu kommt: Stellen Sie sich vor, wir hät-ten insgesamt 250.000 Nutzungsfälle bei Ihnen, Frau Wille. Wenn ich die in Ein-zelabrechnungen umsetze, dann wird das wesentlich teurer. Dann kommt noch der administrative Aufwand dazu. Wille: Dann sind wir wieder bei Open Access, das heißt die Autoren bzw. Forschungsgesell-schaften müssen die Veröffentlichungskosten mittragen. Hier Dienstleistungen anzubieten, ist für viele Verlage gerade die große stra-tegische Zielrichtung. Aber das bedeutet mehr Aufwand. Verlage bauen zusätzlich eine neue Sales Force auf, die mit den ein-zelnen Geldgebern wie DFG, MPG, Trusts etc. verhandeln muss. Aber jeder Geldgeber stellt eigene Budgets und Spielregeln auf, wie die Veröffentlichung von Artikeln über durch ihn geförderte Forschungsergebnisse finanziell unterstützt wird. Sie alle müssen in neuen Abrechnungssystemen abgebildet werden. Das einfachste Modell ist, wenn die Bibliothek für alle abrechnet, weil dann nicht so viel in die Bürokratie geht, die der Wissenschaft überhaupt nichts bringt. Dafür würde ich persönlich dann lieber einen wei-teren Redakteur einstellen. Bruce: Es gibt Effizienzsteigerungen, in denen man Angebote zentralisiert. Aber Vielfalt und Wettbewerb bringen Kreati-vität und neue Ideen auf den Markt. Das ist anregend und bringt uns weiter. Diese Balance gilt es zu finden.

Die Fragen stellte Mathias Koeffler

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KII-PapierUnter Federführung der Leibniz-Gemeinschaft - einem Verbund außeruniversitärer Forschungs-einrichtungen – wurde nach 15-monatiger Bera-tung im April 2011 ein „Gesamtkonzept für die Informationsstruktur in Deutschland“ veröffent-licht. Im Auftrag von Bund und Ländern macht die dafür einberufene Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur (KII) auf 254 Seiten u.a. Vorschläge zu Lizenzierung, Hosting und Langzeitarchivierung, Retrodigitalisierung und Open Access. Dabei definiert die Kommission „Informationsinfrastruktur“ als nationales, dis-ziplinübergreifendes „Netz“ von Einrichtungen.

Diese nehmen in öffentlichem bzw. institutionel-lem Auftrag die Versorgung im weitesten Sinne von Wissenschaft und Forschung mit Informati-on und damit zusammenhängenden Dienstleis-tungen wahr. Allerdings sind nicht alle Einrich-tungen dabei. Der Börsenverein kritisierte, dass „wichtige Beteiligte wie zum Beispiel wissen-schaftliche Gesellschaften, Hochschulverband, Wissenschaftsverlage und Bibliothekslieferan-ten wie der Buchhandel nicht oder nicht ausrei-chend in diesen Prozess eingebunden“ wurden.

Ich denke, uns noch als Händler zu bezeichnen, ist bereits antiquiert.

Wir sind Dienstleister Cary Bruce