Gefährliche «Donats» auf der Zuckerspur · membran auch ohne Clathrin oder Caveolin...

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forschungswelten CHEMIE PLUS 4-2012 77 Von 2007 bis 2013 standen dem Europäi- schen Forschungsrat (European Research Council, ERC) für die Förderung interdiszi- plinärer Pionierforschung 7,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Biologie- und Che- mielehrer Winfried Römer, seit April 2011 Juniorprofessor am Zentrum für Biologische Signalstudien (BIOSS) der Universität Frei- burg/Brsg., gehört zu den glücklichen Nach- wuchswissenschaftlern, denen der ERC einen sogenannten Starting Grant zusprach, ein mit fast 1,5 Millionen Euro dotiertes 5-Jahres-Stipendium zum Aufbau einer eige- nen, unabhängigen Forschungsgruppe. «Ich hatte mich im November 2010 für das Sti- pendium beworben, bin im Mai 2011 zu einem Interview nach Brüssel gereist, um dort einen zehnminütigen Vortrag zu halten, anschliessend wurde ich zehn Minuten lang befragt. Die Fragen waren sehr schwierig – wie ich inzwischen weiss, ein gutes Zeichen. Im Juli erhielt ich die Zusage», berichtet Römer von der 4. Ausschreibung, bei der aus insgesamt 4080 Anträgen 480 Stipendia- ten ausgewählt wurden. Römer, der bei der Göttinger Membranfor- scherin Claudia Steinem (damals noch in Regensburg) promoviert hatte, im Rahmen seiner Juniorprofessur am Freiburger BIOSS die Signalweiterleitung in Zellen erforscht und zuvor als Postdoktorand und For- schungsbeauftragter am renommierten Pari- ser Krebsforschungsinstitut «Institut Curie» einen neuartigen zellulären Aufnahmeme- chanismus beschreiben konnte, geht im Rahmen seines ECR-geförderten Projektes seit Dezember 2011 den zellulären Trans- port- und Signalwegen des verbreiteten Feuchtkeims Pseudomonas aeruginosa nach. Das humanpathogene Bakterium, von dem in Krankenhäusern inzwischen mehrfach antibiotikaresistente Stämme kursieren, kann Mukoviszidose, Harnwegsinfektionen, Darmerkrankungen und allerlei weitere In- fekte auslösen. «Wir möchten auf molekularer Ebene ver- stehen, wie Pseudomonas aeruginosa in Wirtszellen eindringt, wo genau sich das Bakterium einnistet und welche Reaktionen und Signale es auslöst. Wir hoffen natür- lich, dass wir dabei auch Wege zu neuen Therapien aufzeigen können», resümiert der Freiburger Zellforscher seine selbstgestellte Aufgabe. Shiga-Toxine auf dem Weg in die Wirtszelle Am Institut Curie hatte er bereits unter- sucht, wie Shiga-Toxine – die Hauptviru- lenzfaktoren der gefährlichen Escherichia coli-Darmbakterien STEG (Shiga-Toxin-bil- dende E. coli) und EHEC (Enterohämorrha- gische E. coli) – sowie das potenziell krebs- verursachende Simian-Virus 40 (SV40) aus der Gattung Polyomavirus in Wirtszellen eindringen. Ebenso wie lebensnotwendige Nährstoffmoleküle, Botenstoffe oder Memb- ranbestandteile gelangen auch gefährliche immunstimulierende Antigene, Toxine, Vi- ren und Bakterien via die sogenannte Endo- zytose aus dem Extrazellularraum ins Inne- re eukaryotischer Zellen (Zellen mit Zell- kern). Dabei stülpt sich die Zellmembran – eine fluide Doppelschicht aus amphiphilen Phospholipiden, Cholesterin und verschie- denen Proteinen, welche das Zellinnere nach aussen hin abgrenzt – um den patho- BIOSIGNALSTUDIEN Gefährliche «Donats» auf der Zuckerspur Forscher der Universität Freiburg/Brsg. untersuchen, wie Gifte, Viren und Bakterien in Wirtszellen eindringen, darin weitertransportiert werden und dabei an verschiedenen Stellen Signalkaskaden auslösen. Unter anderem haben die Wissenschaftler einen noch wenig verstandenen Mechanismus im Visier, bei dem Pathogene die Moleküle der Wirtszellmembran umordnen, um sich Türen in deren Inneres zu erschliessen. BEATE PEISELER-SUTTER Modell zur Bindung von Shiga-Toxin an Gb3-halti- ge Membran- systeme.

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Von 2007 bis 2013 standen dem Europäi-schen Forschungsrat (European ResearchCouncil, ERC) für die Förderung interdiszi-plinärer Pionierforschung 7,5 MilliardenEuro zur Verfügung. Der Biologie- und Che-mielehrer Winfried Römer, seit April 2011Juniorprofessor am Zentrum für BiologischeSignalstudien (BIOSS) der Universität Frei-burg/Brsg., gehört zu den glücklichen Nach-wuchswissenschaftlern, denen der ERCeinen sogenannten Starting Grant zusprach,ein mit fast 1,5 Millionen Euro dotiertes5-Jahres-Stipendium zum Aufbau einer eige-nen, unabhängigen Forschungsgruppe. «Ichhatte mich im November 2010 für das Sti-

pendium beworben, bin im Mai 2011 zueinem Interview nach Brüssel gereist, umdort einen zehnminütigen Vortrag zu halten,anschliessend wurde ich zehn Minuten langbefragt. Die Fragen waren sehr schwierig –wie ich inzwischen weiss, ein gutes Zeichen.Im Juli erhielt ich die Zusage», berichtetRömer von der 4. Ausschreibung, bei deraus insgesamt 4080 Anträgen 480 Stipendia-ten ausgewählt wurden.Römer, der bei der Göttinger Membranfor-scherin Claudia Steinem (damals noch inRegensburg) promoviert hatte, im Rahmenseiner Juniorprofessur am Freiburger BIOSSdie Signalweiterleitung in Zellen erforschtund zuvor als Postdoktorand und For-

schungsbeauftragter am renommierten Pari-ser Krebsforschungsinstitut «Institut Curie»einen neuartigen zellulären Aufnahmeme-chanismus beschreiben konnte, geht imRahmen seines ECR-geförderten Projektesseit Dezember 2011 den zellulären Trans-port- und Signalwegen des verbreitetenFeuchtkeims Pseudomonas aeruginosa nach.Das humanpathogene Bakterium, von demin Krankenhäusern inzwischen mehrfachantibiotikaresistente Stämme kursieren,kann Mukoviszidose, Harnwegsinfektionen,Darmerkrankungen und allerlei weitere In-fekte auslösen.«Wir möchten auf molekularer Ebene ver-stehen, wie Pseudomonas aeruginosa inWirtszellen eindringt, wo genau sich dasBakterium einnistet und welche Reaktionenund Signale es auslöst. Wir hoffen natür-lich, dass wir dabei auch Wege zu neuenTherapien aufzeigen können», resümiert derFreiburger Zellforscher seine selbstgestellteAufgabe.

Shiga-Toxine auf dem Weg in die WirtszelleAm Institut Curie hatte er bereits unter-sucht, wie Shiga-Toxine – die Hauptviru-lenzfaktoren der gefährlichen Escherichiacoli-Darmbakterien STEG (Shiga-Toxin-bil-dende E. coli) und EHEC (Enterohämorrha-gische E. coli) – sowie das potenziell krebs-verursachende Simian-Virus 40 (SV40) ausder Gattung Polyomavirus in Wirtszelleneindringen. Ebenso wie lebensnotwendigeNährstoffmoleküle, Botenstoffe oder Memb-ranbestandteile gelangen auch gefährlicheimmunstimulierende Antigene, Toxine, Vi-ren und Bakterien via die sogenannte Endo-zytose aus dem Extrazellularraum ins Inne-re eukaryotischer Zellen (Zellen mit Zell-kern). Dabei stülpt sich die Zellmembran –eine fluide Doppelschicht aus amphiphilenPhospholipiden, Cholesterin und verschie-denen Proteinen, welche das Zellinnerenach aussen hin abgrenzt – um den patho-

BIOS IGNALSTUD IEN

Gefährliche «Donats» auf derZuckerspurForscher der Universität Freiburg/Brsg. untersuchen, wie Gifte, Viren und Bakterien in Wirtszellen eindringen, darinweitertransportiert werden und dabei an verschiedenen Stellen Signalkaskaden auslösen. Unter anderem haben dieWissenschaftler einen noch wenig verstandenen Mechanismus im Visier, bei dem Pathogene die Moleküle derWirtszellmembran umordnen, um sich Türen in deren Inneres zu erschliessen.

B E A TE P E I S E L E R - S U T TE R

Modell zurBindung vonShiga-Toxinan Gb3-halti-ge Membran-systeme.

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genen Stoff herum ein. In der Folge werden40 bis mehrere hundert Nanometer (1 Nano-meter = 1 Millionstel Millimeter) grosse –in diesem Fall Pathogen-beladene – Bläs-chen (Vesikel bzw. Endosomen) ins Zellin-nere hinein abgeschnürt. Es sind verschie-dene endozytotische Mechanismen be-kannt, am besten untersucht ist die Cla-thrin-vermittelte Endozytose, über die Re-zeptor-gebundene Stoffe in die Zelle gelan-gen. Das Gerüstprotein Clathrin unterstütztund stabilisiert dabei die negative Memb-ranwölbung (vgl. «Chemie plus» 12/2011).Römer und andere Forscher konnten kürz-lich zeigen, dass die Einstülpung der Zell-membran auch ohne Clathrin oder Caveolinfunktioniert, ein bisher wenig verstandenerEndozytoseweg, dem das 15-köpfige, inter-disziplinär aufgestellte Freiburger Team nunweiter nachgeht.Shiga-Toxin gehört zu den AB5-Toxinen,wie sie von einer ganzen Reihe pathogenerBakterien sekretiert werden. Die katalytischaktive A-Untereinheit (STxA) besitzt einerRNA-N-Glykosidase-Aktivität, via die dasGift seine zerstörerische Wirkung ausübt,indem es die Proteinbiosynthese der Wirts-zelle lahmlegt. Die B-Untereinheit (STxB) istein Homopentamer aus fünf identischenTeilen und für die zelluläre Aufnahme undden Transport des Toxins zum Zellzentrum

verantwortlich. Der gesamte Proteinkom-plex ähnelt einem einige Nanometer brei-ten, zwei Nanometer hohen Donut mitPore. Auf seiner der Zellmembran zuge-wandten Seite befinden sich hoch konser-vierte Zuckererkennungsdomänen, via diedas Toxin spezifische Zuckerstrukturen aufWirtszellen erkennt und daran bindet.Shiga-Toxin kann sowohl klassisch, überdie Clathrin-abhängige Endozytose, in dieZelle gelangen, es kann aber auch einenClathrin-unabhängigen Mechanismus indu-zieren. Der erste Schritt auf dem Clathrin-unabhängigen Eintrittsweg ist die Wechsel-wirkung mit einer Zuckerstruktur auf einemOberflächen-Glykosphingolipid der Zelle.Glykosphingolipide dienen der zellulärenKommunikation und fungieren als nicht-proteinoide Rezeptoren bei der Weiterlei-tung von Signalen, in Adhäsionsprozessenund beim Ausweisen der immunologischenIdentität.

«An einem Dogma gerüttelt»Shiga-Toxin erkennt den Glykosphingoli-pid-Rezeptor Gb3 (Globotriaosylceramid,auch CD77 genannt). Eine STxB-Unterein-heit kann aktiv bis zu 15 Gb3-Moleküle rek-rutieren, wodurch es in der fluiden Memb-ran zur Verschiebung von Proteinen und Li-piden und zur Ausbildung von STxB-Gb3-

ProfessorWinfried Römerist Juniorpro-fessor amZentrum fürBiologischeSignalstudien(BIOSS) derUniversitätFreiburg/Brsg.(Bild: B. Peiseler-Sutter)

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Clustern kommt. In der Folgebilden sich röhrenförmige Ein-stülpungen, die weit in dieZelle hinein reichen. «STxB isteine Art proteinoide Cluster-Maschine, die diese Ein-stülpungen der Zellmembranohne das Zutun der Zelle er-zeugt. Deren Moleküle sinderst an der Abschnürung derRöhren zu Bläschen beteiligt.Als wir diese Ergebnisse 2007im Fachmagazin Nature publi-zierten, haben wir damit aneinem Dogma gerüttelt», be-merkt Römer. Unter Zuhilfe-nahme diverser mikroskopi-scher Ansätze wie Fluores-zenzmikroskopie in Kombina-

tion mit Rasterkraftmikroskopie, beobachten die Freiburger For-scher die durch STxB induzierten Gb3-Rekrutierungs- und Umorga-nisationsprozesse an lebenden Zellen und bilden das dynamischeGeschehen ausserdem an künstlichen Doppelschichtmembransyste-men auf porösen Trägern aus transparentem Silizium oder Kunst-stoffen nach.Dabei lässt sich sehr genau beobachten, wie die Zugabe von STxBin den Modellmembranen zur Kompaktierung der Lipidmoleküleführt und sich anschliessend Membranröhren auftun. STxB ist beimÖffnen zellu-lärer Pforten so erfolgreich, dass es inzwischen alsVehikel (Vektor) für den zielgerichteten Transport von Wirkstoffenerprobt wird.Auch Cholera-Toxin ist ein AB5-Toxin. Es erkennt den Glykosphin-golipid-Rezeptor GM1 (Monosialotetrahexosylgangliosid) und miss-braucht diesen auf ähnliche Weise zum Zelleintritt wie Shiga-Toxindas Gb3. Ebenfalls über GM1 gelangt das Polyomavirus SV40 inWirtszellen. Das Virus verpackt sein Genom in einer aus 72 VP1-Pentameren ikosaedrisch aufgebauten Proteinstruktur, dem soge-nannten Capsid. Jedes der pentameren VP1-Capsidproteine besitztfünf GM1-Bindungsstellen, via die in der Plasmamembran Umorga-nisierungs- und Clusterprozesse und die Ausbildung von Ein-stülpungen ausgelöst werden.Römer vermutet die Existenz weiterer, ähnlich aufgebauter viralerund bakterieller Proteinkomplexe, die an Zuckerreste von Glykos-phingolipiden binden, um einen allgemeinen Clathrin-unabhängi-gen Endozytosemechanismus auszulösen. Bei der Suche nach sol-chen Virulenzfaktoren stiess der Zellforscher auf ein Protein vonPseudomonas aeruginosa, dasjenige Bakterium, welches nun imZentrum seines ERC-Projektes steht. Das Protein heisst PA-IL undist wiederum ein Oligomer, diesmal allerdings nicht pentamer auf-gebaut, sondern tetramer. Anne Imberty, Wissenschaftlerin amCentre de Recherches sur les Macromolécules Végétales in Grenoble– «Frankreichs Miss Glycobiologie», wie Römer sie bewunderndnennt – stellt den Freiburger Forschern das Protein zur Verfügung.Die Forschung steht noch ganz am Anfang, aber schon jetzt deutetalles darauf hin, dass auch PA-IL den neuartigen, Clathrin-unabhän-gigen Endozytosemechanismus auslösen kann. In Invasionsassayskonnten Römer & Co zum Beispiel bereits zeigen, dass P. aerugino-sa-Mutanten, denen PA-IL fehlt, anders als der PA-IL-bildende Wild-typ eine deutlich niedrigere Infektionsrate aufweisen. ■

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Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmevon Giant Unilamellar Vesicles (GUVs) mitröhrenförmigen Einstülpungen in der Zell-membran, wie sie sich in Folge der Umor-ganisierung der Membranmoleküle bilden.