"Gegen alle Widerstände" - Beitrag im Handball-Magazin Nr. 1/2014

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HM 52 Von Alexander Kuszka Komm mit mir ins Abenteuerland: Der Schweizer Klub Wacker Thun erlebt bei seiner Premiere in der Champions League das aufregendste Jahr seiner Vereinsgeschichte - und das schwierigste GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE foto: picture-alliance hm14_01_52_55_Wacker_Thun_hm_redesign_dummy_haelfte_2.qxd 17.12.13 20:55 Seite 52

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Komm mit mir ins Abenteuerland: Der Schweizer Klub Wacker Thun erlebt bei seiner Premiere in der Champions League das aufregendste Jahr seiner Vereinsgeschichte - und das schwierigste Quelle: Handball-Magazin

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Von Alexander Kuszka

Komm mit mir ins Abenteuerland: Der Schweizer Klub Wacker Thunerlebt bei seiner Premiere in der Champions League das aufregendste Jahr seiner Vereinsgeschichte - und das schwierigste

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Der kleine Unbekannte: Wacker Thun spielt in dieser Saison erst-

mals in der Champions League. Selbst Insider konnten mit dem

Klub aus der Schweiz bislang nicht viel anfangen. Vorzeigeklub

Kadetten Schaffhausen ist für Experten und Fans da schon eher

ein Begriff. Von diesem muss Wacker jetzt lernen.

Schaffhausen schließlich kennt die Schattenseiten des Erfolgs:

Die Saison 2012/13 endete für den Serienmeister auf dem letzten

Platz seiner Champions-League-Vorrunden-Gruppe. Und in der Liga

reichte es letztlich nur zu Platz zwei. Das langte gerade zur Qua-

lifikation für den Challenge Cup. Zu hoch war die Doppelbelastung

mit Königsklasse und Meisterschaftsbetrieb. Diese Erfahrung

muss jetzt auch Wacker Thun machen. In der vergangenen Saison

hatte es noch die Schwäche des großen Konkurrenten Schaffhausen

genutzt und den Favoriten in den Play-off-Finals überraschend ge-

schlagen – das Champions-League-Ticket war gelöst.

Ein Erfolg, der nicht nur Positives brachte, zumal das Team von

Martin Rubin unter gänzlich anderen Vorzeichen an den Start geht

als die Kadetten. Im Gegensatz zum Dissinger-Klub verfügt das

Team aus dem Berner Oberland nicht über die teuersten Spieler

und die größte Halle der Liga. Die Schaffhauser hatten in der

Champions League meist noch mithalten können mit ihren Geg-

nern, wenn sie letztlich auch ausschieden. Wacker Thun stellte al-

lein die Teilnahme am Wettbewerb vor gewaltige finanzielle und

organisatorische Aufgaben.

Die kleine Thuner Lachenhalle war eines der Probleme: Die Spiel-

stätte war zu klein, 2000 Plätze zu wenig gemäß der EHF-Auflagen.

Also ging es ab nach Bern, in die 3200 Zuschauer fassende

Wankdorfhalle. Die 30 Kilometer entfernte Hauptstadt sollte bei

den Auftritten in der Königsklasse als neue Heimspielstätte dienen.

Dass Sportvereine aus Thun bei internationalen Wettbewerben

nach Bern umziehen müssen, hat fast schon Tradi tion. Zuletzt

traf es die Fußballer. Die mussten 2005 ins Stade de Suisse

ausweichen, weil die Arena am Thunersee einfach zu klein und zu

marode war.

Trotz erster internationaler Erfahrungen: Wacker Thun muss noch viel lernen

Mit dem Hallenwechsel waren die Vorbereitungen für die Champions

League aber noch längst nicht abgeschlossen. Dabei ist Wacker

Thun keineswegs ein Neuling auf internationalem Parkett. Der

Verein sammelte zuvor Erfahrungen im EHF-Cup. Doch die Auf -

gabenliste für die Königsklasse sprengte alles bisher Dagewesene:

Wacker-Geschäftsführer Fred Bächer bezifferte das Budget für die

Champions League auf 750 000 Franken (circa 615 000 Euro).

Die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die seit Jahren

ein eingespieltes Team bilden, waren dabei noch nicht mit ein -

gerechnet. Ohne sie wäre der finanzielle Kraftakt schon gar nicht

zu stemmen gewesen. „Bisher klappt alles”, sagt Bächer, der ins

Schwärmen kommt ob seiner Mitarbeiter: „Unsere Volunteers liefern

bei jedem Heimspiel Spitzenleistungen. Würde es in der Champions

League ein Final Four der besten Gastgeber geben, wären wir mit

Sicherheit dabei. Ich würde uns sogar in der Favoritenrolle sehen.”

Auf dem Spielfeld sind die Schweizer in der Königsklasse hingegen

nie in der Favoritenrolle: Die Berner Oberländer holten bisher erst

einen Punkt in der Gruppe C – gegen Metalurg Skopje. �

Die Einwohnerzahlen der kleinsten Teilnehmerstädte

der laufenden Champions-League-Saison:

Velenje: 38 500

Thun: 43 500

Celje: 44 000

Halmstad: 62 000

Vezprem: 66 000

Flensburg: 83 700

Dünkirchen: 92 000

Aalborg: 106 900

Die Kleinsten in der Königsklasse

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Thuns Lukas von Deschwanden (grünes Trikot) muss gegen

die CL-Gegner mit seinem Team stets ans Maximum gehen

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Überzeugt haben sie trotzdem: Wacker hat sich durch seine Haltung

und seine positive Herangehensweise viele Freunde in Europa

gemacht – auch im ungeliebten Bern. Zwar war die Wankdorfhalle

mit ihren 3200 Plätzen für Wacker während der ersten drei

Heimspiele eine Nummer zu groß, doch kann der Verein mit dem

Zuschaueraufkommen zufrieden sein. Selbst bei den Kadetten

sah es in der Saison 2012/13 in eigener Halle nicht viel rosiger

aus. Als Bonbon wartet zudem das Heimspiel gegen den FC Bar-

celona am 8. Februar. Dann dürfte kein Platz unbesetzt bleiben in

der kleinen Halle neben dem prunkvollen Stade de Suisse.

Alle fiebern dem Duell mit dem FC Barcelona entgegen – und hoffen auf eine volle Halle

Trainer Martin Rubin fiebert dem Spiel besonders entgegen. Er

sagt: „Das wird ein tolles Match, auch für mich. Ausverkaufte Hal-

le, das beste Team der Welt und meine Jungs auf der Platte. Das

gibt Gänsehaut, sicher”, reibt sich Rubin die Hände. Auch Fred

Bächer dürfte an diesem Abend in die Hände klatschen, wenn der

bisherige Zuschauerschnitt von knapp 1726 Fans mutmaßlich in

die Höhe schnellt. „In finanzieller Hinsicht haben wir das enorme

Glück, dass sich unser Hauptsponsor spontan bereit erklärt hat,

uns auch in der Champions League zu begleiten und wir zudem

auf die Unterstützung der Stadt Thun und diverser Business-Partner

zählen dürfen”, sagt Bächer. „Ohne diese Unterstützung wäre es

ein finanzielles Wagnis geworden. Die Frage, ob wir es uns

nochmals leisten könnten, kann ich nicht abschließend beantworten.

Da müssten wir uns nochmal zusammensetzen und nach neuen

Lösung suchen”, so der Geschäftsführer. Für ihn stellt die Cham-

pions League die größte Herausforderung in der Geschichte seines

Vereins dar. Aber auch eine Chance, sich auf der großen europä -

ischen Bühne zu zeigen. Doch für dieses Erlebnis zahlt Wacker

Thun einen hohen Preis: Der Schweizer Meister versinkt in der

Liga im Mittelmaß.

Der Spagat zwischen Autogrammstunden in Barcelona und

Pflichtprogramm in der heimischen Spielklasse gelingt den

Akteuren noch nicht. Es ist eine schnelllebige Welt, in der sie sich

derzeit bewegen: Ligaspiel abends gegen Kriens-Luzern, danach

Reise nach Minsk um drei Uhr morgens, Champions-League-

Spiel, Training, zurück in den Beruf. Für Vollprofis eine gewohnte

Prozedur, nicht aber für die Thuner, die nur drei Spieler mit Voll-

profi-Status in ihren Reihen haben. Der Rest des Teams muss einer

geregelten Arbeit oder einem Studium nachgehen, denn reich

wird man als Handballer in der Schweiz nicht.

Die Schweizer wissen mit Geld umzugehen. Finanzielle Risiken sind ihnen fremd

Die schweizer Klubs sind nicht bereit, sich in finanzielle Abenteuer

zu stürzen – nicht für die Champions League. Der prestigeträchtige

Wettbewerb hat schon Vereine wie Kopenhagen oder Atlético

Madrid dazu veranlasst, über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu

leben. Am Ende stand der Konkurs. Den Eidgenossen sind solche

riskanten Spielchen fremd und so gehen sie lieber das sportliche

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Spieler Beruf/Lehre oder Ausbildung/Schule

Remy Behnd Bankkaufmann

Romas Caspar Business Analyst

Georgios Chalkidis Profistatus

Jonas Dähler Praktikum als Physiotherapeut

im Krankenhaus Thun

Nikola Dokic Profistatus

Nick Eggenberger Abitur

Borna Franic Semi-Profistatus/Verkäufer

Reto Friedli Kaufmann

Viktor Glatthard Bachelor-Studium der

Psychologie an der Uni Bern

Markus Hüsser Landschaftsarchitekt

Stefan Huwyler Abitur-Abschlussarbeiten

Nikola Isailovic Profistatus

Thomas Lanz Abitur

Luca Linder Master-Studium

in Business & Administration

Andreas Merz Master-Studium in Economics

Thomas Rathgeb Bachelor-Studium der

Informatik an der Uni Bern

Fabian Studer Master-Studium

in Medizin an der Uni Bern

Lukas von Bachelor/Master-Studium

Deschwanden in Sport an der Uni Bern

Marc Winkler Kaufmann

Yvan Wyttenbach Kaufmännische Ausbildung

Mit drei Profis durch die Königsklasse

Kampfschrei: Fabian Studer (rechts) steuerte einen

Treffer zum Unentschieden gegen Metalurg bei

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Risiko ein, gegebenenfalls sang- und klanglos aus dem Wettbe-

werb auszuscheiden.

Genau so sieht es auch Thuns Trainer Martin Rubin, der seit sechs

Jahren an der Seitenlinie der Berner Oberländer steht. „Mit dem

Titel sind die Ansprüche im Umfeld des Vereins sicherlich gestiegen,

doch wir wussten, dass es eine schwierige Saison wird. Der Punkt

in Skopje hat uns versöhnlich gestimmt und jetzt freuen wir uns

auf die nächsten Aufgaben in der Champions League”, sagt der

ehemalige Schweizer Nationalspieler. Vergleiche mit den Kadetten

Schaffhausen hält Rubin nicht für angebracht. „In Schaffhausen

herrschen Profibedingungen. Das sind Spieler, die internationale

Auftritte gewohnt sind. Wir hingegen können höchstens fünf Mal

pro Woche in der Halle trainieren – höchstens!”

Trotz der begrenzten Möglichkeiten gab sich der 49-Jährige vor

der Saison kämpferisch: „Wenn wir eine Chance auf einen Punkt-

gewinn haben, wollen wir diese auch ergreifen”, sagte Rubin. Mit

ein paar Monaten Abstand kann er die Situation nun besser

einordnen: „Als Trainer in einem semi-professionellen Klub kann

man nur begrenzt auf die Mannschaft einwirken. Während der

Champions-League-Phase trainieren wir höchstens noch einmal

in der Woche und halten Videositzungen ab. Die Spieler freuen

sich über die vielen Partien natürlich. Sie spielen lieber, als dass

sie trainieren”, so der Übungsleiter des Neulings.

Für die Kritiker waren die Auftritte der Thuner bisher enttäuschend

– nicht aber für den bescheidenen Klub selbst. Die ersten Auftritte

in der Königsklasse an sich zählen als Erfolg, als bedeutender Teil

der Klubgeschichte. „Wenn du in Skopje bei Metalurg spielst vor

5500 Zuschauern, dann läuft es dir eiskalt den Rücken runter.

Das sind ja nicht nur Handballfans, sondern auch Fußballfans und

Ultras. Das ist einzigartig. Und wir haben in der Höhle des Löwen

einen Punkt geholt. Das ist phänomenal”, erzählt Wacker-Coach

Rubin vom Höhepunkt in Mazedonien.

An die eigene Stärke glaubend: Wacker Thunlässt sich für die Königsklasse nicht verbiegen

Die vergangenen Monate haben den Verein sportlich sehr verändert.

Die Champions League hat den Berner Oberländern finanziell und

organisatorisch einiges abverlangt, doch sind sie sich treu geblieben.

Ihr Credo: Keine finanziellen Wagnisse eingehen, ein perfekter

Gastgeber sein und sich in Handball-Europa von der besten Seite

zeigen. Aus dem fernen Barcelona ist jetzt schon zu vernehmen,

dass man sich auf den Besuch in der Schweizer Hauptstadt sehr

freut. Für die bodenständigen Thuner ist die Champions League

ein wahrgewordenes Märchen, das sie weiterhin mitschreiben und

genießen wollen. Sie wissen die Gesamtsituation genau ein -

zuschätzen. „Wir Schweizer tun gut daran, die Champions League

zu genießen und nicht zu viel von ihr zu verlangen”, sagt Rubin.

„Nur so können wir uns langsam an das Niveau gewöhnen und

unsere Talente weiter ans Optimum heranführen. Als kleiner Verein

Druck zu erzeugen, um in der Königsklasse mithalten zu können,

wäre kontraproduktiv!”, so Rubin. Doch ganz gleich, wie das

Abenteuer Champions League für das Team aus Thun endet:

Wacker ist in Europa kein Unbekannter mehr. �

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Reto Zwahlen, seit Anfang

2013 Präsident von Wacker

Thun, zur aktuell schwieri-

gen Situation der Schweizer

Handballvereine in Europa.

Der 43-Jährige glaubt, die

Probleme könnten nicht von

den schweizer Klubs allein

gelöst werden:

„Es stellt sich die Frage, wie

hoch in Zukunft die Anfor -

derungen der EHF an die CL-Teilnehmer sein werden und

wie groß die Bereitschaft der EHF sein wird, die Aufwände

entsprechend abzugelten. Bleibt es so wie es aktuell ist,

werden die Schweizer Clubs einerseits das Umfeld weiter

und viel stärker professionalisieren müssen, um die zeitliche

Belastung aller Beteiligten entsprechend handhaben zu

können. Andererseits – und das ist der elementare Punkt –

müssen die Klubs von irgendwo großzügig finanziell unter-

stützt werden, um all die anfallenden Kosten, wie zum Bei-

spiel die Forderungen der EHF, oder die Anmietung von

entsprechenden Hallen dort, wo diese nicht vorhanden

sind, stemmen zu können. Es sind aber nicht nur die Klubs

gefordert: Auch der Schweizerische Handball Verband

steht in der Pflicht. Vor allem muss die Problematik der

Fernseh produkt für die kommenden Jahre auf oberster

Ebene geregelt werden.“

„Nicht nur die Klubs sind gefordert“

Trainer Martin Rubin trägt seit 2007 die Verantwortung

für die sportliche Entwicklung Wacker Thuns

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