Gegen die Resignation Kenianische Jugendclubs gehen in die Offensive

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Angewandte Geographie 8 STANDORT – Zeitschrift für Angewandte Geographie 2/2006 © Springer Verlag Obdachlosigkeit, Kriminalität, Hunger, Krankheiten, ver- unreinigtes Wasser und Seuchen sind nur einige Alltags- probleme fast einer Milliarde Slumbewohner weltweit. Unter ihnen sind zahlreiche Kinder und Jugendliche, die in den Slumgebieten scheinbar ohne Zukunſtsperspek- tiven aufwachsen. Viele haben ihre Familie durch AIDS verloren oder sind selbst infiziert. Ohne Arbeit oder Aus- bildungsplatz verbringen sie ihren Alltag auf den Straßen der Slums. Die extremen Lebensbedingungen erhöhen das gesellschaſtliche Konfliktpotenzial erheblich; nicht selten ist der Einstieg der Kinder und Jugendlichen in die Kriminalität die Folge. Auch in Kenia ist die Lage auf den ersten Blick trost- los: Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung mehr und mehr zurück, Betroffene sind sich selbst überlassen. Zu ergründen, wie die Jugendlichen selbst Lösungen für ihre Probleme suchen und welche Perspektiven sich ihnen bieten, war Ziel einer Studie von 15 Studierenden der Universität Trier im Jahr 2004 unter der Leitung von Dr. Johannes Michael Nebe. Im Rahmen einer mehrwöchigen Feldarbeit in verschie- denen Slumgebieten Nairobis – nämlich in Kibera, Dan- dora, Korogocho, Kariobangi und Mathare – konnten die Studierenden ihr literaturbezogenes Hintergrundwissen über die Probleme in Slumgebieten praktisch vertiefen. Unterstützt von der Deutschen Stiſtung für Weltbevölke- rung trafen sie vor Ort auf selbst organisierte Jugendclubs und „Community Based Organisation“ (CBOs). Letztere werden von der lokalen Bevölkerung einer Gemeinde selbst gegründet, organisieren und verwalten sich selbst. Sie zielen dabei auf die Befriedigung von speziellen Be- dürfnissen der Bevölkerung ab. Ihre Arbeit ist nicht an Profit, sondern an der Entwicklung der Gemeinde orien- tiert (UN-Habitat 2004; WELTBANK 2004). Die ersten CBOs wurden Anfang der 90er Jahre gegründet. Eine globale Herausforderung In den vergangenen 50 Jahren stieg nach Angaben des UN-Ha- bitat weltweit die geschätzte Zahl der in Slums lebenden Bevöl- kerung von 350 Millionen auf mehr als 900 Millionen – das sind 32 Prozent der städtischen Bevölkerung insgesamt. Nach Schät- zungen des UN-Habitat Global Report on Human Sett- lement (2003) wird sich diese Zahl in den nächsten 30 Jahren verdoppeln, wenn nicht entsprechende Maßnahmen getroffen und umgesetzt werden. Aber was genau sind Slums, Squatter- oder informelle Sied- lungen? Eine weltweit anerkannte Definition dieser Begriffe existiert nicht. Gemeinsam sind ihnen jedoch besonders men- schenunwürdige Lebensbedingungen. Kofi Annan, General- sekretär der Vereinten Nationen, definiert den Begriff Slum wie folgt: „Slums go by various names – favelas, kampungs, bidon- Gegen die Resignation Kristina König · Caroline Stöhr · Charlotte Wagner Kenianische Jugendclubs gehen in die Offensive Abb. 1 Anteil der Slumbevölkerung an der städtischen Gesamtbevölkerung 2001 (Quelle: UN-Habitat 2004) DOI 10.1007/s00548-006-0311-3 Kristina König Geographisches Institut Universität Trier Universitätsring 15 54296 Trier E-Mail: [email protected] Caroline Stöhr Anschrift: s. König E-Mail: [email protected] Charlotte Wagner Anschrift: s. König E-Mail: [email protected]

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Obdachlosigkeit, Kriminalität, Hunger, Krankheiten, ver-unreinigtes Wasser und Seuchen sind nur einige Alltags-probleme fast einer Milliarde Slumbewohner weltweit. Unter ihnen sind zahlreiche Kinder und Jugendliche, die in den Slumgebieten scheinbar ohne Zukunftsperspek-tiven aufwachsen. Viele haben ihre Familie durch AIDS verloren oder sind selbst infiziert. Ohne Arbeit oder Aus-bildungsplatz verbringen sie ihren Alltag auf den Straßen der Slums. Die extremen Lebensbedingungen erhöhen das gesellschaftliche Konfliktpotenzial erheblich; nicht selten ist der Einstieg der Kinder und Jugendlichen in die Kriminalität die Folge.Auch in Kenia ist die Lage auf den ersten Blick trost-los: Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung mehr und mehr zurück, Betroffene sind sich selbst überlassen. Zu ergründen, wie die Jugendlichen selbst Lösungen für ihre Probleme suchen und welche Perspektiven sich ihnen bieten, war Ziel einer Studie von 15 Studierenden der Universität Trier im Jahr 2004 unter der Leitung von Dr. Johannes Michael Nebe.Im Rahmen einer mehrwöchigen Feldarbeit in verschie-denen Slumgebieten Nairobis – nämlich in Kibera, Dan-dora, Korogocho, Kariobangi und Mathare – konnten die Studierenden ihr literaturbezogenes Hintergrundwissen über die Probleme in Slumgebieten praktisch vertiefen. Unterstützt von der Deutschen Stiftung für Weltbevölke-rung trafen sie vor Ort auf selbst organisierte Jugendclubs und „Community Based Organisation“ (CBOs). Letztere werden von der lokalen Bevölkerung einer Gemeinde selbst gegründet, organisieren und verwalten sich selbst.

Sie zielen dabei auf die Befriedigung von speziellen Be-dürfnissen der Bevölkerung ab. Ihre Arbeit ist nicht an Profit, sondern an der Entwicklung der Gemeinde orien-tiert (UN-Habitat 2004; WELTBANK 2004). Die ersten CBOs wurden Anfang der 90er Jahre gegründet.

Eine globale Herausforderung

In den vergangenen 50 Jahren stieg nach Angaben des UN-Ha-bitat weltweit die geschätzte Zahl der in Slums lebenden Bevöl-kerung von 350 Millionen auf mehr als 900 Millionen – das sind 32 Prozent der städtischen Bevölkerung insgesamt. Nach Schät-zungen des UN-Habitat Global Report on Human Sett-lement (2003) wird sich diese Zahl in den nächsten 30 Jahren verdoppeln, wenn nicht entsprechende Maßnahmen getroffen und umgesetzt werden.Aber was genau sind Slums, Squatter- oder informelle Sied-lungen? Eine weltweit anerkannte Definition dieser Begriffe existiert nicht. Gemeinsam sind ihnen jedoch besonders men-schenunwürdige Lebensbedingungen. Kofi Annan, General-sekretär der Vereinten Nationen, definiert den Begriff Slum wie folgt: „Slums go by various names – favelas, kampungs, bidon-

Gegen die ResignationKristina König · Caroline Stöhr · Charlotte Wagner

Kenianische Jugendclubs gehen in die Offensive

Abb. 1 Anteil der Slumbevölkerung an der städtischen Gesamtbevölkerung 2001 (Quelle: UN-Habitat 2004)

DOI 10.1007/s00548-006-0311-3

Kristina KönigGeographisches InstitutUniversität TrierUniversitätsring 1554296 TrierE-Mail: [email protected]

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villes, tugurios, gecikondus – but the meaning is everywhere the same: miserable living conditions. Slum dwellers live and work in conditions of pervasive insecurity – exposed to disease, crime and environmental hazards. And yet these cities-within-cities are wellsprings of entrepreneurial energy that can be mobilized to provide welfare improvements for their inhabitants and for soci-ety at large“.Im Jahr 2000 haben sich die Staats- und Regierungschefs der 189 UN-Mitgliedsstaaten ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Acht Entwick-lungsziele, die so genannten „Millennium Development Goals“, wurden verabschiedet, um die dringendsten Entwicklungs-probleme in den nächsten 10 bis 15 Jahren nachhaltig zu verrin-gern. Das siebte Ziel bezieht sich auf die Lebensbedingungen der in Slums lebenden Bevölkerung weltweit. Ziel und Aufgabe ist es demnach, bis zum Jahr 2020 wesentliche Verbesserungen der Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewoh-nern zu schaffen.In Anbetracht der Bevölkerungswachstumsprognosen für die nächsten Jahrzehnte halten Experten dieses Ziel allerdings für nicht erreichbar. In Afrika wächst die städtische Bevölkerung jährlich durchschnittlich um vier Prozent. Zudem leben gegen-wärtig 37 Prozent der afrikanischen Bevölkerung in Städten; eine Zahl, die bis 2030 voraussichtlich auf 53 Prozent steigen wird (vgl. UN-Habitat 2003). Weltweit steht diese Wachstums-rate durchaus nicht an erster Stelle, doch der Anteil der Slum-bevölkerung übertrifft in den sub-saharischen Ländern mit 71,9 Prozent den von fast allen anderen Ländern der Erde (vgl. UN-Habitat 2004 Abb. 1).

Stadt der sozialen Gegensätze

Nairobi ist eine ostafrikanische Megastadt der Gegensätze und zugleich nationales, afrikanisches wie internationales Koordina-tionszentrum knapp südlich des Äquators: In der Stadt befinden sich die Sitze des UN-Umweltprogramms der Vereinten Natio-nen (UNEP), von UN-Habitat sowie zahlreicher anderer inter-nationaler Organisationen. Doch neben solchen Anzeichen von

Modernität und Fortschritt dominiert die Armut. Ein perma-nenter Wanderungsdruck der Landbevölkerung lässt die Stadt unkontrolliert wachsen und kann von der kenianischen Regie-rung kaum noch bewältigt werden.Die Bevölkerung der erst 1902 gegründeten Stadt stieg allein in den Jahren 1950 bis 1979 um 600 Prozent, die Siedlungsfläche dehnte sich dabei enorm aus (vgl. Stacher 1997). Vor allem die Peripherie der kolonial geprägten Stadt ist von informellen Sied-lungen gekennzeichnet; dort war die Zuwanderung der armen Bevölkerung in den letzten Jahren am stärksten (ebda.).Kibera ist mit rund 800.000 Einwohnern der größte Slum Ostafrikas. Auf einem Quadratkilometer drängen sich dort bis zu 30.000 Einwohner. Trotz sehr hoher Bevölkerungszahlen nehmen sämtliche Slumgebiete nur einen Anteil von fünf Pro-zent der Gesamtfläche Nairobis ein (ebda.). Verkehrswege oder befestigte Straßen existieren nicht, auch sonst sind die Gebiete infrastrukturell unterversorgt. Nordöstlich grenzt das Slumge-biet Kibera an einen Golfplatz der gut situierten Bevölkerungs-schichten Nairobis: Gegensätzliche Welten prallen auf engstem Raum aufeinander.

Überleben im Slum

Ein großes Problem für die Slumbewohner ist die hohe Arbeits-losigkeit. Sie liegt nach offiziellen Angaben bei 40 Prozent, wird inoffiziell aber höher eingestuft (vgl. Lexas Länderinforma-tion 2005). Schätzungen des New Partnership for Africa’s De-velopment (NEPAD) gehen davon aus, dass 2015 in Afrika 345 Millionen Menschen in extremer Armut mit einem Dollar oder weniger pro Tag auskommen müssen.Bereits heute leben mehr als 50 Prozent der Einwohner Nairobis unter dieser Armutsgrenze. Meist können sich die Menschen nur eine illegale Wellblechbehausung leisten. Der informelle Wirt-schaftssektor, oft auch „Ökonomie der Armen“ genannt, bietet daher für viele Kenianer die einzige Möglichkeit, ihre Existenz mit verschiedenen – oft illegalen – Einkommensquellen zu sichern (vgl. Stacher 1997).

Abb. � Das Dächermeer von Kibera /Nairobi (Foto: Stöhr)

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Darunter befinden sich auch viele Jugendliche: Rund die Hälfte der Slumbewohner ist unter 15 Jahren alt und auf Arbeitssuche, um den eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können (vgl. CIA 2005).Die sozialen Familienstrukturen brechen auseinander. Immer mehr Kinder verlieren einen oder beide Elternteile durch AIDS, weswegen sie selbst große Verantwortung übernehmen müssen – sie pflegen Kranke und sichern das eigene Überleben sowie das der Familie.Wie sieht das Leben eines Kindes aus, das unter solchen Be-dingungen aufwächst, ohne erkennbare Lebensperspektive und Zugang zu qualitativer Ausbildung? Wie gestalten Kinder und Jugendliche ihren Alltag in den Armenvierteln von Nairobi? Diese Fragen standen bei den Trierer Studierenden im Vorder-grund. Strukturen von Initiativen für und von Jugendlichen, insbesondere ihre Probleme und Herausforderungen wurden analysiert. Außerdem wurden vor Ort verschiedene Exper-ten und NGOs befragt; 16 Jugendclubs, 17 CBOs, fünf lokale Regierungsangestellte und sieben NGOs kamen zu Wort. Be-sonders gewinnbringend scheint die Rolle solcher Jugendclubs und CBOs nicht nur für das alltägliche Leben der jugendlichen Slumbewohner zu sein, sondern auch als Motor für Slumauf-wertungsprozesse.

Ziele der Jugendclubs

Die Motive zur Gründung von Jugendclubs und CBOs sind vielfältig. Ihre Wurzeln haben alle Gemeinschaftsinitiativen in den extremen Lebensbedingungen der Slumgebiete. Jugendliche, deren Familienmitglieder an AIDS gestorben sind oder die mit ungewollten Schwangerschaften konfrontiert sind, treffen sich und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. So kann aus einer Handvoll Jugendlicher ein Jugendclub entstehen, in dem sie ihre Sorgen teilen, Geborgenheit und Sicherheit finden und den All-tag gemeinsam gestalten. Andere Jugendliche schließen sich zu Clubs zusammen, um Einkommen zu erzielen und um einen Beitrag zur Entwicklung ihrer Gemeinde zu leisten. Die Mitglie-derzahl schwankt stark, je nach Art der Aktivitäten. Während der Studie wurden Initiativen zwischen zehn bis sechzig Mitglie-dern angetroffen. Neben diese Gründungen aus eigenem Engagement treten na-tionale und internationale NGOs wie Goal Kenya, Family Health International oder DSW. Sie wollen die jugendlichen Slum-bewohner motivieren, sich zu organisieren; dabei wirken sie unterstützend bei der Finanzierung und Ausstattung.

Ansprechpartner vor Ort

Besonders im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit kann von diesen „grass roots-initiatives“ profitiert werden: Um Kin-der und Jugendliche in Slumgebieten zu erreichen, ist es wichtig, sich ihrer Strukturen zu bedienen. Diesen Ansatz verfolgt unter anderem die Deutsche Stiftung für Weltbevölkerung (DSW), die seit 1991 in verschiedenen Entwicklungsländern tätig ist. In Äthiopien, Kenia, Uganda und seit kurzem auch in Tansania un-terstützt sie Projekte der Familienplanung, der Sexualaufklärung und der reproduktiven Gesundheit.Gerade in den Slumgebieten von Nairobi ist der Bedarf an Sexu-alaufklärung unter Jugendlichen enorm groß. Zwei Initiativen wurden ins Leben gerufen, die gezielt auf die Bedürfnisse von

Kindern und Jugendlichen eingehen. Als Eltern von morgen sind sie der „Schlüssel“ für eine positive Entwicklung der Slums.Im Jahr 2002 startete die EXODUS-Initiative der DSW in Zu-sammenarbeit mit UN-Habitat und dem Council of East and Central Africa Football Association (CECAFA). Ihr Anliegen ist es, Kinder und Jugendliche, die in Slumgebieten oder auf der Straße leben, anzusprechen. Organisiert in Gruppen werden de-ren Talente gefördert: Sie spielen gemeinsam Theater und Fuß-ball, musizieren, tanzen oder studieren Akrobatennummern ein. Im Finale der EXODUS-Meisterschaft stellen die Jugendlichen schließlich ihr Können unter Beweis und treten in Wettkämpfen an. Im Herbst 2004 nahmen mehr als 3.000 Kinder und Jugend-liche daran teil. Am Rande der Wettkämpfe werden Teilnehmer und Zuschauer kostenlos verpflegt, in einem Medical Camp können sie sich gesundheitlich beraten und medizinisch behan-deln lassen. Ein weiteres Programm der DSW zielt auf die Ausbildung von Jugendlichen im Bereich der Sexualaufklärung. Nach einer Schu-lung zum „Core Facilitator“ oder „Peer Educator“ – was soviel bedeutet wie „gleichaltriger Lehrer“ – sind Jugendliche selbst in der Lage, vor Ort in den Jugendclubs sexuelle Aufklärung zu leisten und weitere Jugendliche auszubilden.

Abb. 3 Der Youth Club „MANYO“ (Mathare North Youth Club) (Foto: Stöhr)

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Der Name der Initiative „Youth-to-Youth“ beschreibt passend diese Art der Selbsthilfe-Beratung, die sich auf Dauer um ein Vielfaches multiplizieren und so die schwer erreichbaren Jugend-lichen in Slumgebieten informieren soll. Mit Gleichaltrigen fällt es leichter, über „Tabu-Themen“ wie Sexualität, Pubertät, Ver-hütung und HIV /AIDS zu reden, insbesondere wenn die Infor-mation in freche Sprüche verpackt oder über selbst geschriebene Theater- und Musikstücke vermittelt wird. Aufklärung findet somit dort statt, wo sich Jugendliche treffen und sich akzeptiert fühlen.Des Weiteren veranstalten Jugendclubs gemeinsam mit der DSW in den Slumgebieten regelmäßig so genannte „Mobiliza-tion Days“. Bei diesen Veranstaltungen versuchen aufgeklärte Jugendliche, die lokale Bevölkerung der Slums mit Hilfe von Theaterstücken, Gedichten oder Rapsongs zu mobilisieren, zu informieren und für eine Clubmitgliedschaft zu gewinnen. Nach Angaben der DSW entstanden allein in Kenia bis Ende 2003 insgesamt über 400 Jugendclubs. Rund 70.000 Jugendliche konnten durch Clubarbeit sexuell aufgeklärt und über 1,2 Millio-nen junger Menschen durch solche Informationsveranstaltungen erreicht werden (DSW KENYA 2005).

Jugendclubs als soziale Auffangnetze

Im Slumalltag bleibt Eltern, die sich ihren Lebensunterhalt ver-dienen müssen, kaum Zeit, sich mit den Kindern und Jugend-lichen zu beschäftigen. Kinder werden oft sich selbst überlas-sen, ein Abrutschen in die Kriminalität und sonstige Gefahren

drohen. Jugendclubs fungieren in der Slumgesellschaft, in der jeder für sein eigenes Überleben kämpft und ein Menschenleben nicht viel wert erscheint, als sozialer Background. Ihr Anliegen ist es, Heranwachsenden soziale und emotionale Unterstützung zu geben. Im Verlauf der Untersuchung konnten viele Fußball-, Akrobaten- oder Boxclubs gefunden werden, die allen jugend-lichen Slumbewohnern offen stehen. Das tägliche Training unter freiem Himmel oder in den Räumen eines Gemeindezentrums gibt den jungen Slumbewohnern die Möglichkeit, sich sinnvoll zu beschäftigen. Überschüssige Energien und Aggressivität kön-nen positiv umgelenkt werden.

Neue Möglichkeiten, Einkommen zu erwirtschaften

Schon für Kinder ist es in den Slumgebieten überlebenswichtig, ein geringes Einkommen zu verdienen. In Jugendclubs werden neue Ideen und Möglichkeiten gesucht, wie mit informellen Tätigkeiten Geld verdient werden kann. Der Kreativität und dem Engagement sind dabei keine Grenzen gesetzt. So betreiben Jugendliche etwa Mini-Apotheken, in denen neben kostenlosen Kondomen auch rezeptfreie Arzneimittel verkauft werden. An-dere unterhalten in den Slumgebieten ein Fotogeschäft, eine Bibliothek oder ein Internetcafé. Manche sammeln Müll oder putzen Schuhe. Mit Aufführungen ihrer Akrobaten-, Tanz- und Theaterstücke verdienen sich einige Jugendclubs ein geringes Einkommen dazu.

Slumaufwertung durch Jugendclubs und CBOs

Jugendclubs und CBOs nehmen im Bereich der infrastruktu-rellen Versorgung der Slumgebiete entscheidende Funktionen wahr und geben selbst Entwicklungsimpulse:

Abb. � Logo der Initiative „Youth-to-Youth“

Abb. � Slumkinder in Mathare North (Foto: Stöhr)

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Öffentliche Dienstleistungen sind kaum verfügbar; der keni-anische Staat zieht sich aus seiner Verantwortung mehr und mehr zurück. Weder Wasseranschluss, noch Abwasser- oder Müllentsorgung sind geregelt, die medizinische Versorgung ist denkbar schlecht. Auch die Analphabetenrate ist aufgrund eines mangelhaften Schulsystems sehr hoch.In Reaktion auf diese Zustände konstruierten Mitglieder eines Jugendclubs mit Hilfe einer NGO einen Brunnen. Aus diesem verkaufen sie Trinkwasser an die Gemeinde, für die Instand-haltung des Brunnens sind sie selbst verantwortlich. Viele Ju-gendclubs sammeln Müll, bringen ihn zur Deponie und helfen bei Cleaning-Days, die von den lokalen Regierungsbehörden organisiert werden. Bei den Cleaning-Days wird versucht, die Slumbevölkerung zu Aufräumungs- und Säuberungsaktionen zu motivieren. Dafür benötigte Geräte und Transportmöglichkeiten werden von lokalen Regierungsbehörden zur Verfügung gestellt. Andere Jugendclubs und CBOs errichten und verwalten Schulen, organisieren Transporte oder bauen sanitäre Einrichtungen wie Duschen und Toiletten.

KICOSHEP – Hilfe zur Selbsthilfe

Das Kibera Community Self Help Programme (KICOSHEP) wurde im Jahr 1991 von Bewohnern des Slumgebietes Kibera mit Hilfe verschiedener NGOs (unter anderem UNICEF und Ärzte ohne Grenzen) gegründet. Die CBO errichtete ein Medical Care Center direkt in der Gemeinde und unterhält inzwischen auch eine Schule und ein Jugendzentrum. Zur Finanzierung tragen Spenden bei sowie Einnahmen aus Verkäufen und Behand-lungen. Ziel ist es, die Bewohner Kiberas über AIDS aufzuklären und ihre Lebensbedingungen zu verbessern.Das Medical Care Center ist Impfstation, Beratungs- und Be-handlungszentrum in einem. Dort können sich die Slumbewoh-ner kostenlos auf HIV /AIDS, Hepatitis, Blutzucker, Tuberkulose oder Schwangerschaft testen und medizinisch versorgen lassen. Zusätzlich werden sie hinsichtlich Familienplanung, Hygiene, Ernährung und Pflege erkrankter Personen beraten. In der von

KICOSHEP betreuten Schule werden rund 470 Schüler zwischen 4 und 17 Jahren kostenlos unterrichtet; neben den Schulmateri-alien erhalten sie dort auch täglich eine warme Mahlzeit.Weitere Ausbildungsmöglichkeiten bietet das Community Home Based Care Youth Center: Insbesondere weibliche Jugendliche erhalten eine Starthilfe in Form von „business training“. In einem Jugendclub lernen sie zum Beispiel Nähen und Schnei-dern. Jährlich beenden etwa 25 Jugendliche diese Ausbildung und erwerben ein staatliches „Schneider-Zertifikat“. Ausgewählt werden vor allem AIDS-Waisen und Jugendliche, deren Familien direkt von der Krankheit betroffen sind. Auf diese Weise soll sich für sie eine Perspektive eröffnen, Einkommen zu erwirtschaf-ten und ihre Familien zu unterstützen. In der Ausbildung wird ebenfalls Wert auf die Vermittlung von relevanten beruflichen Kenntnissen gelegt – die Schülerinnen lernen Lesen, Schreiben und Rechnen, außerdem bekommen sie Einblick in die Bereiche Unternehmensplanung, Buchführung und Finanzierung.KICOSHEP versucht auch, jugendliche Slumbewohner zum sozialen Engagement zu motivieren. In einem Freiwilligenpro-gramm können sie in verschiedenen Institutionen von KICO-SHEP arbeiten, um sich anschließend für ein Ausbildungsstipen-dium bei KICOSHEP zu bewerben.

Probleme der Jugendclubs

Größte Hürde für die engagierten Jugendlichen ist die Finanzie-rung ihrer Aktivitäten. Die notwendigen Ausstattungen, Geräte und Materialien zu beschaffen, ist trotz der Mitgliedsbeiträge, die je nach Jugendclub und CBO zwischen zehn Cent und einem Dollar im Monat schwanken, nicht immer möglich.Die Clubs sind deshalb auf finanzielle und materielle Spen-den von NGOs oder Stiftungen angewiesen, die ihre Mittel je-doch auf eine Vielzahl an Projekten und Jugendclubs verteilen müssen. Um eine kontinuierliche und sichere Finanzierung zu gewährleisten, sollte zukünftig die Erschließung von Mikrokre-diten höchste Priorität bekommen. Auch dem hohen Bedarf an Monitoring, Schulungen und Training in Bereichen wie Öffent-

Abb. 6 Von Jugendlichen gebaute „Toilet-tenhäuschen“ in Mathare North (Foto: Stöhr)

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lichkeitsarbeit, Marketing oder Management muss Rechnung getragen werden.Im Verlauf der Studie konnte beobachtet werden, dass zwischen den Jugendclubs und CBOs kaum eine Zusammenarbeit existiert – obwohl sie durch ähnliche Interessen verbunden sind und im gleichen Slumgebiet agieren. Nur vereinzelt lässt sich der gegen-seitige Austausch von Ideen und Materialien finden.Ebenso ist die Kommunikation mit CBOs, NGOs und lokalen Regierungsbehörden entwicklungsbedürftig und ausbaufähig. Zukünftig sollten daher die Clubs mehr in Netzwerken kooperie-ren, um Wissenstransfer, Austausch von Best-Practice-Beispielen und Capacity-Building der Jugendclubs effektiver zu gestalten. Eine Kommunikations- und Informationsplattform, in der lokale wie internationale NGOs ihre Erfahrung und ihr Wissen einflie-ßen lassen, könnte diesen „bottom-up“-Projekten Anreize und Hilfestellungen bei der täglichen Arbeit geben.

Ausblick: Jugendliche nehmen ihr Leben selbst in die Hand!

Jugendclubs und CBOs spielen eine wichtige Rolle im Alltag der jugendlichen Slumbewohner. Ihre jungen Mitglieder gestalten und leiten Projekte mit. Sie entwickeln sich also von Hilfeemp-fängern zu motivierten und engagierten Akteuren.In Zukunft sollten sie daher von der Entwicklungszusammen-arbeit stärker wahrgenommen und in Kooperationen und Netz-werke eingebunden werden. Nur so ist ein reger Austausch an Ideen, Erfahrungen und Empfehlungen gewährleistet, um Pro-jekte bestmöglich zu implementieren und auszubauen.

Literatur

CIA (2005): The World Factbook. Online im Internet: http://www.cia.gov /cia /publications /factbook /geos /cs.html (Stand: 06. 09. 2005).

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UN-Habitat (Hrsg.) (2003): Slums of the World. The face of urban po-verty in the new millenium, Nairobi.

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Universität Trier (2005): Slum Improvement for the Youth in Nairobi – A Case Study, Trier.

Stacher, I. (1997): Nairobi: Weltstadt oder regionale Metropole. – In: Mega-Cities, S. 197–216

Weltbank (2004): Weltentwicklungsbericht 2003. Washington D.C. Online im Internet: http://wdsbeta.worldbank.org /external / default /WDSContentServer /IW3P /IB /2003 /10 /07 /000090341_20031007150121 /Rendered /PDF /268950PAPER0WDR02004.pdf (Stand: 01. 08. 2005).

Kristina König, Jahrgang 1978, studiert Angewandte Geographie /Raumentwicklung und Landesplanung in Trier. Interessenschwer-punkt: Internationale Entwicklungszusammenarbeit

Caroline Stöhr, Jahrgang 1979, studiert Angewandte Geographie /Raumentwicklung und Landesplanung in Trier. Interessenschwer-punkt: Internationale Entwicklungszusammenarbeit

Charlotte Wagner, Jahrgang 1981, studiert Angewandte Geographie /Raumentwicklung und Landesplanung in Trier. Interessenschwer-punkt: Internationale Entwicklungszusammenarbeit