Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter...

12
KOSTENLOS November 2004 Wilhelmshaven Gegenwind 203 Zeitung für Arbeit, Frieden, Umweltschutz KOSTENLOS Adieu Soziale Stadt? Und wieder wurde ein zartes Pflänzchen abgeknickt! Auf Seite 3 geht es um die Wahrheitsfindung. Wahrheiten Auf der letzten Versammlung der Arbeits- loseninitiative ging es einmal nicht um Hartz IV, sondern um den Mindestlohn. Warum dessen Realisierung überfällig ist, erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie den Kehrrichthaufen auf Seite 5. Im letzten Gegenwind stellten wir Ihnen das Buch “Die Reformlüge" vor. In dieser Ausgabe berichten wir auf Seite 6 über eine Veranstaltung mit dem Autor Al- brecht Müller: Nicht sparen, sondern die Konjunktur anschieben! Wilhelmshavens Freizeitgebiete werden Stück für Stück dem Hafengott geopfert. Das Freizeitgebiet Schleuseninsel soll Gewerbefläche werden - auch ohne Ha- fentorbrücke. Dann wird aus der ‘Mariti- men Meile’ eine Rennstrecke. - Seite 7 Im Textilhof gibt es etwas umsonst - im- mer dann, wenn die Wilhelmshavener Ta- fel ihre Pforten öffnet. Auf Seite 8 beleuch- ten wir die Arbeit dieser beachtenswerten Initiative. War der Name des grünen Umweltmini- sters Trittin bis vor wenigen Wochen noch ein rotes Tuch für Wilhelmshavens Indu- strie und Politik (Strompreis für Ineos), wird er plötzlich als ‚Botschafter Wilhelmsha- vens' gebauchpinselt. Über diesen Sin- neswandel berichten wir auf Seite 9. Einen völlig sportfreien Bericht über ein Sportereignis bieten wir auf der Seite 9. Ist Hartz IV mit dem Grundgesetz verein- bar? Rechtswissenschaftler sehen darin eine massive Einschränkung der Grund- rechte - auf Seite 10 gibt es Hintergrund- informationen. Der beschlossene Abriss der Südzentrale erhitzt noch immer die Gemüter der Wil- helmshavenerInnen. Wir stellen auf Seite 11 alternative Nutzungsmöglichkeiten vor. Der Castor rollt wieder ins Wendland - Kurzinfos auf Seite 10

Transcript of Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter...

Page 1: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

KOSTENLOS

NNoovveemmbbeerr 22000044WWiillhheellmmsshhaavveennGGeeggeennwwiinndd 220033

Zeitung für Arbeit, Frieden, Umweltschutz

KOSTENLOS

Adieu Soziale Stadt?Und wieder wurde ein zartes Pflänzchen abgeknickt! Auf

Seite 3 geht es um die Wahrheitsfindung.

WahrheitenAAuuff ddeerr lleettzztteenn VVeerrssaammmmlluunngg ddeerr AArrbbeeiittss--lloosseenniinniittiiaattiivvee ggiinngg eess eeiinnmmaall nniicchhtt uummHHaarrttzz IIVV,, ssoonnddeerrnn uumm ddeenn MMiinnddeessttlloohhnn..WWaarruumm ddeesssseenn RReeaalliissiieerruunngg üübbeerrffäälllliigg iisstt,,eerrffaahhrreenn SSiiee aauuff SSeeiittee 44..

DDiiee RRaattsssspplliitttteerr hhaabbeenn eeiinneenn SSpprruunnggnnaacchh vvoorrnnee ggeemmaacchhtt.. DDiieessmmaall ffiinnddeenn SSiieeddeenn KKeehhrrrriicchhtthhaauuffeenn aauuff SSeeiittee 55..

IImm lleettzztteenn GGeeggeennwwiinndd sstteelllltteenn wwiirr IIhhnneennddaass BBuucchh ““DDiiee RReeffoorrmmllüüggee"" vvoorr.. IInn ddiieesseerrAAuussggaabbee bbeerriicchhtteenn wwiirr aauuff SSeeiittee 66 üübbeerreeiinnee VVeerraannssttaallttuunngg mmiitt ddeemm AAuuttoorr AAll--bbrreecchhtt MMüülllleerr:: NNiicchhtt ssppaarreenn,, ssoonnddeerrnn ddiieeKKoonnjjuunnkkttuurr aannsscchhiieebbeenn!!

WWiillhheellmmsshhaavveennss FFrreeiizzeeiittggeebbiieettee wweerrddeennSSttüücckk ffüürr SSttüücckk ddeemm HHaaffeennggootttt ggeeooppffeerrtt..DDaass FFrreeiizzeeiittggeebbiieett SScchhlleeuusseenniinnsseell ssoollllGGeewweerrbbeeffllääcchhee wweerrddeenn -- aauucchh oohhnnee HHaa--ffeennttoorrbbrrüücckkee.. DDaannnn wwiirrdd aauuss ddeerr ‘‘MMaarriittii--mmeenn MMeeiillee’’ eeiinnee RReennnnssttrreecckkee.. -- SSeeiittee 77

IImm TTeexxttiillhhooff ggiibbtt eess eettwwaass uummssoonnsstt -- iimm--mmeerr ddaannnn,, wweennnn ddiiee WWiillhheellmmsshhaavveenneerr TTaa--ffeell iihhrree PPffoorrtteenn ööffffnneett.. AAuuff SSeeiittee 88 bbeelleeuucchh--tteenn wwiirr ddiiee AArrbbeeiitt ddiieesseerr bbeeaacchhtteennsswweerrtteennIInniittiiaattiivvee..

WWaarr ddeerr NNaammee ddeess ggrrüünneenn UUmmwweellttmmiinnii--sstteerrss TTrriittttiinn bbiiss vvoorr wweenniiggeenn WWoocchheenn nnoocchheeiinn rrootteess TTuucchh ffüürr WWiillhheellmmsshhaavveennss IInndduu--ssttrriiee uunndd PPoolliittiikk ((SSttrroommpprreeiiss ffüürr IInneeooss)),, wwiirrddeerr ppllööttzzlliicchh aallss ‚‚BBoottsscchhaafftteerr WWiillhheellmmsshhaa--vveennss'' ggeebbaauucchhppiinnsseelltt.. ÜÜbbeerr ddiieesseenn SSiinn--nneesswwaannddeell bbeerriicchhtteenn wwiirr aauuff SSeeiittee 99..

EEiinneenn vvöölllliigg ssppoorrttffrreeiieenn BBeerriicchhtt üübbeerr eeiinnSSppoorrtteerreeiiggnniiss bbiieetteenn wwiirr aauuff ddeerr SSeeiittee 99..

IIsstt HHaarrttzz IIVV mmiitt ddeemm GGrruunnddggeesseettzz vveerreeiinn--bbaarr?? RReecchhttsswwiisssseennsscchhaaffttlleerr sseehheenn ddaarriinneeiinnee mmaassssiivvee EEiinnsscchhrräännkkuunngg ddeerr GGrruunndd--rreecchhttee -- aauuff SSeeiittee 1100 ggiibbtt eess HHiinntteerrggrruunndd--iinnffoorrmmaattiioonneenn..

DDeerr bbeesscchhlloosssseennee AAbbrriissss ddeerr SSüüddzzeennttrraalleeeerrhhiittzztt nnoocchh iimmmmeerr ddiiee GGeemmüütteerr ddeerr WWiill--hheellmmsshhaavveenneerrIInnnneenn.. WWiirr sstteelllleenn aauuff SSeeiittee1111 aalltteerrnnaattiivvee NNuuttzzuunnggssmmöögglliicchhkkeeiitteenn vvoorr..

DDeerr CCaassttoorrrroolllltt wwiieeddeerr iinnssWWeennddllaanndd -- KKuurrzziinnffooss aauuff SSeeiittee 1100

Page 2: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 2

meldungenmeldungen

Herausgeber: GEGENWIND-VereinPostanschrift: GEGENWIND, Adolphstr. 21

26382 WilhelmshavenTel.: 04421 / 99 49 90Fax: 0180-5060 3441 9546eMail: [email protected]

Redaktion: Uwe Brams, Erwin Fiege, Antje Jürgensen,Hannes Klöpper (verantw. Redakteur), Anette Nowak,Arne Schulz, Thomas Sobel, Frank Tunnat, ImkeZwoch;Druck: Beta-Druck; Auflage: 4.500 ExemplareBankverbindung: Volksbank Wilhelmshaven,Kto.-Nr.: 500 355, BLZ 282 900 63

Der GEGENWIND erscheint (nach Möglichkeit)jeweils zum Monatsbeginn

Erscheinungstag dieser Ausgabe: 04.11.2004

GGeeggeennwwiinndd iimm IInntteerrnneett::wwwwww..ggeeggeennwwiinndd--wwhhvv..ddee

*************************************************************Wir bedanken uns bei den vielen Ungenannten, die

durch ihre Mitarbeit, durch Informationen oderdurch ihre Politik zum Erscheinen dieser Ausgabe

beigetragen haben.***************************************************************

NNeeee,, nnee??IInntteerreessssaanntteerr UUmmggaanngg eeiinneess LLaanndd--ttaaggssaabbggeeoorrddnneetteenn mmiitt SSttaattiissttiikkeennDie Landesregierung hat die Mittel, die für2005 für das Programm “Hilfe zur Arbeit fürNicht-Sesshafte" vorgesehen waren, gestri-chen. Ursula Aljets kritisiert diesen Schritt.Uwe Biester verteidigt ihn mit der Begrün-dung, dieses Programm sei nicht erfolgreichgenug. So lesen wir in der “WZ" vom12.10.2004.Politiker haben das Recht, ja manchmal so-gar die vermeintliche Pflicht, sich über Dingezu äußern, von denen sie nichts verstehen.Hätte Biester nur so viel gesagt und danachzu diesem Thema geschwiegen, wäre es jagut gewesen. Mir jedenfalls wäre nichts auf-gefallen. Aber nein, er sagte noch mehr dazu.Er “bewies" die mangelnde Effizienz vonMaßnahmen für Nicht-Sesshafte anhand vonZahlen.“Nach Biesters Darstellung ... gab es im ver-gangenen Jahr in Niedersachsen zwölf Pro-jekte mit insgesamt 355 Teilnehmern" im Be-reich der Hilfe zur Arbeit für Nicht-Sesshafte.“75 Prozent hätten die Maßnahme vorzeitigabgebrochen, nur 21 Prozent hätten bis zumSchluss durchgehalten. Nach sechs Mona-ten waren 14 Prozent im ersten Arbeitsmarktbeschäftigt, weitere sieben Prozent im zwei-ten."Hmm! Also alle, die bis zum Schluss in ihrerMaßnahme waren, haben danach gearbei-tet. Dann haben vermutlich viele von ihnen,wenn nicht alle, bis zum Abschluss der Maß-nahme auch wieder einen Wohnsitz gehabt.So etwas finde ich irre erfolgreich! Dass 75 %

eine solche Maßnahme schnell abbrechen,erstaunt mich nicht. Nicht-Sesshafte habenin sehr vielen Fällen ein massives Alkohol-problem, zahlreiche von ihnen zusätzlichweitere schwere psychische Störungen. Ichhätte mit einer wesentlich höheren Abbre-cherquote gerechnet. Was hat Biester daranzu meckern?Ach so! “Bei Strafgefangenen liege die Ab-bruchquote lediglich bei 42 Prozent,..." - le-diglich?!? - Strafgefangene sind eingesperrt.Durch Teilnahme an einer Maßnahme ver-dienen sie sich Vollzugslockerungen. Darangemessen finde ich eine Abbruchquote von42 Prozent verdammt hoch! - “..., bei Lang-zeitarbeitslosen bzw. Sozialhilfeempfängernsogar nur bei 16 Prozent. Diese seien nachsechs Monaten sogar zu 29 Prozent in denersten Arbeitsmarkt vermittelt worden." Toll!Und erstaunlich! Herzlichen Glückwunschan diese Leute und erst recht an die, die ih-nen dabei geholfen haben! Über die nnuurr 29Prozent Vermittlungen in den ersten Arbeits-markt will ich mal nichts sagen, denn wir wis-sen ja, wie es dem Arbeitsmarkt geht.Gänzlich baff war ich dann aber bei Biestersletzter Vergleichsgruppe: “Als Beispiel, dasdie unterschiedliche Wirkung vergleichbarerFörderstrukturen deutlich macht, zieht Bie-ster die Förderung des Zugangs zum Ar-beitsmarkt für Frauen heran. Sie weisen eineVermittlungsquote in den ersten Arbeits-markt von 42 Prozent auf." Vergleichbare För-derstrukturen? Bestimmt aber nicht vveerr--gglleeiicchhbbaarree Zielgruppen!!! (Alle Zitate aus dem WZ-Atikel “Biester zwei-felt am Erfolg". 12.10.2004)

AAnneettttee NNoowwaakk

SStteellll ddiirr vvoorr ......... einer der weltbesten Bluesgitarristenkommt nach Schortens - und fast keine/rgeht hin. Mitte Oktober gastierte Rudy Rottazum dritten Mal im Grafschafter Faircafé, ge-rade frisch zurück aus den Bluesmetropolender USA, wo er in den letzten Jahren schonvor 20.000 Leuten in ausverkauften Sälenspielte, zusammen mit Größen wie Taj Mahal,Peter Green oder Luther Allison. Am 16.10.verzauberte er im Faircafé gerade mal 40Bluesfans, die gebannt wie begeistert ver-folgten, was Rudy seiner Fender Stratocasteralles entlocken kann, begleitet von seinerelektrisierenden Stimme, einem charismati-schen Keyborder und einer verlässlichenzweiköpfigen Rhythmusgruppe. Die Enttäu-schung über den geringen Zuspruch ließ ersich nicht anmerken, ob 40 oder 20.000 Zu-hörer, das italienische Blueswunder bleibtseinem Publikum nichts schuldig. Höchstenssich selbst: Im Faircafé gibt es für die Bandskeine kostendeckende Fixgage, nur die Ein-trittsgelder.Aber wie kam es nach zwei ausverkauftenKonzerten in Grafschaft zu dieser schwachbesuchten Veranstaltung? Üblicherweisevermag eine Wilhelmshavener Wochenzei-tung mit ausführlichen Vorberichten zu Fair-café-Veranstaltungen die mangelnde Unter-stützung anderer Tages- und Wochenzeitun-gen zu kompensieren, doch diesmal ist esdem Redakteur aus irgendwelchen Gründen“durchgerutscht", was auch die aufwändigePlakatierung nicht wettmachen konnte.Wie auch immer: Rudy Rotta kommt imnächsten Jahr wieder ins Faircafé; er ist demwohl ungewöhnlichsten Musikclub Deutsch-lands (der neulich auch in den renommierten“Bluesnews" Erwähnung fand), seinen Betrei-bern (die die Bands auch bekochen undunterbringen) und nicht zuletzt seinen Besu-chern mittlerweile persönlich verbunden. Bis dahin gibt es übrigens im Faircafé mit an-geschlossenem Weltladen noch viele ande-re gute Livekonzerte und “nebenbei" auchfrisch gerösteten Kaffee und andere Produk-te aus fairem Handel. (iz)

Faircafé und Weltladen, 26419 Schortens / Grafschaft,

Accumer Str. / Birkenstr., Tel.: 04423/98049www.fair-cafe.com

www.mercado-mundial.comgeöffnet Dienstag - Freitag und

Sonntag von 14.30 bis open-end

DDaassss ssiiee vvoonn ddeemm SSaauueerrkkoohhlleeeeiinnee PPoorrttiioonn ssiicchh hhoollee,, wwooffüürr ssiiee bbeessoonnddeerrss sscchhwwäärrmmtt,, wweennnn eerr wwiieeddeerr aauuffggeewwäärrmmtt..

AAbb ssooffoorrtt bbeeii uunnss:: FFrriisscchheess FFrräännkkiisscchheess SSaauueerrkkrraauutt vvoomm FFaassss -- ffüürr SSiiee uunndd WWiittwwee BBoollttee......

MMaarrkkttssttrraaßßee 9944,, TTeell..++FFaaxx:: 0044442211//1133443388

BByyee bbyyee SSeeeerrääuubbeerrAm 31. Oktober schloss das JugendhotelSeeräuber mit dem Café Seewärts endgültigseine Pforten. Die Stadt hatte den Pachtver-trag gekündigt, weil die Immobilie einem ge-planten Hotelturm weichen soll. Da vor eini-gen Jahren auch die Jugendherberge ge-schlossen wurde und demnächst derCampingplatz verschwindet, gibt es für Ju-gendliche so gut wie keine Möglichkeit mehr,allein oder als Gruppe günstig in Wilhelms-haven unterzukommen. Nur das Jugendgä-stehaus “Piratennest" in der Ebertstraße bietetnoch einige Plätze.Wegen planungsrechtlicher Probleme istaber noch gar nicht klar, ob der Hotelturm amSüdstrand realisiert wird. Wenn nicht, dannhat man umsonst ein wichtiges Tourismus-segment aufgegeben, und die leer stehendeImmobilie wird einen zunehmend schlechtenEindruck auf der Südstrandpromenadehinterlassen: Tote Fenster, wo jahrelang fröhli-che junge Leute in einmaligem Ambiente ge-urlaubt, gefeiert und gegessen haben. (iz)

Page 3: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 3

MütterZentrum

Werftstr. 45Tel. 506 106

Öffnungszeiten

Café MüZe:Sonntag - Freitag

9.30 - 13.30 Uhr

WahrheitsfindungSoziale Stadt: Wer ist schuld am Verlust der Fördermittel?

(iz) Wilhelmshaven bekommt 2004 keine Landesmittel für das Programm "SozialeStadt". Die Mehrheitsgruppe im Rat kritisiert die Landesregierung, die Oppositiongeht vom Eigenverschulden der Stadt aus. Doch selbst der überraschend erzielteKonsens kann die Zukunft des Förderprogramms nicht retten.

“Kein Schwein ruft mich an ...", schlug Bür-germeisterin Aljets nach der Ratsdiskussionflötend einen Titel für unseren Bericht vor. Tat-sächlich haben Kommunikationsstörungenzwischen Behörden und Fraktionen zum Ver-lust der Fördermittel beigetragen. Es brauch-te über eine Stunde Diskussion, bis sich ausgegenseitigen Schuldzuweisungen dochnoch eine brauchbare Analyse entwickelte.

Die Mehrheitsfraktion legte den Entwurfeiner Resolution an die Landesregierung vor,die der Rat beschließen sollte. Demnach ent-nahm man Mitte September “ohne jeglicheVorwarnung" einer Pressemitteilung des So-zialministeriums, dass Wilhelmshaven für2004 vom Land nicht im Programm SozialeStadt berücksichtigt worden ist. Stein des mi-nisteriellen Anstoßes soll ein “Kassenrest"von 340.000 Euro sein, den die Stadt nichtabgerufen hat. Allerdings ist das meiste da-von durch Aufträge gebunden, nur 84.000Euro sind frei verfügbar. Die reichen nichtaus, um das Programm über den 31.12.2004hinaus zu betreiben. “Mit Bedauern nimmtder Rat zur Kenntnis", dass den beiden Mitar-beitern zum 31.12. gekündigt wurde, dito derMietvertrag fürs Stadtteilbüro und der Vertragmit dem Treuhänder.

IIrrrruunnggeenn uunndd VVeerrssääuummnniissssee“Stadt hat Förderpanne zu verantworten"

durfte die CDU-Fraktion, zum Ärger der SPD,am Tag vor der Ratssitzung in der WZ titeln.Nach Auffassung von CDU-Sprecher GünterReuter hat es durchaus Vorwarnungen gege-ben. Am 3.4.2003 hatte die Bezirksregierungdie Stadt aufgefordert, bis zum 16.6. dieUnterlagen für die anstehenden Teilprojekteeinzureichen. Dem sei die Stadt aber erstzum 7.7. nachgekommen, “als hätten wir esnicht eilig". Im November 2003 sei der zu-ständige Sachbearbeiter bei der Stadtverwal-tung “vergeblich angemahnt" worden, zumzögerlichen Mittelabruf Stellung zu nehmen.Stadtbaurat Kottek nahm seinen Mitarbeiterin Schutz. Zwischen diesem und einem Mit-arbeiter des Ministeriums habe nur, am Ran-de einer Tagung, ein informelles “Frühstücks-gespräch" stattgefunden, Schriftliches gab esnicht.

Durch die scharfe Diktion der Resolution,fürchtete Reuter, könne man die Landesre-gierung für alle zukünftigen Projekte derStadt vergrämen. “Die Sache ist gegessen,wir sollten jetzt kein Porzellan zerschlagen."

RRuuff--mmiicchh--aann!!Reuter kritisierte, dass Dr. Biester (CDU),

der die Stadt im Landtag vertritt, verspätetund unzureichend über den Fortgang desProjektes und die aufgetretenen Schwierig-keiten in Kenntnis gesetzt wurde. Die SPDwiederum sieht den MdL in der Pflicht, sichaktiv über Entwicklungen in seiner Stadt zuinformieren. Es entspann sich ein Streit, werwann zum Telefonhörer greifen müsse, umdie andere Seite zu informieren - z. B. auch,um gemeinsam Resolutionen zu verfassen.

Am Ende versprach (oder drohte?) Reuter, abjetzt wöchentlich bei SPD-Sprecher Neu-mann durchzuklingeln, um zukünftig Kom-munikationslücken zu vermeiden.

FFrriieeddeennssssttiifftteerrIm Grundsatz stimmte die CDU zu, dass

man sich schriftlich ans Ministerium wendenmuss. Einen “starken Eindruck" könne dortaber nur eine im Rat konsensfähige Eingabe

hinterlassen. “Meint die Mehrheitsgruppe, beiwichtigen Entscheidungen die Oppositionauslassen zu können? Das ist ein Irrweg fürdas gemeinsame Handeln zum Wohle derStadt!"

FDP-Ratsherr Michael von Teichman be-schwichtigte: Wer wann was falsch gemachthätte, ließe sich durch Akteneinsicht klären,das solle man sich aber jetzt nicht “um dieOhren hauen." Im Unterschied zu Reuter, derdas Ganze vertagen wollte, zog von Teich-man eine geänderte Version der Resolutionaus dem Hut, die irgendwo in der Mitte zwi-schen SPD-Entwurf und CDU-Vorstellungenlag - “auch wenn es sich gegen die von unsgetragene Landesregierung richtet". Nachkurzer Sitzungsunterbrechung zur Beratungeinigte man sich einstimmig auf den Ände-rungsvorschlag der FDP. Unter anderem wur-de “verheerende" durch "erhebliche" Auswir-kungen ersetzt und das Versprechen ange-

DDiiee HHiioobbssbboottsscchhaaffttAus der Pressemitteilung des Sozialmini-steriums zum Förderprogramm 2004 (vom6.9.2004): "'Wir führen die Städtebauförde-rung trotz der angespannten finanziellenLage in diesem Jahr weiter und wollen le-diglich 2005 für ein Jahr aussetzen', so dieMinisterin. Die nun bereitgestellten Mittelwürden den Kommunen helfen, die einjäh-rige Förderpause zu überbrücken, erklärtvon der Leyen. Mit Hilfe des Landespro-gramms ist es zudem möglich, die Kom-munen anteilig bei der Gegenfinanzierungihres Eigenanteils beim Einsatz von Mittelndes Europäischen Fonds für regionale Ent-wicklung (EFRE) in der Städtebauförderungzu unterstützen. Für diesen Zweck stehen42 Millionen Euro bereit. Diese EU-Förde-rung besteht voraussichtlich nur noch biszum Jahr 2006; ob sie dann weitergeführtwird, hat die Europäische Union noch nichtentschieden ... Über das Programm 'Stadt-teile mit besonderem Entwicklungsbedarf'- 'die soziale Stadt' werden (unter dem Vor-behalt des Inkrafttretens der Verwaltungs-vereinbarung) u. a. folgende Städte undGemeinden mit dem Bund gefördert ..."Wilhelmshaven ist, wie wir jetzt wissen,

nicht dabei. In den Genuss der Förderungkommen hingegen z. B. Emden und Leer(je 800.000 Euro), Nordenham (176.600Euro) und Oldenburg (276.400 Euro).

WWeeiitteerr aauuff ddeerr nnääcchhsstteenn SSeeiittee FF

Termine:Laternenumzug

Freitag 12. NovemberLos gehts um 17.30 Uhr

Ein kleiner Rundgang durchden Stadtteil Bant für groß

und kleinanschließend Kakao, Punsch,Würstchen und Kartoffelsalat

im Cafe MüZéBitte Teilnahme bis zum

10.11.04 anmelden

WeihnachtsbasarSonntag 21. Novembervon 15.00 bis 18.00 Uhr

Mit großer TombolaSelbstgemachtes kann zumVerkauf angeboten werden.

Stände unbedingt rechtzeitig anmelden

FrauenwohlfühltagDonnerstag 25. November

von 8.30 bis 14.00 UhrWohlfühlmassagen für Rücken,

Gesicht und Füße.Kosmetische Behandlungen,Maniküre und Haarstyling.Kleines türkisches Buffet

zum Mittag.Anmeldung erforderlich

Page 4: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 4

hängt, die noch ausstehenden Maßnahmenzügig abzuwickeln. WWiiee ggeehhtt eess wweeiitteerr??

Selbst wenn die Protestnote der Stadt dieLandesregierung umstimmen sollte, wird esab 2005 eng - nicht nur für Wilhelmshaven.Für das kommende Jahr hat das Sozialmini-sterium die Mittel für das Programm “SozialeStadt" komplett eingefroren. 2006 läuft dasEU-Förderprogramm aus, das 50% Komple-mentärmittel liefert, wobei eine Wiederauf-nahme offen ist. SPD-Landespolitiker Hein-rich Aller fürchtet den “Einstieg in den Aus-stieg" des Landes Niedersachsen. “Es istkurzsichtig und unverantwortlich, wennNiedersachsen auf die Bundesmittel verzich-tet und damit die Kontinuität der Städtebau-förderung und des Programms “SozialeStadt" insgesamt gefährdet. Angesichts dergroßen Probleme im Handwerk und am Ar-beitmarkt ist das gleichbedeutend mit ‘Auf-trags- und Investitionsentzug sowie Ver-schärfung der Lage am Arbeitsmarkt' ".

FFoorrttsseettzzuunngg ““WWaahhrrhheeiittssffiinndduunngg””

NNuuttzzlloosseerr EErrffoollgg??Ausgerechnet der sonst im Rat selten erhör-te FDP-Ratsherr von Teichman schafft es, ei-nen Änderungsantrag durchzubringen unddamit in einer überlebenswichtigen Fragedie üblichen Kampfhähne der großen Frak-tionen zu befrieden. Seinen Vorschlag truger mit ungewohnt sanfter Wortwahl und Ton-lage vor. Den Erfolg verdankt er aber wohleher der Zwangslage, dass ein Konsens fürdie SPD-Resolution zur Rettung des Pro-jekts zwingend war; sie mit den Gegenstim-men von CDU und FDP an die CDU-FDP-ge-führte Landesregierung zu schicken, wäredümmer gewesen als sich gar nicht zu rüh-ren. Eine Frage wurde bei all dem nicht gestellt:Ist es gegenüber der Landesregierung dasrichtige Signal, trotz verbalen Protestsgleich die Flinte ins Korn, sprich die Mitar-beiter hinauszuwerfen und Immobilien- und

Abwicklungsverträge zu kündigen? Daszeugt von Hoffnungslosigkeit und macht dieResolution zum zahnlosen Tiger. Und nimmtdem Projekt die nötige Präsenz und Konti-nuität, die Thorsten Stahlhut und seinehaupt- und ehrenamtlichen Unterstützermühevoll aufgebaut haben. Ob das Projekt eine Zukunft hat, entschei-det sich nicht im Ratssaal. Wenn das Landfür 2005 und die EU ab 2006 die Förderungeinstellen, ist “die Sache gegessen", wieCDU-Sprecher Reuter unkt. Sollte das Pro-jekt aber für 2004 und möglicherweiseauch später wieder aufleben, kommt der or-ganisatorische Bruch die Stadt teurer zu ste-hen als eine Nachbewilligung städtischerProjektmittel, um den roten Faden aufrecht-zuerhalten, bis Land und damit auch Bundund EU wieder im Boot sind.

IImmkkee ZZwwoocchh

Auch die Landtagsgrünen üben Kritik:“Die Sozialministerin behauptet zur Begrün-dung dieser Streichung öffentlich, sie wollelieber in Menschen statt in Beton investieren.Deutlicher kann sie nicht zeigen, dass sieSinn und Zweck des Programms SozialeStadt, bei dem es um das genaue Gegenteilvon Beton geht, nicht verstanden hat." DieAbgeordnete Filiz Polat äußerte in der Plenar-sitzung am 29.10.2004 Misstrauen: “Wir wis-sen ja auch noch gar nicht, ob es nur bei ei-ner Aussetzung des Programms in 2005bleibt oder ob sich nicht der Finanzministergegen die Fachministerin durchsetzt und ausder Aussetzung eine komplette Streichung inder mittelfristigen Planung wird." Nach ihrenRecherchen werden “nicht nur Bundesmittelfür das Jahr 2005, sondern auch private An-schlussinvestitionen von fast 500 Mio. Euro(Multiplikatoreffekt) für den niedersächsi-schen Mittelstand verfallen ... Die durch dieFörderprogramme entstandenen Strukturenwürden durch eine Förderunterbrechung ge-fährdet und wichtige Stadtentwicklungs-chancen verpasst." q

NNoovveemmbbeerr // DDeezzeemmbbeerr 22000044

Die Konzerte beginnen um ca. 20.30 Uhr

55..1111..:: MMiittcchh HHiillllffoorrdd aanndd MMYYSSTTEERRYY TTRRAAIINNNein, der milchgesichtige Freak auf derBühne ist NICHT der Roadie. Es steht auchnicht auf Techno, sondern auf Albert, Fred-die und BB King und Jimi Hendrix. Wartet,bis er die Gitarre in die Hand nimmt ... Dastat er zum ersten Mal mit 14. Heute, nur 5Jahre später, gilt er als der vielverspre-chendste Nachwuchs-Blueser überhaupt,der außer ein paar eigenwilligen Coversvorwiegend Eigenes zu Gehör bringt.

1133..1111..:: LLooss RRooaarriinngg IIsseettttaass ((OOllddeennbbuurrgg))1199..1111..:: SSmmeellllss FFuunnkkyy ((OOllddeennbbuurrgg))2277..1111..:: SSOOUULLSSHHIINNEE ((HHaammbbuurrgg // CChhiiccaaggoo))22..1122..:: SSoonnddeerr--GGaassttssppiieell WWOOLLFF MMAAIILL ((KKaa--

lliiffoorrnniieenn)) Der Meister des melodi-schen Blues-Rocks auf Welttour-nee

44..1122..:: JJoohhnnnnyy BBlluuee && tthhee RRaacceeBig Guitar Blues und Swing

1100..1122..:: JJ..JJ.. && TThhee SShhuuffffllee KKiinnggss ((BBrreemmeenn))1188..1122..:: BBiigg DDaaddddyy WWiillssoonn && DDoocc.. FFoozzzz

((NNoorrtthh CCaarroolliinnaa // BBrreemmeenn)) Back ToThe Roots - “Wilson knows how tomake you stomp your feet and sing along. He takes you back home, down the dirty roads!"

Fair-Café im Fairhandelshaus Mercado Mundial,Accumer Str. / Birkenstr.,26419 Schortens / Graf-schaft. Booking und Ticket-Service: Tel. 04423-7093-60 Fax -61

Lohn unter Sozialhilfeniveau?Die Forderung nach Mindestlohn ist nicht überflüssig, sondern

überfällig

(noa) Nachdem monatelang auf den Versammlungen der Arbeitsloseninitiative Wil-helmshaven/Friesland immer wieder Hartz IV Thema gewesen war, gab es am 12.Oktober etwas Neues: Dr. Gabriele Peter, Juristin bei der NGG Hamburg, sprach zumThema “Mindestlohn".

Die Gewerkschaft NGG fordert seit 1999die Einführung eines gesetzlichen Mindest-lohns in Deutschland, stand damit innerhalbder Gewerkschaftslandschaft aber immerrecht einsam da. Im Gegensatz zu den Be-teuerungen aus Politik und Wirtschaft, Nie-driglöhne würden Arbeitsplätze schaffen, daUnternehmer wegen der hohen Löhne sichscheuten, Arbeitskräfte einzustellen, weißman im Hotel- und Gaststättengewerbe ausbitterer Erfahrung: Niedriglöhne bringen kei-ne Beschäftigung! Die Forderung nach demMindestlohn ist also nicht überflüssig, son-dern überfällig.

In den meisten EU-Ländern gibt es einengesetzlichen Mindestlohn; neun der fünfzehnEU-Staaten vor dem Beitritt von zehn neuenStaaten zum 1. Mai kennen ihn; die zehn

neuen haben ihn ohne Ausnahme. Die fol-gende Tabelle zeigt die Höhe der Mindest-löhne in den neun “älteren" EU-Staaten:

Die Länder mit den höchsten Mindestlöh-nen sind unmittelbare Nachbarn Deutsch-

lands - so abwegig ist der Wunsch, auch hiermöge es einen Mindestlohn geben, wohlnicht. Erst recht nicht, wenn wir deutsche Ta-riflöhne dagegenhalten: So ist das untersteTarifentgelt im Friseurhandwerk Nordrhein-Westfalens 770 Euro, knapp mehr als derhalbe luxemburgische Mindestlohn!

In den neuen EU-Ländern sind die Min-destlöhne deutlich niedriger, das reicht von543 Euro in Malta bis 61 Euro in Bulgarien.Damit kommt man allerdings weiter als einDüsseldorfer Friseur: Die Kaufkraft des bulga-rischen Mindestlohns entspricht immerhinder Kaufkraft von 810 Euro in Deutschland.

In der Armutsforschung gibt es die Unter-scheidung zwischen “prekären Entgelten"und “Armutslöhnen", wobei als prekär einLohn in Höhe von 50 bis 75 Prozent desDurchschnittslohns, als Armutslohn ein Ent-gelt unter 50 Prozent gilt. In den altenBundesländern haben 23,8% der Vollzeitbe-schäftigten (das sind absolut 4,17 Millionen)ein prekäres Entgelt; 12,1% (2,21 Millionen) ei-nen Armutslohn. Zum Vergleich die entspre-chenden Zahlen aus den neuen Bundeslän-dern: prekäres Entgelt 1,12 Mio. (= 26%), Ar-mutslohn 0,41 Mio. (= 9,5%). Es sieht nicht soaus, als bräuchten wir dringend eine Auswei-tung des Niedriglohnsektors!

Luxemburg 1.403 Euro

Niederlande 1.265 Euro

Belgien 1.186 Euro

Frankreich 1.173 Euro

Großbritannien 1.083 Euro

Irland 1.073 Euro

Griechenland 605 Euro

Spanien 537 Euro

Portugal 498 Euro

AAnnddeerree PPoolliittkk iisstt mmöögglliicchh.. JJeettzztt mmiittggeessttaalltteenn.. TTeell..:: 0044442211--4466 6688 3366

wwwwww..wwaahhllaalltteerrnnaattiivvee--wwhhvv..ddee..ttee

Page 5: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

zzuussaammmmeennggeekkeehhrrtt vvoonn IImmkkee ZZwwoocchh

Voll krass: Sämtliche Beschlüsse dieser Sit-zung wurden einstimmig gefasst! Ist sieendlich da, die viel beschworene “Wilhelms-haven-Fraktion"? Nur für den ersten Punkt(Verlust der Fördermittel für die “SozialeStadt") brauchte es so viele Pirouetten biszum plötzlichen Zieleinlauf, dass wir ihm ei-nen gesonderten Artikel gewidmet haben (s.S. 3). Zur Einmütigkeit trug auch der unge-wöhnliche Ton bei: Einige sonst staubtrock-ene bis kratzbürstige Vertreter schienenzum Mittagessen Kreide verzehrt zu haben.Jeder kriegt dafür die Sternchen, die er ver-dient.

uu SStteerrnnzzeeiittRatsvorsitzender Norbert Schmidt gratulierteeingangs Siegfried Neumann, dem “Führerder SPD" (oops!) und anderen Ratsmitglie-

dern nachträglich zum Geburtstag. Für allediese im Sternzeichen der Waage Gebore-nen hatte Schmidt im Horoskop nachge-schlagen: “Innerer Drang zur Harmonie,gleicht Konflikte aus" und, mit Blick zu Neu-mann, “der geborene Diplomat". Heiterkeit imSaal. “Ich weiß gar nicht, was es da zu la-chen gibt", grinste Schmidt. Sonst wirkt ereher genervt und spröde bei der Aufgabe,den wilden Haufen im Zaum zu halten, dochdiesmal blieb er nach seinem lockerndenEinstieg auf humorvollem und souveränemKurs. Eher sympathisch, wenn ihm dabeischon mal der Formalkram durcheinandergeriet - dazu sitzen ja Vertreter des Rechts-amts zum Soufflieren daneben. Geht doch!YYYYYYuu KKeeiinnee ZZeeiittCDU-Sprecher Günter Reuter hat sich selbstneue Verpflichtungen aufgehalst. Zum einenmuss er jetzt wöchentlich Siegfried Neu-mann anrufen (s. Artikel S. 3), zum anderenjeden Sonntag morgens um 10 einen Blu-menladen aufsuchen. Anlass war der Rats-beschluss, die sonntäglichen Öffnungszei-ten für den Blumenhandel schon ab 10 Uhrzuzulassen, damit die Kunden keinen Stresskriegen, wenn sie vormittags zu einem Emp-fang geladen sind und einen Strauß überrei-

chen wollen. Daraufhin versprach Reuter, sei-ner Frau sonntags jetzt immer schon um 10Uhr Rosen zu kaufen. Das muss Liebe sein.Iuu EEiisszzeeiitt130.000 Euro bewilligte der Rat nachträglich,um die gestiegenen Heizkosten an denSchulen zu decken. Dank des sehr nord-deutschen Sommers mussten einige Haus-meister noch im Juli die Thermostate aufdre-hen. Es kam die Frage auf, ob nicht durch dieEnergiesparmaßnahmen im Rahmen desContracting mit den Stadtwerken eher Ein-sparungen zu erwarten wären. Tatsächlich,bestätigte Kultur- und UmweltdezernentJens Graul, wird in Schulen, wo sowohl Dachals auch Fenster erneuert wurden, 30 bis 50% weniger Energie verbraucht, aber dasWetter und die Preissteigerungen bei Öl undBaumaterialien hätten die Einsparungenmehr als “aufgefressen". Umgekehrt: OhneEnergiesparmaßnahmen wäre die Nachbe-willigung - und der Energieverbrauch - nochhöher ausgefallen. ☺

I☺KLMN

Gegenwind 203 Seite 5

Anette Nowak Legasthenietherapie

Lese-/RechtschreibtrainingDiagnose und BeratungAuskunft und Anmeldung

04421 - 99 64 70

RReecchhttsscchhrreeiibbwweerrkkssttaatttt

FFoorrttsseettzzuunngg ““LLoohhnn uunntteerr SSoozziiaallhhiillffeenniivveeaauu””

Wo gibt es die Niedriglöhne? Nach Ge-schlechtern betrachtet - na, dreimal raten! -bei den Frauen. Nach Betriebsgrößen be-trachtet: in Kleinbetrieben. Und nach Bran-chen aufgeschlüsselt sind es die Dienstlei-stungsberufe, die am schlechtesten bezahltwerden. Nun wird oft behauptet, die ganzniedrigen Löhne lägen an der mangelndenQualifikation der Leute, aber auch das stimmtnicht: 61,6% der EmpfängerInnen von Ar-mutslöhnen und 64,3% derer, die ein prekä-res Entgelt erzielen, haben eine Ausbildung.

Wenn man sich mal überlegt, wozu manarbeitet, dann sollte man davon ausgehen,dass man von einer Vollzeitbeschäftigung le-ben kann. “Gibt es denn überhaupt Löhne,von denen man nicht existieren kann?", woll-te ein Teilnehmer erstaunt wissen, und er be-kam die Bestätigung, dass es hierzulandewirklich Löhne unter Sozialhilfeniveau gibt.Tatsächlich ist in Deutschland in vielen Berei-chen die Äquivalenz zwischen Lohn und Lei-stung gestört; viele Löhne sichern nicht dieExistenz und die soziale Würde.

Wie kann es kommen, dass ein so rei-ches Land so viele schlecht bezahlte Ar-beitskräfte hat? Gabriele Peter nannte als ei-nen Grund die abnehmende Tarifbindung. InWestdeutschland sind nur 70% der Arbeits-verhältnisse tarifgebunden, im Osten sind dieweißen Flecken auf der Tariflandkarte nochgrößer, dort sind nur 55% der Arbeitsverhält-nisse tarifgebunden. Das allein ist es abernicht, denn viele Tariflöhne sind Niedriglöh-ne; bundesweit gibt es 130 Tarifbereiche mitTarifgruppen unter 6 Euro/Stunde. Die Grün-de hierfür liegen in Lücken im Tarifsystem, inder Tarifflucht von Arbeitgebern, in geringergewerkschaftlicher Vertretungsmacht, in derGeringschätzung vieler Tätigkeiten, im Lohn-und Sozialdumping durch ausländische Be-schäftigte, in der Zunahme tariffreier Bran-chen (so gibt es noch keine Tarifverträge in

Call-Centern oder in der IT-Branche), in derEU-Osterweiterung und schließlich in politi-schen Maßnahmen zur Steigerung der At-traktivität von Niedriglohnangeboten (wie dieZumutbarkeitsregeln nach Hartz IV). Arbeitge-berverbände verlieren Mitglieder oder ma-chen so genannte OT-Mitgliedschaften (d.h.der Unternehmer hat die Beratungs- undsonstigen Leistungen des Arbeitgeberver-bandes, ist aber nicht an die Tarife gebun-den). Doch auch da, wo es Tarife gibt, ist diegewerkschaftliche Macht oft gering: In Klein-betriebe z.B. kommt eine Gewerkschaft oftnicht rein.

Die Befürchtung eines Teilnehmers, dass,sollte es zu einem Mindestlohn in Deutsch-land kommen, dessen Höhe durch das Ar-beitslosengeld II definiert werden wird, teilteFrau Peter nicht. Es wäre politisch kaumdurchzusetzen, denn es gibt eine EU-Festle-gung, die besagt, dass der Mindestlohn ei-nes Landes bei 50% des durchschnittlichennationalen Einkommens betragen muss. An-gesichts des deutschen Durchschnittslohns(2003) von 2884 Euro müsste hier der Min-destlohn auf (derzeit) 1442 Euro festgelegtwerden.

Wie könnte man zu einem Mindestlohnkommen? Die Einzelgewerkschaften habenunterschiedliche Sichtweisen auf das The-ma, je nachdem wie gut ihre Tarife sind undwie groß ihr Organisierungsgrad ist. Der Vor-schlag der NGG (die viel Erfahrung mit pre-kären und Armutslöhnen hat) lautet ganz ein-fach: Es soll ein Sockel als Mindestlohn ge-setzlich festgeschrieben werden; erst daraufkann verhandelt werden. q

Die nächste Monatsversammlung der Arbeits-loseninitiative Wilhelmshaven/Friesland findetam 9. November um 10 Uhr im Gewerkschafts-haus, Weserstraße 51, statt. Adolf Bauer, derPräsident des Sozialverbandes Deutschland,wird die Auswirkungen von Hartz IV auf dieRente erläutern.

vvoomm 2277.. OOkkttoobbeerr 22000044

Page 6: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 6

MMUUSSIIKKKKNNEEIIPPEE IIMM SSÜÜDDEENNDDEERR SSTTAADDTT

MMaaiinnssttrraaßßee 2222 -- WWiillhheellmmsshhaavveennÖÖffffnnuunnggsszzeeiitteenn:: ttääggll.. aabb 2200..0000 UUhhrr

Nicht sparen, sondern dieKonjunktur anschiebenAlbrecht Müller las aus seinem Buch “Die Reformlüge"

(noa) “Ich gehe in diesen Tagen gerne zu Gewerkschaften. Sie tun das, was die Auf-gabe der Medien und der Intelligenz wäre - was diese Eliten aber nicht tun." So be-grüßte der Autor Albrecht Müller die ca. 250 Menschen, die am 18. Oktober ins Pump-werk gekommen waren, um sich über “Die Reformlüge - 40 Denkfehler, Mythen undLegenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren" zu informieren.

Nichts spricht dafür, “nach fünfzig erfol-greichen Jahren Bundesrepublik die Struktu-ren neu zu entwerfen", wie Josef Ackermann,Vorstandssprecher der Deutschen Bank,beim Neujahrsempfang der Stadt Frankfurta.M. 2003 anmahnte - die Zahlen sprecheneine andere Sprache. Seit gut 20 Jahren wirdin Deutschland auf neoliberale Weise refor-miert; mit der Agenda 2010 hat die Bundes-regierung das Reformtempo verschärft, dochder Erfolg bleibt aus. So konnte Müller die“Berliner Zeitung" vom 16. Oktober zitieren,die feststellte, dass die Hartz-Reform wir-kungslos ist - trotz des riesigen Aufwandesbei den Arbeitsagenturen wird nur jeder 20.Arbeitslose vermittelt.

Weitere Zahlen, die gegen den Struktur-wandel sprechen, warf er an die Wand:

Die Arbeitslosenquote stieg also unterder Anwendung der Angebotsökonomiekräftig an, während gleichzeitig das Bruttoin-landsprodukt von einem Jahrzehnt zum an-deren weniger wuchs. “Wie die angebots-ökonomischen Instrumente angewandt wur-den, zeigt sich auch beim Vergleich derEntwicklung der Unternehmens- und Vermö-genseinkommen einerseits mit der Entwick-lung der Arbeitnehmereinkommen anderer-seits. (...) Es gab (...) in den neunziger Jahrenkeinen Zuwachs bei den Löhnen, sondernein Minus." Die Unternehmens- und Vermö-genseinkommen stiegen in den 80er Jahrengegenüber den 70ern, in den 90ern “half dieneoliberale Politik aber auch den Unterneh-mens- und Vermögenseinkommen nichtmehr auf die Beine (...) Auch diese Einkom-men wurden Opfer der mangelhaften Men-genkonjunktur." (Tabelle und Zitate aus “DieReformlüge", S. 56ff.)

1988/89 gab es noch einmal ein Wirt-schaftswachstum und danach den Eini-gungsboom, doch dann wurde die Konjunk-tur abgewürgt - zu Lasten der Arbeitnehmerund der Unternehmer, die auf Binnennachfra-ge angewiesen sind.

- Wenige Tage nach der Veranstaltungklagte Schröder mal wieder im Fernsehen,dass die Binnennachfrage leider immernoch nicht steigt, dass wir alle uns zu sehrzurückhalten mit dem Geldausgeben - ja,was erwartet er denn, wenn die Löhne sinkenund die Arbeitslosen auf die Armutsgrenzegedrückt werden! -

Es war natürlich in einer zweistündigenVeranstaltung nicht möglich, alle 40 Denkfeh-ler aufzuzählen und zu erläutern, ebenso we-nig wie es möglich ist, sie alle in einem

Gegenwind-Artikel zu er-klären. Müllernannte exem-plarisch denMythos “DieZeiten, alsman aus demVollen schöp-fen konnte,sind vorbei."Tatsächlichsind die Ein-kommen derArbeitnehmerin den letztenJahren gesun-ken. DochDeutschlandsManagerschöpfen im-mer noch ausdem Vollen:“2002 verdien-te ein Vor-

standsmitglied der im DAX notierten Firmenim Schnitt 1,25 Millionen Euro jährlich. Daswaren pro Kopf 90.000 Euro mehr als im Vor-jahr. DaimlerChrysler zahlte im Schnitt 3,7Euro Millionen und damit trotz einer Reihevon drastischen Managementfehlern 130Prozent (!) mehr als im Jahr zuvor. Bei Sie-mens stieg die Vergütung der Vorstände imGeschäftsjahr 2002/2003 pro Kopf um 29Prozent auf 2,2 Millionen Euro. Die Bezügevon Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermannstiegen von 6,9 Millionen 2002 auf rund 11Millionen 2003. Die acht Vorstände der Deut-schen Bank verdienen mehr als die 603Bundestagsabgeordneten zusammen." (S.158)

Ein weiterer Mythos: “Jetzt hilft nur nochprivate Vorsorge!" - Die gesetzlichen Renten-versicherer haben Verwaltungskosten inHöhe von 4% der eingezahlten Beiträge - pri-vate Lebensversicherer verbrauchen einen

sehr viel höheren Teil der eingezahlten Sum-men für die Gehälter ihrer Beschäftigten. Beider Riesterrente sind es z.B. 10%, in Chile(dem Vorbild der privaten Versicherer) 18%; inGroßbritannien gar bis zu 40%. Wenn die pri-vate Versicherungswirtschaft 10% der öffent-lichen Altersvorsorge an sich reißen kann,beschert ihr das ein Umsatzplus von 25% -kein Wunder, dass sie begeistert über dasschwindende Vertrauen der Menschen in diegesetzliche Rente und den Run auf privateRentenversicherungen ist.

“Wir werden immer weniger", lautet einweiterer Mythos, den Müller im Pumpwerknäher beleuchtete. Ein Blick in einen Schul-atlas zeigt, dass es nur wenige Länder gibt,die dichter besiedelt sind als Deutschland.Müller zeigte folgende Tabelle, die sich inseinem Buch auf S. 107 findet:

Aufschlussreich ist auch die Tabelle vonSeite 106, an der man die Entwicklung derGesamtbevölkerung Deutschlands nachvoll-ziehen kann: Nach der mittleren Prognosedes Statistischen Bundesamtes werden inDeutschland im Jahr 2050 75 Mio. Men-schen gegenüber 82,5 Mio. heute leben.1950 waren es 68,7 Mio. in beiden deut-schen Staaten zusammen. In den altenBundesländern lebten 1950 50,8 Mio. Men-schen, und auf demselben Gebiet waren es1939 43 Mio. Damals waren wir - wir wissenes aus dem Geschichtsunterricht - ein “Volkohne Raum"; heute schrei(b)t der “Spiegel",Deutschland sei bald ein “Raum ohne Volk"und beschwört “den letzten Deutschen"! “Un-ter Umständen täte es unserem Zusammen-leben, der Lebens- und Wohnqualität und derseelischen Befindlichkeit sogar gut, wennDeutschland etwas weniger dicht besiedeltwäre", schreibt Müller, “aber das darf man inDeutschland auf keinen Fall öffentlich sagen,denn die Grundstimmung der Meinungsfüh-rer ist auf ‘mehr' getrimmt." (S. 107)

11997711 -- 11998800 11998811 -- 11999900 11999911 -- 22000000

Zuwachs Bruttoinlandsprodukt 118,6% 65,7% 33,7%

Bruttoanlageninvestitionen 93,0% 57,6% 22,9%

Öffentliche Investitionen 67,2% 8,3% -10,7%

UUnntteerrnneehhmmeennss-- uunndd VVeerrmmööggeennsseeiinnkkoommmmeenn

a) brutto 62,4% 108,6% 27,8%

b) netto 56,4% 130,1% 24,7%

LLoohhnn-- uunndd GGeehhaallttssssuummmmee

a) brutto 130,4% 50,8% 27,7%

b) netto 112,2% 46,9% 19,0%

c) netto real/Arbeitnehmer 20,5% 6,7% -2,2%

Arbeitslosenquote am Ende des Jahrzehnts 3,8% 7,2% 10,7%

Durchscnittliches Wachstum desrealen Bruttoinlandsproduktes 2,7% 2,3% 1,9%

EEiinnwwoohhnneerr pprroo kkmm22 iimm JJaahhrree 22000033Niederlande 477Großbritannien 243Deutschland 231Italien 191Tschechische Republik 130Dänemark 124Polen 123Frankreich 111Österreich 97Spanien 81USA 31

Page 7: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 7

Die hier zu Grunde gelegte Prognose desStatistischen Bundesamtes geht von einerGeburtenrate von 1,4% aus. Sollten wir nochweniger Kinder kriegen, würde die Bevölke-rungszahl Deutschlands bis 2050 auf 67 Mio.sinken. Diese Zahl nennt Frank Schirrmacherin seinem Buch “Das Methusalem-Komplott"und behauptet, dieser Trend sei unumkehr-bar, wobei dieses Szenario lediglich eines(das ungünstigste) von neun möglichen ist.(Die günstigste - ebenfalls höchst unwahr-scheinliche - Variante, die das StatistischeBundesamt annimmt, sieht die Bevölke-rungszahl 2050 übrigens auf dem Stand vonheute.)

Wie die Bevölkerung sich tatsächlich ent-wickeln wird, hängt von Faktoren ab, die sichtäglich ändern können. Das zeigt sich u.a.am Vergleich der Geburtenrate der alten undder neuen Bundesländer, die leider seit 2001nicht mehr getrennt erfasst wird, bis dahin je-doch nach 1990, als die Ostdeutschen nochmehr Kinder bekamen als die Westdeut-schen, in den neuen Bundesländern niedri-ger ist als in den alten - ein Spiegel der wirt-schaftlichen Ungewissheit. Müller: “In einerSituation ohne Arbeitsplatz ist es ja fast un-verantwortlich, Kinder in die Welt zu setzen."

Einige Besucher der Veranstaltung hat-ten Müllers Buch schon gelesen. So bezogsich ein Diskussionsteilnehmer auf MüllersForderung nach öffentlichen Investitionen,um die Konjunktur anzuschieben: “Dannwürde die Staatsverschuldung steigen, undsie soll doch auf 3% begrenzt werden!" Spa-ren und Sparen ist zweierlei, antwortete Mül-ler diesem Herrn. Wenn ein Privatmenschspart und Geld ansammelt, dann ist es da.Sparen Bund, Länder und Gemeinden an öf-fentlichen Investitionen, dann entfallen Steu-ereinnahmen. Allein die regelmäßigen Kor-rekturen von Eichels Steuerschätzungen seit2001 summieren sich bisher auf 154 Mrd.Euro - so viel Geld hat das Sparen des Staa-tes gekostet.

Dass die Bundestagsabgeordneten al-lesamt Sozialschmarotzer seien, wie ein Teil-nehmer aus dem Publikum vertrat, mochteMüller so nicht bejahen - lieber würde erüber die Nebentätigkeiten als über die Diä-

ten der Parlamentarier reden.Wie er angesichts der Politik der SPD in

dieser Partei bleiben könne, wollte ein Teil-nehmer wissen - Müller, der das “ModellDeutschland" erfunden hat und 1972 denSlogan “Mehr Lebensqualität" prägte, sagtdazu, dass er mehr Berechtigung als vieleandere hat, in der Sozialdemokratischen Par-tei zu sein - “Ich stehe noch zu ihrem Pro-gramm"! Herbert Ehrenberg, wohl der promi-nenteste Besucher der Veranstaltung, ernteteviel Zustimmung mit seinem Beitrag: “Ich galtimmer als rechter Sozialdemokrat, aber die,die heute die Politik machen, haben michalle meilenweit rechts überholt."

Dass Schwarzarbeit und Steuerhinterzie-hung große Faktoren bei der gegenwärtigenwirtschaftlichen Situation sind, warf ein weite-rer Teilnehmer ein. Darüber hat Müller nochnicht eingehend geforscht und er nahm esals Anregung, doch dass die neoliberaleWirtschaftspolitik sehr zu Schwarzarbeit undSteuerhinterziehung anregt, konnte er auchso schon sagen.

Was ist zu tun? Die Strategie der Gewerk-schaften, so Müller, sollte darin bestehen, im-mer und immer wieder die Wirkungslosigkeitder “Reformen" zu thematisieren und die For-derung nach Konjunkturförderung zu erhe-ben. Da wirklich keine Zeit mehr für weitereErläuterungen war, verwies er auf “Denkfehler31", den wir hier kurz zusammenfassen:Während in Deutschland Hans Eichel sich ei-nen Namen als Sparkommissar machte, ent-schied sich Frankreich zu einem anderenKonzept: Stärkung der inländischen Massen-kaufkraft durch Entlastung der Bezieher vonLöhnen bei stärkerer Belastung der Beziehervon Kapitaleinkommen und ein großes Pro-gramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit -mit dem Erfolg einer Senkung des Staatsde-fizits. Zwar hat Frankreich sein Konzept nach2001 wieder geändert, doch in den Jahren1998 bis 2001 hatte Frankreich gegenüberDeutschland in Sachen Wirtschaftswachs-tum, in Sachen Reduzierung der Schulden-standsquote und in Sachen Senkung der Ar-beitslosenquote die Nase vorn. Daraus könn-te man etwas lernen, wenn man lernfähigwäre. q

GewerbetourismusNeben der Hafenwirtschaft ist der Tourismusdie große Hoffnung für die wirtschaftliche Ent-wicklung Wilhelmshavens. Nach Wegfall desGeniusstrandes wird das maritime Erlebnis aufKüste und Kaianlagen zwischen Jadestraßeund Schleuseninsel eingeengt. Letztere sollnach Plänen des Niedersächsischen Hafen-amtes nun von einem Freizeit- in ein Gewerbe-gebiet umgewandelt werden. Die Anbindungsoll von Norden her über die so genannte Ha-fentorbrücke erfolgen. Es ist allerdings unklar,wann die Stadt den zweistelligen Millionenbe-trag aufbringen kann, um die Brücke zu reali-sieren. Bei einer Informationsveranstaltung fürdie betroffenen Freizeitgärtner der Schleusenin-sel am 6.10. brachten die Planer jetzt die Optionins Spiel, das Gewerbegebiet auch ohneBrücke in Betrieb zu nehmen. “Das Gewerbe-gebiet ist nur 12 ha groß. Da kann der Zuliefer-verkehr auch über die Schleusenstraße gehen"zeigte sich Herr Witt vom Stadtplanungsamtoptimistisch. Man stelle sich vor: Im SommerTausende Touristen am Südstrand und amGroßen Hafen, und auf der Straße “Am Süd-strand" kacheln die LKWs lang? Und zu Groß-veranstaltungen wird der Gewerbebetrieb ein-gestellt? Nachdem sich gezeigt hat, dass derkombinierte Hotel-Wohnungsturm gegenüber

der Strandhalle mit der Hafenentwicklung amnördlich gelegenen Kai kollidieren wird, plantman hier schon wieder den Fehler ein, ver-schiedenste Nutzungen auf engem Raumunterzubringen und damit jede bereits im Vor-feld einzuschränken. In der Diskussion um die Schleuseninsel zeig-ten sich noch mehr Widersprüche. Eine Wohn-bebauung auf der Schleuseninsel, so Witt, seinicht möglich, weil hier hafenbezogenes Ge-werbe Vorrang hat, “höchstens ein Hotel". (s. o.)Die Notwendigkeit eines Gewerbegebietes aufder Schleuseninsel wird - wie fast alles - mitdem JadeWeserPort begründet. Unter ande-rem sollen Schlepper- und Festmacherbetriebesich dort niederlassen. Die Freizeitgärtner frag-ten, welchen Sinn das ergeben soll, wenn derContainerhafen, von dem die leben sollen, 13Kilometer entfernt ist.Sicherheitshalber schoben die Planer die Be-gründung nach, die Pläne für die Schleusenin-sel seien schon 30 Jahre alt. Damals gab'saber noch keine “Maritime Meile", das heutigeHerzstück des hiesigen Tourismus.

EErrsstt rrääuummeenn -- ddaannnn aannbbiieetteenn

Konkrete Investoren gibt es noch nicht. Die Flä-chen sollen erst mal erschlossen (und dafürGrünflächen zerstört) werden, und dann schaut

man, ob sich jemand ansiedeln will. Herr Gau-er (Hafenamt): “Eine Ansiedlung ist nur nachVorleistung möglich - das macht bei der Kon-kurrenz heute jeder so!" Kommentar aus demPublikum: “Nur weil etwas gang und gäbe ist,ist es noch lange nicht richtig." Jemand wollte wissen, warum nicht zunächstviele freie Flächen am Hannoverkai bebautwerden. Gauer räumte ein, man hätte dielängst vermarkten können, aber: “Die wollen wirfreihalten, bis der JadeWeserPort kommt." Dassei so - na? - richtig: “gang und gäbe."Verwundert war man auch, dass die Räumungund Erschließung des (wie Witt schon einräum-te) kleinen Gebietes stolze 200 Euro pro qmkosten soll. Ein anwesender mittelständischerUnternehmer sah keinen Anlass für seine Bran-che, sich dafür am entlegensten Ende derStadt anzusiedeln.So schnell werden die Freizeitgärtner nicht auf-geben - erst recht nicht, nachdem ein Kollegevom Banter See übermittelte, dass sich alle Wil-helmshavener Kleingartenvereine mit ihnen so-lidarisch erklären.Übrigens: Wessen Idee war das eigentlich mitdem Gewerbegebiet? Gauer: “Wir sind ein kre-atives Team - aber ich bin der Schuldige." BöseZungen behaupten, der scheidende Amtsleiterwolle sich damit ein Denkmal setzen. (iz)

Page 8: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 8

Beachtliche EntwicklungSeit fünf Jahren besteht die “Wilhelmshavener Tafel e.V."

(noa) Was ist das für ein Menschenauflauf im Textilhof, immer am Dienstag ab 10 undam Freitag ab 14 Uhr? Gibt es da etwas umsonst? - Ja, tatsächlich. In der Ulmenstra-ße 61 befindet sich die Ausgabestelle der “Wilhelmshavener Tafel e.V.", die sich der“Umverteilung" (so überschrieben wir einmal einen Artikel über die damals eben ge-gründete “Tafel") verschrieben hat.

Im Frühjahr dieses Jahres schafften diealten Vorstandsmitglieder es nicht mehr. Fastfünf Jahre lang hatten sie neben ihren son-stigen täglichen Pflichten die “Tafel" auf- undimmer weiter ausgebaut. Nun traten sienacheinander zurück. Henry Pries, Pensionärseit 1998, hatte sich den Verein mal nach ei-ner Notiz in der Zeitung aus Neugierde an-geschaut und wenige Tage später schon ei-nen Schlüssel bekommen. Als jetzt im AprilHerr Frerichs, Mitbegründer des Vereins undzu diesem Zeitpunkt Schatzmeister, bat, vonseinem Amt entbunden zu werden, bestimm-te eine außerordentliche Mitgliederversamm-lung Herrn Pries und Enno Tammling aus derSektion Jever zu einer Art Notvorstand.

AAuuffggaabbeenn ddeerr ““TTaaffeell""Sektion Jever? - Ja, seit der Gründung

hat die “Tafel" sich kräftig vergrößert. Nebendem Wilhelmshavener “Mutterhaus" existie-ren Sektionen in Jever, Wittmund, Friedeburg,Esens und Schortens. An jedem Ort gibt eseine acht bis zehn Personen starke Stamm-Mannschaft, die den Betrieb aufrechterhält.Der “Betrieb" besteht darin, Lebensmittel, dienoch gut, aber in Läden nicht mehr verkäuf-lich sind, Leuten zu geben, die sie brauchen.

Und das heißt: Täglich fahren zwei Liefer-wagen zu den Lebensmittelmärkten Plus,Extra, Marktkauf, Combi, MIOS, Lidl und Neu-kauf, zu den Bäckereien Siemens und Rohlfs,zur Fleischerei Bruns in Steinhausen und zuRoyal Greenland, um Ware abzuholen, diekurz vor Ablauf des Mindest-Haltbarkeitsda-tums steht und deswegen nicht mehr ver-käuflich ist. Sachen, denen man auf den er-sten Blick ansieht, dass sie nicht mehr ge-nießbar sind (schimmelndes Obst, kaputteSahnepäckchen u.ä.) nehmen sie gar nichterst mit - auch Bedürftige sollen nicht erst amJoghurt riechen müssen, um zu entscheiden,ob sie es riskieren wollen, ihn zu essen. ImVereinssitz am Textilhof wird die Ware gründ-lich sortiert und sachgerecht gelagert. Kühl-und Tiefkühlschränke sind vorhanden.

Dienstags und freitags ist Ausgabe inWilhelmshaven. Wenn man den Ausgabe-raum betritt, hat man den Eindruck, in einemgut sortierten größeren Tante-Emma-Ladenzu sein. Nur die Registrierkasse fehlt. Aber fri-sches Obst und Gemüse, Milch und Milch-produkte, Konserven, Brot, Brötchen, Kuchen,auch Drogerieartikel (hier arbeitet die “Tafel"mit der Firma Rossmann zusammen) sind or-dentlich aufgebaut.

Der Unterschied zum Dorfladen: Hiersteht eine lange Schlange von Menschen.Ca. 120 Personen kommen pro Ausgabetag;damit sie sich nicht alle gleichzeitig drängenmüssen, hat man sich ein raffiniertes Systemausgedacht, das es den Leuten ermöglicht,

mal gleich um 10, das nächstemal erst um 11oder später zu kommen und trotzdem sichersein zu können, dass es noch etwas gibt.

WWeerr kkoommmmtt??“Kämen alle unsere Abnehmer an jedem

Ausgabetag, wäre es nicht zu schaffen, undes wäre auch nicht genug da", erklärt HenryPries. 300 sind es etwa, die einen Berechti-gungsausweis der "Tafel" haben; mit Fami-lienangehörigen sind es etwa 500 Personenin Wilhelmshaven, die ihren üblichen Speise-zettel regelmäßig oder gelegentlich aus demAngebot der “Tafel" anreichern.

Eine Grundversorgung bietet der Vereinnämlich nicht. Die sollte durch Sozialhilfe, Ar-beitslosengeld oder -hilfe oder die Rente ge-währleistet sein. Der Bescheid über eine die-ser Leistungen dient als Nachweis der Be-dürftigkeit und ermöglicht es einemMenschen, sich bei der “Tafel" zusätzlicheSachen abzuholen, die er sich von seinemeigenen Einkommen nicht so ohne weiteresleisten könnte.

So gab es neulich eine schöne Überra-schung: Unmengen Packungen von Ferreros“Besten" waren offensichtlich der diesjähri-gen Werbekampagne zum Opfer gefallen. Er-innern Sie sich noch an den jungen Mann imWerbefernsehen, der pünktlich Anfang Sep-tember verkündete, nun sei es kühl genug fürMon Cherie - und dann dauerte und dauerteder Sommer aber eisern weiter an? Der zu-sätzliche Schnack nach einigen heißen Sep-tembertagen, dass man die Leckereien jaauch in den Kühlschrank stellen könne, kamwohl zu spät - sehr zum Segen der “Tafel", dieihren Besuchern nun mal ausnahmsweiseein besonderes Leckerli in die Tüte packenkonnte.

Die Menschen, die sich bei der “Tafel" et-was abholen, sind sich durchaus bewusst,dass es sich um etwas Zusätzliches und in-sofern um etwas Besonderes handelt. Bisauf eine einzige Frau waren alle einverstan-den, eine Kleinigkeit zu bezahlen. Seit Augustspenden die “Kunden" einen kleinen Betrag,wenn sie etwas holen. Sie haben auch dank-bar bemerkt, dass schon kurz nach Einfüh-rung ihrer Spende ein Unterstand als Wetter-schutz vor dem Eingang angebracht wurde.

An den Wochentagen, an denen im Tex-tilhof keine Ausgabe stattfindet, fahren dieLieferwagen andere Touren. Im Flüchtlings-wohnheim, im Café Regenbogen, beim Wen-depunkt, im Jugendtreff Point, beim Kinder-garten Schlosserstraße und im Frauenhausgibt es auch immer Bedarf an ein paar Wein-trauben oder einem Stück Rosinenstuten.

EEnnttwwiicckklluunngg Beachtlich, was aus der Gruppe, die sich

im September 1998 zusammengetan hat, in-zwischen geworden ist! Wir schrieben im Ja-nuar 1999: “Es geht um eine zusätzliche Er-nährung; bestimmt gönnen sich die Familien

mancher Arbeitsloser nur sehr ausnahms-weise mal einen teuren Fruchtquark. DieseFamilien können im Moment vom Angebotder ‘Tafel' noch nicht profitieren. Es fehlt eineeigene Abgabestelle." Seit Anfang 2000 istdie nach einem Provisorium zwischendurchnun im Textilhof vorhanden; die “Tafel" istMieter des Vereins BeKA e.V. und verfügtüber etwa 100 m2 Laden-, Lager- und Büro-fläche.

Was das Büro angeht, da hat Herr Priesfür frischen Wind gesorgt. Erledigte Herr Fre-richs noch alles Schriftliche nebenbei, sosteht hier jetzt ein Computer! Und er wirdsachgerecht bedient von einer bezahlten Ar-beitskraft! Es handelt sich um eine Dame, dieeine Stelle über die GAQ besetzt und 30Stunden in der Woche für die “Tafel" die Bü-roarbeit leistet. Ebenfalls über die GAQ arbei-tet ein Fahrer hier und fährt einen den beidenLieferwagen, deren Anschaffung durch Spen-den ermöglicht wurde.

Zwischen den “Tafeln" verschiedenerStädte besteht reger Austausch, und sokommt die Wilhelmshavener Tafel gelegent-lich auch mal an Waren von Firmen, die nichtdirekt zu ihren “Geschäftspartnern" zählen.Wenn z.B. die Firma Meica in Edewecht sichmit dem Wetter versehen hat und Abertau-sende Grillwürstchen nicht mehr loswird,dann können Wilhelmshavener Bedürftigesich auf Grund des “Tafel"-Netzwerkes einsolches Würstchen bei Regenwetter in derPfanne braten. Und im Güterverteilzentrum inBremen kann man gelegentlich haufenweiseaussortierte Konserven kriegen, deren einzi-ges “Manko" darin besteht, dass das Etiketteingerissen oder die Dose etwas ange-ditscht ist.

ZZuukkuunnffttssssoorrggeennWas künftig aus den GAQ-Stellen wird,

steht im Moment noch in den Sternen. Dassdie konkreten Personen, die gegenwärtigdiese beiden Stellen besetzen, nur befristetda sind, ist sowieso klar, aber wird es nachdem 1. Januar 2005, dem Datum des Inkraft-tretens von Hartz IV, weiterhin solche Stellengeben?

Die Arbeits-Agentur ist schon an die “Ta-fel" herangetreten mit der Frage, ob man 1-Euro-Jobs anbieten wolle. Dazu will die “Ta-fel" sich erst mal schlau machen, so dass wirdarüber hier noch nichts berichten können.

Und wird es ab Januar einen stark ver-größerten Zulauf an Abnehmern geben,wenn zahlreiche Menschen durch Alg II we-niger Geld als bisher haben? Vielleicht wer-den auch einige bisherige Abnehmer entfal-len, denn dem Vernehmen nach soll es jaauch Fälle geben, in denen jemandes Ein-kommen durch Hartz IV besser wird. Wirdsich das ausgleichen, oder wird die "Tafel"am Ende gar einem steigenden Bedarf nichtgerecht werden können?

So oder so ist die “Wilhelmshavener Tafele.V." immer dankbar über Spenden! q

Wilhelmshavener Tafel e.V., Ulmenstraße 61

26384 Wilhelmshaven, Tel/Fax: 04421-699126

www.tafel-whv.de, E-Mail:[email protected]

Bankverbindung: Sparkasse Wilhelmshaven (BLZ 282 501

10) Konto Nr. 32 90 80 30

Page 9: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 9

Alle Achtung!Eine bemerkenswerte Veranstaltung

(noa) Der 4. Ems-Jade-Lauf am 10. Oktober hat in vielerlei Hinsicht die vorigen über-troffen. Die WZ hat am 11. Oktober über die Sieger berichtet: Am schnellsten lief Ha-rald Klaus die 72 km, die schnellste Frau war Anke Drescher. Uns interessieren außerRekorden auch andere Gesichtspunkte.

55 Menschen haben die ganze Streckebewältigt; 618 Menschen teilten sich in 91Staffeln die Strecke von Emden nach Wil-helmshaven. Das war eine kräftige Steige-rung gegenüber dem Vorjahr. Die (leider völ-lig unsportliche!) Gegenwind-Schreiberin istam meisten beeindruckt von Bodo Raths-burg, der als Letzter am Ziel ankam, dem esaber auch gar nicht aufs Gewinnen ankam,sondern der immer alle Strecken in einemflotten Powerwalking bewältigt. 9 Stundenund 49 Minuten pausenlos zu Fuß unterwegssein - wow!

Der Ems-Jade-Lauf ist aber nicht nur einesportliche Angelegenheit, sondern auch eineWohltätigkeitsveranstaltung. Der gesamte Er-lös geht an den Auricher Verein für Leukä-mie- und Krebsforschung, und damit dieseSpende möglichst großzügig ausfallen kann,arbeiten einige Leute hinter den Kulissen einganzes Jahr lang. Wir berichteten im letztenGegenwind über die Ehepaare Schlundt undHuth, die den letzten Teilabschnitt diesesLaufes organisieren. Jetzt, wo es wieder ein-mal geschafft ist, wollten wir wissen, wie die“heiße Phase" für sie ablief.

Am Freitag um halb acht war Arbeitsbe-ginn. Da wurden 1000 m2 Teppich geliefert,die den Hallenboden vor Beschädigungschützen sollten. Dann holten die Organisa-toren 45 Bierzeltgarnituren bei der Marineund weitere etwa 35 bei der Siedlergemein-schaft Rüstersiel und die bestellten Getränkeaus dem Geschäft ab. Nachmittags beka-men die vier Personen Hilfe aus Ostfrieslandbeim Auslegen des Teppichs und dem Auf-stellen der Bierzeltgarnituren. Um 19 Uhr wardas alles geschafft.

Am Samstag galt Arbeitsteilung. Zu Hau-se buken die Frauen Unmengen Kuchen,während die Männer die Sporthalle Süd aus-schmückten, die Cafeteria einrichteten, dieToiletten, Duschräume usw. vorbereiteten, dieTombolapreise holten und aufstellten, dieStreckenbeschilderung am letzten Teilab-schnitt der Laufstrecke von Dykhausen biszur Sporthalle aufstellten - ein 12-Stunden-Tag.

Das Running Team aus Wilhelmshavenhat diesmal als Staffel den Lauf mitgemacht.Also Sonntag früh nach Emden! In Wilhelms-haven begann die Veranstaltung in und vorder Halle um 10.30 Uhr. Eigentlich ging esdabei um eine Siegerehrung mit den Fami-lienangehörigen der Läufer und Läuferinnen,aber erfreulicherweise fanden sich auch vie-le weitere Leute ein, so dass während derganzen Party das Haus immer voll war. “LosLegendos" lieferten eine tolle Musikdarbie-tung und bekamen außerdem besondersviel Applaus dafür, dass sie für den gutenZweck auf ihre Gage verzichteten.

Bis 18.30 Uhr standen die Helfer und Hel-ferinnen und organisierten die Cafeteria, dieaußer mit dem selbst gebackenen Kuchenmit belegten Brötchen (die Veranstalter dan-ken der Bäckerei Siemens, der SchlachtereiJoswig und dem Hühnerhof Onken für die

Spenden!) und Suppe vom DRK Weser-marsch bestückt war. Als die letzten Gästeweg waren, ging es ans Aufräumen. Sonn-tagabend um neun war die Halle wieder imOriginalzustand.

Am Montag mussten die Bierzeltgarnitu-ren, die Suppenthermen und das Leergutweggebracht, Waschräume und Toiletten ge-säubert, die Beschilderung der Strecke ent-fernt werden - noch einmal ein Arbeitstag.

Die folgenden Tage waren dann für Jür-gen Schlundt von Running Team Schreib-tischtage: Die Abrechnung wurde erstellt.

Was ist dabei für den Verein für Leukä-mie- und Krebsforschung rübergekommen?

Die Spende von der Fa. C.W. Meyer ausOldenburg (wir berichteten im letzten Gegen-wind darüber, dass sie Kunden und Lieferan-ten um Kilometergeld gebeten hatte) erhöhtesich noch auf 10.500 Euro, 1.000 Euro spen-dete das Airbuswerk Varel. In Wilhelmshavenkamen ca. 3.600 Euro durch den Kuchen-,Brötchen- und Suppenverkauf, durch denVerkauf von T-Shirts und den Erlös aus derTombola zusammen. Auf etwa 4.000 Euro be-laufen sich die Startgelder der Läufer undLäuferinnen. Da alle Helfer ehrenamtlich tätigwaren, muss von diesen gesamten Einnah-men nicht allzu viel für Auslagen - Genehmi-gungsgebühren, Kosten für Bustransfer unddie LKW-Miete - einbehalten werden. “Dableibt noch ein schöner Betrag für die Leukä-mie- und Krebsforschung übrig", sagt JürgenSchlundt stolz. Und: “Es herrschte bei allen,die uns unterstützten, eine Superstimmung -und, was das Schönste ist: Sie sind alle wie-der mit dabei, wenn am 16. Oktober 2005 der5. Ems-Jade-Lauf gestartet wird." Die Vorbe-reitungen laufen schon. q

BBoottsscchhaafftteerr wwiiddeerr WWiilllleennAm 7.10 kam Bundesumweltminister JürgenTrittin auf einen Sprung nach Wilhelmsha-ven, um sich über die Planungen zum Con-tainerhafen schlau zu machen. Er erschienin Begleitung von Hanso Janßen (Varel), Ab-geordneter und hafenpolitischer Sprecherder Grünen im Landtag. Neben Oberbürger-meister Menzel war auch die grüne Bürger-meisterin Marianne Fröhling zugegen. (Zuden Veranstaltungen “Südzentrale" und“Schleuseninsel", s. Berichte in diesem Heft,kam keine/r von beiden).Für Menzel ist Trittin jetzt “der Botschafterdes JadeWeserPorts", nachdem HelmutWerner von der JWP-Realisierungsgesell-schaft “einen exzellenten Vortrag" gehaltenhatte. Trittin guckte etwas irritiert und klärteauf: Wilhelmshaven sei nur der Auftakt einerInformationsreise, die ihn auch nach Ham-burg und Bremerhaven führt. Anlass war einKabinettsbeschluss vom September mit derVorgabe, die naturschutzfachlichen Proble-me beim zukünftigen Hafenausbau abzuar-beiten und zu schauen, wie sich Stärkenund Kapazitäten der verschiedenen Stand-orte arbeitsteilig nutzen und dadurch Eingrif-fe in die Natur minimieren lassen. Menzel insistierte, er habe sich “die Reihen-folge gemerkt": Der Minister sei zuerst nachWHV gekommen, ehe Hamburg an der Rei-he sei.Janßen sprang dem Minister bei, um diesubjektive, wenig sachdienliche Sicht desOB zu korrigieren: “Grundsätzlich halten dieGrünen WHV für einen geeigneten Hafen-standort." Aber: “Durch den Ausstieg Ham-burgs und die fehlende private Beteiligungan den Infrastrukturkosten bleibt nach derderzeitigen Kalkulation Niedersachsen beimJade-Weser-Port auf einem Kostenanteil von540 Mio Euro sitzen. Eine Refinanzierung istnicht in Sicht. Wir brauchen ein norddeut-sches Hafenkonzept, in dem die Stärken derHäfen genutzt und nicht ökologisch undökonomisch unsinnige Konkurrenzen zu La-sten der Steuerzahler verschärft werden."Derzeit gibt es seitens der Hafenstädte eine400%ige Überplanung, aber es wird nachVorstellungen des Ministeriums keine paral-lele Förderung von Elb- und Weservertiefungund Hafenausbau an der Jade geben. Janßen konkretisierte später, die Lasten fürdas Land Niedersachsen müssten durchEinbindung weiterer Partner deutlich redu-ziert werden: “Wer wie diese Landesregie-rung im Sozialen Bereich keinen Stein aufdem anderen lässt, darf nicht beim Jade-Weser-Port das Geld mit vollen Händen aus-geben. Die Forderung der norddeutschenMinisterpräsidenten nach privater Beteili-gung war 2001 richtig, heute ist sie ange-sichts leerer Kassen zwingend". Abschließend erklärte Trittin, dass das Ha-fenkonzept mit allen Beteiligten, also auchNatur- und Umweltverbänden erstellt wer-den soll. “Die nach EU-Vorgaben auch fürPläne und Programme erforderliche Umwelt-verträglichkeitsprüfung wird hier in nationa-les Recht umgesetzt." Und versuchte Menzelnoch einmal auf den richtigen Padd zu brin-gen: “Wir haben uns noch nicht festgelegt,wir haben uns weder für Wilhelmshavenausgesprochen noch gegen einen anderenStandort." Ende und aus. (iz)

Page 10: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 10

Haufenweise Klagen?Hartz IV verstößt nach Ansicht von Fachleuten gegen das Grund-

gesetz

(noa) Seit vielen Ausgaben ist Hartz IV Gegenwind-Thema. Auch diesmal beschäfti-gen wir uns mit diesem Gesetz, das zu einem Bestandteil des SGB II wurde, jedochunter einem ganz anderen Blickwinkel als bisher. Angeregt wurde dieser Beitragdurch einen Artikel in der Arbeitslosenzeitschrift “quer" 4/2004.

Ab 1.1.2005 werden Tausende in Wil-helmshaven Arbeitslosengeld II beziehenund damit in ihren Grundrechten massiv ein-geschränkt werden. So sehen das einigehochrangige Richter und Rechtswissen-schaftler.

Prof. Uwe Berlit, Richter am Bundesver-waltungsgericht, macht geltend:

Durch die neuen Bestimmungen desSGB II werden die Alg II-BezieherInnen ge-zwungen, eine Eingliederungsvereinbarungzu unterschreiben - wenn sie es nicht tun,wird ihr Alg II empfindlich gekürzt. Dadurchwird die Vertragsfreiheit eingeschränkt - einVerstoß gegen Art. 2 GG.(1) Jeder hat das Recht auf die freie Ent-faltung seiner Persönlichkeit, soweit er nichtdie Rechte anderer verletzt und nicht gegendie verfassungsmäßige Ordnung oder dasSittengesetz verstößt.(2) Jeder hat das Recht auf Leben undkörperliche Unversehrtheit. Die Freiheit derPerson ist unverletzlich. In diese Rechte darfnur auf Grund eines Gesetzes eingegriffenwerden.

Bei Ablehnung von Prämienarbeit drohenden Alg II-Beziehern Sanktionen. Dies stellteinen Verstoß gegen das Verbot vonZwangsarbeit (Art. 12 GG) dar, dann jeden-falls, wenn die Arbeitskraft nicht zu marktge-rechten Bedingungen eingesetzt werdenkann. (1) Alle Deutschen haben das Recht, Be-ruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte freizu wählen. Die Berufsausübung kann durchGesetz oder auf Grund eines Gesetzes ge-regelt werden.(2) Niemand darf zu einer bestimmten Ar-beit gezwungen werden, außer im Rahmeneiner herkömmlichen allgemeinen, für allegleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gericht-lich angeordneten Freiheitsentziehung zu-lässig.

Hartz IV ist nicht armutsfest. Dadurch wirddas Bedarfsdeckungsprinzip verletzt, dasdurch das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1GG ) zwingend zu beachten ist.(1) Die Bundesrepublik Deutschland istein demokratischer und sozialer Bundes-staat.(4) Gegen jeden, der es unternimmt, die-se Ordnung zu beseitigen, haben alle Deut-schen das Recht zum Widerstand, wenn an-dere Abhilfe nicht möglich ist.

Auch Dr. Wolfgang Spellbrink, Richter amBundessozialgericht, sieht Verstöße gegendas Grundgesetz durch Hartz IV. Für ihn istdie allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2Abs. 1 (s.o.) beeinträchtigt, weil den Einzah-lungen in die Sozialversicherungen keineäquivalenten Leistungen entgegenstehen.Prof. Dr. Heinrich Lang, Verfassungsrechtleran der Universität Köln, sieht durch die Strei-chung von Ansprüchen in Versicherungskas-sen, in die wir alle einzahlen müssen, eine

Verletzung des Eigentumsschutzes (Art. 14Abs. 1 GG).(1) Das Eigentum und das Erbrecht wer-den gewährleistet. Inhalt und Schrankenwerden durch die Gesetze bestimmt.

Prof. Dr. Utz Kramer von der FH Düssel-dorf hält das SGB II für teilweise verfassungs-widrig, da es gegen das Sozialstaatsgebot(s.o.) in Zusammenhang mit Art. 1 GG ver-stößt.(1) Die Würde des Menschen ist unantast-bar. Sie zu achten und zu schützen ist Ver-pflichtung aller staatlichen Gewalt.

Gegen die Würde des Menschen ver-stößt nach Kramer z.B. die Tatsache, dass diefehlende Zustimmung eines Alg II-Bezieherszu einer Eingliederungsvereinbarung durcheinen Verwaltungsakt ersetzt werden kann.

Auch zwei Richter des Bundesverfas-sungsgerichtes (Dr. Christine Hohmann-Dennhardt und Dr. Siegfried Bros) teilen die-se verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Autoren des “quer"-Artikels, DorotheeFetzer und Günter Brauner, sehen außer die-sen Bedenken auch Grundgesetzverstößeim Alg II-Antragsformular. Dort werden näm-lich Daten abgefragt, die für die Antragsbear-beitung nicht erforderlich sind (z.B. Konto desVermieters), was gegen das informationelleSelbstbestimmungsrecht nach Art. 2 Abs. 1(s.o.) verstößt. Auch die Erbenhaftung (Erbeneines Hauseigentümers, der Alg II bezogenhat, müssen diese Leistung zurückzahlen) istwahrscheinlich grundgesetzwidrig und ver-letzt den Gleichheitsgrundsatz (Art. 14 Abs. 1- s.o.) in Verbindung mit Art.3 Abs. 1: AlleMenschen sind vor dem Gesetz gleich.Nach "quer" ist auch der Anspruch auf recht-liches Gehör nach Art. 19 Abs. 4 GG (Wird je-mand durch die öffentliche Gewalt in seinenRechten verletzt, so steht ihm der Rechts-weg offen) nicht mehr gewährleistet, da nachSGB II Widerspruch und Anfechtungsklagekeine aufschiebende Wirkung mehr haben.

Vor dem Bundesverfassungsgericht kla-gen können nur Menschen, die direkt undpersönlich in ihren Grundrechten beeinträch-tigt werden. Da das erst nach dem 1. Januar2005 der Fall sein wird, kann auch erst dannVerfassungsbeschwerde erhoben werden.

Wer gegen die Grundgesetzwidrigkeitvorgehen will, sollte keinen Bescheid rechts-gültig werden lassen, sondern gegen alleBescheide Widerspruch einlegen. DieseWidersprüche werden zwar abgelehnt wer-den, da die Widerspruchsbehörden nur dierichtige Anwendung des Gesetzes, nichtaber die Verfassungswidrigkeit des Gesetzesprüfen, so dass auf jeden Fall der Klagewegbeschritten werden muss. Klagen beim Sozi-algericht sind (noch) kostenfrei.

Leider können wir unsere LeserInnen fürdiese Fragen nicht an die ALI verweisen,denn "Arbeitsloseninitiative sieht Beratungbedroht" (WZ, 19.10.) - wir wissen noch nicht,ob es nach dem 1.1.05 noch eine Beratungs-

stelle der ALI geben wird. Im Internet sindallerdings schon Kontakte zu finden, die eineVerfassungsbeschwerde vorbereiten (z.B. un-ter www.flegel-g.de). q

Günstiges BaugeldZins p.a.: 44,,5500 %% bei 100 % Auszahlung

Zinssatzfestschreibung: 1100 JJaahhrreeanfänglich effektiver Jahreszins: 44,,5599 %%

Zins p.a.: 44,,9955 %% bei 100 % Auszahlung

Zinssatzfestschreibung: 1155 JJaahhrreeanfänglich effektiver Jahreszins: 55,,0066 %%

Weitere Konditionen auf Anfrage

Ihr Ansprechpartner:Holger Janßen Tel.: 04421 / 81144

VERSICHERUNGSGRUPPE

GGrrüünnee WWoocchheenn iimm WWeennddllaanndd......

MMiitt MMuutt,, WWiittzz uunndd FFaannttaassiieeggeeggeenn ddeenn aattoommaarreenn

WWaahhnnssiinnnnJJeeddeerr CCaassttoorrttrraannssppoorrtt

zzeemmeennttiieerrtt GGoorrlleebbeenn aallss EEnnddllaaggeerrssttaannddoorrtt......

DDeerr nnääcchhssttee CCaassttoorr ssoollll aamm 88..1111.. ddaass WWeennddllaanndd

eerrrreeiicchheenn.. SSaa 66.. NNoovveemmbbeerr,, aabb 1122 UUhhrr

AAuuffttaakkttddeemmoonnssttrraattiioonniinn DDaannnneennbbeerrgg,, IInnnneennssttaaddtt

IInnffooss uunntteerr:: wwwwww..ccaassttoorr..ddee

Page 11: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 11

OffenbarungDer Erhalt der Südzentrale ist auch wirtschaftlich sinnvoll

(iz) “Südzentrale oder Hafenwirtschaft", argumentieren Politik und Wirtschaft, die dashistorische Marinekraftwerk abreißen wollen. “Südzentrale UND Hafenwirtschaft", hal-ten Architekten und Denkmalschützer dagegen und haben dafür überzeugende Kon-zepte, die sie Anfang Oktober zur Diskussion stellten.

Das Fachkolloquium wie die anschlie-ßende öffentliche Präsentation stießen aufgroßes Interesse. Vergeblich suchte man imgut gefüllten Vortragsraum des Wattenmeer-hauses jedoch jene, die seit Jahren Stim-mung für den Abriss des Industriedenkmalsmachen und dabei, namentlich der Allgemei-ne Wirtschaftsverband, auch polemische Äu-ßerungen gegen die Denkmalschützer nichtscheuen (s. Gegenwind 202). Kein Menzel,keine Vertreterin, kein Verwaltungsmensch.Nur drei Ratsherren interessierten sich fürbauliche und wirtschaftliche Perspektivender Südzentrale: Dr. Michael von Teichman(FDP), Bernhard Rech und August Desenz(beide CDU). Allerdings war keiner von ihnenoffiziell als Vertreter der Stadt entsandt. Rechhätte es begrüßt, wenn ein Vertreter der Bau-verwaltung teilgenommen hätte. Der Wil-helmshavener Marinema-ler Schrader wurde nochdeutlicher: “Die Nichtteil-nahme der Politik an die-ser wertvollen Veranstal-tung ist ein Ausdruck derIgnoranz!" Mit solidari-schen Wünschen über-reichte er Frau Janssenvom “Forum Wilhelmsha-ven: Erhaltet die Südzen-trale" eine von ihm ange-fertigte Farbzeichnung des Industriedenk-mals.

DDiiee SSzzeennaarriieennDie verschiedenen Erhaltungskonzepte

hatten drei Architektengruppen auf Einla-dung des Forums kurz zuvor im Rahmen ei-nes Wochenend-Workshops entwickelt unddabei die verfügbare Fläche zwischen Denk-malserhalt und Hafennutzung unterschied-lich aufgeteilt. Die Planungen wurden mit ei-ner Ausstellung und Modellen anschaulichdokumentiert.

DDaass eerrssttee KKoonnzzeepptt erläuterte der in Wil-helmshaven gebürtige und in Oldenburg an-sässige Architekt Delor:u Schließen zerstörter Dach- und Fenster-

flächenu Verkehrssicherheit herstellenu Öffnung für Besucheru Nutzung als Forum für die Wirtschaftu Kostenrahmen: unter 1 Mio Euro (wie

Abriss)

OOppttiioonnaall:

u den Bontekai als Seepromenade nach Nordosten verlängern

u Außenstandort des Marinemuseums einbinden

u ‘Gnadenbrot’ für ein ausgemustertes Schiff (Präsentation), z. B. die Wilhelms-haven

Delor: “Es würde weh tun, die Halle mitdem beinahe sakralen Maschinenraum zuzerstören."

DDaass zzwweeiittee KKoonnzzeepptt stellte die ebenfallshier geborene und in Braunschweig tätige

Architektin Borowski vor. Es berücksichtigtPlanungen zur Verlagerung der am Nord-westkai angesiedelten Hafenwirtschaft zumJadeWeserPort.u Abriss der Schaltzentrale (“verbasteltes"

Nebengebäude)u “verwunschenen" Charakter erhalten

durch teilweisen Erhalt der umgeben-den Botanik

u neuer Zugang über einen gläsernen Riegel

u hochgelegter Steg ("Nadel") macht Kes-selhaus begehbar

u Containerlager im unteren Geschossteil

OOppttiioonnaall::

u “Piazza Maritima" zwischen Gebäude und Hafen

u Barkassenverkehr zum Marinemuseumals touristische At-traktion

Borowski: “DieSüdzentrale kannnicht von Null aufHundert in ein Juwelverwandelt werden",aber durch die “fried-liche Ko-Existenz" mitder Hafenwirtschafterhalte sie “eineneue Legitimation".

Architekt Tjarks, in Sanderbusch geborenund auch in Braunschweig ansässig, erläu-terte ddaass ddrriittttee KKoonnzzeepptt. Dies basiert nochstärker auf den Chancen, die sich durch eineAuslagerung der Hafentätigkeit RichtungNorden ergeben. u Verlängerung der Rheinstraße und Aus-

weitung der vorhandenen Wohnquartie-re nach Osten bis ans Wasser

u auch gewerbliche Nutzung der in West-Ost-Richtung langgestreckten Bebau-ungsriegel möglich

u im Kesselhaus der Südzentrale flexiblesBoxensytem, ggf. später feste Einbauten

u Turbinenhalle bleibt zumindest teilweisefrei von Einbauten

EEffffeekkttee::

u die Südzentrale rückt von der Randlageins Zentrum des Wohn- / Gewerbege-bietes

u die Südstadt wird sinnfällig mit dem Wasser verbunden.

Martin Thumm, Professor für Denkmal-pflege und Architekturgeschichte an derFachhochschule Hildesheim, moderierte dieanschließende Diskussion.

WWaarruumm DDeennkkmmaallsscchhuuttzz??Thumm erklärte den Begriff einer neuen

“Verortung" der Städte: Was immer erbautoder abgerissen wird, man muss im Augebehalten, welche Bedeutung es für die Wahr-nehmung und die Identität der Stadt von in-nen und von außen besitzt: “Was ist dran andieser ‘Bruchbude'?" Ehemalige Marinean-gehörige erzählten, dass die Südzentrale frü-

her “das Tor zur Stadt" war für jeden, der Wil-helmshaven auf dem Wasser erreichte, ein“Fixpunkt" für Matrosen aus Deutschland undaller Welt.

Für Borowski ist es grundsätzlich das“Drama junger Städte" wie Wilhelmshaven,dass historische Potenziale nicht erkanntwerden. Der Wilhelmshavener HistorikerBeckershaus vermisst einen Stadtentwick-lungsplan, der die Wirkung historischer En-sembles berücksichtigt. Delor warnte davor,die Südzentrale für eine voraussichtlich befri-stete Hafennutzung abzureißen: “Die nächsteGeneration sollte eine Chance erhalten, sichmit dem Gebäude auseinanderzusetzen."Frau Janssen machte deutlich, dass der Kai-ser das Bauwerk absichtlich in zentraler Po-sition neben der KW-Brücke erbauen ließ.Das Baudenkmal im Ensemble mit derBrücke steht nach ihrer Auffassung “fast imRang eines Weltkulturerbes." Auch wirtschaft-liche Erwägungen sprechen für den Erhalt:Schon mit weniger als 1 Mio. Euro Investitio-nen steht ein unbezahlbares nutzbares Bau-volumen zur Verfügung.

PPrraaxxiissbbeeiissppiieelleeThumm berichtete über einen alten Korn-

speicher in Würzburg, der auf städtische Initi-ative hin restauriert wurde und weltweit dasInteresse von Architekten weckte. Ein Bremerhat ein “völlig kaputtes Gebäude" mit Hilfeder Deutschen Stiftung Denkmalschutz sa-niert, die einspringt, wenn unmittelbare Ab-rissgefahr droht. Er riet den Anwesenden, inWilhelmshaven ein Ortskuratorium dieserStiftung zu gründen. In Bremen befindet sichauch der ehemalige U-Boot-Bunker Valentin.Er wurde begehbar hergerichtet, und seit 5Jahren läuft dort ein ausverkauftes Theater-stück (Karl Kraus' “Die letzten Tage derMenschheit").

Die Architektin Iwersen (ehemals MdB)konnte bestätigen, dass die Akzeptanz fürein äußerlich verwahrlostes Baudenkmalsteigt, wenn es öffentlich zugänglich ist. Iwer-sen hat den kleinen Wasserturm an der Gö-kerstraße unter ihr Fittiche genommen. Alssie die Öffentlichkeit zur Besichtigung einlud,kam großes Interesse auf: “Es hätte einenwesentlichen Effekt, wenn die Leute auchmal in die Südzentrale dürften." Mit Bauhelmwäre das auf eigene Gefahr auch vor derTeilsanierung möglich.

OOffffeennbbaarruunnggCDU-Ratsmitglied und Baufachmann

Rech pflichtete Iwersen bei: “Von außen istdie Südzentrale ein ‘Schandfleck', von innenist sie eine Offenbarung." Er glaubt daran,dass man Investoren finden kann: “Lasst unsmutig sein!" Sein Parteikollege August De-

VVoonn aauußßeenn iisstt ddiiee SSüüddzzeennttrraallee

eeiinn ““SScchhaannddfflleecckk""..VVoonn iinnnneenn iisstt ssiiee eeiinnee OOffffeennbbaarruunngg..Bernhard Rech, Ratsmitglied, Bauexperte

WWeeiitteerr nnääcchhssttee SSeeiittee

Page 12: Gegenwind 203 Wilhelmshaven Adieu Soziale Stadt? … · erfahren Sie auf Seite 4. Die Ratssplitter haben einen Sprung nach vorne gemacht. Diesmal finden Sie ... sen ja, wie es dem

Gegenwind 203 Seite 12

senz, der seit Jahren mit der Drehorgel Geldfür unterstützenswerte Projekte sammelt, äu-ßerte Ungeduld: Die einzige Möglichkeit, imRathaus Gehör für den Denkmalschutz zufinden, sei, “mit dem Panzer dort vorzufah-ren." Auch der Wilhelmshavener ArchitektGriesemann glaubt an Investoren. “Die anwe-senden Architekten sind die ersten, die hierkostenlos Arbeit investiert haben" - wie auchProf. Thumm ohne Honorar seinen Beitragzum Erhalt der Südzentrale leistet.

55 vvoorr 1122??Weil Anfang September bereits zwei

Nebengebäude abgerissen wurden, sorgtensich die Diskussionsteilnehmer über dienahe Zukunft der Südzentrale. Es ist schwer,an die Eigentümer heranzukommen. EinJournalist konnte jedoch in Erfahrung brin-gen, dass es vorm Winter keinen Abriss ge-ben wird.

Unterdessen hat das Forum sein Anlie-gen auf der “Nostalga" (Weser-Ems-Halle,Oldenburg) an einem gemeinsamen Info-stand mit der Oldenburgischen Landschaftpräsentiert.

Prof. Thumm wird dem Forum weiterhinzur Seite stehen und auch erneut nach Wil-helmshaven kommen, um ein Gespräch mitder gesamten Hafenwirtschaft zu führen. Erempfahl, den Pfad zur Stiftung Denkmal-schutz weiter zu verfolgen.

Das Forum konnte mittlerweile Gesprä-che mit Politik, Hafenwirtschaft und Eigentü-mern verabreden (die noch nicht stattgefun-den haben). Auch in den Ratsfraktionen sollsich etwas bewegen. Wir berichten in dernächsten Ausgabe über aktuelle Entwicklun-gen zur Zukunft der Südzentrale. q

Ein Katalog zur Ausstellung über die Ergebnisse des Architekten-Workshops

ist in Vorbereitung.Forum WHV: www.suedzentrale.deDeutsche Stiftung Denkmalschutz:

www.denkmalschutz.de

DDiiee VVeerrrrääuummlliicchhuunnggddeess kkoolllleekkttiivveenn GGeeddääcchhttnniisssseessvvoonn PPrrooff.. MMaarrttiinn TThhuummmmIn Anlehnung an Sigmund Freud komme ichgern auf den Begriff der ‘Verräumlichung deskollektiven Gedächtnisses' zurück, den er fürdie Architektur, mit der wir in unseren Städtenund an jedem anderen Ort konfrontiert wer-den, geprägt hat. Es ist - denke ich - derbrauchbarste Begriff, der je für alles Gebaute,für die Summe alles Gebauten, erfundenwurde.Beschädigungen dieser 'Verräumlichung',also Verletzungen dieses kollektiven Ge-dächtnisses und die Folgen, werden immererst dann besonders deutlich, wenn Teiledieses Gedächtnisses verloren gehen, wennKulturdenkmale, der englische Begriff der'Landmarks' wäre viel besser, wenn also die'Markierungen' als die Orientierungs- undLeuchtmarken, als die identitätsstiftenden'Markierungen' der Gesellschaft wie des Ein-zelnen, schlicht unseres Lebens, wenn dieseMarkierungen einfach so verschwinden. Wirmerken die Dimension des Verlustes erst,wenn er eingetreten ist. Wie heißt es doch soschön: Man bemerkt das Glück erst, wennes sich mit großem Getöse verabschiedet.Was hinter dieser 'Verräumlichung des kol-lektiven Gedächtnisses' steckt, ist gewisser-maßen das Modell einer Absicherung derZukunft durch Bevorratung, eine Art 'Lager-haltung' guter und brauchbarer Vorräte aufden Regalen der Gegenwart für morgen. Vondiesen Vorräten leben wir, es ist sozusagendas 'Tafelsilber der Gesellschaft', und von derGeschwindigkeit der heutigen modernenGesellschaft hängt es ab, wie schnell diese'Regale' leergeräumt werden, dieses 'Tafelsil-ber' also - der Begriff drängt sich auf - unbe-dacht und hektisch verramscht wird, insbe-sondere dann, wenn die Zeiten besondershektisch erscheinen, ja hektisch sind.Der Architekt Gustav Peichl schrieb in derAusgabe vom 10. März 2000 in ‘Die Welt' -ich verkürze - "In den meisten Städten vonheute ist eine Phase des Eilens, Hetzens undStolperns angesagt."

Die Filmschauspielerin Glenn Close formu-lierte das mal viel freundlicher und auch vieleindringlicher: “Man darf nicht mehr Glückverbrauchen, als man erzeugt."Die Frage, die sich uns hier heute stellt, ist, obes nun unausweichlich zu einem solchenVerlust kommen muss oder ob er vermeidbarist, insbesondere dann, wenn andere Wegebeschritten werden können. Das gelingt jadurchaus nicht immer. Ich denke, dass wiralle im Augenblick sagen können: Im Falleder Südzentrale haben die Ergebnisse desWorkshops solche Wege aufgezeigt.Nur in der ernsthaften und ausgewogenenPrüfung kann sich zeigen, ob diese Wegetauglich sind, denn natürlich müssen dieInteressen aller gewahrt bleiben, besondersund zuerst die des verantwortlichen Eigentü-mers, aber diese Tauglichkeit oder ebenauch Untauglichkeit kann nur überzeugendnachgewiesen werden, wenn diese Wegeauch beschritten wurden.Es wäre ein glücklicher Umstand, wenn derWorkshop und diese Veranstaltung heute,wenn nicht der Auftakt, so doch mindestensdas Signal dafür sein konnte.Um Missverständnissen vorzubeugen: Manmuss nicht alles erhalten - hier bestehenheute bedauerlicherweise in weiten Teilender Öffentlichkeit durchweg völlig falscheVorstellungen von Denkmalpflege - aberman muss auch nicht alles abräumen.Das Weiterleben, die Weiterentwicklung ei-nes Baudenkmals, die Weiternutzung und -gestaltung vor allem auch als Aufforderungan die Architekten stellt sich hier als Aufga-be, und zwar für alle irgendwie Beteiligten.Und gerade in solchen schwierigen Fällendarf der Denkmaleigentümer auch nicht imRegen stehen gelassen werden. Er mussauch überzeugt werden, dass er die von ihmzu Recht als Risiko empfundene Übernah-me eines Baudenkmals vom Kaliber einerSüdzentrale zum Vorteil wenden kann.Ich will es im Doppelsinn des Wortes auf denPunkt bringen: Die Zukunft sollte nicht zurAufgabe der Südzentrale führen, sie solltezu einer Aufgabe für die Südzentrale wer-den!

Schlusswort zum Fachkolloquium “Südzentrale", 9.10.2004

An- und Verkauf von

Schallplatten und CD’s

HiFi-Komponenten, Literatur + Comics

u.v.m.

Bahnhofstr. 7 * 26382 Wilhelmshaven

Tel.: (04421) 4 21 84

FFoorrttsseettzzuunngg SSüüddzzeennttrraallee

FFrreeiiee HHuummaanniisstteenn,, JJuuggeennddffeeiieerr 22000055

Am 25.11.04 laden die Freien Humanisten Wil-helmshaven jene Eltern und Kinder ins Kreuzel-werk ein, die 2005 an der Jugendfeier teilneh-men wollen.Wie aktuell und notwendig die Auseinanderset-zung zwischen Gottgläubigen und nicht Gläu-bigen noch heute ist, mögen einige Beobacht-ungen deutlich machen.Tagtäglich erleben wir radikal islamisch moti-vierte Selbstmordattentate arabischer Terrori-sten und die christliche Antwort eines GeorgeW. Bush auf diese sich zuspitzende Entwick-lung der letzten Jahre. Trotz 200 Jahren Aufklä-rung glauben im Führungsland des Westens,den USA, immer noch 9 von 10 Personen andie Existenz eines höheren Wesens, und 7 von10 an ein Leben nach dem Tod ( aus “Aufstandder Vernunft ", S.31 ).Pures Mittelalter tritt uns entgegen, wenn wir hö-ren, dass praktisch jede wichtige Entscheidungdes früheren US-Präsidenten Reagan mit einerWahrsagerin aus San Francisco abgesprochenwurde, “die Horoskope erstellte, um sicher zu

gehen, dass sich die Planeten in einer günsti-gen Anordnung für das jeweilige Vorhaben be-fanden." (aus “Aufstand der Vernunft", S.31)Im Mai 2004 hat Bischof Huber, der Ratsvorsit-zende der evangelischen Kirche Deutschlands(EKD), geäußert, die Neutralität des Staates seiverletzt, wenn Regierungsmitglieder an den Ju-gendfeiern der Freien Humanisten teilnähmen.Wir sehen also, die Auseinandersetzung umsolche Fragen macht immer noch Sinn. In derVorbereitungszeit auf die Jugendfeier werdendarüber hinaus auch folgende Themen erörtert:Liebe, Sexualität, Religionen der Welt, Drogen,Krieg und Frieden, Werte und Normen, Demo-kratie und Toleranz sind weitere Schwerpunkteunserer wöchentlichen Abende; hierzu gewin-nen wir fachkundige Referenten, die in der Re-gel keine freien Humanisten sind. Im Juni findetdann eine Abschlussfeier statt, mit der die Ju-gendlichen ins Erwachsenenleben entlassenwerden. Wir hoffen dann jedes Jahr, das wir ih-nen ein wenig geistiges Rüstzeug mitgebenkonnten.

FFrreeiiee HHuummaanniisstteenn WWiillhheellmmsshhaavveenn