Geheime Aufzeichnungen Napoleons. (Eine Art Vorabdruck - Online)

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Transcript of Geheime Aufzeichnungen Napoleons. (Eine Art Vorabdruck - Online)

  • I

    Geheime Aufzeichnungen Napoleons

    Krzlich in einem trockenen Erdloch Auf Korsika aufgefunden

    Wer sie dorthin verbracht hat Das wei man noch nicht

    Aus einem bisher unbekannten korsischen Dialekt bersetzt von P.P.

    1. Abteilung: Eintrge 1 - 1331

    1 Die Nummerierung folgt der des aufgefundenen Manuskripts.

  • II

    Merke wohlauf Geschichtsschreiber, nimm deinen Verstand zusammen! Du hast eine schwere Arbeit, wenn du es bernimmst, den grossen Adler zu schildern, welcher langsam und lange fliegt, in der Torheit weise, in der Gleichgltigkeit sorgsam, in Trgheit wild, in Trauer vergngt, im Kleinmut starkmtig, den mit angebrannten Flgeln sich aufschwingenden und im Unglck glcklichen.

    Aus der Chronik des Mathias von Neuenburg

    Remember what you are, and what you reprehend

    Zwei Druckfehler in einem Wort, als treue Diener der Wahrheit

    Da ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist.

    Hlderlin

  • III

    1 Eccu! Das Leben ist eine Leseprobe. 2 Die Welt hat ihre Eigengesetzlichkeit. Es ist unmglich, in ihr echte Spuren zu hinterlassen. Wenn du eine Idee umsetzt, wie es heit, ist sie schon eine anders; nicht mehr deine. Man denke nur an die Idee der Weltherrschaft. Sagt der Deutsche Schiller doch: Spricht die Seele, so spricht, ach, die Seele nicht mehr. 3 Selbstverwirklichung ist immer Selbstverrat. 4 Ein Gefhl zu uern, bedeutet immer, ein Gefhl zu entuern, es sich zu entfremden; wobei offen bleiben muss, was mit jenem sich gemeint ist, gemeint sein kann. 5 Parteizugehrigkeit erspart Expertise. Wer Amtsmacht hat, braucht nicht und nichts zu wissen. 6 Ich bin so voller Abscheu und Widerwillen den Menschen gegenber, dass ich mich fast schme. Sie haben mich verdient. 7 Das Faszinierende an dem Marquis de Sade ist seine Inkonsequenz. Was leben will, muss inkonsequent sein. Schrecklich sagen zu mssen, dass Kon-sequenz Tod bedeutet. Das spricht gegen die Idee, dass ein Gott die Welt geschaffen hat.

  • IV

    8 Ich verstehe den Philosophen Fichte nicht. Er sollte mir doch dankbar sein. Dieser Gedanke ist mir gekommen wie ein Liedchen; das man dann so vor sich hin pfeift. Die Marseillaise, zum Beispiel. 9 Ich traue mir nicht; und bespitzele mich bei Tag und Nacht. 10 Strategie ist der Versuch, das Licht zu knebeln. Ihre Erfolge verdanken sich der Schwche des Lichts. Das begreifen meine Bewunderer nicht. Sie sollten meine Maximen nicht lesen. 11 Die Menschen haben Gott mit einem Auge versehen, weil sie wissen, dass sie nicht unbeobachtet gelassen werden drfen. 12 Ob wenigstens meine spteren bersetzer mich verstehen werden? 13 Manchmal rettet einen nur der Todstell-Reflex; unter der Bedingung, dass er gelingt. 14 Kann man sagen, die Angemessenheit des Lebens ist es, das Dasein verges-sen zu machen? So wie angepasste Brillen und Schuhe nicht mehr dr-cken? 15 Freiheit ist mglich, wo wir entgleisen. Das soll natrlich heien: Freiheit ist unmglich. Weil wir den Moment des Entgleisens immer verpassen.

  • V

    16 Besteht die Hauptaufgabe der Philosophie nicht darin, sich vieles wegzu-denken? Anders gesagt: Ist das eigentliche Surplus nicht das Wegdenken? 17 Mein seltsames Verhalten sagt: Es wre schn, wenn das Leben sich bei mir vorstellte und sich zu erkennen gbe. 18 Immer gibt es zwei Mglichkeiten, eine stumpfe und eine spitze. Die stum-pfe versagt. Die spitze verfehlt. Aber beide stehen offen. 19 Jeder Sieg ber die eigene Seele ist zuletzt ein Sieg fr die anderen. Das ist kein erfreulicher Gedanke; aber man muss ihn akzeptieren. 20 Der schlimme Augenblick, in dem man merkt, wie dumpf man in die Welt schaut. 21 Mein Verhalten bei meiner Kaiserkrnung war als Parodie gedacht. Keiner hat es mir geglaubt. 22 Im Grunde habe ich in meinem Leben nur Parodien parodiert. Dass ich ih-nen dabei ein neues Gesicht gegeben habe, so en passant, hat mich selbst berrascht. Den Effekt habe ich gleichsam eingestrichen. 23 Ich wollte mein Leben fhren, als wrde ich es nacherzhlen. Von einem gewissen Zeitpunkt an, hat mein Gedchtnis versagt; und ich begann zu im-provisieren. Das hat mich, ich gebe es zu, und die Geschichte beweist es, berfordert.

  • VI

    24 Was ich hier niederschreibe, gilt universell. Ich tue nur so, als wrde ich von mir, als einem guten Teil, sprechen. 25 Ich wollte mich im Fluss der Geschichte verankern. Aber wie sollte das ge-hen? Der Fluss der Geschichte ist ein Lavastrom. 26 Ich kenn nur ein bisschen Dante. Aber den Teil der Hlle, die Vorhlle, wo die moralisch Faden im Kreis rasen, den kenne ich gut. 27 Ich frage mich, ob ich gescheitert bin, weil ich der Welt eine Vitalitt brin-gen wollte, die sie brauchte, aber nicht verkraften konnte. Sie htte mich zu einem Messias machen knnen. 28 Jede Seele, hre ich, ist ein hortus conclusus; also auch meine. Ich wollte ihre Mauern, ihre Grenzen zu weit ausdehnen. 29 Du musst erkennen, dass du immer deinem Verschwinden zuschaust, selbst wenn du eine Welt eroberst. 30 Und wenn du keine Welt eroberst, bist du schon verschwunden. 31 Mein Gesprch mit Goethe: Der Heuchler. Er hat nicht verstanden, was ich ihm ber sich sagen wollte. Er wird aus unserem Gesprch ein Geheim-nis machen. Den Wieland htte ich herzen knnen

  • VII

    32 Die Evidenz zu fragen, das macht keinen Sinn. Sie lgt dich an, als wrst du sie selbst. 33 Ovid hatte es gut; nomenque erit indelelibe nostrum. Er brauchte nur zu schreiben., um seinen besseren unzerstrbaren Teil in die Welt zu setzen; durch den er noch immer lebt, parte tamen meliore mei. Ein verbannter Dichter braucht nur zu sagen: vivam: Das ist eben der Unterschied von gut und besser... 34 Andererseits verrate ja auch ich nicht, warum mir die Zahl 17 zuwider ist. 35 Auch mein totes Haar wird mich nicht verraten. Sie werden sich tuschen, und sie werden sich freuen. Das tut mir, ehrlich, leid.

    36 Ich kann es mir nur so denken: Die Parzen haben mir die Hybris zum All-tagsgeschft bestimmt. Sie kennen kein Pardon.

  • VIII

    37 Solange man die Masturbation eine funeste pratique nennt, unterscheidet sie sich nicht vom Leben. 38 Ich wei es nicht, wer meine Eroberungen gemacht hat; ich wei auch nicht, wer da gescheitert sein soll. Wahr ist immer nur der Raum, Leipzig. Saint Cloud. Waterloo. Portoferraio. Vielleicht Ajaccio. Natrlich Malmaison, - wenn man darunter nicht die ganze Welt versteht. 39 Warum frage ich mich stndig, ob ich verstanden werde? Eine Berufung ruft immer an dem Berufenen vorbei. 40 Vielmehr wusste ich, dass ich es tun musste. Etwas rief, von hinter den Din-gen her; es rief mich, aber es meinte mich nicht. Und genau das war mir gleichgltig. So bin ich mir ein unerreichbares Ziel geblieben. 41 Ich dachte immer, der Rand der Dinge kann mich nicht fassen; und fhlte mich im Recht, wenn ich ihn durchbrach. 42 Vielleicht beschenkt die Geburt uns darum mit einem Leib, dass das Leben etwas hat, das es zu einer Wunde verarbeiten kann. Das ist kein Zitat. Das frage ich mich wirklich. 43 Gekreuzigt und gebeizt. Wenn die Seele das Paradies berstehen will, muss die imprgniert sein; und dazu verhilft ihr das Leben. 44 Elles sont libres, les penses. Das hielt ich immer fr ein hbsches Lied.

  • IX

    45 Bedingungen, oder soll ich sagen Kontexte, knnen sein wie Frischluft oder wie Stickstoff. Und das Neue ist immer die Langeweile in bekannt anderer Form. Der Tausch ist die modifizierte, verstellte Stimme der Monotonie. 46 So gut ich ihn verstehen kann, ein Don Juan zu sein bedeutet, immer das selbe Geschlecht zu beflecken; und ein Robespierre spuckt immer in das selbe Gesicht, obgleich er honette Zge hatte. 47 Ich finde es amsant und bedeutsam, dass man Orte, wo ich war, vor allem daran erkannt, dass etwas fehlt. Ein Theatervorhang. Ein Bild. Ein Stein. Eine Quadriga. 48 Im Traum habe ich wieder mit Ludwig XIV und Friedrich II gefrhstckt. Sie lachten mich aus. Ich htte noch viel mehr bauen sollen. Vor allem Gr-ten. Wir passten eben doch nicht zusammen. 49 Immer wieder kommt es mir so vor, als wrde eine fremde Stimme mich daran erinnern, was ich bei meiner Scheidung von der Kaiserin gesagt habe: Das Schicksal bemeistert meinen Willen. Wie kann es sein, dass einer, der so stark ist wie ich, so schwach ist. - Die Worte tun immer so, als herrschten sie berall. Dabei sind ihre Domnen sozusagen wohl definiert. 50 Es ist die hervorragendste Tugend der Maske, nicht durchsichtig zu sein. - Das sagt viel ber den Sinn von Tugend. 51 Sich den eigenen Rcken strken. - Wenn man das tut, kann man sich nicht sehen.

  • X

    52 Gottlosigkeit ist die perfideste Art des Luxus. 53 Seit ein deutscher philosophe mich Weltseele genannt hat, kann ich mich ohne Pferd nicht mehr denken.

    54 Die Zeit ist re vera nichts anderes als der bodenlose Raum. 55 Bewusstsein altert nicht. Weil es keinen sensus fr die Zeit hat. Auch wenn es sie braucht. Es nimmt sie nicht an. - Sie gleitet von ihm ab. 56 Formen des Lebens: Flstern, Schreien, Hsteln, Brllen, Krchzen, He-cheln... - Welche Form hat denn nun dein Leben? 57 Delicatus ille est adhuc, cui patria dulcis est; fortis autem iam, cui omne solum patria est; perfectus vero, cui mundus totus exilium est. Es gibt noch eine, bessere, Alternative.

  • XI

    58 Topomtrie. Wo ist denn mein Cassiciacum? - An welchem Ort knnte ich meine Geschichte verstehen? - Jedenfalls msste es ein Ort sein, der mich zunchst dazu berredet, sie verstehen zu wollen. 59 Prendre des dsirs pour ses ralits; teuflisch sanft, engelhaft schamlos. 60 Nachtrglich, also jetzt, wei ich, dass die Folgen meines Handelns en effet immer meinen Entscheidungen vorausgegangen sind; so wie man sagt aller au-devant des dsirs de... Sie haben mich benutzt, vielleicht sogar gebraucht. Jedenfalls sind unsere blichen und bequemen Vorstellungen von Kausali-tt falsch. 61 Anthropomtrie. Wo es kein Gespr gibt, finden sich auch keine Spuren. Wo sich keine Spuren finden, knnen sie nichts verraten. - Das hat Konsequen-zen, wenn man bedenkt, dass alle Erzhler Spurenleser sind. 62 Dann wre der treffendere Namen fr erzhlen Spuren sichern. Auch das htte Konsequenzen. Es wrde verdeutlichen, was fr ein heikles und ge-fhrliches Geschft das Erzhlen ist. - Als wrde man den Honig der Wahr-heit von der rasierklingenscharfen Schneide der Lge lecken. 63 Verbum excludens. Am Anfang steht das Wort, in das man sich zu bersetzen versucht, in das man sich auszusprechen versucht. Aber: Wer spricht, der schliet aus. Wovon schiee ich mich aus, wenn ich mich ausspreche? Kann ich nur sein auf Kosten der Welt? Und wenn es umgekehrt wre? Das Prekre der Situation wird noch dadurch gesteigert, dass ich mich, whrend ich mich zu bersetzen versuchte, fr unbersetzbar hielt. 64 Wirklich kreativ (ich habe da hohe Ansprche) kann man nur aus Hass sein.

  • XII

    65 Warum bete ich nicht? Das Opfer ist mir zu gro. Zum Gebet findet man nur ber den Umweg der Demut. Ich liebe keine Umwege. 66 Was gefllt mir in Versailles und auch in Fontainebleau am besten? Die Fen-stergriffe. Ihre Schlichtheit, ihre Plumpheit, ihre verfhrerische mechani-sche Fadheit. Sie kommen mir vor wie magische Inseln der Dissonanz.

    Auch die Fensterbnke im Audienzsaal; betrend unpassend. Widerborstige Korsiken. Wie ich selbst.

  • XIII

    Es gefllt mir, das auch da architektonische System dieser Schlsser, als Ga-ranten ihrer Vollkommenheit, auf Fremdkrper nicht verzichten kann. Es muss sie zulassen. - Unverzichtbare Teufel des Details. Das kleine Gegen-strebige, welches das Ganze hlt. - Hier haben wir das eigentliche Geheim-nis der Statik. - Auch eines Staates. 67 Die Welt ist eine Anamorphose; der Mensch der gekrmmte Spiegel, der ihr eine - wenn auch nur ihm selbst - erkennbare Form verleiht.

    68 Oft, vielleicht immer, ist die Vorstellung davon agreabler als die Sache selbst. - Blut. Liebe. Glck. Erfolg. Auch Gott. 69 Ein typischer Emporkmmling. Was ist so typisch an meinem Emporkom-men? Meine Hut? Mein Gang?

  • XIV

    70 Was fr ein Roman ist mein Leben. Das sage ich, weil ich gleichsam mit der Feder in der Hand gelebt habe. Nur das Prisma des Worts hat mir die Welt und mich selbst sichtbar gemacht. Ich musste es mir mit Worten verdeut-lichen. Auch die ganze Geschichte der Welt knnen wir uns nur als Roman vorstellen.

    71 Warum bestehe ich darauf, dass man alles, was man im Leben tun muss, mit Erwgung tut? Doch nur darum, um einen Schein von Freiheit zu bewah-ren. Matre des lieux: ein Meister der Orte kannst du nur sein, wenn sich die Orte in dir kristallisieren; du beherrschst nur die Orte, die du bist, auf die eine oder die andere Weise. Und genau darin liegt der Sinn der Erwgung. 72 commercium. Es wird einmal einer die Zahl der Toten meiner Feldzge mit meiner Lebenszeit verrechnen, mit der Zahl ihrer Minuten, ihrer Stunden. Diese unsinnige Mhe sollte er sich ersparen. Denn meine Zeit und meine Feldzge, die gehren mir nicht. Das wei ich nicht erst seit ich krank bin und um jede Minute mit dem Schicksal feilsche. Ja, es ist ein Handel, ein Ge-schft. 73 commers. Mit dem Teufel kann man, kann selbst Gott nur geschftlich umge-hen und verfahren. - Und ist Strategie denn nicht eine Art Geschft? Ich war ein guter Geschftsmann. Bis ich zu kalkulieren aufhrte. Und zu wet-ten begann. Da hat der Teufel gelacht.

  • XV

    74 Um die Zeit meiner Geburt wurde Korsika Frankreich einverleibt. Was fr eine kstliche Volte der Weltgeschichte! Louis XV und seine Paladine wussten nicht, was sie taten. Bedeutet meine Existenz nun, dass Gott ihnen verziehen hat oder eben gerade nicht? Diese Rtselfrage erheitert mich. Sie erfreut mein Herz. Weil sie zu denen gehrt, auf die es keine Antwort gibt. 75 Malmaison. Wie verrgert ich ber Josphine war! Und doch wurde Mal-maison der schnste und beste und vielleicht wahrste Ort fr Bonaparte. - Vielleicht macht mich deshalb meine Erinnerung - gleichsam im Gegenzug so still und vershnlich. - Josphine hat das Haus mit Geld gekauft, das ich nicht besa. Sie hat es entweiht, ehe ich es mit ihr geweiht habe. - Ich habe ihr das Haus geschenkt, als ich nicht mehr mit ihr sein konnte. - Ich bin in das Haus zurckgekehrt, als sie nicht mehr war. Malmaison. - Seltsam, dass ich hier auch meine ersten Gesetze ersann; oder erfand. Warum ver-schweige ich die Zeit, in der es unser gemeinsamer Ort war; der Ort unserer einsamen Zweisamkeit? Weil ich nicht zugeben kann, dass geteilte Ein-samkeit eine notwendige Voraussetzung fr das ist, was wir Glck nennen? Wenn sie auch nicht ausreicht. - Auch seine notwendigen Bedingungen kn-nen das Glck, selbst im Sinne eines fast nichtigen Aufflackerns, nicht ga-rantieren. Was seine Bedingungen hingegen immer garantieren, das ist das Ende des Glcks; zumindest gilt das fr die Menschen. Aber gibt es so etwas wie das Glck der Welt, das Glck des Universums, das Glck der Zeit? Das Glck des Stillstands?

  • XVI

    76 Vielleicht ist sogar genau das meine Tragdie, dass ich ein so guter Hndler und Stratege, ein strategischer Wucherer war. Man denke sich einen Schachspieler, der keine falschen Zge machen kann: Ein Blick ins Herz der Langeweile. Meine Perfektion fand darin ihrer Grenze, dass die Welt eben kein Schachbrett ist. Da gibt es auch Wolken, Schnee, und Schlamm, und Menschen. 77 Mein Gesprch mit Metternich. Dafr schme ich mich heute. Aus verschie-denen Grnden. Es war dumm, ihm zu sagen, dass er mich nicht verstehen kann. Es war dumm, ihm den Grund zu nennen, warum ich nicht mit ihm htte sprechen drfen. Wenigstens habe ich meinen Hut selbst wieder auf-gehoben. Das war richtig. Und wurde deshalb falsch gedeutet. Vor allem aber war es umsonst. Ich konnte damit die Zeit nicht einmal um eine Minute zurckdrehen. Aber Metternich konnte ber mich triumphieren, indem er nichts tat, als mich zu zitieren; einen Faden aus dem Gobelin meiner Exi-stenz zog, den er der Welt zeigte, um mich blozustellen. Fr einen kur-zen Augenblick lang war ich der, fr den man mich hlt. Diesen Augenblick werde ich mir nie verzeihen. Gott schenke der Scham, die ich darber em-pfinde, eine lange Dauer.

  • XVII

    78 Nein, ich bin nicht eitel, ich mchte nur, dass man meine Dimension respek-tiert. Auch Friedrich der Groe war klein. Aber ein Riese ganz eigener Art. Sollte es mir leid tut, dass er zu frh gelebt hat fr mich? Dass wir uns ge-genseitig nicht steigern konnten? - Das Schicksal arbeitet auch mit unzeiti-gen Geburten.

    79 Das kann, prima vista, niemand glauben. Mir fllt es selbst schwer; aber in meiner Jugend hat mir einmal ein Freund gesagt: Wenn ich mit dir zusam-men bin, kommt es mir so vor, als wrdest du dich dafr entschuldigen, dass du da bist. Nota bene: Das ist eine zweideutige Aussage. Vielleicht hat dieser Freund damals schon mein ganzes Leben erklrt. Wer eine Welt ero-bern mchte, darf und kann nicht selbst Teil dieser Welt sein. Es muss so scheinen, als wre er aus Versehen oder Frechheit da. Diesen Schein muss er wahren. Und das kann er nur, indem er so tut, als wrde er sich fr seine Prsenz, seine Erkennbarkeit entschuldigen. 80 Mein Leben, also alles was ich getan habe, war eine kollektive Tat; dass es als kollektives Verbrechen erscheint, ist nur eine Frage des Datums. Das Verbrecherische daran, das ich ja nicht leugne, wird die Welt vergessen. Hin und her.

  • XVIII

    81 Heute wrde ich Jesus nicht mehr den grten Republikaner nennen. 82 Einmal begegnete ich, nachts, einer stummen Katze. Auf ihren Blick konnte ich nur mit einer hilflosen Geste meiner Hnde antworten. 83 Es ist falsch, von Gedankensprngen zu reden; handelt es sich doch um Sprunggedanken, um Sprungfedergedanken, um Gedanken wie Frsche. 84 exempla. Beispiele werden erst zu Beispielen, wenn man ihnen folgt. Aber welchem Beispiel htte ich folgen sollen! In gewisser Weise bin ich das ein-zige Beispiel meiner selbst. Und werde es wohl bleiben mssen. 85 cosa rara. Die Sache ist einfach: Glck ist, wenn die Welt dich dafr belohnt, dass du denkst und planst und tust, was sie von dir erwartet. Die Geschichte ist ein Potpourri solcher Raritten. 86 Dviation, declinatio. Wirklich sind nur die Abweichungen. Das Modell ist die Idee eines Destillats aus allen Abweichungen, die einmal geschehen sein werden. - Die Geschichte ist eine Kette von Deklinationen; aber welchen Wortes, das wissen wir nicht. 87 Die Zeit; die Mtresse des Universums. Nicht zu zgeln.

  • XIX

    88 Nein, Boney war ich nie. Von den Briten so genannt zu werden, Nelson war auch kurz, hat mich gekrnkt. Aber muss man jemanden ernst nehmen, der einen dermaen missversteht resp. nicht versteht? Immerhin trstlich, dass sich die Englnder so bemht haben, so bemhen mussten, aus mir eine Karikatur zu machen. Gelungen ist es nicht. Fr den Beweis danke ich Be-tsy.

    Wie dankbar, ja glcklich war ich, als die kleine Nachbarin, Betsy, mich Bo-ney genannt hat. Sie htte gar nicht vertrauter, nher sein knnen. Merci, Britannia!

    - Wie oft verbot es mir die Hflichkeit, meinen Konversationspartnern zu sagen: Mit Unwissenheit sollte man nicht kokettieren. Mit Dummheit kann man nicht kokettieren.

  • XX

    89 Warum ich in der ffentlichkeit nie meine Brille getragen habe, das wei ich nicht. Vielleicht weil eine Brille ein so privates Ding ist; und meine Seele habe ich ja auch nie gezeigt. 90 Das Bad ersetzt mir jetzt die Welt. Erinnere ich mich richtig, dass Au-gustinus nach dem Tod seiner Mutter vor allem ein Bad genommen hat? 91 Was frher Chambertin hie, heit jetzt Constantia; und seine Blutfarbe wurde golden. Trotzdem bin ich noch immer besessen von der Gewohnheit. Anders als Josphine. Wenn ich Wein trinke, habe ich das Gefhl, dass er mich konserviert; mich und meine Seele. 92 Mein Hass. Dem Zufall ins Gesicht schlagen zu knnen, das wre es! 93 Handlungen sind bewegliche Masken der Gedanken. Dennoch knnen sich die Gedanken in den Handlungen, die ihnen entspringen, sozusagen, oft nicht wiedererkennen. 94 Jede Handlung ist eine Fremdverwirklichung; im einen und im anderen Sinn. 95 Ich hatte schon als Kind, auf der Insel, das Gefhl, dass die Welt in mir ist. Alles, was ich tat, war der Versuch, sie nach auen zu versetzen.

  • XXI

    96 Bei jeder Entscheidung hat es mich rasend gemacht, zu wenig zu wissen. Genau deshalb habe ich mich mit der Strategie begngt. Und mit der Art-illerie. Man wei nie, was geschieht. Aber man kann seine Kanonen so positionieren, dass der Zufall in die Falle geht; wenn er es will. 97 Und dennoch bleibt der Feind eines jeder Strategen das Leben. 98 Wir knnen uns nur an hnlichkeiten orientieren. Unter der Voraussetzung freilich, dass wir sie erkennen. Dazu mssen wir die Augen wenigstens halb schlieen. 99 Von einer Insel der Unwahrscheinlichkeit aus versuchen wir die Zukunft zu manipulieren. 100 Unser Sprungbrett ist der Defekt, der das Bse, die Flle des Glcks hervor-bringt. Der Feldherr, der seine Leichen zhlen lsst. Und mit seinem Pokal voller Blut der Sonne zuprostet. - Sang. Sant. 101 Trotzdem musste auch ich immer wieder dasselbe tun. Gerade ich. 102 Kairos ist ein Bsewicht. Der lchelnde Junge an jeder nchsten Straen-ecke. An jedem nchsten Schlachtfeld. Er stand auch in Waterloo. 103 Wir simulieren das Leben, ohne sein Modell zu kennen. Vielleicht ist das der Grund dafr, dass Feldherren so hinreiend erscheinen .

  • XXII

    104 Vermgen, fortune, Liegenschaften, bien-fonds. Seltsame Wrter. 105 Ich denke, also wre ich gerne. 106 Ich hre den Verrckten gerne zu, wenn sie singen. Wer wird je die Grenze zwischen singen und wehklagen ziehen knnen? 107 Ich habe das Warten immer gehasst, auch als es noch ein Ziel hatte. Jetzt ist es nur ein Zustand. Ohne Ziel. Ohne Richtung. Ohne Sinn. Es wirkt nur noch auf das Vergangene; es zehrt es auf. 108 Die Welt, ich meine das Ganze, kann man nur noch an den Menschen vorbei interpretieren. Sie reprsentieren nicht den Sinn, den ein Gott in die Schpfung gelegt haben kann. 109 So hat ein Gott die Menschen nicht gemeint. Er hat erwartet oder gehofft aber kann ein Gott hoffen? -, dass die Menschen die Freiheit, die er ihnen gelassen hat, nicht nur zum Schutz der jeweils eigenen Freiheit missbrau-chen also verachten. 110 Und wer spricht von den zahllosen Momenten zwingender Prsenz? Oder tusche ich mich? 111 O, ich lasse mich tragen; von jedem Luftzug. Von den zitternden Gesichts-zgen, von jedem air de tristesse.

  • XXIII

    112 Achte immer darauf, Auenseiter zu sein. Im Unglck, aber vor allem im Glck. 113 Ein amsanter Gedanke, dass es bei mir mit der Mathematik begonnen hat. 114 Mit fnfzehn Jahren war ich wirklicher pater familias; erfolglos. 115 Leerer htten meine Hnde in Frankreich nicht sein knnen. Louis XVI hat sie mit seiner Flucht gleichsam gefllt. 116 Gerade den Wahnsinn muss man kalkulieren. 117 Wie ich in Antibes gebettelt habe. Ohib! 118 Meinen frhen Erfolge auch bei Josphine - verdanke ich nur der Tat-sache, dass ich aussah wie ein melancholischer Ruberhauptmann la mode. 119 Was Frankreich gerettet hat, ist, dass ich mich ihm geopfert habe; als Ersatz. Fr eine zweite Revolution. 120 1805. Auch Karl den Groen habe ich parodiert. - Den vielleicht sogar am erfolgreichsten.

  • XXIV

    121 Das leere und brennende Moskau hatte auch eine strenge und kluge Schn-heit. Es war irgendwie nach meinem Sinn. Es kam mir vor, wie eine vollendete Welt. Wenn auch am falschen Ort. Aber es fiel mir schwer - zu gehen. 122 Die Fahrt zurck nach Paris hatte nur insofern etwas von einee Flucht als es mir so vorkam, dass sich nichts bewegt. - Ich war ein Punkt Zeitlosigkeit, eine porse Statue. Eine Reliquie, die bewegungslos aber unendlich strzte. 123 Eines kann man nicht leugnen; - dass ich viel zur Entwicklung und Perfek-tion der Kryptographie beigetragen habe. Mein ganzes Leben ist eine Ge-heimschrift; auch fr mich selber. Gleichsam ein anderer Code Napolon, ein code secret. berhaupt muss der vollkommene Herrscher seinem Wesen und seiner Berufung nach ein Sekretr sein. Er muss von und ber sich alles wissen, aber so, als wsste er es von einem anderen und ber einen an-deren. 124 Zugleich war ich einfach nur pragmatisch, wo andere Ideen oder gar Visi-onen wittern wollen. - Und pragmatisch kann nur der sein, der seinen In-stinkt zu seinem Gewissen mach. 125 Krieg ist auch vergleichbar mit der Gartenkunst. Der Krieg arbeitet an der Geschichte wie ein Grtner an der Landschaft. Kriegsfhrung und Garten-kunst sind sich auch darin hnlich, dass sie den Gegebenheiten des Gelndes, der Natur der rtlichkeit, Tribut zollen mssen. Sonst ist das Ergebnis ein Desaster oder unschn. brigens ist ein Garten nie fertig; geschweige denn vollendet. Auch dem Wildwuchs ist nie beizukommen. 126 Trume lassen sich nur mit System verwirklichen. Was selten gelingt.

  • XXV

    127 Ich habe in meinem Leben viele kennengelernt, die eine intensive Bezie-hung zur Macht hatten; von all denen errangen nur diejenigen Erfolge, die schwach waren. - Ihre Schwche war der Vollzugsgehilfe ihres Glcks. Aus gypten musste ich fliehen, um mit Macht belohnt zu werden. Ich habe mich der Notwendigkeit gebeugt. 128 Manchmal erweist sich Hilflosigkeit als Strategie. Es ist leicht zu sagen, das habe ich gewollt, das habe ich geplant; nachdem das Geschehen, zumeist das Schicksal, es so gefgt hat. - Dass die Hilflosigkeit, die dtresse, hier der eigentliche Agent war, das wollen die Zuschauer nicht sehen. 129 Meine Liebe zum Gesetz und mein unverbrchliches Misstrauen den Men-schen gegenber sind dasselbe. - Vielleicht habe ich das aus der Tragdie der Schpfung, aus ihrer dbcle, gelernt.

  • XXVI

    130 Kann man denn jemanden einen Schauspieler nennen, dessen Bhne die Welt ist? 131 Worte, die mit dem Finger auf meine Seele zeigen: Stille Augen, Ehrgeiz, Ar-mut, perfume; zum Beispiel. 132 Fast immer (diese Einschrnkung teile ich freilich nicht), sagt Goethe, der liebenswerte Heuchler, ist die Erfahrung eine Parodie auf die Idee. Um diesen Satz beneide ich ihn. 133 Es fiel mir immer leicht, anderen viel zuzumuten, deshalb stelle ich mir mei-nen Eintritt ins Paradies so vor: Ich komme an der Paradiesespforte an, fin-de sie offen, gehe hinein, folge einem breitschultrigen Mann mit einem stein-bleichem Nacken, eine Weile, bis er pltzlich stehen bleibt, sich um-dreht, mir erstaunt und verrgert in die Augen schaut und sagt: Porco dio! Habe ich heute vergessen abzuschlieen?

  • XXVII