Gehirngerechtes Lehren und Lernen

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Gehirngerechtes Lehren und Lernen 09.12.2012 Henry González Peña Neuhaußstraße 3 60322 Frankfurt „Kontaktstudium Fremdsprachen für Erwachsene- Sprachandragogik“

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Gehirngerechtes Lehren und Lernen

09.12.2012

Henry González Peña

Neuhaußstraße 3

60322 Frankfurt

„Kontaktstudium Fremdsprachen für Erwachsene-

Sprachandragogik“

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Gender-Erklärung

Zugunsten der einfacheren Lesbarkeit wird sowohl für die männliche wie die

weibliche Form die männliche Form verwendet.

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Gliederung

Einleitung 1

1. Das menschliche Gehirn 3

1.1 Anatomie 4

1.1.1 Hirnstamm 4

1.1.2 Kleinhirn 5

1.1.3 Zwischenhirn 5

1.1.4 Endhirn einschließlich Großhirnrinde 5

1.2 Die Funktionen des Gehirns 9

1.2.1 Dorsaler Thalamus 9

1.2.2 Amygdala 10

1.2.3 Hippocampus 10

2. Wie werden Informationen im Gehirn verarbeitet? 12

2.1 Neuronen und Synapsen 12

2.2. Die neurobiologische Arbeitsweise von Neuronen und Synapsen 13

2.2.1 Neurotransmitter 15

2.2.2 Neuroplastizität und Langzeitpotenzierung 16

2.2.3 Wie wird eine Information verarbeitet? 18

2.2.4 Vergessen einer Information 19

3. Das menschliche Gedächtnis 20

3.1 Das Zeitmodell 21

3.1.1 Das Ultrakurzzeitgedächtnis (UZG) 21

3.1.2 Das Kurzzeitgedächtnis (KZG) 21

3.1.3 Das Langzeitgedächtnis (LZG) 22

3.2 Das inhaltsabhängige Beschreibungsmodell 23

3.2.1 Das deklarative Gedächtnis 23

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3.2.2 Das prozedurale Gedächtnis 24

3.2.3 Das emotionale Gedächtnis 26

4. Lernen 27

4.1. Faktoren die das Lernen beeinflussen 28

4.1.1 Aufmerksamkeit 28

4.1.2 Motivation 29

4.1.2.1 Dopamin 32

4.1.3 Emotionen 33

4.1.3.1 Angst 35

4.1.3.2 Stress 36

4.2 Lerntypen 38

4.2.1 Lerntypen nach bevorzugten Wahrnehmungssinn 38

4.2.2 Lerntypen nach Lernstil 40

4.3 Lernen im Alter 42

5. Beispiele für gehirngerechtes Lehren und Lernen 46

5.1 Wiederholungen 46

5.2 Verknüpftes Lernen .47

5.3 Strukturierter Input 47

5.4 Mehr Sinne anregen 47

5.5 Selbst tun 48

5.6 Die richtige Haltung zum Lernen einnehmen 49

5.7 Aktive Teilnahme am Unterricht 49

5.8 Geschichten 49

5.9 Immer zuerst das große Ganze 49

5.10 Schlaf 50

5.11 Regelmäßige Erfolgserlebnisse schaffen 50

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5.12 Sich über seine Lernmotive und -ziele im Klaren sein 50

5.13 Das Lernplateau verstehen 50

5.14 Unterrichtspausen einlegen 51

5.15 Pausen beim Lernen machen 52

6. Spiele im Sprachunterricht 53

6.1 Welchen Nutzen haben Spiele im Unterricht? 54

6.2 Wie sollte sich der Lehrer beim Spielen verhalten? 54

6.3 Geeignete Spiele für den Fremdsprachunterricht 55

Schlussbemerkung 56

Bibliographie 57

Anhang 59

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E i n l e i t u n g S e i t e | 1

Einleitung

Die Neurodidaktik setzt sich mit der pädagogischen Relevanz der Gehirnforschung

auseinander. Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde dieser Begriff

von dem Fachdidaktiker Gerhard Preiß geprägt „um die Bedeutung

neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für Didaktik und Unterrichtspraxis zu betonen

(Roth 2011: 281)“. Die Neurodidaktik stützt sich auf die Annahme, dass die

biologische Grundlage jeglicher geistiger Tätigkeit und somit auch die des Lernens,

das Gehirn ist. Es ist die medienpräsente Gehirnforschung, die die fundamentalen

Kenntnisse über das Gehirn und seiner Funktionsweise liefert. Dank der ab 1980

eingesetzten Kernspinresonanztomographie (MRT) ist es möglich, die Gehirnareale,

die für das Lernen von Bedeutung sind, zu lokalisieren. Weil jeder Lernvorgang mit

einer Veränderung des Gehirns verbunden ist, ist die Kenntnis über die im Gehirn

beim Lernen ablaufenden Prozesse eine Voraussetzung, um das Lehren und Lernen

effizient und effektiv gestalten zu können. In diesem Sinne postuliert Manfred Spitzer

in seinem Buch „Lernen“: „Wer lehrt, sollte etwas vom Lernen und dem Organ des

Lernens, dem Gehirn, verstehen“ (2009: 19).

Doch noch viele Lehrer bezweifeln den praktischen Nutzen der Gehirnforschung für

den Unterricht und sehen in der Neurodidaktik eine reine Modeerscheinung. Die

Kritiker der Neurodidaktik verneinen jegliche Relevanz der Neurowissenschaften für

die Didaktik. Für Sie ist Lehren ein vielschichtiger Prozess, der sich nicht auf die

Verstärkung synaptischer Verbindungen reduzieren lässt. (vgl. Roth 2011: 282ff)

Meine Hausarbeit soll zeigen, wie sich Erkenntnisse der Gehirnforschung für ein

erfolgreicheres Lehren und Lernen umsetzen lassen. Dazu soll als Erstes die

Anatomie und die Funktionsweise des Gehirns beschrieben werden. Nach der

Vorstellung der verschiedenen Gedächtnisarten werde ich mich dem Thema Lehren

und Lernen aus neurobiologischer und lernpsychologischer Sicht widmen. Beim

lernpsychologischen Aspekt sollen die Bedeutung von Aufmerksamkeit, Emotionen

und Motivation für das Lernen beschrieben werden. Nach der Vorstellung der

verschiedenen Lerntypen werde ich mich mit dem Lernen im Alter

auseinandersetzen. Beispiele, wie gehirngerechtes Lehren und Lernen in der Praxis

aussehen, folgen. Im letzten Kapitel soll der neuro-didaktisch fundierte Nutzen von

Spielen im Fremdsprachenunterricht als „Dopaminausschüttungs-Instrument“ und

Mittel, das Gehirn ganzheitlich zu aktivieren, beschrieben werden.

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E i n l e i t u n g S e i t e | 2

Im Anhang werde ich ein von mir modifiziertes Spiel vorstellen, das sich speziell für

das Wiederholen von Verben eignet.

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1. Das menschliche Gehirn

Chalvin (1993)

Die Entwicklung unserer Vorfahren begann vor ca. 7 bis 10 Millionen Jahren in

Ostafrika. Von dort aus begannen vor 100.000 Jahren unsere mittelbaren Ahnen, der

Homo sapiens (der einsichtige Mensch), die Welt zu erobern (vgl. Medina 2009:

32ff). In der Evolution gab es zwei Strategien zu überleben: entweder stärker oder

schlauer zu werden (vgl. Medina 2009: 28ff), (vgl. Spitzer 2009: 14). Bei unseren

Vorfahren sicherte die Vergrößerung des Gehirns und die damit einhergehende

Ausbildung höherer kognitiver Fähigkeiten (Einsicht, Verstand, Weisheit) das

Überleben. An dem Modell des Dreieinigen Gehirns („Tribune Brain“) (vgl. Medina

2009: 39ff) kann man die Evolutionsgeschichte des menschlichen Gehirns an seinem

Aufbau ablesen. Ausgehend vom Reptiliengehirn (grundlegende Lebensfunktionen)

entwickelte sich bei den Säugetieren das limbische System (Emotionssteuerung),

aus dem schließlich beim Homo sapiens der Neocortex (höhere kognitive

Fähigkeiten) entstand.

Ausschlaggebend für die Entwicklung des Gehirns war der Übergang zum aufrechten

Gang. Dadurch wurde, im Gegensatz zur Fortbewegung auf allen Vieren, weniger

Energie verbraucht. Die damit freiwerdende Energie konnte in die Entwicklung eines

leistungsfähigeren Gehirns gesteckt werden. (vgl. Medina 2009: 38)

Das menschliche Gehirn besitzt bei Männern ein durchschnittliches Gewicht von 1,35

Kilogramm und 1,22 Kilogramm bei Frauen. Es besteht aus Wasser (etwa 85 %), Fett

(knapp 170 Gramm), etwas Eiweiß, drei Teelöffel Salz und weiteren komplexen

Molekülen. Es verbraucht mehr als 20 Prozent der Körperenergie, obwohl er nur 2

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Prozent des Körpergewichts ausmacht. 100 Milliarden Neuronen (Nervenzellen) und

etwa 10-mal so viele Gliazellen (Faserverbindungen zwischen den Neuronen) sind

die wesentlichen Bestandteile des Gehirns. Die Gliazellen sind Stütz- und

Versorgungsgewebe für die Neuronen. Daneben nehmen sie an der neuronalen

Erregungsverarbeitung teil. Die Verbindungen zwischen den Neuronen bezeichnet

man als Synapsen, ihre Anzahl beträgt ca. 100 Billionen.

(vgl. Roth 2009: 14ff), (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 7,12,15ff)

1.1 Anatomie

Das menschliche Gehirn, das in seinem Aufbau dem Gehirn anderer Wirbeltieren

entspricht, wird in fünf Hirnabschnitten gegliedert (vgl. Roth 2009:13ff):

(vgl. Roth 2011: 314)

1.1.1 Hirnstamm

Er ist der stammesgeschichtlich älteste Teil des Gehirns und bildet den untersten

Gehirnabschnitt. Der Hirnstamm besteht aus dem Verlängertem Mark, der Brücke

(„Pons“) und dem Mittelhirn. Das Verlängerte Mark ist die Fortsetzung des

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Rückenmarks und zieht sich bis zur Brücke. Die Brücke enthält wichtige motorische

und limbische Kerne. (vgl. Roth 2009: 14,21ff)

Zusammen mit dem Hypothalamus bildet er die Grundlage der biologischen

Existenz: Atmung, Schlaf-Wach-Rhythmus, Erregungs- und

Aufmerksamkeitszustände. (vgl. Roth 2009: 21)

1.1.2 Kleinhirn

Es ist zuständig für das motorische Lernen. Das Kleinhirn steuert das Gleichgewicht,

die Koordination des Bewegungsapparates, die Feinmotorik und die Feinkoordination

von zeitlichen Abläufen wie Bewegung, Sprachlaute und Gedankenketten. Neuere

Untersuchungsergebnisse lassen den Schluss zu, dass das Kleinhirn auch am

Spracherwerb und dem sozialen Lernen beteiligt ist. (vgl. Roth 2009: 22)

1.1.3 Zwischenhirn

Zu ihm werden gerechnet:

- Epithalamus

- Dorsaler Thalamus

- Ventraler Thalamus (Subthalamus)

- Hypothalamus

- Subthalamus

Die Funktion des dorsalen Thalamus, der für die Verarbeitung von Informationen von

Bedeutung ist, wird im Abschnitt „Funktionen des Gehirns“ unter Punkt 1.2.1 genauer

beschrieben.

Das Zwischenhirn ist beteiligt an der Schlaf-Wach-Steuerung und der

Schmerzempfindung. (vgl. Roth 2006: 23)

1.1.4 Endhirn einschließlich Großhirnrinde (Cortex)

„Die Großhirnrinde gilt als Sitz von allem, was uns zum Menschen macht, und

deshalb findet sie seit jeher das besondere Interesse der Hirnforscher“

(vgl. Roth 2011: 316).

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Die Großhirnrinde (Cortex) ist der größte Teil des menschlichen Gehirns und macht

etwa die Hälfte des gesamten Hirnvolumens bzw. Hirngewichts aus. Die

Großhirnrinde entstand vor rund 130 Millionen Jahren, als sich die ersten Säugetiere

entwickelten. Ihre evolutionäre Entwicklung war vor ca. 100000 Jahren mit der

völligen Ausbildung des Neocortex (Isocortex) abgeschlossen, der zu 96 % den

größten Teil des Cortex ausmacht. Der Neocortex besteht aus einer 2-5 mm dicken

Schicht von Neuronen und besitzt das Aussehen eines gefalteten Tuches, das

auseinander gefaltet eine Fläche von einem viertel Quadratmeter hat. Die etwa 15

Milliarden Neuronen des Neocortex werden aufgrund ihres pyramidenähnlichen

Aussehens als Pyramidenzellen bezeichnet. Die Pyramidenzellen sind durch eine

halbe Trillion Kontaktpunkte, sogenannte Synapsen, miteinander verbunden.

Dadurch kann jedes Neuron Signale von etwa 10.000 anderen Neuronen empfangen

und Signale an genauso viele übermitteln. Dieses Gesamtnetzwerk von Neuronen

und Synapsen ist in zahlreiche Unternetzwerke eingeteilt, die miteinander verknüpft

sind. (vgl. Roth 2011: 316), (vgl. Aamodt/Wang 2008: 43)

Im Neocortex sind die sog. kortikalen Karten angesiedelt. Sie bestehen aus

Neuronen, die bestimmte Inhalte repräsentieren. Kortikale Karten entstehen dadurch,

dass sich eng benachbarte Neuronen aufgrund von häufigen und sich ähnelnden

Input zu regelmäßigen Mustern ordnen. Kortikale Karten sind plastisch, weil sie sich

durch ständiges Üben und Wiederholen vergrößern können. So konnte

beispielsweise nachgewiesen werden, dass akustische Karten bei Musikern etwa ein

Viertel größer sind als bei Nichtmusikern. Unsere gesamte Körperoberfläche wird

ebenfalls durch kortikale Karten repräsentiert (Penfielscher Homunkulus).

(vgl. Spitzer 2009: 100ff)

Die Großhirnrinde besteht aus zwei Hälften, der rechten und linken Hemisphäre, und

wird in 52 unterschiedliche Hirnrinderfelder, den sog. Brodmann-Arealen, eingeteilt.

Die beiden Gehirnhälften sind über Nervenfasern miteinander verbunden. Diese

Verbindung wird als Balken (Corpus Callosum) bezeichnet. Der Balken steuert die

Kommunikation zwischen den beiden Gehirnhälften.

(vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 47)

Die Hemisphären sind für verschiedene geistige Aktivitäten zuständig. Die linke

Gehirnhälfte verarbeitet Informationen hauptsächlich in sprachlicher Form und ist für

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das logische Denken und das Analysieren von Situationen zuständig.

(vgl. Kilp 2010: 30)

Die rechte Gehirnhälfte verarbeitet Informationen hauptsächlich in bildhafter Form.

Sie operiert gefühlsbetont und kreativ. Des Weiteren ist sie für räumliches Denken

und Steuerung von Bewegungen zuständig. (vgl. Kilp 2010: 30)

Die Hemisphären sind aus je vier sogenannten Hirnlappen aufgebaut

(vgl. Roth 2009: 25):

(vgl. Aamodt, Wang 2008: 44)

-Stirnlappen (präfrontaler Cortex):

Er ist zuständig für die Handlungsplanung, Organisation, Koordination und Steuerung

von Bewegungen. Des Weiteren ist er für das Schlussfolgern, die Überwachung des

Denkvorgangs und für die Impulskontrolle zuständig. Der präfrontale Cortex ist Sitz

der „allgemeinen Intelligenz“ und bildet das Arbeitsgedächtnis, d. h. er verarbeitet die

Informationen, die momentan relevant sind. (vgl. Roth 2011: 320)

-Scheitellappen (Parietallappen):

Er ist zuständig für die symbolich-analytische Informationsverarbeitung (Mathematik,

Sprache, Symbole).Der Scheitellappen empfängt und verarbeitet Informationen der

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Hautsinne. Zudem fügt er die einzelnen Sinnesinformationen zusammen und

entscheidet, worauf die Aufmerksamkeit zu lenken ist. (vgl. Roth 2011: 317ff)

-Schläfenlappen (Temporallappen):

Er ist zuständig für komplexes Hören und dem Verstehen und Sprechen einfacher

Sätze. Das Erkennen von Gesichtern und deren emotionalen Ausdruck geschieht

ebenfalls durch den Schläfenlappen. Des Weiteren steht er in engem Kontakt mit der

Amygdala und dem Hippocampus und ist bedeutsam für Lernprozesse, Gedächtnis

und emotionale Reaktionen. (vgl. Roth 2011: 320)

- Hinterhauptslappen (Okzipitallappen):

Er ist zuständig für einfaches Sehen und komplexes visuelles Erkennen.

(vgl. Roth 2011: 319)

In der linken Hemisphäre sind zwei wichtige Sprachareale angesiedelt: das Broca -

und Wernicke- Areal. (vgl. Roth 2011: 207 ff)

Das Broca-Areal (motorische Sprachzentrum), das die Brodmann Areale 44 und 45

umfasst, befindet sich im präfrontalen Cortex direkt unterhalb der für das

Arbeitsgedächtnis zuständigen Areale. Es ist das Zentrum für grammatikalisch-

syntaktische Sprache. Es ist zuständig für:

-die Koordination der Bewegungen von Kehlkopf und Mund beim Sprechen

-für die Syntax-Verarbeitung. (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 108)

Das Broca-Areal entstand vor 100.000 Jahren und stellt einen wichtigen Meilenstein

in der Entwicklung der menschlichen Sprache dar. Es ermöglichte ein reichhaltiges

Lautrepertoire, mit dem es unsere Vorfahren befähigte, „Symbole sprachlicher wie

nicht sprachlicher Art in ihrer zeitlichen Reihenfolge zu erkennen und systematisch

abzuwandeln“ (Roth 2009: 66). Dazu kam die Ausbildung einer bewussten

Steuerung des Sprechapparates. Eine Verletzung des Broca-Areals hat eine

schlechte Artikulation zur Folge. (vgl. Grein 2012: 46)

Das Wernicke-Areal (sensorisches Sprachzentrum), das im linken Temporallappen

liegt (Brodmann Areal 22), dient dem Sprachverständnis (semantische Verarbeitung)

und der Integration von Sprach- und Textinhalten. Bei einer Verletzung können

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gehörte Wörter nicht mehr verstanden werden.

(vgl. Roth 2011: 208), (vgl. Grein 2012: 47)

Ein weiteres für die Sprache wichtiges Areal, der sogenannte Gyrus supramarginalis,

sitzt im Scheitellappen (Brodmann Areal 40) und spielt beim Verbinden von Wort und

Wortform eine wichtige Rolle. Beim Lesen wird dieser Bereich ebenfalls aktiviert. Bei

einer Verletzung geht die Fähigkeit gehörte Buchstabenfolgen wiederzugeben

verloren. (vgl. Grein 2012: 48)

Der Gyrus angularis liegt im Brodmann Areal 39, wo Scheitel-, Schläfen- und

Hinterhauptslappen aufeinandertreffen. Er spielt eine wichtige Rolle beim Schreiben,

Lesen, Rechnen und der Fähigkeit zur Abstraktion. Der Gyrus angularis wandelt

visuelle Informationen in Sprache um. (vgl. Grein 2012: 49)

1.2 Die Funktionen des Gehirns

Die Funktionen des Gehirns lassen sich in fünf Bereiche einteilen:

- Bereich für die vegetativen Funktionen

- sensorischer Bereich für die Wahrnehmung

- motorischer Bereich für den Bewegungsapparat

- kognitiv-assoziativer Bereich für Denken, Erinnern und Vorstellen

- Bereich des limbischen Systems, das u.a. für die emotionale Bewertung der Folgen

unseres Handels und für Handlungsentscheidungen zuständig ist. Des Weiteren

spielt es eine entscheidende Rolle bei der emotionalen Bewertung aufgenommener

Informationen und deren Übertragung ins Langzeitgedächtnis.

(vgl. Roth 2009: 28ff)

Da das limbische System einen entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg hat,

sollen drei Bausteine dieses Systems näher beschrieben werden: der dorsale

Thalamus, die Amygdala und der Hippocampus.

1.2.1 Dorsaler Thalamus

Er wird auch als Tor zum Bewusstsein bezeichnet, denn er ist mit der Großhirnrinde

(Cortex) über auf- und absteigende Fasern verbunden. In ihm werden die über die

sensorischen Bahnen ankommenden Reize für die weitere Verarbeitung im Cortex

synchronisiert. Der dorsale Thalamus fungiert als Filter, der Wesentliches von

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1 . D a s m e n s c h l i c h e G e h i r n S e i t e | 10

Unwesentlichem trennt. Dadurch werden nur Informationen an den Cortex

weitergeleitet, die für den betreffenden Kontext von Bedeutung sind. Das folgende

Beispiel soll dies veranschaulichen: Beim Lesen sorgt der dorsale Thalamus dafür,

dass man Hintergrundmusik nicht wahrnimmt und sich so beim Lesen ganz auf den

Text konzentrieren kann. Vom dorsalen Thalamus wird das eingehende

Datenmaterial direkt an das Frontalhirn (Teil des Cortex) weitergeleitet. Dort erfolgt

eine emotionale Bewertung des Sachverhalts. Danach werden die Informationen

zum limbischen System zurückgespielt, das die Informationen mit Gefühlen versieht

und dem Frontalhirn erneut zur abschließenden Beurteilung vorlegt.

(vgl. Roth 2009:24ff), (vgl. Medina 2009: 228)

1.2.2 Amygdala

Die Amygdala, auch als Mandelkern bezeichnet, verarbeitet die Geruchsreize und

steuert das Flucht- und Angriffsverhalten. Sie ist für das emotionale Lernen,

Stressreaktionen und dem Erkennen von Gestik und Mimik zuständig. Die in der

Amygdala ankommende Informationen werden nach einem einfachen Muster

ausgewertet: Feind oder Freund, Angriff oder Flucht. (vgl. Roth 2011: 323ff)

1.2.3 Hippocampus

Der Hippocampus speichert Fakten und Ortsinformationen und spielt eine wichtige

Rolle bei Lern- und Gedächtnisvorgängen. Er ist Voraussetzung zum Erlernen

einzelner Ereignisse (vgl. Spitzer 2009: 23ff). Der Hippocampus ordnet die

eingehenden Daten in den zeitlichen und räumlichen Gesamtzusammenhang ein. Da

er besonders an Neuigkeiten interessiert ist, wird er auch als Neuigkeitsdetektor

(„novelty detektor“) bezeichnet (vgl. Spitzer 2009: 34). Eine neue und interessante

Information speichert er ab, das heißt, er bildet eine neue Repräsentation von ihr

(vgl. Spitzer 2009: 27ff, 34). Für Ereignisse stellt er einen emotionalen

Orientierungsrahmen wie Trauer, Ärger, Angst, Freude und Schuld zur Verfügung

(vgl. Medina 2009: 40). Der Hippocampus spielt eine wichtige Rolle bei

Gedächtnisvorgängen, denn er ist am Übergang vom Kurzzeit- ins

Langzeitgedächtnis, das im Cortex angesiedelt ist, beteiligt (vgl. Bonhoeffer/

Gruss 2011: 63). Dieser Vorgang wird als Konsolidierung bezeichnet

(vgl. Spitzer 2009: 121ff). Der Hippocampus ist an der Bildung des deklarativen

Gedächtnis (autobiographisches und Faktengedächtnis) beteiligt. Für das

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Ultrakurzzeitgedächtnis spielt der er keine Rolle. Auch das prozedurale Gedächtnis

(Fertigkeiten und Gewohnheiten) funktioniert unabhängig von ihm (vgl. Bonhoeffer/

Gruss 2011: 64). Für das Lernen neuer Inhalte ist der Hippocampus von großer

Bedeutung. So konnte nachgewiesen werden, dass sich durch Vokabellernen neue

neuronale Repräsentationen im Hippocampus bilden (vgl. Spitzer 2009: 33ff). Die

Repräsentierung von Einzelheiten im Hippocampus ist auch bei der Orientierung von

Wichtigkeit (vgl. Spitzer 2009: 30). Untersuchungen bei Londoner Taxifahrer, die

bekanntlich auf ein starkes Ortsgedächtnis angewiesen sind, zeigten, dass sie über

einen überdurchschnittlich großen Hippocampus verfügten. Gleich einem Muskel

wurde der Hippocampus durch die Notwendigkeit einer optimalen Orientierung

trainiert und vergrößerte sich dadurch. Dies ist ein eindeutiges Indiz, dass der

Hippocampus in Abhängigkeit von der Erfahrung wächst und umso besser

funktioniert, je mehr er beansprucht wird (vgl. Spitzer 2009: 31ff).

Nach dieser Beschreibung der für das Lernen wichtigsten Bauteile des Gehirns will

ich im folgenden Kapitel zeigen, wie Informationen im Gehirn verarbeitet werden.

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2. Wie werden Informationen im Gehirn verarbeitet?

Zum besseren Verständnis der Informationsverarbeitung im Gehirn sollen zuerst die

zellulären (Neuronen und Synapsen) und molekularen (Neurotransmitter)

Grundlagen der Gehirnfunktion beschrieben werden. Die Voraussetzungen für die

Gedächtnisbildung, Neuroplastizität und Langzeitpotenzierung, werden anschließend

behandelt. Am Schluss des Kapitels soll gezeigt werden, wie eine Information im

Einzelnen verarbeitet wird und weshalb sie in Vergessenheit geraten kann.

2.1 Neuronen und Synapsen

(vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 76)

Neuronen sind die kleinsten Funktionseinheiten des Gehirns. Sie sind auf die

Speicherung und Verarbeitung von Informationen spezialisiert. Sie nehmen

ankommende Erregungen auf, verarbeiten sie und geben sie wieder ab. Von

anderen Körperzellen unterscheiden sie sich durch ihre langen dünnen Fortsätze, mit

denen sie mit anderen Neuronen in Kontakt treten können. Es gibt im menschlichen

Gehirn etwa 100 verschiedene Arten von Neuronen, deren Aussehen mannigfaltig

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ist. Jedes Neuron besitzt einen Zellkörper, der den Zellkern mit der DNA enthält. Die

Empfangsantennen des Neurons sind die Dendriten, die, gleich Wurzeln eines

Baumes, Ausläufer am Zellkörper bilden. Auf den nur einigen zehntel Millimeter

langen Dendriten sitzen die Dornen (spines). Diese können die von benachbarten

Neuronen ausgeschütteten Botenstoffe, sog. Neurotransmitter, empfangen.

Ausgangsstation eines Neurons ist das Axon. Es ist dünner als die Dendriten, aber

mit einer Größe von einem Meter wesentlich länger. Um das Weiterleiten elektrischer

Signale zu beschleunigen, sind Teile des Axon mit einer fettigen, isolierenden

Schicht umhüllt, die aus ausgedehnten Gliazellen-Membranen besteht, der sog.

Myellinhülle. (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 12ff)

Die Kontaktstellen zwischen den Neuronen bezeichnet man als Synapsen. Die

Synapsen können unterschiedlich stark sein und sind in ihre Stärke veränderbar. Die

eine Information weiterleitende Synapse wird als Präsynapse, die eine Information

empfangende als Postsynapse bezeichnet. (vgl. Roth 2009: 18)

2.2 Die neurobiologische Arbeitsweise von Neuronen und Synapsen

Grundlage für die Fähigkeit zur Verarbeitung von Informationen ist die elektrische

Erregbarkeit der Neuronen. Die von den Sinnesorganen wahrgenommenen

Informationen werden in elektrische Impulse umgewandelt. Diese entstehen, weil

zwischen Außen- und Innenseite der neuronalen Zellmembran eine elektrische

Spannung besteht. Dabei besitzt die negative Spannung des Zellinneren ein

Ruhepotential von minus 70 Millivolt. Durch eine etwa eintausendstel Sekunde

dauernde Änderung der Spannung auf plus 30 Millivolt wird das Neuron erregt. Diese

plötzliche Spannungsänderung in Neuronen wird als Aktionspotential bezeichnet. Für

die Informationsverarbeitung ist entscheidend, dass Aktionspotentiale schnell über

den Ausgang des Neurons (Axon) zu anderen Nervenzellen weitergeleitet werden.

Aktionspotenziale können auf Axonen Geschwindigkeiten von bis zu 120 m/s

erreichen. (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 16ff), (vgl. Aamodt/Wang 2008: 38)

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Wo und wie werden Aktionspotentiale auf andere Neurone übertragen?

(vgl. Roth 2011: 329)

Die Übertragung findet an den Kontaktstellen zwischen Neuronen statt, den sog.

Synapsen. An diesen findet der Wechsel zwischen elektrischer und chemischer

Informationsverarbeitung statt, denn durch die in den Synapsen eintreffenden

Aktionspotentiale kommt es zur Freisetzung biochemischer Stoffe. Diese werden als

Neurotransmitter oder einfach als Transmitter bezeichnet. Neurotransmitter geben

Informationen von einer Nervenzelle zu einer anderen weiter. Dies geschieht durch

Ausschüttung der sich in der Präsynapse befindlichen Neurotransmitter in den

synaptischen Spalt. Von dort gelangen sie an die Rezeptoren der Postsynapse des

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Nachbarneurons. Dieser Vorgang spielt sich im Bereich von Tausendstelsekunden

ab. Transmitter verursachen eine elektrische Spannungsveränderung des

postsynaptischen Neurons. Wird dessen negative Spannung von minus 70 Millivolt

im Ruhepotential durch erregende Transmitter verringert oder sogar positiv, spricht

man von einer Depolarisierung. Durch sie werden weitere Aktionspotentiale

ausgelöst, was bedeutet, dass Informationen weitergeleitet werden. Hemmende

Transmitter können dagegen die negative Spannung der postsynaptischen Neuronen

bis auf minus 80 Millivolt erhöhen. Dies führt dazu, dass die Nervenzellen für

nachfolgende Erregungen der vorgeschalteten Neuronen unempfindlich werden. Als

Folge werden ankommenden Informationen nicht weiter geleitet. Die Stärke der

Übertragung ist abhängig von der Anzahl der von den präsynaptischen Neuronen

ausgeschütteten Neurotransmitter, der Anzahl der Rezeptoren der postsynaptischen

Neuronen und der Effizienz der Signalverarbeitung. Die Stärke der vorhandenen

synaptischen Verbindungen ist ausschlaggebend, wie stark der Effekt des Impulses

auf die nachfolgenden Neuronen ist. Bei starken synaptischen Verbindungen wird

das nachfolgende Neuron stark erregt, während bei schwachen synaptischen

Verbindungen die Erregung gering bleibt. Die Neuronen verarbeiten die eingehenden

Informationen durch Bewertung nach Neuigkeit und Wichtigkeit, und je nach

Ergebnis werden sie mehr oder weniger stark übertragen (vgl. Spitzer 2009: 21ff).

(vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 18ff), (vgl. Aamodt/Wang 2008: 37ff)

2.2.1 Neurotransmitter

Je nach Wirkung auf die nachgeschalteten Neuronen unterscheidet man zwischen

erregenden, hemmenden und langsam wirkenden Transmitter. Der wichtigste

erregende Transmitter ist das Glutamat. Die bedeutendsten hemmenden Transmitter

sind Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) und Glycerin. Zu der Gruppe der langsam

wirkenden Transmitter gehören: Noradrenalin (Aufmerksamkeit, Wachheit), Serotonin

(beruhigend, Gedächtnisbildung, Lebensenergie, Mangel verursacht Depressionen),

Acetylcholin (Aufmerksamkeit, Leistungsfähigkeit des Gehirns) und das, auch als

Glückshormon bezeichnete, Dopamin (Konzentration, Motivation, Aufmerksamkeit,

Neugierde). (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 19ff), (vgl. Roth 2011: 49,275)

Neben diesen Transmitter gibt es noch die sog. Neuropeptiden, bei denen es sich

um eiweißhaltige Transmitter handelt. Sie werden als Cotransmitter zusammen mit

Neurotransmitter ausgeschüttet und unterstützen oder hemmen deren Wirkung.

Page 21: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

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Unter den 100 verschiedenen Neuropeptiden sind die sog. Endorphine am

bekanntesten. Es handelt sich dabei um körpereigene Opiate, die die

Schmerzempfindlichkeit beeinflussen. Des Weiteren lösen sie Wohlbefinden aus.

(vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 24), (vgl. Roth 2011: 328ff)

2.2.2 Neuroplastizität und Langzeitpotenzierung

Bevor die neurobiologischen Grundlagen der Gedächtnisbildung durch

Neuroplastizität und Langzeitpotenzierung beschrieben werden, soll die Bildung von

Gedächtnisinhalten mittels eines anschaulichen Vergleiches, den Manfred Spitzer in

seinem Buch „Selbstbestimmen“ zieht, veranschaulicht werden: Wenn im Gehirn

Informationen verarbeiten werden, entstehen Spuren im Gehirn. Diese Spuren sind

vergleichbar mit Spuren, wie sie beim Laufen über Schnee entstehen, deshalb

spricht man auch von Gedächtnisspuren. Diese Gedächtnisspuren entstehen durch

die Benutzung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen und erleichtern den

Durchgang und die Verarbeitung von Informationen. Und wie Spuren im Schnee

durch häufig wiederholende Benutzung immer gefestigter werden, so verfestigt sich

durch ständige Wiederholung die Erinnerung im Gehirn (vgl. Spitzer 2004: 27ff). Die

entstandenen Spuren im Gehirn sorgen zugleich für die eigene Verfestigung, denn:

„…es ist die Strukturbildung selbst, die für die Verfestigung der einmal entstandenen

Struktur sorgt“ (Spitzer 2004: 39). Diese Selbststrukturierung geschieht durch die

Freisetzung einer Art „Gehirndüngers“ namens BNDF („brain-derived neurotropic

factor“) (vgl. Spitzer 2004: 44). Diese eigene Verfestigung führt beispielsweise dazu,

dass frühkindliche Erfahrungen viel größeren Einfluss auf die Entstehung von

inneren Strukturen haben, als spätere Erfahrungen (vgl. Spitzer 2004: 44). Dies zeigt

sich am frühkindlichen Erwerb einer Fremdsprache, denn der frühe Kontakt

entscheidet darüber, wie akzentfrei die Fremdsprache gesprochen wird und wie hoch

die Sprachkompetenz ausgebildet ist (vgl. Spitzer 2004: 45).

Jede einzelne Erfahrung erzeugt ein, nur wenige Millisekunden andauerndes,

Aktionsmuster im Gehirn. Jede weitere Wiederholung dieser Erfahrung verändert die

Stärke des Aktionsmusters um ein kleines Stück. Was nun von den einzelnen

Erfahrungen bleibt, sind nicht ihre Einzigartigkeiten, sondern was sie gemeinsam

haben, also das, was hinter den einzelnen Erfahrungen an Gemeinsamkeiten steht.

Zum besseren Verständnis sei hier das von Manfred Spitzer in seinem Buch „Lernen“

angeführte „Tomaten-Beispiel“ wiedergegeben: wir haben schon so viele Tomaten

Page 22: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

2 . W i e w e r d e n I n f o r m a t i o n e n i m G e h i r n v e r a r b e i t e t ? S e i t e | 17

gesehen und können uns nicht an jede einzelne erinnern, können aber eine Tomate

als solche sofort erkennen, da in unserem Gehirn die Gemeinsamkeiten aller

Tomaten, nämlich rund und rot zu sein, abgespeichert sind (vgl. Spitzer 2009:75ff).

Die Fähigkeit des Nervensystems seine Verbindungen an den Gebrauch

anzupassen, bezeichnet man als Neuroplastizität. Zum ersten Mal nachgewiesen

wurde diese Fähigkeit von Eric Kandel, der für seine Forschungsarbeit im Jahre 2000

mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde.

(vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 66)

Die Hebb`sche Regel

Der Kanadier Donald O. Hebb (1904-1983) begründete die Grundlage der

synaptischen Plastizität. In seinem Konzept der „Zellensembles“ vertrat er die

Vorstellung, dass häufig gemeinsam aktive Zellen enge Verbindungen eingehen. In

dem Buch „Zukunft Gehirn“ von Bonhoeffer und Guss wird beschrieben, dass diese

Verstärkung dadurch entsteht, dass bei:

„wiederholter oder dauerhafter Aktivierung einer Nervenzelle B durch ein Axon

einer Nervenzelle A ein Wachstumsprozess oder eine metabolische Änderung

in einer oder beide Zellen geschehen müsse, so dass die Effizienz von A als

eine der B aktivierenden Zellen anwächst [sog. Hebb´sche Regel].“

Hebb (1949, zit. in Bonhoeffer/Gruss 2011: 66)

Bei diesen gemeinsam aktiven Zellen verstärken sich die Synapsen. Es entstehen

Teilnetzwerke, deren „Zündung“ die Aktivierung der ihnen entsprechenden

Informationen bedeutet.

Den Nachweis für die Richtigkeit der rein theoretisch formulierten Hebb`schen Regel

lieferte die Entdeckung der Langzeitpotenzierung. Durch Experimente am

Hippocampus konnte im Jahre 1973 nachgewiesen werden, dass Lernereignisse

simulierende, elektrische Stimulation die Verbindung zwischen den Synapsen

dauerhaft verstärken kann. Diese Verstärkung synaptischen Verbindungen zwischen

gleichzeitig aktiven Neuronen wird als Langzeitpotenzierung (LTP, „long term-

potentation“) bezeichnet. (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 67)

Gerhard Roth schreibt in seinem Buch „Bildung braucht Persönlichkeit“ über die

neurobiologischen Grundlagen der Gedächtnisbildung: „Allgemein glaubt man, dass

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2 . W i e w e r d e n I n f o r m a t i o n e n i m G e h i r n v e r a r b e i t e t ? S e i t e | 18

das Einspeichern eines Gedächtnisinhaltes auf die Leistungssteigerung synaptischer

Übertragungsmechanismen innerhalb oder größere Netzwerke beruht.“ (2011: 111).

Diese Leistungssteigerung beruht nicht nur auf einer Verstärkung bestehender

neuronaler Verbindungen, sondern auch auf strukturell-anatomische Veränderungen

(vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 73). Ein wichtiger Mechanismus bei der Veränderung

der synaptischen Übertragungseffizienz, die entweder prä- oder postsynaptisch

erfolgen kann, ist dabei die Langzeitpotenzierung. Sie ist letztendlich die Grundlage

für jegliche Form des Lernens und Gedächtnisses. In Experimenten konnte

nachgewiesen werden, dass sich der Prozess der Verstärkung synaptischer

Verbindungen auch umkehren lässt. Die lang andauernde Abschwächung der

synaptischen Effektivität wird als Langzeitdepression (LTD, „long terme depression“)

bezeichnet. Die molekulare Grundlage von Langzeitpotenzierung und

Langzeitdepression ist Calcium. Ein großer Einstrom von Calcium in die Neuronen

führt zu einer Langzeitpotenzierung, ein geringer Einfluss zu einer

Langzeitdepression. (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 67)

2.2.3 Wie wird eine Information verarbeitet?

Im ersten Schritt wird die von unseren Sinnesorganen aufgenommene Information

codiert. Bei der Codierung wird die von außen in Form von Schallwellen und

Lichtenergie eintreffender Energie in elektrische Muster umgewandelt, die das

Gehirn verarbeiten kann (vgl. Medina 2009: 117). Wie stark die Codierung ausfällt,

hängt u.a. davon ab, wie bedeutsam die Information ist, und wie stark sie mit bereits

vorhandenem Wissen verknüpft werden kann (vgl. Medina 2009: 123ff). Nach dem

die Information in die Sprache des Gehirns übersetzt wurde, wird sie vom Thalamus

in den Cortex weitergeleitet. Dort wird die Information buchstäblich in ihre Einzelteile

zerstückelt. Die dabei entstandenen einzelnen Informationen über ein Objekt, wie

beispielsweise Form, Farbe oder Bewegung, werden über den gesamten Cortex

zerstreut und in den jeweils zuständigen Gehirnarealen abgespeichert (vgl. Medina

2009: 115ff). Dies lässt den Schluss zu, dass es kein separates Gedächtniszentrum

gibt (vgl. Medina 2009: 126). Die einzelnen Informationen werden in denselben über

das Gehirn verteilten Arealen abgespeichert, die zuvor an der Wahrnehmung und

Verarbeitung der Informationen beteiligt waren (vgl. Medina 2009: 125ff).Die mit den

Rinderfeldern durch Nervenbahnen verbundenen Assoziationsfelder sorgen dafür,

dass abgespeicherte Inhalte wieder ins Bewusstsein treten können.

Page 24: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

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Die Assoziationsfelder sind untereinander durch Nervenbahnen

(Assoziationsbahnen) miteinander verbunden und fügen die über den Cortex

verteilten Informationsteile wieder zu einem Ganzen zusammen. Die

Assoziationsfelder sind im Assoziationscortex angesiedelt. Zu ihm gehören: der

Gyrus angularis, der Gyrus supramarginalis, der mittlere und inferiore temporere

Cortex, der präfrontale und der orbiofrontale Cortex. (vgl. Roth 2009: 137

In den Assoziationsfeldern verläuft die Verarbeitung der Information sowohl von

unten nach oben („bottom-up process“) als auch von oben nach unten („top-down

process“) (vgl. Spitzer 2009: 176). Folgendes Beispiel soll dies veranschaulichen:

Durch die von-unten-nach-oben-Verarbeitung werden beim Lesen die einzelnen

Linien und Bögen zu Buchstaben und diese zu Wörter kombiniert. Danach erfolgt die

von oben nach unten gerichtete Verarbeitung, indem die Wörter unter dem Aspekt

des bereits vorhandenen Wissens analysiert werden. Dabei werden bereits

abgespeicherte Informationen zu den neuen Informationen hinzugefügt. So wird

beispielsweise ein Name mit den mit dieser Person gemachten Erfahrungen in

Verbindung gebracht. (vgl. Medina 2009: 231ff)

Beim Abruf einer Information werden mit Hilfe der Assoziationsfelder die in den

verschieden Gehirnareale abgespeicherten Informationsteile wieder zu einem

Ganzen zusammengeführt (vgl. Medina 2009: 230). Die komplexe Gehirntätigkeit

des Verarbeitens einer Information von der Codierung bis zur Abspeicherung wird als

Engramm bezeichnet (vgl. Medina 2009: 122).

2.2.4 Vergessen einer Information

Das Vergessen einer Information geschieht zum Teil psychologisch durch das

Unterdrücken der Erinnerung, was als Repression bezeichnet wird. Neurobiologisch

lässt sich nachweisen, dass das Vergessen mit dem Abbau synaptischer

Verbindungen in Zusammenhang steht. (vgl. Roth 2011: 123)

Nur ein geringer Teil der verarbeiteten Informationen wird letztendlich im Gehirn

abgespeichert. Wo und wie lange diese im Gehirn abgespeichert werden, soll Thema

des folgenden Kapitels sein.

Page 25: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 20

3. Das menschliche Gedächtnis

Sprache und Wissen werden durch unser Gedächtnis erst möglich. Dank unseres

Erinnerungsvermögens nehmen wir uns als Individuum wahr und können mit

anderen Menschen interagieren. Lernen und Gedächtnis werden oft miteinander

gleichgesetzt, was meistens auch zutrifft: „denn es gibt kein wirkliches Lernen ohne

Gedächtnis, aber es gibt ein Gedächtnis ohne längeren Lernerfolg“ (Roth 2011: 102).

Ende des 19. Jahrhunderts unternahm der Psychologe und Gedächtnispionier

Hermann Ebbinghaus einen Versuch, bei dem er aus willkürlich zusammengefügten

Konsonanten und Vokale rund 2300 sinnlose Silben bildete. Danach versuchte er

diese Silben mittels verschiedener Methoden auswendig zu lernen. Seine dabei

gemachten Erfahrungen veröffentlichte er im Jahre 1885. Er wies nach, dass nach

20 Minuten nur noch 60%, nach einer Stunde nur noch 45% und nach einem Tag nur

noch 34% Prozent des Gelernten erinnert werden können. Nur 15% des Lerninhaltes

geraten nicht in Vergessenheit (vgl. Roth 2011: 123ff). Eine weitere Entdeckung

seiner Untersuchungen war, dass das Erinnerungsvermögen durch ständiges

Wiederholen des Gelernten verlängern werden kann. Je häufiger diese

Wiederholungen praktiziert werden, desto stabiler werden die Erinnerungen.

Entscheidend hierbei ist, in welchen Zeitabständen die Wiederholungen erfolgen.

Lernen in kleinen Lerneinheiten, mit ausreichendem Zeitabstand und häufigem

Wiederholen, ist dem Lernen an einem Stück mit der gleichen Anzahl an

Wiederholungen überlegen (vgl. Bonhoeffer/Gruss 2011: 60). Dass häufiges

Wiederholen für das Lernen optimal ist, lässt sich auch neurowissenschaftlich

belegen, denn durch ständiges Wiederholen werden die Synapsenverbindungen

zwischen den Neuronen verstärkt (vgl. Aamodt/Wang 2008: 121).

Über das Gedächtnis und seiner Funktionsweise gibt es verschiedene Theorien, von

denen ich zwei vorstellen will. Das Zeitmodell, das auf den Untersuchungen von

Atkinson/Shiffrin basiert (vgl. Kilp 2010: 32), unterscheidet zwischen Ultra-, Kurzzeit-

und Langzeitgedächtnis. Das inhaltsabhängige Beschreibungsmodell teilt das

Gedächtnis in deklaratives bzw. explizites und prozedurales bzw. implizites ein.

Diese Differenzierungen gehen auf die amerikanischen Psychologen Larry Squire

und Daniel Schacter zurück (vgl. Roth 2011: 102ff).

Page 26: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 21

3.1 Das Zeitmodell

Die eingehenden Informationen werden in drei Stufen im Gehirn gefiltert und in der

jeweiligen Gedächtnisform, je nach ihrer Wichtigkeit, kürzer oder länger

abgespeichert. Die Wahrnehmungen (Reize) durchlaufen dabei zuerst das

Ultrakurzgedächtnis (UZG), um nach dem ersten Ausfiltern ins Kurzeitgedächtnis

(KZG) zu gelangen. Nach weiterer Selektion der Daten gelangen diese schließlich

ins Langzeitgedächtnis (LZG). (vgl. Kilp 2010: 32), (vgl. Frick/Mosimann 2006: 37)

3.1.1 Das Ultrakurzeitgedächtnis (UZG)

Die Informationen der ankommenden Reize, die visueller, auditiver, haptischer,

olfaktorischer oder gustatorischer (geschmacklicher) Art sein können, werden in rein

physikalischer Weise gespeichert und bleiben größten Teils unbewusst. Dies erlaubt

eine enorm hohe Speicherkapazität, die beispielsweise bei visuellen Reizen 10.000

Millionen pro Sekunde beträgt. Die meisten im Ultrakurzeitgedächtnis (UZG)

ankommenden Informationen zerfallen in Bruchteilen von Sekunden. Dadurch

gelangen nur wichtige Informationen ins Kurzzeitgedächtnis.

(vgl. Frick/Mosimann: 2006: 37)

3.1.2 Das Kurzzeitgedächtnis (KZG)

Das Kurzzeitgedächtnis wandelt die rein physikalischen Informationen in sinnvolle

Wörter oder Bilder um. Dies ist ein aufwendiger Vorgang und deshalb kann es

gleichzeitig nur etwa sieben (plus/minus zwei) Informationen verarbeiten. Dass das

Kurzzeitgedächtnis nur über eine begrenzte Kapazität verfügt, soll das von Sandra

Aamondt und Samuel Wang in ihrem Buch „Welcome to your brain“ beschriebene

Experiment veranschaulichen: Versuchspersonen sahen sich ein Video an, in dem

sich drei Studierende in weißen Trikots einen Basketball zuspielten und sich

gleichzeitig weitere drei Studierende in schwarzen Trikots einen zweiten Basketball

zuspielten. Die Betrachter wurden aufgefordert, die Pässe des weißen Teams zu

zählen. In dem Moment, in dem sich die beiden Gruppen vermischten, lief eine

Person in einer Gorilla-Verkleidung quer durch die Spielszene. Direkt vor der Kamera

blieb sie kurz stehen und trommelte sich auf die Brust. Das Experiment ergab, dass

die Hälfte der Betrachter den “Gorilla “nicht wahrgenommen hatte, weil sie ganz auf

das Zählen der Spielpässe konzentriert waren (vgl. Aamondt/Wang 2008: 23). Im

Kurzeitgedächtnis angekommene Informationen werden höchsten zwei bis drei

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3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 22

Sekunden abgespeichert. Deshalb muss man eine Telefonnummer geistig mehrmals

wiederholen, um sie sich merken zu können. Das Kurzeitgedächtnis erfüllt zwei

Aufgaben: Einerseits vergleicht das im Kurzeitgedächtnis integrierte

Arbeitsgedächtnis die aus dem Ultrakurzeitgedächtnis eintreffenden Informationen

mit den im Langzeitgedächtnis abgespeicherten Inhalten, anderseits führt das lange

Vergleichen der ankommenden Informationen mit dem im Langzeitgedächtnis

gespeicherten Wissen zur Abspeicherung der neuen Informationen im

Kurzzeitgedächtnis. (vgl. Frick/Mosimann 2006:37ff)

3.1.3 Das Langzeitgedächtnis (LZG)

Die Übertragung der Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis führen, wie

bereits im Kapitel 2 beschrieben, zu einer Verstärkung neuronaler Verbindungen. Es

können nicht alle im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen erinnert

werden. Dieses passive Wissen wird erst wieder aktiv durch eine Wiederholung des

Gedächtnisinhaltes oder wenn es mit aktuellen Informationen verknüpft werden kann.

Dabei haben die Informationen die größte Chance erinnert zu werden, die mit

möglichst vielen anderen verknüpft (assoziiert) sind (vgl. Frick/Mosimann 2006: 39).

Das Langzeitgedächtnis besteht aus vielen „Schubladen“ oder „Modulen“ die über

den gesamten assoziativen Cortex spezifisch verteilt sind (vgl. Roth 2011: 110). Die

Gedächtnisinhalte werden je nach Art wie folgt abgespeichert (vgl. Roth 2011: 110ff):

- visuelle im assoziativen virtuellen Cortex

- auditorische im assoziativen auditorischen Cortex

- räumliche und taktile im somatosorischen Cortex

- sprachliche Inhalte in den Spracharealen des Cortex

In den jeweiligen Modulen werden die Inhalte nochmals in weitere Kategorien

aufgeteilt. Im visuellen Gedächtnis beispielsweise nach Farben, Formen, Gestalten

und Szenen. In den entsprechenden Unterkategorien erfolgt dann noch eine

spezifischere Konkretisierung. Darüber hinaus werden im Langzeitgedächtnis Inhalte

nach ihren Funktionen (z.B. Musikinstrumente, Werkzeug) und Erlebnisse nach

ihrem Zusammenhang mit bestimmten Orten abgespeichert (vgl. Roth 2011: 110).

Page 28: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 23

3.2 Das inhaltsabhängige Beschreibungsmodell

(vgl. Roth 2011: 103)

Dieses teilt das Gedächtnis in ein deklaratives (explizites) und in ein prozedurales

(impliziertes) Gedächtnis ein. Werden Inhalte bewusst gemerkt und können sie auch

gut beschrieben werden, wie etwa Vokabel oder Schulwissen, spricht man vom

deklarativen Gedächtnis. Prozedurales Gedächtnis liegt vor, wenn Inhalte eher

unbewusst gespeichert werden und sich diese nur schwer durch Worte beschreiben

lassen. Dazu gehören Gefühle oder eingeübte Handlungsabläufe wie beispielsweise.

Fahrradfahren und Schwimmen. (vgl. Roth 2011: 102ff)

3.2.1 Das deklarative Gedächtnis

Das deklarative Gedächtnis hat seinen Sitz in den Netzwerken des Neocortex. Es

wird nach dem estnisch-amerikanischen Gedächtnisforscher Endel Tulving

(vgl. Roth 2011: 103) unterteilt in ein episodisches Gedächtnis, ein Wissens- bzw.

Faktengedächtnis und in ein Bekanntheits- und Vertrautheitsgedächtnis. Das

Merkmal des episodischen Gedächtnisses ist das eigentliche „Sich-an-etwas-

erinnern-können“. Es gliedert sich in ein autobiographisches Gedächtnis und in ein

Quellengedächtnis. Das autobiographische Gedächtnis speichert die konkreten

Erlebnisse und Erfahrungen, die man selbst und mit anderen erlebt hat. Es wird auch

als Kontext-Gedächtnis bezeichnet, weil es sich mit dem zeitlichen, räumlichen und

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3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 24

inhaltlichen Kontext von Gedächtnisinhalten beschäftigt. Das Quellengedächtnis

speichert wann, wo und aus welcher Informationsquelle wir was erfahren haben.

(vgl. Roth 2011: 103ff)

Das Wissens- bzw. Faktengedächtnis speichert nur reines Wissen, ohne dass wir

uns daran erinnert können von wem, wann, wo und in welchem Zusammenhang wir

es erworben haben. (vgl. Roth 2011: 104)

Das Bekanntheits- oder Vertrautheitsgedächtnis ermöglicht uns das Wiedererkennen

von Objekten und Ereignissen. (vgl. Roth 2011: 104)

Episoden-, Fakten- und Bekanntheitsgedächtnis sind nicht strikt voneinander

getrennt, sondern ihr Übergang ist fließend, denn in einer Erinnerung sind immer

Anteile der einzelnen Gedächtnisse vermengt. (vgl. Roth 2011: 104ff)

3.2.2 Das prozedurale (implizite) Gedächtnis

Das prozedurale Gedächtnis, das einheitlicher als das deklarative Gedächtnis ist, teilt

man ein in: Fertigkeiten, Gewohnheiten, Priming (Wiedergabe von Wissen aufgrund

von Stichworten) und reflexartigen Formen des Lernens, wie Habituation und

klassische und operative Konditionierung. Das prozedurale Gedächtnis sitzt in

Gehirnstrukturen, die zu den Basalganglien, besonders des Strato-Pallidum,

gehören. „Die genauen neurobiologischen Mechanismen der Gedächtnisbildung im

prozeduralen Gedächtnis sind nicht bekannt“ (Roth 2011: 114). Die im prozeduralen

Gedächtnis gespeicherten Kapazitäten sind dem Bewusstsein gewöhnlich nicht

zugänglich, was bedeutet, dass der Zugriff darauf unbewusst geschieht. Es werden

Kenntnisse und Fähigkeiten gespeichert, die ihrem Wesen nach eher reflexartig als

reflektiv sind, wie zum Beispiel das Radfahren. Hat man es gelernt, denkt man nicht

mehr bewusst über die einzelnen Bewegungsabläufe nach, weil sie in Fleisch und

Blut übergegangen sind. Im prozeduralen Gedächtnis unbewusst Gespeichertes

lässt sich nicht mehr ins Bewusstsein rufen, was beweist, dass unbewusste geistige

Prozesse existieren. (vgl. Roth 2011: 105ff)

Zur Erforschung des Lernens ist das prozedurale Gedächtnis ideal, da es sich leicht

experimentell manipulieren lässt. Die Experimente von Iwan Pawlow und Edward

Thorndike machen uns nicht deklarative Lernprozesse verständlich.

(vgl. Squire/Kandel 2009: 24)

Page 30: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 25

nicht deklarative Lernprozesse

assoziatives Lernen nicht assoziatives Lernen

klassische und operative Konditionierung Habituation und Sensitivierung

(eigene Zeichnung)

Klassische Konditionierung

Bei ihr lernt ein Versuchstier über die Beziehung von zwei Reizen. Hat es gelernt,

einen Glockenklang mit dem Geschmack von Futter in Verbindung zu bringen, wird

der Speichelfluss auch nur beim Hören der Glocke ausgelöst.

(vgl. Squire/Kandel 2009: 24)

Operative Konditionierung

Bei ihr lernt das Versuchstier die Beziehung zwischen einem Reiz und seinem

Verhalten. So lernt es beispielsweise, das Drücken eines Hebels mit der Abgabe von

Futter zu assoziieren. (vgl. Squire/Kandel 2009: 24)

Habituation und Sensitivierung

Darunter versteht man, sich wiederholende und unwichtige Reize zu erkennen und

sie als bekannt zu ignorieren. So haben sich als Beispiel Städter an den Straßenlärm

gewöhnt, wachen aber auf dem Lande von dem Zirpen der Grillen auf. Durch

Habituation kann man sich an anfänglich ablenkende Geräusche gewöhnen, und

lernen sich selbst in einer lauten Umgebung zu konzentrieren.

(vgl. Squire/Kandel 2009: 25ff)

Im Gegensatz zur Habituation nimmt bei der Sensitivierung die Stärke der Reaktion

durch ständiges Wiederholen eines schädlichen oder bedrohlichen Reizes zu.

(vgl. Squire/Kandel 2009: 48)

Page 31: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

3 . D a s m e n s c h l i c h e G e d ä c h t n i s S e i t e | 26

3.2.3 Das emotionale Gedächtnis

Während man früher das emotionale Gedächtnis dem prozeduralen Gedächtnis

zugerechnet hat, muss man heute laut Roth „aus vielerlei Gründen das emotionale

Gedächtnis neben dem deklarativen und dem prozeduralen Gedächtnis als dritte

grundlegende Gedächtnisart behandeln“ (Roth 2011: 107). Im emotionalen

Gedächtnis werden Objekte oder Handlungen mit entsprechenden negativen oder

positiven Gefühlen, wie Angst, Freude und Lust, besetzt. Wiederholen oder ähneln

sich Handlungen, trifft man wieder auf dieselben oder ähnlichen Objekte, oder

geschieht dies in einem ähnlichen Kontext, werden die entsprechenden

gespeicherten Gefühle abgerufen und den Objekten oder Handlungen zugeordnet.

Das emotionale Gedächtnis besteht sowohl aus Teilen des deklarativen wie auch

des nicht deklarativen Gedächtnisses. Die Amygdala und das mesolimbische System

lassen sich als Hauptorte der unbewussten emotionalen Konditionierung lokalisieren.

Dabei können emotionale Erinnerungen der Art gefestigt werden, dass sich die

inhaltlich emotionale Bewertung auch dann nicht ändert, wenn gegenteilige

Erfahrungen gemacht werden. Hat man zum Beispiel mit einem Menschen schlechte

Erfahrungen gemacht, so fällt es einem später, selbst bei nunmehr positiv

gemachten Erlebnissen mit dieser Person, schwer, die negative emotionale

Einstellung zu revidieren. (vgl. Roth 2011: 106)

Wir kennen jetzt die Anatomie des Gehirns, verstehen wie Informationen verarbeitet

und in den verschiedenen Gedächtnisarten abgespeichert werden und können uns

nun mit diesem Wissen dem Thema Lernen zuwenden. In folgendem Kapitel sollen

zunächst die neurobiologischen Voraussetzungen des Lernens und die das Lernen

beeinflussenden Faktoren vorgestellt werden. Die Beschreibung der verschiedenen

Lerntypen erfolgt im Anschluss. Am Schluss werde ich mich mit dem Thema „Lernen

im Alter“ auseinandersetzen.

Page 32: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 27

4. Lernen

Das menschliche Gehirn ist kein Computer, das man einfach mit Wissen füttern kann

wie eine Festplatte. Aus der gewaltigen Flut von Informationen filtert es nur diejenige

heraus, die es als wichtig erachtet und von denen es sich etwas verspricht. Dass

dies nicht immer der Lehrstoff ist, liegt daran, dass Lernen immer ein

Bewertungssystem voraussetzt. Es müssen nämlich zwei Voraussetzungen erfüllt

sein, damit dieser erfolgreich abgespeichert wird: „Neuigkeit und Bedeutsamkeit“

(Spitzer 2009: 21). Nur durch ihr Vorhandensein kommt es zur Freisetzung von

Dopamin. Die damit verbundene körpereigene Belohnung sorgt für ein erfolgreiches

Lernen (vgl. Spitzer 2009: 183).

Das Gehirn ist durch seine hohe Plastizität für das Lernen prädestiniert. Jegliches

Lernen bedeutet aus neurologischer Sicht eine Veränderung der Stärke synaptischer

Übertragung (vgl. Spitzer: 277). Dadurch genügen immer schwächer werdende

Input-Reize, um immer stärkere Output-Reaktionen auszulösen (vgl. Medina 2009:

150). Bildlich gesehen gleicht Lernen einem Netz, das mit jedem Lernvorgang immer

engmaschiger wird (vgl. Frick/Mosimann 2006: 49). Je mehr man gelernt hat, desto

leichter fällt einem das weitere Lernen, denn Lernen bedeutet immer die

Verknüpfung von neuem mit bereits vorhandenem Wissen (vgl. Spitzer 2009: 283).

Beim ersten Lernen entstehen neue, das Gedächtnis kodierende, Dornen („spines“).

Die Dornen sitzen auf den Dendriten der Neuronen. Geraten die gelernten

Informationen in Vergessenheit, werden zwar die Synapsen abgeschwächt, die

Dornen hingegen bleiben erhalten. Die Auswirkungen dieser neurobiologischen

Tatsache auf das Gedächtnis werden von Ebbinghaus als „Ersparnis“ bezeichnet.

„Damit bezog er sich auf den Umstand, dass eine einmal gelernte Information

oder Fähigkeit, wie z.B. die Beherrschung einer Fremdsprache, selbst wenn

sie zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten ist, wesentlich leichter wieder

erlernt werden kann, als wenn das Lernen ganz von vorne beginnen müsste“

(Bonhoeffer/Gruss 2011: 74).

Page 33: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 28

4.1 Faktoren die das Lernen beeinflussen

Im Folgenden werde ich drei, für das Lernen wichtige Faktoren, Aufmerksamkeit,

Motivation und Emotionen, näher beschreiben. Zur Bedeutung dieser Faktoren für

den Lernerfolg schreibt Manfred Spitzer: „Wer beim Lernen aufmerksam, motiviert

und emotional dabei ist, der wird mehr behalten“ (Spitzer 2009: 139).

4.1.1 Aufmerksamkeit

Wie sehr man sich an einen bestimmten Lehrstoff erinnern kann, hängt davon ab,

wie viel Aufmerksamkeit ihm bei seiner Aufnahme geschenkt wurde (vgl. Medina

2009: 76). Unter Aufmerksamkeit versteht man aus neurologischer Sicht zwei

voneinander unabhängige Prozesse. Der eine wird als allgemeine Wachheit

(Vigilanz), der andere als selektive Aufmerksamkeit bezeichnet. (vgl. Spitzer 2009:

141ff)

Vigilanz ist ein zeitlicher Prozess und beschreibt „…einen quantitativ angebbaren

Zustand des Organismus, der von hellwach bis (im Extremfall), komatös reicht“

(Spitzer 2009: 141).Sie ist ein Teil des Bewusstseins und sorgt beim Lernen für die

Aktivierung des Gehirns.

Die selektive Aufmerksamkeit ist ein räumlicher Prozess, durch den die Gehirnareale

aktiviert werden, die die fokussierten Sacherhalte verarbeiten. Die selektive

Aufmerksamkeit kann mit einem Scheinwerfer verglichen werden, denn genau wie

bei einem Scheinwerfer kann sie sich jeweils nur auf ein Objekt richten. Sie ist ein

kognitiver Mechanismus, der einen befähigt, aus den pausenlos einströmenden

Informationen nur diejenigen herauszufiltern, die relevant sind. Nur durch dieses

Herausfiltern können sie überhaupt erst wahrgenommen werden. Irrelevante Inhalte

hingegen werden einfach ignoriert. Tests zeigten, dass die selektive Aufmerksamkeit

umso größer ist, je höher die Verarbeitung der Information im kortikalen Areal

angesiedelt ist. Die der selektiven Aufmerksamkeit zur Verfügung stehende Quantität

für die Informationsverarbeitung ist begrenzt. Wird für die Verarbeitung einer neuen

Information eine bestimmte Menge an Verarbeitungsquantität gebraucht, so wird

diese anderswo einfach abgezogen. Aus diesem Grunde kann man seine ganze

Aufmerksamkeit letztendlich immer nur auf eine Sache konzentrieren.

(vgl. Spitzer 2009: 143), (vgl. Roth 2011: 133)

Page 34: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 29

An Affen durchgeführte Experimente bewiesen die große Bedeutung von

Aufmerksamkeit für ein erfolgreiches Lernen: Nur durch die Kombination von Input

und Aufmerksamkeit entstanden neue kortikale Karten oder bereits vorhandene

Karten wurden verstärkt. Es ist folglich der Faktor Aufmerksamkeit, der diejenigen

Areale aktiviert, die für die entsprechenden Lerninhalte zuständig sind. Eine reine

„Bombardierung“ des Gehirns mit neuem Lernstoff nach der Methode des

„Nürnberger Trichters“, ohne dass dieser von Aufmerksamkeit begleitet wird, führt zu

keiner Veränderung von synaptischen Verbindungen, was bedeutet: es wird nicht

gelernt. (vgl. Spitzer 2009: 153)

4.1.2 Motivation

Motivation ist eine Voraussetzung für nachhaltige Lernprozesse. Hinter jedem

Lernziel verbirgt sich auch ein Grund, weshalb dieses erreicht werden soll. Dieser

Grund ist das Motiv. Aus dem Motiv entsteht der Antrieb das konkrete Ziel zu

erreichen, die sog. Motivation. Folglich sollte man sich immer über sein Lernziel im

Klaren sein, um diese erfolgreich zu realisieren. Wer beispielsweise eine

Fremdsprache erlernen will, sollte sich zuerst über seine Motive und Lernziele

bewusst werden. Diese können beispielsweise sein:

- man will in einem anderen Land Urlaub machen

- man will in ein anderes Land beruflich oder privat auswandern

- man will durch das Fremdsprachenlernen geistig fit bleiben will

- weil man sprachbegabt ist

- weil man im Ausland studieren will

- weil man sich für fremdsprachige Literatur interessiert

- weil es auf dem Stundenplan steht

- (vgl. Grein 2012: 99)

Motivation ist für das menschliche Handeln von so großer Bedeutung, dass sich eine

eigene wissenschaftliche Disziplin mit ihr beschäftigt: die Motivationspsychologie.

Jeder Mensch ist in seinem Handeln darauf ausgerichtet, dass es ihm unter den

gegebenen Umständen gut geht (Affektoptimierung). Negatives (Angst, Schmerzen)

hingegen soll vermieden werden. Das Streben nach Positivem wird als Appetenz,

das Vermeiden von Negativem als Aversion bezeichnet. Unser Motivationssystem

wird durch die Belohnungserwartung getrieben, was bedeutet: Es beruht auf der

Page 35: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 30

Annahme, dass sich durch die Wiederholung einer bestimmten Handlung erneut die

Belohnung einstellt. (vgl. Roth 2011: 81ff)

Im Gehirn existieren für positive Ereignisse zwei unterschiedliche Systeme: In dem

einen wird der Lustgewinn eines Ereignisses repräsentiert, das andere sorgt dafür,

dass das Ereignis erstrebenswert ist. (vgl. Roth 2011: 82)

Wie entstehen Motive im Gehirn?

Motive entstehen durch die Registrierung äußerer Reize im limbischen System.

Unbewusste Reize werden in der Amygdala und im mesolimbischen System,

bewusste Reize in corticalen limbischen Arealen, verarbeitet. Von dort wirken sie auf

unterschiedliche Weise auf die das Verhalten steuernden Zentren ein.

Bei den Motiven unterscheidet man zwischen biogenen Motiven und soziogenen

Motiven. Zu den biogenen Motiven gehören lebensnotwendige Bedürfnisse wie

Hunger, Durst und Sexualität. Zu den soziogenen gehören drei Motivbereiche:

Anschluss bzw. Intimität, Macht und Leistung (vgl. Roth 2011: 82ff). Im Folgenden

soll das Motiv Leistung näher beschrieben werden, da dieses Motiv für das Lernen

von Relevanz ist. Zum Leistungsmotiv wurde von dem Psychologen John Altkinson,

dass „Erwartung-mal-Wert-Model entwickelt“. Es besagt:

„dass das Ausmaß, in dem eine Person etwas in Angriff nimmt, dem

entspricht, wie ihre subjektive Einschätzung der Erfolgsaussichten ist und

welchen Wert das zu erreichende Ziel für die Person besitzt“

(Roth 2011: 84).

Demzufolge ist jemand bei geringen Erfolgsaussichten wenig motiviert, ein Ziel zu

erreichen. Aus diesem Grunde sollte der Lernstoff die Lernenden nicht überfordern.

Des Weiteren ist die Motivation gering, wenn das Ziel nicht als erstrebenswert

erachtet wird. (vgl. Roth 2011: 85)

Die bei einer Zielverfolgung erwartete Erfolgserwartung hängt von drei Faktoren ab:

- wie wird die eigene Kompetenz eingeschätzt

- wie ist die zeitliche und räumliche Erreichbarkeit des Zieles

- mit welchem Aufwand ist die Zielerreichung verbunden

- (vgl. Roth 2011: 85)

Page 36: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 31

Neben der Unterscheidung in biogene und soziogene Motive werden Motive in

intrinsische und extrinsische unterteilt. (vgl. Roth 2011: 86)

Ist eine Tätigkeit „selbstbelohnend“, liegt ein intrinsisches Motiv zugrunde. Diese

Selbstbelohnung kann sich in Spaß ausdrücken, wie man ihn etwa beim Lernen

erleben kann. Im Zusammenhang mit den intrinsischen Motiven wird der Begriff der

„Selbstwirksamkeit“ benutzt. Sie beschreibt die Fähigkeit eines Menschen etwas

Bestimmtes „richtig zu machen“. „Selbstwirksame Menschen zeigen Persistenz d.h.

eine Hartnäckigkeit bei der Verfolgung von Zielen, deren Erreichen eine hohe

Belohnung verspricht (Roth 2011: 19)“. Das Erreichen eines Zieles wird bei

„selbstwirksamen Menschen“ als Selbstbestätigung empfunden. Neben der

Persistenz gehört zur Selbstwirksamkeit die Realitätsorientierung, womit das richtige

Abschätzen, welcher Aufwand für welches Ziel gerechtfertigt ist, bezeichnet wird.

(vgl. Roth 2011: 90)

Zu den extrinsischen Motiven zählen materielle, aber auch immaterielle Motive, wie

das Streben nach Einfluss, Macht und Anerkennung. (vgl. Roth 2011: 87)

Im Gegensatz zu selbstwirksamen Menschen, die Aufgaben als eine

Herausforderung sehen, leiden Vermeider unter der Angst des Versagens. Während

Vermeider eigenen Erfolg eher als Zufall werten, schreiben selbstwirksame

Menschen ihren Erfolg ihrem Können und ihrem Einsatz zu. Misserfolge sieht der

Vermeider als Bestätigung seiner Unfähigkeit, wohingegen der Selbstwirksame

seinen Misserfolg mit seinem zu geringem Einsatz begründet. (vgl. Roth 2011: 91)

Intrinsische und extrinsische Motive besitzen einen großen Einfluss darauf, wie sich

Lernende dem Lernen gegenüber verhalten. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 8)

Lernende mit intrinsischen Motiven lernen aus eigenem Antrieb, denn sie sind

neugierig und optimistisch in ihrer Zielsetzung. Sie besitzen eine aktive und

reflektierende Haltung dem Lernen gegenüber. Lernen bereitet ihnen große Freude

und das Lösen von Aufgaben stellt für sie eine Herausforderung dar, der sie sich

gerne stellen. Neuen Lernstrategien gegenüber verhalten sie sich offen.

(vgl. Frick/Mosimann 2006: 8)

Lernende mit extrinsischen Motiven hingegen verhalten sich passiv dem Lernen

gegenüber und leisten Widerstand gegen Veränderungen ihrer Denkgewohnheiten.

Page 37: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 32

Sie empfinden beim Lernen keine Freude und fühlen sich sehr schnell überfordert.

Interesse am Lernstoff und strukturiertes Lernen sind ihnen fremd. Sie lernen nur

unter Zwang oder wenn ihnen eine Belohnung in Aussicht gestellt wird. Passiv

Lernende reflektieren ihr Lernen nicht und sind gegen eine Veränderung ihrer

Lernstrategien resistent. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 8)

4.1.2.1 Dopamin

Dopamin spielt im Zusammenhang mit Motivation eine wichtige Rolle, denn es

aktiviert das Belohnungssystem. Als Belohnung wird alles das bezeichnet, was einen

veranlasst das Verhalten zu wiederholen, das die Belohnung verursacht hat, wie z.B.

gutes Essen, Erfolg, Sex oder eine positive Gemeinschaft.

(vgl. Spitzer 2009: 177,180ff)

Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter, das allgemein auch als Glückshormon

bezeichnet wird. Die Begegnung mit Neuem führt zu Freisetzung von Dopamin.

Deshalb wird es auch „als Substanz der Neugier und des Explorationsverhaltens, der

Suche nach Neuigkeit (engl. novelty seeking behavior) bezeichnet“ (Spitzer 2009:

181). Dopamin weckt auf, weil es auf besonders interessante Situationen

aufmerksam macht. Es fördert das Lernen, weil sich durch Dopamin besondere und

neue Erfahrungen im Gehirn einprägen. Dopamin aktiviert, indem es die Muskeln

steuert, damit der Körper unseren Willen in die Tat umsetzen kann. Dopamin wird in

sog. dopaminerge Neuronen produziert. Diese befinden sich hauptsächlich in der

Substantia nigra und der benachbarten Hirnregion Area ventralis tegmantalis. Von

diesen beiden Kernen aus erstrecken sich Nervenäste, die das Dopamin in andere

Gehirnteile weiterleitet. Die Dopaminfreisetzung im Cortex führt zu einer Steigerung

des Denkvermögens. Im Nucleus accumbens führt die Dopaminfreisetzung zur

Ausschüttung von endogenen Opioide im frontalen Cortex, was zu einem subjektiven

Wohlgefühl führt. Die Erzeugung von Dopamin auf einen äußeren Reiz hängt davon

ab, wie hoch die Differenz zwischen erhaltener und vorausgesagter Belohnung

ausfällt: Die Dopaminneuronen zeigen eine Erregung, d.h. sie produzieren Dopamin,

wenn die Belohnung höher als erwartet ausfällt. Ist dagegen die Belohnung genauso

hoch oder sogar geringer als erwartet, reagieren die Dopaminneuronen nicht.

(vgl. Spitzer 2009: 182)

Page 38: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 33

Neben Dopaminneuronen gibt es noch andere, auf Belohnung reagierende

Neuronen im Gehirn. Diese haben ihren Sitz im Striatum, der Amydagla und im

orbitofrontalen Cortex. Ihre Aufgabe ist es, zwischen den einzelnen verschiedenen

Belohnungen zu unterscheiden, oder den Wert einer Belohnung festzustellen.

(vgl. Roth 2011: 44ff)

Wie wirkt Dopamin auf das Belohnungssystem?

Wie bereits beschrieben, führt die Dopaminfreisetzung im Frontalhirn zur Freisetzung

endogener Opioide. Neuere Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass Dopamin

das Belohnungssystem nicht selbst auslöst, sondern dieses mittels endogener

Opiate nur verspricht (vgl. Roth 2011: 157). Das damit entstandene Wohlgefühl wird

als Belohnungseffekt empfunden. Dieser spielt bei der Informationsverarbeitung eine

Art „Türöffner-Rolle“ (vgl. Spitzer 2009 180):

„die Verhaltenssequenz bzw. das Ereignis, was zum besser- als- erwartet

Resultat geführt hat, wird weiter verarbeitet und dadurch mit höherer

Wahrscheinlichkeit abgespeichert. Wir können auch sagen: es wird etwas

gelernt“ (Spitzer 2009: 181).

Dabei wird jedoch nicht alles gelernt, sondern nur das, was für uns positive

Konsequenzen hat.

4.1.3 Emotionen

Emotionen haben einen großen Einfluss auf das Lernen, denn einerseits fördern

positive Emotionen das Lernen, andererseits verhindern negative Emotionen ein

erfolgreiches Lernen. (vgl. Spitzer 2009: 157)

Durch die Gehirnforschung weiß man, dass das Gehirn nicht nur rationalen Gründen

gehorcht, sondern auch stark von Emotionen beeinflusst wird. Emotionen werden oft

unterstellt, sie würden die Fähigkeit vernünftige Entscheidungen zu treffen

beeinträchtigen. Emotionen jedoch sind wichtig bei Entscheidungen, denn man kann

sich bei den meisten Urteilen im Leben nicht nur auf die Logik stützen, weil die zur

Verfügung stehenden Informationen oft unvollständig oder mehrdeutig sind. Deshalb

sollte man sich bei vielen Entscheidungen auf sein Bauchgefühl (Intuition) verlassen,

denn „Emotionen helfen uns beim Zurechtfinden in einer komplizierten und immer

komplizierter werdenden Welt“ (Spitzer 2009: 171).

Page 39: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 34

Die Schwierigkeit Emotionen neurowissenschaftlich zu untersuchen, liegt daran,

„…dass es bis heute keine allgemeine akzeptierte Theorie der Emotionen gibt

(Spitzer 2009: 157)“. Emotionen lassen sich zumindest verbindlich in ihrer Stärke

(wenig oder viel) und in ihrer Wertigkeit (positiv oder negativ) einteilen. Ein

wesentlicher Bestandteil des emotionalen Systems ist der sich im Stirnlappen

befindliche orbifrontale Cortex. Dort wird das Sozialverhalten gesteuert, indem

Verhaltensweisen bewertet werden und danach die entsprechenden sozialen

Gefühle (z.B. Schuld, Scham, Stolz) dem Verhalten zugewiesen werden. Ein weiterer

Bestandteil des emotionalen Systems ist die Amygdala, die nicht nur

Angstreaktionen hervorruft, sondern auch sehr schnell auf positive Reize reagiert.

Die Amygdala ist zuständig für die Konzentration auf emotional wichtige Ereignisse.

Der größte Teil der Emotionen wird von mehreren unspezifischen Hirnregionen

erzeugt. (vgl. Spitzer 2009: 34,157)

Bei emotionaler Erregung wird Adrenalin ausgeschüttet, das den Sympathikus

anregt. Der Sympathikus ist ein Teil des Kampf- oder Fluchtreflex steuernden

sympathischen Nervensystems. Er leitet die Informationen an die Amygdala und dem

Hippocampus weiter. Diese sind an der Gedächtnisbildung beteiligt, denn durch

deren Aktivierung kommt es zur Verstärkung synaptischer Plastizität, was bedeutet:

es wird gelernt. Ereignisse, die in einem emotionalen Kontext stehen, werden besser

behalten. So können sich heutzutage noch viele Menschen genau daran erinnern,

womit sie in dem Moment beschäftigt waren, als sie von den Anschlägen auf das

World Trade Center in New York erfuhren. (vgl. Spitzer 2009: 35,158)

Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass der emotionale Kontext in dem

etwas gelernt wird, Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung hat. So wurden in einer

Untersuchung Probanden Bilder gezeigt, die positive, negative oder neutrale

Reaktionen hervorriefen. Mit dem jeweiligen Bild wurde ein zu merkendes, neutrales

Wort eingeblendet. Das Ergebnis zeigte, dass diejenigen Wörter am besten wieder

gegeben werden konnten, die in einem positiven Kontext gezeigt worden waren.

(vgl. Spitzer 2009: 166)

Des Weiteren konnte bewiesen werden, dass je nach emotionalem Kontext

verschiedene Hirnregionen beim Lernen beteiligt sind:

- Bei positiv emotionalem Kontext wird der Hippocampus aktiviert.

Page 40: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 35

- Bei negativ emotionalem Kontext wird die Amygdala aktiviert.

- Bei neutral emotionalem Kontext wird der frontale Cortex aktiviert.

- (vgl. Spitzer 2009: 166)

Der Zusammenhang zwischen Gedächtnisleistung und emotionaler Beteiligung

bestätigte auch folgende Untersuchung: Die Verabreichung von Beta-

Rezeptorenblocker, einem Medikament, das Puls und Blutdruck senkt und dadurch

die emotionale Erregung verringert, bewirkte ein Nachlassen des

Erinnerungsvermögens. (vgl. Spitzer 2009: 159)

4.1.3.1 Angst

Unter Angst kann man zwar schnell lernen, jedoch verhindert sie die für ein

erfolgreiches Lernen erforderliche Verknüpfung von neuem mit bereits im Gehirn

abgespeichertem Wissen. (vgl. Spitzer 2009: 161)

Angst war bei unseren Vorfahren ein wichtiger Teil der Überlebensstrategie. Wer ein

verdächtiges Geräusch in einem Gebüsch wahrnahm, war gut beraten, sich schnell

zu entscheiden, ob er fliehen („flight“) oder kämpfen („fight“) sollte, denn für lange

Überlegungen blieb oft keine Zeit. Verspürt der Mensch Angst, kommt es zu

körperlichen Reaktionen. Zu diesen gehören ein schnellerer Puls, ein höherer

Blutdruck und eine verstärkte Muskelspannung. Diese körperlichen Reaktionen

werden durch Stresshormone ausgelöst, die im Körper Energiestoffe (z.B. Glukose)

freisetzen. Aber nicht nur auf den Körper wirkt sich Angst aus, sondern auch auf die

Art des Denkens und des Lernens. Hat der Mensch Angst, so steht das Gehirn unter

dem besonderen Einfluss der Amygdala. Einerseits sorgt sie dafür, dass

unangenehme Erfahrungen gelernt und zukünftig vermieden werden. Wer sich

beispielsweise als Kind die Hand am Herd verbrannt hat, wird nie mehr eine heiße

Herdplatte berühren. Anderseits führt die Aktivität der Amygdala zu einem Denkstil,

in dem nur das Entkommen vor den Ursachen der Angst in Vordergrund steht. Durch

diesen Tunnelblick werden einfache Lösungswege gesucht und bevorzugt. Kreatives

und freies Denken dagegen werden blockiert. Manfred Spitzer zitiert hierzu Fiedler in

seinem Buch „Lernen“:

„eine ganze Reihe von Befunden spricht dafür, dass Angst einen bestimmten

kognitiven Stil produziert, der das rasche Ausführen einfacher gelernter

Page 41: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 36

Routinen erleichtert und das lockere Assoziieren erschwert.“ Fiedler (1999 zit.

in Spitzer 2009: 164)

Oft haben ältere Menschen Angst vor dem Lernen, weil Lernen auch die Angst

auslösende Begegnung mit Neuem und Unbekanntem bedeuten kann. Zusätzlich ist

es die Angst vor Veränderung, denn wer lernt, der verändert seine Identität. Gerade

weil sie in ihrer Persönlichkeit meistens stark gefestigt sind, können ältere Menschen

auch deshalb Angst vor dem Lernen haben. Kinder hingegen stehen Neuem

neugierig und offen gegenüber, weil sie noch in der Entwicklung ihrer Identität

stehen. (vgl. Spitzer 2009: 11ff,163ff)

4.1.3.2 Stress.

Jeansok Kim und David Diamond formulierten, welche Voraussetzungen gegeben

sein müssen, damit ein Mensch als gestresst bezeichnet werden kann:

Es muss eine messbare physiologische Erregungsreaktion vorliegen.

Der Auslöser des Stresses (Stressor) muss als unangenehm empfunden

werden.

Die Stresssituation muss als nicht beeinflussbar wahrgenommen werden.

(vgl. Medina 2009: 194)

Nicht jeder Mensch reagiert folglich auf eine bestimmte Situation mit Stress, denn die

Entstehung von Stress hängt von der jeweiligen subjektiven Bewertung der Situation

ab und ist immer eine Frage der Bewertung (vgl. Spitzer 2009: 173). Stress ist eine

normale Reaktion des Körpers und der Psyche auf gestellte Herausforderungen. Bei

Stress schüttet der Körper Stresshormone aus, die es einem ermöglichen, Antworten

auf die jeweilige Situation zu finden. Durch die Ausschüttung von Stresshormonen

kann sich der Körper blitzschnell an extreme Situationen anpassen. Stress ist somit

auch ein Teil unserer Überlebensstrategie. Zu den Stresshormonen gehören

Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol.(vgl. Roth 2011: 51)

Adrenalin wird im Nebennierenmark gebildet und direkt ins Blut ausgeschüttet. Es

fördert die Durchblutung durch Steigerung der Herzfrequenz und einer Erhöhung des

Blutdrucks. Zudem werden die Bronchien erweitert, sodass mehr Sauerstoff in die

Lungen gelangen kann. Die Freisetzung von Glukose erhöht den Muskeltonus und

die geistige Aktivität wird gesteigert. (vgl. Spitzer 2009: 169)

Page 42: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 37

Noradrenalin wird ebenfalls in den Nebennieren produziert. Seine Ausschüttung wirkt

sich blutdrucksteigernd aus. Neuroadrenalin ist nicht nur ein Hormon, sondern

gleichzeitig ein Neurotransmitter. Es erhöht die Aufmerksamkeit und

Reaktionsbereitschaft und wirkt anregend. (vgl. Grein 2012: 32)

Cortisol stellt dem Körper in Stresssituationen durch die Ingangsetzung spezieller

Stoffwechselvorgänge zusätzliche Energie zur Verfügung. (vgl. Spitzer 2009: 169)

Für ein optimales Lernen bedarf es eines gewissen Grades an Stress (vgl. Spitzer

2009: 171). Dieser für das Lernen optimale Stress wird als Eustress bezeichnet

(vgl. Grein 2012: 34ff). Bei dieser positiven Art von Stress befindet sich die Anregung

durch Stresshormone und die Hemmung durch die Neurotransmitter Serotonin und

GABA (Gamma-Aminobuttersäure) in einem Gleichgewicht. Serotonin wirkt

beruhigend und stimmungsaufhellend. GABA besitzt eine hemmende und

beruhigende Eigenschaft. (vgl. Roth 2011: 53ff)

Ist das Gleichgewicht durch zu viele anregende Hormone und Neurotransmitter nicht

mehr vorhanden, spricht man von Distress. Bei dieser negativen Art von Stress

nimmt die Leistungsfähigkeit beim Lernen stark ab.

Kommt der Körper durch ständigen Stress nicht mehr zur Ruhe, entsteht chronischer

Stress. Er ist eine der wesentlichen Ursachen moderner Zivilisationskrankheiten wie

Erkrankungen des Herz und Kreislaufsystems, Rückenleiden, Probleme des

Verdauungstraktes, Potenzprobleme und psychische Erkrankungen, wie z.B.

Depressionen. Chronischer Stress wirkt sich ebenfalls negativ auf das Lernen aus,

denn Neuronen des Hippocampus werden durch den ständig hohen

Stresshormonpegel geschädigt, was das Erinnerungsvermögen negativ

beeinträchtigt. Durch chronischen Stress wird dem Gehirn weniger Glukose

zugeführt. Dies vermindert die kognitive Leistungsfähigkeit. Des Weiteren verursacht

er neuronalen Zelltod, wodurch sich der Gehirnmasse verringert.

(vgl. Roth 2011: 52), (vgl. Spitzer 2009: 168,170ff)

Die Menge an Neurotransmittern, ob leistungssteigernde oder hemmende, hat dabei

nicht bei jedem Menschen die gleichen Auswirkungen. Je nach Lerntyp wird ein

anderer „Neurotransmitter-Cockail“ bevorzugt, sodass ein kurzer Blick auf die

unterschiedlichen Lerntypen geworfen wird.

Page 43: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 38

4.2 Lerntypen

Jeder Mensch verfügt über sein eigenes Lernmuster. Effektives Lehren und Lernen

verlangen, dass die dem jeweiligen Lerntyp entsprechenden Aufnahmekanäle und

Verarbeitungsmechanismen angesprochen werden. Die Kenntnis welcher Lerntyp

man repräsentiert hilft einem auf dem Weg zum optimalen Lernen.

Man unterscheidet Lerntypen nach ihrem bevorzugten Wahrnehmungssinn und nach

ihrem Lernstil.

4.2.1 Lerntypen nach bevorzugtem Wahrnehmungssinn.

„Grundlage für das Lernen ist die Wahrnehmung durch die Sinne“ (Kilp 2010: 26).

Beim Lernen gebrauchen wir unsere Sinne und durch diese gelangt der Lernstoff in

unser Gehirn. Beim Menschen sind die Sinnesorgane unterschiedlich stark

ausgeprägt. Je nach dem welches stärker ausgeprägt ist, unterscheidet man

zwischen primär auditiven, stark visuellen und primär kinästetisch-haptischen

Lerntypen. Bei dieser Lerntypenbestimmung handelt es sich nur um Tendenzen,

denn bei einer Informationsaufnahme sind immer mehrere Sinne beteiligt. Deshalb

sollte man, unabhängig davon welcher Lerntyp man ist, möglichst viele Sinne beim

Lernprozess mit einbeziehen. Je mehr Sinne am Lernprozess beteiligt sind, desto

höher ist die Erinnerungsquote. In dem Buch „Spiele für den

Fremdsprachenunterricht“ von Eloide Kilp wird dies bestätigt, denn der Mensch

behält:

„20% von dem, was wir nur hören,

30% von dem, was wir nur sehen,

50% von dem, was wir hören und sehen,

70% von dem, was wir sowohl hören als auch sehen und darüber zusätzlich

diskutieren

und 90%, wenn wir das, was wir hören und sehen und worüber wir

diskutieren, auch selbst tun“ (2003: 27).

Page 44: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 39

Die einzelnen Lerntypen im Überblick (vgl. Kilp 2010: 26ff):

Der primär auditive Lerntyp

Er lernt am besten über das Hören, denn gehörte Informationen können leicht

aufgenommen, behalten und wieder gegeben werden. Akustische Mittel wie

beispielsweise Lernkassetten sind eine geeignete Lernunterstützung. Ebenso fördert

lautes Lesen der Lerntexte das Lernen. Da Selbstlesen viel Konzentration erfordert,

sind Hörbücher für den auditiven Lerntyp optimal geeignet. Beim Lernen sollte auf

ablenkende Musik verzichtet werden, da der auditive Lerntyp sehr anfällig für

störende Geräusche ist.

Der stark visuelle Lerntyp

Er lernt am besten durch Betrachten und Beobachten. Da der visuelle Lerntyp das

Lesen bevorzugt, sollte er im Unterricht mitschreiben. Komplizierte Inhalte sollte er

sich durch Zeichnungen und Skizzen verständlich machen. Ideales Lernmittel für den

visuellen Lerntyp sind Karteikarten, vor allem für das Vokabellernen. Bilder,

Diagramme, Mind-maps und auf große Poster zusammengefasster Lernstoff

unterstützen das Lernen.

Der primär haptisch-motorische Lerntyp

Er lernt am besten, wenn er am Lernprozess direkt beteiligt wird. Durch dieses

„learning by doing“ können eigene Erfahrungen gesammelt und eigenständige

Schlussfolgerungen gezogen werden. Der haptisch-motorische Lerntyp kann sich am

besten an Informationen erinnern, die er durch Bewegung, Handeln und Fühlen

aufgenommen hat. Für ihn ist es wichtig, zuerst das große Ganze erfassen zu

können, bevor auf die einzelnen Aspekte eingegangen wird. Er sollte mit

Lernmaterialien arbeiten, die er anfassen kann. Dazu gehören beispielsweise.

Experimentierkästen und Modelle. Scrabble-Steine eignen sich ideal zum Erlernen

von Vokabeln und Grammatik. Der haptisch-motorische Lerntyp sollte sich beim

Lernen bewegen. Das Lernen in einer Gruppe oder mit Hilfe von Rollenspielen ist für

ihn vorteilhaft.

Wer seinen Lerntyp kennt und dies beim Lernen entsprechend berücksichtigt, kann

effektiver und nachhaltiger Informationen aufnehmen und verarbeiten.

Page 45: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 40

Beim Herausfinden, welcher Lerntyp man ist, hilft der im Internet unter: www.stangl-

taller.at zu findende HALB-Test.

4.2.2 Lerntypen nach Lernstil

Phasen des Erfahrungslernens nach Kolb (vgl. 1981, 235)

Die Lerntypen nach Lernstil (nach D. A. Kolb) bauen auf einem Lernkreis auf, der aus

vier Schritten besteht. Zunächst werden am Anfang eines Lernprozesses konkrete

Erfahrungen gemacht. Danach wird über diese Erfahrungen reflektiert. Bei der

abstrakten Konzeptionalisierung wird das Grundkonzept, das hinter den Erfahrungen

steht, abstrahiert, das bedeutet, der Lernende erstellt seine individuelle Hypothese

über die Zusammenhänge der gemachten Erfahrungen. Im nächsten Schritt wird

seine aufgestellte Hypothese in einer neuen Situation getestet, um derer Richtigkeit

zu überprüfen. Nach Kolb müssen für einen erfolgreichen Lernprozess alle vier

Schritte durchlaufen werden. Demnach sollte der Lernende für ein erfolgreiches

Lernen über folgende Lernfähigkeiten verfügen (vgl. Kilp 2010: 33ff):

Er muss bereit sein, schon möglichst früh konkrete Erfahrungen in dem

entsprechenden Lernbereich zu machen.

Er muss die gemachten Erfahrungen beobachten und über sie reflektieren

können.

Page 46: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 41

Er muss in der Lage sein, die hinter den Beobachtungen stehenden Regeln zu

abstrahieren und sie zu verinnerlichen.

Er muss durch eigenes Tun den Wahrheitsgehalt der gefundenen Regeln

überprüfen können. Erst durch die dabei gewonnene Erkenntnis, dass Theorie

und Praxis übereinstimmen, ist der Lernprozess abgeschlossen.

Anhand dieses Lernkreises lassen sich je nach Stärke in den verschieden

Lernphasen vier verschiedene Lerntypen herauskristallisieren (vgl. Kilp 2010: 35ff):

Der Divergierer (Initiator)

Er bevorzugt beim Lernen konkrete Erfahrungen und reflektierendes Beobachten.

Der Divergierer betrachtet konkrete Situationen aus mehreren Blickwinkeln und

besitzt über eine große Vorstellungskraft. Wegen seiner hohen sozialen Kompetenz

ist er in besonderem Maße an seinen Mitmenschen interessiert. Kulturellem ist er

ebenfalls gerne zugewandt. Den Lernstil des Divergierers bevorzugen Geistes- und

Gesellschaftswissenschaftler.

Der Assimilierer (Theoretiker)

Er lernt durch Analysieren und logisches Denken. Der Theoretiker durchdenkt Ideen

und stellt Theorien auf. Anstatt sich mit Personen zu befassen beschäftigt er sich

lieber mit abstrakten Konzepten. Diesen Lernstil findet man bei Mathematikern und

Naturwissenschaftlern.

Der Konvergierer (Spezialist)

Er hat eine Vorliebe für abstrakte Begriffsbildung und aktives Experimentieren. Der

Spezialist wendet am liebsten bereits vorhandene Ideen in die Praxis um. Er

beschäftigt sich bevorzugt mit Dingen oder zu überprüfenden Theorien. Diesen

Lernstil bevorzugen Ingenieure.

Der Akkomodierer (Macher)

Er lernt am besten durch die praktische Umsetzung der Theorie, wobei persönliche

Erfahrungen integriert werden. Für diesen Lerntyp sind Bewegung und Fühlen von

Bedeutung. Problemlösungen werden nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum

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4 . L e r n e n S e i t e | 42

angegangen. Für diese Lerntypen sind einzelne Fakten wichtiger als Theorien. An

seinen Mitmenschen hat er ein besonderes Interesse. Dieser Lernstil ist vor allem im

Verkauf und Marketing verbreitet.

4.3 Lernen im Alter

Die Leistungsfähigkeit des Gehirns lässt mit dem Älterwerden unweigerlich nach.

Gründe hierfür sind die spezifischen Veränderungen in der Struktur und der Funktion

des Gehirns. Diese führen zu einer Verminderung der Gedächtnisleistung und der

Exekutivfunktion. Unter Exekutivfunktion verstehen Neurologen all diejenigen

Fähigkeiten, die es einem ermöglichen, das für eine bestimmte Situation adäquate

Verhalten auszuwählen, und sich auf Aufgaben konzentrieren zu können

(vgl. Aamodt/Wang 2008: 126). Ein Nachlassen der Exekutivfunktion zeigt sich in

einer Verminderung der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Reaktionszeit

und der Orientierungsfähigkeit. Das Nachlassen der Gedächtnisleistung hängt mit

einem sich mit zunehmendem Alter verkleinernden Hippocampus zusammen. Der für

das Kurzeitgedächtnis und die Exekutivfunktion zuständige präfrontale Cortex

schrumpft ebenfalls (vgl. Aamodt/Wang 2008: 126). Für die Schrumpfung von

Hippocampus und präfrontalen Cortex ist nicht das Absterben von Neuronen

ursächlich, sondern ausschließlich deren Schrumpfung. Im alternden Gehirn nimmt

die Zahl der synaptischen Verbindungen ab und die synaptische Plastizität

verlangsamt sich (vgl. Aamodt/Wang 2008: 129). Die Geschwindigkeit der

Informationsübertragung reduziert sich durch das Dünnerwerden der Myelinhülle, die

die Axone umgibt, und das Weiterleiten elektrischer Impulse beschleunigt. Die

Abnahme der Myelinhülle kann mit Hilfe der P300-Welle physikalisch gemessen

werden. P300 ist eine Welle des hirnelektronischen Potenzials. Je früher sie auftritt,

desto schneller ist die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit. Mit jedem Lebensjahr

tritt die P300-Welle zwei Millisekunden später auf. (vgl. Spitzer 2009: 281ff)

Mit zunehmendem Alter verringert sich die Ausschüttung von Neurotransmitter, wie

beispielsweise Acetylcholin, Dopamin, Serotonin und Noradrenalin.

(vgl. Grein 2012: 118)

Auch die Art der Intelligenz verändert sich mit zunehmendem Alter. Intelligenz kann

unter anderem in fluide und kristalline Intelligenz unterteilt werden. Fluide Intelligenz

zeichnet sich durch geistige Flexibilität, kreative Anpassungsfähigkeit, Kombinations-

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4 . L e r n e n S e i t e | 43

und Auffassungsgabe aus. Charakteristische Eigenschaft der kristallinen Intelligenz

ist ihr Basieren auf gelerntem Wissen und gemachten Erfahrungen. Dadurch können

Zusammenhänge leicht erkannt und bekannte Aufgaben schnell gelöst werden.

(vgl. Roth 2011: 49). Das Erlernen einer Fremdsprache wird durch die kristalline

Intelligenz erleichtert, da auf ein bereits vorhandenes Sprachwissen zurückgegriffen

werden kann. Ältere Menschen lernen zwar langsamer, aber durch ihr größeres

Wissen können neue Inhalte leichter integriert werden. Manfred Spitzer bestätigt

diesen Zusammenhang: „je mehr man weißt, desto besser kann man neue Inhalte

mit bereits vorhandenem Wissen in Verbindung bringen“ (Spitzer 2009: 283). Ab dem

25. Lebensjahr nimmt die fluide Intelligenz kontinuierlich ab (vgl. Grein 2012: 132).

Die kristalline Intelligenz hingegen bleibt bis ins hohe Alter konstant, sie kann sich

durch Lebenserfahrung sogar noch steigern. (vgl. Grein 2012: 121ff)

Mit dem Älterwerden geht eine Verschlechterung der Sinneswahrnehmungen einher:

-Hören: Im Vergleich zu einem 20-Jährigen beträgt die Hörfähigkeit beim einem 60-

Jährigen noch 80 Prozent und bei einem 70-Jährigen noch 70 Prozent. Betroffen

davon sind besonders die höheren Lautfrequenzen. Weil ältere Menschen bei

Hintergrundgeräuschen Probleme beim richtigen Hören haben, sollte der Unterricht

in Räumen mit guter Akustik abgehalten werden. Zudem sollte der Lehrer für eine

ruhige Atmosphäre im Unterricht sorgen und laut und deutlich sprechen.

(vgl. Grein 2012: 134ff)

-Sehen: die Verschlechterung der Sehleistung bei älteren Menschen kann durch

entsprechende Sehhilfen ausgeglichen werden. Dem Nachlassen der

Helligkeitsempfindlichkeit und damit verbundenen Verringerung der

Kontrastwahrnehmung kann durch Verwendung von entsprechenden, sich vom

jeweiligen Hintergrund abhebenden, Schreibmittel, Rechnung getragen werden.

(vgl. Grein 2012: 138)

Die Emotionen verändern sich ebenfalls mit zunehmendem Alter. Die Häufigkeit

negativer Emotionen nimmt mit den Jahren stetig ab, bis sie mit dem 60. Lebensjahr

ihren Tiefststand erreicht haben. Die positiven Emotionen hingegen bleiben gleich

stark, was für ein optimales Lernen im Alter förderlich ist.

(vgl. Aamodt/Wang 2008: 131)

Page 49: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 44

Bei älteren Menschen verändert sich die Hirnfunktion. So werden bei gleicher

Aufgabenstellung bei Älteren zur Lösung andere Hirnregionen aktiviert als bei

Jüngeren. Zudem benutzen ältere Menschen bei geistiger Aktivität Bereiche in

beiden Hemisphären des Gehirns statt nur in einer. Eine mögliche Erklärung könnte

sein, dass dadurch das Nachlassen der Leistungsfähigkeit des Gehirns kompensiert

wird. So wurde mittels Untersuchungen im Kernspintomographen festgestellt, dass

bei Menschen, die erst in späteren Lebensjahren eine Fremdsprache erlernt hatten,

für jede einzelne Sprache ein separates neuronales Netzwerk vorhanden war.

Wohingegen bei Menschen mit früher Zweisprachigkeit sowohl für die Muttersprache,

als auch für die Fremdsprache, nur ein einziges neuronales Netz existierte

(vgl. Aamodt/Wang 2008: 105ff).

Zwar kommt es durch die Veränderung der Gehirnstruktur zu einer teilweisen

Abnahme kognitiver Leistungsfähigkeit, es gibt aber auch Funktionen, die durch das

Älterwerden nicht beeinträchtigt werden. Dazu gehören die Sprachkenntnisse und

das Begriffsvermögen (vgl. Aamodt/Wang 2008: 129). Gerade durch die

Unveränderlichkeit der Sprachkenntnisse bietet sich das Erlernen einer

Fremdsprache besonders im Alter an, weil dabei viele Gehirnareale gleichzeitig

beansprucht werden und dadurch das Gehirn fit gehalten werden kann.

(vgl. Grein 2012: 114,130)

Wie können diese neurologischen Erkenntnisse im Unterricht mit älteren

Teilnehmenden umgesetzt werden?

- Aufgrund der langsameren Informationsverarbeitung und der verringerten

Gedächtnisleistung (Behalten und Abrufen) sollten des Öfteren

Wiederholungen im Unterricht eingebaut werden. Auch sollte das

Unterrichtstempo entsprechend angepasst sein.

- Um mehrere Gehirnbereiche beim Unterrichten gleichzeitig anzuregen, sollte

die Vermittlung des Lernstoffs über mehrere Sinneskanäle erfolgen. Dafür ist

insbesondere der Einsatz von Spielen geeignet.

- Der Unterricht sollte ritualisiert und strukturiert aufgebaut werden, weil ältere

Menschen meist in ihrer Persönlichkeit stark gefestigt sind. So sollte am

Anfang des Unterrichts immer eine Begrüßung stehen, gefolgt von einer

kurzen Wiederholung der letzten Stunde und einer Vorschau auf den neuen

Page 50: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

4 . L e r n e n S e i t e | 45

Lehrstoff. Der Unterricht sollte mit einer kurzen Zusammenfassung des

behandelnden Themas beendet werden. (vgl. Grein 2012: 141)

Ein wichtiger Faktor das Gehirn im Alter fit zu halten, ist Sport, getreu der

lateinischen Redewendung „mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in

einem gesunden Körper). (vgl. Aamodt/Wang 2008: 128)

Die positive Wirkung von regelmäßigem Sport auf das Gehirn konnte durch

zahlreiche Untersuchungen bestätigt werden (vgl. Aamodt/Wang 2008: 128ff):

- Auf die gesamte Lebenszeit betrachtet kann das Demenzrisiko halbiert

werden.

- Das Risiko in den Siebzigern an Alzheimer zu erkranken, verringert sich bei

Menschen, die im mittleren Alter beginnen regelmäßig Sport zu treiben, um

über 60 Prozent. Selbst wer erst mit 60 Jahren damit anfängt, kann das Risiko

noch um 50 Prozent senken.

- Sport fördert das physische Wohlbefinden, denn die Ausschüttung der drei

Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin wird angeregt.

- Molekularbiologische Untersuchungen belegten, dass durch Sport die

Produktion von BDNF („brain-derived neurotrophic factor“) im Gehirn gefördert

wird. Wie bereits im Kapitel „Gehirn“ beschrieben, unterstützt BDNF das

Wachstum und die Neuvernetzungen von Neuronen. Vor allem die Zellen des

Hippocampus, der unter anderem eine wichtige Rolle für das Gedächtnis -und

Erinnerungsvermögen spielt, profitieren von einer verstärkten BDNF-

Ausschüttung.

- Durch Sport wird die Bildung neuer kleiner Blutgefäße (Kapillargefäße) im

Gehirn angeregt. Durch die verbesserte Blutversorgung gelangen mehr

Nährstoffe und Sauerstoff ins Gehirn.

Es war mein Anliegen, mittels der ersten vier Kapitel Grundkenntnisse der

Gehirnforschung und Lernpsychologie zu vermitteln. Im 5.Kapitel soll anhand von

Beispielen gezeigt werden, wie dieses Wissen erfolgreich in die Praxis des Lehrens

und Lernens umgesetzt werden kann.

Page 51: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 46

5. Beispiele für gehirngerechtes Lehren und Lernen

Im folgenden Kapitel werden die konkreten Umsetzungen aus den vorherigen

Kapiteln zusammengefasst und daraus Kriterien für ein gehirngerechtes Unterrichten

und Lernen abgeleitet.

5.1 Wiederholungen

Wie in dem 2.Kapitel dargelegt, arbeitet das Gehirn nach dem Prinzip der neuronalen

Vernetzung. Dabei „halten sich die neuronalen Verbindungen an die bekannte

Weisheit: Übung macht den Meister“ (Aamodt/Wang: 2008). Eingehende

Informationen werden entweder mit bereits vorhandenen Strukturen vernetzt, oder es

werden neue Strukturen gebildet. Dabei führt die Häufung vieler ähnlicher

Aktivierungsmuster zu einer Vergrößerung des entsprechenden Gehirnareals, weil

durch die kontinuierliche Wiederholung das Gehirn die Information als bedeutsam

bewertet. Jede Wiederholung erleichtert die nächste, weil durch ständiges

Repetieren immer stärkere synaptische Verbindungen geschaffen werden und

deshalb das Gehirn auf bereits geringste Auslöser reagiert, um das Gelernte

abzurufen.

Gerhard Roth schreibt im Bezug auf die Bedeutung des Wiederholens: „neben

Intelligenz, Motivation und Fleiß ist das systematische Wiederholen des Stoffes A

und O des Lernens“ (Roth 2011: 306).

Der optimale Zeitpunkt für die erste Wiederholung des Lernstoffs ist nach zehn

Minuten, weil danach der Höhepunkt der Erinnerung erreicht ist. Durch die erste

Repetition bleibt die Information vollständig erhalten. Weitere Wiederholungen sollten

in Zeitabständen von einem Tag, einer Woche, einem Monat und einem Jahr

erfolgen. (vgl. Roth 2011: 306ff)

Ideal für Wiederholungen sind Lernkarteien. Mit ihrer Hilfe können vor allem

Vokabeln, Fachbegriffe oder die wichtigsten Punkte eines Themas so lange

wiederholt werden, bis man sie fehlerfrei beherrscht. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 32)

Am Anfang des Unterrichts sollte der durchgenommen Stoff der letzten Stunde kurz

wiederholt werden. Im weiteren Stundenverlauf sollte dann des Öfteren der neue

Lernstoff wiederholt und am Ende nochmals ausführlich zusammengefasst werden.

Weitere Wiederholungen sollten am nächsten Tag, in einer Woche, in einem Monat,

Page 52: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 47

erfolgen, damit der Lehrstoff erfolgreich im Langzeitgedächtnis abgespeichert wird

(vgl. Roth 2011: 306ff). Um die positive Wirkung von Wiederholungen zu nutzen,

sollte aus meiner Erfahrung nach, in Tests nicht nur der aktuelle Lernstoff geprüft

werden, sondern auch länger zurückliegende Themen. Dadurch werden die

Lernenden gezwungen, den gesamten Lernstoff ständig zu wiederholen.

5.2 Verknüpftes Lernen

Eine gute Technik Informationen dauerhaft im Gedächtnis ab zu speichern, ist das

verknüpfte Lernen (Assoziationslernen). Dabei wird der Lehrstoff mit vorhandenem

Wissen verknüpft, denn „je tiefer ein Inhalt verarbeitet wird, desto besser bleibt er im

Gedächtnis“ (vgl. Spitzer 2009: 9).Diese Verknüpfung kann erfolgen durch

Ähnlichkeiten ( ein Tor ist eine große Tür), Kontrasten (hell-dunkel), Reime (sieben,

fünf, drei, schlüpft Rom aus dem Ei), bildliche Vorstellungen (die Form Italiens gleicht

einem Stiefel) oder Eselsbrücken („Taschentuchknoten“).

(vgl. Kilp 2010: 18), (vgl. Frick/Mosimann 2006: 46)

5.3 Strukturierter Input

Lernen gelingt am besten durch strukturierten Input. Um die Datenflut bewältigen zu

können, muss das Gehirn Wichtiges von Unwichtigen unterscheiden und Kategorien

bilden. Dabei können nur strukturierte Informationen sofort in die entsprechenden

Kategorien eingeordnet werden. Dadurch wird optimales Lernen erreicht, denn

Wissen im Gehirn zu verankern, ist ein Einordnungsprozess. Dieser

Einordnungsprozess ist bei chaotischem Input nicht möglich, weil durch das Fehlen

von Regelmäßigkeit kein für das Lernen wichtiges Erkennen der hinter dem Lehrstoff

stehenden Regeln stattfinden kann. (vgl. Spitzer 2009: 453), (vgl. Roth 2011: 302)

5.4 Mehr Sinne anregen

Im Unterricht und beim Lernen sollten mehrere Sinne gleichzeitig stimuliert werden,

denn:„die Behaltensquote steigt mit der Anzahl der am Lernprozeß beteiligten Sinne“

(vgl. Kilp 2010: 27). So konnte beispielsweise in einem Experiment das visuelle

Wahrnehmen durch das gleichzeitige Verbinden mit Berührung verstärkt werden (vgl.

Medina 2009: 234ff). Diesen Effekt, dass durch den Einsatz mehrere Sinne generell

die Fähigkeit steigt, Reize wahrzunehmen, bezeichnet man als multimodale

Verstärkung. Die vorteilhafte Verbindung von vielfältigen Sinneseindrücken und

Page 53: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 48

Lernen konnte mit folgendem Test nachgewiesen werden: Das

Erinnerungsvermögen bei Probanden, die Informationen sowohl akustisch als auch

visuell erhielten war größer als bei Probanden, die die Informationen entweder nur

akustisch oder visuell erhielten (vgl. Medina 2009: 235). Andere Tests zeigten, dass

sich die Fähigkeit zu Problemlösungen um bis 75 Prozent steigern ließ, wenn die

Informationen multisensorisch präsentiert wurden. (vgl. Medina 2009: 236)

Multisensorische Reize verbessern deshalb den Lernerfolg, weil sie im Augenblick

des Lernens die Codierung verstärken (vgl. Medina 2009: 243).

Der Kognitionspsychologe Richard Mayer hat aus seinen Untersuchungen fünf

Leitsätze für die Wirkung multimedialer Präsentation, bezogen auf Hören und Sehen,

entwickelt (vgl. Medina 2009: 238ff):

- Multidiaprinzip: Man lernt besser mit Wörtern und Bildern als nur mit Wörtern.

- Prinzip der zeitlichen Nähe: Man lernt besser, wenn Wörter und Bilder

gleichzeitig und nicht nacheinander gezeigt werden.

- Prinzip der räumlichen Nähe: Man lernt besser, wenn zusammenhängende

Wörter und Bilder räumlich dicht beieinander gezeigt werden.

- Kohärenzprinzip: Man lernt besser durch das vermeiden unwesentlicher

Inhalte.

- Modalitätsprinzip: Man lernt besser aus Animation und mündliche

Erzählungen als aus Animation und geschrieben Text.

Um Lerninhalte als multisensorische Erlebnisse zu gestalten, eignen sich Spiele

(Kapitel 6) hervorragend.

5.5 Selbst tun

Gemachte Erfahrungen prägen sich besser ins Gedächtnis ein als reine Theorie.

Deshalb sollte der Unterricht handlungsorientiert sein. Lernende sollten konkrete

Erfahrungen durch selbst tun und ausprobieren machen, denn jede gemachte

Erfahrung verändert die Stärke der Synapsen um ein kleines Stück. Sich durch einen

hohen Grad an Selbstorganisation auszeichnende Lernangebote ermöglichen den

Lernenden, sich ihre eigene Denkstruktur zu konstruieren.

Kolp (1981, 235ff, zit. in Kilp 2010: 33), (vgl. Roth 2011: 281)

Page 54: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 49

5.6 Die richtige Haltung zum Lernen einnehmen

Wer mit einer aktiven Haltung lernt, lernt erfolgreicher und ist geistig leistungsfähiger

als jemand, der dem Lernen gegenüber eine passive Haltung einnimmt. Beim Lernen

sollte man sich die nicht die demotivierende Frage stellen „Was muss ich tun?“,

sondern sich durch die Frage „Was ist mir wichtig?“ der Herausforderung stellen.

Lernen sollte also stets ein aktiver und kein passiver Vorgang sein.

(vgl. Frick/Mosimann 2006: 8)

5.7 Aktive Teilnahme am Unterricht

Um sich auf den Unterricht besser konzentrieren zu können, sollte man sich aktiv an

ihm beteiligen, indem man aufmerksam zuhört und bei Verständnisschwierigkeiten

immer wieder Rückfragen stellt. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 17)

5.8 Geschichten

„Geschichten treiben uns um, nicht Fakten“ (Spitzer 2009: 35). Geschichten

wecken Emotionen und diese wirken sich positiv auf das Lernen

aus. Geschichten helfen, den Lehrstoff im großen Gesamtzusammenhang

darzustellen. Durch in Geschichten eingebundene Lerninhalte entstehen

Verbindungen zwischen episodischem Gedächtnis und Faktengedächtnis, was das

Erinnern von Fakten erleichtert (vgl. Roth 2011: 105). Zudem lockern sie den

Unterricht auf. (vgl. Spitzer 2009: 35,453)

5.9 Immer zuerst das große Ganze

Das Gehirn verarbeitet Informationen hierarchisch, denn es bevorzugt das

Wesentliche vor den Einzelheiten. Dies entspricht der normalen Funktionsweise des

Gedächtnisses: „Gespeichert wird nicht eine realitätsgetreue Aufzeichnung des

Erlebnisses, sondern das, was sie für den Kern der Sache hält“ (Medina 2009: 89).

Im Unterricht sollte deshalb zuerst das große Ganze vermittelt und danach zu den

Details übergegangen werden. Nur dadurch können Inhalte durch Verknüpfung

besser behalten werden.

Page 55: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 50

5.10 Schlaf

Ungestörter und ausreichender Schlaf ist eine absolute Voraussetzung für

erfolgreiche Lernprozesse, denn „Schlafdefizit=Denkdefizit“ (Medina 2009: 182). Im

Schlaf werden vom Hippocampus vorläufig gespeicherte Inhalte in das

Langzeitgedächtnis (Cortex) übertragen. Dabei fungiert der Hippocampus „als Lehrer

des Kortex“ (Spitzer 2009: 125). Es findet eine off-line Nachverarbeitung

(„postprocessing“) des Gelernten statt, indem im Tiefschlaf die im Hippocampus

frisch gelernten Inhalte erneut aktiviert und abermals dem Cortex übermittelt werden.

(vgl. Spitzer 2009: 123ff))

5.11 Regelmäßige Erfolgserlebnisse schaffen

Zur Erhaltung der Motivation gerade bei großen kognitiven Herausforderungen

sollten diese in kleine Arbeitsschritte unterteilt werden. So entstehen durch das

Erreichen von Teilzielen regelmäßige Erfolgserlebnisse, was wiederum dazu

motiviert, das nächste Lernziel zu erreichen. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 12)

5.12 Sich über seine Lernmotive und -ziele im Klaren sein

Wer zum Beispiel eine Fremdsprache erlernen will, sollte sich über seine

Beweggründe und Lernziele bewusst sein. Nur wer seine Motive kennt, kann die für

ein erfolgreiches Lernen notwendige Motivation zur Erreichung seiner Lernziele

entwickeln. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 8ff)

5.13 Das Lernplateau verstehen

Quelle:: Buzan, Kopftraining (1984)

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5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 51

Lernfortschritte erfolgen nicht linear, sondern schubweise. Beim Lernen gibt es

Phasen mit großen Lernfortschritten und solche, während denen es scheinbar keine

Fortschritte zu geben scheint. Obiges Schaubild illustriert dies:

Phase 1: Am Anfang ist der Lernerfolg mühsam, weil man sich zuerst mit den

neuen Lerninhalten vertraut machen muss.

Phase 2: Der Lernerfolg steigt stetig an, weil einem jetzt die Inhalte vertraut sind.

Die Zunahme des Lernerfolgs motiviert zusätzlich, neue Lernziele zu

erreichen.

Phase 3: Im weiteren Verlauf des Lernens wird häufig das sogenannte

Lernplateau erreicht. Auf diesem stagniert der Lernerfolg und es können

keine Lernfortschritte mehr festgestellt werden. Dies kann

demotivierend sein, zumal bereits erlernte Inhalte sogar wieder

vergessen werden.

Phase 4: Das Lernplateau wird überwunden und der Lernerfolg macht wieder

Fortschritte. Das wiederum motiviert dazu, das angestrebte Lernziel,

das volle Verständnis für den Lernstoff, zu erreichen.

Das Lernplateau ist ein lernbiologisch notwendiger Vorgang, weil in dieser Phase,

durch Veränderung der synaptischen Verbindungen, neue Strukturen im Gehirn

gebildet werden. Das Wissen um diesen lernbiologischen Vorgang unterstützt den

Lernenden bei der Erreichung seines Lernziels, indem er sich nicht durch den

stagnierenden Lernfortschritt demotivieren lässt. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 53)

5.14 Unterrichtspausen einlegen

Unser Kurzzeitgedächtnis kann nur eine begrenzte Menge an Informationen

aufnehmen. Müssen zu viele Informationen verarbeitet werden, so werden sie

einfach verdrängt .Da es sich zudem nur drei bis fünf Minuten konzentrieren kann,

sollte der Lehrer spätestens nach fünf Minuten eine kurze Unterrichtspause einlegen.

Dafür eignet sich eine Wiederholung des aktuellen Lehrstoffs, ein kleiner Scherz oder

die Vorschau auf den weiteren Stundenverlauf. (vgl. Roth 2011: 133,301), (vgl.

Medina 2009: 96ff)

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5 . B e i s p i e l e f ü r g e h i r n g e r e c h t e s L e h r e n u n d L e r n e n S e i t e | 52

5.15 Pausen beim Lernen machen

Quelle: Mantel, Effizienter lernen (1980)

Pausen sollten beim Lernen eingelegt werden, damit das Gehirn Zeit

(Nachwirkzeit) für Einprägungsprozesse hat. Lernt man dagegen ohne Pausen,

so hat das Gehirn keine Ruhe für das nötige „Nachwirken-lassen“. Dies hat zur

Folge, dass der neue Lehrstoff das Einprägen des zuvor Gelernten ganz oder

teilweise verhindert (rückwirkende Hemmung) und des Weiteren der neue

Lehrstoff durch das Nachwirken des zuerst gelernten, nicht eingeprägt werden

kann (vorauswirkende Hemmung. (vgl. Frick/Mosimann 2006: 45

Spiele bieten eine gute Möglichkeit zur Wiederholung. Sie fördern das Lernen,

denn durch die beim Spielen gemachten Erfolgerlebnisse (positive Gefühle) wird

Dopamin ausgeschüttet. Des Weiteren wird die Motivation gesteigert und Lernen

wird zu einem multisensorischen Erlebnis. Aus diesen Gründen werde ich im

folgenden Kapitel auf den Sinngehalt von Spielen im Sprachunterricht eingehen.

Page 58: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

6 . S p i e l e i m S p r a c h u n t e r r i c h t S e i t e | 53

6. Spiele im Sprachunterricht

In soziale Situationen eingebundene Lernprozesse sind effektiver (vgl. Roth 2011:

281), denn: „Menschliches Lernen vollzieht sich immer schon in der Gemeinschaft,

und gemeinschaftliche Aktivitäten bzw. gemeinschaftliches Handeln ist

wahrscheinlich der bedeutsamste „Verstärker“ (Spitzer 2009: 181).

Aus neurowissenschaftlicher Sicht stellen Spiele vergleichbare Herausforderungen

an das Gehirn wie der Spracherwerb, denn beim Spielen werden ebenfalls immer

gleichzeitig mehrere Gehirnareale aktiviert (vgl. Kilp 2010: 31,53). Beim Spielen

gelangen Informationen über mehrere Sinneskanäle in das Gehirn (mehrkanaliges

Lernen). Dadurch werden eine weitreichende Verknüpfung und damit ein

erleichtertes Wiederfinden der aufgenommenen Informationen ermöglicht. „Spielen

ist die natürliche, neurophysiologisch verankerte Lerntechnik, die demnach sowohl

bei Kindern als auch bei Erwachsenen funktioniert“ (Kilp 2010: 45). Obwohl der

pädagogische Nutzen von Spielen erwiesen ist, gibt es immer noch Vorurteile gegen

deren Einsatz im Unterricht, denn: „noch immer halten viele Lehrkräfte das Spiel für

eine wenig seriöse Lernform - falls man dem Spiel überhaupt Lernpotenzial zubilligt -

deren Wert man sich noch am ehesten für Motivation und Entspannung anerkennt“

Klippel (1983, zit. in Kilp 2010: 16).

Aber auch der Mangel an Spielerfahrungen der Lehrenden, die Ungewissheit der

Akzeptanz vor allem bei Erwachsenen und ein enger Unterrichtsplan sind weitere

Gründe, weshalb Spiele als geeignetes Lernmittel der Fremdsprachenvermittlung

noch keinen festen Platz im Unterricht gefunden haben (vgl. Kilp 2010: 65). Aber

nicht nur Lehrer stehen dem Einsatz von Spielen skeptisch gegenüber. Gerade bei

Erwachsen stößt die Anwendung von Spielen auf Widerstand, obwohl es

wissenschaftlich erwiesen ist, dass Kinder deshalb erfolgreicher lernen, weil sie es

spielerisch tun (vgl. dazu Kilp 2010: 47) Gründe für die Ablehnung sind:

- Spiele werden von Erwachsenen oft als „Kinderei“ abgetan.

- Für Erwachsene gehören Spiele nicht in den Unterricht, sondern in die

Freizeit.

- Erwachsene denken zweckgebunden und befürchten, sich beim Spielen

bloßzustellen.

(vgl. Kilp 2010: 42, 65)

Page 59: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

6 . S p i e l e i m S p r a c h u n t e r r i c h t S e i t e | 54

Wegen den zu erwartenden Widerständen Erwachsener gegen den Einsatz von

Spielen im Unterricht sollte, aus eigenen gemachten Erfahrungen, der Begriff „Spiel“

vermieden werden. Geeignete Umschreibungen sind zum Beispiel: „kommunikative,

lernmethodische oder praktische Übung“.

6.1 Welchen Nutzen haben Spiele im Sprachunterricht?

- um den Unterricht aufzulockern

- um bekanntes Wissen zu wiederholen und dadurch zu festigen

- um das Gelernte aktiv anzuwenden

- um den Spielteilnehmern ihren jeweiligen Wissensstand aufzuzeigen, denn

der Lernerfolg ist immer ein Teil des Spielerfolgs

- um Regeln intuitiv zu erfahren

- um schwierige Lehrsätze leichter vermitteln zu können (Spiele als Katalysator

für Lernprozesse)

- um den Lernerfolg zu fördern, denn Spiele steigern die Motivation und regen

emotional an

- um Aufmerksamkeit zu erwecken

- um die Konzentrationszeit zu verlängern

- um eine entspannte Lernatmosphäre zu schaffen, durch die Angst und

Hemmungen abgebaut werden

- um nach Misserfolgen wieder aufzumuntern

- um leichter in den Unterrichtsstoff einzusteigen

- um das Kennenlernen zu erleichtern (Spiele als „Eisbrecher“)

- um als Gruppe leichter zusammen zu wachsen

- um soziale Kompetenz zu fördern

- um Spannungen und Konflikte abzubauen

(vgl. Kilp 2010: 47ff,96)

6.2 Wie sollte sich der Lehrer beim Spielen verhalten?

- Er sollte als Motivator die Kursteilnehmer zum Spielen ermutigen.

- Er sollte die Rolle des Spielleiters einnehmen.

- Er sollte in der Funktion des Beobachters und Schiedsrichters das Spiel leiten.

- Er sollte als Moderator korrigierend in das Spiel eingreifen.

- Er sollte als Berater für Fragen der Spielteilnehmer fungieren.

Page 60: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

6 . S p i e l e i m S p r a c h u n t e r r i c h t S e i t e | 55

- Er sollte am Ende des Spiels eine Fehleranalyse durchführen.

(vgl. Kilp 2010: 97ff)

6.3 Geeignete Spiele für den Fremdsprachunterricht

Für den Fremdsprachenunterricht geeignete Spiele lassen sich u.a. wie folgt

kategorisieren:

- Sprachlernspiele:

„das Spiel in der Form des Lernspiels besitzt einen anerkannten Wert in der

Pädagogik, auch in der Erwachsenenbildung“ (Kilp 2001: 65).

Sprachlernspiele sind Spiele, die eine eng umrissene, deutliche sprachliche

Zielsetzung haben. Nach Kilp sind Sprachlernspiele „keine Methode, sonder

ein Lehr- und Lernmittel in der Methodenvielfalt“ (Kilp 2001: 15). Bei ihnen

steht neben der spielerischen Handlung die Festigung sprachlicher

Fertigkeiten (Verfestigungslernen) im Vordergrund. Sprachlernspiele sollten in

Bezug zu dem jeweiligen Unterrichtsstoff stehen und leicht spielbar sein.

Zu den Sprachlernspielen gehören:

Brett-, Karten- und Würfelspiele, Rate-, Assoziations- und Erinnerungsspiele,

Vokabel-, Sprech-, Lese- und Schreibspiele

Löffler (1979: 36, zit. in Kilp 2010: 101ff)

Darstellende Spiele:

Bei ihnen wird die Fremdsprache mittels Spielens einer Szene oder eines

Sketches gelernt. Des Weiteren kommen Theaterspiele und Dialoge zum

Einsatz.

- Löffler (1979: 36, zit. in Kilp 2010: 101ff)

- Interaktionsspiele:

Bei diesen Spielen stehen sprachliche und außersprachliche Interaktionen

(Wechselbeziehung zwischen Personen) im Vordergrund. Zu ihnen gehören

Rollen-, Simulations- und Kooperationsspiele.

- Löffler (1979: 36, zit. in Kilp 2010: 101ff)

Page 61: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

S c h l u s s b e m e r k u n g S e i t e | 56

Schlussbemerkung

Ziel meiner Hausarbeit war aufzuzeigen, wie Erkenntnisse der Gehirnforschung in

die Praxis des Lehrens und Lernens umgesetzt werden können. Mir war durchaus

bewusst, dass zu einem optimalen Lernprozess mehr gehört als nur das Wissen über

die Anatomie und die Funktionsweise des Gehirns. Jedoch gibt es durchaus

Erkenntnisse der Gehirnforschung, die ein erfolgreicheres Lehren und Lernen

unterstützen können. Wie diese Unterstützung in der Praxis aussehen kann, wurde

von mir anhand mehrerer Beispiele beschrieben. Zuvor erläuterte ich zum besseren

Verständnis unseres Gehirns dessen Anatomie und Funktionsweise. Anschließend

behandelte ich folgende Themen:

- die Informationsverarbeitung im Gehirn

- die verschiedenen Gedächtnisformen, wobei speziell das Langzeitgedächtnis

für Lernprozesse von großer Bedeutung ist

- die unterschiedliche Lebensdauer von Gedächtnisinhalten

- die grundlegende Bedeutung von Aufmerksamkeit, Motivation und Emotionen

für erfolgreiche Lernprozesse

- die verschiedenen Lerntypen nach Wahrnehmungssinn und Lernstil

- die spezifischen Lernbedingungen älterer Menschen

Im letzten Kapitel wurde der pädagogische Nutzen von Spielen im

Fremdsprachenunterricht beschrieben.

Ich hoffe, durch meine Hausarbeit Interesse für die Neurodidaktik geweckt zu haben,

denn es „ist unbestritten, dass die Neurowissenschaften das naturwissenschaftliche

Fundament für die Psychologie des Lehrens und Lernens schaffen können“

(Roth 2011: 283).

Als Anhang werde ich ein von mir speziell für das Wiederholen von Verben

modifiziertes Spiel vorstellen.

Page 62: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

B i b l i o g r a p h i e S e i t e | 57

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Page 64: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

A n h a n g S e i t e | 59

Anhang

Eines der von mir für den Fremdsprachenunterricht modifizierten Spiele ist das

Würfelspiel „Parqués“. Es wird in Südamerika gespielt und ähnelt dem „Mensch

ärgere Dich nicht“. Dieses Spiel eignet sich speziell zum Wiederholen von Verben.

Die Spielschritte im Einzelnen:

1.Schritt:

Da nur bis zu vier Teilnehmer gleichzeitig spielen können, teile ich die Klasse in

entsprechende Gruppen ein. Jede Gruppe erhält ein Spiel.

2.Schritt:

Jede Spielgruppe bekommt eine Liste mit 67 regelmäßigen Verben ausgehändigt.

Die von 1-67 durchnummerierten Verben werden jeweils von den entsprechenden

weiß unterlegten Spielfeldnummern repräsentiert. So steht beispielsweise das

Spielfeld mit der Nummer 3 für das an dritter Stelle aufgelistete Verb.

3.Schritt:

Jeder Mitspieler erhält eine individuelle Liste mit neun durchnummerierten,

unregelmäßigen Verben, die von den farbigen neun Spielfeldern (farbiger Pfeil,

einschließlich dem grauem Spielfeld) repräsentiert werden.

4.Schritt:

Jedem Spielteilnehmer wird eine Spielfarbe zugewiesen.

5.Schritt:

Gespielt wird mit zwei Würfeln. Um auf die Ausgangsposition zu gelangen, müssen

mit zwei Würfeln identische Zahlen gewürfelt werden. Danach würfelt der Spieler mit

einem Würfel weiter, um vorrücken zu können. Das Spiel verläuft im Uhrzeigersinn.

Hat der Spieler ein Spielfeld erreicht, ordnet er dessen Nummer dem

entsprechenden regelmäßigen Verb auf der Liste zu. Nachdem dieses richtig in die

Zielsprache übersetzt worden ist, muss ein zweites Mal gewürfelt werden. Die dabei

erhaltene Zahl steht für ein Pronomen, beispielsweise die Zahl 4 für „wir“. Das zuvor

übersetze Verb ist entsprechend zu konjugieren.

Page 65: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

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6.Schritt:

Erreicht der Spieler eines der farbige Spielfelder (farbiger Pfeil) wird nun unter

Verwendung der Liste mit den unregelmäßigen Verben das Spiel entsprechend bis

zur Erreichung des Spielziels (farbiges Dreieck) weitergespielt.

Bei falscher Übersetzung oder Konjugation muss eine Würfelrunde ausgesetzt

werden.

Page 66: Gehirngerechtes Lehren und Lernen

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Erklärung:

Hiermit versichere ich an Eides statt und durch meine Unterschrift, dass die

vorliegende Arbeit von mir selbstständig, ohne fremde Hilfe angefertigt worden ist.

Inhalte und Passagen, die aus fremden Quellen stammen und direkt oder indirekt

übernommen worden sind, wurden als solche kenntlich gemacht. Ferner versichere

ich, dass ich keine andere, außer der im Literaturverzeichnis angegebenen Literatur

verwendet habe. Diese Versicherung bezieht sich sowohl auf Textinhalte sowie alle

enthaltenen Abbildungen, Skizzen und Tabellen. Die Arbeit wurde bisher keiner

Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.

Stadt/Datum/Unterschrift…………………………………………………