Geistiges Leben 2008-1

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    Vom Reich Gottes und der geistigen WiedergeburtVom Reich Gottes und der geistigen Wiedergeburt

    Zur Frage der OrgantransplantationZur Frage der Organtransplantation

    Die drei Grade der LebensvollendungDie drei Grade der Lebensvollendung

    Gerhard Tersteegen, ein MystikerGerhard Tersteegen, ein Mystiker

    Erleuchtung im Durchbruch des NichtsErleuchtung im Durchbruch des Nichts

    Der Stille das Wort redenDer Stille das Wort reden

    Sieben SegnungenSieben Segnungen

    Der Geist eines Mrders im JenseitsDer Geist eines Mrders im Jenseits

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    SPENDENKONTEN

    Baden-Wrttemb. Bank AG Bietigheim-BissingenKto.: 7818500173 BLZ: 60050101BIC: SOLADEST IBAN: DE27 6005 0101 7818 5001 73

    Postgiro Stuttgart Kto. 9096-705 BLZ 600 100 70Kreisspark. Miesbach/Tegernsee Kto. 430 203 240 BLZ 711 525 70Creditanstalt Bankv. Graz (A) Kto 01873 312 101 BLZ 12 000Postscheckkonto Basel (CH) Kto. 80-50414-3

    IMPRESSUM

    Herausgeber: Lorber-Gesellschaft e.V.Verwaltungsanschrift: Postfach 114

    83731 Hausham / DeutschlandTel.: 08026-8624 / Fax: 08026-3294

    E-Mail-Anschrift: [email protected]: www.Lorber-Gesellschaft.deSchriftleitung: Klaus W. KardelkeRedaktion: Angelika Penkin, Michael Nolten

    INHALT

    Stille sein S. 2Klaus W. Kardelke Editorial S. 3Jakob Lorber Vom Reich Gottes und der geistigen Wiedergeburt S. 5Michael Nolten Zur Frage der Organtransplantation S. 11

    Jakob Lorber Die drei Grade der Lebensvollendung S. 20Manfred Rompf Gerhard Tersteegen, ein Mystiker S. 22Jakob Lorber Von der wahren Nchstenliebe S. 29Jakob Lorber bung der Gottes- und Nchstenliebe S. 30Werner Krebber Erleuchtung im Durchbruch des Nichts S. 31Nikolaus Brantschen Der Stille das Wort reden S. 37Willigis Jger Kontemplation, was ist das? S. 39Otto Hillig Sieben Segnungen S. 40C. S. Lewis Stetiges Jetzt S. 43

    Hirt des Hermas ber das vertrauensvolle Gebet S. 44Jakob Lorber Ein gutes Gebetlein S. 45Jakob Lorber Gebet des Herzens S. 46Sundar Singh Der Geist eines Mrders im Jenseits S. 47

    Weisheitsgeschichten S. 49Wilfried Schltz Kreation und Evolution S. 51

    Veranstaltungen S. 54

    Mit Namen des Verfassers versehene Beitrge mssen nicht mit der Auffassung der

    Schriftleitung bereinstimmen.Die Zeitschrift erscheint zweimonatlich auf freiwilliger Spendenbasis.

    Beitrge richten Sie bitte an die Schriftleitung.

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    Jahrgang 28 2008 Heft 1

    - Zeitschrift im Geiste christlicher Mystik -

    Gott ist in Sich ein Geist von hchster Weisheit und hat denallertiefsten und lichtvollsten Verstand und ist die ewige

    Wahrheit selbst. Wer also zu Gott wirksam beten will, der

    muss im Geiste und in der Wahrheit beten.Im Geiste und in der Wahrheit aber betet der, der sich in dasstille Liebekmmerlein seines Herzens begibt und darinnen

    Gott anbetet und anfleht.

    Gott, der alle Herzen und Nieren durchforscht, wird auch ineure Herzen um so mehr schauen und gar wohl erkennen,wie und um was ihr betet und bittet, und wird euch auchgeben, um was ihr also wahrhaft im Geiste und in der

    Wahrheit gebetet habt.

    (Gr.Ev.Joh. Bd.7, Kap.85,17)

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    2 GL 1/2008Stille sein

    Stille sein

    Ach Gott,ich mchte stille seinbis ins tiefste Herz hinein.

    Nicht sagen ja, nicht sagen nein,nichts wnschen gro, nichts wnschen klein

    nein, stille, stille, stille sein,ja, stille, stille, stille sein!

    Ach Gott,siehe, ich will stille sein,

    still in der Freude hellem Schein,still in des Kreuzes schwerster Pein.

    Ob's Herze lacht,ob's Auge weint,

    tief drinnen will ich stille sein,tief drinnen will ich stille sein!

    Ach Gott,komm, hilf mir, still zu sein,

    still, wie das Gold in Feuerspein,still, dass du mich kannst machen rein,

    bis still dein Bild in mir erschein.So hilf mir, Herr, dir stille sein,so hilf mir, Herr, dir stille sein

    Ja, ich darf stille sein,in Gottes Willen ruhen fein.

    Er fhrt mich stille aus und ein,

    er fhrt mich stille aus und ein.Wohl mir, ich darf ja stille sein,wohl mir, ich darf ja stille sein!

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    EditorialAm Anfang eines Jahres machen wir uns den einen oder

    anderen guten Vorsatz oder setzen uns das ein oder anderegute Ziel, das wir in diesem Jahr erreichen wollen.

    Einen guten Rat fr das neue Jahr gibt uns der Herrselbst, wenn Er zu uns spricht: Fasset in euren Herzenden unbeugsamen Vorsatz, nach Meinen Worten ttig zuwerden und (ttig) zu bleiben!(Gr.Ev.Joh. Bd.9; Kap. 213,17)

    Bleibet fortan diesem eurem Vorsatz getreu, und lassetihn nicht verdrngen von den Anreizungen dieser Welt, so werdet ihrbleiben in Mir und Ich in euch!(Gr.Ev.Joh. Bd. 10, Kap. 90,02)

    Vorstze und Ziele sind gut, wenn wir ihnen treu bleiben und siebeharrlich verfolgen. Erst unsere Ziele geben unserem Leben eine Rich-tung, denn wer sein Ziel kennt, findet den Weg. Ohne Lebensziele jedochirren wir nur umher, denn wenn wir nicht wissen, wohin wir wollen,drfen wir uns nicht wundern, wenn wir ganz woanders ankommen.

    Als Christen bemhen wir uns tglich mehr oder weniger den Weg derNachfolge Christi zu gehen und Ihn immer als Ziel vor unserenHerzensaugen zu bewahren, so wie der Psalmist spricht: Ich habe den

    HERRN allezeit vor Augen(Ps.16,8). Denn schlielich ist Jesus der Wegder Liebe, den wir als seine Nachfolger zu wandeln haben, um das Zielder allzeitigen Gegenwart Gottes, der Gotteskindschaft oder das ReichGottes im Menschenherzen, zu erlangen.

    Jesus, die ewige Liebe, ist somit Weg und Ziel zugleich und wenn wirachtsam diesen Weg der Liebe beschreiten, werden wir feststellen, dasswir schon am Ziel angekommen sind, denn dieses ist ja die Liebe selbst.

    Mir sind alle Wege wohl bekannt. spricht der Herr, Und Ich bin

    der nchste und krzeste Weg Selbst! Wer darauf wandeln wird, derwird das rechte Ziel nicht verfehlen ewiglich! Denn wen Ich fhre, derhat wahrlich einen sicheren Geleitsmann. Und wer auf Meinen Wegenwandelt, der verfolgt ein sicheres Ziel, ja ein Ziel, das ein Ziel aller Zieleist. Denn Ich bin der Wegweiser, der Weg und das ewige, lebendige Ziel

    Selbst! (Himmelsgaben1, S.271,2)Also nicht unsere eigenen Ziele und guten Vorstze, nicht unsere

    eigenen Wege werden uns letztendlich zum Ziel der Gotteskindschaftfhren und mgen sie noch so gut und christlich sein. Denn nicht was wir

    selbst fr unser Leben erstreben, bringt uns das Heil unserer Seele, sondernwas Gott fr unser Leben will, ist entscheidend und diesem gilt es auch indiesem Jahr immer wieder nachzuspren und nachzuwandeln.

    Editorial

    Klaus W. KardelkeGeschftsfhrender

    Vorsitzender derLorber-Gesellschaft

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    4 GL 1/2008Editorial

    Allzu oft aber meinen wir, zu wissen, was der Wille Gottes in unseremLeben sei, doch schon im Alten Testament heit es:

    Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind

    nicht meine Wege, spricht der HERR.(Jes. 55,8)Also mssen unsere Gedanken ber das, was Gott mit uns vorhat, nichtunbedingt im Einklang stehen, mit dem, was Gottes Gedanken ber unssind.

    Es bedarf somit einer stndigen Selbsterforschung, inwieweit wir nochdem nachfolgen, zu dem wir aufgebrochen sind oder inwieweit wir unsschon in unseren eigenen Gedanken und frommen Vorstellungen verlaufenhaben, in der Meinung mit diesen unserem Herrn nachzufolgen.

    Die einzige Bedingung und das einzige Ziel unseres Erdenlebens ist diegeistige Wiedergeburt, d.h. die Einung unseres gttlichen Geistes mitunserer gefallenen Seele durch die Liebe zu Gott und die ttige Nchsten-liebe, wie es uns der Herr sagt: Die Wiedergeburt des Geistes ist dieeinzige Bedingung dieses Erdlebens, wie das Endziel alles freien Seins.

    Diese aber kann ohne den hinreichenden Wrmegrad Meiner Liebe ineuch nicht erfolgen. (Himmelsgaben 2; S. 65)

    Wenn wir dieses Ziel stndig vor Augen htten und alle unsereAbsichten, Gedanken und Handlungen allezeit in Liebe zu Gott und zum

    Nchsten ausrichten wrden, wre das Erreichen unseres Lebenszieles indurchaus greifbare Nhe gerckt.

    Doch wenn wir ehrlich sind und unser alltgliches Leben betrachten,werden wir feststellen, dass wir den berwiegenden Teil unserer Lebens-zeit mit Gedanken, Dingen und Taten ausfllen, die diesem Ziel wenigoder gar nicht entsprechen und uns eher am geistigen Fortkommen aufunserem Lebensweg hindern. Doch nur wer den Weg beharrlich

    fortwandelt, der erreicht auch das Ziel.(Saturn 45,11)

    Der Herr selbst ist Weg und Ziel und somit ist der Weg auch das Ziel.Wenn wir Ihn ganz in Liebe ergreifen, sind wir schon auf dem sicherenWeg und werden erkennen, dass wir eigentlich in dieser Liebe auch schonam Ziele sind, denn auf diesem Weg ist Er uns schon allzeit gegenwrtig.

    Die sich ber alle Begriffe mild und sanft herablassende Liebe desberheiligen Vaters ist schon bei uns; aber nur ergreifen mssen wir sielebendigst, so werden wir das Ziel erreichen, das uns die endlose Gteund Liebe des berheiligen Vaters selbst vorgesteckt hat! Ein herrliches

    Ziel, ja ein berherrliches Ziel! Ein Ziel des allervollkommensten,ewigen Lebens!(Haushaltung Gottes 2; 25,83)Euer Klaus W. Kardelke

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    Vom Reich Gottes und der geistigen Wiedergeburt

    Es sind da freilich viele, die da sagen: Das Suchen des Reiches Gottes

    wre schon recht, wenn es irgend leichter und effektvoller zu finden wre,und wenn irgendwo in einer Kirche oder sonstigen christlichen Gemeindeein eigentlicher rechter Weg zum Reiche Gottes anzutreffen wre; aber sospricht Rom: Ich bin der alleinig rechte Weg!; desgleichen sagt auch eine

    jede andere Kirche von sich. Wandelt man aber einen oder den andernWeg, der zum Reiche Gottes fhren soll, so findet man sicher alles andere,nur das verheiene Reich Gottes nicht, wenigstens nicht also, wie es sich

    bei jedem uern sollte, der es im Ernste gefunden htte!Ich aber sage dazu: Der also spricht, hat freilich eben wohl gerade nicht

    unrecht; denn so jemand eine wenn auch noch so kostbare Sache gar zulange sucht und doch von ihr nichts findet, so gibt er mit der Zeit dasSuchen samt der kostbaren Sache auf. Wer aber ist daran schuld? DerSuchende selbst, wenn er das Reich Gottes nicht da sucht, wo es zu findenist und nicht in dem, worin es zu finden ist.

    Freilich ist Rom durchaus nicht der Weg dazu, London und Berlinnicht, und Petersburg auch nicht; denn es steht ja doch wohl deutlich

    genug geschrieben, dass das Reich Gottes nicht irgend mit uerem

    Schaugeprnge zum Menschen kommt, sondern es ist inwendig imMenschen.Sein Grundstein ist Christus, der einige und alleinige Gottund Herr des Himmels und der Erde, zeitlich und ewig im Raume wie inder Unendlichkeit. An Den muss das Herz glauben, Ihn lieben ber allesund den Nchsten wie sich selbst.

    Hat der Mensch diese ganz einfache Forderung in seinem Herzenvollends erfllt, so ist das Reich Gottes schon gefunden. Um das brigeund das Weitere hat sich der Mensch dann nicht mehr zu bekmmern; das

    wird jedem hinzugegeben, wenn er irgend etwas bentigt.Wer Weisheit bentigt, dem wird sie gegeben, wann und wo immer erderselben bedarf. Bentigt jemand irgend gewisser uerer Hilfsmittel zurFristung seines irdischen Lebens, so werden sie ihm in gerechter Zeit undim gerechten Mae zugewiesen werden. Bentigt jemand bei einer

    besonderen Gelegenheit einer besonderen Kraft, so soll sie ihm zuteilwerden, wann er ihrer am meisten bentigt. Bedarf jemand eines Ratesoder eines Trostes, - sie sollen ihm zuteil werden, wann immer er ihrer

    bedarf.Wrde jemand bei einer besonderen Gelegenheit einer fremden Zungebedrfen, - auch damit solle ihm gedient sein; und will er Kranken helfen,so braucht er nichts als Meinen Namen und seine Hnde.

    Vom Reich Gottes und der geistigen Wiedergeburt

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    Diese Vorteile aber - das versteht sich von selbst - kann kein Mensch,solange er im Fleische wandelt, und wenn er schon hundertmalwiedergeboren wre, vollkommen eigenmchtig in seiner Hand haben,

    sondern nur dann, wenn er des einen oder des andern wirklich im Ernstebentigt.Das wird wohl jedermann einsehen, dass Ich niemanden gewisserart

    zum Spamachen Meine Gnade erteilen werde; denn der Wiedergeborene,und wenn er das Reich schon zehnmal gefunden htte, muss so gut wie

    jeder andere zu Mir kommen, wenn er irgend etwas haben will, so wieauch Ich Selbst, als Ich im Fleische auf der Erde wandelte, nicht tunkonnte und durfte, was Ich wollte, sondern was Der wollte, der Michgesandt hat. Dieser war zwar in Mir, wie Ich in Ihm; aber er war der GeistGottes als Vater von Ewigkeit, Ich aber war und bin dessen Seele. Diese

    besitzt zwar ihre eigene Erkenntnis und Fhigkeit, als die hchste Seeleund die vollendetste Seele aller Seelen; aber dennoch durfte diese Seelenicht tun, was sie wollte, sondern nur, was Der wollte, von dem sieausgegangen ist. Wollte die Seele auch den letzten bittern Kelch zur Seiteschieben, so wollte aber solches dennoch nicht Der, der in Mir war; darumtat demnach Meine Seele auch das, was Der wollte, der in Mir war.

    Darum aber msset auch ihr euch unter einem wiedergeborenen

    Menschen nicht irgendeinen permanenten Wundertter in allen Dingenvorstellen und auch nicht einen solchen, der ob der Innehabung desReiches Gottes mit irgendeinem erlogenen, nie da gewesenen, sogenannten Heiligenscheine weder um den Kopf, noch weniger um denBauch umflossen wre, wie ihr eure Heiligen malt.

    Auch sind nach dem Tode des Leibes eines Wiedergeborenen keine,besonders in der rmischen Heiligenlegende gepriesenen Wunderzeichender Heiligkeit zu entdecken, also kein alle Jahre wenigstens einmal

    aufsprudelndes Blut des hl. Januarius, keine frische Zunge Petri, Antoniiund Nepomuceni, auch keine wunderttigen Ketten, Kleider und Sandalen,noch weniger irgendeine seligmachende Kapuziner-, Franziskaner-,Minoriten-, Serviten- und dergleichen Kutte; ebenso auch keinemumienartige Unverweslichkeit des abgelegten Leibes. Das alles ist anden Wiedergeborenen nicht zu entdecken, und wenn es zu entdecken wre,so frage sich nur jeder Verstndige selbst, wozu diese Sache gut wre!Was wrde der selige Geist eines Wiedergeborenen wohl dadurch

    gewinnen, so ihm auf der Erde solche wunderbaren, aber dabei dennochnichts sagenden Auszeichnungen zuteil wrden, die frs erste ihm nichtsntzen, seinen noch lebenden Brdern aber recht viel schaden knnten?Also von allem dem tragen die Finder des Reiches Gottes nichts an sich,

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    sondern, wie vorhin gezeigt, Meine alleinige Gnade nur dann ersichtlich,wenn sie ihrer bentigen.

    Auch msst ihr euch die wiedergeborenen Auffinder Meines Reiches

    nicht als eine Art Karthuser oder Trappisten vorstellen, die in allem undjedem fr die Welt vollkommen gestorben wren, sich mit nichts mehrbeschftigen als mit Rosenkranz, Messe und Litanei, mit lcherlichemFasten, mit Verachtung des weiblichen Geschlechtes, strengsterVerfluchung der Snder und als Zeitvertreib mit der Betrachtung ihresGrabes und Sarges.

    Oh, das sind keine Zeichen der Wiedergeburt, sondern im GegenteilZeichen der Ausgeburt aller Finsternis in ihnen! Das Licht derWiedergeborenen kennt keine Nachtseiten des Lebens; denn in ihnen istberall Tageshelle.

    Grab und Sarg sind nicht Embleme eines Wiedergeborenen, der dasReich Gottes gefunden hat; denn dort gibt es weder Grber noch Srge,weil es keine Toten gibt, sondern dort gibt es nur eine ewige Auferstehungund ein ewiges Leben, und dazu werden weder Grab noch Sargerforderlich sein. Denn der Wiedergeborene lebt schon fortwhrend inseinem Geiste und betrachtet den Abfall seines Leibes ebenso wenig mehrfr einen Tod, als irgendein Mensch das fr einen Tod halten kann, wenn

    er abends seinen Rock auszieht oder, noch besser, als wie ein Lasttrger,den seine Last sehr drckt, bis er am Ziele endlich diese Last einmalablegt.

    Aus diesem Grunde gibt es fr einen Wiedergeborenen dann keinenTod mehr. Dies ist zwar ein herrliches Zeichen der Wiedergeburt, ist abernur innerlich im Menschen und wird nicht uerlich wie ein modernerPariser Rock ffentlich zur Schau getragen; auch wird dieses herrlicheZeichen nicht wie ein so genannter Leibrock zu Trier ausgehngt, sondern,

    wie gesagt, dies Zeichen ist inwendig.Desgleichen sind auch die brigen Zeichen der Wiedergeburt blo

    nur inwendig im Menschen und werden uerlich nur dann ersichtlich,wenn es vonnten ist.

    Wer die Gabe der Weissagung hat, hat sie nur dann, wenn er siebraucht, und wenn er allezeit Mich zuvor darum bittet; denn niemand kannweissagen - denn Ich allein.

    Wenn Ich dann die Worte dem Wiedergeborenen ins Herz und auf die

    Zunge lege, so wird er weissagen; sonst aber wird er reden wie jederandere Mensch. Desgleichen verhlt es sich auch mit den brigen Gaben,wie schon frher bemerkt.

    Aus dem allem geht aber auch hervor, dass das Reich Gottes eben nicht

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    so schwer zu finden und zur Wiedergeburt auch eben nicht so schwer zugelangen ist, als so mancher glaubt oder wenigstens der Meinung ist.

    Menschen mit dem so genannten zweiten Gesichte sind nicht als

    Wiedergeborene zu betrachten blo wegen ihres zweiten Gesichtes, dasnur eine Folge ihres Nervensystems ist, durch das die Seele leicht -vermittelst des Nervengeistes - Anschauungen aus ihrem Seelenreiche inden Leibesorganismus bertrgt, weil eben dergleichen leicht erregbare

    Nerven in dieser Sache nicht hinderlich wirken. Starke Nerven knnen dasfreilich nicht, daher auch starknervige Menschen selten oder gar nie das sogenannte zweite Gesicht haben.

    Das zweite Gesicht ist daher bei einem Menschen, der es besitzt, wederals etwas Gutes, noch als etwas Schlechtes zu betrachten, sondern es isteine Art Krankheit des Leibes, zu welcher die Menschen meistens durchallerlei widrige Ereignisse im Verlaufe ihres irdischen Lebens gelangen.Groe Traurigkeit, lange anhaltende Angst, groe Schrecken u. dgl. m.sind gewhnlich die Ursachen davon, manchmal aber auch knstlicheMittel als: Magnetismus, Berauschung und dann und wann Betubungdurch eigene narkotische Kruter. Kurz und gut: dergleichen Zeichen sinddurchaus nicht als Zeichen der Wiedergeburt zu betrachten, was schon ausdem zu entnehmen ist, dass dergleichen Visionre ihre geschauten Bilder

    wohl ungefhr also erzhlend darstellen, wie sie ihnen zu Gesichte kamen;aber es liegt in all ihren Erzhlungen nirgends ein Grund vorhanden, aufden sie gebaut wren, und dann entbehren dergleichen Erzhlungen, wennsie auch noch so seltsam klingen, allen Zusammenhang und liegenuntereinander wie Bltter in einem Walde, wenn sie den Bumen entfallensind.

    Der Grund aber liegt darin: Weil bei dergleichen Individuen ihr Geistund ihre Seele noch nicht miteinander verbunden sind, so liegt auch in

    ihren Anschauungen kein Grund und keine Verbindung als anschaulichund wohlbegreiflich vor jedermanns Augen, whrend aus dem Mundeeines Wiedergeborenen, wenn auch zum Teile nur erst, jede Darstellunggeistiger Dinge den rechten Grund und den vollsten Zusammenhang

    bekundet.Das ist demnach auch ein Zeichen der eigentlichen Wiedergeburt und

    ein sehr bedeutender Unterschied zwischen einem bloen Visionr.Dahermuss man aber auch als Folge der Wiedergeburt nicht irgend lppische

    Wunderdinge erwarten, sondern ganz natrliche Frchte einesgesunden Geistes und einer durch ihn gesund gewordenen Seele; allesandere gehrt ins Narrenhaus.

    Der Wiedergeborene wei es, dass man mit den Gaben des hl. Geistes

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    keinen Taschenspieler machen darf; daher wendet er dieselben nur dann an- und gewhnlich im geheimen nur -, wenn sie vonnten sind.

    Wer aber die Wiedergeburt erreichen mchte wegen wie immer

    gearteter kenntlicher Wundereigenschaften, der darf versichert sein, dassihm diesseits solche Gnade nicht zuteil wird; denn das hiee buchstblichdie alleredelsten Perlen den Schweinen zum Futter vorwerfen.

    Liebe zu Mir, groe Herzensgte, Liebe zu allen Menschen, das ist ineinem Bndel beisammen das richtige Zeichen der Wiedergeburt; woaber dieses fehlt, und wo die Demut noch nicht fr jeden Sto stark genugist, da ntzen weder Heiligenschein, noch Kutte, noch Geistervisionenetwas, und alle dergleichen Menschen sind dem Reiche Gottes oft fernerals manche andere mit einem sehr weltlich aussehenden Gesichte; denn,wie gesagt, das Reich Gottes kommt nie mit uerem Schaugeprnge,sondern lediglich inwendig, in aller Stille und Unbeachtetheit, in desMenschen Herz.

    Dies prgt euch so tief als ihr nur immer knnt in euer Gemt, sowerdet ihr das Reich Gottes viel leichter finden als ihr es meinet. Aberwenn ihr unter dem Reiche Gottes euch allerlei lcherlicheWunderdummheiten vorstellt, dieselben erwartet - und sie doch nichtkommen, so msst ihr es euch selbst zuschreiben, wenn bei einem oder

    dem andern aus euch das Reich Gottes verzieht. Denn in dergleichenAlbernheiten ist das Reich Gottes ja doch nie verheien worden; in dem esaber verheien ist, in dem lsst es sich auch leicht finden. Aberes gibt daviele, die sich beim Suchen des Reiches Gottes geradeso verhalten wiemanche Zerstreute, die ihren Hut suchen, whrend sie ihn schon aufdem Kopfe haben.

    Dergleichen Visionen, die ein Wiedergeborener hat, sind allein gerecht;alle anderen aber knnen erst dann zur Gerechtigkeit gelangen, wenn sie

    von einem wiedergeborenen Geiste erleuchtet werden. Darauf ist zu gehenund zu halten; aber auf alle anderen Visionen, Trume und andereWahrsagungsmittel ist nichts zu halten, weil sie lediglich von dem argenGesindel herrhren, was bei zahllosen Gelegenheiten das menschlicheFleisch bekriecht und durch dasselbe die leichtglubige Seele mit allerleiSchmutz und Unflat bekleistert.

    Wie aber jedermann auf dergleichen Torheiten nichts halten soll, so soller aber doch alles halten auf das Wort eines wahrhaft Wiedergeborenen,

    weil dieser nichts gibt, als was er empfngt, - der andere aber nur gibt, waser selbst zu schaffen whnt.Wer da groartig sagt: Ich sage es, und dies ist mein Werk!, dem

    glaubet es nicht; und so jemand spricht, als sprche er im Namen des

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    Herrn, tut es aber eigentlich doch nur seiner Ehre und seines Vorteileswegen, dem glaubet auch nicht!

    Wer aber da spricht ohne Eigennutz und ohne eigene Ehrsucht: Der

    Herr spricht es!, dem glaubet es, - besonders wenn dabei nicht auf dasAnsehen der Person geachtet wird; denn der Wiedergeborene kennt nurdas Ansehen des Herrn; alle Menschen aber sind seine Brder!

    (Jakob Lorber - Die Erde Kap. 70)

    Zeichen der WiedergeburtWie aber kann ein Mensch es denn erfahren, dass seine Seele eins

    geworden ist mit dem wahren Geiste Gottes in ihr? Das erfhrt er aussich beraus leicht! Wenn du in dir keinen Hochmut, keinen unntigenEhrgeiz, keine Ruhmsucht, keinen Neid, keine Hab- und Glanzsucht, keineEigenliebe, aber dafr desto mehr Liebe zum Nchsten und zu Gottlebendig und wahr fhlen wirst und es dir eine wahre, dich tief rhrendeHerzensfreude machen wird, dein ganzes Hab und Gut im Notfalle an

    arme und sehr Not leidende Brder und Schwestern verteilt zu haben, ja,wenn du ein ordentliches Leid in deinem Herzen fhlen wirst, irgendeinem Armen nicht helfen zu knnen, wenn dir Gott alles und die ganzeErde mit allen ihren Schtzen und Schtzen nichts sein werden, dann istdeine Seele schon vllig eins mit dem Geiste Gottes in ihr, hat dasvollkommene, ewige Leben erreicht, ist weise und wo ntig durch ihr

    pures Wollen wundertatkrftig! (Gr.Ev.Joh. Bd. 5, Kap. 51,04)

    Wie aber kann der Mensch in sich erfahren, dass er in der reinen Liebenach der gttlichen Ordnung sich ganz getreulich befindet?Der Mensch prfe sich, so er einen armen Bruder oder eine arme

    Schwester sieht oder diese gar zu ihm um einen Beistand kommen, ob esihn in seinem Herzen ganz offenliebig zum Geben freudigst und malos,seiner selbst ganz vergessend drngt! Versprt er solches in sich, und dasnatrlich ganz vollkommen ernstlich und lebendig, so ist er als ein wahresGotteskind schon reif und fertig, und die gemachten Verheiungen, die ein

    sogestaltig fertiges Gotteskind zu gewrtigen hat, beginnen da in die volleRealitt zu treten und sich als wunderbar in Rede und Tat zu zeigen.(Gr.Ev.Joh. Bd.3, Kap. 241,06)

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    Zur Frage der Organtransplantation

    - eine kritische Betrachtung aus geistiger Sicht -

    Michael Nolten

    Zur aktuellen Entwicklung

    In jngster Zeit rckt das Thema der Organtrans-plantation in unserem Land wieder strker in denBlickpunkt des Interesses. Grund ist offensichtlich dieTatsache, dass die Zahl der gewnschten Organspenden

    bei weitem nicht ausreicht, um den erheblichen Bedarf zu

    decken, der inzwischen aufgrund der medizinischenMglichkeiten zur Transplantation von Organen herrscht.

    So war vor einiger Zeit in der Tagespresse auf derTitelseite folgende groe berschrift zu lesen: NRW will bei Klinikenmehr Organspenden erreichen. Und weiter hie es: Spezial-Beauftragte

    fr Transplantationen sollen Pflicht werden - Seit Januar 2007 gab es nur18 Entnahmen (Klnische Rundschau vom 19.5.2007).

    Dargestellt wird in diesem Artikel der Vorschlag der CDU-

    Landtagsfraktion, dass zuknftig alle 339 Kliniken in Nordrhein-Westfaleneinen so genannten Transplantationsbeauftragten beschftigen sollen,der - entsprechend psychologisch geschult - sich um die Hinterbliebenenkmmern, ihnen die ngste vor der Organentnahme bei ihremAngehrigen nehmen und diese letztlich als Organspender derDeutschen Stiftung fr Organtransplantation (DSO) melden soll.Ebenfalls wird erwhnt, dass im Jahr 2006 lediglich 12 Organspenden auf1 Million NRW-Einwohner gekommen seien; bundesweit habe die Quote

    bei 15,3 gelegen.In ffentlichen Diskussionen ist der Druck der Transplantations-

    mediziner deutlich zu spren, wie in einer Gesprchsrunde im BayrischenFernsehen, als die Meinung einer Teilnehmerin, die sich kritisch zurProblematik des Hirntodes uerte, gar nicht zur Kenntnis genommen bzw.auf ihre Argumente nicht eingegangen wurde. Diese und hnlicheSendungen, die in regelmigen Abstnden immer wieder auf denverschiedenen Kanlen ausgestrahlt werden und bei denen man sich desEindrucks nicht erwehren kann, dass sie oftmals recht populistisch

    aufgemacht sind, dienen natrlich einem Zweck: Sie wollen dieSpendenbereitschaft der Brger erhhen und sie dazu ermutigen, einenSpenderausweis bei sich zu tragen, um so im Ernstfall als potenzielle

    Zur Frage der Organtransplantation

    Michael Noltenlebt und arbeitet als

    Pfarrer in Kln

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    Organspender zur Verfgung zu stehen.So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der Nationale Ethikrat

    in einer Stellungnahme vom 24.4.2007 zu Wort gemeldet hat und ein

    Papier mit dem Titel Die Zahl der Organspenden erhhen - Zu einemdrngenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschlandverffentlicht hat. Dieses Dokument setzt sich recht ausfhrlich undwissenschaftlich mit der Entwicklung im Bereich der Transplantations-medizin und mit der Spendenbereitschaft in der Bevlkerung auseinander,

    jedoch ausschlielich unter dem Gesichtspunkt des hohen Bedarfs anSpenderorganen. Wie der Titel schon angibt, geht es darum, Mglichkeitenaufzuzeigen, wie man an mehr Spenderorgane kommen und die Zahl derTransplantationen steigern kann. Da die in Deutschland bestehendeZustimmungsregelung dem hohen Bedarf nicht gerecht wird, werden amEnde natrlich auch Wege aufgezeigt, wie aus der Zustimmungsregelungein stufenweiser bergang zu einer Widerspruchsregelung erfolgenknnte. Diese Empfehlung des Nationalen Ethikrates wendet sich an denStaat, der durch entsprechende Gesetze letztlich eine grundstzlicheOrganentnahme legitimieren soll, wenn kein ausdrcklicher Widerspruchvorliegt. Das wrde bedeuten, dass jeder Mensch ein potenziellerOrganspender wre, wenn er sein Nein nicht vorher ausdrcklich

    dokumentiert hat.Wie zumeist bei dieser Thematik ist die Sichtweise der Mitglieder des

    Ethikrates eine rein diesseitige, die die Organentnahme nur unter demAspekt der Lebensverlngerung anderer Menschen sieht. Einganzheitliches Menschenbild, das die Fragen nach Leib, Seele und Geistsowie die jenseitige Dimension mit einbezieht, wird nicht entworfen. Man

    bleibt bei dem Gedanken stehen, dass menschliches Leben auf jeden Fallso weit wie mglich ins Diesseits hinein zu verlngern ist und dass deshalb

    der andere durch seine Spenderbereitschaft dem Rechnung tragen soll. -An dieser Stelle soll nun nicht der Eindruck entstehen, als wrde derWunsch, anderen auf diese Weise zu helfen, abgewertet oder in Fragegestellt. Das innere Bedrfnis, auch ber den eigenen Tod hinaus nochetwas Sinnvolles getan zu haben, ist durchaus zu verstehen undnachzuvollziehen. Schwierig wird es jedoch dann, wenn moralischeKategorien und Appelle an das Gefhl der Nchstenliebe zurUntersttzung der eigenen Position dienen und einen - sanften - Druck

    ausben wollen. So formuliert nmlich der Ethikrat: Eingriffe in dasSelbstbestimmungsrecht, wie sie eine Erklrungsregelung mit einerAufforderung zu einer persnlichen Entscheidung vorsieht, sind ausethischer und verfassungsrechtlicher Sicht vertretbar. Organspenden sind

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    Akte der Solidaritt und Nchstenliebe, die Menschenleben retten. Zwar istniemand zu solchen Akten verpflichten, aber dem Appell, wenigstens zu

    prfen, ob er dazu bereit ist, kann sich niemand mit gutem Grund

    entziehen. (Stellungnahme S. 37)Zustimmen mag man dem Nationalen Ethikrat in dem letzten Punktauf jeden Fall: Eine persnliche Auseinandersetzung mit dieser Fragesollte jeder fr sich fhren, um nach Abwgung aller mglichen Aspektefr sich zu einer gereiften Entscheidung zu kommen.

    Leider wird das Thema aufgrund bestehender Interessen zumeist sehreinseitig angegangen, nmlich um zur Spendenbereitschaft zu motivieren.Deshalb sollen im Folgenden noch einige weitere Anmerkungen gemachtwerden, die zumeist in der ffentlichen Diskussion und im Rahmen derallgemeinen Aufklrung unterbleiben. Auch die geistige Sicht, wie siesich im Licht der Offenbarung durch Jakob Lorber darstellt, soll miteinflieen.

    Organentnahme bei toten oder bei sterbenden Menschen?

    Eine entscheidende Frage, die sich im Rahmen der Organtrans-plantation stellt und die immer wieder zur Sprache kommt, ist die nachdem wirklichen Zeitpunkt des Todes des Menschen bzw. in diesem Fall

    des Spenders. Der Deutsche Bundestag hat am 1.12.1997 dasTransplantationsgesetz (TPG)verabschiedet und darin u. a. festgelegt, dassOrgane erst entnommen werden drfen, wenn der Tod des Organspendersfestgestellt worden ist. Dies hat durch zwei erfahrene rzte zu erfolgen,die unabhngig voneinander ihre Ergebnisse feststellen und schriftlichniederlegen mssen. Sie sollen sich auf dem Stand der Erkenntnisse dermedizinischen Wissenschaft befinden. Unter Tod wird hier allerdings derGesamthirntod verstanden, der damit als Todesgrenze beim Menschen

    anerkannt wird und an dem sich die Transplantationsmedizin ausrichtet.An dieser Sichtweise aber bleiben weiterhin, wie ich meine, berechtigte

    Zweifel. Es gibt zahlreiche Stimmen, auch aus dem medizinischen Lager,die in diesem Punkt anderer Meinung sind. Die nachfolgendenBeobachtungen und Fakten sollten deshalb nachdenklich stimmen.

    So trifft bei einer Leiche, deren Organe entnommen werden sollen,zu... dass ihr Herz schlgt, warm ist und durchblutet wird,

    dass sie eine rosige Haut hat, einen Hautausschlag bekommen, frieren,schwitzen und Fieber haben kann, dass sie mit Hilfe des Beatmungsgertes atmet und sich ihr Brustkorb

    hebt und senkt,

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    dass sie ein intaktes Stoffwechsel- und Immunsystem aufweist,ernhrt wird und Verdauung hat,

    dass ihre Nieren arbeiten und Urin ausgeschieden wird,

    dass Trnen flieen und Wunden heilen knnen, dass sie bei Schwangerschaft Kinder austragen und gebren kann, dass sie auf Berhrung reagieren, sich aufrichten und die Arme und

    Beine bewegen kann (Lazarus-Symptom), dass ihr Blutdruck beim Schnitt mit dem Skalpell ansteigt, dass sie Narkose-, Schmerz- und muskelentspannende Mittel

    erhlt, dass sie konditioniert wird, d. h. herz- und kreislaufstrkende

    Mittel, Hormone und andere Medikamente erhlt, um sie unbedingtam bzw. im Leben zu halten,

    dass sie bei Herzstillstand sogar wieder reanimiert, alsowiederbelebt (!), wird. (Quelle: www.organspende-aufklaerung.de)

    Auch wenn Mediziner und Wissenschaftler trotz dieser doch sehrklaren Symptome unterschiedliche Schlsse ziehen mgen, so wird m.E.hier jedoch deutlich, dass noch sehr viel Leben in dem Toten ist unddass mit dem Ausfall der Gehirnfunktionen keineswegs alleLebensfunktionen im Menschen erloschen sind. Als eine Stimme vonvielen sei hier der Mediziner Linus Geisler zitiert. Er hat in einemInterview in der Frankfurter Rundschau vom 24.2.1995 auf die Frage, obein hirntoter Mensch tot sei, geantwortet:

    Ich sage ganz klar: Nein. Der Hirntod ist eine markante Zsur ineinem Prozess. Er zeigt an, dass der point of no return im Sterbenerreicht ist. Er ist also eine Phase im Sterbeprozess und damit eine Phaseim Leben. Ihre Frage luft letztendlich darauf hinaus: Ist ein Hirntoter einToter mit noch erhaltenen Krperfunktionen, oder ist er ein Lebender - 97

    Prozent seines Krpers leben ja noch - ohne Hirnfunktion?Und wenig spter sagt er:Ob ein Hirntoter lebt oder nicht, knnen wir nicht als Ergebnis

    naturwissenschaftlicher Methoden wissen. Dieses grundstzliche Un-wissen lsst sich nicht durch Hirnstromuntersuchungen oder Messungendes Reflexverhaltens in Wissen berfhren. Hier gibt es nichts zu messenund nichts zu registrieren, was uns eine sichere Antwort auf die Frageerlaubt: tot oder lebendig. Denn hier handelt es sich um eine

    anthropologische Frage. Es geht um die Frage: Was ist der Mensch?Mit diesem Hinweis weitet Linus Geisler das Blickfeld und fhrt uns in

    einen Bereich, der sich der Empirie entzieht und - zu Recht - noch ganz

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    andere Kriterien verlangt, die die Medizin und die Wissenschaft alleinnicht zu geben vermgen. Den Menschen allein auf seine krperlichen undin diesem Fall speziell auf seine Hirnfunktionen zu beschrnken, wre in

    der Tat eine rein materialistische Sichtweise, die, wie wir bereits obengesehen haben, der Ganzheit des menschlichen Wesens nicht gerechtwerden kann.

    Hier wre eine ausfhrliche Gegenberstellung von naturwissen-schaftlichem und geistigem Menschenbild erforderlich, was aber an dieserStelle nicht geleistet werden kann. Stattdessen soll nun eine kurzeDarstellung der geistigen Sichtweise des Sterbevorganges erfolgen, wiewir sie in der Offenbarung durch Jakob Lorber finden.

    Der Sterbevorgang im Licht der Offenbarung LorbersHier sei zunchst einmal betont: Wie der Sterbevorgang beim

    Menschen abluft und wann dieser schlielich tot ist, kann im Detailletztlich niemand sagen: Die Betroffenen knnen uns ber ihre Erfahrungnicht mehr berichten und die Medizin bzw. die Wissenschaft lsst mit ihrerThese vom Hirntod nach wie vor, wie wir gesehen haben, viele Fragenunbeantwortet.

    Eine Hilfe ist dagegen das geoffenbarte Wort Gottes durch Jakob

    Lorber, das uns ber die Todesschwelle hinausfhrt und anhand vonFallbeispielen und Erklrungen einen Einblick in das Ableben und denbergang der Menschen von dieser Erde gibt. Allerdings mssen wir unsauch hier gerade wegen der Flle der dargestellten Szenen und Vorgngeauf die Aspekte beschrnken, die fr unser Thema wichtig sind.

    Einen ersten wichtigen Hinweis finden wir beim Sterbevorgang vonBischof Martin. Dort wird uns berichtet:

    Seht, da sind wir schon - und seht, da liegt auch noch unser Mann auf

    seinem Lager; denn solange noch eine Wrme im Herzen ist, lst derEngel die Seele nicht vom Leibe. Diese Wrme ist der Nervengeist, derzuvor von der Seele ganz aufgenommen werden muss, bis die volle Lsevorgenommen werden kann. Aber nun hat dieses Mannes Seele schonvllig den Nervengeist in sich aufgenommen, und der Engel lst sie soebenvom Leibe mit den Worten: Epheta, d.h. Tue dich auf, du Seele; duStaub aber sinke zurck in deine Verwesung zur Lse durch das Reich derWrmer und des Moders. Amen. (BM.1,07f)

    Durch diese Stelle wird fr uns deutlich: Sterben ist ein Prozess, andem Gott (durch seinen Engel) wirkt und beteiligt ist. Und das bedeutetzunchst einmal, dass dem Sterben und auch dem Sterbenden selbst mitEhrfurcht zu begegnen ist.

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    Den Hinweis auf den Todesengel, der letztlich die Lse vornimmt,finden wir auch im Groen Evangelium: In einem Gesprch, in dem es umden Speisevorgang der Engel geht, wird von Josoe ausgefhrt:

    Wenn wir aber von Gott aus berufen werden, diese Welt zu verlassen,dann wird zuvor ein Engel Gottes mit uns ebenfalls machen, wie diesernun tut mit der Speise, das heit, er wird in einem Augenblick alles demGeiste Angehrige aus der Materie frei machen, die Materie der vollen

    Auflsung bergeben, die Seele aber und ihren Lebensgeist, sowie alles,was in der Materie der Seele angehrt, in vollkommenster Menschen-

    gestalt vereinigend in die reine Welt der Geister hinberfhren nach demewigen, unwandelbarsten Willen Gottes! - Siehe, das ist es, was du ausdem dir sonderbar vorkommenden Essen des mchtigen Himmelsjnglingslernen kannst und sollst!(Gr.Ev.Joh. Bd.2; 195,02)

    Nehmen wir beide Aussagen zusammen, finden im Sterbevorgang alsoeine Sammlung des Nervengeistes (einem Fluidum zwischen Seele undKrper), eine Scheidung und schlielich eine Trennung der Seele vonihrem Leib statt, die dann in die geistige und jenseitige Welthinbergefhrt wird. ueres Kennzeichen, dass der Tod noch nichteingetreten ist, ist schlielich eine Wrme im Herzen, die bei BischofMartin als der Nervengeist beschrieben wurde. Aber gerade diese

    Wrme im Herzen haben wir oben als eine Erscheinung bei einerLeiche kennen gelernt, die zur Organexplantation bestimmt ist. Wer nundie Neuoffenbarung als gttliches Wort anerkennt, findet die bisherigenZweifel besttigt und muss an dieser Stelle ganz klar sagen: Der Hirntote,dessen Organe entnommen werden sollen, ist nicht tot, sondern er befindetsich vielmehr in einer abschlieenden Phase des Sterbens. Die

    Neuoffenbarung unterstreicht damit die Skepsis gegenber derHirntodthese.

    Fgen wir einen weiteren Aspekt im allmhlichen Sterbeprozess beimMenschen aus Sicht der Neuoffenbarung hinzu. Im 4. Band des GroenEvangeliums berichtet der junge hellsichtige Mathael ber das Sterbeneiner Nachbarin, das er hat beobachten knnen. Dabei erkennt er, dass dieSeele wie eine Dunstwolke aus der Brustgrube entweicht und sich erstallmhlich in der jenseitigen Welt zu einer Menschenform entwickelt.Wichtig ist nun die folgende Beschreibung:

    Whrend ich solchen Dunst ber der Brustgrube der Kranken sich

    immer mehr ausbreiten und verdichten sah, lebte der Leib noch immer undsthnte zuweilen wie jemand, der von einem schweren Traume geplagtwird. Nach etwa dem vierten Teile der Zeit einer rmischen Stunde

    schwebte der Dunst in der Gre eines zwlfjhrigen Mdchens etwa zwei

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    Spannen hoch ber des sterbenden Weibes Leib und war mit dessenBrustgrube nur noch durch eine fingerdicke Dampfsule verbunden. DieSule hatte eine rtliche Frbung, verlngerte sich bald und verkrzte sich

    auch wieder dann und wann; aber nach jedesmaligem Verlngern undabermaligem Verkrzen ward diese Dampfsule dnner, und der Leib tratwhrend der Verlngerungen stets in sichtlich schmerzhafte Zuckungen.

    Nach etwa zwei rmischen Stunden der Zeit nach ward diese Dampfsulevon der Brustgrube ganz frei, und das unterste Ende sah aus wie einGewchs mit sehr vielen Wurzelfasern. In dem Augenblick aber, als die

    Dampfsule von der Brustgrube abgelst ward, bemerkte ich zweiErscheinungen. Die erste bestand in dem vlligen Totwerden des Leibes,und die andere darin, dass die ganze weineblige Dampfmasse sich ineinem Augenblick in das mir nur zu wohlbekannte Weib des Nachbarnumwandelte.(Gr.Ev.Joh. Bd.4; 128,07f)

    Hier wird uns gezeigt, wie langsam und behutsam der bergang in diegeistige Welt erfolgt und wie erst nach geraumer Zeit ein tatschlichesTotwerden des Leibes erfolgt. Um eine Erluterung dieses Vorgangesgebeten, sagt der Herr:

    Die sollet ihr sogleich haben; und so hret denn! Der ersichtlicheDunst - in dem Mae (Form) eines Menschen doch immerhin - ist eine

    Folge der groen Beklommenheit der Seele im Moment des Scheidens, inwelchem sie vor lauter Furcht und Entsetzen auf einige Augenblicke ganzbewusstlos wird. Es ist eine auerordentliche Ttigkeitsanstrengung der

    scheidenden Seele, sich zu erhalten in ihrer sich selbst bewussten Existenz.Alle ihre Teile werden in eine auerordentlich heftige Vibration gesetzt,dass darob auch das schrfste geistersehende Auge irgendeine bestimmte

    Form nicht entdecken kann.(Gr.Ev.Joh. Bd.4; 129,01f)Aus dieser Antwort des Herrn mag fr unsere Frage zunchst einmal nur

    die groe Anstrengung der Seele wichtig sein, die von Ihm an dieser Stelleerwhnt wird. Der Sterbevorgang ist letztlich nichts anderes als die Geburtin eine neue Welt und wie eine Geburt aus dem Mutterleib in diese irdischeWelt fr das Kind auch mit allerlei Anstrengung ber einen langenZeitraum verbunden ist, so gilt dasselbe auch fr die Seele bei ihrer Geburtins Jenseits.

    Es fllt unter diesen Gesichtspunkten schwer, bei einer Organentnahmevon einem menschenwrdigen Sterben zu sprechen. Denn was der

    gewaltsame Eingriff im Falle einer Organentnahme fr die sich lsendeSeele bedeutet, vermgen wir uns von auen kaum vorzustellen. Obenkonnten wir sehen, dass der Blutdruck beim entsprechenden Eingriffansteigt, was auf eine erhhte organische - und zweifelsohne auch seelische

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    - Ttigkeit schlieen lsst. Es ist daher zu vermuten, dass ein starkerseelischer Widerstand der Seele vorliegt, die sich gegen diesengewaltsamen Eingriff wehrt. Was dieser letztlich fr die Seele und ihren

    forcierten bergang in die geistige Welt bedeutet, soll an dieser Stellenicht weiter ausgefhrt werden; die Gefahr eines traumatisiertenberganges ist keineswegs auszuschlieen.

    Eine letzter Gedanke, auf den wir hier auch in aller Krze eingehenknnen, ist die Frage der mit dem materiellen Leib noch strkerverbundenen und grberen seelischen Anteile, die im normalenSterbevorgang erst allmhlich gelst und der jenseitigen Seele zugefhrtwerden. In der Darstellung des Josoe klang dieses Thema bereits an (vgl.Gr.Ev.Joh. Bd. 2; 195,02). In dem Werk Die Erde erfahren wir mehr darber:

    Also besteht auch der menschliche Leib aus puren Seelenpartikeln;aber jene, die den Leib machen, sind noch grob, arg und unlauter, daher

    sie auch noch zuvor wieder in die Erde kommen, dort verwesen mssenund dann erst von da auf die euch schon bekannt gegebene Weise aus derVerwesung aufsteigen, um sich zur Komplettierung desjenigen Wesens,dem sie einst leiblich angehrten, anzuschicken. Dies ergibt sich

    gewhnlich - wie euch schon bekannt gegeben - in der dritten oderobersten Erdgeistersphre, wodurch dann natrlich erst ein jeder reine

    Geist vollkommen wird, wenn er nmlich all das Seinige wieder in sichaufgenommen hat, - welches Aufnehmen die sogenannte Auferstehung des

    Fleisches ist und den Spruch Pauli rechtfertigt, der da spricht: ,Ich werdein meinem Fleische Gott schauen. (Erde 40,6)

    bertrgt man diesen Offenbarungsgedanken auf die Organtrans-plantation, so hat die bertragung von Organen sowohl Konsequenzen frden Spender als auch fr den Empfnger: Letzterem fehlen zurKomplettierung seiner Seele in der jenseitigen Welt die jetzt in einem

    anderen Leib gebundenen eigenen grberen Seelenpartikel, worauf erletztlich - auch jenseitig - warten muss; der Empfnger dagegen trgt diefremden Seelenpartikel durch die implantierten Organe in sich. So kommtes zunchst zu einer Vermischung fremder Seelenspezifika, die spter, d.h.nach dem bergang des Empfngers, einmal wieder getrennt werdenmssen. Mag eine Organspende auch zu einer Verlngerung (und ggf.auch zu einer Verbesserung) des irdischen Lebens des Empfngers fhren,die geistige Entwicklung in der jenseitigen Welt wird dadurch sicherlich

    nicht gefrdert - ein Gesichtspunkt, der in der ffentlichen Diskussion indieser Hinsicht keine Bercksichtigung findet.

    Fazit: Unsere berlegungen zur aktuellen Diskussion der Organtrans-

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    plantation waren von dem Bemhen gekennzeichnet, hier einmal dieandere Seite aufzuzeigen und bewusst zu machen, die im Regelfall nichtzur Sprache kommt. Einige Texte aus der Offenbarung durch Jakob Lorber

    haben uns dabei geholfen, das Problem der Organspende aus einergeistigen Sicht zu beleuchten und vielleicht noch zustzliche Kriterien freine persnliche Entscheidung in dieser Frage zur Verfgung zu stellen.Eine persnliche Auseinandersetzung mit diesem Thema scheint immermehr unumgnglich, da die Nachfrage nach zu transplantierenden Organenweiter zunehmen und der ffentliche Druck immer strker werden wird.Von daher sind Kenntnisse um die medizinischen, aber auch um diegeistigen Zusammenhnge immer wichtiger, um so auch zu einerabgewogenen Entscheidung dahingehend zu kommen, ob man sich froder gegen eine Bereitschaft zur Organspende ausspricht.

    Auf dieses Thema erneut aufmerksam zu machen und zu einerAuseinandersetzung auch unter geistigen Kriterien anzuregen, war Zweckdieses Beitrages.

    Im Herrn gestorbenWenn du deinen Leib verlassen wirst derzeit und dereinst, so wirst du

    nimmer den Tod fhlen noch schmecken, sondern wirst sehend und allesvernehmend im hellsten Bewusstsein in Meinen Vaterscho aufgenommenwerden.

    Daher verschwinde auch auf ewig alle Furcht vor einem Tode aus dir,denn wahrlich, du wirst jetzt und dereinst und ewig nimmer sehen und

    fhlen und schmecken den Tod; denn wer Mich, wie du, liebt auch amKreuze irdischer Leiden, der stirbt schon, so er leidet, und so er aberdann eigentlich sterben solle, da wird er dafr erweckt von Mir alsogleichzum ewigen vollkommensten Leben!

    Also bist du nun auch schon gestorben mit Mir am Kreuze, und so duauf dieser Erde noch viele Jahre in wiedergenesenem Fleische lebtest, sowird dir dieser gegenwrtige Tod am Kreuze deines Fleisches angerechnet,und du wirst daraus auch schon auf dieser Erde zum wahren Leben

    bergehen und wirst frder nimmer sterben, sondern im stets klarstenBewusstsein in Mein Reich bergehen!(Himmelsgaben Bd. 3; S. 282)

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    Die drei Grade der LebensvollendungWie bei Gott alle Dinge mglich sind, so ist es auch dem noch so

    verstockten Weltmenschen und Snder mglich, sich bald und wirksam zundern, wenn er ernstlich im vollen Glauben und Vertrauen auf Gott dastut, was die gttliche Weisheit ihm rt. Er muss da an sich selbst durcheinen pltzlichen Umschwung seines Willens ein wahres Wunder wirken,und zwar in der gnzlichen Selbstverleugnung bezglich aller seinerfrheren Schwchen, Gewohnheiten, Gelste und argen Leidenschaften,die aus ungegorenen und sehr unlauteren Naturgeistern seines Fleisches indie Seele aufsteigen und sie verunreinigen und verunstalten.

    Nun zhlet aber nach, mit wie vielen allerartigen Leidenschaften ihr

    behaftet seid! Fasset den ernstesten Willen, sie alle zu verlassen und dannMir nachzufolgen! Knnet ihr das, so knnet ihr auch bald zu einer innerenLebensvollendung gelangen; aber ohne das ist es sehr schwer und sehrmhevoll.

    Der Wille zur Snde findet im Menschen stets eine groeUntersttzung, und zwar in den Anreizungen und Leidenschaften seinesFleisches; aber fr den Willen zum Guten findet er in seinem Fleische garkeine Untersttzung, sondern allein im Glauben an einen wahren Gott, und

    besonders in der Liebe zu Ihm, und dazu auch in der Hoffnung, dass dievon Gott ihm gemachten Verheiungen in volle Erfllung gehen werden.Wer sonach durch den festen und lebendigen Glauben, durch die Liebe

    zu Gott und zum Nchsten und durch die ungezweifelte Hoffnung alle dieargen Leidenschaften seines Fleisches bekmpfen kann und sonach vlligHerr ber sich wird, der wird dann auch bald Herr der ganzen ueren

    Natur und befindet sich eben dadurch, dass er vollkommen Herr ber sichgeworden ist, auch schon im ersten Grade der wahren, inneren Lebens-

    vollendung, obwohl es da noch zu fteren Malen an allerlei Versuchungenkeinen Mangel haben wird, die ihn zur Begehung einer oder der andernleichten Snde reizen werden.

    Versteht er nun auch, mit allen seinen Sinnen dahin einen festen Bundzu schlieen, dass sie sich von allen irdischen Anreizungen abwenden undsich pur dem rein geistigen Wesen zukehren, so ist das schon ein sicheresund lebenslichtvolles Zeichen, dass der innere Geist aus Gott die Seeleganz durchdrungen hat, und der Mensch befindet sich da im zweiten Gradeder inneren, wahren Lebensvollendung.

    In diesem Grade ist dem Menschen auch jene Strke und Lebensfreiheiteigen geworden, dass er, weil er in seiner Seele ganz erfllt ist mit demWillen Gottes und nach demselben handeln kann, keine Snde je mehr

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    begehen kann; denn da er selbst rein geworden ist, so ist ihm auch allesrein. Aber obwohl der Mensch da schon ein vollkommener Herr dergesamten Natur ist und die hellste berzeugung in sich hat, dass er

    unmglich mehr fehlen kann, da all sein Tun von der wahren Weisheit ausGott geleitet wird, so ist und bleibt er dadurch doch nur im zweiten Gradeder inneren Lebensvollendung.

    Aber es gibt noch einen dritten und allerhchsten Grad der innerstenLebensvollendung. Worin aber besteht denn diese, und wie kann derMensch sie erreichen? Diese besteht darin, dass der vollendete Mensch,wohl wissend, dass er nun als ein mchtiger Herr der ganzen Natur ohneSnde tun kann, was er nur immer will, aber dennoch seine Willenskraftund Macht demtig und sanftmtig im Zaume hlt und bei jedem seinemTun und Lassen aus der pursten Liebe zu Gott nicht eher etwas tut, als biser unmittelbar von Gott aus dazu beordert wird, was eben fr denvollendeten Herrn der Natur auch noch eine recht starke Aufgabe ist, weiler in seiner vollen Weisheit allzeit erkennt, dass er nach dem in ihm selbstwohnenden Willen aus Gott nur recht handeln kann.

    Doch ein noch tiefer gehender Geist erkennt es auch, dass zwischendem sonderheitlichen Willen Gottes in ihm und dem freiesten und endlosallgemeinsten Willen in Gott noch ein groer Unterschied besteht, weshalb

    er seinen sonderheitlichen Willen ganz dem allgemeinsten gttlichenWillen vollkommen unterordnet und nur dann aus schon immer eigenerKraft etwas tut, wenn er dazu unmittelbar von dem alleinigen undeigensten Willen in Gott beordert wird. Wer das tut, der ist in sich zurinnersten und allerhchsten Lebensvollendung gelangt, welche da ist dieLebensvollendung im dritten Grade.

    Wer diese erlangt, der ist auch vllig eins mit Gott und besitzt gleichGott die hchste Macht und Gewalt ber alles im Himmel und auf Erden,

    und niemand kann sie ihm ewig mehr nehmen, weil er vollkommen einsmit Gott ist.

    Aber zu dieser hchsten Lebensvollendung, in der sich die Erzengelbefinden, kann niemand gelangen, bevor er nicht den ersten und zweitenGrad der Lebensvollendung erlangt hat.

    Es hat aber ein jeder Erzengel die Macht, alles das in einem Augenblickzu bewirken, was endlos alles Gott Selbst bewirken kann; aber dessenungeachtet wirkt doch kein Erzengel pur aus sich etwas, sondern erst dann,

    wenn er dazu von Gott Selbst beheien ward. Darum bitten selbst diehchsten Erzengel Gott allzeit, so sie diese oder jene Mngel, besondersbei den Menschen dieser Erde, sehen, dass Gott sie beheien mge, diesesoder jenes zu tun. (Gr.Ev.Joh. Bd. 7, Kap. 155,2-16)

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    Gerhard Tersteegenein evangelisch-reformierter Mystiker

    Manfred Rompf, Pfarrer,i.R.Gerhard Tersteegen wurde am 25.11.1697 in Moers am

    Niederrhein geboren. Er war der zweit-jngste von 8Geschwistern. Als er noch nicht ganz 6 Jahre alt war,verstarb sein Vater, der ein angesehener Kaufmann war.Tersteegens Elternhaus war reformiert geprgt. Tersteegen

    besuchte die Lateinschule von Moers, die im reformiertenund humanistischen Geist gefhrt wurde. Dort lernte er

    auer Latein auch Griechisch, Hebrisch und Franzsisch.Die Schler lasen den Heidelberger Katechismus in lateinischer und dasNeue Testament in griechischer Sprache. Seinen spteren Schriften kannman entnehmen, dass er das Neue Testament im griechischen Urtext zulesen und zu deuten verstand. Tersteegen beherrschte auch dasHollndische, mit dem Spanischen und italienischen machte er sich sptervertraut. Als er die Schule schon mit 15 Jahren verlie, hielt er eineffentliche Rede in lateinischen Versen und zog die Aufmerksamkeit derStadtverwaltung auf sich. Diese riet der Mutter, den hochbegabten Jungenstudieren zu lassen. Aber diese entschuldigte sich mit den schlechtenhuslichen Verhltnissen nach dem Tod des Mannes. So kam Tersteegenauf Wunsch der Mutter zu seinem Schwager nach Mlheim an der Ruhr indie Kaufmannslehre.

    In Mlheim fand er im reformierten Pietismus mit quietistischerPrgung seine geistliche Heimat. Diese Christen liebten besonders dieStille und wurden darum auch die Stillen im Lande genannt. Mit 16Jahren erfuhr er eine erste Berhrung der Gnade in seinem Herzen. Nach

    seiner Kaufmannslehre hatte er nur 2 Jahre ein eigenes Geschft, das ihmweder gengend Geld einbrachte, noch genug Zeit fr Sammlung undStille lie. So erlernte er die Leinen- und schlielich dieSeidenbandweberei, eine Arbeit, die er in innerer Stille und Gebetverrichten konnte.

    In den Jahren 1719 bis 1724 lebte er in hrtester Askese nach demVorbild spanisch-mystischer Einsiedler und altkirchlicher Asketen imOberstbchen eines Freundes. In dieser Zeit erlebte er anfangs auch

    ekstatische und visionre Erfahrungen, von denen er sich aber wiederabwandte. Dann kamen zunehmend Phasen der inneren Dunkelheit,geistlicher Drre, verzweifelter Suche nach Gotteserfahrung und radikalem

    Gerhard Tersteegen, ein evangelisch-reformierter Mystiker

    Gerhard Tersteegen

    (1697 - 1769)

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    Zweifel im Sinne der Aufklrung seiner Zeit, ob Gott berhaupt existiere.Die Familie distanzierte sich von ihm, der in vlliger Armut lebte und sehrkrnklich und schwach war und von dem wenigen, das er besa, noch

    Arme untersttzte.Am Grndonnerstag im Jahre 1724, also mit 26 Jahren erlebte er nachetwa 5-jhriger geistlicher Drre, innerem Ringen und Kmpfen seinenentscheidenden Durchbruch und verfasste ein Schriftstck, seineVerschreibung an Jesus, die er mit seinem eigenen Blut schrieb. (Einhnlicher Akt wie bei Madame Guyon 1672 und anderen aus quietistischenKreisen uns heute aber sehr fremd). In der Verschreibung steht zuBeginn: Meinem Jesu! Ich verschreibe mich Dir, meinem einigenHeyland und Brutigam Christo JESU, zu deinem vlligen und ewigenEigenthum Er schliet seine Verschreibung mit den Worten: DeinGeist versiegele es, was in Einfalt geschrieben.

    Nach dieser Verschreibung verminderte er die Strenge seiner Askese.Er blieb aber zeitlebens ehelos. Durch den Einfluss seines geistlichenBegleiters, dem Mystiker Hoffmann, gab er seine Einsamkeit auf undnahm ab 1725 Heinrich Sommer als Stubengesellen auf. Diesem lehrteer das Bandweben und teilte mit ihm Arbeit und Gebet. Um 6.00 Uhr

    begannen sie ihre Arbeit, um 11.00 Uhr zogen sie sich fr 1 Stunde zum

    persnlichen Gebet zurck. Von 13.00 Uhr bis 18.00 Uhr arbeiteten siewieder. Danach verbrachten sie wieder 1 Stunde in Gebet und Stille. DenRest des Abends nutzte Tersteegen zum Lesen und bersetzen mystischerSchriften. Er begann Liedverse zu schreiben, die den Grund legten frseine Liedsammlung: Geistliches Blumengrtlein.

    Ab 1726 gab Tersteegen bersetzungen mystischer Schriften mitlngeren Vorworten heraus u.a. 1730 von Thomas von Kempen Die

    Nachfolge Christi und Schriften von Madame Guyon. Von 1733 bis 1754

    gab er ein mehrbndiges Werk heraus: Auserlesene Lebens-beschreibungen Heiliger Seelen. In diesem Werk beschreibt er das Lebenvon 25 Heiligen, u.a. Theresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Catharinavon Siena, Elisabeth vom Kinde Jesu, Franz von Assisi, Johannes Tauler,Heinrich Seuse, Bruder Laurentius, die er ausfhrlich zu Wort kommenlsst. ber den Zwiespalt der Christenheit war er erhaben in kumenischerGesinnung. Aber im Protestantismus wurde dieses Werk abgelehnt und eswurde von seinen Kritikern als eine Werbung fr die kath. Kirche

    angesehen. Aber Tersteegen ging es darum, eine Anzahl leuchtenderVorbilder fr ein Leben in Heiligung in der mystischen Vereinigung mitGott aufzuzeigen. Tersteegen selbst hat sich am Leben dieserMystikerinnen und Mystiker orientiert. In besonderer Weise haben ihn die

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    Schriften von Madame Guyon, die er mehrmals ins Deutsche undNiederlndische bersetzte und herausgab, durch sein ganzes Lebenbegleitet.

    Schlielich lie Tersteegen auch eigene Schriften drucken. Bereits 1729erschien die 1. Auflage des Geistlichen Blumengrtleins mit Versen, diebald vertont und gesungen wurden, darunter bereits das Lied Gott istgegenwrtig. Seine Arbeit als bersetzer, Schriftsteller, Seelsorger undPrediger nahm so zu, dass er 1728 seine Arbeit als Bandwirker aufgab undfortan von den Ertrgen der Bcher und der Untersttzung seiner Freundelebte.

    1727 grndete er in Velbert in der Otterbeck eine Pilgerhtte fr eineBruderschaft. Anfangs lebten und arbeiteten dort 8 Brder besonders in derWeberei. Es gab eine geistliche Ordnung von Tersteegen verfasst, aberkeine strengen Klosterregeln. Auf protestantischem Boden war eine solcheBruderschaft damals schon etwas Merkwrdiges. (Das Haus fiel 1969einer Straenregulierung zum Opfer)

    Ab 1727 bettigte sich Tersteegen auch als Heilpraktiker, ohne dafrGeld zu nehmen und stellte eigene Medizin her, die er besonders anBedrftige abgab. Auch dazu hatte er Vorbilder in der Tradition derMystikerinnen und Mystiker.

    Ab 1732 unternahm er als Prediger und Seelsorger Reisen bis nachHolland. Dort entstanden wie auch in Mhlheim und UmgebungFreundeskreise. In den Jahren 1733 und 1738 war Tersteegen todkrank.

    1746 nach dem Tod von Hoffmann zog er mit Heinrich Sommer indessen Haus, gegenber der evangelischen Kirche, das er bald darauf alsEigentum bernahm. Hier konnte er seine Hausmittel- und Kruter-sammlung unterbringen und hatte Rume fr seine Ansprachen undSeelsorge. Nicht selten sollen ihm ber 500 Personen zugehrt haben. Die

    Ansprachen wurden mit Hilfe von Schalllchern, die er einbauen lie,nach drauen bertragen. Seine Haushlterin Sybille Bille Enschermann,die ihm 30 Jahre lang den Haushalt fhrte, lebte mit im Haus. Auch Pilger,die zum seelsorgerlichen Gesprch kamen und warten mussten, bis sie ander Reihe waren, fanden hier Herberge.

    Ab 1750 entstand eine Erweckungsbewegung. Tersteegen schreibt:Seit einigen Wochen hintereinander hat immer vom Morgen bis zumAbend der eine auf den anderen warten mssen, um mich sprechen zu

    knnen. Manche mssen fnf bis sechsmal wieder umkehren, ehe einViertelstndchen kann gefunden werden, um mich allein zu sprechen. Esist wohl geschehen, dass ich zehn, zwanzig, ja dreiig und mehr

    bekmmerte Seelen zugleich bei mir hatte.

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    In dieser Zeit versuchte ein Pastor von Mhlheim vergeblich ber dieObrigkeit ein Verbot der Versammlungen zu erreichen. Andernorts gab esschon solche Verbote, gegen die sich Tersteegen fr andere Prediger in

    Briefen geschickt zur Wehr setzte. Die Kirchen dieser Pastoren warendamals leer. Tersteegen wusste ihnen Rat zu geben, wie sie dies ndernknnten. 1761 bernahm Pastor Conrad Engels die Pastorenstelle inMhlheim, dieser wurde ein groer Verehrer von Tersteegen.

    Es ist zu bedenken, dass dies die Zeit der Aufklrung war, mit der sichTersteegen auch auseinander setzte und sogar eine, sowohl sehr kritischeals auch verstndnisvolle Abhandlung zur Philosophie des KnigsFriedrich II. von Preuen schrieb. Der Knig hat sie gelesen und vollVerwunderung gesagt: Knnen das die Stillen im Lande?

    Seit 1756 war Tersteegen durch Krankheiten in seinen Ttigkeiten sehreingeschrnkt, auch der 7-jhrige Krieg fhrte zu Einschrnkungen, aber

    bis kurz vor seinem Tod kamen noch Menschen zur Seelsorge zu ihm. Am3.4.1769 verstarb er mit 71 Jahren.

    Einige seiner Lieder stehen im Evangelischen Gesangbuch (EG) undwerden noch heute gesungen. Die bekanntesten sind Ich bete an dieMacht der Liebe und Gott ist gegenwrtig. Letzteres kommt ganz ausseinen Erfahrungen der Meditation und der Kontemplation und ist eine

    Anleitung zu dieser. Es gengt natrlich nicht, dieses Lied nur herunter zusingen, sondern man sollte sich in den Vollzug dieser Liedverse begeben,um in die Meditation und Kontemplation zu kommen.

    Schauen wir uns dieses Lied nher an, damit es uns in unserer bungder Kontemplation motivieren kann.

    Gott ist gegenwrtig, so beginnt das Lied. Von der Gegenwart Gottesist Tersteegen aus eigener Erfahrung berzeugt. Um aber GottesGegenwart zu erfahren, ist es wichtig, sich in der Stille zu ben und in sich

    alles zum Schweigen zu bringen. So dichtet er: Gott ist in der Mitten.Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt,wer in nennt, schlag die Augen nieder, kommt, ergebt euch wieder.Dasist das, was wir im Sitzen in der Stille in wacher Aufmerksamkeit benund in schlichter Gegenwrtigkeit unsere Gedanken zur Ruhe kommenlassen. Das ist der Aufruf zur Kontemplation. Die weiteren Strophen

    betrachte ich nach den drei Stufen in der Mystik: Reinigung, Erleuchtung,Einung.

    1. Die innere Reinigung oder der KlrungsprozessHier dichtet Tersteegen (Str.7): Mache mich einfltig, innig

    abgeschieden, sanft und still in deinem Frieden; mach mich reines

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    Herzens, dass ich deine Klarheit schauen mag in Geist und Wahrheit.Mit einfltig ist fr Tersteegen gemeint, sich nicht in all dem Vielen

    zu verlieren, das uns in Gedanken gefangen hlt, sondern sich ganz dem

    Einen zu ergeben. Wir wrden heute sagen, sich der einen Wirklichkeitzuzuwenden.Mach mich reines Herzens, dass ich deine Klarheit schauen mag in

    Geist und Wahrheit. Hier geht es um den inneren Reinigungs- undKlrungsprozess und um das Schauen Gottes. Er bezieht sich hier aufdie Seligpreisung Jesu (vgl. Matth.5, 8): Glcklich bis ins Innerste der Seele,sind die, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Jesus hatdie Seligpreisungen aus seiner mystischen Erfahrung mit Gott verkndet.Das reine Herz ist das Leersein von allen Dingen, das eineVoraussetzung fr das Gottschauen ist.

    Kontemplari heit: Beschauen, betrachten. Gemeint ist das innereBeschauen und Betrachten des Gttlichen ohne Gegenstand und sich vonGott erkannt und geliebt erfahren. Die Seligpreisungen sind keineVertrstungen auf ein Jenseits, sondern Verheiungen fr Jetzt und Hier.Das Gottschauen findet schon jetzt statt. Es wird erfahren von denen, diereines Herzens sind, d. h. die leer sind von allen Dingen, Bildern undEinbildungen. Das hat Jesus so erfahren und ldt zu solcher Erfahrung ein.

    Im gleichen Sinn nimmt Tersteegen dies in seiner Dichtung als Bitte auf:Mach mich reines Herzens, dass ich deine Klarheit schauen mag in Geistund Wahrheit. Auch Tersteegen bezieht diesen Wunsch nicht auf eineferne Zukunft, sondern auf das Jetzt und Hier in der bung der Stille unddann auch im Alltag: wo ich geh, sitz und steh, lass mich dich erblickenund vor dir mich bcken.

    Tersteegen bittet um das Schauen Gottes, d. h. um dieKontemplation, denn er wei, dass sie durch keine Methode zu erlangen

    ist, auch nicht durch reines Stillesein, sondern nur als Geschenk erfahrenwerden kann. Wir knnen uns nur in einer Haltung der Aufmerksamkeitund des Empfangens ben; wobei die psychischen Krfte zum Schweigengebracht werden und eine offene Passivitt entsteht. In der mystischenTradition wird vom Ich-sterben und Ich-Tod gesprochen. Das istmissverstndlich, da real das Ich nicht stirbt, sondern nur zum Schweigengebracht wird. Eigenes Wnschen, Begehren und Wollen tritt zurck. Frden Alltag aber bleibt das Ich weiter wichtig auch fr die Meditation im

    Sinne von Betrachtung, aber nicht fr die Kontemplation. Wir sprechendarum besser von Ich-Relation oder Ich-Reduktion. Tersteegenformuliert dies mit Worten wie: lass mich ganz verschwinden, dich nursehn und finden. (Str. 5). Oder in seinem Lied Ich bete an die Macht

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    der Liebe: ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebemich versenken.(EG 661,2).

    2. Die ErleuchtungDas, was in der mystischen Tradition Erleuchtung Illuminatio genannt wird, klingt als Bitte in der 6. Strophe des Liedes an: Dudurchdringest alles, lass dein schnstes Lichte, Herr, berhren meinGesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonnestille halten, lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dichwirken lassen.

    Diese Strophe nehme ich fter in Gruppen zur Einleitung des Sitzens inder Stille und empfehle diese Strophe auswendig, besser inwendig gelerntam Anfang zu wiederholen, und schlielich alle Bilder zu lassen, auch dieBilder von der Sonne und den Blumen. Das ist zunchst noch Meditation,geht aber nun ber in die Kontemplation.

    Was in der Stille bleibt ist: 1. Die stille Haltung: still und froh; 2. dieAufmerksamkeit: deine Strahlen fassen und 3. die offene Passivitt:dich wirken lassen.

    Die Erleuchtung kann nur als Geschenk, als Gnade erfahren werden.

    3. Die Einung.Auf dem Weg der Kontemplation sprechen wir in der Mystik von der

    Kommunio mystica, und der Unio mystica. Statt Kommunio mystica,knnen wir auch von Einung mit dem gttlichen Urgrund oder einemGemeinsamwerden mit Gott sprechen. Manche vergleichen dies mit demBild der Ehe. Erkennen und Erkannt-werden sind eins.

    Weiter geht die Unio mystica. Wir knnen auch von Versenkungoder besser vom Eintauchen in das Gttliche sprechen. Paulus formuliert

    aus solcher Erfahrung: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebtin mir. (Gal. 2.20)

    Tersteegen dichtet aus solcher Erfahrung in der 5. Strophe: Ich senkmich in dich hinunter. Ich in dir, du in mir, lass mich ganzverschwinden, dich nur sehen und finden., oder: ins Meer der Liebemich versenken (in Ich bete an die Macht der Liebe). Wenn Tersteegenvon solchen Erfahrungen spricht, kommt er mit dem nur personalenGottesbild nicht mehr aus und gebraucht apersonale Bilder: Luft, die alles

    fllet (Jeremia 23,24: Bin ich es nicht, der Himmel und Erde fllt?)drin wir immer schweben (Apostelgeschichte 17,28: In ihm leben,weben und sind wir.)

    Weitere apersonale Bilder: aller Dinge Grund und Leben, Meer

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    und Grund und Ende, Wunder aller Wunder, an anderen Stellen:Atem, Geist, Quelle usw.

    Trotz solcher apersonalen und transpersonalen Gotteserfahrung wie sie

    im 5. Vers zum Ausdruck kommt, ist sie bei Tersteegen immer auch nochpersonal; so ist gerade in diesem Vers seine Anrede an das gttliche Dubesonders innig: Ich in dir, du in mir.

    Alle Mystiker beklagen, dass sie ihre Erfahrung nicht recht in Wortefassen knnen. In dieser Strophe kommt Tersteegen an die Grenze derSprache. Die berschreitung des personalen Raumes hin in dentranspersonalen ist aber deutlich.

    Den Unterschied zwischen Gott und Mensch festzuhalten, warTersteegen wichtig. Man kann dies im Bild, das Jrg Zink in Die GoldeneSchnur (S.210) fr die Unio gebraucht, zutreffend wiedergeben:

    Wenn ich einen Krug ins Wasser tauche, so ist der Krug im Wasser,und das Wasser ist im Krug. Wasser bleibt Wasser und der Krug ein

    Krug, so der Mensch Mensch und Gott Gott.In den Versen 5 und 8 kommen besonders der Wunsch und die

    Erfahrung der Vereinigung mit dem Gttlichen zum Ausdruck, demeigentlichen Ziel auf dem Weg der Kontemplation.

    In Vers 8 ist u. a. die Bitte enthalten, ein Tempel Gottes zu sein, bzw.

    dies immer mehr zu werden und Gott berall zu sehen: ... wo ich geh,sitz und steh, lass mich dich erblicken und vor dir mich bcken. Alsoauch und gerade im Alltag in allen Dingen und Begegnungen.

    Wie weit diese Vereinigung mit Gott von Tersteegen erfahren undangestrebt wurde, kommt in der Strophe zum Ausdruck: wir essen,trinken und arbeiten in Gott; wir denken in Gott; und wer Snde tut, -erschrick nicht, dass ich so rede der sndigt in Gott. Gott ist uns vielinniger als das Allerinnigste in uns.

    Die so genannten Stufen der mystischen Erfahrung unter denen ichdie Liedverse von Tersteegen angeschaut habe: Reinigung, Erleuchtung,Einung, berlappen sich. Die Reinigung ist immer wieder ntig. Auchgeht es nicht um einen moralischen, leistungsbezogenen Aufstieg!Mystische Erfahrungen sind immer Geschenk und auch ohne besonderebungen erfahrbar fr alle Menschen und auch schon bei Kindernmglich.

    Auch aus solcher Erfahrung sagt Jesus: So ihr nicht werdet, wie die

    Kinder, so knnt ihr nicht ins Reich Gottes kommen. Frei bersetzt undpositiv: Wenn ihr werdet wie Kinder in ihrer offenen und vertrauens-vollen Art, dann knnt ihr die eine Wirklichkeit, - Gott erfahren.

    Darin ben wir uns im Sitzen in der Stille und im Alltag.

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    Von der wahren NchstenliebeWahrlich, Ich sage euch: Wer da sagt: ,Ich liebe Gott und meine

    Brder!, hat aber etwas vor seinen Brdern und teilt es nicht mit ihnenalso, dass nur der kleinste Teil fr ihn zurckbleibt, der ist noch vollEigenliebe und ist des Vaters nicht wert! So jemand htte zehn Brder undwre aber im Besitze von zwlf pfeln, der sollte geben die elf pfel denBrdern und sollte fr sich nur die Hlfte des zwlften behalten, die andereHlfte aber sollte er noch aufheben fr die Brder, dann wrde er sein einwahres Kind des heiligen Vaters im Himmel und Seiner wrdig!

    So ein Vater seine Kinder mehr liebt denn die seiner Brder, der istauch in der Eigenliebe und ist des Vaters nicht wert. Da sage Ich:

    Wahrhaft selig wird der sein, dessen wahres Bruderherz ber der Not desBruders die eigene verga und also auch zur Stillung der Not der Kinderdes Bruders die der eigenen Gott, seinem wahren Vater, in aller dankbarenund liebevollen Ergebung aufopferte!

    Es ist dir besser, so du aus Liebe zu deinen Brdern der rmste bistunter ihnen als der reichste; denn so du geteilt hast mit ihnen deineGaben, und es ist dir noch geblieben ein Teil, so hast du noch gesorgt frdich und achtetest nicht der Sorge deines Vaters im Himmel. Hast du aber

    aus wahrer Brudernchstenliebe alles hergegeben deinen Brdern undbehieltest nichts fr dich zurck, so hast du dich ganz frei gemacht undhast alle Sorge fr dich dem Vater im Himmel berlassen; wird aber diesermchtige, bergute, heilige Vater ein solches Kind wohl darben lassen?!

    Ich sage euch aber: Wahrlich, wahrlich, der soll fr eins hundert undhundertmal hundert fr zehn und Unendliches haben fr alles!

    Urteilet aber selbst: Wird wohl je Not und Elend unter Brdernherrschen, so da alle sind voll Liebe gegeneinander und ist einer wie alle

    und alle wie einer?!O wahrlich, da wird ein jeder haben in der Flle des Segens aus derheiligen Sorge des heiligen Vaters!

    Wollet ihr also wrdige, wohlversorgte Kinder des einen heiligenVaters sein im Himmel, so lebet also als Brder und Schwesternuntereinander! So ihr also leben werdet untereinander, da wird auch lebenund wohnen der heilige Vater unter euch und wird sorgen fr euch alle, -wo aber nicht, da wird bald ein jeder in den alten Fluch zurckfallen undein sehr hartes Stck Brot im Schweie seines Angesichtes unter Dornen

    und Disteln suchen mssen!Also aber verhaltet euch gegenseitig: So dir dein Bruder etwas getan

    hat, da entlasse ihn ja nicht ohne guten Lohn; hast du aber deinem Bruder

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    einen Dienst erwiesen, so soll es dir auch nicht einmal trumen, als wredir dein Bruder etwas schuldig, sondern deine eigene Bruderliebe sei deingrter Lohn. Dieser wird deinem Vater im Himmel wohlgefllig sein. So

    aber die Liebe deines Bruders diesen ntigt, dir zu geben einen Sold, danimm ihn ja nicht als solchen an, sondern als einen der Liebe deinesBruders, und danke ihm und ksse ihn dafr; denn als ein reinesGeschenk musst du jede Gabe betrachten, so wirst du ein rechter Brudersein deinen Brdern, und der heilige Vater wird ein groes Wohlgefallenhaben an solchen Kindern ewig! Amen.

    (Haushaltung Gottes Bd. 1; Kap154,3-10)

    bung der Gottes- und NchstenliebeIch aber bin ja nun darum in das Fleisch dieser Welt gekommen, um

    euch Menschen eine noch bessere Lebensvorschrift zu geben, nach der einjeder sich in die hchste Lebensweisheit versetzen kann. Und dieseVorschrift lautet ganz kurz: ,Liebe Gott aus allen deinen Krften ber alles

    und deinen Nchsten wie dich selbst! Wer das bt und vollauf tut, der istMir gleich und wird auch eben dadurch in alle Weisheit und ihre Kraft undMacht geleitet werden!

    Denn wer voll Liebe zu Gott ist, in dem ist auch Gott mit Seinerunendlichen und unbegrenzten Liebe und mit deren hchstem Lichte

    gegenwrtig. Die Seele und ihr Geist schwelgen dann in allemWeisheitslichte aus Gott, und sie muss dann ja auch alles das schauen underkennen, was das Licht Gottes sieht und erkennt. Und weil alle dieewigste Allmacht und Allkraft Gottes eben in Seiner unbegrenzten undunendlichen Liebe besteht, so darf die Seele in solcher gttlichen Liebe janur wollen mit dem Willen der in ihr herrschenden Liebe des GeistesGottes, und es muss geschehen, was die Seele will! Das ist so klar undwahr, als nur irgend etwas klar und wahr in dieser Welt sein kann.

    Aber solches nur zu wissen und noch so lebendig zu glauben, gengtbei weitem noch lange nicht, sondern man muss das vollauf tun in allennoch so schwierigen Lebensverhltnissen und muss sich darin zu jeder Zeitben; denn nur eine unausgesetzte fleiige bung macht aus dem Jnger

    erst einen Meister!(Gr.Ev.Joh. Bd. 5; Kap. 72,12-14)

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    Erleuchtung im Durchbruch des NichtsDer Mystiker Johannes Tauler und Zen

    Ketzerische Annherungen an das eigentlich UnbeschreiblicheWerner Krebber

    Den Theologen, der Martin Luther und Thomas Mnzer beeinflusste,kennen sehr wenige, seinen Meister kennen allerdings viele, nmlich denMystiker Meister Eckhart.

    Johannes Tauler hatte aber auch noch andere Meister, die so genanntenheidnischen Meister. Auf die Suche nach den letzteren begibt sich dieserBeitrag und entdeckt dabei eine geheime, mystische Verwandtschaft

    zwischen der Botschaft des Eckhart-Schlers und der Zen-PraxisDer Mensch muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledigwerden, es lassen, es fr nichts halten und in sein lauteres Nichtssinken.

    Du musst auf dein Nichts gewiesen werden und sehen, was in dirverborgen und verdeckt liegt. Bleib bei dir selber!

    Soll Gott sprechen, so musst du schweigen, soll Gott eingehen, somssen alle Dinge ihm den Platz rumen.

    Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben und es in dirzu einer Gewohnheit werden lassen, so dass es durch Gewohnheit einfester Besitz in dir werde.

    Anweisungen eines buddhistischen Zen-Meisters? So knnte man aufden ersten Blick zunchst meinen. Doch es sind die Worte eines Menschendes Sptmittelalters, eines christlichen Mystikers. Es sind Stze vonJohannes Tauler, der wahrscheinlich kurz nach 1300 geboren wurde und1361 starb. Das ihm zugeschriebene Adventslied Es kommt ein Schiffgeladen kennen viele. Weniger bekannt jedoch ist die tiefe mystischeSchau Taulers, die in weiten Teilen ganz erstaunliche Parallelen zum Zenaufweist. Sie ist nicht in philosophisch-theologischen Abhandlungenspekulativer Mystik berliefert, sondern in knapp ber achtzig Predigten,die vermutlich kurze Zeit nach dem Tode Taulers niedergeschriebenwurden.

    Was ist Zen? Und was ist Mystik?Eine Bemerkung vorab: Wer in der umfangreichen Literatur zum Zen

    der Frage Was ist Zen? nachgeht, stt auf mehr oder wenigereinleuchtende Be- und Umschreibungen, die hufig in negativerDarstellung angeben, was Zen nicht ist. Was aber ist Zen? Diese Fragemuss beantwortet werden, bevor wir Parallelen bei Tauler suchen und

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    finden knnen.Zen lehrt, dass die Buddha-Natur, oder die Mglichkeit, Erleuchtung

    zu erreichen, in jedem innewohnt, aber aus Unwissenheit brachliegt

    Erreicht wird die Erleuchtung mit einem pltzlichen Durchbruch derGrenzen des gewhnlichen, alltglichen, logischen Denkens beschreibtdie New Encyclopaedia Britannica den Sinn des Zen. Mit den Stzen:Im Mittelpunkt der Zen-Praxis steht die sitzende Versenkung (zazen).Sie soll zur Erleuchtung (satori) fhren, der pltzlich eintretendenErkenntnis der Einheit allen Seins, des Heiligsten und des Profanstenversucht Meyers Enzyklopdisches Lexikon dem Wesen des Zen nherzu kommen.

    Und ein Zweites: Was ist Mystik? Das ist wohl am klarsten undeindeutigsten mit dem zu fassen, was der Mystiker erfhrt: Durch diemystischen Berhrungen wird der Mensch aus seinem verteilten,gewhnlich-tag-tglichen Bewusstsein herausgeholt. Er wird eingekehrtund sprt nun, dass in seinem Herzen etwas geschieht. Er wird weiteraus der Eigenheit heraus- und in seinen Grund hereingezogen. Dieser

    pltzliche bergang vom Durchschnittsbewusstsein, wo er selbst Herr undMeister ist, zu dem Niveau, auf dem sich der ganz Andere fhlen lsst,ist ein erschtterndes Erlebnis, schreibt Paul Mommaers. Und genau

    darauf gilt es, sich stets neu einzulassen.

    Weg und Wirkung Johannes Taulers

    Wahrscheinlich kurz nach 1300, so wird berichtet, ist Tauler als Sohneiner Strassburger Patrizierfamilie geboren. Frh tritt er in denPredigerorden der Dominikaner ein, widmet sich der Seelsorge und predigtetwa ab 1330 vor allem in Gemeinschaften der Dominikaner und inHusern der Beginen. Im Zuge eines politischen Machtkampfes zwischen

    Kaiser und Papst muss Tauler jedoch zusammen mit den anderenDominikanern aus Strassburg emigrieren. Er geht zunchst nach Basel insExil. Verschiedene Reisen fhren ihn spter nach Kln und an den

    Niederrhein, bis er 1361 in seiner Heimatstadt Strassburg stirbt.Die Wirkungsgeschichte Taulers ist ebenso wechselhaft wie

    eindrucksvoll. Seine Predigten beeinflussten den frhen ReformatorenMartin Luther ebenso wie Luthers Gegenspieler, den revolutionrenThomas Mnzer der Bauernkriege. Fast ins Schwrmen kommt im 19.

    Jahrhundert der Dichter Heinrich Heine in seiner Geschichte der Religionund Philosophie in Deutschland, wenn er schreibt: Hier erwhnen wirdaher namentlich des Johannes Tauler Er gehrte zu jenen Mystikern,

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    die ich als die platonische Partei des Mittelalters bezeichnet habe SeineSprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht,wunderbar geschwngert von unbekanntem Kruterduft und

    geheimnisvollen Steinkrften.Die geistesgeschichtliche Traditionslinie, auf die Tauler sich bezieht,beginnt mit dem sptantiken Philosophen Proklos (411 485 n. Chr.), alsoetwa um die Zeit, als Bodhidarma, der vor allem in China lebte und 528gestorben ist, den Zen-Buddhismus begrndete.

    Tauler zitiert Proklos als heidnischen Lehrmeister mit den Wortenwillst du aber noch hher kommen, so lass das vernnftige Hinschauenund Anstarren, denn die Vernunft liegt unter dir, und werde eins mit demEinen. Und er nennt das Eine eine gttliche Finsternis, still, schweigend,schlafend, bersinnlich.

    Auf Proklos sttzt sich auch Dionysius Areopagita (um 550 n. Chr.). Inseiner Abhandlung ber die Unfassbarkeit Gottes schreibt er unteranderem: Er allein ist der Urgrund, der allumfassende Ursprung allesSeins und Nichtseins, darin Vollkommenheit und berschwang, die Fllevon Allem und der Verzicht auf alles und die Jenseitigkeit selbst ber allesumschlossen liegt. Kein Sein und kein Nichtsein kann Ihn treffen und Jaund Nein erreichen Ihn nicht.

    Auf diese Traditionen greift Tauler zurck, die noch anzureichern sindmit Platon (428/27348/47) und Plotin (um 205270) und die ergnztwerden mssen mit den Kirchenvtern Augustinus (354430) und Thomasvon Aquin (1225/61274) sowie Dominikus (um 11701221), denGrnder des Dominikanerordens. Etwa in dieser Zeit waren brigensinnerhalb des Buddhismus in Japan die Rinzai-Schule (Eisai 11411215)und die Soto-Schule (Dogen 12001253) entstanden. Vor allem und in

    besonderer Weise ist jedoch der Mystiker Meister Eckhart (um 1260

    1327) zu nennen, dessen direkter Schler Johannes Tauler war.

    Aufstieg aus dem Grund

    Fr Johannes Tauler ist der Mensch immer im Aufstieg, immer inBewegung. Denn nur so kann er zu dem Durchbruch gelangen, der ihn aufseinem Weg weiterbringt. Nicht eindimensional, sondern in drei Schichten

    bewegt sich nach Taulers berzeugung der Mensch dabei von der Selbst-zur Gotteserkenntnis. Eine Passage aus der Predigt Von der Geburt Gottes

    im Menschen verdeutlicht dies: Die Seele hat drei edle Krfte, in denensie ein reines Abbild der heiligen Dreifaltigkeit ist: Gedchtnis, Verstandund freier Wille. Und mittels dieser Krfte erfasst sie Gott und ist fr ihn

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    empfnglich, so dass sie alles dessen empfnglich werden kann, was Gottist und hat und geben kann, und vermittels ihrer schaut sie in die Ewigkeit.

    Denn die Seele ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: Mit ihrem

    obersten Teile gehrt sie in die Ewigkeit, und mit ihrem untersten Teile,mit ihren sinnlichen, tierischen Krften, gehrt sie in die Zeit. Nun ist dieSeele sowohl mit ihren obersten wie mit ihren untersten Krften in die Zeitund die zeitlichen Dinge ausgestrmt, infolge der nahen Verwandtschaft,die die obersten Krfte zu den untersten haben; daher wird ihr auch dieser

    Lauf sehr leicht, und sie ist sogar bereit, ganz in die sinnlichen Dingeauszulaufen, und geht so der Ewigkeit verlustig. Wahrhaftig, es mussnotwendig ein Rcklauf geschehen, soll diese Geburt geboren werden, esmuss eine krftige Einkehr geschehen, ein Einholen, ein inwendigesSammeln aller Krfte, der untersten und der obersten, und so muss eineVereinigung von aller Zerstreuung stattfinden

    Louise Gndinger beschreibt in ihrer Biographie des sptmittel-alterlichen Mystikers Tauler, worum es ihm vor allem geht: Im eigenen,als tief innerlich liegend empfundenen Abgrund stt der Mensch, hat ersich den Weg dorthin einmal frei gemacht, auf den gttlichen Abgrund.Beide Abgrnde, der menschliche und der gttliche, rufen einander zu undherbei, und in dem dynamisch wogenden Hin-und-Her-Rufen fhrt und

    leitet der gttliche Abgrund den menschlichen in sich hinein in denUmschwung der Gottheit.

    Denn Tauler bleibt in seinen Predigten nicht dabei stehen, die Suchedes Menschen nach Reichtum, Ordnung, Gestalt, Wahrheit, Wesen etc. inseiner Ganzheit zu beschreiben. Er geht weiter: Er tastet nach der letztenWesenstiefe im Menschen, schreibt Josef Zapf. Er ringt um denberschritt in den gttlichen Grund. Dort vollzieht sich die Geburt Gottesim Menschen.

    Ganz entscheidend fr diese Gottesgeburt im Menschen ist Taulersberzeugung, dass der Mensch ein Nichts ist. Allerdings nicht in demgemeinhin negativ verstandenen Sinn, sondern so begriffen, dass er demeigenen Nichts auf den Grund geht. Dass er es sehen kann als Nichtigkeitund Sinnlosigkeit der Welt. Tauler meint, dass der Mensch von Grund aussein natrliches und sein gebrechliches Nichts erkennen soll.

    Der Mensch muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledigwerden es lassen, es fr nichts halten und in sein lauteres Nichts sinken.

    Tauler wei: Willst du in Gottes Innerstes aufgenommen, in ihngewandelt werden, so musst du dich deiner selbst entuern, allerEigenheit, deiner Neigungen, aller Ttigkeit, aller Anmaung, aller Weise,in der du dich selber besessen hast; darunter geht es nicht. Zwei Wesen

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    und zwei Formen knnen nicht zugleich nebeneinander bestehen. Soll dasWarme hinein, so muss das Kalte notwendigerweise hinaus. Soll Gotteintreten? Das Geschaffene und alles Eigene muss dafr den Platz

    rumen. Soll Gott wahrhaftig in dir wirken, so musst du in einem Zustandbloen Erduldens sein; all deine Krfte mssen so ganz ihres Wirkens undihrer Selbstbehauptung entuert sein, in einem reinen Verleugnen ihresSelbst sich halten, beraubt ihrer eigenen Kraft, in reinem und bloem

    Nichts verharren. Je tiefer dieses Zunichtewerden ist, um so wesentlicherund wahrer ist die Vereinigung.

    Sich lsen von ueren Bildern

    Zu dieser Vereinigung von Gott und Mensch, die alle Trennungenaufhebt, gehrt fr den Seelsorger und Prediger, dass sich der Mensch vonallen Bildern lst.

    Man findet gar manchen, der in der bildhaften Weise sehr bewandertist und groe Freude an solcher bung besitzt, aber keinerlei Zugang zur

    Innerlichkeit seiner Seele hat Das kommt daher, dass sie zu sehr bei densinnlichen Bildern verweilen und dabei verharren und nicht vorwrtskommen und nicht in den Grund durchbrechen, wo die lebendige Wahrheitleuchtet: denn man kann nicht zwei Herren dienen: den Sinnen und demGeist.

    Seine Zuhrer fordert er auf, dass sie die Bilder bald fahren lassen undmit flammender Liebe durch den mittleren in den allerinnersten Menschenhindurchdringen. Und wie Proklus meint Tauler: Solange der Menschmit den Bildern, die unter uns sind, beschftigt ist und damit umgeht,wird er niemals in den Grund gelangen.

    Fr Tauler gehrt existentiell zum Gelingen des Durchbruchs dieAbgeschiedenheit vom ueren, das Aufgeben der Anhnglichkeit an

    Dinge, Geschpfe oder Gewohnheiten, der Blick der Einfachheit, dieEinkehr in den Grund und der Einklang mit Gott, der Grund des Menschenund sein Nichts mit all seinen Facetten, das Erkennen des Selbst, dasSchweigen, damit Gott sprechen kann

    Vom Gewahr-Werden zum Gewahr-Sein: hier und jetzt

    Tauler geht es in seinen Predigten nicht um intellektuelle Anregungen,sondern um praktische Anweisungen. Er mahnt seine Zuhrerinnen und

    Zuhrer immer wieder, ihrer Selbst gewahr zu werden, aufmerksam zuwerden, sich zu beachten und zu beobachten, um in diesem Prozess ihrerSelbst gewahr zu sein. In der beobachtenden Teilnahme des Menschen ist

    Erleuchtung im Durchbruch des Nichts

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    er fhig, die Krfte seines Gemtes zu erkennen und zu aktivie