GEKÄMPFT GEFANGEN GESCHLAGEN GEÄCHTET...

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GEKÄMPFT GEFANGEN GESCHLAGEN GEÄCHTET GEFLÜCHTET Erinnerungen an eine schlimme Zeit von Alois Weitzl Adolf Wollinger Franz Czejka

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  • GEKÄMPFTGEFANGEN

    GESCHLAGENGEÄCHTET

    GEFLÜCHTETErinnerungen an eine schlimme Zeit von

    Alois WeitzlAdolf Wollinger

    Franz Czejka

  • 100 Jahre…Ein Blick zurück.

    1897 Festlegung der Zweisprachigkeit in Böhmen undMähren

    1907 Erste allgemeine Wahlen in böhmischen Ländern

    1915 Der tschechische Nationalrat plant die Gründungeines eigenen Staates

    1917 "Tschechoslowakei" wird erstmals erwähnt undstellt territoriale Forderungen u.a. an Bayern, Österreichund Sachsen

    1918 Tschechisches Militär besetzt die sudetendeut-schen Gebiete

    1920 schwere Ausschreitungen gegen Deutsche

    1921 Volkszählung: 3.123 Millionen Deutsche, das sind23,4% der Bevölkerung

    1933 Verbot der deutsch-nationalen Parteien

    1935 Sudetendeutsche Partei stärkste in der CSR

    1938 Viermächteabkommen über die Abgabe des Sude-tenland ans Deutsche Reich

    1939 Einmarsch der deutschen Wehrmacht und Errich-tung des "Reichsprotektorats Böhmen und Mähren"

    1945 Amerikaner besetzen Westböhmen, Beginn derVertreibung

    1949 Bei Wahlen erzielt die Kommunistische Partei diemeisten Stimmen

    1960 Die Tschechoslowakei wird "Sozialistische Repu-blik" (CSSR)

    1990 Umbenennung der CSSR in Tschechische undSlowakische Föderative Republik

    1993 Teilung in Tschechien und Slowakei

    1997 Abstimmung über die Anerkennung der "Unrecht-mäßigkeit" der Vertreibung

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    Tagebuch der Kriegstage 1943 bis 1945von Alois Weitzl

    ergänzt vonAdolf Wollinger und Franz Czejka

    Für den Südmährer Alois Weitzl, Jahrgang 1926, gebürtig aus Kaschnitzfeld, dauerte dieReichsarbeitsdienstzeit vom 3.Oktober 1943 bis 6. April 1944. Seine Ausbildung erhielt er inWinkhausen im Hochsauerland und in Hagen in Westfalen. Die Rekrutenzeit bei der deutschenWehrmacht begann er gemeinsam mit seinem Schulfreund Franz Czejka aus Mißlitz am 5. Mai1944, sie endete am 25. August 1944 bei den Panzergrenadieren in Friedek Mistek bei Mäh-risch Ostrau. Dann ging es zum Fronteinsatz in die Slowakei. Um 8 Uhr am Abend verließenWeitzl und Czejka mit ihrer Einheit in Schützenpanzerwagen die Kaserne. Die erste Kompanie

    mit Oberleutnant Kramer, die zweite Kompanie mitOberleutnant Bröxges, die dritte Kompanie bildete dieSpitze des Bataillons. Um 3 Uhr in der Früh des 26.August überfuhren sie die Grenze des Protektoratszur Slowakei und erreichten die Ortschaft Puchov.Um 8 Uhr hieß es dann aufsitzen, nachdem Munitiongefasst und die Fahrzeuge aufgetankt waren.Friedliche Slowakendörfer, die zum Teil geräumtwaren, wurden durchfahren, ebenso Wälder und engePassstraßen.

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    Der erste Einsatzbefehl am 30. August 1944 lautete: Eroberungder Stadt Zilina (Sillein). In Straßen- und Häuserkämpfen wurde

    die Stadt ohne größere Verluste eingenommen, Widerstand gabes kaum. Am Tag darauf wurden die Panzergrenadiere alsInfanteristen eingesetzt. In den Wäldern um Strecno stießen sieauf starke Gegenwehr von Partisanen, sie wurden auf der Höhe305 von ihnen eingeschlossen. Obwohl die Truppe vonOberleutnant Kriechling verlassen worden war, konnte sie sichdurchkämpfen, es gab jedoch viele Tote und Vermisste zubeklagen. Nachts, müde von Kämpfen mit den Partisanen unddem Umschließungsring entronnen, erreichte die von ihremKompaniechef im Stich gelassene Einheit in den Abendstundeneine fast zerstörte Kirche. Czejka setze sich mit seinem KremserFreund, der den Blasebalg betätigte, an die Orgel und spielteseine Kameraden in den Schlaf.

    Vom 31. August bis 5. September 1944 kämpfte die Kompanie am Vrutky-Pass. Die Stadt Vrut-ky wurde am 5. September erobert. Am 10. September ging es zurück nach Sillein in die Kaser-ne. Vom 15. bis 20. September wurde die Einheit, wieder als Panzergrenadiere, auf die Höhe105 verlegt. Sie bekam als neuen Kompaniechef Leutnant Hieger. Unter seiner Führung wurdedie Stadt Martin am 20. September erobert. Danach wurde die Kompanie als motorisierte Strei-fe eingesetzt. Die Route, die zu befahren war –Banska Bystrica, Martin, Rajec, Rajec-Teplice,Schloss Kunrad –war ein von Partisanen durchsetztes Gebiet. Es kam laufend zu Übergriffender Partisanen, die viele Tote und Verletzte forderten.

    Am 21. Oktober 1944 wurde die Kompanie zur Sicherungder Höhe von Kremnitz abkommandiert. Die vonPartisanen besetzten Städte Banska Bystrica (Altsohl)und Zvolen (Neusohl) wurden am 25. Oktober befreit.Am 1. November 1944 rief der damalige slowakischeStaatspräsident Dr. Tiso zu einer Siegesparade auf demHauptplatz von Banska Bystrica auf.

    Er dankte den Soldaten der deutschen Wehrmacht für dierasche Niederwerfung der Bandenstreitkräfte und verliehden Einheiten Auszeichnungen. An der Parade beteiligtensich das Regiment Ohlen und einige Einheiten der Waf-fen-SS.

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    Vom 15. November bis 2. Dezember 1944 kam die Einheit zur Auffrischung nach Trnava (Tür-nau). Am 8. Dezember erhielten einige Soldaten, darunter Weitzl und Czejka, das Panzer-sturmabzeichen in Bronze. Vom 5. bis 22. Dezember gab es gefährliche Einsätze im Gebiet

    um Lomm, Detvar und Starahuta.

    Ein neuer Einsatzbefehl wurde am 22. Dezember 1944 in Richtung slowakisch-ungarischeGrenze erteilt. Die Kompanie übernahm die Sicherung der Brücke von Tlmacl und die der Ei-senbahnbrücke von Kosarovce. Die Gegner waren nicht mehr Partisanen, sondern sowjetischeEinheiten. Um 10 Uhr vormittags wurde die Kompanie von russischen Einheiten, voran 25 T34-Panzer, angegriffen. Durch Sprengung der beiden Brücken gelang es, einer Einschließungdurch die Russen zu entgehen. Am 25. Dezember 1944 hatte die Kompanie bei einem Späh-truppunternehmen der Russen Tote und Verletzte zu beklagen. Czejka entging knapp einemrussischen Handgranatenangriff, indem er sich in letzter Sekunde in den Straßengraben warf.Am 26. Dezember 1944 griffen die Kompanien unter ihren Kommandanten Bröxges, Kramerund Hieger die Ortschaft Tlmace an, wo sich russische Infanterie- und Kavallerieverbände zu-sammengezogen hatten. Schon nach zwei Stunden erbitterten Kampfes war die Ortschaft indeutscher Hand und die Russen vertrieben.

    Bis zum 10. Februar 1945 war die Kompanie an der Front am Gran-Brückenkopf eingesetzt. Estobte dort ein täglicher Kampf mit den Russen. Der Rückzug von diesem Frontabschnitt erfolgtenach neuem Einsatzbefehl über Nemcinany, Zlate Moravce nach Vrbove in der Nähe von Bra-tislava (Pressburg).

    Am 23. März 1945 wurde dieKompanie verladen, überBruck an der Leitha ging esan die ungarische Raab-Front. Dort hatten russischeKräfte die deutscheAbwehrfront aufgerissen. Mitder Unterstützung vonSturmgeschützen undPanzern konnte die Einheit

    den Ort Papa zurück erobern und den Durchbruch abriegeln.

    Am 27. März 1945 wurde das 10. Bataillon mit ihrem Hauptmann namens Hauptmann und demersten Schützenpanzerzug mit Leutnant Voggeneder zwischen Papa und Stein am Anger ein-geschlossen. Am 28. März 1945, in den späten Abendstunden, sollte die Panzergrenadierdivi-sion „Tatra“ Einheiten der SS-Division „Totenkopf“, Division „Feldherrnhalle“ und Hitler-Jugenddie im Kessel eingeschlossenen Verbände befreien. Durch den starken Druck der Roten Ar-mee-Einheiten misslang jedoch dieser Versuch.

    Am 29. März 1945, in den frühen Morgenstunden, bezo-gen die deutschen Kompanien die ausgebauten Stellun-gen vor der Stadt Sopron (Ödenburg) an der österrei-chisch-ungarischen Grenze. Im Laufe des Vormittagsgriff der Russe mit starken Panzerverbänden die deut-schen Stellungen an. Ebenso waren Infanterie-Verbändeder zweiten weißrussischen Armee zum Angriff überge-gangen. Den Männern der deutschen Flak-Batterien wares zu verdanken, dass dieser Großangriff zunichte ge-macht wurde. In den deutschen Einheiten entstand Mu-nitionsmangel. Den russischen Truppen gelang es da-durch, die Deutschen bis nach Sopron zu treiben, wo siebis zum 3. April eingeschlossen wurden.

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    Es gelang, den Einschließungsring zu durchbrechen und die schwachen Ortssicherungen derRussen zu übergehen, ein Teil der Deutschen konnte sich bis Klingenbach durchschlagen.

    Am 4. April 1945 erreichten die Reste der Kompanie nach langem Suchen und großen Strapa-zen erschöpft die versprengten Einheiten bei Winden und Frauenkirchen im Burgenland.

    Vom 5. bis 6. April 1945 leistete dieEinheit noch vereinzelt Widerstand.Deutsche versuchten so rasch wiemöglich die Donau zu überqueren, da dieRussen bereits einige Wiener Bezirkeeingenommen hatten. DeutscheSprengkommandos sprengten diemeisten Donaubrücken, einzig dieReichsbrücke in Kaisermühlen war nochbenützbar. Diese lag aber schon imFeuer der russischen Artillerie. DerRückzug der Einheit ging überFischamend, Wien und Großenzersdorf.Am 7. April kam sie nach Horn insWaldviertel, wo sie als Rest der

    Panzergrenadierdivision „Tatra“ der 6. Panzerdivision zugeteilt wurde und neue Fahrzeuge undAusrüstungen erhielt.

    Am 9. April 1945 wurde der 19. Geburtstag Weitzls gefeiert. Einen Tag später gab es nachts um3 Uhr Alarm, die Einheit wurde zur Sicherung der Reichsbrücke nach Kaisermühlen beordert.Bei den Häuser- und Straßenkämpfen um die Reichsbrücke gab es schwere Verluste an Men-schen und Material. Bis zum 15. April 1945 konnte die Reichsbrücke gehalten werden. DieMenschenverluste wurden immer größer, die deutsche Einheit musste zurück weichen. Bei Kö-nigsbrunn und Schwalbach kam es zu einem Gefecht mit großen Verlusten. Wieder gab es Mu-nitionsmangel.

    Die folgende Aufgabe bestanddarin, die Rollbahn Laa an derThaya –Znaim zu sperren. Am18. April 1945 erreichte dieEinheit einen Ort in der Nähevon Zistersdorf. Es galt, dieÖltürme von Zistersdorf zusichern.

    Dort überreichte Leutnant Hieger an Weitzl das Eiserne Kreuz 2. Klasse undan Czejka das EK 1. Klasse. Nachdem der Russe Panzer-und Artillerieverbände in Mistelbach und Poisdorf eingesetzthatte und die Frontlinie durchbrochen war, lautete der Befehl:Rückzug in Richtung Statz. Dem Kompaniechef Hieger wares zu verdanken, dass die Einheit aus dieser Sackgasseentrinnen konnte.

    EK II EK I

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    Am 21. April 1945 nachmittags griff derIwan im Schutz von Weingärten mit

    heftigem Maschinengewehrfeuer und vielenin Stellung gebrachten Panzerabwehrkano-nen an. Hieger wurde am rechten Arm durcheinen Splitter schwerst verwundet. Weitzlbrachte ihn zum Hauptverbandsplatz zurückund auch er erlitt durch einen Granatsplittereine leichte Verwundung. Als Ersatz für denverletzten Kompaniechef wurde der Einheitein unerfahrener junger Leutnant namensMoser zugeteilt. Am 22. April 1945 in derNacht setzte sich die Einheit, aufgesessenauf Tigerpanzern, in Richtung Hanftal ab.

    Weil der verwundete Hieger aus Versehen dasKartenmaterial mitgenommen hatte und keinerim Besitze einer Karte war, Weitzl jedoch dieFahrroute gut kannte, musste er die Einheit zumneuen Standort Leipertitz einweisen. Dort wurdedie Kompanie vollzählig gemeldet. Weitzl konntesich über die Gewährung von sechs StundenUrlaub freuen, den er in seinem HeimatortKaschnitzfeld verbrachte. Abends ging es erneutweiter, weg von der Heimat nach Trebitsch. Um20 Uhr griff die Einheit russische Kräfte inRossitz an, es gelang ihr jedoch nicht, die Stadtim Straßenkampf zu erobern.

    Am 2. Mai wurde eine neue Auffangstelle in Sastovka(Segen Gottes) an den Waldhöhen bezogen. DieTage verliefen jetzt ruhiger. Jeder merkte, dass derKrieg verloren war. Mit dem Fall von Berlin war es mitdem Kampfgeist der Truppe vorbei. Die meistensahen ein, dass aller Einsatz, alle Opfer vergeblichgewesen waren. Es musste aber weiter gekämpftwerden, da die SS jeden erschoss, der nicht mehrkämpfen und sich absetzen wollte. Der Russebereitete sich auf den letzten großen Angriff vor. Am7. Mai 1945 war der letzte große Kampftag deszweiten Weltkrieges. Um 11 Uhr mittags setzten aufeinen Schlag russische Batterien, unter ihnen Stalinorgeln, ein Vernichtungsfeuer auf denFrontabschnitt. Munitionslager und Fahrzeuge wurden getroffen, die Ortschaft Sastovka glicheinem Flammenmeer. Jeder versuchte, der roten Sturmflut zu entrinnen, nur wenigen gelanges. Der Tod hielt seine letzte große Ernte. Den nahen Wäldern war es zu verdanken, dass eseinigen gelang, aus dieser Hölle zu entkommen. Abends um 22 Uhr erteilten die Kommandeureden deutschen Soldaten den Auftrag, sich nach Kralitz abzusetzen, um nicht in Gefangenschaftgenommen zu werden. Da wurde klar, dass die russischen Flugblätter, die eine KapitulationDeutschlands verbreiteten, der Wahrheit entsprachen. Somit war für die deutschen Soldatender Dienst für das Vaterland zu Ende. Am 8. Mai 1945 stellte der Rest der 6. und 8. Armee dieKampfhandlungen ein. Es wurde nur so viel an Ausrüstung mitgenommen, um an die Demarka-tionslinie zu den Amerikanern zu gelangen. Die Amerikaner aber schickten die deutschen Sol-daten in die russische Zone zurück. Sie wurden von den Russen entwaffnet und gefangen ge-nommen. Unter russischer Bewachung ging der Marsch der Gefangenen nach Deutsch Brod.Hier endet der Bericht aus dem Tagebuch Weitzls.

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    Dramatische Flucht und Heimkehrgeschildert von Adolf Wollinger

    Adolf Wollinger, Jahrgang 1928, aus Aschmeritz gebürtig, lernte am 18. April 1945 anlässlichder oben erwähnten Verleihung von Auszeichnungen, zu der auch seine Einheit auf einem Dorf-platz hinter der Front angetreten war, die zwei Kameraden aus Kaschnitzfeld und Mißlitzkennen. Beide waren etwas älter als er und er empfand sie als recht schneidig und kriegserfah-ren. Der Mißlitzer Czejka sollte später, nach dem 8. Mai, so etwas wie der Anführer einer klei-nen Gruppe von fünf Mann werden, einer Gruppe, die mit allen Mitteln versuchen wollte, denRussen zu entkommen und die Heimat, die ja gar nicht so weit entfernt lag, zu erreichen. Zu-nächst allerdings wollte die Einheit nach der Kapitulation mit der Division geschlossen nachWesten durchbrechen, um sich dann in Böhmen den Amerikanern gefangen zu geben.

    Am 8. Mai 1945 abends, auf dem Markt- oder Dorfplatz eines tschechischen Ortes, hatte derDivisionskommandeur versprochen, alle in den „rettenden Westen“ zu führen. Da die Einheiten noch gut motorisiert und auch mit Sprit noch einigermaßen gut versorgt waren, ging das Abrü-cken zügig vonstatten. Allerdings musste man bald feststellen, dass die nach Westen führendenHauptstraßen von deutschen Truppen so verstopft waren, dass ein Weiterkommen fast unmög-lich schien. Ein Versuch, über Felder usw. an eine weniger frequentierte nach Westen führendeStraße zu gelangen, wurde durch plötzlich auftauchende russische Panzer zunichte gemacht,alles löste sich auf. Die drei Kameraden aus den südmährischen Ortschaften sowie ein weitereraus Znaim und einer aus Krems versuchten es nun auf eigene Faust. Ein Kettenfahrzeug, dasstehen geblieben war, wurde von den sachkundigen Panzerleuten wieder in Gang gesetzt.Weiße Leintücher kamen an die Seiten des Gefährts, Treibstoffkanister von anderen Fahrzeu-gen wurden gesammelt und ab ging es wieder in Richtung Westen. Ab und zu traf man nun, be-reits weit im böhmischen Gebiet, auch schon auf russische Truppen, die die kleine Gruppe vonfünf Kameraden aber zunächst mit dem Strom der rückflutenden Deutschen ruhig nach Westenziehen ließen. Dann aber, es mag schon vier Tage nach dem 8. Mai gewesen sein, hielt mandie Gruppe auf. Vorerst, weil man das Fahrzeug zum Abschleppen eines liegen gebliebenenrussischen Lasters brauchte. Dann, nachdem ihnen die Russen Uhren, Füllhalter, Ringe etc.abgenommen hatten, wurden die fünf Burschen aber auch gleich in einen Strom von deutschenGefangenen eingereiht, der nun in die entgegen gesetzte Richtung, also nach Osten, mar-schierte und schon von Russen begleitet und bewacht wurde.

    So gelangte die Gruppe nach langem Marsch auf einen Feldflughafen am Rande von DeutschBrod, auf dem schon viele tausend deutsche Soldaten lagerten. Von da aus begann dann nacheiniger Zeit der Abmarsch in Richtung Iglau und Brünn. Der Gefangenenzug, dem die Gruppezugeteilt war, hatte 90 Hundertschaften. Jeweils einem Kameraden wurde morgens beim Ab-marsch eine Tafel mit einer Nummer in die Hände gedrückt und 99 Mann mussten ihm folgen.Diese Ordnung löste sich aber immer nach kurzer Zeit auf, so dass dann der Zug ungeordnetund mehrere Kilometer lang dahinzog, links und rechts alle 80 bis 100 Meter flankiert von Rot-armisten.

    Bevor die Kameraden geschnappt worden waren, hatten sie ihre Brotbeutel noch an einemdeutschen Verpflegswagen gefüllt. Nun aber, da sie von den Russen kaum etwas bekamen,wurde die Ernährung trotz größter Sparsamkeit problematisch. Überall wurde nach Essbaremgesucht. Unterwegs in den Dörfern bat man manchmal die an der Straße stehenden Menschenum ein Stück Brot. Viel häufiger als eine Gabe gab es allerdings Tritte und Püffe. Am ehestenhatte noch Wollinger Erfolg. Wahrscheinlich sah er als „Kind in Uniform“ wohl am erbarmungs-würdigsten aus. Alles, was die Fünf hatten bzw. bekamen, wurde gesammelt und dann in winzi-gen Portionen gleichmäßig ausgegeben. Der Kamerad aus Krems, der aus Znaim und die dreiSüdmährer hielten sich immer beisammen und die Freunde waren pausenlos mit Überlegungenbeschäftigt, wie sie den Russen doch noch entkommen könnten.

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    Jeden Tag näherten sie sich wieder ein Stück der Stadt Brünn, und die Aussicht, von dort zuentkommen, war sicher nicht mehr groß, wenn sie erst in Viehwaggons gepfercht nach Ostenrollen würden. Der kleine Wollinger glaubte nach zwei misslungenen Versuchen überhaupt

    nicht mehr an eine Fluchtmöglichkeit und hatte sich gedanklich schon mehr oder weniger insein Schicksal gefügt.

    Einmal waren die Fünf ungesehen von den Bewachern unterwegs in einen Durchlass gekro-chen. Kurz darauf wurden sie aber in einem kleinen Wäldchen, das sie, nachdem der Zug vor-bei war, erreichten, von tschechischen Partisanen, die da regelrecht Streifjagd machten, aufge-griffen. Zwei Stunden später waren die unglücklichen Flüchtlinge dem Gefangenenzug schonwieder einverleibt. Des Nachts lagerte man immer, von Posten umstellt, auf freiem Feld. Als diefünf Kameraden einmal, an einer Böschung entlang robbend, weg wollten, begann plötzlich eineSchießerei, von der sie gar nicht wussten, ob sie überhaupt ihnen galt. Sie zogen es aber dochvor, wieder umzukehren.

    Am späten Nachmittag einer Tagesetappe kamen die Kameraden in ein großes Waldgebiet. Sienahmen an, dass es etwa in der Gegend war, wo sie zuletzt im Einsatz waren. Kamerad Weitzlaus Kaschnitzfeld konnte sich plötzlich orientieren und sagte: „Da bin ich öfter als Melder ent-lang gefahren, der Wald ist sehr groß, und wenn wir uns weiter hinten im Zug halten, wird eswohl Nacht werden, bis wir wieder offenes Feld zum Lagern erreichen!“ Die Fünf ließen sich al-so zurückfallen, suchten sich eine geeignete Stelle, eine Straßenkurve, aus, von wo der vordereBewacher, wenn er erst ein Stück weiter war, nicht mehr zurück sehen konnte. Dann baten sieein paar Kameraden, eine Gruppe und somit einen Sichtschutz vor dem nächsten Russen zubilden, der Gott sei Dank kleinwüchsig war und ebenfalls müde unter den Landsern daherschlurfte. Auf das Kommando von Czejka sprangen die Fünf kurz vor der Kurve ins Gebüschund legten sich nach einigen Metern flach auf den Boden, Unbeweglich liegend warteten sie aufdas Ende des vorbei ziehenden Gefangenenzugs. Immer nervöser wurden wegen der stärkerwerdenden Dämmerung die Dawai-Rufe der Bewacher, bis sie schließlich in der Ferne verhall-ten.

    Vorsichtig drangen die Flüchtenden weiter in den Wald ein, umzu beraten, wie es nun weiter gehen sollte. Als erstes holtensie vom Grund der Gasmaskenbüchse mit Mehl, das sie aufdem Flugplatz in Deutsch Brod organisiert hatten, einenMarschkompass heraus. Der sollte ihnen die Orientierung beiden nun folgenden Nachtmärschen nach Süden erleichtern.Beim Versuch, den Kompass vom Mehl zu säubern, fiel dieNadel zu Boden und war inder Dunkelheit trotz eif-

    rigster Suche nicht mehr zu finden. Sie mussten sich nunnach dem Polarstern richten. Glücklicherweise war damalsschönstes Frühlingswetter mit vollkommen klaren Nächten,was den Stern, den sie liebevoll „unseren“ Stern nannten und den sie immer im Rücken haben mussten, immersichtbar sein ließ. Zu Hilfe kam ihnen auch das WissenCzejkas um die Natur, er konnte die Himmelsrichtungenauch am Moosbewuchs der Bäume feststellen.

    Sie beschlossen, so weit wie möglich im Wald oder an denWaldrändern zu marschieren, niemals eine Straße zubenutzen und Gewässer nicht auf Brücken zu überqueren.Erst bei vollkommener Dunkelheit wollten sielosmarschieren und beim ersten hellen Schimmer im Ostenwieder ein Tagesversteck, möglichst in einem Dickicht imWald, aufsuchen. Drei Flüsse waren zu überqueren. DieOslava, die Iglava und die Rokytna.

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    Einer aus der Gruppe, es war Weitzl, konnte nicht schwimmen. Wollinger beherrschte, dank„Schwemm“hinterm Hof am Graben, eine Mischung aus so genanntem „Hundstapper“und ei-ner Art Brustschwimmen, und die anderen drei waren gute Schwimmer. Diese drei erprobten

    jeweils das Gewässer und brachten die in Zeltplanen eingebundene Bekleidung hinüber. Soblieben die Kameraden wenigstens von der Gürtellinie aufwärts trocken. Schuhe und Beinklei-der wurden ohnehin jede Nacht durch den Tau vollkommen durchnässt. Der NichtschwimmerWeitzl wurde von zwei Mann hinübergeführt und mit Wollinger ging einer der guten Schwimmermit. An der Oslava und Iglava konnten sie durchwaten. Da reichte ihnen das Wasser nur biszum Bauch. Die Rokytna, eigentlich kein großer Fluss, erreichten sie zu Beginn des letztenNachtmarsches. Scheinbar war irgendwo unterhalb eine Wehr, und sie kamen an einer rechtbreiten und tiefen Stelle an den Fluss. Hier wurde der des Schwimmens unkundige Weitzl ein-fach rüber gezerrt. Er hatte zwar rechte Schwierigkeiten mit dem Luftschnappen, erholte sichaber bald wieder. Neben Wollinger schwamm sicherheitshalber ein Zweiter mit.

    Während des fünf Nächte dauernden Marsches gab es keinen Zwischenfall. Die Tschechen undRussen waren scheinbar mit dem pausenlosen Feiern des Sieges beschäftigt, denn des Öfte-ren war aus den Orten, an denen die Kameraden vorbei zogen, Gegröle, Singen und auch Mu-sik zu hören. Mittlerweile war es Ende Mai und man unternahm anscheinend auch keine Streif-jagden mehr auf versprengte deutsche Soldaten. Als die Fünf aber in der dritten Nacht die Igla-va überquerten und sich mit dem Rüberkommen doch recht lange aufhielten, kamen sie ausdem Auwaldstreifen ins freie Feld und schon nach kurzer Zeit brach der Tag an. Bis zum nächs-ten bewaldeten Höhenrücken waren es sicher noch drei Kilometer und sie wagten es nichtmehr, bei hellem Tag weiter zu gehen. Mitten in den Feldern gab es einen 5 bis 6 m breiten, mitBüschen bestandenen Graben und dort mussten sie sich ins Tagesversteck begeben.

    Zu ihrem Schreck kam ir-gendwann am Vormittag einBauer mit einem Pferd undbegann, den Feldstreifenneben dem Grabenversteck zupflügen. Immer näher kam eran den Grabenrand und dieFlüchtenden sorgten sich sehr,entdeckt zu werden. Da dieGlocken im 2 bis 3 Kilometerentfernten Dorf schon die Mit-tagszeit ankündigten, kam erbeim Ziehen der letzten Furcheganz nahe an den Verstecktenvorbei. Das Pferd schreckteauf. Regungslos lagen die Fünfmit Ästen getarnt unter ihrenZeltplanen. Vorsichtig lugtensie jedes Mal, wenn der Bauer,die Hände am Pflug, vorbei

    marschierte, nach oben. Plötzlich, nachdem er gerade wieder vorbei war und die Kameradenzunächst glaubten, wieder nicht entdeckt worden zu sein, rannte er, noch nicht am Ackerendeangelangt, vor, hakte das Zugscheit des Pferdes aus und lief, so schnell ihn die Füße trugen,mit seinem Pferd zum Wagen. Anspannen und in Galopp Richtung Dorf fahren, war eins. Weiles schon hoher Mittag war, befand sich niemand mehr auf den Feldern, sodass die Kameradenungesehen die deckungslose Strecke überwinden konnten. Als sie der gegenüber liegendeWald aufgenommen hatte, marschierten sie noch lange weiter, um vor etwaigen Verfolgernnoch einen möglichst großen Vorsprung heraus zu holen. Im Morgengrauen der fünften Nachtkamen sie vorbei an der Ortschaft Kodau an das westliche Ende des Waldes, der sich nach Os-ten noch ein Stück über die Straße Mißlitz-Deutsch Knönitz hinzieht. Ohne Karte und Kompasshatten sie nach fünf Nachtmärschen genau die engere Heimat erreicht.

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    Hier musste sich Wollinger verabschieden, denn sein Weg führte nun nach Osten RichtungAschmeritz. Nach der Trennung von den Kameraden auf einer Anhöhe von Mißlitz erreichteWollinger unter vielen Mühen und Anstrengungen Aschmeritz. Als er in die Heimat zurück ge-

    kehrt war, bot diese, wie sich schnell herausstellen sollte, kaum mehr Schutz und Geborgenheitund –wie alle wissen –sollte sie für die Deutschen nur mehr eine Bleibe auf Zeit sein. Sie wur-den von den Tschechen auf brutale Art vertrieben. Wollinger fand mit seiner Familie in Deutsch-land nächst Passau eine neue Heimat.

    Die vier verbliebenen Kameraden machten bei Czejkas Großeltern in Böhmdorf am Ortsrandvon Mißlitz Station, eine lang ersehnte und willkommene Labestelle. Weitzl gelangte über Um-wege und ungesehen in seine Heimatgemeinde Kaschnitzfeld. Die Burschen aus Znaim undKrems wurden von Czejka mit Verpflegung und Landkarten ausgestattet und von ihm ein Teil-stück in Richtung Znaim geleitet. Von ihnen hat niemand mehr etwas gehört, ob sie ihr Zuhauseerreichten, oder ob sie heute noch am Leben sind, weiß niemand.

    Am 23. Mai wurde Weitzl von einem Verhör zum anderen geschleppt, eingesperrt und von denTschechen am 26. Mai von jeglicher Schuld frei gesprochen. Vom 2. Juni 1945 bis zur Vertrei-bung musste er als Knecht auf dem geraubten Gutshof unter Tesarik Vladimir, dem früherenKnecht, hart arbeiten. Am 30. März 1946 mussten die Deutschen binnen zwei Stunden ihreHäuser und Höfe verlassen.

    Mit 50 kg Gepäck pro Kopf musstensie auf der Straße ausharren, bisFuhrwerke kamen und diedeutschen Bewohner aus Kaschnitzins Auffanglager nach Mißlitzbrachten.

    Am 9. April 1946 wurden sie dannmit Lastwagen zum MißlitzerBahnhof gefahren. Je 30 Personenwurden in Viehwaggons gesperrtund in eine ungewisse Zukunftnach Deutschland abgeschoben.

    Da Weitzls Vater krank war, kam die Familie erst mit dem letzten Transport zur Abschiebungnach Deutschland in die Augsburger Gegend.

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    Flucht aus der GefangenschaftNachdem sich Franz Czejka im Rathaus von Mißlitz, seiner ehemaligen Arbeitsstätte als Ver-waltungslehrling, gemeldet hatte, wurde er sofort verhaftet und von Partisanen, darunter auchehemaligen Schulfreunden, übel zugerichtet. Als kapitale Verbrechen wurden ihm die folgendenDienste und Positionen, die er in der NS-Zeit ausgeübt hatte, angelastet: Nazi und HJ-Angehöriger, Gefreiter und Reserveoffiziersbewerber in der deutschen Wehrmacht, Träger vonKriegsauszeichnungen und anderes wurde ihm vorgehalten. In der Folge trieben die Tschechenauf entwürdigende Weise ihre Spielchen mit den deutschen Frauen und Männern. Zum Beispielwurden alle Deutschen per Lautsprecher auf den Marktplatz von Mißlitz beordert und Czejkamusste vor schaulustigem Tschechenpublikum Exerzierübungen befehligen. Er hatte dem KZ-Chef Serek, einen ehemaligen Knecht im Gutshof, der nun auch der Polizeichef von Mißlitz war,Meldungen mit dem Hitlergruß zu erstatten, die jedes Mal mit Schlägen und Beschimpfungengeahndet wurden.

    Czejka wurde ins Konzentrationslagereingeliefert, das im Schloss von Mißlitzeingerichtet worden war. Gemeinsam mitseinem Vater wurde Franz Czejka zuZwangsarbeit als Dachdecker ohne Lohnverpflichtet. Des Öfteren wurde er auchnachts geholt, um Kohlen zu schaufelnoder sonstige Dreckarbeiten fürTschechen zu verrichten. Ein tschechi-scher Sportfreund erteilte Czejka beieiner Gelegenheit den vertraulichenHinweis, dass er Ende September,Anfang Oktober für den Transport in einKohlen- oder Bleibergwerk vorgesehensei.

    Daraufhin und noch am selben Tag undAbend ging Czejka von seinemArbeitseinsatz nicht ins KZ zurück. Alleinund im Nachtmarsch, ausgerüstet mitMarschkompass und Karte, gelangte erüber Joslowitz über die von Tschechenbewachte Grenze. Er schwamm wiedereinmal über die Thaya und erreichte inLaa österreichischen Boden. Nachdemdie Tschechen ihn zu Hause vermuteten,er dort aber nicht angetroffen wurde,verhafteten sie seinen Vater, den sieebenfalls ins KZ lieferten. Vater Josefwurde in einem Gerichtsverfahren freigesprochen, er kam viel später als seine Familie mit einem Transport nach Deutschland insFrankenland, wo er seinen Lebensabend verbrachte.

    Von Laa an der Thaya gelangte Franz Czejka mit dem Zug nach Wien, von dort mit einem LKWin die russische Besatzungszone nach Linz-Urfahr. Er arbeitete insgesamt 5 Jahre lang alsDachdecker am Wiederaufbau von Linz, im Jahr 1947 erhielt er die österreichische Staatsbür-gerschaft. 1950 bewarb er sich um einen Posten bei der Linzer Berufsfeuerwehr und brachte esbis zur Führungsposition. Er hat seine Heimat demnach in Oberösterreich gefunden.

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    Als Wollinger im Jahr 1996 –sozusagen zum 51. Jahrestag des Kriegsendes –im Südmähri-schen Heimatbrief seine Flucht aus russischer Gefangenschaft und seine Heimkehr schilderte,ahnte er nicht, dass dies ein Wiedersehen mit den Kameraden aus Kaschnitzfeld und Mißlitz

    nach sich ziehen würde, die mit Schneid und Umsicht diese Heimkehr überhaupt erst ermög-lichten. Er konnte sich nach so vielen Jahren ja nicht einmal recht ihrer Schreibnamen entsin-nen. Doch schon, als die erste Fortsetzung im Heimatbrief erschien, meldete sich Alois Weitzl.Als treuer Leser des Heimatbriefes fand er schnell heraus, dass in Wollingers Geschichte vonihm und von Franz Czejka berichtet wurde. Beim Klassentreffen der Mißlitzer des Jahrgangs1926, das 1996 in Ottobeuren stattfand, konnten sie ein frohes Wiedersehen feiern und dierecht abenteuerlichen Erlebnisse von damals noch einmal Revue passieren lassen.

    Alois Weitzl Adolf Wollinger Franz Czejka

    Glückliches Wiedersehen nach 51 Jahren