Gemeinsam mehr erreichen — Abschiebungen verhindern!

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Diese Broschüre wurde mit dem Ziel zusam­mengestellt, über die Block­ade von Abschiebun­gen zu informieren und somit zur Ver­bre­itung dieser men­schen­fre­undlichen Aktions­form beizu­tra­gen. Sie beginnt mit einem von mehreren Göt­tinger Grup­pen gemein­sam getra­ge­nen Aufruf, in dem diese dar­legen, warum sie den Wider­stand gegen Abschiebun­gen für ebenso legitim wie notwendig erachten. Zusät­zlich enthält dieses Heft ver­schiedene von der Basis­demokratis­chen Linken ver­fasste Beiträge. Im ersten Teil bemühen wir uns, häu­fig gestellte Fra­gen zu Abschiebe­block­aden zu beant­worten und rechtliche Rah­menbe­din­gun­gen zu erläutern. In weit­eren Artikeln gehen wir dann all­ge­meiner auf poli­tis­che Hin­ter­gründe, das europäis­che Gren­zregime, die Lebenssi­t­u­a­tion von Geflüchteten sowie die in den let­zten Jahren gewach­sene Protest­be­we­gung ein. Die in dieser Broschüre vere­inigten Beiträge sind jew­eils in sich abgeschlossen und daher auch einzeln les­bar. Sie sind ihn ihrer ursprünglichen Form bere­its vor der spek­takulären Migra­tions­be­we­gung des Som­mers 2015 und den kurz danach ein­geleit­eten Geset­zesver­schär­fun­gen ent­standen. Wir haben uns bemüht, die Artikel soweit wie möglich zu aktu­al­isieren und an die verän­derten Bedin­gun­gen anzu­passen. Den­noch muss berück­sichtigt wer­den, dass die Entwick­lun­gen in diesem Bere­ich momen­tan so dynamisch sind, dass gedruckte Pub­lika­tio­nen damit nur schwer Schritt hal­ten kön­nen. Wir freuen uns, wenn Andere diese Broschüre als Ganze oder auch einzelne Texte daraus weit­er­ver­bre­iten und damit zur Stärkung anti­ras­sis­tis­cher Poli­tik beitra­gen. Wir hof­fen, dass dieser Reader Inter­essierten vielfältige Anre­gun­gen bietet und dass wir uns dem­näch­stauf der Straße wiedersehen.

Transcript of Gemeinsam mehr erreichen — Abschiebungen verhindern!

  • 2Diese Broschre wurde mit dem Ziel zusammengestellt, ber die Blockade von Ab-schiebungen zu informieren und somit zur Verbreitung dieser menschenfreundlichen Aktionsform beizutragen. Sie beginnt mit einem von mehreren Gttinger Gruppen ge-meinsam getragenen Aufruf, in dem diese darlegen, warum sie den Widerstand gegen Abschiebungen fr ebenso legitim wie notwendig erachten. Zustzlich enthlt dieses Heft verschiedene von der Basisdemokratischen Linken verfasste Beitrge. Im ersten Teil bemhen wir uns, hufig gestellte Fragen zu Abschiebeblockaden zu beantworten und rechtliche Rahmenbedingungen zu erlutern. In weiteren Artikeln gehen wir dann allge-meiner auf politische Hintergrnde, das europische Grenzregime, die Lebenssituation von Geflchteten sowie die in den letzten Jahren gewachsene Protestbewegung ein. Die in dieser Broschre vereinigten Beitrge sind jeweils in sich abgeschlossen und daher auch einzeln lesbar. Sie sind ihn ihrer ursprnglichen Form bereits vor der spektakulren Migrationsbewegung des Sommers 2015 und den kurz danach eingeleiteten Gesetzes-verschrfungen entstanden. Wir haben uns bemht, die Artikel soweit wie mglich zu aktualisieren und an die vernderten Bedingungen anzupassen. Dennoch muss berck-sichtigt werden, dass die Entwicklungen in diesem Bereich momentan so dynamisch sind, dass gedruckte Publikationen damit nur schwer Schritt halten knnen. Wir freuen uns, wenn Andere diese Broschre als Ganze oder auch einzelne Texte daraus weiter-verbreiten und damit zur Strkung antirassistischer Politik beitragen. Wir hoffen, dass dieser Reader Interessierten vielfltige Anregungen bietet und dass wir uns demnchst auf der Strae wiedersehen.

    Basisdemokratische Linke Gttingen, Oktober 2015

    - Editorial -

    Zu dieser Broschre...

  • 3Inhalt

    Abschiebungen stoppen 4

    Rechtliche RAhmenbedingungen des AsylveRfAhRens

    6

    WeR nicht eRtRinkt WiRd Abgeschoben? 8

    hufig gestellte fRAgen zu AbschiebeblockAden

    12

    beR veRmeintliche sAchzWnge, humAnitt und die

    veRteilung gesellschAftlichen Reichtums 16

    skRupellose menschenhndleR odeR tRAnspoRt-

    dienstleisteR? 18

    Abschottungspolitik und veRlAgeRung von flucht-

    Routen 20

    desAstRse lebensbedingungen fR flchtlinge in

    den eRstAufnAhmelndeRn 22

    lebensbedingungen von geflchteten in deR bun-

    desRepublik 24

    flchtlingspRoteste und kmpfe fR gleiche Rechte

    28

    WeR ist die bAsisdemokRAtische linke? 31

  • 4Abschiebungen stoppen

    Aktuell gibt es pro Jahr mehr als 10.000 Abschie-bungen aus Deutschland. Jede dieser Rckfh-rungen bedeutet fr die Betroff enen eine brutale Zerstrung von Lebensentwrfen, in vielen Fl-len sogar eine existenzielle Bedrohung von Ge-sundheit und Leben. Doch Abschiebungen sind kein unabnderliches Schicksal: In verschiedenen Stdten ist es engagierten Menschen gelungen, eine beachtliche Zahl von Abschiebungen zu ver-hindern. Seien auch wir Sand im Getriebe der Ab-schiebemaschinerie!

    Abschiebungen Als zuspitzung deR Alltgli-chen entRechtung

    Abschiebungen sind die Zuspitzung der alltgli-chen Entrechtung von Gefl chteten, die sich u.a. uert in der Unterbringung in isolierten Lagern und maroden Wohnungen, der Verweigerung ei-ner angemessenen Gesundheitsversorgung, der Einschrnkung der Bewegungsfreiheit durch die

    sogenannte Residenzpfl icht und weitgehenden Eingriff en in die eigene Lebensfhrung. Sie sind der Versuch der Behrden, sich ihnen unerwnsch-ter Menschen dauerhaft und endgltig zu entledi-gen. Sie sind die off enste Form der Verweigerung eines menschenwrdigen und selbstbestimmten Lebens. Deshalb stellen wir sie ins Zentrum unse-res Widerstands.

    unseRe solidARitt ist unteilbARIn Zeiten, in denen sich das Kategorisieren von Menschen die Unterscheidung von In- und Aus-lndern, aber auch die Gegenberstellung von echten und Wirtschaftsfl chtlingen hchster Beliebtheit erfreut, erklren wir, dass unsere Soli-daritt unteilbar ist.Es gibt viele Arten zu tten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einer das Brot ent-ziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, eine in eine schlechte Wohnung stecken, einen

    Gemeinsam fr ein besseres Leben

  • 5durch Arbeit zu Tode schinden, eine zum Suizid treiben, einen in den Krieg fhren usw. Nur weni-ges davon ist in unserem Staat verboten.

    Noch weniger wird rechtlich als Fluchtgrund aner-kannt. Unser Kampf richtet sich gegen jede Form des Elends und dessen Ursachen. Wenn Menschen sich auf den Weg machen, weil sie sich ein besseres Leben, eine Existenz ohne Ausbeutung und Unter-drckung wnschen, dann haben sie unsere Unter-sttzung - denn diese Hoff nung ist auch die unsere. Wir wollen ein gutes Leben nicht nur fr eine klei-ne privilegierte Minderheit. Wir wollen es fr uns ebenso wie fr unsere Freund_innen, Nachbar_in-nen, Bekannten, Kolleg_innen, Mitschler_innen, Kommiliton_innen - ob sie einen deutschen Pass besitzen oder nicht. Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er oder sie le-ben will. Der Regulierung von Migration und der systematischen Verweigerung von Rechten setzen wir die Forderung nach Gleichheit in allen sozialen

    und politischen Belangen entgegen, nach der Res-pektierung der Menschenrechte jeder Person unab-hngig von Herkunft und Papieren. Wir setzen ihr auch unsere praktischen Aktionen entgegen.Unsere Stadt als abschiebefreie ZoneWir erklren hiermit, dass wir Abschiebungen nicht lnger ohne Widerstand hinnehmen, dass wir uns ihnen widersetzen werden, wann immer wir von ihnen erfahren. Wenn Flchtlinge abgeholt werden sollen, werden wir uns in den Weg stellen, werden wir den Zugang zu Wohnungen und Husern blo-ckieren.Wir rufen andere auf, sich uns anzuschlie-en. berwinden wir gemeinsam unsere Passivitt, damit die Betroff enen ohne Angst vor Abschie-bungen leben knnen. Dies ist ein Schritt, um der zunehmenden Aufteilung der Welt in Zonen des Reichtums und des Elends unsere eigene Raumord-nung entgegenzusetzen:

    Machen wir unsere Stadt zur abschiebefreien Zone!

  • 6Rechtliche Rahmenbedingungen des Asylverfahrens

    Abschiebungen werden zu einem groen Teil bei Personen durchgefhrt, die unter die sogenann-ten Dublin III-Verordnungen fallen. Diese Verord-nungen regeln, dass geflchtete Menschen nicht selbst bestimmen knnen, in welchem EU-Land sie ihren Asylantrag stellen, sondern dass dies in dem Land geschehen muss, das zuerst betreten wurde. Aus geographischen Grnden sind dies zumeist die Lnder an den EU-Auengrenzen, wie zum Beispiel Italien, Griechenland oder auch Bulgarien. Aufgrund der katastrophalen Lebens-bedingungen fr Flchtlinge in diesen Lndern ist es fr viele jedoch unvermeidlich, die Flucht von dort aus fortzusetzen ganz abgesehen davon, dass viele bereits von Anfang an ein ganz anderes Reiseziel haben, beispielsweise aufgrund von dort lebenden Verwandten.Wenn eine geflchtete Person nach Deutschland einreist, muss sie sich innerhalb von sieben Tagen bei einer offiziellen Stelle (z.B. der Polizei oder di-rekt in einem Erstaufnahmelager) melden. In Nie-dersachsen befinden sich solche Erstaufnahme-lager in Friedland, Braunschweig und Bramsche, wobei jedes Lager fr Menschen aus bestimmten

    Herkunftslndern zustndig ist. Der durchschnitt-liche Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle betrug in der Vergangenheit zwei bis drei Wochen, hat sich allerdings inzwischen verlngert und soll nach dem Willen der Bundesregierung zuknftig meh-rere Monate dauern. Erst danach findet eine Um-verteilung in Unterknfte in Stdten und Kommu-nen statt. In den Erstaufnahmelagern findet eine erste Befragung ber Herkunft und Fluchtgrnde statt, es wird zudem eine vorbergehende Aufent-haltsbescheinigung ausgestellt. Beim Bundesamt fr Migration und Flchtlinge wird ein Asylantrag gestellt. Nach ca. drei Monaten findet ein ausfhr-liches Interview statt, in dem Fluchtgeschichte und -grnde nochmals detailliert dargelegt werden mssen. Diese Befragung stellt die Grundlage fr die Entscheidung ber den Asylantrag dar. Fr die Dauer des Verfahrens wird den antragsstellenden Personen eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt.Stellt sich beim Abgleich der Fingerabdrcke der Person mit einer europischen Datenbank aller-dings heraus, dass er oder sie bereits im Einrei-seland registriert wurde, so wird dieses Land fr zustndig erklrt. Das Asylverfahren in Deutsch-

  • 7land wird nicht fortgesetzt und der Staat bemht sich, die Gefl chteten in das Erstaufnahmeland abzuschieben, ungeachtet der dort herrschenden Lebensumstnde oder der individuellen Fluchtge-schichte, die in vielen Fllen Traumatisierung durch Erlebnisse in eben diesen Erstaufnahmelndern be-inhaltet.hnliches gilt, wenn Personen aus sogenannten sicheren Herkunfststaaten einreisen, die politisch festgesetzt und in Wahrheit oft alles andere als si-cher sind. Seit April 2014 zhlen auch Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Serbien offi ziell zu den sogenannten sicheren Herkunftslndern Lnder, in denen die Auswirkungen der Jugoslawienkriege immer noch zu spren sind und in denen ethnische Minderheiten nach wie vor politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Im Frhherbst 2015 hat die Bun-desregierung eine weitere Gesetzesverschrfung auf den Weg gebracht, in der zustzlich Kosovo, Al-banien und Montenegro als sichere Herkunftsstaa-ten defi niert werden.Sobald die Bearbeitung eines Asylantrags aufgrund der Dublin-Verordnungen abgelehnt wurde, hat das Bundesamt sechs Monate Zeit, um die Abschie-bung in die Wege zu leiten. Hufi g wird diese Frist z. B. aufgrund von brokratischem Aufwand ausge-reizt. Der genaue Ablauf einer Abschiebung ist da-bei in jedem Bundesland anders geregelt und wird durch die lokalen Auslnderbehrden koordiniert. Die meisten Abschiebungen aus Deutschland erfol-gen ber den Luftweg von den Hauptabfl ughfen Frankfurt am Main, Dsseldorf und Berlin-Tegel in andere Staaten Europas.Sind die sechs Monate abgelaufen, kann die Ab-schiebung nicht mehr vollzogen werden und Deutschland ist verpfl ichtet, das Asylverfahren zu bearbeiten. Auch wenn dies in der Praxis weitere Probleme aufwirft (das Asylverfahren wird de fac-to oft nicht fortgesetzt und es gibt keine Mglich-keit, die Wiederaufnahme einzuklagen), gibt der Fristablauf so doch eine minimale Existenzsicher-heit. In Fllen, in denen die Sechsmonatsfrist zum Zeitpunkt der angekndigten Abschiebung fast abgelaufen ist, ist die Verhinderung der Abschie-bung durch Blockaden ein wirksames Mittel. So wird den Betroff enen eine Chance gegeben, der erzwungenen Ausreise in die berforderten und fr Flchtlinge oft lebensgefhrlichen Lnder an den EU-Auengrenzen zu entgehen. Bei einer Blockade werden Haustr und Klingel der betroff enen Per-son unzugnglich gemacht, sodass die Polizei keine Mglichkeit hat, deren An- oder Abwesenheit fest-zustellen. Demzufolge gilt die Person nach einer verhinderten Abschiebung nicht als abgetaucht. Im Falle eines Untertauchens knnte die Dublin-Frist

    auf insgesamt 18 Monate erhht werden.Zynischerweise wurden die Dublin III-Verordnungen unter anderem mit der Begrndung beschlossen, dass man durch die Festschreibung, in welchem Land eine gefl chtete Person einen Asylantrag stellen kann, verhindern wolle, dass Personen zwi-schen EU-Lndern hin- und herreisen und sich kein Staat fr sie zustndig fhlt. Darber hinaus fuen die Verordnungen auf der Annahme, in allen EU-Staaten sei ein faires Asylverfahren gleicher-maen mglich. Die Realitt sieht grundlegend an-ders aus. Die Dublin-Verordnungen fhrten dazu, dass Flchtlinge ohne Ansehen ihrer Geschichte, Wnsche und Vorstellungen zwischen EU-Lndern hin- und hergeschoben werden. Jedes Land ent-zieht sich dabei mit allen zur Verfgung stehenden rechtlichen Mitteln seiner Verantwortung und wlzt diese nach Mglichkeit auf einen anderen Staat ab. Die Aussichten auf ein faires Asylverfahren und ein menschenwrdiges Leben sind dabei in den ver-schiedenen EU-Lndern natrlich nicht auch nur annhernd vergleichbar. Am Beispiel von tschet-schenischen Flchtlingen, die in sterreich oder der Slowakei Asyl suchen, werden die unterschied-lichen Schutzniveaus der EU-Staaten besonders deutlich: Ein Asylantrag in Bratislava hatte im Jahr 2005 eine Erfolgsaussicht von weniger als einem Prozent (Anerkennungsrate). In Wien hingegen, 75 km entfernt, lag diese laut eines Berichts von Pro Asyl bei ber 90 Prozent. Ebenso gravierend unter-scheiden sich die Lebensbedingungen fr Flchtlin-ge zwischen den verschiedenen EU-Staaten.Doch auch wenn durchgesetzt wurde, dass das Asylverfahren in Deutschland durchgefhrt wird, ist dies ist erst ein Teilsieg, ein nicht unbedeuten-der Teil der Asylantrge wird zunchst abgelehnt, sodass ein Kampf um den dauerhaften Aufenthalt erneut beginnt. Hufi g kann auch bei abgelehnten Asylantrgen die Abschiebung nicht durchgefhrt werden, da Dokumente fehlen, die Person nicht reisefhig ist oder das Herkunftsland in einem Kriegsgebiet liegt und nicht angefl ogen wird. Eine vorbergehende Unmglichkeit der Abschiebung und die Verlngerung der Duldung sind kurzfris-tig zwar ein Erfolg, stellen langfristig jedoch kei-ne sichere Lsung dar. Duldungen werden, wenn Hinderungsgrnde fr die Abschiebung bestehen bleiben, immer wieder fr kurze Zeitrume von wenigen Monaten ausgestellt und mssen stndig verlngert werden. Viele leben so ber viele Jahre in Deutschland, doch die Verlngerung wird immer wieder neu entschieden. Eine Abschiebung ist auch fr solche Menschen nicht dauerhaft ausgeschlos-sen. Ein langfristiges Aufenthaltsrecht ist fr sie nur politisch durchsetzbar.

  • 8Anfang Juli 2015 stimmte der Bundestag einer Neuregelung des Bleiberechtes und der Aufent-haltsbeendigung und somit dem grten Ein-schnitt in die Flchtlingsrechte seit dem Asylkom-promiss 1993 zu. Trotz bundesweiter Proteste wie Parteibrobesetzungen und Demonstrationen er-langte die Gesetzesvernderung bis kurz vor der Entscheidung nur wenig Aufmerksamkeit in den Medien und konnte letztendlich nicht verhindert werden. Von Seiten der Regierungsparteien wer-den marginale Verbesserung des Aufenthaltsrech-tes fr einzelne Gruppen von Geflchteten in den Vordergrund gestellt. Fr die Masse der Geflchte-ten stellt die Neuregelung jedoch eine Verschlech-terung ihrer rechtlichen Situation dar. Nur wenige Monate spter hat die Bundesregierung mit dem Asylbeschleunigungsgesetz weitere nderun-gen auf den Weg gebracht, die erneut eine dras-tische Fortsetzung dieser Entrechtung bedeuten.

    RckblickSchon seit den 70er Jahren gibt es Bestrebungen, das Asylrecht, das 1949 vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg im Grundgesetz (Artikel 16a) festgeschrieben wurde, zu beschrnken. Vorerst betrafen die Restriktionen das Asylverfahren an sich. Ziel war es, die immer grer werdende Zahl von Geflchteten von der Einreise in die BRD abzuschrecken. und zwar durch eine Beschleuni-gung der Verfahren, eine Erschwerung des Gren-zbertrittes, die Verschrfung der Kriterien fr das Recht auf Asyl und die Verschlechterung der Le-bensumstnde von Betroffenen.Bis in die 90er Jahre erfuhr das Asylgesetz wei-tere Beschneidungen. So wurden beispielsweise eine Regelunterbringung in Gemeinschaftsun-terknften, die Einfhrung der Residenzpflicht, Einschrnkung der medizinischen Versorgung, Ar-beitsverbote sowie Visasperren beschlossen. Zeitgleich mit den rassistischen Pogromen in Lich-tenhagen, Solingen, Mlln und andernorts wurde

    dann im Mai 1993 eine Grundsatznderung und somit der Asylkompromiss verabschiedet. Mit der Gesetzesnderung wurde das Recht auf Asyl nach dem Artikel 16a des Grundgesetzes praktisch abgeschafft, da smtliche ber sichere Drittstaa-ten eingereiste Personen davon ausgenommen wurden. Mit einer Regelung ber vermeintliche sichere Herkunftsstaaten wurde den Behrden die Mglichkeit gegeben Asylgesuche von Men-schen aus bestimmten Lndern kategorisch abzu-lehnen (siehe Artikel S.6.).Diese Entwicklung findet jedoch nicht allein in Deutschland statt. Sie ist verbunden mit einer durch die BRD seit den 90er Jahren stetig forcier-ten Vereinheitlichung der Migrationspolitik der EU-Staaten, die darauf abzielt die Fluchtwege fr Menschen auerhalb des Schengengebietes zu verriegeln. Die schon weitgehende Entrechtung von Geflchteten soll nun mit den Vernderungen weiter vorangetrieben werden. Die Kritik an den Neuregelungen wird anhand mehrerer inhaltlicher Punkte deutlich.

    AusWeitung deR AbschiebehAftAls eine zentrale Konsequenz des im Juli 2015 be-schlossenen Gesetzes wird die Ausweitung der Abschiebehaft befrchtet, welche Betroffenen droht, sobald nach Einschtzung der mter und Gerichte ein Verdacht auf Fluchtgefahr besteht. Die Verdachtsmomente sind dabei so formuliert, dass ein Groteil der Geflchteten in der Praxis eines oder mehrere dieser im Gesetz genannten Kriterien erfllt. Zu nennen wren hier beispiels-weise die Umgehung von Grenzkontrollen bei der Einreise und die Vernichtung von Identittsdoku-menten. Abschiebehaft droht weiterhin, wenn Flchtlinge ihre eigene Abschiebung nicht taten-los hinnehmen wollen oder in der Vergangenheit fr ihre Einreise erhebliche Geldbetrge aufge-wendet haben, also die Dienste von sogenannten Schleppern fr ihre Flucht in Anspruch nahmen. Mit diesen Paragraphen werden Manahmen kri-

    Wer nicht ertrinkt wird abgeschoben?

    Zur Verschrfung des Asylrechts 2015

  • 9minalisiert, die Flchtlinge ergreifen mssen, um die militrisch befestigten Auengrenzen Europas berhaupt berwinden zu knnen.Explizit genannt werden Geflchtete, die sich im Dublin-Verfahren befinden, d.h. die in einem ande-ren europischen Land registriert worden sind, be-vor sie nach Deutschland kamen (siehe Artikel S.6.). Sie stehen als Gruppe unter Generalverdacht, da sie sich bereits einem Asylverfahren in dem jeweiligen Durchreiseland entzogen htten. Das Gesetz bietet so die Grundlage, um gegen sie massenweise Ab-schiebehaft anzuordnen.

    einReise- und AufenthAltsveRboteDurch das Gesetz wird die Verhngung von Einrei-se- und Aufenthaltsverboten von bis zu fnf Jah-ren gegen Geflchtete mglich, die ihrer Ausreise-pflicht nicht nachkommen oder deren Antrag auf Asyl als offensichtlich unbegrndet abgelehnt

    wurde. Dies bedeutet, dass die Betroffenen zur Fahndung ausgeschrieben werden und sich bereits durch den bloen Aufenthalt strafbar machen und zu Gefngnisstrafen verurteilt werden knnen. Eine solche Sperre gilt zudem nicht allein fr das deut-sche Bundesgebiet, sondern fr den gesamten Schengenraum.Dieses Instrument ermglicht es den Behrden das Recht der Flchtlinge, nach einer Ablehnung des Asyls einen Nachfolgeantrag zu stellen, auszuhe-beln und ungewollte Flchtlinge fr ihre Anwesen-heit willkrlich zu kriminalisieren. Politisch wird die-se Schikane mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Sozialleistungen begrndet. Dieser wird Flchtlin-gen insbesondere denjenigen aus den sicheren Herkunftsstaaten unterstellt, deren Fluchtgrn-de nicht anerkannt werden.

  • 10

    AusWeisungsinteResseDem vermeintlich privaten Interesse der Gefl chteten auf ein Bleiberecht wird zudem ein ff entliches Ab-schiebeinteresse des Staates entgegengestellt. Dieses sogenannte Ausweisungsinteresse besteht der Ge-setzesnderung nach nicht nur bei Straftaten der Ge-fl chteten, sondern auch bei politischer Bettigung, die die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik oder die ff entliche Sicherheit und Ordnung gefhrden. Die entsprechenden Para-graphen knnten in ihrer Konsequenz ein politisches Bettigungsverbot bedeuten. Schon die Selbstorgani-sation von Flchtlingen, die fr ihr Bleiberecht streiten und Flchtlingscamps oder Hungerstreiks organisie-ren, kann zuknftig ein erhebliches Ausweisungsinter-esse und die baldige Abschiebung begrnden.

    lAgeRunteRbRingung, physisches existenzmini-mum, sicheRe heRkunfststAAten und unAnge-

    kndigte AbschiebungenWhrend die bislang beschriebenen nderungen be-reits im Juli 2015 verabschiedet wurden, hat die Bun-desregierung die mediale Inszenierung der Flcht-lingskrise genutzt, um nur wenige Monate spter Gesetzesverschrfungen vorzulegen, die fast alle fr-heren Angriff e auf das Asylrecht in den Schatten stel-len. Die geplanten Manahmen zielen sehr off en da-rauf ab, Flchtlinge abzuschrecken, sie durch soziale Entrechtung zur freiwilligen Ausreise zu ntigen und Abschiebungen zu erleichtern. Unter anderem sollen Gefl chtete nun gezwungen werden, bis zu sechs Mo-nate in den Erstaufnahmelagern zu bleiben. Damit werden sie nicht nur besonders schlechten Lebensbe-dingungen ausgesetzt, sondern auch von der restlichen Bevlkerung und potentiellen Untersttzer_innen iso-liert. Fr viele Flchtlinge sieht das Gesetz zudem die Absenkung der Sozialleistungen auf das physische Existenzminimum vor. Die Regierung setzt damit auf eine vllig unverdeckte Verelendungsstrategie, mit der unerwnschten Menschen der weitere Aufenthalt in der BRD unertrglich gemacht werden soll. In Bezug auf Abschiebungen beinhaltet das Gesetz das Verbot, den Abschiebetermin den Betroff enen bekannt zu ge-ben. Abschiebungen sollen also vllig unangekndigt und jederzeit erfolgen knnen. Schlielich wird auch noch die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um das Kosovo, Albanien und Montenegro erweitert, so dass die Asylantrge von Flchtlingen aus diesen Lndern als off ensichtlich unbegrndet ohne weitere Pr-fung abgelehnt werden knnen.

    AusWeisungsinteResseDem vermeintlich privaten Interesse der Gefl chteten auf ein Bleiberecht wird zudem ein ff entliches Ab-schiebeinteresse des Staates entgegengestellt. Dieses sogenannte Ausweisungsinteresse besteht der Ge-setzesnderung nach nicht nur bei Straftaten der Ge-fl chteten, sondern auch bei politischer Bettigung, die die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik oder die ff entliche Sicherheit und Ordnung gefhrden. Die entsprechenden Para-graphen knnten in ihrer Konsequenz ein politisches Bettigungsverbot bedeuten. Schon die Selbstorgani-sation von Flchtlingen, die fr ihr Bleiberecht streiten und Flchtlingscamps oder Hungerstreiks organisie-ren, kann zuknftig ein erhebliches Ausweisungsinter-esse und die baldige Abschiebung begrnden.

    lAgeRunteRbRingung, physisches existenzmini-mum, sicheRe heRkunfststAAten und unAnge-

    kndigte AbschiebungenWhrend die bislang beschriebenen nderungen be-reits im Juli 2015 verabschiedet wurden, hat die Bun-desregierung die mediale Inszenierung der Flcht-lingskrise genutzt, um nur wenige Monate spter Gesetzesverschrfungen vorzulegen, die fast alle fr-heren Angriff e auf das Asylrecht in den Schatten stel-len. Die geplanten Manahmen zielen sehr off en da-rauf ab, Flchtlinge abzuschrecken, sie durch soziale Entrechtung zur freiwilligen Ausreise zu ntigen und Abschiebungen zu erleichtern. Unter anderem sollen

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    WAs nun?Mit den Neuregelungen werden Gesetzesverschrfungen ge-schaff en, die Flchtlinge weiter kriminalisieren, systematisch entrechten und ihre politische Bettigung zu unterbinden ver-suchen. Angesichts dieser massiven Angriff e auf die Rechte der Gefl chteten ist es umso wichtiger, konsequente Gegenwehr zu organisieren und die Umsetzung dieser Manahmen zu verhin-dern. Blockaden bleiben in jedem Fall ein sinnvolles Mittel um Abschiebungen zu verhindern und Widerstand gegen das rassis-tische Migrationsregime der BRD zu leisten.

    WeiteRe infoRmAtionen:

    http://stopasyllaw.blogsport.eu/

    www.nds-fl uerat.de

  • 12

    Wie luft eine Abschie-bung Ab?Die Verantwortung fr die Durchfhrung von Ab-schiebungen liegt bei der lokalen Auslnderbehr-de, beteiligt ist aber oft auch die Polizei. Zumeist erscheinen die Beamt_innen in den frhen Mor-genstunden an der Unterkunft der betroff enen Person und berprfen ihre Anwesenheit durch Klingeln oder Klopfen an der Tr. Wird ihnen ge-ff net, vollziehen die Beamten den Abtransport. Sind Personen nicht auffi ndbar, besteht u.U. die Gefahr, dass ihre Nichtanwesenheit als Untertau-chen gewertet wird. In Dublin-Fllen knnen sich dadurch wichtige Fristen verlngern (siehe Artikel S.6). Es besteht zudem die Gefahr, dass die Person zur Fahndung ausgeschrieben wird.Da der konkrete Zeitpunkt den Betroff enen zu-knftig nicht mehr im Vorfeld mitgeteilt werden soll, kann es auch unter anderen Umstnden zu berraschenden Abschiebeversuchen kommen. Ein Risiko besteht fr gefhrdete Personen z.B. dann, wenn diese Termine bei der Auslnderbe-hrde wahrnehmen mssen. Grundstzlich ist nicht auszuschlieen, dass die Behrden solche Gelegenheiten nutzen, um die Abschiebung un-mittelbar einzuleiten. Es ist daher wichtig, dass Flchtlinge mit einem hohen Abschieberisiko bei

    solchen Behrdenbesuchen von anderen Personen begleitet werden, die im Notfall direkt intervenie-ren oder andere Untersttzer_innen alarmieren knnen.

    WAs kAnn gegen die dRohende AbschiebungunteRnommen WeRden?Die ersten Schritte gegen eine angesetzte Ab-schiebung erfolgen in der Regel auf dem juristi-schen Weg. Eine rechtliche Beratung sollte einge-holt werden, um zu prfen, ob die Abschiebung juristisch berhaupt durchgefhrt werden kann. So muss bei einer attestierten gesundheitlichen Reiseunfhigkeit die Abschiebung verschoben werden und bei langfristiger Unfhigkeit ist das Beantragen einer Aufenthaltserlaubnis ein mgli-cher Schritt. Wichtig ist, dass dieser Prozess durch politischen Druck begleitet wird. Dieser kann sich erheblich auf die juristischen Entscheidungen und das Vor-gehen der Behrden auswirken. Auch knnen sich dadurch ganz andere Optionen ff nen, wie bspw. die Anordnung eines Abschiebestopps fr be-stimmte Flchtlingsgruppen.In einigen Fllen kann auch ein Kirchenasyl in Be-

    Hu g gestellte Fragen zu Abschiebeblockaden

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    tracht kommen. Doch der auf diesem Weg von re-ligisen Gemeinschaften gewhrte Schutz gilt nur fr die kirchlichen Rumlichkeiten. Dies ist weder fr die von Abschiebung bedrohte Person noch fr die Kirche eine langfristige Lsung, schaff t aber Zeit.Die letzte Mglichkeit, eine Abschiebung zu ver-hindern, ist eine Blockade vor Ort. Dadurch werden die Beamt_innen davon abgehalten die betroff ene Person abzuschieben bzw. berhaupt erst zu de-ren Wohnung zu gelangen. Um einen weiteren Ab-schiebeversuch durchzufhren, bedarf es einiger Organisation.Blockaden knnen Zeit schaff en, um eine Aus-schpfung juristischer Mittel zu ermglichen, eine politische Lsung durchzusetzen oder Dublin-Fris-ten zu berbrcken. So knnen Flchtlinge, die unter das Dublin-Verfahren fallen, nur innerhalb der ersten sechs Monate in ein anderes EU-Erstauf-nahme-Land abgeschoben werden. Danach wird ihr Asylantrag in Deutschland geprft (siehe Artikel S.6).

    WAs ist bei blockAden zu beAchten?Wichtig ist, dass der betroff enen Person nicht vor-geworfen werden kann, dass sie sich selbst ihrer Abschiebung entzogen oder sonstwie an der Verei-telung der Abschiebung beteiligt htte. Deswegen

    ist es bei Blockaden eigentlich immer entschei-dend, dass die Polizei nicht bis zur Klingel durch-kommt, da sie so nicht nachweisen kann, dass die Person Auff orderungen der Behrden nicht nach-gekommen ist.Gut ist also, wenn die Blockade drauen vor dem Hauseingang/der Klingel stattfi ndet. Allerdings sollte auch geklrt werden, ob es evtl. mehrere Zugangswege zur Wohnung der Betroff enen gibt, um diese u. U. auch im Blick zu behalten bzw. zu blockieren (insbes. Hinter- und Kellereingnge).Auerdem ist es wichtig, sich nicht einschchtern zu lassen und stehen zu bleiben. Da Abschiebever-suche nicht mehr angekndigt werden, kann es sein, dass wir in Zukunft manchmal erst dann von einer Abschiebung erfahren, wenn diese bereits eingeleitet ist. Das heit, dass wir erst nach Polizei und Auslnderbehrde vor Ort eintreff en und nicht mehr verhindern knnen, dass diese bis zu den be-troff enen Personen gelangen. Auch in solchen Fl-len knnen wir aber versuchen, durch Blockaden den Abtransport von Gefl chteten zu verhindern und die Beamt_innen durch unsere Anwesenheit zum Abbruch der Abschiebung zu bewegen. Auf hnliche Weise knnen wir handeln, wenn Behr-denbesuche fr berraschende Abschiebeversuche genutzt werden.

  • 14

    WAs pAssieRt nAch eineR veRhindeRten Abschie-bung?Im Nachhinein ist es wichtig, dass Gefl chtete Kontakt mit ihren Rechtsbeistnden aufnehmen, um eine Einschtzung bzgl. der Gefhrdungslage und dem weiteren Vorgehen zu bekommen. Gera-de auch die Verlngerung der Duldung sollte inner-halb der nchsten Tage geschehen, da ansonsten wieder ein Untertauchen unterstellt werden kann. Gegebenenfalls kann versucht werden, Sozialleis-tungen und Duldungsverlngerungen ber bevoll-mchtigte Vertrauenspersonen abholen zu lassen. Leider halten sich die Behrden nicht immer an die offi ziellen Regeln und registrieren die Person dennoch als untergetaucht. Generell ist es daher wichtig, auch den Prozess nach einer verhinderten Abschiebung politisch zu begleiten.Gibt es ein Risiko fr Aktivist_innen? Ziviler Ungehorsam wirkt besonders in der Mas-se. So kann eine Menge vor einem Haus die Be-amt_innen dazu bewegen, gar nicht erst aus ihrem Dienstwagen auszusteigen. Sind jedoch nur weni-ge Aktivist_innen vor Ort, steigt das Risiko. Wenn die Polizei die Abschiebung trotz einer Blockade durchsetzen will, kann die Situation eskalieren. Es

    ist daher wichtig, sich im Vorhinein klarzumachen, wo die eigenen Grenzen liegen und wie lange man da bleiben mchte.

    Wie kRieg ich die info, dAss eine blockAde stAttfindet?Um die Information zu erhalten, dass eine Ab-schiebung angesetzt ist bzw. stattfi ndet, brauchst du dich nur auf unsere Telefonliste setzen lassen. Da auch immer alternative Mglichkeiten zur Ver-hinderung ausgeschpft werden und Abschiebun-gen seitens der Behrden nicht mehr angekn-digt werden, ist meist erst kurzfristig klar, ob eine Blockade tatschlich erforderlich ist. Aufgrund der kurzen Vorwarnzeiten muss die Information schnell bermittelt werden, daher eignet sich eine SMS statt einer E-Mail. Weitere Hintergrundinfor-mationen lassen sich allerdings ber diesen Weg in der Regel nicht mitteilen.Zur Eintragung in die Alarmliste fr Gttingen und Umland schreib eine Mail mit Deiner Handynum-mer (und mglichen Fragen) an die folgende Ad-resse: [email protected] gibt es einen Emailverteiler, ber den ausfhrlichere Informationen zur Verfgung ge-stellt werden. Auch hier kannst du dich unkom-pliziert selbst eintragen:

    Wie kAnn ich dARbeRhinAus AntiRAssistische ARbeit unteRsttzen?Auch nach einer verhinderten Abschiebung geht der Kampf der Gefl chteten fr ihr Bleiberecht weiter. Sie sind zumeist zahlreichen Schikanen vonseiten der Behrden ausgesetzt. Erfolgreiche Abschiebeverhinderungen und zunehmend viele Dublin III Verfahren stellen eine groe fi nanzielle Herausforderung dar. Um diese Kosten gemein-sam zu schultern rufen wir dazu auf: Spendet an den Arbeitskreis Asyl Gttingen e.V. oder werdet gleich Mitglied. Dies ist wichtig, um ein unabhn-giges und funktionstchtiges Netzwerk fr Flcht-linge, MigrantInnen und Illegalisierte in der Region Gttingen auszubauen und aufrechtzuerhalten.

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    spenden knnen Auf dAs folgende konto beRWiesen WeRden:

    Arbeitskreis Asyl Goettingen e.V. Sparkasse GoettingenIBAN: DE03 2605 0001 0001 0775 02

    Mitgliedsantrge gibt es auf der Internetprsenz: http://papiere-fuer-alle.org/mitgliedschaft.html

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    Die Abschaffung aller Abschiebungen, ein Bleibe-recht fr alle und die ffnung der europischen Grenzen was wir fordern, mag vielen zunchst absurd, zumindest aber vllig unrealistisch er-scheinen. Tatschlich stehen unsere Forderungen im Widerspruch zu vielen populren Argumenten, die in der ffentlichen Debatte um Flchtlinge im-mer wieder vorgebracht werden. Diesen Wider-spruch wollen wir nicht negieren, vielmehr geht es uns darum zu zeigen, dass die vermeintlichen Sachzwnge, die fr eine restriktive Migrationspo-litik angefhrt werden, so nicht existieren und dass die entscheidenden Fragen nicht gestellt werden.Wenn es um Flchtlinge geht, wird gerne das Bild eines kaum zu bewltigenden Ansturms gezeich-net: Wohnraum wird knapp, es fehlt an Geld und die Sozialsysteme werden berfordert Europa kann nicht die Probleme der Welt lsen, heit es immer wieder. Solche Positionen wurden seitens der etablierten Politik und Medien schon in den letzten Jahren vehement vertreten, als die Zahlen der nach Deutschland kommenden Flchtlinge noch deutlich unter denen der 1990er Jahre lagen. Wenn es momentan in einigen Orten tatschlich zu temporren Engpssen bei der Unterbringung kommt, so ist dies keineswegs das Ergebnis einer naturwchsigen Entwicklung, sondern die Folge der verfehlten Politik der letzten Jahre: In Zei-ten sinkender Flchtlingszahlen wurden Unter-kunftskapazitten abgebaut und gleichzeitig der Bestand des sozialen Wohnungsbaus insgesamt drastisch reduziert. Beides ist die Konsequenz po-litischer Entscheidungen und als solche auch poli-tisch umkehrbar.Gleichzeitig lsst sich feststellen, dass es darber hinaus auch kurzfristige Lsungsmglichkeiten gbe, die bewusst nicht genutzt werden. Statt konsequent gegen Wohnungsleerstand anzu-

    gehen und weitere Unterbringungsoptionen zu prfen, setzt die offizielle Politik auf die zynische Inszenierung berfllter Unterknfte. Dass es an-gesichts 20000 leerstehender Wohnungen in Dres-den notwendig sein soll, dort eine Zeltstadt aufzu-bauen, oder dass es in Mnchen, das jhrlich ber 13 Millionen bernachtungen von Tourist_innen verzeichnet, keine andere Mglichkeit gibt, als Geflchtete auf dem Bahnhofsboden schlafen zu lassen, mag glauben, wer will. Anzumerken bleibt auch, dass andere Lnder deutlich mehr Flchtlin-ge als Deutschland aufnehmen sowohl absolut als auch im Verhltnis zur Einwohner_innenzahl.Besonders ressentimentgeladen wird die Diskussi-on oft, wenn ber Geld und staatliche Transferleis-tungen fr Flchtlinge gesprochen wird. Einerseits werden hier generell immense Kosten suggeriert. Andererseits halten sich hartnckig Vorurteile und Neiddebatten, die eine sozialrechtliche Besserstel-lung von Geflchteten und eine damit verbundene Benachteiligung deutscher Leistungsbezieher_in-nen behaupten. Gerade letzteres ist schlichtweg absurd: Der eigentliche Skandal besteht darin, dass Flchtlinge sogar weniger erhalten als das fr Deutsche gesetzlich festgelegte Existenzmini-mum. Antirassistische Organisationen fordern da-her seit Jahren die Abschaffung des Asylbewerber-leistungsgesetzes (AsylbLG), das diese rassistische Sonderregelung beinhaltet. Auch insgesamt kann von hohen oder sogar nicht zu bewltigenden Kos-ten keine Rede sein: Lediglich 1,5 Mrd. Euro gab der deutsche Staat laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2013 fr Leistungen nach AsylbLG aus. Selbst wenn diese Ausgaben mit hheren Flcht-lingszahlen deutlich ansteigen, sind sie im Ver-gleich zu anderen Posten immer noch sehr gering: Fr Rstung und Militr wendet die BRD jhrlich 33 Mrd. Euro auf, allein bis 2019 ist in diesem Bereich

    ber vermeintliche Sachzwnge, Humanitt und die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums

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    eine weitere Erhhung um 8 Mrd. Euro geplant. Ob Mittel fr Panzer und Drohnen oder fr Flchtlinge genutzt werden, ist kein Sachzwang, sondern eine rein politische Entscheidung. In jedem Fall besteht kein logischer Zusammenhang zwischen der Hhe der Zahlungen fr deutsche Empfnger_innen von Sozialleistungen und dem Geld, das fr Gefl chte-te zur Verfgung steht. Erschreckend ist, dass es in der Debatte um vermeintliche Kosten in der Regel vllig ausgeblendet wird, dass es hier um das Leben und berleben von Menschen geht.Dass solche Kosten-Argumente berhaupt auf grere Resonanz stoen knnen, hngt auch damit zusammen, dass die soziale Frage und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums insge-samt auch von der politischen Linken zu wenig thematisiert werden. Das gilt sowohl in Bezug auf die Bundesrepublik als auch mit Blick auf die welt-weiten Verhltnisse. In Deutschland verfgen die reichsten zehn Prozent der Bevlkerung ber etwa zwei Drittel des Gesamtvermgens. Global gese-hen sieht es noch dramatischer aus: Das oberste Prozent besitzt in etwa gleich viel wie der Rest der Weltbevlkerung zusammen. Wir widersprechen denjenigen Stimmen, die z. B. ALG-II-Empfnger_innen und Flchtlinge gegeneinander ausspielen wollen also Verteilungskmpfe zwischen denen, die fast nichts und denjenigen, die noch weniger ha-ben, propagieren. Wir bestehen auf der Mglichkeit emanzipatorischer Umverteilung und der Schaf-fung einer gesellschaftlichen Ordnung, die allen ein menschenwrdiges Leben bietet. Die notwendige gesellschaftliche Umgestaltung kann, wenn sie der Humanitt verpfl ichtet ist, in keiner Form an na-tionale Grenzen gebunden sein. Zum einen, weil es kein vernnftiges Argument gibt, mit dem sich die Benachteiligung eines Menschen rechtfertigen

    liee, nur weil diese oder dieser nicht ber ein be-stimmtes Papier, einen bestimmten Pass verfgt.Zum anderen sind Ausbeutung und Unterdrckung im 21. Jahrhundert global organisiert, d. h. dass vor allem westliche Firmen von den Ausbeutungs-bedingungen in den Herkunftslndern profi tieren. Deshalb lsst sich also gar kein Trennstrich zwi-schen den Problemen der Welt und der Situation hierzulande ziehen. Das europische Grenzregime stabilisiert diese Verhltnisse, indem es den Men-schen die Mglichkeit nimmt, sich diesen Bedin-gungen in den Herkunftslndern zu entziehen und dazu beitrgt, dass Migration extrem kostspielig und lebensgefhrlich wird. Zugleich zwingt die Ent-rechtung der Flchtlinge in Europa diese dazu, in den Ziellndern besonders schlecht bezahlte bzw. vielfach auch nicht legale (sogenannte Schwarzar-beit) und rechtlich nicht abgesicherte Arbeitsver-hltnisse einzugehen.All dem wollen wir uns gemeinsam entgegenstel-len. Die Blockade von Abschiebungen ist dazu ein erster kleiner Schritt. Was wir fordern, mag mo-mentan unrealistisch erscheinen. Aber es ist das, was Vernunft und Menschlichkeit gebieten. Und wenn es unrealistisch ist, dann nicht aufgrund un-abnderlicher Gegebenheiten, sondern weil der politische Druck fehlt. Damit dieser Druck entsteht, damit unsere Forderungen realistisch werden, ms-sen wir uns gemeinsam mit vielen anderen Men-schen in Bewegung setzen.

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    Tagtglich sterben Menschen beim Versuch die europischen Auengrenzen zu berwinden die meisten weitgehend unbeachtet und anonym, fernab medialer Aufmerksamkeit. Nur, wenn ka-tastrophale Einzelereignisse derartige Ausmae annehmen, dass sie sich auch medial nicht ignorie-ren lassen, dringt die Situation an der Grenze in das Bewusstsein einer breiteren ffentlichkeit.Die offizielle Politik uert zu solchen Anlssen gerne groe Betroffenheit, ohne dass jedoch auch nur ein Wort zur Rolle des europischen Grenzregi-mes fllt. Stattdessen sind die Schuldigen schnell ausgemacht: Kriminelle Schlepperbanden, ge-gen die man im Zweifel sogar militrisch vorgehen sollte. Dieses Stichwort wird gerne aufgegriffen, whrend die entscheidenden Frage nicht gestellt werden: Warum whlen Flchtlinge berhaupt so riskante Reisewege und begeben sich in die Hnde der vehement angeprangerten skrupellosen Men-schenhndler?Die Antwort auf diese Frage ist das Grenzregime selbst: In den letzten Jahrzehnten hat die EU fak-tisch alle Mglichkeiten einer legalen Einreise fr Flchtlinge abgeschafft und gleichzeitig Milliar-

    den fr die militrische Abschottung ihrer Auen-grenzen ausgegeben. Aber an der Notwendigkeit zu flchten ndern diese Manahmen selbstver-stndlich nichts. Die Fluchtgrnde der Menschen, die in die europischen Staaten gelangen wollen, bleiben bestehen. Da die verhltnismig sicheren Mglichkeiten des Grenzbertritts systematisch verbaut werden, mssen Flchtlinge immer lnge-re und gefhrlichere Wege nutzen. Viele sind da-durch ber mehrere Jahre auf der Flucht und ms-sen sich immer wieder in Lebensgefahr begeben.Durch ihre Abschottungspolitik hat die EU die wesentlichen Grundlagen fr das Geschftsfeld Schleppen selbst geschaffen. Es ist faktisch un-mglich, in die Festung Europa einzudringen, ohne die Dienste von Schlepper_innen in Anspruch zu nehmen. Das Schleppen als solches ist daher zunchst auch alles andere als moralisch verwerf-lich, sondern eine dringend bentigte Dienstleis-tung, auf die Flchtlinge unter den gegebenen Be-dingungen zwingend angewiesen sind.Auch die Schlepper sind keineswegs durchgn-gig finstere Gestalten, sondern eine durchaus heterogene Gruppe: Oft sind es z. B. ehemalige

    Skrupellose Menschenhndler oder Transportdienstleister?

    Der Kampf gegen Schlepperbanden und das europische Grenzregime

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    afrikanische Fischer_innen, denen ihre bisherige Existenzgrundlage genommen wurde, weil europ-ische Schiff e ihre Fanggebiete leergefi scht haben, oder Flchtlinge, die an einem bestimmten Ort hngengeblieben sind und sich auf diese Weise ihre Weiterreise fi nanzieren.In vielen Fllen haben die Schlepper auch selbst ein groes Interesse daran, dass ihre Kund_innen so sicher wie mglich an den Zielort gelangen, da Informationen ber die Qualitt der Fluchthilfe un-ter Flchtlingen zirkulieren und ein guter Ruf fr das Geschftsmodell wesentlich ist. Da sich mit dem Schleppen insgesamt viel Geld machen lsst und die berwindung der abgeschotteten Grenzen eine immer komplexere Organisation erfordert, kann man allerdings davon ausgehen, dass mafi -se Strukturen und Akteur_innen, die die Notlage der Flchtlinge schamlos ausnutzen, in diesem Ge-schftsfeld inzwischen eine wichtige Rolle spielen.Durch den Kampf gegen die Schlepperbanden wird dieses Problem aber nicht behoben, sondern verschrft: Mit dem Risiko fr die im Verborgenen agierenden Transportunternehmer_innen steigen auch die Preise. Flchtlinge, die diese nicht bezah-

    len knnen, mssen dann verstrkt auf Anbieter zu-rckgreifen, die weniger auf langfristige Geschfts-beziehungen setzen als auf schnelle Gewinne und dafr eine erhhte Gefhrdung der geschleusten Personen in Kauf nehmen.Die Mobilisierung gegen Schlepper kann daher nicht als humanitre Manahme gelten, sondern vor allem als geschicktes Ablenkungsmanver von Politiker_innen, die mindestens so skrupellos sind, wie die Schlimmsten der von ihnen als Feindbild auserkorenen Transportunternehmer_innen. Wer die Leben von Flchtlingen retten will, kann nicht den Kampf gegen diejenigen untersttzen, auf de-ren Dienstleistungen diese aktuell zwingend ange-wiesen sind, sondern muss fr die Zerschlagung des Grenzregimes und die Erff nung sicherer Passagen und Einreisemglichkeiten eintreten. Richtig bleibt daher, was antirassistische Aktivist_innen schon lange fordern:

    Fhren statt Frontex!

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    Die Abschottung der europischen Auengren-zen liegt nicht in der alleinigen Verantwortung einzelner Staaten, sondern wird durch eigens eingerichtete EU-Institutionen koordiniert und gefrdert. Eine zentrale Rolle spielt dabei die im Jahr 2004 entstandene Europische Agen-tur fr die operative Zusammenarbeit an den Auengrenzen der Mitgliedstaaten der Euro-pischen Union, die in der ff entlichkeit fast nur unter ihrem Krzel Frontex bekannt ist. Die zentrale Aufgabe von Frontex besteht dar-in, die Lage an den Auengrenzen zu analysie-ren und Abschottungsmanahmen gezielt vo-ranzutreiben. Die auf diese Weise intensivierte Schlieung relativ sicherer Zugangswege in die EU ist ein wesentlicher Faktor fr die Ver-lagerung von Fluchtbewegungen auf immer gefhrlichere Routen.

    Dass sich Flchtlinge berhaupt auf die hoch riskante Reise in Booten oder maroden Schif-fen ber das Meer begeben, liegt hauptsch-lich daran, dass ihnen legale Mglichkeiten des Zugangs zur EU verwehrt werden. So knnte fr viele Flchtlinge die Einreise per Flugzeug oder Fhre eine sichere (und kostengnstige-re) Alternative bieten. Die EU weigert sich je-doch, Flchtlingen die notwendigen Visa zu erteilen. Zustzlich verpfl ichtet sie die Befr-derungsunternehmen, die gesamten Kosten fr den Rcktransport zu tragen, wenn Flcht-linge nicht ins Zielland einreisen drfen. Auf-grund dieses fi nanziellen Risikos weigern sich Flugunternehmen und Fhrgesellschaften, Flchtlinge berhaupt an Bord zu nehmen.Neben solchen Regelungen setzt die EU auch darauf, bisher viel genutzte Routen zu zerschla-

    Abschottungspolitik und Verlagerung von Fluchtrouten

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    gen, die zwar nicht legal, aber relativ risikoarm waren. Beispielsweise war es bis vor kurzem fr viele noch mglich, ber die grne Grenze auf dem Landweg aus der Trkei nach Griechenland und Bulgarien zu gelangen. Inzwischen haben aber beide EU-Staaten ihre Grenzanlagen durch meterhohe Zune und NATO-Draht so stark aus-gebaut, dass es zunehmend notwendig wird, gefhrlichere Ausweichrouten wie den Seeweg ber die gis zu nutzen.

    Ein anderes Beispiel ist die Meerenge von Gibral-tar, die nur wenige Kilometer breit ist und deshalb lange Zeit einen wichtigen Fluchtweg nach Eu-ropa bildete. Durch den Aufb au einer hochtech-nisierten und fast lckenlosen berwachung in diesem Bereich hat diese Route erheblich an Be-deutung verloren. Ein Teil der Flchtlinge weicht

    nun auf wesentlich lngere Wege ber den Atlan-tik aus, um so weiter westlich gelegene Bereiche des spanischen Festlandes oder die Kanarischen Inseln zu erreichen. Ein anderer Teil versucht die Flucht ber das zentrale Mittelmeer, insbeson-dere nach Lampedusa. Gerade in diesem See-gebiet sind in den vergangenen Jahren tausende Menschen ertrunken. Die Toten im Mittelmeer sind eine direkte Konsequenz der durch die Ab-schottungspolitik erzwungenen Verlagerung von Fluchtrouten.

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    Die meisten Abschiebungen in Deutschland wer-den aufgrund des Dublin-Abkommens durchge-fhrt, weil dieses beinhaltet, dass Flchtlinge nur in dem Land Asyl beantragen knnen, in welchem sie erstmals europischen Boden betreten haben. Dies sind in der Regel sdliche Kstenlnder und EU-Lnder in Osteuropa, whrend Deutschland durch seine geografische Lage abgeschirmt ist.1 In erstgenannten Lndern droht vielen Flchtlingen aufgrund noch unfaireren Asylverfahren erst recht die Abschiebung, hinzu kommen hufig desastr-se Lebensbedingungen.1

    In Italien haben 85.000 Bootsflchtlinge im Jahr 2014 das Festland erreicht, von denen jedoch nur 30% einen Asylantrag stellten. Nach wenigen Ta-gen ziehen die meisten Flchtlinge von den Erst-aufnahmeeinrichtungen (CPSA), in denen die Lebensbedingungen besonders schlecht sind, in eines der neun Aufnahmezentren fr Asylbewer-ber_innen (CDA oder CARA), die in verschiede-nen Regionen Italiens verteilt sind und in denen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren (der Bearbeitungszeitraum ihres Asylverfahrens) le-ben mssen. Whrend dieser Zeit stehen ihnen in Italien nur 2,50 Euro Taschengeld pro Tag zur Verfgung. Der Rest der 30-34 Euro, die Italien pro Flchtling am Tag ausgibt, geht an Einrichtungen in privater Trgerschaft, welche die Aufnahme von Flchtlingen zu einem lukrativen Geschft gemacht haben und keine Rcksicht auf deren Be-drfnisse nehmen. Hinzu kommt die berlastung der Flchtlingsheime, denn whrend die Aufnah-mekapazitt der CARA nur bei 9.000 Menschen liegt, leben in ihnen 11.000 Menschen. Die Anzahl der Flchtlinge in leerstehenden Gebuden, wie Schulen und Kirchen, wird auf noch einmal 40.000 geschtzt.2 Viele Menschen werden nach dem Verlassen der CPSA aber auch obdachlos und sich

    1 Vgl. http://www.migazin.de/2014/12/11/kampf-abschiebung-bun-desamt-fluechtlinge-kirchenasyl/, zugegriffen am 27.04.2015.2 Vgl. http://mediendienst-integration.de/artikel/fluechtlinge-itali-en-aufnahme-einrichtungen-cpsa-cara-sprar.html , zugegriffen am 28.04.2015.

    selbst berlassen, was hufig eine Verelendung zur Folge hat und dazu fhrt, dass der Asylbescheid gar nicht bermittelt werden kann, wenn das Asyl-verfahren noch nicht abgeschlossen worden ist.Ein Beispiel fr die desolate Situation in Italien ist die Fluchtgeschichte der achtkpfigen afghani-schen Familie Tarakhel. Sie kam im Sommer 2011 in einem desastrsen Zustand mit dem Boot in Ita-lien an, wo sie zunchst provisorisch in einer Schu-le untergebracht wurde, um dann in eine Unter-kunft mit 50 weiteren Flchtlingen auf kleinstem Raum zusammengepfercht leben zu mssen. Ein von Zigarettenrauch durchtrnkter Raum, in dem die sechs kleinen Kinder der Familie unter sehr schlechten hygienischen Bedingungen nun leben sollten. Nur zwei Matratzen fungierten als Bett fr die gesamte Familie, die sich daraufhin entschloss, die weitere Flucht ber sterreich in die Schweiz anzutreten. Aus der Schweiz sollte die Familie per Schnellverfahren zurck nach Italien abgeschoben werden. In ein Land, in dem nicht nur die Unter-knfte berfllt und die Gefahr Opfer von Gewalt zu werden gro ist, sondern in dem auch die Fami-lie getrennt werden knnte. Getrennt, weil in den normalen Flchtlingsunterknften keine kindge-rechte Unterbringung mglich ist und die Kinder in ein separates Kinderheim kommen knnten. Auch die Mglichkeit, dass der Vater in ein Mn-nerwohnheim berfhrt werden knnte, besteht.3 Die Familie klagte gegen die bevorstehende Ab-schiebung am Europischen Gerichtshof fr Men-schenrechte (EGMR). Dieser entschied, dass sie nur abgeschoben werden drfe, wenn Italien die Garantie fr eine kindgerechte Unterkunft sowie die Wahrung der Familieneinheit bernehme.4 Un-abhngig vom Urteil des EGMR sind wir der Mei-nung, dass Menschen selbst bestimmen drfen sollen, wo sie leben mchten und dies unabhngig

    3 Vgl. http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/sind_abschie-bungen_nach_italien_menschenrechtswidrig/, zugegriffen am 29.04.2015.4 Vgl. http://skmr.ch/de/themenbereiche/migration/artikel/egmr-ta-rakhel-gegen-schweiz.html?zur=39, zugegriffen am 29.04.2015.

    Desastrse Lebensbedingungen fr Flchtlinge in den Erstaufnahmelndern

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    von ihrer Nationalitt.Noch schlimmer ist die Situation fr Flchtlinge, die ber die Trkei nach Griechenland fl chten, denn hier sind systematische Menschenrechtsverletzun-gen, berfllte Haftlager und ein nicht funktionie-rendes Asylsystem bittere Realitt. Aufgegriff ene Flchtlinge werden hier in Haftlagern interniert, in welchen sie nicht einmal einen Schlafplatz erhalten, was per Defi nition einer inhumanen und erniedri-genden Behandlung im Sinne Art. 3 der Europi-schen Menschenrechtskonventionen entspricht.5 Die Abschiebung von Flchtlingen aus Deutschland nach Griechenland ist daher nach einem Urteil des Europischen Gerichtshofs von 2011 untersagt wor-den.6 Ein Beispiel fr die unmenschlichen Lebensbedin-gungen, unter denen Flchtlinge in Griechenland zu leiden haben, gibt die Geschichte eines Flchtlings, der aus dem Irak ber die Trkei erst nach Griechen-land und schlielich weiter nach Belgien gefl chtet ist. Er war Polizist im Nordirak und politischer Ver-

    5 Vgl. http://www.proasyl.de/de/themen/eu-politik/situation-in-grie-chenland/, zugegriff en am 29.04.2015. 6 Vgl. http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/eugh_bestaetigt_keine_abschiebung_nach_griechenland/, zugegriff en am 29.04.2015

    folgung ausgesetzt, die in einem Mordversuch mn-dete. In Griechenland behandelte man ihn wie einen Verbrecher, nahm zunchst seine Fingerabdrcke und sperrte ihn anschlieend ohne bersetzer_in und Anwlt_in in eine Zelle. Nachdem er zurck nach Istanbul abgeschoben wurde, brachte ihn ein Schlepper nach Belgien, wo er gegen seine erneute Abschiebung, diesmal aufgrund des Dublin-Abkom-mens nach Griechenland, klagte.7

    Beide Beispiele fhren vor Augen, wie nationale Grenzen zum Mittel von Abschottung und Ausgren-zung werden. Nicht einmal menschenunwrdige Lebensbedingungen, berlastete Flchtlingsun-terknfte und desastrse Versorgungsverhltnisse hindern die deutschen Behrden daran, Abschie-bungen in sogenannte Erstaufnahmelnder anzu-ordnen.

    7 Vgl. http://www.zeit.de/campus/2013/04/erstes-mal-anwaeltin-euro-paeischer-gerichtshof, zugegriff en am 29.04.2015.

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    Flchtlinge sind nicht nur dem Druck von Abschiebungen ausgesetzt; die Ungleich-behandlung und Diskriminierung erstreckt sich vielmehr ber alle Lebensbereiche. Ausschluss vom ffentlichen Gesundheits-system, willkrliche Streichungen von Geldern noch unter das gesetzliche Exis-tenzminimum, Lagerunterbringung, ge-sundheitsschdigende Wohnsituationen, das Gutscheinsystem oder die Residenzpflicht

    sind nur einige Beispiele dafr, wie Geflch-tete gesellschaftlich isoliert und in den ele-mentarsten Bedrfnissen eingeschrnkt werden.Diese erniedrigenden und menschenver-achtenden Lebensbedingungen werden durch ein ganzes Sammelsurium an Geset-zen und Vorschriften zementiert und von den zustndigen Behrden in der alltgli-chen Arbeit umgesetzt. Die Solidaritt mit den Geflchteten darf sich deswegen nicht

    allein auf die Verhinderung von Abschiebun-gen beschrnken, sondern bedeutet auch den Kampf gegen diese inhumane Ordnung. Im Folgenden werden die wesentlichen Ele-mente dieser Diskriminierung und ihre Be-deutung fr Geflchtete skizziert.

    AsylbeWeRbeRleistungsgesetzMit der Einfhrung des Asylbewerberleis-tungsgesetzes (AsylbLG) von 1993 wurden Geflchtete von dem Bezug allgemeiner Sozialhilfe (nach SGB II) ausgeschlossen. Die Regelungen dieses Gesetzes sind darauf angelegt, die Leistungen noch unter das Ni-veau des gesetzlich garantierten Existenz-minimums zu drcken und die Geflchteten vom Gesundheitssystem weitestgehend auszuschlieen. Medizinische Flchtlingshil-fen fordern seit langem die Abschaffung die-ses Sonderrechts fr Geflchtete, das einzig und allein der zustzlichen Drangsalierung von Geflchteten und der Beschneidung ih-rer Rechte dient.1 Betroffen vom AsylbLG sind geduldete Menschen und Personen mit Aufenthaltsgestattung (fr die Dauer des Asylverfahrens). Die Einschrnkung gegen-ber Sozialhilfeleistungen wird mit einer angenommenen geringen Aufenthaltsdauer gerechtfertigt. Dies ist aber irrefhrend, da die Mehrzahl der blo geduldeten Flchtlin-ge ber Jahre hinweg in Deutschland bleibt.2

    leistungskRzungenZudem wird im Gesetz die Mglichkeit zu-stzlicher Leistungskrzungen gegeben.

    1 Vgl. Kampagne zur Abschaffung des AsylbLG: http://stopa-sylblg.de/ 2 Vgl. Die Stellungnahme von ProAsyl zur Gesetzesnde-rung 2014: Von den ca. 90.000 Geduldeten leben mehr als die Hlfte bereits lnger als sechs Jahren in Deutschland (Quelle: , Seite 3.

    Lebensbedingungen von Geflchte-ten in der Bundesrepublik

    B . erzhlt von seinem gesund heitlichen Zus tand: B hat seit Langem eine Augen-krankheit. Er ist beim Auge narzt gewe sen, der ihm besttigt hatte, dass er drin gend operiert wer den sollte. Mehr als drei Mo-nate sind seit dem ver gan gen und bis jetzt hat er noch keinen ber weisungsschein von der Aus ln der be hrde aus gestellt bekom men. Die Aus ln der be hr den ignori eren meinen gesund heitlichen Zus-tand, weil ich als Gedulde ter per ma nent nach dem Asyl be wer ber leis tungs ge-setzt bestraft und sank tion iert wer den soll. Gesund heit steht jedem Men schen zu, egal welche Papiere und Aufen thalt-srechte er besitzt.

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    Dies betrfe diejenigen Personen, die sich in den Geltungsbereich dieses Ge-setzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen (Asylb-LG 1a). Ein solcher Vorwurf kann von den Behrden erhoben werden, wenn Flchtlinge bspw. angeben, dass sie in ihrem Herkunftsland in Armut lebten oder ihre sonstigen Fluchtgrnde nicht anerkannt bzw. angezweifelt werden. Ebenso sind Personen davon betroffen, die der Verzgerung von aufenthalts-beendende[n] Manahmen (ebd.), d. h. ihrer Abschiebung, beschuldigt werden. Eine von der Bundesregierung im Herbst 2015 vorgelegte Gesetzesnderung3 be-inhaltet in diesem Bereich weitere Ver-schrfungen: Fr vollziehbar Ausreisepflich-tige, d.h. Personen die ihrer Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihnen gesetzten Frist nachgekommen sind und deren Ausreise keine aufenthaltsrechtlichen Hindernisse entgegenstehen, ist eine Krzung auf das physische Existenzminimum vorgesehen. Das gleiche soll auch fr Dublin-Flchtlinge

    3 Vgl. den Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen, Stand 29.09.2015: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/061/1806185.pdf

    gelten sowie fr solche Geflchtete, die per EU-Entscheidung einem anderen Mitglieds-staat (bspw. per Quotenregelung) zugeteilt worden sind.

    gutscheinpRAxis und sAchleistungenVielerorts und von 1998 bis 2013 auch in Gttingen werden die Sozialleistungen den Flchtlingen nicht in Form von Geldbe-trgen, sondern lediglich in Form von Gut-scheinen, fr welche nur ein eingeschrnk-

    A, ein Mit be wohner, erzhlt: Wir woh-nen zu acht in einer Woh nung, die aus zweiein halb Zim mern besteht. Wir sind acht Mn ner mit ver schiede nen Nation al-itten auf eng stem Raum. Wir haben eine Koch platte und eine Toi lette und Dusche. Diese beengte Wohn si t u a tion nimmt mir, und meinen Mit be wohn ern hn lich, jeden Freiraum und jede Rck zugsmglichkeit. Auer dem sind die san itren Ein rich tun-gen der Huser in katas trophalem Zus-tand von Schim mel bis Klte. Das ge-fhrdet unsere Gesundheit.

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    tes Warensortiment in einer begrenzten Anzahl von Geschften erstanden werden kann, sowie von Sachleistungen, zur Ver-fgung gestellt. Die von der Bundesregie-rung im Herbst 2015 auf den Weg gebrach-te Gesetzesverschrfung sieht die erneute Einschrnkung von Geldleistungen und die Ausweitung der Sachleistungspraxis vor. Dieses aufwendige System dient allein dem Ziel der Kontrolle und der Stigmati-sierung Geflchteter. In Einzelfllen wie nach einer verhinderten Abschiebung greift auch die Stadt Gttingen auf die Austeilung von Gutscheinen zurck, was einer individuellen Bestrafung der Geflch-teten gleichkommt.

    gesundheitsveRsoRgungEin Anspruch auf medi zinis che Behand-lung besteht allein bei akuten Erkrankun-gen und dadurch verur sachten Schmerz-en, whrend die Behand lung chro nis cher Krankheiten ver weigert wird. Smtliche Behand lun gen und rztliche ber weisun-gen mssen von den Sozial be hr den ge-nehmigt wer den. In der Praxis wer den

    oft mals ntige ber weisungss cheine nicht aus gestellt oder der gesund heitliche Zus tand der Geflchteten ignoriert. Auch die durch die Prfung entstehende Verz-gerung kann eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Geflchteten bewirken. Durch die Nichtbehandlung chronischer Krankheiten entstehen den Betroffenen langfristige gesundheitliche Schden, die mitunter zum Tod fhren knnen.

    WohnsituAtionFlchtlinge, die in Deutschland ankom-men, werden nach ihrer Registrierung in einem der Erstaufnahmelager auf die Bundeslnder und dort auf die einzelnen Kommunen verteilt. Die Bedingungen dieser Unterbringung reichen von der Ka-sernierung in Massenunterknften wie Lagern und Heimen bis zur Zuweisung von Sozialwohnungen. Die Unterbringung von Geflchteten gehrt zu den medial prsentesten Aspekten der Migrationspo-litik. So wird beispielsweise durch die rt-liche Konzen tra tion vieler Flchtlinge in zu

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    kleinen Unterkn ften das Bild eines nicht zu bewlti gen den Ansturms erzeugt.In der Stadt Gt tin gen gab es zwar bis lang keine Lager, den noch folgt die Unter bringung von Flchtlin gen auch hier grund st zlich hn-lichen Prinzip ien. Wie Gefl chtete in einem Protestschreiben dar legen, steht ihre Wohn-si t u a tion in ekla tan tem Wider spruch zum grundle gen den Recht auf aus re ichen den und men schen wrdi gen Wohn raum. Viele Flcht-linge wer den von der Stadt in mar o den Hu-serblocks im Rosen winkel und im Neuen Weg unterge bracht. Daneben gibt es inzwischen eine Reihe von Sammelunterknften. Sie befrdern ten den ziell die Iso la tion von der son sti gen Stadt bevlkerung und den Auss-chluss vom sozialen und kul turellen Leben. Seit Jahren sind solche Sam melun terkn fte zudem fr ihre mis er ablen Wohnbe din gun-gen bekannt. Diejeni gen Flchtlinge, die sich selbst eine Woh nung suchen dr fen, haben bei Vermieter_ innen keine Chance, weil sie keinen fes ten Aufen thaltssta tus, son dern nur kurzfristige Dul dun gen erhal ten. Be-hrdliche Schika nen, die Verk nap pung von Wohn raum im unteren Miet preis seg ment und in vie len Fllen auch ras sis tis che Ein stel-lun gen seit ens poten tieller Vermieter_ innen greifen naht los ineinan der.

    bAnkkontenEin Konto zu besitzen erscheint als alltgli-che, geradezu selbstverstndliche Angele-genheit. Ob beim Eintritt in den Beruf, das Eingehen eines Mietverhltnisses oder bei einer einfachen Bestellung im Internet, an wie vielen Stellen fhrt heutzutage kein Weg an der Angabe eines Kontos vorbei. Dennoch stehen Flchtlinge in Deutschland vor mas-siven Schwierigkeiten, wenn sie versuchen wollen, ein eigenes Konto einzurichten. Dies hngt damit zusammen, dass die Banken ihre Ausweisdokumente (Aufenthaltsge-stattungen bzw. Duldungen) fr nicht aus-reichend erachten. Sie verweisen in diesem Zusammenhang u.a. auf das sogenannte Geldwschegesetz, also eine gesetzliche Re-gelung, die offi ziell dem Kampf gegen orga-nisierte Kriminalitt (nmlich dem Aufsp-ren von Gewinnen aus schweren Straftaten) dienen soll. Hier wird sie aber als pauschaler Vorwand und Legitimation genutzt, um ei-ner Personengruppe die Teilhabe am gesell-schaftlichen Leben zu verweigern.

    Aus diesen Benachteiligungen ergibt sich auch die diskriminierende Praxis der monatli-chen Barauszahlung der Sozialleistungen. In Gttingen mssen die Betroff enen Monats-ende fr Monatsende in einzelnen Fllen auch Woche fr Woche bei den Behrden vorsprechen, um dort die ihnen zustehenden Geldbetrge abzuholen. Das stundenlan-ge Warten im tristen Eingangsbereich des Rathauses mit ber hundert Personen stellt insbesondere fr Eltern oder Kranke eine ex-trem stressige Situation dar.

    Die meis ten Behr den (wie hier in Gt tin gen) legen die ohne hin ras sis tis che Geset zge bung so restrik tiv wie mglich aus. Dies treibt die Flchtlinge in eine Lage der Hoff nungslosig-keit und Verzweifl ung und soll sie dazu brin-gen, ihre Ansprche auf Asyl, auf ein men-schen wrdi ges Leben und auf die Erfl lung grundle gen der Bedrfnisse aufzugeben. Die ohne hin schon sehr gerin gen Sozialleis tun-gen wer den hu fi g als Druck mit tel genutzt, um eine soge nan nte frei willige Aus reise zu erzwin gen. Auch Arbeitsver bot, Ver wehrung von Deutschkursen fr Gefl chtete ohne anerkan ntes Bleiberecht sowie Lagerun ter-bringung ste hen dem Aufb au eines selb st-bes timmten Lebens im Weg. Wenn in der Politik und in den Medien ber das Fr und Wider von Lagerun ter bringung, die Vor- und Nachteile eines Arbeitsver bots, der Freiz-gigkeit, der medi zinis chen Ver sorgung, der Iso la tion ohne Rck sicht auf die Per spek tive der Betroff e nen debattiert wird, spielen die Bedrfnisse und Wnsche der Gefl chteten keine Rolle.

    C, ein weit erer Bewohner des Hauses, sagt: Am schlimm sten ist es, den ganzen Tag nichts zu tun und keinen Kon takt zu anderen Men schen zu haben. Hinzu kommt bei allem noch die ungewisse Zukunft, das Warten auf die Bear beitung ihres Asy-lantrags und die Angst vor Abschiebung. Viele von uns haben psy chis che Prob leme mit Folge von Depressionen.

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    Mit Protestzel ten und -mrschen, Beset zun-gen und Hunger streiks brin gen Flchtlinge in der gesamten Bundesrepublik diese men schen ver-ach t ende Poli tik und deren Auswirkun gen in das Bewusst sein der Gesellschaft. Sie haben sich ent-schlossen, die rassistische Diskriminierung und Entrechtung, der sie zum Teil seit Jahren ausge-setzt sind, nicht lnger hinzunehmen. Gemeinsam mit Untersttzer_innen aus unterschiedlichen po-litischen Spektren kmpfen sie fr Bleiberecht und gleiche Rechte.

    eine neue pRotestdynAmikProteste gegen das europische Grenz- und Ab-schieberegime sowie gegen rassistische Sonder-gesetze sind in der BRD kein neues Phnomen. Bereits seit Jahrzehnten setzen sich Betroffene sowohl gegen die mrderische Abschottung der europischen Auengrenzen, als auch gegen die entwrdigenden Bedingungen zur Wehr, unter de-nen sie hierzulande nach dem Willen der Behrden leben sollen.Auch in Gttingen war es nie wirklich ruhig. Vor allem der Kampf gegen Abschiebungen und das Gutscheinsystem erlangte hier zwischenzeitlich

    immer wieder groe Intensitt und konnte neben vielen bitteren Niederlagen auch einige Erfolge vorweisen. Obwohl es hnliche Aktivitten also schon recht lange gibt, lassen sich seit einiger Zeit dennoch Vernderungen konstatieren: Seit etwa 2012 haben die Kmpfe von Geflchteten in ganz Deutschland an Dynamik gewonnen.Mit mitunter spektakulren Aktionen, die teilwei-se wie die Initiative Lampedusa in Hamburg oder die Besetzung des Oranienplatzes in Berlin bundesweite Aufmerksamkeit fanden, haben Flchtlinge an zahlreichen Orten deutlich artiku-liert, dass sie sich nicht mehr zum Schweigen brin-gen lassen. Eine wichtige Rolle in diesem neuen Protestzyklus spielt die Inbesitznahme von stark frequentierten Pltzen. Mit der dauerhaften Pr-senz im ffentlichen Raum machen die Aktivist_in-nen unmissverstndlich deutlich, dass das Thema Flchtlingsrechte nicht von der Tagesordnung ver-schwinden wird. Auch Geflchtete aus Gttingen und Umgebung sind mit einem Protestzelt in der Innenstadt, Kundgebungen und Demonstrationen sichtbarer Teil dieser erstarkten Bewegung gewor-den.

    Flchtlingsproteste und Kmpfe fr gleiche Rechte

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    youR libeRAtion is bound up With mineKonfl ikte um die Kontrolle von Migration sind mit anderen gesellschaftlichen Feldern auf das engs-te verknpft. Das zeigt sich auch daran, dass der Umgang mit Flchtlingen immer wieder als Expe-rimentierfeld fr Zumutungen dient, die danach auf weitere Bevlkerungsgruppen ausgedehnt werden. So wurden z.B. einige im Zuge der Hartz IV-Gesetze umfassend etablierte Manahmen (u.a. Ein-Euro-Jobs, Gutscheine statt Bargeld als Sanktionsmittel) in hnlicher Form zuvor vor allem an Gefl chteten ausprobiert.Die Auseinandersetzungen, die die Gefl chteten aktuell fhren, erweisen sich als ein Element welt-weiter Kmpfe fr ein besseres, ein menschenwr-diges, ein Leben ohne Unterdrckung und Aus-beutung. Die nationalen Grenzen gehren zu den Orten, an denen der Kapitalismus sein menschen-feindliches Gesicht am off ensten zeigt. Im Kontext von Migration wird der Kampf um Wrde immer hufi ger zum Kampf um das Leben selbst.Doch was sich hier in extremer Zuspitzung zeigt, besitzt eine Vielzahl von Bezgen zu anderen ge-sellschaftlichen Konfl ikten. Wer sich eine bessere Zukunft nicht nur fr eine kleine privilegierte Min-derheit wnscht, ist gut beraten, Flchtlinge bei ih-

    ren Aktionen zu untersttzen, auch wenn er oder sie nicht direkt selbst von rassistischen Sondergeset-zen betroff en ist: Nicht nur aus Empathie, Gerech-tigkeitssinn, Mitgefhl oder Nchstenliebe, son-dern auch im eigenen Interesse. Denn den Kampf um Befreiung knnen wir nur gemeinsam fhren. Viele Flchtlinge sind bereits in ihren Herkunftsln-dern politisch aktiv gewesen. Gerade ihre Kontakte bieten ein enormes Potential, um das Aufb egehren gegen die herrschenden Verhltnisse auch ber Lndergrenzen hinweg zu verbinden.

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    Zoriah: https://flic.kr/p/6CQpbW (CC BY-NC 2.0) Editorial.

    Fibonacci Blue: https://flic.kr/p/snPbPd (CC BY 2.0) Cover.

    Franz Joachim: https://flic.kr/p/z7vJRm (CC BY-NC-ND 2.0), S.4-5.

    Daniel Mller: https://flic.kr/p/fdc4AR (CC BY-NC-ND 2.0), S.6.

    Moody College of Communication : https://flic.kr/p/xwqZRd (CC BY-SA 2.0), S.9.

    Daniel Mller: https://flic.kr/p/gyKYJZ (CC BY-NC-ND 2.0), S.10-11.

    hom 26: https://flic.kr/p/dPMFRx (CC BY-NC-ND 2.0), S.12-13.

    Michi: https://flic.kr/p/mpnWJn (CC BY-NC-SA 2.0), S.14.

    darren brooks: https://flic.kr/p/b6aXZ (CC BY 2.0) , S.15.

    Murplejane: https://flic.kr/p/5HDcrC (CC BY-SA 2.0) , S.17.

    Brian Auer :https://flic.kr/p/5vHibf (CC BY-NC-ND 2.0), S.19.

    Mstyslav Chernov: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_line_of_Syrian_refuge-es_crossing_the_border_of_Hungary_and_Austria_on_their_way_to_Germany._Hun-gary,_Central_Europe,_6_September_2015.jpg. S20-21.

    Michael Gubi: https://flic.kr/p/yh6kep (CC BY-NC 2.0), S.23.

    Michi: https://flic.kr/p/nVuvwu (CC BY-NC-SA 2.0), S.25.

    Michi: https://flic.kr/p/nF4o12 (CC BY-NC-SA 2.0), S.26.

    Jan Truter: https://flic.kr/p/n1N4RS (CC BY-NC-ND 2.0), S. 29.

    philippe leroyer: https://flic.kr/p/4FybUV (CC BY-NC-ND 2.0) Cover.bild

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    is

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    Die Basisdemokratische Linke Gttingen existiert in der heutigen Form seit dem No-vember 2013 und ist aus einem Zusammenschluss verschiedener Basisgruppen und Einzelpersonen entstanden. Der Hauptansatzpunkt unserer Politik besteht darin, Ba-siskmpfe zu organisieren bzw. uns in diese im Rahmen unserer Mglichkeiten ein-zubringen, um gemeinsam mit den jeweils Betroffenen aktiv zu werden. Das heit hier konkret: Menschen mit gefhrdetem und unsicherem Aufenthaltsstatus in ihrem Kampf um Bleiberecht und ihrem Streben nach einem lebenswerten Leben aktiv zu untersttzen. Unser Ziel bleibt es, alle Verhltnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verchtliches Wesen ist. Die Auseinandersetzung darum beginnt fr uns aber nicht in einer fernen Zukunft, son-dern im Hier und Jetzt. Es ist uns wichtig emanzipatorische Politik ber die lokale Ebene hinaus zu etablieren und ber eine gemeinsame linksradikale Organisierung eine grere Wirkmchtigkeit zu erreichen. Nur wenn wir mehr werden, solidarisch sind, nur wenn wir berregio-nal gemeinsame Strategien und Perspektiven entwerfen, ist die Umwlzung der herr-schenden Verhltnisse mglich. Deshalb sind wir Teil der Interventionistischen Linken, eines Zusammenschlusses von Gruppen und Einzelpersonen aus der undogmatischen und emanzipatorischen Linken.Wir freuen uns immer ber neue Leute, die daran interessiert sind bei uns dauerhaft und verbindlich mitzuarbeiten. Erreichen knnt ihr uns per mail oder ber unser Post-fach im Roten Buchladen.

    Basisdemokratische Linke Gttingen

    c/o Roter Buchladen

    Nikolaikirchhof 7

    37073 Gttingen

    [email protected]

    www.inventati.org/blgoe

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