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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ronja Kempin / Christian Kreuder-Sonnen Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen Eine Option für Deutschland? S 6 März 2010 Berlin

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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Ronja Kempin / Christian Kreuder-Sonnen

Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen Eine Option für Deutschland?

S 6März 2010 Berlin

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Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. Die Studie gibt ausschließ-lich die persönliche Auf-fassung der Autoren wieder © Stiftung Wissenschaft und Politik, 2010 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372

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Inhalt

5 Problemstellung und Empfehlungen

7 Einleitung

9 Defizite in internationalen Stabilisierungsmissionen

9 Zeitlicher Aspekt: Die Entsendungslücke 10 Operativer Aspekt: Die Fähigkeitslücke 10 Fehlende Robustheit 11 Mangel an lokalen Kräften

12 Gendarmerieeinheiten zur Behebung der Defizite?

12 Das Profil von Gendarmerien 13 Gendarmeriekräfte und die Lücken

internationaler Stabilisierungsoperationen 13 Einsatzerfahrungen

15 Europäische Ansätze: Integrierte Polizeieinheiten und Europäische Gendarmerie Force

15 Integrierte Polizeieinheiten 15 Europäische Gendarmerie Force

17 Möglichkeiten und Grenzen deutscher Beteiligung

17 Trennung von Polizei und Militär 18 Trennungsgebot für Auslandseinsätze? 19 Grundsätzliche Einwände

21 Optionen für Deutschland 21 Aufbau eines Gendarmeriekontingents bei der

Bundespolizei 22 Erweiterung der Feldjäger zur

Gendarmerieeinheit

24 Schlussbetrachtungen

25 Abkürzungen

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Dr. Ronja Kempin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der SWP-Forschungsgruppe Sicherheitspolitik und arbeitet derzeit als Fritz Thyssen Fellow am Weatherhead Center for International Affairs, Harvard University. Christian Kreuder-Sonnen studiert Politikwissenschaft, Recht und Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er war von Juni bis August 2009 Praktikant bei der SWP.

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Problemstellung und Empfehlungen

Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen Eine Option für Deutschland?

Internationale Stabilisierungseinsätze sollen gemein-hin fragile staatliche Strukturen festigen, so dass von dem betreffenden Land keine Gefahr mehr für die internationale Sicherheit ausgeht. Die Rolle des Mili-tärs beschränkt sich in diesen Einsätzen auf die Wah-rung des Friedens durch die Trennung von Konflikt-parteien oder die Überwachung eines Waffenstill-standsabkommens sowie auf die Ausbildung lokaler militärischer Kräfte. Zivile Akteure dagegen über-nehmen den Aufbau der Polizei und die Reform des Justiz- und Vollzugswesens. Oft geht das Ende der Kampfhandlungen jedoch nicht mit einer Sicherheits-lage einher, die die Beschränkung auf zivile Polizei-arbeit zuließe. In der Regel sind Post-Konflikt-Gesell-schaften gewaltbereit und militarisiert. Daher ist der Beginn ziviler Aufbau- und Reformmaßnahmen häufig von Plünderungen, Rachemorden oder größe-ren Unruhen in der Bevölkerung überschattet. Das entstehende Netz organisierter Kriminalität und des-sen Nexus zu politisch motivierter Gewalt überfordern zivile Polizeieinheiten. Warlordismus, religiöser Fana-tismus und Terrorismus sind Herausforderungen, denen internationale Polizeikräfte begegnen müssen, ohne dazu ausgebildet und ausgerüstet zu sein. Doch auch militärische Kräfte vermögen diesen Situationen nicht ausreichend entgegenzuwirken. Auf die Aus-schaltung eines gegnerischen Zieles spezialisiert, sind Soldaten weder für polizeiliche Ermittlungen noch für Durchsuchungen oder gar den Kampf gegen das orga-nisierte Verbrechen geeignet.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Erkenntnis durch, dass es an einer Kraft mangelt, die imstande ist, in einem instabilen Umfeld eigenständig zu ope-rieren und Unruhen ebenso effektiv einzudämmen wie organisierte Kriminalität. Solche Qualitäten wer-den Gendarmerien zugeschrieben, also Polizeiein-heiten, die mit robusten Selbstschutz- und Einsatz-kapazitäten ausgerüstet sind. In der internationalen Debatte werden diese Fähigkeiten immer wichtiger. Die amerikanische Regierung etwa erkennt sie als pro-bates Mittel zur Stabilisierung der Situation im Irak wie in Afghanistan. Auf dem Nato-Gipfel in Straßburg und Kehl im April 2009 forderte Washington, Aufbau und Ausbildung der afghanischen Polizei (ANP) mit

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Problemstellung und Empfehlungen

robusten Polizeieinheiten zu unterstützen. Diesem Aufruf kam insbesondere Frankreich nach, dessen Gendarmerie die im Aufbau befindliche Nato-Trai-ningsmission NTM-A leiten wird. Sollte sich heraus-stellen, dass die französischen Gendarmen die Ent-wicklung der ANP spürbar voranbringen, wird der Ruf nach Bereitstellung solcher Kräfte in der Nato lauter werden.

Doch muss sich Deutschland nicht allein aufgrund der gegenwärtigen Diskussion in der Nato einer Debat-te stellen. Die Bundesrepublik, die der zivilen Kompo-nente internationaler Stabilisierungsmissionen ver-pflichtet ist und sich in besonderem Maße auf dem Polizeisektor engagiert, hat ein herausragendes Inter-esse an wirkungsvollen Instrumenten in diesem Bereich. Bevor aber entschieden wird, ob die Bundes-republik eigene Gendarmerieeinheiten aufstellen sollte, müssen zwei Fragen beantwortet sein: Sind Gendarmeriekräfte geeignet, die Herausforderungen internationaler Stabilisierungsmissionen zu meistern? Welche Möglichkeiten hat Deutschland, sich am Auf-bau multilateraler Gendarmeriekontingente zu betei-ligen?

Gendarmerieeinheiten sind bislang selten im internationalen Einsatz gewesen. Wurden sie ent-sendet, haben sie sich als wirkungsvolles Instrument erwiesen, insbesondere wenn es darum ging, orga-nisierte Kriminalität zu bekämpfen und Aufstände abzuwenden. Auch Deutschland könnte sich mit einer Gendarmerie ein wichtiges Instrument für Stabilisie-rungsoperationen verschaffen. Noch aber stehen dem verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Das dem Grundgesetz immanente Gebot der Trennung von Polizei und Militär gilt als Verfassungsprinzip. Die Schaffung einer deutschen Gendarmerie, so wird eingewandt, wäre damit nicht zu vereinbaren. Werden solche Kräfte aber allein für die Auslandsverwendung geschaffen, erübrigt sich diese Befürchtung. Das Grundgesetz schreibt weder explizit noch implizit vor, im Ausland polizeiliche und militärische Aufgaben und Befugnisse zu trennen.

Will die Bundesrepublik einen deutschen Gendar-merieverband für den Auslandseinsatz ins Leben rufen, stehen ihr zwei Möglichkeiten offen: Sie kann ein Kontingent bei der Bundespolizei bilden oder die Militärpolizei der Bundeswehr (Feldjäger) funktional erweitern. Wählt Deutschland die erste Variante, soll-te die Einheit der Bundespolizei wie die GSG 9 ein stehender Verband sein. Neben der Auslandseinsatz-hundertschaft, die für zivile Polizeimissionen bereit-steht, erhielte das Ressort so auch eine robuste Kompo-

nente, die allein für den Auslandseinsatz in instabilen Situationen zur Verfügung stünde. Wichtig für diese Variante wäre, dass eine solche Einheit unter militä-risches Kommando gestellt werden könnte, wie dies bis 1994 für den Bundesgrenzschutz der Fall war, und bei der Entsendung von der gültigen Bund-Länder-Parität bei Auslandseinsätzen der Polizei ausgenom-men würde. Die Feldjäger der Bundeswehr stellen bei der Ausbildungsunterstützung der afghanischen Polizei bereits den Nutzen ihres militärischen Status und grundlegender polizeilicher Fähigkeiten unter Beweis. Entsprechend könnte es ausreichen, ihre Zuständigkeit und Fähigkeit für Auslandseinsätze auszuweiten. Gleichwohl wäre es möglich, auch hier eine spezialisierte Einheit aufzubauen. Während bei der ersten Variante insbesondere robuste Elemente hinzutreten müssten, wären bei der zweiten vor allem die kriminalpolizeilichen Fähigkeiten der Feldjäger zu erweitern, damit sie auch exekutive Aufgaben im Ausland übernehmen können. Unabhängig davon, welcher Weg eingeschlagen wird, birgt ein Gendarme-rieeinsatz erhebliche sicherheitspolitische Implikatio-nen. Deshalb sollte die Entscheidung über eine Ent-sendung in die Hände des Bundestages gelegt werden (Parlamentsvorbehalt).

Der Bundesregierung ist es möglich, Gendarmerie-fähigkeiten aufzubauen, ohne die deutsche Sicher-heitskultur und -struktur grundlegend zu verändern. Sie sollte sich daher dafür entscheiden, eine speziali-sierte Einheit von einigen hundert Gendarmen aus-schließlich für den Auslandseinsatz aufzubauen. Mit diesem Schritt würde sie nicht allein ihre Handlungs-fähigkeit in internationalen Stabilisierungseinsätzen deutlich verbessern. Sie müsste auch nicht um ihre Stellung in der Atlantischen Allianz fürchten, wenn Gendarmeriefähigkeiten dort an Bedeutung gewin-nen.

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Einleitung

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sser dieser Studie zwei zentrale Fragen beantwor-

Einleitung

Die Bilanz der internationalen Bemühungen um eine Stärkung staatlicher Strukturen auf dem Balkan, im Irak und in Afghanistan kann nicht zufriedenstellen. In vielen Einsätzen werden die Grenzen zwischen mili-tärischen und polizeilichen Aufgaben immer durch-lässiger. Dort tut sich eine Grauzone auf, in der es weder dem Militär noch den zivilen (Polizei-)Kräften gelingt, eine labile, gewaltdurchsetzte Situation so weit zu stabilisieren, dass ein dauerhafter Aufbau des Sicherheitssektors möglich wird. So sahen sich etwa die internationalen Polizeikräfte der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK)1 zu Beginn des neuen Jahrtausends mit Gewaltausbrü-chen konfrontiert, gegen die sie sich kaum zur Wehr setzen konnten: Im Jahr 2000 wurden sie bei schwerenUnruhen in Mitrovica von serbischen Kosovaren angegriffen und durch die Straßen gejagt, ihre Polizeistation wurde mit Molotowcocktails in Brand gesetzt. Im März 2004 zogen tausende aufgebrachte ethnische Albaner durch Städte und Dörfer. Binnen 4Stunden zerstörten sie zahlreiche Gebäude; 19 Menschen wurden bei den Gewaltausbrüchen getötet,900 verletzt.2 Die UNMIK-Polizisten – obgleich mit exekutiven Befugnissen ausgestattet – standen diesem Ausmaß der Gewalt weitgehend hilflos gegenüber unauch die von der Nato geführte Kosovo-Truppe (KFOR) sah sich außerstande, in diesen inneren Aufstand

zugreifen.3 Diese Vorfälle machen nur allzu deutlich, wie

schlecht Polizeikräfte im Auslandseinsatz gegen das Gewaltpotential in Post-Konflikt-Gesellschaften gerüs-tet sind. Mittlerweile liegt auf der Hand, dass es nicht einfach nur zu wenig internationale Polizeieinheiten

gibt. Vielmehr fehlt eine Kraft, die in einem instabileUmfeld eigenständig operieren kann und imstande ist, Unruhen und organisierte Kriminalität einzudäm-men. Gendarmen oder robuste Polizeikräfte verfügen über diese Fähigkeiten. So mehren sich die Stimmenderjenigen, die die Bereitstellung solcher Einheitenauf der internationalen Ebene befürworten. In der Nato drängen die USA darauf, Gendarmeriekräfte auf-zubauen. Frankreich, Italien und die Niederlande verfügen über nationale Gendarmeriekontingente und fordern schon seit langem, europäische Gendarmen iStabilisierungsoperationen zu schicken. Die Bundes-republik Deutschland steht solchen Vorschlägen aller-dings aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken noch reserviert gegenüber. Die Regierungsverantwortlichen fürchten, die Einrichtung eines deutschen Gendarmriekontingents könne mit dem grundgesetzlichen Gebot der Trennung von Polizei und Militär in Kon-

1 Vgl. Thorsten Stodiek, Internationale Polizei. Ein empirisch fundiertes Konzept der zivilen Konfliktbearbeitung, Baden-Baden 2004, S. 264, 344. 2 Vgl. Bernd Walter, »Internationale Polizeieinsätze im Zivi-len Krisenmanagement (ZMK) der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine Kriseninterventionsstrategie auf dem Prüfstand einer globalen Risikogesellschaft«, in: Martin H. W. Möllers/Robert C. van Ooyen (Hg.), Europäisierung und Internationalisierung der Polizei, Frankfurt a.M. 2006, S. 113–138 (127). 3 Vgl. Human Rights Watch, Failure to Protect. Anti-Minority Violence in Kosovo, March 2004, 25.7.2004, <www.hrw.org/en/ reports/2004/07/25/failure-protect> (Zugriff am 10.7.2009).

kt geraten. Gleichwohl werden sich Bundestag und Bundes-

regierung bald einer Debatte um den Aufbau solcheKräfte stellen müssen, die in der Nato bereits Fahrt aufnimmt. Auf Drängen der USA werden Gendarmrieeinheiten künftig in der Nato Training Mission Afghanistan (NTM-A) eine bestimmende Rolle bei derAusbildung der afghanischen Sicherheitskräfte spie-len.4 Washington betrachtet Gendarmen zunehmendals substantiellen Beitrag der Europäer zur Stabilisie-rung Afghanistans und wird versuchen, Verbündete wie Deutschland in die Pflicht zu nehmen, ebenfallrobuste Polizeieinheiten zu stellen. Doch auch im wohlverstandenen Eigeninteresse sollte Berlin über wirkungsvolle Elemente für int

ngsmissionen nachdenken. Der operative Bedarf an robusten Polizeieinheiten

und der Ruf nach Deutschlands Beteiligung an multi-nationalen Gendarmeriekräften bilden eine doppelte Herausforderung. Vor diesem Hintergrund wollen die Verfaten:

Sind Gendarmeriekräfte geeignet, die Probleme

4 Vgl. North Atlantic Treaty Organization, Nato Training Mission – Afghanistan, 4.4.2009, <www.nato.int/cps/en/natolive/ news_52802.htm> (Zugriff am 24.9.2009).

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Einleitung

internationaler Stabilisierungsmissionen zu lösen Welche Möglichkeiten hat Deutschland, sich am

Aufbau multinationa

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olizei oder auch der Feldjäger verwirk-lichen ließe.

zu beteiligen? In einem ersten Schritt werden die Defizite bish

ger Stabilisierungs- und Wiederaufbaumissionen herausgearbeitet. Anschließend werden zweitens die Fähigkeiten von Gendarmerieeinheiten und deren Einsatzerfahrungen dargestellt. Ausbildung und Ausrüs-tung von Gendarmeriekräften werden im Lichte der Probleme internationaler Bemühungen betrachtet, schwache oder gescheiterte Staaten zu stabilisieren und wiederaufzubauen. Dabei wird sich zeigen, dass Gendarmen potentiell geeignet sind, diese Lücken zu schließen. In einem dritten Abschnitt wird analysiauf welche Weise Deutschland sich an multinatio-nalen Gendarmeriekontingenten beteiligen kann. Zunächst werden rechtliche Fragen beleuchtet, insbe-sondere das Trennungsgebot von Polizei und Militär. Darauf aufbauend werden Optionen eines eigenstän-digen deutschen Beitrags erörtert, der sich mit Hilfe der (Bundes-)P

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Zeitlicher Aspekt: Die Entsendungslücke

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Defizite in internationalen Stabilisierungsmissionen

In Friedensmissionen ist es für die internationale Staatengemeinschaft mittlerweile Standard, auf eine militärische Auseinandersetzung eine Phase extern gesteuerten staatlichen Wiederaufbaus folgen zu lassen. Dieser soll nach Möglichkeiten auch alle Ele-mente des Sicherheitssektors umfassen. Die traditio-nelle Sicht, einziger Sicherheitsakteur sei das Militär, wurde damit obsolet. Die Rolle von Streitkräften beschränkt sich heute vorrangig auf Kampfhandlun-gen oder auf deren Beendigung, auf die anschließende Wahrung des Friedens, das Überwachen eines Waffen-stillstands- oder sonstigen Abkommens durch Tren-nung der Konfliktparteien, einfache Präsenz – etwa in Form von Patrouillen – und die Ausbildung lokaler Militärkräfte. Demgegenüber übernehmen zivile Ein-heiten den Aufbau der Polizei und die Reform des Justiz- und Vollzugswesens. Einsätze wie im Irak oder in Afghanistan veranschaulichen jedoch, dass zwi-schen der militärischen und der zivilen Komponente eine große Lücke klafft. Denn das Ende offizieller Kampfhandlungen bedeutet keineswegs, dass die Sicherheitslage stabil ist und es zuließe, sich wie in konsolidierten Friedenszeiten auf zivile und unbe-waffnete Polizeiarbeit zu beschränken.5 Die so ent-stehende Sicherheitslücke hat einen zeitlichen und einen operativen Aspekt.

Zeitlicher Aspekt: Die Entsendungslücke

Zu Beginn einer Stabilisierungsmission gilt es ins-besondere, Plünderungen, Rachemorde und größere Unruhen in der Bevölkerung zu verhindern. Bedro-hungen durch Milizen oder Privatarmeen, die mit staatlichen Polizeikräften konkurrieren, müssen ein-gedämmt, Netze organisierter Kriminalität bekämpft werden.

Allzu oft erweist sich die Entsendung internationa-ler Polizeikräfte in solchen Phasen jedoch als mühsam und langwierig. Die meisten beitragenden Staaten

verfügen über keine oder zu wenig stehende Polizei-einheiten, die schnell entsendet werden könnten.

5 Vgl. Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), International and Local Policing in Peace Operations. Lessons Learned and the Way Forward to Integrated Approaches, Report of the 8th International Berlin Workshop, Berlin, 14.–16.12.2006.

6 In Deutschland basiert die Entsendung von Polizei-beamten in den Auslandseinsatz wie in den meisten Staaten auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Sie müssen sich aus ihrem inländischen Dienstverhältnis heraus auf eine ausgeschriebene Auslandsverwendung bewerben und für den Dienst von ihrem Arbeitgeber – in Deutschland den Länderpolizeien – freigestellt wer-den. Die Bundesregierung kann Polizisten also nicht wie Soldaten für einen Auslandseinsatz »einberufen«.

Dieses Verfahren verzögert die polizeiliche Unter-stützung oft um Monate. Im Rahmen der UNTAC in Kambodscha dauerte es beispielsweise fast ein Jahr, bis die Polizeieinheit der Vereinten Nationen komplett dort eingetroffen und arbeitsfähig war. Da es bis dahin keine Rechtsdurchsetzungsinstanz gab, konn-ten sich Kriminalität und Gewalt ausbreiten, so dass die internationale Polizeimission ihre Arbeit unter äußerst ungünstigen Bedingungen aufnehmen muss-te. Die Verzögerung erwies sich als ein wesentlicher Grund dafür, dass die Operation Schaden nahm.7

Weil internationale Polizeikräfte nur verspätet in Stabilisierungsoperationen eingreifen können, müs-sen zunächst die vorhandenen militärischen Kontin-gente für die öffentliche Sicherheit sorgen. Damit ist eine Reihe von Problemen verbunden. So beschneidet die Übernahme polizeilicher Zuständigkeiten die Fähigkeiten der militärischen Mission. Ein schlagkräf-tiger militärischer Apparat ist jedoch gerade in der volatilen und gewaltdurchsetzten Anfangsphase einer Mission weiterhin von entscheidender Bedeutung.8 Des Weiteren sind Soldaten nicht für die Arbeit als Polizisten ausgebildet, sondern vielmehr darauf spe-zialisiert, gegnerische Ziele auszuschalten. Im Unter-schied zu internationalen Polizeikräften ist das Militär

6 Vgl. Michael J. Dziedzic, »Introduction«, in: Robert B. Oakley/Michael J. Dziedzic/Eliot M. Goldberg (Hg.), Policing the New World Disorder. Peace Operations and Public Security, Washing-ton, D.C., 1998, S. 3–18 (9). 7 Vgl. Janet E. Heininger, Peacekeeping in Transition. The United Nations in Cambodia, New York 1994, S. 79. 8 Vgl. Rachel Bronson, »When Soldiers Become Cops«, in: Foreign Affairs, 81 (2002) 6, S. 122–132.

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Defizite in internationalen Stabilisierungsmissionen

daran gewöhnt, auch letale Gewalt anzuwenden.9 Dies birgt jedoch die Gefahr einer übertriebenen Gewalt-anwendung gegenüber der Zivilbevölkerung. Insbe-sondere zu Beginn der Aufbaubemühungen kann dies den Erfolg der gesamten Mission zunichte machen, weil womöglich der Rückhalt in der Bevölkerung dra-matisch schwindet. Von ihm aber hängt das Gelingen des Engagements maßgeblich ab.10 Soldaten sind zudem nicht dafür ausgebildet, polizeilich zu ermit-teln, Tatorte zu sichern oder das organisierte Ver-brechen zu bekämpfen. Allerdings würde auch eine deutlich schnellere Entsendung ziviler Polizeieinhei-ten die geschilderten Probleme nicht automatisch beheben. Weil sie für andere Tätigkeiten ausgerüstet und ausgebildet wurden, sind zivile Kräfte in konflikt-trächtigen und instabilen Situationen kaum hand-lungsfähig. Damit sie sinnvoll eingesetzt werden kön-nen, muss im Einsatzgebiet ein Minimum an Stabilität und Sicherheit gegeben sein.11

Operativer Aspekt: Die Fähigkeitslücke

Beschränken sich die Schwierigkeiten im Bereich der Entsendungslücke auf einen gewissen Zeitraum zu Beginn einer Mission, so beschreibt die Fähigkeits-lücke das Problem der mangelnden operativen Mög-lichkeiten ziviler Polizeieinheiten, Recht und Ord-nung in einem noch instabilen Umfeld durchzuset-zen. Bei der Analyse müssen die beiden Mandatstypen internationaler Polizeieinsätze auseinandergehalten werden, da in ihnen die Fähigkeitslücke verschieden ausgeprägt ist. Im Falle eines exekutiven Mandats ersetzt die internationale Polizeimission die lokale Polizei komplett oder teilweise und übt damit selbst die Polizeigewalt aus. Die bewaffneten Beamten sollen ermitteln und Verdächtige festnehmen.12 Dieser Man-

datstyp wurde jedoch erst zweimal angewandt, näm-lich bei den Missionen in Osttimor und im Kosovo. Weit überwiegend besitzen Polizeikräfte internatio-naler Missionen ein konsultatives Mandat. In dessen Rahmen sollen sie im Wesentlichen lokale Polizei-kräfte aufbauen, trainieren, beraten und überwachen.

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uhalten.

9 Vgl. Thorsten Stodiek, »Internationale Polizei als Alter-native zur militärischen Konfliktbearbeitung«, in: Hermann Düringer/Horst Scheffler (Hg.), Internationale Polizei – Eine Alternative zur militärischen Konfliktbearbeitung, Frankfurt a.M. 2002, S. 39–57 (42–44). 10 Vgl. Michael J. Dziedzic, »The Public Security Challenge and International Stability Police Units«, in: Perceptions, 8 (Dezember 2003), S. 2 <www.sam.gov.tr/perceptions/ Volume8/December2003/mDziedzicbasimicin.pdf> (Zugriff am 15.7.2009. 11 Vgl. Eirin Mobekk, Identifying Lessons in United Nations Inter-national Policing Missions, Genf: Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), November 2005 (Policy Paper Nr. 9), S. 3. 12 Vgl. Renata Dwan, »Introduction«, in: dies. (Hg.), Executive

Policing. Enforcing the Law in Peace Operations, Oxford 2002 (SIPRI Research Report Nr. 16), S. 1–10.

Fehlende Robustheit

Die Frage, ob und inwiefern internationale Polizei-experten in der Lage sind, sich bei Schaffung und Auf-rechterhaltung öffentlicher Sicherheit durchzusetzen, stellt sich in besonderem Maße in Einsätzen mit exe-kutivem Mandat. Wie die Erfahrungen im Kosovo zei-gen, fehlt es ihnen häufig an der notwendigen Durch-schlagskraft gegen Aufständische.

Die lokalen Behörden in Post-Konflikt-Gesellschaf-ten besitzen häufig nur noch einen äußerst schwa-chen oder funktionsunfähigen Sicherheitsapparat. Teile der Bevölkerung dagegen sind bewaffnet und arbeitslose ehemalige Kombattanten drohen in krimi-nelle Strukturen hineinzuwachsen.13 Internationale Polizei muss gegen Warlordismus, religiösen Fanatis-mus und Terrorismus oder gar eine Kombination aus allen dreien vorgehen, obwohl sie dafür meist weder ausgebildet noch ausgerüstet ist.14 Zivile Polizeiein-heiten verfügen nicht über die notwendigen Fähigkei-ten zum Selbstschutz. Überdies erlauben ihnen Mandat und Einsatzregeln nicht, tödliche Waffen gegen Aufständische einzusetzen. Wie sich in der Vergangenheit zeigte, sind internationale Polizeieinheiten zudem nicht ausreichend in Deeskalations- Verhandlungstechniken spezialisiert. Dies wäre aber notwendig, um gewaltbereite Akteure von Gewaltan-wendung abz

13 Vgl. Dziedzic, »Introduction« [wie Fn. 6], S. 11. 14 Vgl. Michael J. Dziedzic/Christine Stark, Bridging the Public Security Gap. The Role of the Center of Excellence for Stability Police Units (CoESPU) in Contemporary Peace Operations, Washington, D.C.: United States Institute of Peace, Juni 2006 (Peace Brief), <www.usip.org/resources/bridging-public-security-gap-role-center-excellence-stability-police-units-coespu-contempo> (Zugriff am 16.7.2009).

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Operativer Aspekt: Die Fähigkeitslücke

Mangel an lokalen Kräften

Polizeikräfte mit konsultativem Mandat sind ebenfalls der fragilen Sicherheitslage vor Ort ausgesetzt. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, selbst für die Einhaltung von Recht und Gesetz zu sorgen. Vielmehr sollen sie laut ihrem Mandat lokale Polizeikräfte ausbilden und sie in die Lage versetzen, den alltäglichen Schutz von Recht und Ordnung eigenständig wahrzunehmen.

Dabei ist auch die konsultative Mandatskonzeption mit einem zeitlichen wie einem operativen Manko behaftet: Zum einen dauert es sehr lange, bis es die internationale Polizei (mit ihrer zahlenmäßig meist sehr kleinen Präsenz) vermag, in ausreichendem Umfang lokale Polizisten auszubilden. Dieser Prozess kann je nach Sicherheitslage, Ausbildungsniveau der lokalen Kräfte und geplanter Zielgröße der auszubil-denden Polizisten mehrere Jahre in Anspruch neh-men.15 Zum anderen kommen auch hier die man-gelnden Fähigkeiten und die fehlende Robustheit internationalen Polizeikräfte zum Tragen. Internatio-nale zivile Polizeikräfte sind allein in der Lage, lokale Experten zivilpolizeilich auszubilden und auszustat-ten. Nach diesem Training sind jedoch auch die ört-lichen Polizeieinheiten allenfalls in unbefriedigendem Maße imstande, gegen die skizzierten Bedrohungen vorzugehen. Dieser Aspekt der Sicherheitslücke ist eine Konsequenz der fehlenden Möglichkeiten von internationalen Polizeiexperten, robuste Fähigkeiten an die Lokalkräfte zu vermitteln, da sie sie selbst nicht haben. Tom Koenigs, ehemaliger VN-Sonderbeauftrag-ter für Afghanistan, umreißt dieses Problem treffend, wenn er zur gegenwärtigen Situation am Hindukusch sagt, die dortigen Polizeisperren müssten in der Lage sein, sich gegen einen Angriff sogar mit automati-schen Waffen zu verteidigen. Diese Fähigkeit könne ihnen aber kein europäischer Polizist vermitteln.

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15 So läuft das deutsche und europäische Engagement für den Polizeiaufbau in Afghanistan bereits seit 2002, ist aber immer noch weit von seinem Ziel entfernt, genug örtliche Sicherheitskräfte auszubilden. Vgl. Ronja Kempin/Stefan Steinicke, »EUPOL Afghanistan: Europas ziviles Engagement am Rande des Glaubwürdigkeitsverlustes«, in: Muriel Asse-burg/Ronja Kempin (Hg.), Die EU als strategischer Akteur in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Eine systematische Bestands-aufnahme von ESVP-Missionen und -Operationen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2009 (SWP-Studie 32/ 2009), S. 150–163. 16 Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Protokoll Nr. 16/ 81, Innenausschuss, Wortprotokoll, 81. Sitzung, Öffentliche Anhörung von Sachverständigen, Polizeiaufbau in Afghanistan, 15.12.2008, S. 27.

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Gendarmerieeinheiten zur Behebung der Defizite?

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Gendarmerieeinheiten zur Behebung der Defizite?

Die beschriebenen Defizite internationaler Stabilisie-rungsmissionen sind so augenfällig, dass der Ruf nach Gendarmerie- oder robusten Polizeieinheiten immer lauter wird.17 Wie bereits in der Einleitung dargelegt, machen sich namhafte Mitgliedstaaten in der Nato derzeit für die Aufstellung von Gendarmerieeinheiten stark. Auch im Rahmen der EU wird immer wieder auf die Verwendung nationaler Gendarmeriefähigkeiten in Stabilisierungsmissionen gedrängt. Das Konzept militärisch organisierter Polizeieinheiten fand unter der Herrschaft von Napoléon Bonaparte in Europa sowie in einer Vielzahl ehemaliger französischer Kolo-nien seine Verbreitung. Bis heute gibt es jedoch keine einheitliche Definition.18 Acht EU-Staaten verfügen über Gendarmerien: Frankreich, Italien, Spanien, Por-tugal, die Niederlande, Bulgarien, Rumänien und Polen.19 Sie unterscheiden sich teilweise stark vonein-ander, was ihre interne Ausdifferenzierung, die insti-tutionelle Anbindung (Innen-, Verteidigungs- oder Außenministerium) und das innerstaatliche Aufgaben-spektrum betrifft. Gleichwohl lassen sich prinzipielle Gemeinsamkeiten ausmachen, die eine allgemeine Beschreibung von Gendarmerien erlauben.

Das Profil von Gendarmerien

Bestimmungsmerkmal einer jeden Gendarmerie ist ihr hybrider Status zwischen Polizei und Militär. Aus ihm leiten sich alle Möglichkeiten und Grenzen ihres Handelns ab. Gendarmerien besitzen sowohl militäri-sche als auch polizeiliche Fähigkeiten und können diese kombinieren. Im Unterschied zu Polizeieinhei-

ten sind diese Kräfte in Verbänden organisiert.

17 Auch in Deutschland befürworten inzwischen Bundes-tagsabgeordnete Ausbildung und Einsatz von Gendarmerien im Ausland, hier für die Polizeimission in Afghanistan. Vgl. Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/6931, Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei u.a., Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit – Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan drastisch beschleunigen, 7.11.2007, S. 2; Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Protokoll Nr. 16/81 [wie Fn. 16], S. 15, 27. 18 Vgl. Annika S. Hansen, From Congo to Kosovo. Civilian Police in Peace Operations, New York: The International Institute for Strategic Studies, 2002, S. 71. 19 Vgl. Stodiek, Internationale Polizei [wie Fn. 1], S. 67–69.

20 Gen-darmerieeinheiten sind mit schweren Waffen und robusten Selbstschutz- und Einsatzkapazitäten aus-gerüstet, verfügen über gepanzerte und bewaffnete Fahrzeuge und sind in Nahkampftechniken ausgebil-det.21 Unter militärischem Kommando ähneln Gen-darmerieeinheiten damit einer leichten Infanterie. Gleichzeitig verfügen sie über Ausbildung und Arbeits-techniken der zivilen Polizei und können auch unter zivilem Kommando operieren. Damit sind Gendarmen in der Lage, kriminalpolizeiliche Ermittlungen durch-zuführen, Beweismittel zu sichern und Verdächtige zu verhören. Schließlich sind Gendarmerien besonders geeignet, gewalttätigen Demonstrationen und Auf-ständen zu begegnen. Dort kommt ihre Kombination aus Robustheit und ziviler Verhandlungs- und Über-redungsfähigkeit in besonderem Maβe zur Geltung.22 Sie beherrschen Deeskalations- und Verhaltenstechni-ken, die sich dem Grad der von den Demonstranten ausgehenden Gewalt anpassen lassen.23

Ihre Fähigkeiten, sich auch in instabilen, unfried-lichen Situationen zu behaupten, machen Gendarme-rieeinheiten daher für den internationalen Einsatz besonders interessant. Deshalb sollen sie vorrangig organisierte Kriminalität bekämpfen sowie Plünde-rungen und Vandalismus verhindern.24 Im Idealfall erfüllen Gendarmerieeinheiten diese Verpflichtungen

20 Dieses Organisationsmuster ist jedoch kein Präjudiz für die Frage nach militärischem oder zivilem Kommando der Einheiten. 21 Vgl. Derek Lutterbeck, »Between Police and Military. The New Security Agenda and the Rise of Gendarmeries«, in: Cooperation and Conflict, 39 (2004) 1, S. 45–68 (47). 22 Vgl. Tammy S. Schultz, »Winning the Peace. Intermediary Forces in the 21st Century«, Paper Presented at the 45th Annual International Studies Association (ISA) Convention, Montréal, 20.3.2004, S. 5. 23 Vgl. Yann Braem/Christelle Chichignoud, De la gendarmerie et des polices militaires à l’international, Les thématiques du C2SD, Juni 2008 (Thématique Nr. 15), S. 19, <www.c2sd.sga.defense. gouv.fr/IMG/pdf/thematique15charte.pdf> (Zugriff am 6.8. 2009). 24 Vgl. »The Clinton Administration White Paper on Peace Operations. On Rebuilding Effective Foreign Criminal Justice Systems«, Presidential Decision Directive (PDD) 71, 24.2.2000, S. 8, <www.fas.org/irp/offdocs/pdd/pdd-71-4.htm> (Zugriff am 7.8.2009).

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Gendarmeriekräfte und die Lücken internationaler Stabilisierungsoperationen

mit flexibler Gewichtung ihrer zivilen und militäri-schen Komponenten. Zu Beginn einer Mission stünde die Gendarmerietruppe unter militärischem Komman-do und würde sich in einem gewalttätigen Umfeld darauf konzentrieren, mit ihren robusten Elementen Aufständische zu bekämpfen und andere akute Sicher-heitsprobleme zu bearbeiten. Wenn im Laufe der Zeit Stabilität und Ruhe gewährleistet sind, könnte die Gendarmerie unter ziviles Kommando gestellt werden und ihre polizeilichen Fähigkeiten anwenden, bis ihre Aufgaben komplett an eine zivile Polizeimission über-geben werden können.

Gendarmeriekräfte und die Lücken internationaler Stabilisierungsoperationen

Betrachtet man nun diese Fähigkeiten und Einsatz-möglichkeiten im Lichte der zuvor beschriebenen Defizite, lässt sich festhalten: Gendarmerieeinheiten besitzen das Potential, die identifizierten Lücken in Stabilisierungseinsätzen mit unfriedlichem Umfeld weitgehend zu schließen:

Gendarmen sind in Verbänden organisiert. Deshalb unterliegen sie nicht dem Prinzip der Freiwilligkeit für Auslandseinsätze, wie es in Deutschland bei der Auslandsverwendung von Zivilpolizisten gilt. Ins-besondere Gendarmerien, die dem Verteidigungs-ministerium unterstellt sind, können rasch und in ausreichender Personalstärke in jedes beliebige Einsatzland entsendet werden. Dadurch kann der Hauptaspekt der Entsendungslücke behoben werden.

Die militärische Ausrüstung und das spezifische Training vor dem Einsatz machen Polizeien mit militärischem Status zu robusten und handlungs-fähigen Sicherheitsakteuren in internationalen Missionen. Auf Seiten der externen Akteure kann so die Fähigkeitslücke gefüllt werden.

Darüber hinaus können Gendarmen ihre Fähigkei-ten, vor allem bei der Handhabung gewalttätiger Demonstrationen und Aufstände, an die lokalen Sicherheitskräfte weitergeben. Außerdem besitzen sie die notwendigen Mittel zum Selbstschutz und sind mit ihren sondergeschützten Fahrzeugen selbständig und voll mobil. Daher können sie gleich zu Beginn einer Mission (also bei wahrscheinlich höchster Instabilität und unfriedlichem Umfeld) mit der Ausbildung und dem Monitoring lokaler Sicherheitskräfte beginnen.25 Sowohl die zeitliche

als auch die operative Komponente des Mangels an lokalen Kräften kann so deutlich verringert werden.

25 Davon profitieren insbesondere die Feldjäger der Bundes-

wehr in ihrem Einsatz zur Ausbildungsunterstützung der afghanischen Polizei. Vgl. Bruno Gehrlich, »Die Ausbildungs-unterstützung der Feldjäger für die afghanische Polizei«, in: Europäische Sicherheit, 58 (2009) 1, S. 63–66 (65).

Einsatzerfahrungen

Gendarmerieeinheiten wurden in internationalen Stabilisierungsmissionen nur zögerlich eingesetzt. Staaten, die über Gendarmerieeinheiten verfügen, wurde bislang selten die Möglichkeit geboten, das gesamte Fähigkeitsspektrum ihrer Kontingente anzuwenden.26 Gleichwohl haben Gendarmen sich in ihren wenigen Einsätzen bewährt, so etwa bei der ersten Verwendung von Polizeikräften mit militäri-schem Status in Bosnien-Herzegowina.

Nach dem Dayton-Friedensabkommen von 1995 etablierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die United Nations Mission in Bosnia and Herzegovina (UNMIBH). Sie umfasste die von der Nato geführte Implementation Force (IFOR), die wenig später in Stabilization Force (SFOR) umbenannt wurde, und die zivile International Police Task Force (IPTF).27 Die Mission stieß jedoch regelmäßig an ihre Grenzen, wenn sie versuchte, ihr wichtigstes Ziel zu erreichen, nämlich Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Immer wieder sah sie sich Zwischenfällen ausgesetzt. In der bosnischen Kommune Drvar etwa verwüstete ein organisierter und teils bewaffneter Mob im April 1998 Behördengebäude, zerstörte eine Station der IPTF, verletzte zahlreiche Polizisten und trieb viele in die Flucht. Die unbewaffnete Polizeikomponente der IPTF hatte dieser ungezügelten Gewalt nichts ent-gegenzusetzen und wurde selbst Opfer des Aufruhrs. Doch nicht nur die internationalen Polizeikräfte, sondern auch die Soldaten der SFOR standen dem Geschehen hilflos gegenüber. Sie waren darauf spezia-lisiert, gegnerische Kombattanten militärisch auszu-schalten. Aufgebrachte Zivilisten unter Kontrolle zu bringen überstieg ihre Möglichkeiten.28

26 Dies lag vor allem am fehlenden politischen Willen und an Mängeln der jeweiligen Mandatskonzeption. Gendarme-rien oder Gendarmerieelemente wurden überhaupt erst weni-ge Male entsendet: 1992–1995 in Haiti und El Salvador, seit 1998 in Bosnien und Herzegowina und ab 1999 im Kosovo. Vgl. Hansen, From Congo to Kosovo [wie Fn. 18], S. 71f. 27 Vgl. UN Security Council Resolution 1035 (1995) vom 21.12.1995. 28 Vgl. Robert M. Perito, Where is the Lone Ranger When We Need

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Gendarmerieeinheiten zur Behebung der Defizite?

Aus Situationen wie diesen zogen allen voran die Amerikaner den Schluss, internationale Gendarmerie-verbände einzusetzen, um die offensichtlich eklatante Lücke zwischen Zivilpolizei und Militär zu verringern. Sie regten an, eine robuste Spezialeinheit aufzustel-len, die gleichzeitig über militärische und polizeiliche Fähigkeiten verfügte. Die Multinational Specialized Unit (MSU) der SFOR nahm ihre Arbeit im August 1998 auf.29 Sie wurde von italienischen Carabinieri geführt, umfasste insgesamt 514 Mann und war aus drei Kom-ponenten zusammengesetzt:

Das regionale operational battalion (operatives Bataillon) besaß den Status einer leichten Infante-rieeinheit. Seine Ausstattung reichte von nicht-tödlichen Waffen wie Tränengas bis hin zu tödli-chen Waffen wie Maschinengewehren.

Die maneuver unit (Manövereinheit) bestand aus einem Sondereinsatzkommando, Scharfschützen, einer Einheit zur geheimdienstlichen Erkenntnis-gewinnung und einer Hundestaffel, die für den Einsatz bei Unruhen und Demonstrationen ausge-bildet war.

Die support company (Unterstützungskompanie) war für die logistische Unterstützung der MSU zustän-dig. Weil quantitative Feldforschung zu Wirkung und

Effizienz der Gendarmerie fehlt, soll das Beispiel der MSU ihr Potential veranschaulichen. Die MSU unter-stand dem militärischen Kommando der SFOR. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, in Krisensituationen dem zivilen Aufstand deeskalierend, aber robust zu begegnen.30 In ihrer ersten Bewährungsprobe Ende 1998 sicherte die MSU die Rückkehr während des Krie-ges geflohener bosniakischer Familien. Diese sahen sich auf einer Straße zwischen Sarajevo und Ploče einer wütenden Menge ethnischer Kroaten gegenüber, die gegen die Wiederansiedlung der Familien protes-tierte. Als es zu Ausschreitungen kam, setzten die MSU-Gendarmen ihr Repertoire nichttödlicher Waffen und Selbstschutzmöglichkeiten ein. Es gelang ihnen, die Bosniaken, überwiegend Frauen und Kinder, durch die Blockade zu geleiten, ohne dass nennenswerte

Blessuren auf der eigenen Seite oder bei den Demons-tranten zu verzeichnen waren.

Him? America’s Search for a Postconflict Stability Force, Washing-ton, D.C., 2004, S. 147f. 29 Neben Italien beteiligte sich vor allem Argentinien. Klei-nere Beiträge leisteten Rumänien, Slowenien und die Nieder-lande. Vgl. SFOR Fact Sheet »Multinational Specialized Unit«, August 2004 <www.nato.int/SFOR/factsheet/msu/t040809a. htm> (Zugriff am 7.8.2009). 30 Perito, Where Is the Lone Ranger When We Need Him? [wie Fn. 28], S. 158.

31 Dieses Beispiel deutet an, dass im hybriden polizei-

lich-militärischen Charakter von Gendarmerien Chan-cen liegen, die es zu nutzen gilt. Die MSU hat sich in Bosnien-Herzegowina als äußerst flexibles Werkzeug erwiesen: Sie hat sich den Umständen angepasst und die Situationen gemeistert, indem sie zunächst ihre robuste Ausrüstung und anschließend ihr deeskalato-risches Geschick anwandte. Im weiteren Verlauf der Mission zeichnete sich die MSU sogar bei der Bekämp-fung organisierter Kriminalität und der Terrorabwehr aus, obwohl ihr Mandat diese Aufgaben gar nicht vorsah.32 Dieser erste Testfall für den internationalen Einsatz von Gendarmerieeinheiten hat gezeigt, dass diese in der Lage sind, in einem instabilen Umfeld öffentliche Sicherheit und Ordnung herzustellen. Deshalb wurde eine weitere MSU rasch in den Kosovo beordert. Im August 1999 nahm sie unter dem Dach der von der Nato geführten Kosovo Force (KFOR) und ebenfalls unter italienischem Oberkommando ihre Arbeit auf. Die MSU im Kosovo ist vorrangig für die Bekämpfung von Aufständen und organisierter Krimi-nalität, den Schutz von UN-Personal und die Rück-führung von Flüchtlingen verantwortlich. Sie besteht aus einem Regiment italienischer Carabinieri und einem Kontingent der französischen Gendarmerie Nationale.33

31 Ebd., S. 163. 32 Vgl. Braem/Chichignoud, De la gendarmerie et des polices militaires à l’international [wie Fn. 23], S. 21f. 33 Vgl. Lutterbeck, »Between Police and Military« [wie Fn. 21], S. 61, sowie Kosovo Force, »Multinational Specialized Unit«, <www.nato.int/KFOR/structur/units/msu.html> (Zugriff am 16.9.2009).

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Integrierte Polizeieinheiten

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Europäische Ansätze: Integrierte Polizeieinheiten und Europäische Gendarmerie Force

Die vielversprechenden Erfahrungen der MSUs in Bosnien und später im Kosovo bewogen die europäi-schen Staaten, verstärkt multinationale Gendarmerie-fähigkeiten im EU-Rahmen zu entwickeln. Dies gilt vor allem für Frankreich und Italien, die eine lange Tradition von Polizeien mit militärischem Status besitzen.

Integrierte Polizeieinheiten

Auf dem Europäischen Rat von Santa Maria da Feira im Juni 2000 verpflichteten sich die EU-Mitglied-staaten, für internationale Missionen 5000 Polizei-kräfte bereitzuhalten, die das gesamte Spektrum von Krisenpräventions- und Krisenmanagementoperatio-nen abdecken können. Nach Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten wurde diese Zahl im November 2004 auf 5761 erhöht. Bis zu 1400 dieser Kräfte sollen innerhalb von 30 Tagen einsatzfähig sein. Die Kontin-gente schließen sowohl zivile Polizeikräfte als auch Gendarmerieeinheiten ein.34 Das ebenfalls im Juni 2000 beschlossene Polizeikonzept der EU unterschei-det zwischen sogenannten integrierten (Integrated Police Units, IPUs) und ausgebildeten Polizeieinheiten (Formed Police Units, FPUs) sowie Einzelexperten.35 Ursprünglich wollte die EU ausschließlich (militärisch geführte) IPUs aufstellen und in instabilen Situationen einsetzen. Einige EU-Mitgliedstaaten jedoch, darunter auch Deutschland, wandten sich aus rechtlichen Gründen gegen Polizeieinheiten unter militärischem Kommando.36 Deshalb wurde das Konzept der EU 2002 um das Element der (nichtmilitärischen) FPUs erwei-tert, deren Aufgabenspektrum deutlich schmaler ist.

Im Wesentlichen sollen sie öffentliche Unruhen ein-dämmen.

34 Vgl. Europäischer Rat von Santa Maria da Feira, Schlussfol-gerungen des Vorsitzes, 19./20.6.2000, <www.consilium.europa. eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/de/ec/00200-r1.d0.htm> (Zugriff am 10.7.2009). 35 Vgl. Peter Hazdra, »Die Europäische Gendarmerie Force. Ein Ansatz zum Schließen der Sicherheitslücke?«, in: Europäi-sche Sicherheit, 57 (2008) 7, S. 30–32 (30). 36 Vgl. Yann Poincignon, »European Union Civilian Policing. Foreign Policy Action or Internal Security Tool?”, in: Connec-tions: The Quarterly Journal, (2003) 2, S. 111–130 (117).

37

Europäische Gendarmerie Force

Trotz Einführung der FPUs stehen einige Mitgliedstaa-ten einschließlich Deutschland den IPUs nach wie vor reserviert gegenüber. Daher lagerten die EU-Staaten mit Gendarmerien ihre für IPUs gemeldeten Fähigkei-ten aus dem EU-Polizeikonzept aus und gründeten 2003 die Europäische Gendarmerietruppe (European Gendarmerie Force, EGF). Deren Kapazitäten können unter dem Dach der EU, der Vereinten Nationen, der Nato und anderer Regionalorganisationen verwendet werden.38

Mit der EGF sollte Europa eine Fähigkeit erhalten, die allein, gemeinsam mit militärischen Kräften oder als Teil einer größeren Polizeimission eingesetzt

37 Die IPUs dagegen sollen alle Bereiche der Polizeiarbeit umfassen und haben daher folgende Aufgaben: Aufrecht-erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Über-wachung und Beratung lokaler Polizeikräfte einschließlich kriminalpolizeilicher Arbeit, Grenzüberwachung, allgemeine Informationsbeschaffung, kriminalpolizeiliche Untersuchun-gen, Schutz von Personen und Eigentum, Training von Poli-zeibeamten und Ausbildern. Das IPU-Konzept der EU unter-scheidet darüber hinaus zwei Typen. Eine IPU »Typ A« erreicht mit 450 Personen Bataillonsstärke, eine IPU »Typ B« ist mit etwa 150 Personen deutlich kleiner. Sie soll nach Möglichkeit von einem einzigen Staat gestellt werden. Vgl. dazu Hazdra, »Die Europäische Gendarmerie Force« [wie Fn. 35], S. 30. 38 Am Rande eines informellen Treffens der Verteidigungs-minister der EU wurde die EGF am 17.9.2004 von den Vertre-tern Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Portugals und Spaniens ins Leben gerufen. Im Oktober 2007 unterzeichne-ten die Gründungsstaaten den »Vertrag über die Einrichtung der Europäischen Gendarmerie Force«. Darin werden Funk-tion und Status der EGF und ihrer Mitglieder geregelt und der EGF Rechtspersönlichkeit verliehen. Vgl. Treaty between the Kingdom of Spain, the French Republic, the Italian Republic, the Kingdom of the Netherlands and the Portu-guese Republic, Establishing the European Gendarmerie Force EUROGENDFOR, <www.eurogendfor.org/referencetexts/ EGF%20Treaty%20english%20version.pdf> (Zugriff am 6.8. 2009). Am 17.12.2008 wurde Rumänien Vollmitglied der EGF, die nunmehr sechs Mitgliedstaaten umfasst.

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Europäische Ansätze: Integrierte Polizeieinheiten und Europäische Gendarmerie Force

werden kann und in allen Phasen einer Krisenmanage-mentoperation handlungsfähig ist.39 Die EGF kann sowohl militärischem als auch zivilem Kommando unterstellt werden und, falls gewünscht, in sämtli-chen Bereichen internationaler Polizeiarbeit tätig sein: Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Überwachung und Beratung lokaler Polizeikräfte einschließlich kriminalpolizeilicher Arbeit, Überwachung von Grenzen und öffentlichen Räumen sowie allgemeine Informationsbeschaffung (intelligence), kriminalpolizeiliche Ermittlungen inklu-sive Spurensicherung und Strafverfolgung, Schutz von Personen und Eigentum insbesondere in Zeiten öffentlichen Aufruhrs, Training von Polizeibeamten gemäß internationalen Standards, Training von Ins-truktoren.40

Als multinationale, schnell einsatzfähige Kraft ist die EGF keine stehende Einheit. Sie muss ad hoc auf-gestellt und entsendet werden. Das Operationskonzept der EGF sieht vor, innerhalb von 30 Tagen 800 Gendar-men, von der Personalstärke her also einem Polizei-regiment vergleichbar, in den Auslandseinsatz zu schicken. Im Verlauf können diese Kräfte bis zu einer Gesamtstärke von 2300 aufwachsen.41 Die Mitglied-staaten wollen die EGF in die Lage versetzen, zwei Missionen (eine große und eine kleine) gleichzeitig zu realisieren. Vorgesehen ist, die robuste Fähigkeit in zwei Missionstypen einzusetzen: In strengthening missions soll sie lokale Polizeikräfte unterstützen, etwa mit Trainingsmaßnahmen oder Beobachtung, Anlei-tung und Beratung (Monitoring, Mentoring, Advising, MMA). In substitution missions wäre sie mit exekutiven Befugnissen ausgestattet, da eine lokale Polizei ent-

weder nicht (länger) existiert oder (noch) nicht in der Lage ist, die öffentliche Ordnung zu garantieren.

anistan.

39 So könnte die EGF in der Anfangsphase einer Operation gemeinsam mit militärischen Kräften auftreten. Sie würde polizeiliche Aufgaben erfüllen, etwa organisierte Kriminalität bekämpfen, aber auch die Grundlagen für den Einsatz einer größeren Polizeimission schaffen und relativ schnell wieder abziehen. In der Übergangsphase könnte die EGF den Kern einer schnellen Eingreifkapazität von Polizeikräften bilden und exekutive Befugnisse ausüben sowie die übrigen Polizei-einheiten logistisch unterstützen. Zudem könnte die EGF vor Ort das Hauptquartier des Einsatzes führen. In der Phase des Abzugs der militärischen Kräfte oder bei reinen Polizeimissio-nen könnte die EGF als Teil einer größeren Polizeikomponen-te fungieren und spezifische Aufgaben übernehmen. Vgl. Hazdra, »Die Europäische Gendarmerie Force« [wie Fn. 35], sowie European Gendarmerie Force, Declaration of Intent, <www.eurogendfor.org/referencetexts/EGF%20declaration%20 of%20intent.pdf> (Zugriff am 7.8.2009), S. 2. 40 Treaty Establishing the European Gendarmerie Force EUROGENDFOR [wie Fn. 39], S. 4. 41 Hazdra, »Die Europäische Gendarmerie Force« [wie Fn. 35].

Geplant und unterstützt werden die Einsätze im Ständigen Hauptquartier (Permanent Headquarters, PHQ) der EGF im italienischen Vicenza. Dort arbeiten 30 Personen in einer dauerhaften Struktur. Damit hat die EGF einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Integrated Police Units (IPUs) der EU. Das PHQ ist nicht nur in der Lage, binnen 30 Tagen einen Operations-plan für eine Mission auszuarbeiten und sie operativ zu leiten. Vielmehr legt es gemeinsame Trainings-standards der nationalen Gendarmerien fest und berät die Mitgliedstaaten dabei, die Interoperabilität ihrer Gendarmerieeinheiten zu verbessern.42

Neben dem Hauptquartier besteht die EGF aus einer operativen Einheit, die für allgemeine Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung zuständig ist, sowie aus Spezia-listenteams und einer logistischen Unterstützungs-komponente. Die Spezialeinheiten führen kriminalis-tische Untersuchungen durch, beschaffen Informa-tionen und werten sie aus, schützen Personen und konzentrieren sich auf den Antiterrorkampf. Das Logistikelement ist für sämtliche Aspekte der Versor-gung und Wartung sowie für Transport und medi-zinische Fürsorge verantwortlich.43 Im November 2007 übernahm die EGF die Führung des Hauptquar-tiers derjenigen IPU, die an der EU-Operation EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina beteiligt ist. Gegen-wärtig gehört die EGF zur Nato-Mission NTM-A in Afgh

42 Ebd. 43 Assembly of Western European Union, The Interparlia-mentary European Security and Defense Assembly, The Role of the European Gendarmerie Force, Report Submitted on behalf of the Defence Committee, Fifty-Second Session, Document A/1928, 21.6.2006, S. 14.

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Trennung von Polizei und Militär

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Möglichkeiten und Grenzen deutscher Beteiligung

Die Bundesrepublik Deutschland hat seit dem Ende des Kalten Krieges stetig mehr internationale Verant-wortung übernommen. Daher sind deutsche Sicher-heitskräfte immer »globaler« aktiv, zunehmend auch in internationalen Polizeieinsätzen. Im Mai 2009 arbeiteten 286 deutsche Beamte in 13 verschiedenen Missionen.44 Diese Tendenz dürfte sich weiter ver-stärken, da sich in den internationalen Beziehungen die komplexen, oft aus fehlender Staatlichkeit resul-tierenden Bedrohungen häufen.

Soll das deutsche Engagement in Krisenmanage-ment und Wiederaufbau leistungsfähig sein, muss den Problemen der Sicherheitslücke begegnet werden. Aufgrund der Befürchtung, Gendarmeriekontingente könnten mit der praktizierten Trennung von Polizei und Militär in Konflikt geraten, hat die Bundesrepu-blik bisher davon Abstand genommen, sich am Aufbau von Gendarmerieeinheiten für den internationalen Einsatz zu beteiligen. Um die Möglichkeiten und Gren-zen einer deutschen Beteiligung am Ausbau inter-national handlungsfähiger Gendarmerieeinheiten bestimmen zu können, sollen im Folgenden zunächst verfassungsrechtliche Beschränkungen und grundle-gende Einwände diskutiert werden. Daraufhin werden die Optionen in den Blick genommen, die Deutsch-land zur Verfügung stehen, solche Kräfte aufzubauen.

Trennung von Polizei und Militär

Jede Gendarmerie – unabhängig von ihrer institutio-nellen Anbindung an Innen- oder Verteidigungsminis-terium und unabhängig vom Charakter des Komman-dos – ist eine hybride Konstruktion zwischen Polizei und Militär. Sie wird in der deutschen Debatte mit großer Skepsis betrachtet, da sie mit Formen national-sozialistischen Staatsterrors in Verbindung gebracht wird.45 Um eine Zentralisierung polizeilicher, geheim-

dienstlicher und militärischer Komponenten zu unter-binden, wurde im Grundgesetz (GG) eine klare Kompe-tenzordnung geschaffen, die die einzelnen Elemente voneinander abgrenzt und so eine Machtbalance im institutionellen Gefüge herbeiführen soll.

44 Vgl. Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/12968, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfra-ge der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a., Polizei- und Zolleinsätze im Ausland, 11.5.2009, S. 2. 45 Freilich war dafür nicht der hybride Charakter der Ver-bände verantwortlich, sondern ihre politische Instrumentali-sierung durch die nationalsozialistische Terrorherrschaft.

46 Im födera-len Deutschland wurde Polizei zur Ländersache (Arti-kel 30 und 70 Absatz 1 GG). Eine Polizei des Bundes konnte erst nach der Genehmigung der westlichen Militärgouverneure mit dem sogenannten Polizeibrief vom 14. April 1949 als Sonderpolizei gegründet wer-den.47 Der so entstandene Bundesgrenzschutz (BGS) wurde im Mai 1951 eingerichtet. Dasselbe Schreiben erlaubte es auch, eine Verfassungsschutzbehörde zu etablieren, allerdings mit der Einschränkung, dass diese über keine polizeilichen Befugnisse verfügen durfte.48 Auf der anderen Seite stellte der Bund Streit-kräfte zur Verteidigung auf (Artikel 87a Absatz 1 GG). Demnach dienen in der Bundesrepublik die Streit-kräfte zur militärischen Abwehr eines von außen kommenden Angreifers,49 während die Polizei die innerstaatliche Rechts- und Friedensordnung schützt und Gefahren von ihr abwehrt.50 Polizei und Militär werden im GG also deutlich geschieden, so dass von einem verfassungsrechtlichen Trennungsgebot gesprochen werden kann.51 Diese Konstellation soll

46 Vgl. Ludwig Dierske, »Polizeiliche Zuständigkeitsfragen zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 21 (1971) 8, S. 19–39 (23–25). 47 Vgl. »Letter to the Parliamentary Council Defining the Powers of the Federal Government in the Police Field, 14. April 1949«, abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber (Hg.), Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, Bd. 2, Tübingen 1951, S. 216. 48 Zur Bedeutung des »Polizeibriefes« bei der Auslegung des Artikels 87 Absatz 1 GG vgl. Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts (BVerfGE) 97, 198, Rn 77. 49 Diese vereinfachte Darstellung vernachlässigt allerdings die Rechtsprechung des BVerfG zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die aufgrund der Verpflichtungen im System kollektiver Sicherheit stattfinden und nicht im engeren Sinne der Abwehr eines äußeren Feindes dienen. Solche Einsätze sind durch Artikel 24 Absatz 2 GG gedeckt. Vgl. BVerfGE 90, 286, Rn 226f. 50 Vgl. Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Auflage, Heidelberg 2006, § 85. 51 Vgl. insbesondere Andreas Fischer-Lescano, »Verfassungs-rechtliche Fragen der Auslandsentsendung des BGS«, in:

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Möglichkeiten und Grenzen deutscher Beteiligung

eine übermäßige Macht- und Gewaltkonzentration auf Bundesebene verhindern. Ferner zielt das Tren-nungsgebot auf die Unterbindung jeglicher Einsätze der Streitkräfte im Innern, soweit er nicht aufgrund einer Naturkatastrophe, eines besonders schweren Unglücksfalls (Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG) oder des inneren Notstandes (Artikel 87a Absatz 3 und 4, Arti-kel 91 Absatz 2 GG) erfolgt.52

Trennungsgebot für Auslandseinsätze?

Das Verfassungsprinzip der Trennung von Polizei und Militär soll den Bestand der freiheitlich-demokrati-schen Grundordnung der Bundesrepublik nach innen sichern. Der Vorschlag, eine Gendarmerie zu schaffen, bezieht sich dagegen allein auf deren Auslandsverwen-dung.

Deshalb ist fraglich, ob die reflexartige Kritik am Einsatz robuster Polizeieinheiten im Ausland gerecht-fertigt ist. Angeblich sei die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Trennungsgebotes »organisato-risches Prinzip der grundsätzlichen Binnendifferen-zierung in der Exekutive und daher auch bei Auslands-einsätzen von Bundesgrenzschutz und Bundeswehr zu berücksichtigen«.53 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, denn sie lässt offen, warum allein die organisatorische Unterteilung, die dieses nach innen gerichtete Prinzip begleitet, es notwendig machen soll, das Trennungsgebot für den Auslands-einsatz anzuwenden. Die Entwicklung des BGS ver-deutlicht, dass dies nicht zutrifft und es nicht darauf ankommen kann, unterschiedslos jegliche Form para-

militärischer Kräfte als verfassungswidrig anzusehen. Zwar wird behauptet, der BGS sei nach dem Zweiten Weltkrieg in der Phase der »absoluten Entmilitarisie-rung«

Archiv des öffentlichen Rechts, 128 (2003) 1, S. 52–90 (69); Josef Isensee, »Mitverantwortung in der Völkergemeinschaft«, in: Ernst Koch (Hg.), Die Blauhelme. Im Einsatz für den Frieden, Frank-furt a.M. 1991, S. 226–228 (227); für einen weiten Überblick vgl. Dieter Wiefelspütz, »Der Einsatz der Bundespolizei im Ausland«, in: Möllers/van Ooyen (Hg.), Europäisierung und Inter-nationalisierung der Polizei [wie Fn. 2], S. 207–220 (216, Fn. 67). 52 Vgl. Hans H. Klein, »Bundeswehr und innere Sicherheit«, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 36 (2003) 9, S. 337; weniger über-zeugt ist hingegen Wolfgang Schäuble, »Aktuelle Sicherheits-politik im Lichte des Verfassungsrechts«, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 40 (2007) 7, S. 210–213. 53 Fischer-Lescano, »Verfassungsrechtliche Fragen der Aus-landsentsendung des BGS« [wie Fn. 51], S. 69; im Ergebnis gleich: Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Vertei-digung. Völker- und verfassungsrechtliche Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Einsatz deutscher Streitkräfte vom 12. Juli 1994, Frankfurt a.M. 1998, S. 128f.

54 geplant und aufgebaut worden. Tatsächlich aber fiel seine Gründung in den Beginn der Remilitari-sierung, die der zunehmenden sowjetischen Bedro-hung etwas entgegensetzen sollte.55 Darüber hinaus war der Bundesgrenzschutz mindestens bis 1972 eine paramilitärische Polizei par excellence, abzulesen an der Unterbringung in Kasernen, den Ausbildungs-methoden, der Bewaffnung und dem Kombattanten-status.56

Dies unterstreicht die Annahme, dass es kein grundsätzliches verfassungsrechtliches Verbot einer Gendarmerie gibt, solange ihre Funktion und Wir-kungsweise nicht nach innen gerichtet ist. Es geht also vielmehr um die funktionale Trennung und eine Begrenzung staatlicher Gewalt bei der inneren Sicher-heit. Diese würde in keiner Weise beeinträchtigt, wenn Gendarmeriekräfte für den Auslandseinsatz geschaffen werden.

Zudem ist Deutschland Teil des Systems kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen, in dem ebenfalls keine klare Trennung von Polizei und Militär zu erkennen ist. Die internationale Praxis vor allem des Sicherheitsrates trägt damit der Einsatzrealität Rech-nung. Auf die spezifischen Herausforderungen dieser Missionen müssen auch deutsche Kräfte vorbereitet sein, wenn sie einen wirksamen Beitrag zur Friedens-sicherung leisten sollen. Das Bundesverfassungs-gericht hat festgestellt: »Das Grundgesetz hat die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit (Artikel 24 GG) […] festgelegt.«57 Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sollte sich auch in der staatsrecht-lichen Bewertung niederschlagen, damit Deutschland seiner internationalen Verantwortung besser gerecht werden kann und nicht durch innerstaatliche Form-zwänge ohne Analogie im internationalen Recht daran gehindert wird.58

54 Fischer-Lescano, »Verfassungsrechtliche Fragen der Aus-landsentsendung des BGS« [wie Fn. 51], S. 68. 55 Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundes-grenzschutz [wie Fn. 53], S. 140. 56 Vgl. Ernst Benda, »Der Bundesgrenzschutz im Sicherheits-system der Bundesrepublik«, in: Die Parole, (1971) 4, S. 4f. 57 BVerfGE 111, 307, Rn 33. 58 Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes findet ihre Grenzen nur in den Fällen, wo »tragende Grundsätze der Verfassung« durch das Völkerrecht verletzt würden. Vgl. BVerfGE 111, 307, Rn 34f. Dies ist aus den genannten Grün-den hier nicht der Fall.

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Grundsätzliche Einwände

Grundsätzliche Einwände

Darüber hinaus werden drei generelle Einwände gegen den Aufbau eines deutschen Gendarmerie-verbandes vorgebracht. Erstens wird befürchtet, die Bundesregierung könne versucht sein, Gendarmerie-kräfte auch im Inland einzusetzen. Das Atalanta-Engagement der Bundesmarine etwa wird scharf kritisiert, weil die Marine im Golf von Aden originäre Polizeimaßnahmen durchführe. Es sei »deshalb so bedenklich, weil es zu spill over-Effekten auf die Ein-satzmöglichkeiten im Innern kommen kann – mög-licherweise sogar kommen soll«.59 Zweitens wird geargwöhnt, die Verwendung von Gendarmerie-kräften schränke die parlamentarische Kontrolle und Beteiligung an der deutschen Außenpolitik ein.60 Es mehrt sich die Kritik an einer verstärkten Entsen-dung von Polizeikräften ins Ausland. Da diese nicht vom Bundestag gebilligt werden muss, behaupten ihre Gegner, Polizeikontingente würden dann eingesetzt, wenn ein militärischer Einsatz am konstitutiven Parlamentsvorbehalt scheitere. Schließlich heißt es, der Einsatz paramilitärischer Kräfte sei gefährlich und kontraproduktiv, da er zu einer gewaltverschärfenden Atmosphäre beitragen und zur Entfremdung von Polizei und Bevölkerung führen könne.61 Die Militari-sierung von Polizeikräften ziehe automatisch mehr Gewaltanwendung nach sich, die Einhaltung der Men-schenrechte und die Garantie bürgerlicher Freiheiten würden so in Frage gestellt und die Entwicklung demokratischer Strukturen werde nachhaltig behin-dert.62

Die Bundesregierung wird sich diesen Argumenten stellen müssen. Dabei ist sie gut beraten, dem ersten Kritikpunkt entgegenzuhalten, eine robuste Gendar-

merie für Auslandseinsätze solle gerade vermeiden, dass innerhalb Deutschlands multifunktionale, para-militärische Verbände agieren.

59 Andreas Fischer-Lescano/Timo Tohidipur, »Rechtsrahmen der Maßnahmen gegen die Seepiraterie«, in: Neue Juristische Wochenschrift, 62 (2009) 18, S. 1243–1246 (1246). 60 Vgl. Andreas Fischer-Lescano, »Soldaten sind Polizisten sind Soldaten – Paradoxien deutscher Sicherheitspolitik«, in: Kritische Justiz, 37 (2004) 1, S. 67–80 (69). 61 Vgl. Benjamin Kwasi Agordzo, »Filling the ›Security Gap‹ in Post-conflict Situations. Could Formed Police Units Make a Difference?«, in: International Peacekeeping, 16 (2009) 2, S. 287–294 (288); Mobekk, Identifying Lessons in United Nations International Policing Missions [wie Fn. 11], S. 5. 62 Vgl. Michael D. Wiatrowski/Nathan W. Pino/Anita Pritchard, »Policing and Formed Police Units during Demo-cratic Transitions«, in: Journal of Security Sector Management, 6 (2008) 3, S. 5, <www.ssronline.org/jofssm/issues/jofssm_ 0603_Pino.pdf?CFID=1594172&CFTOKEN=75818273> (Zugriff am 3.8.2009).

63 Wenn deutsche Gen-darmerieeinheiten aufgebaut werden, wird es Aufgabe der Bundesregierung und des Bundestages sein, darü-ber zu wachen, dass sie nicht im Inland eingesetzt werden. Dem zweiten Einwand sollte die Bundesregie-rung begegnen, indem sie dem Parlament die Ent-scheidung überlässt, künftig deutsche Gendarmen zu entsenden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994 fest-gestellt, der »Einsatz bewaffneter Streitkräfte [bedürfe] grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Bun-destages.«64 Einigkeit herrscht darüber, dass der Bundesgrenzschutz und damit die heutige Bundes-polizei nicht als Streitkraft im Sinne des Grundgeset-zes anzusehen ist, weshalb internationale Polizei-einsätze ohne Zustimmung des Parlaments erfolgen dürften.65 Auch das Bundespolizeigesetz enthält ledig-lich eine Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament und das sogenannte Rück-holrecht für den Bundestag (§ 8 Absatz 1 Satz 4 und 5 BPolG). Die Bundesregierung könnte formalrechtlich daher ins Feld führen, dass es sich nicht um Streit-kräfte im Sinne des GG handelt, insbesondere dann, wenn eine robuste Polizeieinheit institutionell an das Bundesministerium des Innern (BMI) angebunden wäre. Unabhängig von der rechtlichen Bewertung ist es aber unerlässlich, den Bundestag angemessen in Aufstellung und Entsendung einer deutschen Gendar-merie einzubeziehen. Nur so lässt sich gewährleisten, dass alle gesellschaftlichen Kreise sie akzeptieren. Außerdem ist der Auslandseinsatz einer Gendarmerie-einheit grundsätzlich robuster als der zivilpolizei-licher Kräfte und birgt erhebliche sicherheitspoliti-sche Implikationen. Aus diesem Grund und wegen der starken Ressentiments gegenüber einer deutschen Gendarmerie wäre eine Regelung wünschenswert, die dem Parlamentsbeteiligungsgesetz (PBG) für Auslandseinsätze der Bundeswehr entspräche. Dabei sollte die Flexibilität der Exekutive leicht erhöht

63 Dies befürchtet allerdings Fischer-Lescano, »Verfassungs-rechtliche Fragen der Auslandsentsendung des BGS« [wie Fn. 51], S. 68. 64 BVerfGE 90, 286, 381 [Hervorhebung durch die Autoren]. 65 Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundes-grenzschutz [wie Fn. 53], S. 136–145. Zu diskutieren wäre, ob auch internationale Polizeieinsätze in den Anwendungs-bereich des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (PBG) gestellt werden sollen. Dies würde an dieser Stelle allerdings zu weit führen.

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Möglichkeiten und Grenzen deutscher Beteiligung

werden, um die Gendarmen rasch entsenden zu können.66

Schließlich sollte darauf verwiesen werden, dass der Einsatz von Gendarmeriekräften politisch sorgsam abgewogen werden muss. In stabilen Friedenszeiten eignet sich eine zivile Gemeinschaftspolizei besser als robuste Polizeieinheiten dafür, eine demokratische Sicherheitsarchitektur zu garantieren, sofern sie aus-reichend legitimiert ist und guten Kontakt zur Bevöl-kerung besitzt. Wenn aber die Situation instabil und das Umfeld unsicher ist, kann von Zivilpolizisten nicht erwartet werden, ihre Qualitäten überhaupt zur Geltung zu bringen. In diesem Fall braucht die Polizei größere Fähigkeiten zum Selbstschutz und eine spezielle Ausbildung für den Umgang mit Auf-ständischen und organisierter Kriminalität.

66 Vgl. Sven Bernhard Gareis, »Der Parlamentsvorbehalt. Praxis, Probleme und Perspektiven der politischen Kontrolle bewaffneter Auslandseinsätze der Bundeswehr«, in: Reader Sicherheitspolitik online, Stand: 22.6.2007, S. 8, <www.reader sipo.de/fileserving/PortalFiles/02DB131300000001/W274EE QQ020INFODE/IV_2_Der-Parlamentsvorbehalt_Gareis.pdf ?yw_repository=youatweb> (Zugriff am 3.8.2009); Timo Noetzel/Benjamin Schreer, Parlamentsvorbehalt auf dem Prüf-stand. Anpassung der Kontrollstrukturen erforderlich, Berlin: Stif-tung Wissenschaft und Politik, Februar 2007 (SWP-Aktuell 10/2007). Sollte das BVerfG allerdings zu dem Schluss kom-men, dass der Parlamentsvorbehalt für die Gendarmerie verfassungsrechtlich geboten ist, fiele eine Flexibilisierung sicher schwer, denn das Gericht hat seine Rechtsprechung mittlerweile dahingehend konkretisiert, dass der Vorbehalt nicht zugunsten der Handlungsspielräume der Exekutive aufgeweicht werden dürfe. Vgl. BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 7.5.2008 und Volker Epping, »Art. 87a«, in: ders./Christian Hillgruber (Hg.), Beck’scher Online-Kommentar, Stand: 1.2.2009, Rn 23–26, hier Rn 24a.

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Aufbau eines Gendarmeriekontingents bei der Bundespolizei

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Optionen für Deutschland

Der Bundesregierung stehen zwei Möglichkeiten offen, einen entsprechenden Verbund für den Aus-landseinsatz zu schaffen und Deutschland mit einem Instrument für Stabilisierungsoperationen auszu-statten: Sie könnte ein Gendarmeriekontingent im Rahmen der Bundespolizei ins Leben rufen oder die Militärpolizei der Bundeswehr (Feldjäger) funktional erweitern.

Aufbau eines Gendarmeriekontingents bei der Bundespolizei

Die Bundespolizei gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Sie wurde 1951 unter ihrem bis zum 30. Juni 2005 gültigen Namen Bundes-grenzschutz als quasi-militärisch ausgerüstete Truppe gegründet und sollte gemäß Artikel 73 Absatz 1 (5) GG die Landesgrenzen schützen. Das Einsatzspektrum der Bundespolizei änderte sich in den 1990er Jahren erheblich mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Schengener Abkommen, nach dem ab dem 1. September 1993 die Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten schrittweise abgeschafft wurden. Am 1. November 1994 trat das Bundesgrenzschutzgesetz in Kraft. Damit erweiterte sich das Beschäftigungsprofil der 40 000 Mitarbeiter der Bundespolizei, davon gut 30 000 voll ausgebildete Polizeivollzugsbeamte. Neben dem grenzpolizeilichen Schutz des Bundesgebiets und der polizeilichen Über-wachung der Grenzen zu Lande, zu Wasser und aus der Luft übernimmt die Bundespolizei heute auch Aufgaben der Bahnpolizei, den Schutz von Verfas-sungsorganen des Bundes und der Bundesministerien, die Unterstützung der Polizeien der Bundesländer, insbesondere bei Großdemonstrationen, die Hilfe-leistung bei Katastrophen und polizeiliche Tätigkeiten im Notstands- und Verteidigungsfall.67 Aufgrund der grundgesetzlich festgeschriebenen Polizeihoheit der Länder ist die Bundespolizei jedoch weiterhin nur für spezielle Aufgaben zuständig.

67 Gesetz über die Bundespolizei (Bundespolizeigesetz – BPolG), <http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bgsg_1994/ gesamt.pdf> (Zugriff am 14.9.2009).

Seit 1989 nehmen Bundespolizeibeamte an frie-denssichernden Missionen internationaler Mandats-träger in verschiedenen Ländern teil. Grundvorausset-zungen dafür sind neben dem Prinzip der Freiwillig-keit, dass sie nicht unter militärischem Kommando und ausschließlich in einem sicheren Umfeld tätig werden dürfen. Darüber hinaus sind ihnen seit 1994 Polizisten der Länder für den Auslandseinsatz zuge-ordnet. Bei Auslandsmissionen gilt ein Aufteilungs-schlüssel von einem Drittel Bundes- und zwei Drittel Länderpolizisten.

Die Bundespolizei bemüht sich, die Vorbereitung ihrer Beschäftigten auf die Auslandsverwendung zu verbessern. Im Zuge der Strukturreform der Bundes-polizei, die zum 1. März 2008 in Kraft trat, richtet das Bundesinnenministerium am Bundespolizeistandort Sankt Augustin bei Bonn zwei sogenannte Auslands-einsatzhundertschaften (insgesamt etwa 240 Polizis-ten) ein und stimmt deren Einsatzkonzept mit dem Bundespolizeipräsidium ab. Es scheint sicher, dass die Hundertschaften weiterhin allein in einem sicheren Umfeld agieren sollen. Ihre Tätigkeiten werden sich daher vorwiegend auf Beratung, Anleitung und Trai-ningsunterstützung beschränken, können jedoch auch exekutive Aufgaben umfassen. Ausgeschlossen scheint jedoch, die Einheiten militärischem Kom-mando zu unterstellen.68

Wenngleich sich die Einsätze der Auslandseinsatz-hundertschaft somit überwiegend im bisherigen Rahmen bewegen werden, verdeutlicht ihre Aufstel-lung, dass die Bundesregierung die Flexibilität besitzt, im Rahmen der Bundespolizei eine weitere, speziell für den Einsatz im Ausland vorzuhaltende Einheit aufzubauen, die in die Lage versetzt werden könnte, robuste Polizeiaufgaben zu übernehmen. Sie sollte wie die GSG 9 ein stehender Verband sein. Neben der Auslandseinsatzhundertschaft für zivile Polizeimissio-nen erhielte das Bundesministerium des Innern so

68 Vgl. dazu die Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Peter Alt-maier, anlässlich einer Fragestunde des Deutschen Bundes-tages vom 4.3.2009, Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 207. Sitzung, Plenarprotokoll 16/207, S. 22384–22386, <http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16207.pdf> (Zugriff am 14.9.2009).

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auch eine robuste Komponente für instabile Situatio-nen im Ausland. Wichtig wäre, dass diese Einheit unter militärisches Kommando gestellt werden könn-te, wie es bis zur Neufassung des Bundespolizeigeset-zes 1994 für den Bundesgrenzschutz galt. Damit wäre sie nämlich bei Entsendung von der Bund-Länder-Pari-tät und vom Prinzip der Freiwilligkeit ausgenommen.

Erweiterung der Feldjäger zur Gendarmerieeinheit

Die Feldjäger sind die Militärpolizei der Bundeswehr. Ihre Pflichten sind mit zivilpolizeilichen Tätigkeiten vergleichbar, ihre Weisungsbefugnis ist jedoch in Friedenszeiten im Inland auf Angehörige der Bundes-wehr beschränkt. Die alltägliche Arbeit der Feldjäger umfasst den militärischen Ordnungsdienst, den militärischen Verkehrsdienst, die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben, den Raum- und Objektschutz sowie kriminalpolizeiliche Erhebungen und Ermitt-lungen. Mit den meisten ihrer Tätigkeiten sollen die Feldjäger innerhalb der Truppe und an den Stand-orten der Bundeswehr für Disziplin und Ordnung sorgen.

Seitdem die Bundeswehr sich im Rahmen kollekti-ver Sicherheitssysteme an Friedens- oder Stabilisie-rungsmissionen im Ausland beteiligt, wird auch die Feldjägertruppe außerhalb der Landesgrenzen tätig und unterstützt das jeweilige Kontingent. Hat der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Mandat erteilt, können Feldjäger auch polizeiliche Aufgaben übernehmen. Für diese Zwecke werden sie speziell im Umgang mit unfriedlichen Menschenansammlun-gen geschult und erhalten eine intensive Nahkampf-ausbildung. Zwar dienen diese Fähigkeiten vor allem dem Schutz der Truppe im Einsatzland, jedoch spielt die Militärpolizei auch eine immer wichtigere Rolle, wenn es darum geht, öffentliche Sicherheit und Ord-nung vor Ort zu gewährleisten. Die Feldjäger ver-suchen Plünderungen und sonstige Straftaten zu ver-hindern, durchsuchen mit Hilfe von Diensthunden Häuser und Fahrzeuge, um illegale Waffen und Sprengmittel sicherzustellen, und betreiben Check-points.69

69 Vgl. Bundeswehr, Streitkräftebasis, »Aufgabenübergrei-fender Feldjägereinsatz«, <http://www.streitkraeftebasis.de/ portal/a/streitkraeftebasis/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0 vM0Y_QjzKLNwyON3a0dANJQjmG_vqRWMUNkMWD9L31fT 3yc1P1A_QLckMjyh0dFQGV0uwJ/delta/base64xml/L2dJQSEvU Ut3QS80SVVFLzZfMVNfM0E5QQ!!?yw_contentURL=/01DB0400

00000001/W278SDMC156INFODE/content.jsp.html> (Zugriff am 16.2.2010).

Seit dem 1. April 2007 unterstützt ein 45 Mann starkes Feldjägerausbildungskommando in Afghanis-tan die internationalen Bemühungen um den Aufbau einer effektiv arbeitenden, rechtsstaatlichen Prinzi-pien verpflichteten afghanischen Polizei.70 Zunächst sollte diese Einheit in Kurzlehrgängen von vier bis fünf Tagen der Afghan National Police (ANP) einfache polizeiliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln. Mittlerweile beteiligen sich die Feldjäger zusätzlich und zusammen mit der Bundespolizei am sogenann-ten Focused District Development (FDD). Dieses bisher umfassendste Programm zu Ausbildung und Aufbau der ANP wurde im Verlauf des Jahres 2007 von der zentralen Kommandostelle des Pentagon in Afghanis-tan entwickelt, dem »Combined Security Transition Command – Afghanistan« (CSTC-A). Das FDD sieht vor, auf der Ebene der 400 Distrikte Afghanistans Polizei-einheiten zwei Monate lang in regionalen Trainings-zentren zu schulen und auszubilden. Danach werden die Einheiten wieder in ihre jeweiligen Distrikte ent-lassen. Dort werden sie in der Regel von einem soge-nannten Police Mentoring Team aus Polizisten, Feld-jägern und Sprachmittlern begleitet, die sie im Alltag weiter schulen und beraten sollen.71

Die Feldjäger steuern dazu vor allem infanteristi-sche Ausbildungselemente bei.72 Das Feldjägerausbil-dungskommando verfügt neben der üblichen Ausrüs-tung auch über sondergeschützte Fahrzeuge sowie Führungs- und Fernmeldemittel. Auf diese Weise sind die Feldjäger voll beweglich und können alle Ausbil-dungsorte auch unter widrigen Sicherheitsbedingun-gen erreichen.73 Dies entlastet die Afghanen, weil

70 Vgl. Auswärtiges Amt/Bundesministerium des Innern, »Jahresbilanz 2008 zum deutschen Engagement beim Polizei-aufbau Afghanistan«, S. 6, <www.reservistenverband.de/down load/HE/0301_Jahresbilanz_Polizeiaufbau_Afghanistan_2008. pdf> (Zugriff am 20.9.2009). 71 Bundesministerium des Innern, »Fragen und Antworten zum Focused District Development (FDD), Polizeireform in Afghanistan – Deutscher Beitrag zum ›Focused District Development‹ (FDD)«, <www.bmi.bund.de/SharedDocs/Stan dardartikel/DE/Themen/Sicherheit/ohneMarginalspalte/ fragen_antworten_fdd.html?nn=107364> (Zugriff am 29.6. 2009). 72 Vgl. Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/11966, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-frage der Abgeordneten Birgit Homburger u.a. (Drucksache 16/11792), Deutsche Beteiligung an internationalen und bilateralen Polizeimissionen, 16.2.2009, S. 4. 73 Vgl. Gehrlich, »Die Ausbildungsunterstützung der Feld-jäger für die afghanische Polizei« [wie Fn. 25].

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Erweiterung der Feldjäger zur Gendarmerieeinheit

sie sich nicht mehr zu den meist bei den Provincial Reconstruction Teams (PRTs) angesiedelten Ausbil-dungsstätten begeben müssen,74 sondern eine Vor-Ort-Ausbildung genießen können. Erste Erfahrungsberich-te zeigen, dass der Einsatz der Feldjäger in der Polizei-ausbildung Früchte trägt, da er den lokalen Polizei-kräften Handlungssicherheit für ihre zukünftige Ver-wendung gibt. Das Ansehen der ANP in der Bevölke-rung lässt sich so deutlich verbessern.75

Mit Ausbildung und Vermittlung robuster Elemen-te ist es den Feldjägern offenbar gelungen, die Fähig-keitslücke zu reduzieren, indem sie die lokalen Poli-zeikräfte stärkten. Die Feldjäger haben gezeigt, dass ihr militärischer Status nützlich ist und sie grund-legende polizeiliche Aufgaben erfüllen können. Um sie zu einer Gendarmerie zu erweitern, könnte es also ausreichen, ihre kriminal- und zivilpolizeilichen Fähigkeiten auszubauen, damit sie auch exekutive Aufgaben im Einsatzland übernehmen können. Auch hier könnte ein spezialisiertes Kontingent für den Auslandseinsatz geschaffen werden. So wichtig es für die Bundespolizei wäre, auch unter militärischem Kommando operieren zu können, so ausschlaggebend wäre es für die Feldjäger, sie gegebenenfalls unter ziviles Kommando stellen zu können. Auf diese Weise kann der angestrebte Übergang von robusten zu zivi-len Komponenten innerhalb der Gendarmerieeinheit gewährleistet werden.

74 Für afghanische Polizisten kann dies enorm schwierig sein, da sie sich für einen längeren Zeitraum von ihren Familien und Dienstorten verabschieden müssen. Deshalb war die Beteiligung oft gering und die Abbrecherquote relativ hoch. 75 Vgl. Gehrlich, »Die Ausbildungsunterstützung der Feld-jäger für die afghanische Polizei« [wie Fn. 25].

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Schlussbetrachtungen

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Schlussbetrachtungen

Die Bundesregierung kann Gendarmeriefähigkeiten aufbauen, ohne die deutsche Sicherheitskultur und -struktur grundlegend verändern zu müssen. Sie sollte eine spezialisierte Einheit von mehreren hundert Gendarmen ausschließlich für den Auslandseinsatz schaffen. Dabei könnte im Rahmen der Bundespolizei ein eigenständiges Gendarmeriekontingent ins Leben gerufen werden, das analog zur GSG 9 einen speziel-len Auftrag erhielte. Als Alternative böte sich an, die Zuständigkeiten der Militärpolizei der Bundeswehr (Feldjäger) funktional zu erweitern und diese zu befähigen, im Ausland exekutive Polizeibefugnisse auszuüben.

Unabhängig davon, welche der beiden Optionen die Bundesregierung wählt, sollte sie zwei wichtige Aspekte beachten. Angesichts der erheblichen sicher-heitspolitischen Implikationen eines Gendarmerie-einsatzes sollte sie erstens die Entscheidung über die Entsendung dem Bundestag überlassen. Das hieße auch, dass eine dritte Möglichkeit, nämlich der Auf-bau integrierter EU-Gendarmeriefähigkeiten im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammen-arbeit des Lissabonner Vertrages, für Deutschland de facto entfiele.

Zweitens sollte Berlin die europäische Perspektive und die Entwicklungen in der Nato im Blick behalten. Die Bundesregierung täte gut daran, bei Aus- und Weiterbildung deutscher Gendarmeriekräfte eng mit dem Center of Excellence for Stability Police Units (CoESPU) der EGF in Vicenza zusammenzuarbeiten, um ihre internationale Anschlussfähigkeit zu garan-tieren. Diese Qualifizierungsstätte bildet gegenwärtig den internationalen Standard für Gendarmeriefähig-keiten. Deutschland könnte sich an ausgesuchten Operationen der EGF beteiligen und so in einem multilateralen Rahmen seine Fähigkeiten nutzen. Eine Vollmitgliedschaft in der EGF ist für die Bundes-republik indes nicht möglich, weil die betreffenden Polizeien mit militärischem Status im Inland über annähernd die gleichen Befugnisse und Einsatzmög-lichkeiten verfügen müssen wie im Ausland. Da ein deutsches Kontingent ausschließlich für den Auslands-einsatz bestimmt wäre, könnte es dieses Aufnahme-kriterium nicht erfüllen. Unter anderem deswegen sollten die Regierungsverantwortlichen ihre kritische

Haltung zu den integrierten Polizeieinheiten der EU überdenken. Die IPUs scheinen nicht nur geeignet, die Handlungsfähigkeit der EU im Bereich der Sicher-heitssektorreform zu stärken. Die Bundesregierung gewänne darüber hinaus Einfluss auf die Arbeit derjenigen IPUs, an denen deutsche Kräfte beteiligt sind. Damit würde Berlin seinen Gestaltungsspiel-raum in der Europäischen Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik (ESVP) erheblich ausweiten – eine Mög-lichkeit, die der Regierung im Rahmen der EGF nicht offensteht. Auch könnte sie dieses Modell in der Nato zur Diskussion stellen und einen Beitrag zu einem dringend benötigten politischen Gleichklang der Allianz leisten.

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Abkürzungen

Abkürzungen

ANP Afghan National Police BGS Bundesgrenzschutz BMI Bundesministerium des Innern BPolG Bundespolizeigesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Bundesverfassungsgerichtsentscheidung CoESPU Centro di Eccellenza per le Stability Police Units/

Center of Excellence for Stability Police Units (Vicenza)

CSTC-A Combined Security Transition Command – Afghanistan

DCAF Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces

EGF European Gendarmerie Force ESVP Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik EU Europäische Union FDD Focused District Development FPU Formed Police Unit GG Grundgesetz GSG 9 Grenzschutzgruppe 9 (Antiterrorismuseinheit der

deutschen Bundespolizei) IFOR Implementation Force (Bosnien-Herzegowina) IPTF International Police Task Force (Bosnien-

Herzegowina) IPU Integrated Police Unit KFOR Kosovo Force MMA Monitoring, Mentoring, Advising MSU Multinational Specialized Unit Nato North Atlantic Treaty Organization NTM-A Nato Training Mission Afghanistan PBG Parlamentsbeteiligungsgesetz PDD Presidential Decision Directive PHQ Permanent Headquarters PRT Provincial Reconstruction Team SFOR Stabilisation Force (Bosnien-Herzegowina) UN United Nations UNMIBH United Nations Mission in Bosnia and Herzegovina UNMIK United Nations Interim Administration Mission in

Kosovo UNTAC United Nations Transitional Authority in

Cambodia ZIF Zentrum für Internationale Friedenseinsätze

(Berlin)

Literaturhinweis

Muriel Asseburg/Ronja Kempin (Hg.) Die EU als strategischer Akteur in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Eine systematische Bestandsaufnahme von ESVP-Missionen und -Operationen SWP-Studie 32/2009, Dezember 2009

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