„Gender“ und Kirchenpolitik - kirche-bremen.de · kritische Stimmen zur Gender-Ideologie auch...

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Edda Bosse ist Präsidentin des Kirchenausschusses der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) Ein weites Feld…… Auch weite Felder wollen Überschaubarkeit, wenn sie schon nicht zur Zufriedenheit aller einzugrenzen sind. Doch bedeutet nicht Eingrenzung immer auch Ausgren- zung? Folglich eben nur die große Weite? Aber ist das dann nicht nur noch allgemeine Beliebigkeit, das be- rühmte „anything goes“? Der Vorwurf erreicht die Kir- che – und besonders die Bremische Evangelische Kirche (BEK) – nicht allzu selten. „Damit ALLE besser leben können“, lautet ein Kernsatz des umstrittenen Flyers GENDER.ismus? Das hat sich für evangelikale Gemeinden in der BEK nicht so dargestellt, denn sie wurden im Text mit Rechtspopulisten, Anhän- gern der PEGIDA- Bewegung und Mitgliedern der AfD auf eine Stufe gestellt. Der Kirchenausschuss hat das kri- tisiert, der Flyer wird in dieser Form nicht weiter verbrei- tet, sondern in veränderter Form neu aufgelegt. Auch aus dem Netz ist er in der umstrittenen Form vorerst entfernt. In der Februar-Ausgabe des BEK-Forum erschien ein Ar- tikel mit der Überschrift „Anti-Gender = antichristlich“. Dieser Titel hat die Arbeitsgemeinschaft missionarischer Kirchen (AMK) zu scharfem Protest veranlasst. Im Ge- spräch mit Vertretern des Kirchenausschusses sowie des Amtes für Öffentlichkeitsdienst (AfÖ) sind Grundlagen für die weitere Kommunikation geschaffen worden. Ja, das ist ein weites Feld, auf dem wir graben, ackern, säen und zu ernten versuchen in unserer Bremischen Evangelischen Kirche – und was die einen als Unkraut ansehen, hat für die anderen beste, heilende Wirkung. Ich meine: keine und keiner darf jemals für sich bean- spruchen, dass auf seinem Stück Land der Segen Gottes allein ruhe, während die anderen doch eher fehl gehen. Während für die einen sich die rechte Nachfolge Jesu aus dem verkündigenden Wort in den Evangelien buch- stäblich ableitet, beginnt für die anderen hier erst die Arbeit im Kontext von Zeit und Raum. Aber es scheint für alle das gleiche Licht zu ihren Füßen und auf ihrem Weg! So verstehen wir uns in der BEK. Das Thema Gender ist zu einem Reizwort, nicht nur innerhalb der Kirche, geworden. Es rüttelt an Grenzen, die zu anderen Zeiten per moralischem Dekret oder gar durch Gesetzeskraft als unverrückbar galten. Es lenkt den Blick beispielsweise auf Menschen, ihre Geschichte und ihr Leben, die früher einfach nicht wahrgenommen wurden. Sie mussten halt klar kommen damit, oder eben nicht. Ihnen Augenhöhe und Teilhabe zu verschaffen, darum haben wir uns in den letzten Jahren besonders bemüht. Dazu stehe ich. Es gibt aber auch die Befürch- tung, dass „Gender“ als Ideologie Einzug in die Kirche hält und ihr tiefstes Selbstverständnis untergräbt. Ich meine: Wovor haben wir Angst? Führen wir die Debatte! In Länge und Breite. Innerhalb unserer Kirche und über sie hinaus. Das Gespräch kann helfen, vielleicht heilen, aber zumindest klären. Der Gang übers weite Feld ist nötig: Damit ALLE besser leben können. „Gender“ und Kirchenpolitik BEK Forum Mai 2017 standpunkte 13 12 standpunkte BEK Forum Mai 2017 Das Wort „Gender“ löst in der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) unterschiedliche Reaktionen aus. Die BEK hatte gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kürz- lich die Broschüre „Gender.ismus?“ herausgege- ben, die im Umgang mit rechtspopulistischer Hetze helfen soll. Der Artikel über diese Arbeitshilfe im letzten BEK Forum hat die Arbeitgemeinschaft Missionarische Kirche (AMK) empört: Die evan- gelikalen Gemeinden der BEK sehen sich durch den Artikel diffamiert. Für die missverständliche Überschrift („Anti-Gender = anti-christlich“), die nicht auf evangelikale Christen, sondern auf rechtsextreme Diffamierungen zielte, hat sich die Redaktion bei der AMK entschuldigt. Im Folgenden erläutern BEK-Präsidentin Edda Bosse und der Sprecher der AMK, Pastor Andreas Schröder (St. Matthäus in Huchting), ihre Haltung zur „Gender.ismus?“-Broschüre und die kirchen- politische Dimension des Themas. fotos Kerstin Rolfes Andreas Schröder ist Pastor in der St. Matthäus- Gemeinde Huchting und Sprecher der Arbeits- gemeinschaft Missionarische Kirche (AMK) in Bremen Anti-Gender bedeutet nicht „antichristlich“ Die Vielfalt der Meinungen innerhalb der Bremischen Ev. Kirche sind eine echte Herausforderung: Bei vie- len Fragen zu Gesellschaft und Theologie finden wir keine Übereinstimmung. Das ist Realität, und wer in und mit dieser Kirche lebt und arbeitet, weiß darum. Geboten scheint, immer wieder neu einen „modus vi- vendi“ zu finden. Aber es gibt Grenzen, die tunlichst nicht überschritten werden sollten. Dies ist nun gesche- hen: Im BEK-Flyer „GENDER.ismus?“ (zusammen mit der EKD herausgegeben) werden Evangelikale in einen Zusammenhang mit Rechts-Populisten gestellt und zu- sammen z.B. mit PEGIDA und der AfD genannt. Die- se undifferenzierte Subsumierung hat in evangelikal geprägten Gemeinden unserer Kirche verständlicher Weise für Empörung gesorgt: Man sieht sich diffamiert, und trennende Gräben tun sich auf. Die Arbeitsgemein- schaft missionarische Kirche hat diese Empörung in ei- nem Gespräch mit dem Kirchenausschuss Mitte Januar deutlich zum Ausdruck gebracht. Dies konnte jedoch nicht verhindern, dass das Amt für Öffentlichkeits- arbeit in dem Magazin „BEK-Forum“ in der Ausgabe Februar – Mai 2017 einen Artikel zum besagten Flyer mit der Überschrift „Anti-Gender = antichristlich“ ver- öffentlichte. Erneut wurde aus dem „Haus der Kirche“ heraus eine deutliche Linie überschritten: Nun werden kritische Stimmen zur Gender-Ideologie auch noch als „antichristlich“ bezeichnet. Und es wird nicht ernsthaft differenziert, wie es sich für einen ausgewogenen und glaubwürdigen Journalismus gehört. Die Kirche schadet sich selbst, wenn sie in dieser Weise den inneren Frie- den gefährdet! Ist innerhalb der BEK ein „modus vivendi“ im Blick auf Gender-Mainstreaming überhaupt möglich, und wie sieht ein solcher aus? Alle diejenigen, die kritische Stimmen zum Thema „Gender“ unter ideologischen Generalverdacht stellen, sollten selbst für sich folgende Fragen geklärt haben: Was genau wird unter „Gender“ verstanden und was nicht? Eine allgemeingültige De- finition fehlt bis heute. Welche Auswirkungen hat die Verwechslung von Gleichwertigkeit und Gleichheit in der Gender-Debatte? Was steht hinter einer funda- mental vertretenen Position, dass das Geschlecht des Menschen nichts von Gott Gegebenes, sondern etwas gesellschaftlich Konstruiertes ist? Wie verhält es sich mit den Wesensunterschieden von Mann und Frau? Warum werden sie in letzter Konsequenz geleugnet? Welche Auswirkung hat die Gender-Ideologie für den Schutz von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft? Die Zukunft wird zeigen, ob ein Austausch über die- se Fragen auf Augenhöhe in unserer Kirche möglich ist und was er unserer Kirche bringt.

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Edda Bosse

ist Präsidentin des

Kirchenausschusses der

Bremischen Evangelischen

Kirche (BEK)

Ein weites Feld……Auch weite Felder wollen Überschaubarkeit, wenn sie

schon nicht zur Zufriedenheit aller einzugrenzen sind.

Doch bedeutet nicht Eingrenzung immer auch Ausgren-

zung? Folglich eben nur die große Weite? Aber ist das

dann nicht nur noch allgemeine Beliebigkeit, das be-

rühmte „anything goes“? Der Vorwurf erreicht die Kir-

che – und besonders die Bremische Evangelische Kirche

(BEK) – nicht allzu selten.

„Damit ALLE besser leben können“, lautet ein Kernsatz

des umstrittenen Flyers GENDER.ismus? Das hat sich für

evangelikale Gemeinden in der BEK nicht so dargestellt,

denn sie wurden im Text mit Rechtspopulisten, Anhän-

gern der PEGIDA- Bewegung und Mitgliedern der AfD

auf eine Stufe gestellt. Der Kirchenausschuss hat das kri-

tisiert, der Flyer wird in dieser Form nicht weiter verbrei-

tet, sondern in veränderter Form neu aufgelegt. Auch aus

dem Netz ist er in der umstrittenen Form vorerst entfernt.

In der Februar-Ausgabe des BEK-Forum erschien ein Ar-

tikel mit der Überschrift „Anti-Gender = antichristlich“.

Dieser Titel hat die Arbeitsgemeinschaft missionarischer

Kirchen (AMK) zu scharfem Protest veranlasst. Im Ge-

spräch mit Vertretern des Kirchenausschusses sowie des

Amtes für Öffentlichkeitsdienst (AfÖ) sind Grundlagen

für die weitere Kommunikation geschaffen worden.

Ja, das ist ein weites Feld, auf dem wir graben, ackern,

säen und zu ernten versuchen in unserer Bremischen

Evangelischen Kirche – und was die einen als Unkraut

ansehen, hat für die anderen beste, heilende Wirkung.

Ich meine: keine und keiner darf jemals für sich bean-

spruchen, dass auf seinem Stück Land der Segen Gottes

allein ruhe, während die anderen doch eher fehl gehen.

Während für die einen sich die rechte Nachfolge Jesu

aus dem verkündigenden Wort in den Evangelien buch-

stäblich ableitet, beginnt für die anderen hier erst die

Arbeit im Kontext von Zeit und Raum. Aber es scheint

für alle das gleiche Licht zu ihren Füßen und auf ihrem

Weg! So verstehen wir uns in der BEK.

Das Thema Gender ist zu einem Reizwort, nicht nur

innerhalb der Kirche, geworden. Es rüttelt an Grenzen,

die zu anderen Zeiten per moralischem Dekret oder gar

durch Gesetzeskraft als unverrückbar galten. Es lenkt

den Blick beispielsweise auf Menschen, ihre Geschichte

und ihr Leben, die früher einfach nicht wahrgenommen

wurden. Sie mussten halt klar kommen damit, oder eben

nicht. Ihnen Augenhöhe und Teilhabe zu verschaffen,

darum haben wir uns in den letzten Jahren besonders

bemüht. Dazu stehe ich. Es gibt aber auch die Befürch-

tung, dass „Gender“ als Ideologie Einzug in die Kirche

hält und ihr tiefstes Selbstverständnis untergräbt. Ich

meine: Wovor haben wir Angst? Führen wir die Debatte!

In Länge und Breite. Innerhalb unserer Kirche und über

sie hinaus. Das Gespräch kann helfen, vielleicht heilen,

aber zumindest klären. Der Gang übers weite Feld ist

nötig: Damit ALLE besser leben können.

„Gender“ und Kirchenpolitik

BEK Forum Mai 2017 standpunkte 1312 standpunkte BEK Forum Mai 2017

Das Wort „Gender“ löst in der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) unterschiedliche Reaktionen aus. Die BEK hatte gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kürz-lich die Broschüre „Gender.ismus?“ herausgege-ben, die im Umgang mit rechtspopulistischer Hetze helfen soll. Der Artikel über diese Arbeitshilfe im letzten BEK Forum hat die Arbeitgemeinschaft Missionarische Kirche (AMK) empört: Die evan-gelikalen Gemeinden der BEK sehen sich durch

den Artikel diffamiert. Für die missverständliche Überschrift („Anti-Gender = anti-christlich“), die nicht auf evangelikale Christen, sondern auf rechtsextreme Diffamierungen zielte, hat sich die Redaktion bei der AMK entschuldigt.Im Folgenden erläutern BEK-Präsidentin Edda Bosse und der Sprecher der AMK, Pastor Andreas Schröder (St. Matthäus in Huchting), ihre Haltung zur „Gender.ismus?“-Broschüre und die kirchen-politische Dimension des Themas.

fotosKerstin Rolfes

Andreas Schröder

ist Pastor in der St. Matthäus-

Gemeinde Huchting

und Sprecher der Arbeits-

gemeinschaft Missionarische

Kirche (AMK) in Bremen

Anti-Gender bedeutet nicht „antichristlich“Die Vielfalt der Meinungen innerhalb der Bremischen

Ev. Kirche sind eine echte Herausforderung: Bei vie-

len Fragen zu Gesellschaft und Theologie finden wir

keine Übereinstimmung. Das ist Realität, und wer in

und mit dieser Kirche lebt und arbeitet, weiß darum.

Geboten scheint, immer wieder neu einen „modus vi-

vendi“ zu finden. Aber es gibt Grenzen, die tunlichst

nicht überschritten werden sollten. Dies ist nun gesche-

hen: Im BEK-Flyer „GENDER.ismus?“ (zusammen mit

der EKD herausgegeben) werden Evangelikale in einen

Zusammenhang mit Rechts-Populisten gestellt und zu-

sammen z.B. mit PEGIDA und der AfD genannt. Die-

se undifferenzierte Subsumierung hat in evangelikal

geprägten Gemeinden unserer Kirche verständlicher

Weise für Empörung gesorgt: Man sieht sich diffamiert,

und trennende Gräben tun sich auf. Die Arbeitsgemein-

schaft missionarische Kirche hat diese Empörung in ei-

nem Gespräch mit dem Kirchenausschuss Mitte Januar

deutlich zum Ausdruck gebracht. Dies konnte jedoch

nicht verhindern, dass das Amt für Öffentlichkeits-

arbeit in dem Magazin „BEK-Forum“ in der Ausgabe

Februar – Mai 2017 einen Artikel zum besagten Flyer

mit der Überschrift „Anti-Gender = antichristlich“ ver-

öffentlichte. Erneut wurde aus dem „Haus der Kirche“

heraus eine deutliche Linie überschritten: Nun werden

kritische Stimmen zur Gender-Ideologie auch noch als

„antichristlich“ bezeichnet. Und es wird nicht ernsthaft

differenziert, wie es sich für einen ausgewogenen und

glaubwürdigen Journalismus gehört. Die Kirche schadet

sich selbst, wenn sie in dieser Weise den inneren Frie-

den gefährdet!

Ist innerhalb der BEK ein „modus vivendi“ im Blick

auf Gender-Mainstreaming überhaupt möglich, und

wie sieht ein solcher aus? Alle diejenigen, die kritische

Stimmen zum Thema „Gender“ unter ideologischen

Generalverdacht stellen, sollten selbst für sich folgende

Fragen geklärt haben: Was genau wird unter „Gender“

verstanden und was nicht? Eine allgemeingültige De-

finition fehlt bis heute. Welche Auswirkungen hat die

Verwechslung von Gleichwertigkeit und Gleichheit

in der Gender-Debatte? Was steht hinter einer funda-

mental vertretenen Position, dass das Geschlecht des

Menschen nichts von Gott Gegebenes, sondern etwas

gesellschaftlich Konstruiertes ist? Wie verhält es sich mit

den Wesensunterschieden von Mann und Frau? Warum

werden sie in letzter Konsequenz geleugnet? Welche

Auswirkung hat die Gender-Ideologie für den Schutz

von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft?

Die Zukunft wird zeigen, ob ein Austausch über die-

se Fragen auf Augenhöhe in unserer Kirche möglich ist

und was er unserer Kirche bringt.