Genetische Verarmung beim Obst und Initiativen zur ... · bäume sich in der Vergangenheit...

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Genetische Verarmung beim Obst und Initiativen zur Erhaltung der genetischen Vielfalt Hans-Joachim Bannier Etwa eintausend verschiedene, in der pomo- logischen Literatur der Zeit dokumentierte Ap- felsorten hat es um 1900 allein in Deutschland gegeben. Darunter waren überregional be- kannte und beliebte Sorten wie ‚Goldparmäne’, ‚Cox orange’, ‚Jakob Lebel’ oder ‚Kaiser Wil- helm’ ebenso wie ausschließlich regional auf den Märkten erhältliche Sorten. Namen wie ‚Westfälischer Gülderling’, ‚Rheinisches Sei- denhemdchen’, ‚Luikenapfel’ (Bad.-Württ.), ‚Lausitzer Nelkenapfel’ (Sachsen) oder ‚Tie- fenblüte’ (Südniedersachsen) sind heute meist nur noch der älteren ländlichen Bevölkerung der jeweiligen Region ein Begriff. Auch bei den anderen Obstarten (Birne, Pflau- me/Zwetschge, Kirsche) hat es um die Jahr- hundertwende 1900 eine heute kaum noch vor- stellbare Sortenvielfalt gegeben. Heute gibt es im Obsthandel in Deutschland allenfalls noch 10-20 Apfelsorten; in den mei- sten Supermärkten ist die Zahl der im Jahres- verlauf angebotenen Sorten noch geringer. Die Ursachen für diese Entwicklung sind viel- fältig und können an dieser Stelle nicht sämt- lichst aufgezählt werden. Einer der wichtigsten Gründe sind die veränderten – zentralisierten – Handelsstrukturen. Einzelhandelsketten und Obstgroßhandel kaufen ihr Obst heute weltweit ein und haben am liebsten nur einige wenige Sorten („eine rote, eine grüne und eine gelbe“), die möglichst das ganze Jahr über verfügbar sein sollten und die jeder im Selbstbedienungs- laden kaufende Kunde kennt. Obendrein trans- portfest, eher süß und aromatisch. Auch in der Obstproduktion hat sich ein fun- damentaler Wandel vollzogen – weg vom ex- tensiven Hochstammobstbau als Teilbetriebs- zweig des landwirtschaftlichen Betriebes hin zu spezialisierten Obstbaubetrieben mit intensiv gepflegten Niederstamm-Plantagen. Der Obst- bau präferiert heute ausschließlich schwach wachsende, hoch fruchtansetzende Sorten, welche in der traditionellen Hochstammkultur kaum bestehen würden. „Marktfähigkeit“ in Aussehen und Geschmack sind bei der Aus- wahl von Sorten für den Anbau letztlich ent- scheidender als die Frage der Baumgesund- heit, deren Schwächen der Anbauer mit inten- sivem Pflanzenschutz begegnen kann und be- gegnet. Der professionelle Obstbau konzen- triert sich heute fast ausschließlich in klima- tisch besonders begünstigten Gebieten, in de- nen möglichst geringe Ausfälle durch Blüten- frost zu erwarten sind. Es werden fast aus- schließlich Tafelobstsorten produziert. Die genetische Vielfalt geht bei dieser Entwick- lung verloren. Auf der anderen Seite ist allem Anschein nach die Obstversorgung der Bevöl- kerung – zumindest in der „ersten Welt“ – un- abhängig von jahreszeitlichen und Witterungs- einflüssen gesichert. Wozu brauchen wir da noch die „alten“ Obstsorten? Abgesehen davon, dass viele der alten Obst- sorten ein traditionelles, in Jahrhunderten ge- wachsenes Kulturgut darstellen, das in vielen Regionen Deutschlands mit Brauchtum (z.B. ‚Hochzeitsapfel’) und speziellen regionaltypi- schen Nahrungsmitteln (z.B. Apfelkraut, Schmorbirnen, Pflaumen- oder Kirschenmus, Apfelschmalz etc.) verbunden und viele Sorten allein deshalb schon erhaltenswert sind, spre- chen auch ökologische Gründe sowie Ge- sichtspunkte einer langfristigen Sicherung des Obstbaus für ihre Erhaltung: 1. Praktisch sämtliche heutigen Weltmarktsor- ten beim Apfel konnten sich im Anbau nur durchsetzen mit der Entwicklung der Pflanzen- schutzmittel durch die chemische Industrie. Apfelsorten wie ‚Golden Delicious’, ‚Elstar’, ‚Gala’, ‚Gloster’, ‚Jonagold’ oder ‚Rubinette’ würden bei einem Verzicht auf Pflanzen- schutzmaßnahmen im Anbau völlig versagen bzw. wären alten Sorten wie ‚Dülmener Rosen- apfel’, ‚Finkenwerder Prinzenapfel’, ‚Jakob Fi- scher’ oder ‚Rote Sternrenette’ deutlich unter- legen. Die Sortenentwicklung im Erwerbsobst- bau der letzten fünf Jahrzehnte steht in funda- mentalem Widerspruch zu allen Bestrebungen im Sinne eines umweltverträglichen Obstbaus sowie der Produktion von rückstandsfreiem, gesundem Obst. 2. Die Sortenentwicklung der letzten Jahr- zehnte im Obstbau war ausschließlich auf den Bedarf und die Bedürfnisse des professionellen Niederstamm-Intensivanbaus ausgerichtet. Die Interessen und Bedürfnisse von Gartenbesit- zern, Selbstversorgern und Kleingärtnern bzw. allen, welche auf Pflanzenschutz weitgehend verzichten möchten, sind bei dieser Entwick- lung ebenso unter den Tisch gefallen wie spe- Samensurium 16/2005 - 61 -

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Genetische Verarmung beim Obst und Initiativen zur Erhaltung dergenetischen Vielfalt

Hans-Joachim Bannier

Etwa eintausend verschiedene, in der pomo-logischen Literatur der Zeit dokumentierte Ap-felsorten hat es um 1900 allein in Deutschlandgegeben. Darunter waren überregional be-kannte und beliebte Sorten wie ‚Goldparmäne’,‚Cox orange’, ‚Jakob Lebel’ oder ‚Kaiser Wil-helm’ ebenso wie ausschließlich regional aufden Märkten erhältliche Sorten. Namen wie‚Westfälischer Gülderling’, ‚Rheinisches Sei-denhemdchen’, ‚Luikenapfel’ (Bad.-Württ.),‚Lausitzer Nelkenapfel’ (Sachsen) oder ‚Tie-fenblüte’ (Südniedersachsen) sind heute meistnur noch der älteren ländlichen Bevölkerungder jeweiligen Region ein Begriff.Auch bei den anderen Obstarten (Birne, Pflau-me/Zwetschge, Kirsche) hat es um die Jahr-hundertwende 1900 eine heute kaum noch vor-stellbare Sortenvielfalt gegeben.Heute gibt es im Obsthandel in Deutschlandallenfalls noch 10-20 Apfelsorten; in den mei-sten Supermärkten ist die Zahl der im Jahres-verlauf angebotenen Sorten noch geringer.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind viel-fältig und können an dieser Stelle nicht sämt-lichst aufgezählt werden. Einer der wichtigstenGründe sind die veränderten – zentralisierten –Handelsstrukturen. Einzelhandelsketten undObstgroßhandel kaufen ihr Obst heute weltweitein und haben am liebsten nur einige wenigeSorten („eine rote, eine grüne und eine gelbe“),die möglichst das ganze Jahr über verfügbarsein sollten und die jeder im Selbstbedienungs-laden kaufende Kunde kennt. Obendrein trans-portfest, eher süß und aromatisch.Auch in der Obstproduktion hat sich ein fun-damentaler Wandel vollzogen – weg vom ex-tensiven Hochstammobstbau als Teilbetriebs-zweig des landwirtschaftlichen Betriebes hin zuspezialisierten Obstbaubetrieben mit intensivgepflegten Niederstamm-Plantagen. Der Obst-bau präferiert heute ausschließlich schwachwachsende, hoch fruchtansetzende Sorten,welche in der traditionellen Hochstammkulturkaum bestehen würden. „Marktfähigkeit“ inAussehen und Geschmack sind bei der Aus-wahl von Sorten für den Anbau letztlich ent-scheidender als die Frage der Baumgesund-heit, deren Schwächen der Anbauer mit inten-sivem Pflanzenschutz begegnen kann und be-gegnet. Der professionelle Obstbau konzen-

triert sich heute fast ausschließlich in klima-tisch besonders begünstigten Gebieten, in de-nen möglichst geringe Ausfälle durch Blüten-frost zu erwarten sind. Es werden fast aus-schließlich Tafelobstsorten produziert.Die genetische Vielfalt geht bei dieser Entwick-lung verloren. Auf der anderen Seite ist allemAnschein nach die Obstversorgung der Bevöl-kerung – zumindest in der „ersten Welt“ – un-abhängig von jahreszeitlichen und Witterungs-einflüssen gesichert. Wozu brauchen wir danoch die „alten“ Obstsorten?

Abgesehen davon, dass viele der alten Obst-sorten ein traditionelles, in Jahrhunderten ge-wachsenes Kulturgut darstellen, das in vielenRegionen Deutschlands mit Brauchtum (z.B.‚Hochzeitsapfel’) und speziellen regionaltypi-schen Nahrungsmitteln (z.B. Apfelkraut,Schmorbirnen, Pflaumen- oder Kirschenmus,Apfelschmalz etc.) verbunden und viele Sortenallein deshalb schon erhaltenswert sind, spre-chen auch ökologische Gründe sowie Ge-sichtspunkte einer langfristigen Sicherung desObstbaus für ihre Erhaltung:1. Praktisch sämtliche heutigen Weltmarktsor-ten beim Apfel konnten sich im Anbau nurdurchsetzen mit der Entwicklung der Pflanzen-schutzmittel durch die chemische Industrie.Apfelsorten wie ‚Golden Delicious’, ‚Elstar’,‚Gala’, ‚Gloster’, ‚Jonagold’ oder ‚Rubinette’würden bei einem Verzicht auf Pflanzen-schutzmaßnahmen im Anbau völlig versagenbzw. wären alten Sorten wie ‚Dülmener Rosen-apfel’, ‚Finkenwerder Prinzenapfel’, ‚Jakob Fi-scher’ oder ‚Rote Sternrenette’ deutlich unter-legen. Die Sortenentwicklung im Erwerbsobst-bau der letzten fünf Jahrzehnte steht in funda-mentalem Widerspruch zu allen Bestrebungenim Sinne eines umweltverträglichen Obstbaussowie der Produktion von rückstandsfreiem,gesundem Obst.2. Die Sortenentwicklung der letzten Jahr-zehnte im Obstbau war ausschließlich auf denBedarf und die Bedürfnisse des professionellenNiederstamm-Intensivanbaus ausgerichtet. DieInteressen und Bedürfnisse von Gartenbesit-zern, Selbstversorgern und Kleingärtnern bzw.allen, welche auf Pflanzenschutz weitgehendverzichten möchten, sind bei dieser Entwick-lung ebenso unter den Tisch gefallen wie spe-

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zielle Anforderungen an Sorten z.B. für Dörr-obst oder Obstbrände. Verloren zu gehen dro-hen, um beim Beispiel der Äpfel zu bleiben,neben einer auch geschmacklichen Vielfaltunter anderem:– robuste Sorten für den Selbstversorger, die

auch ohne Pflanzenschutz noch ansehn-liche Früchte und passable Ernten liefern;

– Langlagersorten, die sich auch im Normal-lager – ohne professionelle Kühllagerungbzw. CA-Lagerung – bis ins Frühjahr hineinlagern lassen;

– starkwüchsige Sorten, die auf Hochstamm,auch bei ungünstigeren Bodenverhältnissenbzw. bei fehlender Bodenbearbeitung nochgedeihen;

– Sorten, die auch in Höhenlagen, regenrei-chen Regionen oder anderen klimatischweniger begünstigten Regionen noch ge-deihen;

– Saftreiche und säurereiche Sorten für dieSüßmostherstellung (die Fruchtsaftindustriesetzt ihren Apfelsäften inzwischen häufigAscorbinsäure zu, da die aus den Erwerbs-obstplantagen zugekauften Äpfel zu wenigSäure enthalten);

– säurereiche und/oder nicht verbräunendeWirtschaftssorten für Verarbeitungszwecke(Kuchen, Mus, Dörrobst);

– Sorten für qualitativ hochwertigen Obst-brand; etc.

Alte Obstsorten: Garant für genetische Di-versität3. Die Erhaltung einer genetischen Vielfalt –oder präziser gesagt, einer großen genetischenBandbreite – ist darüber hinaus für das Überle-ben von Obstarten und für den zukünftigenObstanbau schlechthin langfristig von elemen-tarer Bedeutung. Gäbe es weltweit nur nochdie zehn (zumeist noch untereinander engverwandten) Weltmarktsorten im Apfelanbau,könnte es leicht zu einer Katastrophe für denAnbau dieser Obstart kommen.

Dies soll – als Hauptthema meiner Ausführun-gen – im folgenden ausführlicher erläutert wer-den:

Bei einer anderen Obstart, der Aprikose, ist der„GAU“, der größte anzunehmende Unfall, inEuropa mit der sog. Scharka-Krankheit bereitseingetreten: Vor Jahrzehnten in Bulgarien ent-standen, hat sich die Virose in den letztenJahrzehnten auch in Mitteleuropa stark verbrei-tet. Da sie durch Blattläuse übertragen wird, istihre Ausbreitung in heute noch scharkafreie

Regionen nur noch eine Frage der Zeit. DieFrüchte der Aprikosen werden durch Scharkaunbrauchbar für die Vermarktung. Sämtlicheheute in Mitteleuropa allgemein im Anbau be-findliche Aprikosensorten – viele untereinandergenetisch verwandt – sind hoch anfällig undwerden mittelfristig aus dem Obstbau ver-schwinden. Statt dessen werden zur Zeit ver-stärkt amerikanische Aprikosensorten ge-pflanzt, welche genetisch mit den europäischenSorten nicht verwandt und z.T. resistent gegenScharka sind.Daneben wurden in den letzten Jahren von derUniversität Halle in Streuobstbeständen imtraditionellen Aprikosen-Anbaugebiet desMansfelder Landes (Krs. Bernburg/Saale) alteAprikosen-Hochstämme auf ihre Scharka-An-fälligkeit geprüft. Es konnten drei alte Sortenselektiert werden, welche sich als resistentbzw. immun gegen Scharka erwiesen (FUCHSet al. 1999).Hätten die Besitzer dieser alten Aprikosen-bäume sich in der Vergangenheit „rational“ imSinne eines wirtschaftlichen Obstbaus bzw. imSinne der Empfehlungen heutiger obstbau-licher Beratung verhalten, wären die Bäume –und mit ihnen ihr genetisches Potential – längstder Motorsäge zum Opfer gefallen.

Sortenentwicklung im Erwerbsobstbau:Inzucht statt genetischer VielfaltAuch im Apfelanbau ist ein entsprechendesSzenario durchaus vorstellbar. Denn die gene-tische Bandbreite der heute im Markt befind-lichen bzw. auf den Markt drängenden Apfel-sorten und der diversen Neuzüchtungen istäußerst schmal. Praktisch sämtliche Apfelsor-ten, die in den vergangenen sechs Jahrzehn-ten gezüchtet worden sind, stammen – teil-weise mehrfach – von den drei Ahnensorten‚Golden Delicious’, ‚Cox orange’ oder ‚Jona-than’ ab. Dazu einige Beispiele von Marktsor-ten und Neuzüchtungen und ihren Elternsorten(in Klammern jeweils die Großelternsorten):– Jonagold = Jonathan x Golden Delicious– Elstar = Golden Delicious x Ingrid Marie

(Cox orange x unbek.)– Gala = Kidds Orange (Red Delicious x Cox

Orange) x Golden Delicious– Idared = Jonathan x Wagenerapfel– Pinova = Clivia (Oldenburg x Cox orange) x

Golden Delicious– Akane (Syn. Primerouge) = Jonathan x

Worcester Parmäne– Delbarestivale (Syn. Delcorf) = Stark Jon

Grimes x Golden Delicious

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– Pink Lady (Syn. Cripps Pink) = Lady Wil-liams x Golden Delicious

– Delbard Jubilee (Syn. Delgollune) = GoldenDelicious x Lundbytorp

– Goldrush = Golden Delicious x Coop 17(Zuchtklon)

– Ingol = Ingrid Marie (Cox orange x unbek.) xGolden Delicious

– Summerred = Summerland (McIntosh xGolden Delicious) x unbekannt

– Rewena = BV 67.47 (Zuchtklon u.a. ausCox orange) x BX 44.14 (Zuchtklon)

– Relinda = Undine (Jonathan x unbek.) x BX44.14 (Zuchtklon)

– Topaz = Rubin (Golden Delicious x LordLambourne) x Vanda (Jolana x Lord Lamb.)

– Florina = Zuchtklon u.a. aus Morgenduft,Golden Delicious, Jonathan, Starking u.a.)

– Mutsu = Golden Delicious x Indo– Nicoter (Syn. Kanzi) = Gala (Red Delic.,

Cox orange, Gold. Delicious) x Braeburn– Rubinette (Syn. Rafzubin) = Golden De-

licious x unbekannt, vermutl. Cox orange– Pilot = Clivia (Oldenburg x Cox orange) x

Undine (Jonathan x unbek.)– Fuji = Ralls Janet x Golden Delicious– Melrose = Jonathan x Red Delicious– Karmijn de Sonnaville = Cox orange x Jo-

nathanDie Aufzählung, die sich noch beliebig erwei-tern ließe, soll deutlich machen, daß praktischsämtliche Neuentwicklungen im Bereich derApfelsorten Nachfahren der drei „Stammsor-ten“ ‚Jonathan’, ‚Cox orange’ oder ‚Golden De-licious’ sind (vgl. SILBEREISEN et al. 1996; Bun-dessortenamt 2000; FISCHER 1995; Weinsberg2000). Sie sind genetisch relativ eng mit diesendrei Sorten – und somit auch untereinander –verwandt. Die drei Stammsorten ‚Jonathan’,‚Cox orange’ und ‚Golden Delicious’ ihrerseitssind hoch anfällig gegen diverse Krankheitenund Schädlinge.Die Züchter verfolgen heute weltweit meist die-selben Züchtungsziele (z.B. Geschmack, Lang-stieligkeit der Frucht, einheitliche Fruchtgrößeund -form, schwacher Baumwuchs, hoherFruchtansatz) und verwenden allzu oft die-selben Ausgangssorten für ihre Züchtung. DasVorhandensein einer Vielzahl von Sorten inden heutigen Züchtungsstationen der Obstbau-institute weltweit ist – wie aus den Beispielenersichtlich wird – daher keineswegs gleichzu-setzen mit dem Vorhandensein genetischerVielfalt bzw. einer genetischen Bandbreite. „DieZüchtung produziert ... eine große Anzahl vonSorten, fördert aber gleichzeitig die Tendenz

zur Verarmung auf dem Gebiet der geneti-schen Diversität“ (BLASER 2001).

Resistenzzüchtung mit geringer geneti-scher Diversität: Vielzahl statt Vielfalt ?Dies gilt auch für die in den letzten Jahren viel-gepriesenen (und von einigen Beratern auchschon für den Streuobstbau empfohlenen)Neuzüchtungen schorfresistenter Apfelsorten.Auch diese Sorten (z.B. ‚Florina’, ‚Rewena’,‚Relinda’, ‚Topaz’ und viele andere) sind in ih-rem Ausgangsmaterial durchweg Nachfahrender Apfelsorten ‚Golden Delicious’, ‚Cox oran-ge’ oder ‚Jonathan’. Die Schorfresistenz dieserSorten wurde durch Einkreuzen von Wildäpfelnangestrebt, wobei die Züchter fast durchwegmit derselben Wildapfelart gearbeitet haben.„Nahezu 95% der heutigen schorfresistentenApfelsorten stützt sich auf die Vf-Resistenz vonMalus floribunda 821“ (RÜSS 2000).Eine Verarmung mit hohem Risiko: Dennschon heute zeigt sich, dass die von den Züch-tern angestrebte Schorfresistenz von Apfelsor-ten in Mitteleuropa an mehreren Standortendurchbrochen worden ist (FISCHER 2003; RÜSS2000). „Der Durchbruch war möglich, da dieseResistenz monogener Natur ist ... und der Pilzdurch natürliche Mutation bzw. Rassenauslesediese Resistenz überwunden hat“ (FISCHER2003).

Breite Resistenzeigenschaften alter Obst-sortenManche der – weitgehend in Vergessenheitgeratenen – alten Apfelsorten verfügen dage-gen über eine polygene Resistenz gegenüberSchorf, die weit stabiler ist als die der heutigenResistenzzüchtungen und die sich über Jahr-zehnte (z. T. über Jahrhunderte) in der Land-schaft bewährt hat.Entsprechendes gilt nicht nur hinsichtlich ihrerResistenz gegenüber Schorf, sondern auchgegenüber anderen Krankheiten sowie gegen-über Schädlingen: Bei einem Versuch derGenbank Obst (Dresden-Pillnitz), zwei Jahreauf Fungizidspritzungen gänzlich zu verzichten,erwiesen sich lediglich 4 Sorten aus der mo-dernen Resistenzzüchtung als frei von Schorf-und Mehltaubefall (FISCHER 2003). Einige alteApfelsorten (z.B. ‚Rote Sternrenette’,‚Bittenfelder’, ‚Börtlinger Weinapfel’, ‚Erbach-hofer’, ‚Engelsberger’, ‚Früher Viktoria’, ‚Kardi-nal Bea’) erreichten dieses Ergebnis ebenfalls,einige weitere (z.B. ‚Jakob Fischer’, ‚Hibernal’,‚Prinzenapfel’, ‚Spätblühender Taffetapfel’, ‚Peas-goods Goldrenette’, ‚Riesenboiken’, ‚Gewürz-luiken’) zeigten eine annähernd gute Resistenz.

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„Die im Erwerbsanbau verbreitetsten Sorten,wie ‚Gala’, ‚Rubinette’, ‚Golden Delicious’,‚Granny Smith’, alle ‚Delicious’-Nachkommen,‚Elstar’, ‚Idared’ u.a. waren am stärksten be-fallen. Sie können nur mit intensivem Pflanzen-schutz qualitätsgerecht produziert werden“(FISCHER 2003). Eigene Beobachtungen desVerfassers im Streuobst sowie in seiner seit1995 bestehenden Sortenpflanzung alter undneuer Sorten – jahrelang ohne Einsatz vonPflanzenschutzmitteln – können die PillnitzerErgebnisse nur bekräftigen (und um einige alteSorten ergänzen).Unter den Hunderten alter Apfelsorten gibt esauch solche, die gegen die im Obstbau heutegefürchtete und mittels Antibiotika bekämpfteBakteriose Feuerbrand einigermaßen stabilsind. Andere alte Sorten wiederum sind – wiez.B. die Sorte ‚Johannes Böttner’ – resistentgegen Blattläuse, – eine Tatsache, die im heu-tigen Obstbau mit seinen zumeist hoch blatt-lausanfälligen Sorten fast undenkbar erscheint.Wiederum andere werden – da sie extrem spätblühen und austreiben – von den gelegentlichauftretendenden Frostspannerplagen nichtheimgesucht und sind auf diesem Wege ge-wissermaßen „resistent“ gegen diesen gefürch-teten Schädling (z.B. ‚Roter Bellefleur’, ‚Hes-lacher Gereutapfel’, ‚Spätblühender Taffet-apfel’).

Gentechnik als vermeintliche Lösung derProbleme genetischer VerarmungStatt das genetische Potential und vor allemdie genetische Bandbreite alter Sorten zu nut-zen, setzen Obstanbau und -züchtung nochimmer auf das schmale genetische Band der-jenigen Apfelsorten, welche erst durch diePflanzenschutzmittel der chemischen Industriezu weltweiter Verbreitung gelangen konnten.Oder suchen neuerdings ihr Heil in der Gen-technik, indem z.B. (zur Erlangung von Feuer-brand-Resistenz) Schmetterlings-Gene in Ap-felsorten „implantiert“ werden. Sollten solcheExperimente kurzfristig „Erfolge“ verheißen, istabsehbar, dass die genetische Diversität imObstbau zukünftig noch mehr abnimmt und diemit einer solchen genetischen Verarmung ver-bundenen Risiken potenziert werden.Der langfristige Erhalt eines ökologisch ver-träglichen Obstbaus und ein verantwortungs-voller Umgang mit unseren genetischen Res-sourcen im Bereich des Obstes kann nichtdurch eine monokulturelle Sortenentwicklung,sondern nur durch die Bewahrung genetischerVielfalt gewährleistet werden. „Niemand kannheute vorhersagen, welche Eigenschaften

plötzlich von Interesse sein können, wennSchädlingskalamitäten auftreten, Klimaverän-derungen zu verändertem Auftreten von Schad-organismen führen, die Ernährungsgewohn-heiten sich ändern oder ähnliches“ (FISCHER2003). „Eigenschaften, welche uns heute wert-los erscheinen mögen, können in Zukunft beigeänderten Sortenanforderungen plötzlich wie-der an Bedeutung gewinnen“ (RÜSS 2000/2).

Die Erhaltung alter Obstsorten: In öffent-lichen Einrichtungen gewährleistet?Auf den ersten Blick scheint die genetischeVielfalt beim Obst in den dafür zuständigenöffentlichen Einrichtungen in Deutschland gesi-chert. Nach Prof. M. FISCHER sind allein in derGenbank Pillnitz 2218 Kultursorten (Edelsor-ten, Unterlagen und Zuchtstämme) der Haupt-obstarten – darunter 1019 Apfelsorten – im Be-stand (FISCHER 2003). Im Bundes-Obstarten-Sortenverzeichnis, welches alle Obstsorten inBundes- und Landesinstituten sowie von eini-gen nichtstaatlichen Instituten enthält, sind zurZeit (4.Aufl. 2000) Nachweise von 2700 Apfel-sorten, 830 Birnensorten und 430 Süßkir-schensorten enthalten. Nach Prof. FISCHER„dürfte damit die genetische Vielfalt bei Obstfür längere Zeit in Deutschland gesichert sein“(FISCHER ebd.).Diese optimistische Einschätzung teile ich ausmehreren Gründen nicht:– In Sortenverzeichnissen wie dem Bundes-

Obstarten-Sortenverzeichnis werden auchdie zahlreichen Mutanten einer Sorte als ei-genständige Sorten geführt, wodurch sichdie vorgebliche Sortenzahl irreführend auf-bläht (BLASER 2001).

– Betrachtet man die Sortenliste der GenbankObst im Detail, so befinden sich unter den1019 darin aufgeführten Apfelsorten nur et-wa 230 alte, vor 1900 entstandene Sorten.Von den weit über 1000 ehemals inDeutschland dokumentierten alten Apfelsor-ten ist dies allenfalls ein Fünftel. Bei allenübrigen Sorten des Pillnitzer Apfelsorti-ments handelt es sich um Neuzüchtungenaus aller Welt, heutige Marktsorten, Mu-tanten, Nummernsorten (Züchtungsklone),Wildäpfel oder Wurzelunterlagen.

– Viele der vermeintlich gesicherten Obstsor-ten stehen heute in den Bundes- und Lan-desinstituten des Obstbaus bzw. der Obst-forschung nur noch an einem einzigenStandort. “850 der in der Genbank Obst vor-handenen Akzessionen (von Kultur- undWildobstsorten) sind in Deutschland nurhier vorhanden“ (FISCHER 2003).

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Bei der Erhaltung einer Obstsorte an nur einemeinzigen Standort kann von „Sicherung ihresErhalts“ keinesfalls gesprochen werden. Der„SUPER-GAU“ ist in Dresden-Pillnitz im Som-mer 2003 bereits eingetreten: Sämtliche Bir-nensorten der Genbank waren im Sommer2003 mit dem Feuerbrand-Erreger infiziert undwurden aus Gründen der Pflanzenhygiene undPrävention gerodet. Die Abgabe von Edelrei-sern an Außenstehende wurde vorerst einge-stellt. Auch das Obstinstitut Geisenheim war inder Vergangenheit bereits vom Feuerbrand be-troffen. Mehrere der deutschen Obstinstituteliegen in klimatisch wärmeren und daher er-höht Feuerbrand- und Scharka-gefährdetenRegionen.In den fünf deutschen Reisermuttergärten, auswelchen die Baumschulen i.d.R. ihr Reiserma-terial zur Baumanzucht beziehen, sind insge-samt nur noch knapp 100 alte Apfelsortenverfügbar, die zur Vermehrung abgegebenwerden.Trotz aller Bekenntnisse zur Erhaltung derBiodiversität im Sinne der Rio-Konvention ver-geht in Deutschland kaum ein Jahr, ohne dasswieder ein Reisermuttergarten schließt, einObstbau-Institut seine Sortimentspflanzungalter Obstsorten aus Personalmangel bzw. Ko-stengründen rodet oder ein Kreislehrgartenoder sonstige Lehreinrichtung mitsamt seinerSammlung alter Obstsorten aufgegeben wird.

„Erosion der Gene und des Wissens“Zahlreiche alte Obstsorten sind in keinem derbundesdeutschen Obstbauinstitute mehr vor-handen. Zu diesen gehört ausgerechnet auchdie älteste im deutschen Sprachraum doku-mentierte Apfelsorte, der aus dem 12. Jahr-hundert stammende und gewissermaßen zumKulturgut des Landes gehörende ‚Edelborsdor-fer’. Zwar taucht die Sorte auf den Sortenlisteneinzelner Institute noch auf; sie steht jedoch anden jeweiligen Standorten nicht sortenechtbzw. es handelt sich um nachweislich andereSorten. Vermeintlich gesicherte alte Obstsortendrohen in Wirklichkeit zu verschwinden, wennsie – wie im Fall der Apfelsorte ‚GelberRichard’ – gleich in mehreren Obstbauinstitu-ten Deutschlands (hier: Geisenheim, Baven-dorf, Pillnitz) falsch standen oder noch stehenund die hier vorhandenen Sortenfehler inzwi-schen sogar Eingang in die aktuelle Literaturüber alte Obstsorten gefunden haben (vgl.BANNIER, MÜLLER & SCHURICHT 2003).Denn nicht minder dramatisch als die „Erosionder Gene“ ist heute die „Erosion des Wissens“bezüglich der alten Obstsorten: Kenntnisse

über alte Obstsorten stehen schon seit Jahr-zehnten nicht mehr auf den Lehrplänen vonHoch-, Fach- und Berufsschulen des Obst-baus. Das Wissen um die speziellen Eigen-schaften und Verwendungsmöglichkeiten vonalten Obstsorten ist in den letzten Jahrzehntensowohl bei den wissenschaftlich Tätigen alsauch bei den obstbaulichen Praktikern verlorengegangen. „Gute Sortenkenner (Pomologen)sind inzwischen selbst ‚eine vom Aussterbenbedrohte Rasse’“ (Grüne Liga 2002). Die sor-tenkundliche Erhaltungsarbeit verlagert sichmehr und mehr auch auf private Vereine undPrivatpersonen, die sich für alte Obstsortenbegeistern und einsetzen.

Alte Obstsorten: In der Landschaft nochvorhanden !Und dennoch gibt es sie noch, die alten Obst-sorten. Wahrscheinlich weit mehr Sorten als inGenbanken und Obstbau-Instituten zusam-men. Sie stehen in den noch verbliebenenStreuobstbeständen des Landes, auf altenObstwiesen und Hofweiden, an Feldwegen,Böschungen und in Haus- und Kleingärten.Manchmal noch gepflegt und beerntet, oftschon seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehrbeschnitten und manchmal kaum noch beach-tet oder beerntet. Auch wenn in den vergange-nen fünf Jahrzehnten Schätzungen zufolgemehr als 70% aller Streuobstbestände inDeutschland gerodet worden sind, so ist – allenRodeprämien und Flurbereinigungsmaßnah-men zum Trotz – auch heute noch die imStreuobst anfallende Obstmenge in manchenJahren weit größer als die in den Intensivobst-Betrieben produzierte Menge. 1994 beliefensich die Streuobstbestände in Deutschlandnach Schätzungen immerhin noch auf ca. 300000 bis 500 000 Hektar und damit auf 2–3 %der landwirtschaftlichen Nutzfläche. „In Deutsch-land stellen Streuobstwiesen ... die flächen-mäßig ausgedehnteste Form traditionellerLandnutzung dar“ (RÖSLER 1994).Ihre Noch-Existenz verdanken die alten Sortender Langlebigkeit der Obstgehölze: Auf Säm-lingsunterlagen gepflanzte Hochstämme kön-nen beim Apfel ca. 50-100 Jahre alt werden, inEinzelfällen auch darüber. Eine alte Obstalleein der Nähe der Obstbau-Versuchsstation inMüncheberg (Brandenburg) mit riesigen – nochheute vitalen – alten Apfelbäumen ist nach An-gaben des dortigen Leiters Dr. H. SCHWÄRZELnachweislich 1812 gepflanzt worden. AuchBirnbäume können sehr alt werden, die Bäumebestimmter Mostbirnensorten bis zu 300 Jahre.(Andere Obstarten wie Zwetschge, Pfirsich

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oder Sauerkirsche werden längst nicht so alt,entsprechend weniger Sorten sind hier imStreuobst noch erhalten.) Die alten Obstbäumelassen uns wie durch ein Zeitfenster auf dasSortenspektrum früherer Jahrzehnte und Jahr-hunderte schauen. Bei den vor 1920 gepflanz-ten Bäumen lässt sich jedoch heute ein Teilder noch anzutreffenden Sorten nicht mehrnamentlich identifizieren bzw. alten Literaturbe-schreibungen zuordnen, zumal Zeitzeugen vorOrt meist längst verstorben sind.

Private Initiativen zur Erhaltung genetischerVielfalt beim ObstDer 1990 wiedergegründete Pomologen-Vereine.V. versucht, das Wissen um alte Obstsortenin Deutschland wieder zusammenzutragen,auch die alten „Landsorten“ – Regional- undLokalsorten – zu identifizieren und zu ihrer Er-haltung beizutragen. Auf inzwischen Hundertenvon „Apfeltagen“ mit Sortenschauen alter Sor-ten und ähnlichen Veranstaltungen (mit zumTeil vierstelligen Besucherzahlen) haben imletzten Jahrzehnt in ganz Deutschland Zehn-tausende das Angebot genutzt, ihre altenObstsorten durch Sortenkundler des Pomolo-gen-Vereins bestimmen zu lassen. Umgekehrterhielt der Pomologen-Verein auf diesen Ver-anstaltungen aus der Bevölkerung zahlreicheHinweise auf – zum Teil verschollene – alteSorten, die auf diese Weise vor dem Ver-schwinden bewahrt werden konnten. DieseRecherche- und Erhaltungsarbeit erfolgt in derRegel in Zusammenarbeit mit regionalen Ver-anstaltern und Initiativen wie Obst- und Gar-tenbauvereinen, Landschaftspflegeverbänden,Naturschutzverbänden, Landwirten, Biologi-schen Stationen, Landwirtschafts- und Um-weltämtern etc.Allein beim Apfel sind inzwischen rund 400 bis500 alte Sorten wieder aufgefunden und sicheridentifiziert. Die Anlage von Samenbanken undsowie exakte Aufzeichnungen von Bestim-mungsmerkmalen dieser Sorten durch die Sor-tenkundler des Pomologen-Vereins erleichterneine Identifizierung auch für die Zukunft. BeiBirnen- sowie Pflaumen- und Zwetschgensor-ten liegen die Zahlen der sicher identifiziertenalten Sorten erheblich geringer. Insbesonderebei den Birnensorten muß ein großer Teil desalten Sortiments von vor 1900 als verschollengelten. Bei der Identifizierung alter Mostbirnen-sorten Süddeutschlands sind besonders dieArbeiten der Sortenerhaltungszentrale Baden-Württemberg an der Universität Hohenheimsowie weitere Projekte aus Baden-Württem-berg hervorzuheben (HARTMANN et al. 2003;

HEPPERLE 1994). Am schwierigsten gestaltetsich die Identifizierungs- und Erhaltungsarbeitalter Obstsorten bei den Süß- und Sauerkir-schen, da die Unterscheidbarkeit einzelnerSorten hier die größten Schwierigkeiten berei-tet.Zahlreiche Projekte zur Identifizierung undpraktischen Erhaltung alter Sorten sind in denletzten Jahren durch den Pomologen-Vereinoder einzelne seiner Mitglieder – oft in Koope-ration mit anderen Organisationen oder Ver-bänden – initiiert worden oder wurden durchden Pomologen-Verein fachlich begleitet. AlsBeispiele seien hier genannt:– zahlreiche Projekte zur Kartierung alter

Obstsorten in der Landschaft, so z.B. in derRhön, im Saarland, in Thüringen, Sachsen,Sachsen-Anhalt, Mittelfranken oder Südnie-dersachsen, welche ihrerseits als Grund-lage für Streuobst-Sortenempfehlungen inden jeweiligen Regionen dienen (SCHU-RICHT 1997, SCHUBOTH 1997, Grüne Liga2002, PUSCH 2002, BANNIER & KÖNIG-HOLL-RAH 2002) .

– zahlreiche Sortenerhaltungsgärten mit meistregionaltypischen alten Sorten in der Ver-antwortung von Privatleuten oder regiona-len/lokalen Vereinen. Im Gegensatz zu denmeisten Institutspflanzungen sind dieseSortengärten meist hochstämmig auf stark-wüchsigen Sämlingsunterlagen angelegtund befinden sich z.T. auch in klimatischenRaulagen (wie z.B. der Rhön), in denen dieGefahr von Feuerbrand- oder Scharka-Infektionen geringer ist. Soweit eine obst-bauliche Pflege dieser Pflanzungen gewähr-leistet werden kann, dienen sie der lang-fristigen Erhaltung alter Obstsorten.

– Sichtung der Sortimentspflanzung alterObstsorten der Genbank Dresden-Pillnitzauf ihre Sortenechtheit durch Sortenkundlerdes Pomologen-Vereins. Angestrebt sindweitere Sichtungen von Sortimenten alterObstsorten an Obstbauinstituten und inReisermuttergärten.

– ein bislang einzigartiges Projekt zur Erhal-tung alter Süßkirschensorten, in dem sämt-liche in Deutschland noch verfügbaren Sor-ten – z.T. aus mehreren Herkünften – ver-mehrt und auf Hochstamm parallel inmehreren Sortenerhaltungsgärten gepflanztwerden. Dies wird eine Sortenklärung anSüßkirschen für die Zukunft erheblich er-leichtern.

– Reiserbörsen alter Obstsorten auf regiona-ler Ebene.

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– eine bisher beispiellose Recherchearbeitzur Sortenbestimmung von alten Pflaumen-,Mirabellen- und Zwetschgensorten, die esermöglicht, eine Identifizierung allein an-hand von Fruchtsteinen vorzunehmen(KRÖLING 2003).

– Seminare zu alten Obstsorten sowie zuMethoden systematischer Obstsortenbe-stimmung (meist in Zusammenarbeit mitregionalen Veranstaltern).

Die Auflistung dieser Aktivitäten mag verdeut-lichen, in welchem Umfang Privatpersonen undprivate Vereine/Verbände sich für die Erhaltungeiner genetischen Vielfalt beim Obst engagie-ren, sowohl was die praktische Erhaltungsar-beit angeht als auch die sortenkundlich fach-liche Begleitung.

Notwendig: Gemeinsame Erhaltungsarbeitöffentlicher Stellen und privater InitiativenDie öffentliche Aufgabe und Verpflichtung,auch im Obstbereich – im Sinne der Biodiversi-tätskonvention von Rio 1992 – für die Erhal-tung einer genetischen Vielfalt Sorge zu tra-gen, kann durch das umfassende Engagementprivater Einzelpersonen, Landwirte, Initiativenund Vereine zwar ergänzt und befruchtet, nichtaber ersetzt werden.Zur Erhaltung genetischer Vielfalt beim Obsterscheinen mir folgende Maßnahmen uner-lässlich:– Vervollständigung der Genbank um alle

noch auffindbaren alten Obstsorten, welchein Deutschland einst eine gewisse Verbrei-tung hatten (auch regional verbreitete Sor-ten) oder welche durch besondere Eigen-schaften (z.B. Baumgesundheit) auffallen.

– Überprüfung der Sortimentspflanzungen al-ter Sorten der Genbank sowie der Obstbau-institute und Reisermuttergärten auf ihreSortenechtheit (in Kooperation mit demPomologen-Verein).

– Erhaltung des kompletten Sortiments nichtnur an einem einzigen Standort (und nichtnur in feuerbrandgefährdeten Weinbaula-gen sowie nicht nur auf schwachwachsen-den Wurzelunterlagen). Kombination vonzentraler Genbank (mit intensivem Pflan-zenschutz) und dezentralen Arboreten(ohne Pflanzenschutz).

– Systematische Beobachtung alter undneuerer Sorten auf ihre Anfälligkeit gegen-über Krankheiten und Schädlingen in denohne Pflanzenschutz betriebenen Arbore-ten.

– Regionale Obstsortenkartierungen in denStreuobstbeständen der einzelnen Regio-

nen Deutschlands a) zum Auffinden alterSorten b) zur Bewertung ihrer Standorteig-nung sowie ihrer (Resistenz-)Eigenschaf-ten.

– Zentrale Dokumentationsstelle.– Aufnahme der Themen Biodiversität und

Sortenkunde in die Lehrpläne obstbaulicherHoch- und Fachschulausbildung.

Kooperationen von staatlichen Stellen bzw.öffentlichen Einrichtungen mit privaten Organi-sationen sowie ein gegenseitiger Wissens-transfer sind notwendig und wünschenswert.Ein schleichender Rückzug staatlicher Stellenaus der Finanzierung der Erhaltungsarbeit ge-netischer Ressourcen beim Obst – wie in denletzten Jahren zu beobachten – ist aus Sichtdes Pomologen-Vereins im Sinne der Riokon-vention zur Biodiversität sowie im Sinne einerlangfristigen Zukunftssicherung eines umwelt-verträglichen Obstbaus nicht zu verantworten.

Literaturverzeichnis:BANNIER, H. & KÖNIG-HOLLRAH, K. (2002): AlteObstsorten für Südniedersachsen neu ent-deckt; Sortenwahl, Pflanzung und Pflege imStreuobstanbau. Hrsg. Landschaftspflegever-band Landkreis Göttingen e.V., ReinhäuserLandstr. 4, 37083 Göttingen.BANNIER, H., MÜLLER, W. & SCHURICHT, W.:Fehlerhaftes Bildmaterial in der aktuellen Obst-sortenliteratur. Zur Bestimmung alter Apfel-sorten. Hrsg. Pomologen-Verein e.V. (Bezugs-adresse: Pom. Verein e.V., H.J. Bannier,Dorotheenstr.26, 33615 Bielefeld).BLASER, A. (2001): Die Vielfalt pflanzengene-tischer Ressourcen am Beispiel verfügbarerApfelsorten in den Baumschulen Deutsch-lands. Diplomarbeit an der FH Fulda, Fach-bereich Haushalt und Ernährung, Dezember2001.Bundessortenamt (2000): Beschreibende Sor-tenliste Kernobst. Landbuch-Vlg. Hannover,1. Aufl.FISCHER, M. (1995): Farbatlas Obstsorten.Ulmer Vlg., 1. Aufl. .FISCHER, M. (2003): Genbank Obst alsArbeitsgruppe des IPK Gatersleben in Pillnitzgeschlossen – Bilanz 10-jähriger Arbeit. In:Jahresheft 2003, Hrsg. Pomologen-Verein e.V.(Bezugsadresse: Pomologen-Verein e.V., W.Müller, Brünlasberg 52, 08280 Aue).

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FUCHS, E. (1999): Nachweis von Resistenz ge-genüber dem Scharka-Virus in alten deutschenAprikosensorten. - Erwerbsobstbau 41: 26-32.GRÜNE LIGA (2002): Kernobstsorten fürStreuobstwiesen in Mittelthüringen. Bestands-aufnahme und Sortenempfehlung. Hrsg. GrüneLiga, Landesverband Thüringen e.V., Goethe-platz 9 B, 99423 Weimar.HARTMANN, W. et al. (2003): Farbatlas AlteObstsorten. Ulmer-Vlg., 2. Aufl.HEPPERLE, TH. (1994): Der Mostbirnengarten„Unterer Frickhof“. Hrsg. (u.a.): Amt für Land-wirtschaft, Landschafts- und Bodenkultur,Rauensteinstr.64, 88662 Überlingen.KRÖLING, F.: (2003): Zwetschen, Pflaumen,Reneclauden, Mirabellen, Spillinge. Tabellen-werk zur Unterstützung der Sortenbestimmung.2. Vorausdruck 2003 (zu beziehen beim Autor:Falk Kröling, Puntheide 6, 33619 Bielefeld).PUSCH, J.: (2002): Die Obstsorten im Kyff-häusergebirge. - In: Veröffentlichungen desNaturkundemuseums Erfurt, Heft 21: 103-121.RÖSLER, M. (1994): Der Streuobstbau. Modell-fall für eine großflächige, umweltverträglicheLandnutzung. - In: Ohne Moos nichts los.Streuobst zu gerechten Preisen. Tagungsdoku-mentation Dezember 1994.RUESS, F. (2000): Abwehrmechanismus undResistenz bei Kernobst. In: Resistente undrobuste Kernobstsorten. Hrsg. Staatl. Lehr-und Versuchsanstalt für Wein- und ObstbauWeinsberg.

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Vortrag anlässlich der Tagung „In situ (onfarm)-Erhaltung und Pflanzenzüchtung“ derGesellschaft für Pflanzenzüchtung e.V. am20.11.2003 in Göttingen.

Hans-Joachim Bannier(Pomologen-Verein)

Dorotheenstr. 2633615 Bielefeld

Tel./Fax 0521-121635

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