Gentechnik und Landwirtschaft: Zwischen Utopie und Dystopie · Konzerne DuPont und Dow AgroSciences...

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Gentechnik und Landwirtschaft: Zwischen Utopie und Dystopie von Christoph Then Sonderdruck anlässlich des 10-jährigen Jubiläums von Testbiotech e.V. (2019) Entnommen aus dem Begleitband zur Ausstellung „Utopie Landwirtschaft“ herausgegeben von Max Böhm, Birgit Angerer, Jan Borgmann, Birgit Jauernig, Ruth Kilian und Bertram Popp Ingolstadt 2018. Bild: Thomas Neumaier. Stand: Mai 2018

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Gentechnik und Landwirtschaft:

Zwischen Utopie und Dystopie

von Christoph Then

Sonderdruck

anlässlich des 10-jährigen Jubiläums von Testbiotech e.V. (2019)

Entnommen aus dem Begleitband zur Ausstellung „Utopie Landwirtschaft“

herausgegeben von

Max Böhm, Birgit Angerer, Jan Borgmann, Birgit Jauernig, Ruth Kilian und Bertram Popp

Ingolstadt 2018. Bild: Thomas Neumaier.

Stand: Mai 2018

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Gentechnik in der Landwirtschaft ist seit über 20 Jahren einkontrovers diskutiertes Thema. Während die Industrie stetsbemüht ist, das Thema als eine weltweite Erfolgsgeschichtedarzustellen, zieht dieser Beitrag eine kritische Bilanz der bis-her vorliegenden Erfahrungen. Davon ausgehend wird dannder Ausblick auf Utopien, beziehungsweise Dystopien ver-sucht, die weitgehend unbemerkt schon ganz nahe gerücktsind. Bisher hat die Gentechnik in der europäischen Land-wirtschaft nur oberflächliche Spuren hinterlassen. Doch durchdie Einführung neuer Gentechnik-Verfahren (Genome Edit-ing) könnte sich das in naher Zukunft ändern.

1. Gentechnisch veränderte Pflanzen und Tierein der Landwirtschaft – wo stehen wir heute?

Auf dem Acker werden gentechnisch veränderte Pflanzen vorallem auf dem amerikanischen Kontinent auf MillionenHektar angebaut. In den Tier Ställen dagegen werden bisheute keine gentechnisch veränderten „Superbullen“ oder„Riesenschweine“ gehalten.

Am deutlichsten sieht man die Folgen des Einsatzes derGentechnik im internationalen Saatgutgeschäft. Hier be-stimmen inzwischen Konzerne wie Monsanto aus dem Be-reich der Agrochemie, die das Geschäft mit den Gentechnik-Saaten kontrollieren, auch weitgehend den Markt fürkonventionelle Züchtung.

Die Vorteile des Gentechnik-Saatguts für Landwirte sindsehr umstritten: Zwar hält es zunächst teilweise, was es ver-spricht. Auf lange Sicht kehren sich die scheinbaren Vortei-le aber meist ins Gegenteil um. Gentechnisch verändertePflanzen, die einen nennenswerten Nutzen für die Verbrau-cherInnen bieten, gibt es bis heute nicht.

Gentechnik-Saatgut: Um welche Eigenschaften geht es?Die gentechnisch veränderten Pflanzen, die heute auf demMarkt sind, wurden in ihrem Grundprinzip bereits in den1980er Jahren entwickelt: Der Einbau der neuen Gene erfolgt

über Verfahren wie den Partikelbeschuss der Zellen (soge-nannte „Genkanone“). Dabei werden Metallpartikel mit DNA-Sequenzen beschichtet und so beschleunigt, dass sie in die Zel-len eindringen. Dort werden dann einige der Gen-Sequenzennach dem Zufallsprinzip in das Erbgut der Pflanzen eingebaut.

Ob die Pflanzen, die aus diesem Verfahren hervorgehen,überhaupt lebensfähig sind und das zusätzliche Gen so intaktist, dass es auch biologisch aktiv ist, stellt sich erst hinterher,bei der Auswahl der Pflanzen und im Versuchsanbau, heraus.Dabei sind unerwartete Nebeneffekte des Eingriffes in dasErbgut die Regel. Bei einer anderen, oft verwendeten Me-thode werden die zusätzlichen Gene über gentechnisch ver-änderte Bakterien übertragen (Agrobacterium tumefaciens).Auch dabei gibt es keine Kontrolle über den Einbau der DNA.Diese Verfahren sind bis heute im Einsatz. Fast alle derzeit an-gebauten Gentechnik-Pflanzen wurden mit diesen Methodenerstellt.

Übertragen werden bisher insbesondere genetische Ver-anlagungen aus Bakterien: Gene für Enzyme, welche diePflanzen resistent gegenüber Herbiziden machen sollen, oderGene für die Produktion von Insektengiften, die sonst nur inBodenbakterien vorkommen. Fast alle heute angebautenGentechnik-Pflanzen sind insektengiftig und/oder gegenHerbizide wie Glyphosat resistent gemacht.

Weltweit werden gentechnisch veränderte Pflanzen nachAngaben der Industrie auf etwa 180 Millionen Hektar an-gebaut. Das Geschäft konzentriert sich im Wesentlichenauf fünf Länder: USA, Brasilien, Argentinien, Kanada undIndien. In Nordamerika werden unter anderem gentechnischveränderter Raps, Baumwolle, Mais und Soja angebaut. InArgentinien und Brasilien spielt insbesondere der Anbautransgener Soja für den Export eine große Rolle, während inAsien (Indien, China) vor allem Gentechnik-Baumwolle Markt-bedeutung erlangt hat.

Die Entwicklung blieb bis zum Jahr 2018 also mehr oderweniger bei den Produkten stehen, die von der Agrochemiebereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entwi-ckelt wurden. Damit bleiben die auf dem Markt befindlichenProdukte weit hinter dem zurück, was beispielsweise 1992

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Gentechnik und Landwirtschaft: Zwischen Utopie und Dystopie

Christoph Then (Abbildungen: Testbiotech: Claudia Radig-Willy)

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als Prognose der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung) veröffentlicht wurde. DieseVorhersage beruhte auf Aussagen der Industrie (Tabelle 1).

Nur in wenigen Ländern der EU, vor allem in Spanien, wirdgentechnisch veränderter Mais angebaut, der ein Insektengiftproduziert. Andere transgene Pflanzen, v.a. Soja, Mais, Baum-wolle, Raps und Zuckerüben, werden zwar in die EU importiert,nicht aber angebaut. Bereits über 60 verschiedene Variantenvon Gentechnik-Pflanzen (Events) sind für den Import zuge-lassen. Dabei ist vor allem Soja als Eiweißfuttermittel wirt-schaftlich bedeutend. 30 bis 40 Millionen Tonnen werden

jedes Jahr in die EU importiert. Fleisch, Milch und Eier vonTieren, die damit gefüttert wurden, müssen nicht als „gen-technisch verändert“ gekennzeichnet werden.

Gentechnik-Pflanzen finden in Europa bisher kaum Ver-wendung in Lebensmitteln. Produkte, die aus gentechnischveränderten Organismen hergestellt werden, unterliegen,anders als in den USA, einer Kennzeichnungspflicht undsind damit für die VerbraucherInnen erkennbar. Diese lehnenden Kauf derartiger Produkte aber mehrheitlich ab. Das hatdazu geführt, dass der Lebensmittelhandel bisher auf die Ein-führung dieser Produkte verzichtet hat.

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1990-1993 Herbizid- und Pestizidtoleranz

1993-1996 Verbesserung in der Verarbeitung

1996-1999Industrielle Produktion pharmazeutischer Produkte

1999-2003 Umwelttoleranz

2003-2006 Direkte Ertragssteigerungen

Abbildung 1: Eigenschaften der zum Import in die EU zugelassenenPflanzen (Stand Anfang 2018). Quelle: EU-Kommission/Testbiotechwww.testbiotech.org/database

Tabelle 1: „Voraussichtliche Entwicklung der Agrobiotechnologie“,OECD 1992 (entnommen aus: Handbuch Agrogentechnik, C. Then, Oekom Verlag, 2015)

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© www.testbiotech.org

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Abbildung 2: Konzerne, die gentechnisch veränderte Pflanzen in der EUzur Zulassung anmelden (Stand Anfang 2018). Quelle: EU-Kommissi-on/Testbiotech www.testbiotech.org/database

© www.testbiotech.org35

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MonsantoBASF

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DuPont

Abbildung 3: Anzahl der verschiedenen „Events“ gentechnisch verän-derter Pflanzen, die zum Import in die EU zugelassen sind, nach Arten(Stand Anfang 2018). Quelle: EU-Kommission/Testbiotechwww.test-biotech.org/database

© www.testbiotech.org

BaumwolleMais Raps

Soja

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Gentechnik-Pflanzen: Ein Geschäft für KonzerneBeim Anbau kommt Saatgut zum Einsatz, das überwiegendvon Konzernen der Agrochemie-Branche angeboten wird.Milliardenschwere Konzerne wie Monsanto oder DuPont lie-fern patentierte Gene, kaufen Saatgutfirmen auf und könnenmittels Patenten oft die gesamte Wertschöpfung bis hin zuden VerbraucherInnen kontrollieren. Auch in Europa wurdenbereits rund 2.500 Patente auf Gentechnik-Pflanzen erteilt. Mögliche Märkte und Absatzwege für Gentechnik-Produktewurden schon sehr früh systematisch analysiert, um die Ge-winnstrategien der Konzerne abzusichern. 1992 veröffent-lichte die OECD eine Umfrage bei den Firmen, die im BereichAgrogentechnik tätig waren. Das Ergebnis: Die Firmen woll-ten von Anfang an „Kontrolle über strategische Saatgut-märkte gewinnen“ und auch auf den „nachgelagerten Märk-ten Fuß fassen“ (OECD, 1992), also in der Landwirtschaft undLebensmittelerzeugung.

Gentechnik und Patentrecht wurden hier also von An-fang an planmäßig dazu eingesetzt, die Kontrolle über diegenetischen Ressourcen und die Lebensmittelherstellungzu erlangen. In den letzten Jahren hat der Konzentrations-prozess im Bereich der Saatgutproduktion immer weiter zu-genommen – und ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht:Bayer hat den US-Konzern Monsanto übernommen, auch dieKonzerne DuPont und Dow AgroSciences sind bereitsfusioniert, entstanden ist der weltgrößte Chemiekonzernmit dem Namen DowDuPont. Zusammen mit dem Syngen-ta-Konzern, der von ChemCina übernommen werden soll,

kontrollieren diese (dann nur noch) drei Konzerne mehr als50 Prozent des globalen Marktes für kommerziell gehan-deltes Saatgut.

Welche Vorteile bietet das Gentechnik-Saatgut?Bei der Einführung der Agro-Gentechnik profitierten dieLandwirte kurzfristig vor allem bei der Bekämpfung von Un-kräutern. Der Anbau von Soja, Baumwolle und Mais wurdedurch den Einsatz des Herbizids Glyphosat (Roundup), gegendas die Nutzpflanzen resistent gemacht wurden, vereinfacht.Es wurden Arbeitszeit und andere Spritzmittel eingespart. DasTotalherbizid kann auch dann ausgebracht werden, wenn dieNutzpflanzen bereits auf dem Feld wachsen und wirkte zu-nächst gegen alle Unkrautarten. Nur die Gentechnik-Pflanzenüberlebten. Das führte zu einer raschen Adaption des Gen-technik-Saatgutes. In Argentinien, Brasilien und den USA sind80 bis 100 Prozent der Sojapflanzen gentechnisch verändert.

Auch bei der Bekämpfung von Schädlingen wie demMaiszünsler oder dem Wurzelbohrer hilft das Gentechnik-Saatgut den Landwirten. Fressen diese Schädlinge an Pflan-zen wie Mais oder Baumwolle, sterben sie an einem Insek-tengift, das ursprünglich nur in Bodenbakterien produziertwurde.

Dagegen haben gentechnisch veränderte Pflanzen, diefür die VerbraucherInnen einen Nutzen haben könnten, bis-lang keine Bedeutung erlangt. Die mit großem Medienrum-mel 1994 in den USA eingeführte „Anti-Matsch-Tomate“war ein teurer Flop. Die Tomate, die länger frisch bleiben soll-

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The possible scenario is that of a market controlled for over

60% by only 3 companies. They are not directly affecting

farmers. But they have a strong lobbying power.

And regulation is what really makes the difference in terms

of protecting intellectual property rights as well as farmers’

rights to use their genetic resources, and to enter the

market without having to pay royalties.

If the antitrust says "yes"

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19% 8% 4% 3%26%

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Abbildung 4: Nach der Übernahme von Monsanto durch Bayer, werden ungefähr 60 Prozent des internationalen Saatgutmarktes von nur drei Un-ternehmen kontrolliert. Quelle: http://seedcontrol.eu/en/market.php

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te, ließ sich nur mit erhöhtem Aufwand ernten und fand beiden Verbrauchern in den USA wenig Zustimmung. Schon1997 war die Tomate wieder vom Markt verschwunden. Seit-dem wurde immer wieder angekündigt, dass Produkte vongentechnisch veränderten Pflanzen mit speziellem Nutzen fürdie VerbraucherInnen (wie der „Golden Rice“, siehe unten)hergestellt würden – bisher ist aber nichts auf den Markt ge-kommen, das eine tatsächliche Bedeutung für die Verbrau-cherInnen hat.

Was ist über die Nachteile bekannt?In der Datenbank „Weedscience“ (www.weedscience.org)wird seit einigen Jahren das vermehrte Auftreten glyphosat-resistenter Unkräuter in den Anbauländern der Gentechnik-Soja registriert. Diese Unkräuter können mit Glyphosat ent-weder gar nicht mehr oder nur noch mit sehr hohenDosierungen bekämpft werden. Ein wesentlicher Grund fürdie Ausbreitung dieser Unkräuter ist der übermäßige Ge-brauch von Glyphosat auf Feldern mit gentechnisch verän-derten Pflanzen.

Weltweit werden inzwischen 38 Unkrautarten aufge-führt, die sich an Glyphosat angepasst haben, davon kommen17 in den USA vor, 10 in Argentinien und 8 in Brasilien.Nach Angabe von Experten stieg der Aufwand an Glyphosatbeim Anbau von Sojabohnen in Südamerika seit Einführungder Gentechnik-Pflanzen von zunächst rund 1 kg/Hektar aufgegenwärtig über 4 kg/Hektar.

In den USA sind bereits über die Hälfte der Anbaufläche vongentechnisch veränderter Soja von der Ausbreitung resis-tenter Unkräuter betroffen. Zum Teil müssen die meterhohenUnkräuter per Hand aus den Feldern entfernt werden. Diewirtschaftlichen Schäden sind erheblich. Die Industrie ver-dient an dieser Situation: Sie verkauft inzwischen patentier-tes Saatgut, das gleich gegen mehrere Herbizide resistent ge-macht ist. So profitieren die Konzerne doppelt: Am Verkaufdes Saatguts und am Verkauf von immer mehr Pestiziden.

Auch beim Anbau von Pflanzen, die ein Insektengift pro-duzieren, zeigen sich beim großflächigen Anbau ernsthafteProbleme: Sowohl bei der Baumwolle als auch beim Maispassten sich die Schädlinge an. Es wurden dabei einerseitsResistenzen gegen die Gifte beobachtet, andererseits aberauch das vermehrte Auftreten anderer Schädlinge. Auch hierreagiert die Industrie nach dem Motto „viel hilft viel“ und ver-marktet inzwischen Saatgut, das sechs verschiedene Insek-tengifte produziert – und trotzdem ist der Schutz gegenSchädlinge wie den Wurzelbohrer in vielen Regionen nichtmehr gegeben.

Aus den bisherigen Erfahrungen kann man die Tendenz ab-leiten, dass wirtschaftliche Nachteile der Agro-Gentechnikdesto deutlicher zu Tage treten, je länger die gentechnisch

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Abbildung 5: Prozentualer Anbau gentechnisch veränderter Pflanzenbeim Anbau von Mais, Soja und Baumwolle von 2000–2014 (USA).Quelle: USDA, http://www.ers.usda.gov/data-products/adoption-of-geneticallyengineered-crops-in-the-us. aspx (Auswertung: Testbiotech)

Abbildung 6: Das Produkt SmartStax der Firmen Monsanto und DowAgroSciences. Der Mais ist eine Kombination aus vier gentechnisch ver-änderten Events (MON88017, MON89034, DP59122, DP1507). Erproduziert sechs Bt-Insektengifte (Cry-Toxine aus verschiedenen Ba-cillus-thuringiensis-Stämmen, eines davon, Cry1A105, ist synthetischhergestellt) und ist tolerant gegen zwei Herbizide (Glufosinat durch dasPAT-Enzym und Glyphosat durch das EPSPS-Enzym). Grafik: IStockfo-to/nicoolayh

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veränderten Pflanzen angebaut werden. Mit der zunehmen-den Anpassung von Unkräutern und Insektenschädlingen anden Anbau der Gentechnik-Pflanzen steigt die Giftbelastungfür die Umwelt ebenso wie die Arbeitsbelastung für dieLandwirte.

Selbst wenn die Gentechnik-Pflanzen bei ihrer EinführungVorteile wie eine vereinfachte Unkrautbekämpfung gebo-ten hatten, verschwanden diese anfänglichen Vorteile nachmehrjährigem Anbau oft. Zugleich zeigt sich eine deutlicheTendenz von steigenden operativen Kosten und stagnieren-den Erntemengen.

Parallel führt die marktbeherrschende Stellung von Kon-zernen wie Monsanto zu mangelndem Wettbewerb bei denAnbietern von Saatgut und zu einer technologischen Pfad-abhängigkeit. Mangels Alternativen verlieren die Landwirtedie Möglichkeit zur Auswahl.

Gentechnik und WelternährungDer Beitrag der Gentechnik zur Welternährung ist umstritten.Deutlich wird das zum Beispiel beim sogenannten „GoldenRice“, der zur Versorgung mit Vitamin A in den Entwick-lungsländern beitragen soll. Befürworter dieses Projektes ge-hen soweit, den KritikerInnen der Gentechnik einen „Holo-caust“ an Millionen Menschen vorzuwerfen, weil sie dieEinführung des Gentechnik-Reis erschweren würden. Dabei

fehlen bis heute ganz offensichtlich entscheidende Daten,welche die Sicherheit und die technische Qualität des Reisesbetreffen: So gibt es Unklarheit darüber, wie viel von dementscheidenden Beta-Carotin im Reis noch vorhanden ist,wenn dieser über mehrere Wochen oder Monate gelagertwird. Zudem wurden auch keine Fütterungsversuche mit denPflanzen zur Überprüfung gesundheitlicher Risiken veröf-fentlicht. Aus Daten, die bei den Behörden in Neuseelandund Australien vorgelegt wurden, ist abzulesen, dass derReis wesentlich weniger Carotine produziert, als ursprünglichangegeben wurde: Statt 30 mg/kg werden demnach nurrund 7 mg/kg erreicht.

Fehlgeleitete Nobelpreisträger?

Im Juni 2016 unterzeichneten mehr als 100 Nobelpreisträgereinen Aufruf für den Anbau des sogenannten Golden Rice. DieInitiative, die sich vor allem gegen Kritiker der Verwendunggentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft rich-tet, wurde von Sir RICHARD ROBERTS angestoßen, der 1993 denNobelpreis für Medizin erhalten hatte. Roberts arbeitet seit vie-len Jahren für die Firma New England Biolabs und ist dort alswissenschaftlicher Leiter tätig. Zu deren Kunden gehören Kon-zerne wie Monsanto, Syngenta und DowAgroSciences. Es istdurchaus möglich, dass die finanziellen Interessen von NewEngland Biolabs einem Großteil der Unterzeichnenden desAufrufs nicht bekannt gewesen ist und diese davon ausgingen,einen Aufruf zu unterzeichnen, der ausschließlich von huma-nitärem Engagement geleitet ist.

Zudem scheinen die Nobelpreisträger auch davon aus-zugehen, dass es bereits geeignete Sorten gäbe. Bisher gibtes aber noch keine „Golden Rice“-Sorten, die ausreichend fürden kommerziellen Anbau getestet sind. Bis 2018 ist der Gen-technik-Reis nirgendwo auf der Welt zum Anbau zugelassen.

Das International Rice Research Institute (IRRI) hat imJahr 2016 in Australien und Neuseeland einen Antrag aufImportzulassung für den sogenannten „Golden Rice“ bean-tragt. Offensichtlich startete die Gentechnik-Industrie eineUnterstützungskampagne für die Zulassung: Bei der zustän-digen Behörde Food Standards Australia New Zealand(FSANZ) gingen entsprechende Briefe von Konzernen wieBayer, Dow und Syngenta ein.

Die vorgelegten Daten zeigen, dass die Reispflanzenauf dem Feld wesentlich geringere Mengen an Carotino-iden produzieren, als aufgrund von bisherigen Labordaten

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Abbildung 7: Entwicklung der Kosten fur Saatgut (seed, US Dollar proacre), Kosten fur Pestizide (Chemicals, US Dollar pro Acre) und Ern-teerträge (Yield, Bushel pro Acre, Angaben in 10% der üblichen Maß-einheiten) beim Anbau von Mais (Corn) in den USA von 1996-2016.Quelle: Zahlen des USDA www.ers.usda.gov/data-products/commo-dity-costs-and-returns (Auswertung: Testbiotech)

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angenommen wurde. Nämlich nur 3,5 –10.9 μg/g anstatt30 μg/g. Zudem lag der Anteil des besonders wichtigen Be-ta-Carotins nur bei 59 Prozent der Gesamt-Carotinoide, an-statt wie erwartet bei 80 Prozent. Es ist unklar, ob dieser we-sentlich niedrigere Gehalt durch die verwendeten Sortenoder durch die Reaktion der Pflanzen auf bestimmte Um-weltbedingungen bedingt ist. Weitere deutliche Verluste anBeta-Carotinen treten durch Lagerung, Verarbeitung undKochen auf. Insgesamt kann aus den vorgelegten Daten ge-folgert werden, dass die Erwartungen an die Gesundheitsef-fekte des „Golden Rice“, die unter anderem durch die Ein-gaben der Industrie geweckt werden, unter realistischenBedingungen nicht erfüllt werden können.

Insgesamt gibt es trotz vieler Versprechungen bisherkaum Beispiele für Anwendungen der Gentechnik, die ge-eignet sein könnten, die Welternährung zu sichern, mehr Er-trag zu bringen oder eine bessere Anpassung der Pflanzen anden Klimawandel zu ermöglichen.

Gentechnik-Tiere kein ErfolgDie ersten gentechnisch veränderten Säugetiere entstandennoch vor den ersten transgenen Pflanzen: 1974 erschien dieerste Publikation über gentechnisch veränderte Mäuse, 1983wurden die ersten Gentechnik-Pflanzen hergestellt. 1985 gabes bereits erste gentechnisch veränderte Schafe und Schwei-ne. In den 1980er und 1990er Jahren arbeitete man u.a. anSchweinen, die gripperesistent sein sollten, andere wurden inihren Wachstumshormongenen manipuliert. Schafe solltenWolle produzieren, ohne dass sie geschoren werden müssen,Kühe sollten menschliche Muttermilch geben und Schweinesollten ihr Futter besser verdauen. Bekannt wurden u.a. Schwei-ne mit zusätzlichen Wachstumshormonen, die schneller wuch-sen, aber gleichzeitig an Organ- und Gelenkschäden litten. Ei-nen erheblichen Schub erhielten die Bemühungen mitKlonschaf Dolly: Vor Dolly war jedes Gentechnik-Tier eine ArtEinzelstück, jetzt konnte man weitgehend identische Kopienvon gentechnisch manipulierten Tieren herstellen.

Ein besonderes Problem, das sich schon bei den Schwei-nen zeigte, die ein zusätzliches Wachstumshormon produ-zieren: Die gentechnische Veränderung von Säugetieren istethisch nicht neutral. Für die Erzeugung einzelner gentech-nisch veränderter Säugetiere müssen hohe Tierverluste inKauf genommen werden, da viele Tiere aufgrund von Gen-De-fekten nicht lebend geboren werden oder aber getötet wer-den müssen, weil sie krank sind oder die gentechnische Ver-änderung nicht erfolgreich war. Zudem werden weitere Tiereals Leihmütter, Eizellen- oder Embryonen-Spender genutzt,was für diese Tiere ebenfalls mit Leiden und Schmerzen ver-bunden ist.

Bei Nutztieren wie Kühen sind einige hundert Versuchenötig, um einzelne der „erwünschten“ gentechnisch verän-derten Tiere zu erhalten. Dabei werden in der Regel Klon-Verfahren als Zwischenschritte genutzt, die zu hohen Tier-verlusten und Krankheitsraten führen. Die „erfolgreich“ gen-technisch veränderten Tiere leiden oft lebenslang an ihren ge-wollten oder ungewollten Gen-Defekten oder auch an derProduktion von zusätzlichen Stoffwechselprodukten, die ihrenOrganismus belasten.

Bisher gelangte keines der gentechnisch verändertenNutztiere zum Zwecke der Lebensmittelgewinnung zur Ver-marktung. Mit einer Ausnahme: 2017 wurde laut Medien-berichten erstmals gentechnisch veränderter Lachs in Kana-da verkauft, ohne als gentechnisch verändert gekennzeichnet

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Abbildung 8: Überblick über maximal und minimal gemessene Wertean Beta-Carotin in Linien des sogenannten Golden Rice 2 nach (1) Pai-ne et al. (2005) [Linien „GR2“] und nach (2) IRRI/ Phil Rice (2016)[Linie „PSB RC82“]. Die Messdaten von Paine et al wurden auf den Ge-halt an Beta-Carotene umgerechnet (basierend auf der Angabe, dassder Gehalt an Beta-Carotenen rund 80 Prozent des Gesamtgehaltes anCarotenen entsprach). www.testbiotech.org/node/2150

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zu sein. Dieser Lachs ist eine Art Gentechnik-Dino: Das Patentauf den Lachs (EP578653) wurde schon 1992 eingereichtund 2001 in Europa erteilt. Das Patent ist inzwischen erlo-schen und die Firma Aquabounty stand zwischenzeitlich so-gar kurz vor dem Bankrott. Finanziert wird die Produktion desGentechnik-Lachs inzwischen von der US Firma Intrexon, dieauch an Klonbullen, gentechnisch veränderte Schimpansenund Gentechnik-Insekten verdienen will.

In den nächsten Jahren soll eine neue Generation vonGentechnik-Tieren zur landwirtschaftlichen Nutzung auf denMarkt gebracht werden, über die in den nächsten Abschnit-ten berichtet wird.

2. Gene Drive and Genome Editing: Die neue Gentechnik

Die Anwendungen von neuen Gentechnikverfahren betreffenwie die bisherige Gentechnik Nutzpflanzen und Nutztiere, ge-

hen aber darüber hinaus: Die möglichen Anwendungen er-strecken sich auch auf natürliche Populationen wie Insekten,Wildtiere, Bäume und Gräser. Der Mensch plant gewisser-maßen einen Eingriff in die „Keimbahn“ der biologischenVielfalt. Die möglichen Folgen betreffen auch die Landwirt-schaft der Zukunft.

Genome Editing: Worum geht es?Neue Gentechnikverfahren, auch Genome Editing genannt,versprechen präzisere Veränderungen des Erbguts als bishe-rige Verfahren der Gentechnik. Während die bisherigen Ver-fahren zum Beispiel mittels sogenannter „Schrotschussver-fahren“ oft artfremde Gene ungezielt in das Erbgut einesOrganismus einschleusen, sollen es die neuen Verfahren er-möglichen, Abschnitte auf der DNA (Gene) gezielter zu ver-ändern.

Wichtigstes Werkzeug hierbei sind sogenannte „Gen-Scheren“ (oder „Nukleasen“) und hier insbesondere CRISPR/Cas9. Mithilfe sogenannter „Guide-RNA“ werden diese in der

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Gelenkschäden

Geschwollene Ovarien

Verlust desSchwanzes

Unfruchtbarkeit

Euterentzündungen

Verhaltensänderungen

ErhöhteAnfälligekeit fürKrankheiten

UnerkannteAusscheidung vonKrankheitsserregern

Lahmheiten

GeschwollenerUnterleib

Schäden aninneren Organen

Ungewollte Veränderungen der Milch

Schwergeburten,Totgeburten& Missbildungen

Abbildung 9: In verschiedenen Publikationen beschriebene Folgen des Eingriffes ins Erbgut von Nutztieren www.testbiotech.org/sites/default/fi-les/Testbiotech_Ethik_Gentechnik-Tiere-Patente.pdf Kuh-Silhouette nach fotolia/andrew7726

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Zelle zum Zielort im Erbgut geführt und wirken dort wie mo-lekulare Scheren: Sie fügen einen Bruch in die DNA ein. Andieser Bruchstelle können so mithilfe von CRISPR/Cas Geneentfernt und/oder stillgelegt, zusätzliche Gene eingebautund/oder die Aktivität von natürlichen Genen (durch Ein-griffe in die Epigenetik) verändert werden.

Welche Anwendungen gibt es bereits und welche Ziele werden verfolgt?Die Zahl der Publikationen, in denen beschrieben wird, wel-che Tier- und Pflanzenarten mithilfe der Genome Editing-Me-thoden bereits „erfolgreich“ verändert wurden, nimmt stetig

zu. Zugelassen, aber noch nicht auf dem Markt verfügbar,sind in den USA u.a. bereits ein Mais mit veränderter Stär-kezusammensetzung sowie Speisepilze mit verzögerter Bräu-nung. In vielen weiteren Fällen liegt bereits ein ,proof of con-cept‘, ein Beweis der Machbarkeit, vor. Unter anderem gibtes Publikationen über den Einsatz von CRISPR an Luzerne,Gerste, Kartoffeln, Mais, Petunien, Reis, Salat, Soja, Sorg-hum, Tomaten, Weizen sowie Zitrusbäumen und Pappeln. Genome Editing und Nukleasen werden auch bei Nutztierenwie Schweinen, Kühen, Schafen, Geflügel und Insekten wieBienen, aber auch an Fliegen, Mücken und Schmetterlingenerprobt.

Bekannte Akteure wie Bayer, Monsanto und DuPont wol-len ihre Geschäfte ausweiten, auch große Tierzuchtkonzernewie Genus bringen sich in Position. Sie versprechen wie bis-her die „Rettung der Welternährung“, werden dabei nach wievor vorwiegend von kurzfristigen Profit-Interessen gesteuert,die durch Patente auf Pflanzen und Tiere zum Ausdruckkommen.

In vielen Fällen wird Genome Editing dabei auch nur alsFortsetzung der bisherigen Ziele der Gentechnik gesehen.Neue Anwendungen, die Nutzen für die VerbraucherInnenbringen sollen, lassen oft gar keine „echten“ Vorteile erwar-ten, wie zum Beispiel Pilze oder Kartoffeln, die sich nach demAufschneiden nicht mehr braun verfärben sollen. Projekte,

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Abbildung 10: Schematische Darstellung der Nuklease CRISPR/Cas 9(Testbiotech)

Tabelle 2: Beispiele für Patentanträge der US-Firma Recombinetics auf Nutztiere, die mit Nukleasen gentechnisch verändert werden. Quelle: www.test-biotech.org/node/2077

Anmeldenummer Ansprüche

WO 2012116274Verfahren unter Verwendung von Nukleasen, um Muskelwachstum bei Rindern undSchweinen zu erhöhen.

WO 2013192316Verfahren unter Verwendung von Nukleasen, um Muskelmasse bei bestimmten Rinder-rassen zu erhöhen sowie für Hornlosigkeit

WO 2014070887Nutztiere, die nicht geschlechtsreif werden und länger gemästet werden können. Land-wirte können die Tiere nicht für die Zucht nutzen.

WO 2014110552Hornlose Rinder, wobei sowohl natürliche genetische Veranlagungen als auch syntheti-sche Gene zur Anwendung kommen sollen

WO 2015168125 Mehrfach gentechnisch veränderte Tiere

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deren Nutzen man ernsthaft diskutieren kann, betreffen bei-spielsweise Ertragssteigerungen oder die Anpassung vonPflanzen an den Klimawandel. Bisher war die konventionel-le Züchtung hier aber wesentlich erfolgreicher als die Gen-technik. Das hat gute Gründe: Anders als die Gentechnik ar-beitet die konventionelle Pflanzenzüchtung mit dem ganzenSystem der Zelle und der natürlichen Genregulation. So las-sen sich Aktivität und kombinatorische Wirkungen von tau-senden Erbanlagen auf einmal nutzen. Dagegen arbeitetdie Gentechnik mit einzelnen „Bausteinen“, die oft nichtausreichend an das Gesamtsystem angepasst sind.

Gene Drives: Turbo GentechnikBei einem sogenannten Gene Drive wird ein Gen, das für dieBildung der Nuklease („Gen-Schere“) verantwortlich ist, dau-erhaft im Erbgut verankert. Der Mechanismus der gentech-nischen Veränderung wird vererbt und soll sich selbstorga-nisiert, ohne weiteres Zutun des Menschen und außerhalb derKontrolle des Labors, in jeder Generation wiederholen.

Damit werden die natürlichen Regeln der Vererbung au-ßer Kraft gesetzt: Wird nach der Paarung mit einem natürli-chen Partner das ursprüngliche Gen auf die Nachkommen ver-erbt, wird diese Erbvariante von der Nuklease erkannt undentsprechend verändert. Das führt im Ergebnisdazu, dass sich die neuen Erbanlagen wesent-lich schneller in den Populationen ausbreitenkönnen, als das sonst der Fall wäre.

In der Landwirtschaft gibt es verschiedeneAnwendungsmöglichkeiten von Gene Drives.Diskutiert werden u.a. die Möglichkeiten, Schad-insekten oder Nagetiere zu dezimieren oder aus-zurotten, indem man bei ihnen Gene implan-tiert, die zu Unfruchtbarkeit führen. Eine andereMöglichkeit wäre zum Beispiel, Unkräuter emp-findlicher gegen Herbizide zu machen.

Während Gentechnik im Bereich der Land-wirtschaft bisher vor allem an Nutzpflanzenzum Einsatz kommt, sollen diese neuen Me-thoden künftig auch an natürlichen Popula-tionen angewandt werden. Die Ausbreitunggentechnisch veränderter Organismen in derUmwelt wäre somit nicht mehr wie bisher un-erwünscht und zu vermeiden, sondern das aus-drückliche Ziel. Der Prozess der gentechnischen

Veränderung würde sich vom Labor in die Organismen ver-lagern – und sich dort selbstorganisiert in jeder Generationwiederholen.

Damit ergeben sich Risiken einer neuen Dimension: Na-türliche Populationen weisen oft große Unterschiede in ihremErbgut auf. Das kann zu Wechselwirkungen mit den neu ein-gefügten Genen und Veränderungen in den biologischen Ei-genschaften der Organismen führen, die man bei Laborver-suchen nicht vorhersehen kann. Die Vermehrung undAusbreitung der Gentechnik-Organismen kann vielleicht imComputer simuliert werden. Wie jene sich in der Umwelt abertatsächlich verhalten, wird sich erst zeigen, nachdem sie frei-gesetzt wurden. Geht der Versuch schief, kann die biologischeVielfalt genau wie die Landwirtschaft erheblichen Schadennehmen.

Bisher sind diese Anwendungen noch nicht praxisreif.Vielmehr zeigen Laborexperimente, dass die bisher entwi-ckelten Gene Drives nach einigen Generationen nicht mehrfunktionieren. Stattdessen treten gehäuft ungewollte Muta-tion im Erbgut auf. Viele ExpertInnen warnen davor, dass dieFolgen einer Freisetzung von Organismen, die mit GeneDrives ausgestattet sind, nicht mehr rückgängig gemacht wer-den könnten.

Abbildung 11: Gene-Drive (Mutagenic Chain Reaction) basiert auf Verfahren der Syn-thetischen Gentechnik und „CRISPR“, die es ermöglichen, dass sich eine gentechnischeVeränderung in jeder Generation auch auf das Partner-Chromosom überträgt. Im Ergebniswird sich die neue Gen-Information damit wesentlich schneller in einer Population ver-breiten (Testbiotech, adaptiert nach Ledford, 2015, www.testbiotech.org/node/1338)

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Wie sollen die neuen Gentechnik-Verfahren reguliert werden?Die Befürworter der Gentechnik sprechen sich dafür aus,dass viele Pflanzen und Tiere, die mit den neuen Gentech-nikverfahren verändert wurden, von der Gentechnik-Regu-lierung ausgenommen werden. Die Begründung: Die Ver-änderungen seien oft nur gering und manchmal kaum vonkonventionell gezüchteten Pflanzen zu unterscheiden. Oftwird deshalb von „neuen Züchtungsmethoden“ oder „Muta-genese“ gesprochen. Werden die neuen Verfahren nicht alsGentechnik eingestuft, würden auch eingehende Zulassungs-und Risikoprüfungen neuer Organismen wegfallen. Begrün-det wird diese Forderung mit dem Argument, dass keine art-fremde DNA in den jeweiligen Organismus eingebracht wirdund sich gen-editierte Pflanzen deshalb nicht von „natürli-chen“ oder auch konventionell gezüchteten Pflanzen unter-scheiden würden.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass diese Ar-gumente stark an wirtschaftlichen Interessen ausgerichtetsind: Die neuen Methoden sollen so als sicher präsentiert wer-den, damit sie möglichst ohne Zulassungsprüfung und Kenn-zeichnung vermarktet werden dürfen.

Die Genome Editing Verfahren werden von Fachleutenoft mit der Funktionsweise eines Textbearbeitungsprogrammsverglichen: Teile des natürlichen Genoms können entferntoder verändert werden – ähnlich wie Buchstaben oder Text-abschnitte in einem Textbearbeitungsprogramm. Als Argu-ment, dass es sich deshalb nicht um Gentechnik handle, eignet sich dies aber kaum. Um beim Vergleich mit der Text-bearbeitung zu bleiben: Es würde ja auch niemand auf dieIdee kommen, zu behaupten, dass die „Editierung“ folgenderAussage keinen Unterschied macht:

DIE DNA BESCHREIBT ORGANISMEN NICHT VOLLSTÄNDIGin:DIE DNA BESCHREIBT ORGANISMEN VOLLSTÄNDIG

Die Bedeutung des Satzes verändert sich radikal, obgleich kei-nerlei „fremde“ beziehungsweise externe Wörter eingefügtwurden.

Es gibt grundlegende Unterschiede zwischen GenomeEditing und der in der konventionellen Pflanzenzüchtung ein-

gesetzten Mutagenese. Diese sind auch für die Risikobe-wertung und die Unterscheidbarkeit beziehungsweise Iden-tifikation der veränderten Pflanzen wichtig. Beispielsweisehinterlassen die Verfahren des Genome Editing in der Regeleinen spezifischen Fingerabdruck im Erbgut. Er ermöglichtnicht nur eine Identifizierung der damit veränderten Pflanzen,sondern ist auch für die Risikobewertung relevant. Die wich-tigsten Unterschiede zwischen Genome Editing und Muta-genese werden in der folgenden Tabelle zusammengefasst.

Bislang gibt es mit Genome Editing und insbesondereCRISPR/Cas kaum Erfahrungen in der Praxis. Diese neuenGentechnikverfahren und mit ihnen veränderte Pflanzenund Tiere müssen deswegen in jedem Fall besonders sorg-fältig auf Risiken geprüft werden, bevor über ihren Einsatzin der Landwirtschaft oder sonstige Freisetzungen ent-schieden wird.

Tatsächlich sind nicht nur die Verfahren, sondern auch dieWirkungen der Nukleasen von spontanen beziehungsweisezufälligen Veränderungen des Erbgutes oft grundsätzlichverschieden, auch wenn keine zusätzliche DNA eingefügtwird. Zudem gibt es viele Hinweise auf Risiken und Neben-wirkungen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die neu-en Gentechnikverfahren nicht so zuverlässig und präzisefunktionieren, wie oft behauptet.

Sollten die neuen Gentechnikverfahren nicht unter dasGentechnikgesetz fallen, so würden auf diesem Wege ent-standene Pflanzen und Tiere ohne Zulassungsverfahrenund Kennzeichnung auf den Markt kommen. In diesemFall gäbe es keine Möglichkeit, die Risiken durch unab-hängige ExpertInnen zu untersuchen, keine geeignetenNachweisverfahren und auch keine Möglichkeit, unkon-trollierte Ausbreitungen zu verhindern oder die Organis-men wieder aus der Umwelt zu entfernen. Von den Folgenkönnten alle nachkommenden Generationen betroffen sein.

Gibt es keine Zulassungsverfahren, so gibt es oft auchnicht einmal Angaben über die genaue Art der gentechni-schen Veränderung. Eine Ausbreitung kann so unkontrollierterfolgen und über Jahre unbemerkt bleiben. In den USA istdieser Zustand bereits Realität: Auch Organismen mit hohemAusbreitungspotential wie gentechnisch veränderte Gräsersind dort oft von der Gentechnikregulierung ausgenommen.Unsere Generation wird Entscheidungen treffen, deren Fol-gen weit in die Zukunft reichen.

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Kriterium Züchtung / Mutagenese Neue Gentechnik / Genome Editing

Zielsetzung Zufallsmutagenese oder Mutationszüchtung erhöht dieBandbreite genetischer Varianten im Genom der Pflan-zen innerhalb kürzerer Zeiträume, als dies normalerwei-se der Fall ist. Die erhöhte genetische Vielfalt ist dannder Ausgangspunkt für die Selektion, auf die weitereKreuzungen und Selektion folgen.

Genome Editing dient nicht dazu, die Vielfalt der gene-tischen Variationen zu erhöhen. Vielmehr sollen nurganz bestimmte Veränderungen im Erbgut herbeigeführtwerden.

Eingriffstiefe Die Verfahren zur konventionellen Züchtung setzen im-mer an der ganzen Zelle oder dem ganzen Organismusan und greifen nicht direkt in die DNA im Zellkern ein.Dies gilt auch für die Mutationszüchtung (Mutagenese).Die Pflanzen oder deren Zellen werden Reizen ausge-setzt, die von außen auf sie einwirken.

Es wird direkt auf der Ebene der DNA eingegriffen. Da-zu muss in jedem Fall im Labor synthetisiertes Materialvon außen in die Zellen eingefügt werden (DNA, RNA,Enzyme).

Natürliche Genregulation

Das Ergebnis der Mutagenese ist von verschiedenenFaktoren abhängig. Dazu zählen die Art der mutations-auslösenden Reize, aber auch zelleigene Mechanismenwie der Gen-Ort, Reparaturmechanismen und andereElemente der Genregulation.

Die erzielten Effekte können unter Umgehung der na-türlichen Genregulation und den Regeln der Vererbungerzielt werden.

Muster der Gen-Veränderung im Erbgut

Speziell Pflanzen haben oft ein redundantes Genom, dasheißt Gen-Informationen wiederholen sich. Gen-Se-quenzen mit der gleichen Gen-Information werden durchVerfahren der konventionellen Züchtung und Mutati-onszüchtung in der Regel nicht gleichzeitig verändert.

Genome Editing verursacht in der Regel multiple Ver-änderungen: Alle Gen-Sequenzen / Gen-Cluster mit dergleichen Gen-Informationen werden auf einmal verän-dert.

Epigenetik Im Erbgut existieren besonders konservierte Bereiche, indenen natürlicherweise keine oder nur selten Zufalls-mutationen stattfinden und die evolutionär wenig Ver-änderung unterliegen. Dies betrifft unter anderem Ge-ne, die für das Überleben des Organismus oder dieStabilität der Art besonders wichtig sind.

Auch besonders geschützte Bereiche sind der Verände-rung durch CRISPR/Cas grundsätzlich zugänglich. Da-bei kann die Effizienz aber jeweils unterschiedlich sein.

Reparaturprozesse im Erbgut

Oft bleiben im Erbgut neben der neuen, mutierten Gen-Version auch ursprüngliche Gen-Versionen bestehen.Diese können als Vorlage für Reparaturprozesse dienen.

Wird eine durch CRISPR/Cas veränderte DNA durch diezelleigenen Reparatur mechanismen wieder in den ur-sprünglichen Status zurückversetzt, erkennt die Nuklea-se ihre Zielregion erneut und wird dort solange aktiv, bisdie ursprüngliche Struktur der DNA zerstört ist.

Mehrfache Gen-Veränderungen

Bei der Mutagenese werden in der Regel mehrere Gen-Orte auf einmal verändert. Das Ergebnis der Verände-rung ist für das jeweilige Verfahren aber nicht spezifisch.

Genom-Editierung ermöglicht es, mehrere gleiche oderauch unterschiedliche Gene auf einmal zu verändern.Solche Veränderungen erschaffen spezifische neue Kom-bina tionen an genetischen Eigenschaften. Auch wenndie einzelnen Veränderungen dabei nur kleine Ab-schnitte der DNA umfassen, können diese spezifischenVeränderungen in der Summe zu erheblichen Verände-rungen in den Eigenschaften der Organismen führen.

Unterscheidbarkeit Die Pflanzen sind in der Regel durch einen oder einigespezifische Gen-Orte identifizierbar.

Die Pflanzen sind oft am speziellen Muster (Fingerab-druck) der gen technischen Veränderungen erkennbar.Dazu kommen oft weitere gewollte oder ungewollteVerän derungen, die beim Zulassungsverfahren erfasstwerden können.

Tabelle 3: Unterschiede zwischen Züchtung bzw. Mutagenese und den neuen Gentechnikverfahren

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Gibt es keine Zulassungspflicht und keine Kennzeichnung derProdukte für die neuen Gentechnik-Organismen, würde das inder EU bisher maßgebliche Vorsorgeprinzip ausgehebelt undso der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft unmöglichgemacht. VerbraucherInnen und Landwirte würden so die not-wendige Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeit verlieren.

3. Die Risiken

Der Mensch hat bei der Nutzung der biologischen Vielfalt imRahmen der Züchtung bisher auf Mechanismen vertrauenkönnen, die sich im Laufe der Evolution entwickelt und er-probt haben. Auch bei Verfahren wie der Mutationszüchtungwerden diese Grenzen nicht überschritten.

Die Eigenschaften gentechnisch veränderter Pflanzenund Tiere stammen dagegen nicht aus der Nutzung der na-türlichen biologischen Vielfalt. Sie wurden nicht durch dieEvolution an die Umwelt angepasst.

Anders als bei den Verfahren der konventionellen Züch-tung, greifen die Verfahren der Gentechnik direkt ins Erbgutein und umgehen und verändern die natürlichen Mechanis-men der Vererbung und Genregulation. Dabei kann es zu

ungewollten Veränderungen der Struktur der Gene, der Gen-regulation und der Wechselwirkungen und genetischen Netz-werke kommen.

Das kann bei den gentechnisch veränderten Pflanzen undTieren unabhängig davon, ob diese mit neuer oder alterGentechnik manipuliert werden sehr unterschiedliche Folgenhaben.

Einige Beispiele: • Die Widerstandskraft der Pflanzen oder Tiere kann durch

den gentechnischen Eingriff geschwächt werden, wodurchsie anfälliger gegenüber Umwelteinflüssen werden wür-den. Eine schnelle Ausbreitung von Krankheiten undSchädlingen wäre die Folge.

• Veränderungen in der Zusammensetzung der assoziiertenMikroorganismen (Mikrobiom) sind in der Lage, derenNetzwerke zu unterbrechen oder zu stören.

• Veränderungen in der Zusammensetzung von biologischaktiven Substanzen (miRNA, volatile Stoffe) können dieKommunikation zwischen den Arten stören, was unter an-derem auch Bestäuber betreffen würde.

• Die natürlichen Populationen und damit die biologischeVielfalt könnten beeinträchtigt werden, wenn GVOs bei-

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Tabelle 4: Beispiele für mit neuen Gentechnik-Verfahren veränderte Organismen, die in den USA keiner speziellen Regulierung unterliegen. Quelle: www.testbiotech.org/node/2077

Pflanze Eigenschaft Entwickler Technologie Bescheid erteilt

Grüne Borstenhirse

Verzögerte Blüte Danforth Center CRISPR/Cas9 2017

KartoffelResistenz gegen Colletotrichum-Welkekrankheit (PP05-Kartoffel)

Simplot TALEN 2016

KartoffelVerbesserte Verarbeitung (PPO_KO-Kartoffel)

Calyxt TALEN 2016

Wachsmais Veränderte Stärkegehalt Pioneer CRISPR/Cas9 2016

Champignon Nicht bräunend Penn State University CRISPR/Cas9 2016

Weizen Mehltau-Resistenz Calyxt TALEN 2016

Mais Erhöhter Stärkeanteil Agrivida Meganuklease 2015

Reis Krankheitsresistenz Iowa State University TALEN 2015

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spielsweise invasive Eigenschaften erlangen oder die Men-ge der eingesetzten Spritzmittel zunimmt.

• Veränderungen in der Zusammensetzung der Inhaltsstof-fe von Pflanzen führen möglicherweise zu Beeinträchti-gungen bei denen, die sich von diesen Pflanzen ernähren,wie Menschen, Nutztiere, Wildtiere und/oder assoziierteNahrungsnetze.

• Geschützte Arten wie Schmetterlinge: Deren Raupen kön-nen das von den GV-Pflanzen produzierte Insektengiftzum Beispiel über Pollen aufnehmen.

Ein einzelner „Unfall“ kann erhebliche Folgen für die Umwelthaben. Wie groß die Schäden bei Mensch, Tier und Umwelttatsächlich sind, hängt auch von der Zahl der freigesetztenOrganismen und dem Ausmaß der betroffenen Flächen ab. Inwieweit gesundheitliche Schäden verursacht werden kön-nen, ist oft schwer zu sagen – geeignete Methoden zur Be-obachtung von Langzeitwirkungen fehlen, akute Beein-trächtigungen wären leichter zu identifizieren.

Besonders problematisch für die Bewertung der Um-weltrisiken sind gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere,die die Fähigkeit haben, in der Umwelt zu überdauern undsich dort zu vermehren. Verschiedene Gentechnik-Pflanzen

breiten sich tatsächlich bereits über den Acker hinaus un-kontrolliert in der Umwelt aus. Dazu gehören Gentechnik-Baumwolle, die sich in den Populationen wilder Baumwollein Mexiko wiederfindet, Gentechnik-Gräser, die in den USAvon Versuchsflächen entkommen sind, und Gentechnik-Raps.Niemand kann vorhersagen, welche Folgen eine unkontrol-lierte Ausbreitung derartiger Pflanzen langfristig haben wird.

Tatsächlich ist das Risiko der Ausbreitung der Gentechnik-Pflanzen höher als bisher angenommen: 2018 bestätigtenWissenschaftler aus China, wovor auch andere Experten be-reits gewarnt hatten: Die zusätzlich in die Pflanzen einge-bauten Gene können das Risiko für deren Ausbreitung in derUmwelt wesentlich erhöhen. Das wurde bei Gentechnik-Pflanzen nachgewiesen, die gegen das Spritzmittel Glypho-sat resistent gemacht sind. Kreuzen sich die Gentechnik-Pflanzen mit natürlichen Populationen, haben die Nach-kommen einen deutlichen Überlebensvorteil und könnendie transgene DNA wesentlich schneller verbreiten als bisherangenommen. Die neuen Untersuchungen zeigen, dass die-ses Umweltrisiko einzig vom zusätzlich eingefügten Gen ab-hängig ist, nicht aber, wie bisher angenommen, vom Einsatzvon Glyphosat.

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Gesundheit

Landwirtschaftliche Praxis

Boden

Mikrobiom

Evolution

Veränderung Inhaltsstoffe

Umwelt-Einflüsse Eingriff

Erbgut

Veränderung Genregulation

Biologische Vielfalt

Abbildung 12: Überblick über einige Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen mit der Umwelt(Handbuch Agrogentechnik, Oekom Verlag 2015)

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Hinweise auf ein erhöhtes Ausbreitungspotential transgenerPflanzen hatten sich bereits in früheren Untersuchungen ge-zeigt: Insbesondere Gentechnik-Raps und -Reis schafften esbereits mehrfach, ihre Gene in natürlichen Populationen zuverbreiten. Entgegen den Erwartungen konnten die darausentstandenen Nachkommen oft in der Umwelt überdauernund sich weiter vermehren. Die Wissenschaftler aus China erklären diese ungewollten Ef-fekte durch Veränderungen im Stoffwechsel der Pflanzen: Daszusätzlich in den Pflanzen gebildete Enzym (abgekürzt EPSPS)führt nach den Forschungsergebnissen nicht nur dazu, dassdie Pflanzen gegenüber Glyphosat resistent werden. Es greiftauch in den Stoffwechsel der Pflanzen ein, der wiederumWachstum und Fruchtbarkeit steuert. Das kann dazu führen,dass Nachkommen der Pflanzen mehr Samen bilden und resistenter gegen Umweltstress sind. Als mögliche Ursachefür die beobachteten Effekte nennen die chinesischen Forscher eine vermehrte Bildung des Hormons Auxin in denGentechnik-Pflanzen. Dieses pflanzliche Hormon ist an der Regulation für Wachstum, Fruchtbarkeit und die Anpassungan Umweltstress beteiligt. Interessanterweise können Stress-

faktoren wie Hitze und Trockenheit diese Tendenz zur un-kontrollierten Ausbreitung verstärken. (Weitere Informatio-nen und Quellen siehe: http://www.testbiotech.org/no-de/2183; zuletzt aufgerufen am 27.07.18).

Die Berücksichtigung von Nichtwissen und das VorsorgeprinzipMit der Einführung von gentechnisch veränderten Tierenund Pflanzen gehen die bisherigen Selbstverständlichkeitenim Umgang mit der belebten Natur verloren.

Oft hat man es mit Risiken zu tun, die zunächst gering er-scheinen. Über kurze Zeiträume kann man dieses Risiko ganzgut abschätzen. Man kann beispielsweise die genetischeStabilität gentechnisch veränderter Pflanzen über mehrereGenerationen hinweg prüfen, bevor diese zur Vermarktungzugelassen werden. Beobachtet man dabei keine Instabilität,wird angenommen, dass die Pflanze auch auf dem Ackerwahrscheinlich die Eigenschaften aufweist, die ihr vom Her-steller zugedacht wurden.

Was aber, wenn den Pflanzen der Sprung vom Acker ge-lingt und sie sich unkontrolliert in der Umwelt ausbreiten und

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Japan:Japan:RapsRaps

Philippinen:Philippinen:MaisMais

Australien:Australien:RapsRaps

Südafrika:Südafrika: Mais Mais

Panama:Panama:Moskitos*Moskitos*

Mexiko:Mexiko: Mais, Mais, BaumwolleBaumwolle

USA:USA:RapsRapsWeißes StraußgrasWeißes StraußgrasWeihrauchkiefer*Weihrauchkiefer*Weitere Gräser*Weitere Gräser*Luzerne*Luzerne*

Schweiz:Schweiz:RapsRaps

China: China: Pappeln,Pappeln,ReisReis Südkorea:Südkorea: Mais, Mais,

Baumwolle, SojaBaumwolle, Soja

Brasilien:Brasilien:Moskitos*Moskitos*

Kanada:Kanada:RapsRaps

Abbildung 13: Fälle von unkontrollierter Ausbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen (zusammengestellt von Testbiotech, www.testbiotech.org/node/1338) Silhouette: IStockfoto/Jakataka

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dabei auch Kreuzungen mit anderen Pflanzen entstehen?Dann müsste man eine Risikoabschätzung für sehr lange Zeit-räume vornehmen. Unerwartete Veränderungen im Genommüssten dann genauso wie Veränderungen der Umwelt miteinbezogen werden. Manche Risiken können sich erst auf derEbene von großen Populationen zeigen, die sich über meh-rere Generationen erstrecken. Auch veränderte Umweltbe-dingungen können zu Wechselwirkungen zwischen den Gen-technik-Pflanzen und der Umwelt führen, die man ursprüng-lich nicht erwarten konnte. Eine vernünftige Aussage darüber,wie groß das Risiko letztlich ist, lässt sich unter diesen Be-dingungen tatsächlich nicht treffen.

Dabei handelt es sich nicht um eine Art „Nichtwissen“,das sich auf absehbare Zeit auflösen lassen wird. Wissen-schaftstheoretiker sprechen von verschiedenen Kategoriendes Nichtwissens (Cultures of Non-Knowledge), wobei zwi-schen dem Nichtwissen unterschieden wird, das man durchweitere Forschung wesentlich verringern kann, und demje-nigen, das wir zumindest nach derzeitigem Kenntnisstandnicht auflösen können.

Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über ver-schiedene Arten des „Nichtwissens“. Die Probleme im Um-gang mit der Gentechnik liegen demnach darin begründet,dass viele wichtige Fragen nicht gestellt werden können,weil wir gar nicht wissen, was wir fragen müssten (Dimensi-on 1) oder weil zentrale Fragen mit dem derzeitigen Instru-mentarium der Wissenschaft nicht beantwortet werden kön-nen (Dimension 3). Sie könnten aber auch gewollt sein: Weilman bestimmte Produkte gewinnbringend vermarkten möch-te, werden Risiken negiert (Dimension 2).

Die Fragen nach den Grenzen des Wissens werden oft zu-gunsten wirtschaftlicher Interessen verdrängt. Jedoch: dieGrenzen unseres Wissens anzuerkennen, ist wichtig, wenn

man sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Gen-und Biotechnologie einsetzt. Wo das gesicherte Wissen aufhört,müssen Vorsorge und Prävention einen hohen Stellenwert be-kommen. Das gilt ganz besonders dann, wenn es um die Zu-kunft der Landwirtschaft und die unserer Ernährung geht.

In den USA wird deutlich, dass die verfügbaren Gen-technik-Pflanzen kaum dazu geeignet sind, eine nachhaltigeund umweltfreundliche Landwirtschaft zu befördern. Statt ei-ne effektive Bekämpfung der Unkräuter mit weniger Herbi-ziden zu ermöglichen, hat man durch ihren Einsatz immerneue Herbizidresistenzen bei Unkräutern regelrecht heran-gezüchtet. Zudem passen sich auch die Insektenschädlingean die Gentechnik-Pflanzen an. Insgesamt geraten die Land-wirte so in eine Produktionslogik, die die Industrialisierungder Landwirtschaft immer weiter vorantreibt und die Kostenfür das Saatgut vervielfacht, ohne dass es zu bedeutsamenZuwächsen bei der Ernte oder signifikanten Einsparungen beiden Spritzmitteln kommen würde.

Ob sich die Gentechnik für die Landwirtschaft als Utopieoder Alptraum (bzw. Dystopie) erweisen wird, hängt ganz we-sentlich davon ab, ob wir es schaffen werden, dem Schutz vonMensch und Umwelt Vorrang vor kurzfristigen finanziellen In-teressen einzuräumen.

Dabei müssen wir insbesondere die Grenzen unseres Wis-sens ausreichend berücksichtigen. Zwar ist unser Wissen imBereich der Molekularbiologie in den letzten Jahren sprung-haft gewachsen. Damit sind aber auch viele neue Fragen überdie Beherrschbarkeit und Vorhersagbarkeit der Gentechnikaufgetreten.

Und, wie das Beispiel des EPSPS-Enzyms zeigt, können so-gar naheliegende Risiken über 20 Jahre lang falsch einge-schätzt werden: Wie bereits dargelegt, führt das Gen, das denPflanzen eine Resistenz gegen Glyphosat verleiht, gleichzei-

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Erste DimensionWahrnehmung des Nicht-Wissens

vollständig bewusst unbemerkt

Zweite Dimension Intention des Nicht-Wissens

unbeabsichtigt gewollt

Dritte DimensionVergänglichkeit des Nicht-Wissens

noch nicht bekannt kann nicht verstanden werden

Tabelle 5: Dimensionen des Nicht-Wissens (Nach: Boeschen et al., 2006, entnommen aus: Handbuch Agrogentechnik, Oekom Verlag 2015)

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tig dazu, dass auch das Risiko für eine unkontrollierte Aus-breitung der Pflanzen steigt. Bisher hatten Behörden und dieGentechnik-Industrie stets behauptet, dass das zusätzlicheGen keinen Überlebensvorteil für die Pflanzen bieten würde,wenn diese nicht zusätzlich mit Glyphosat behandelt werden.Jetzt zeigt sich, dass das Risiko auch dann gegeben ist, wennkein Glyphosat zum Einsatz kommt.

Es gibt in diesem Zusammenhang einen weiteren As-pekt, der für die Landwirtschaft und die Bekämpfung von Un-kräutern sehr wichtig werden könnte: Manche Unkrautartenverfügen natürlicherweise über Gene, die das EPSPS-Enzymbilden können. Doch die Aktivität dieser Gene ist normaler-

weise zu schwach, um die Unkräuter vor dem Einsatz von Gly-phosat zu schützen. Mehrere Unkrautarten haben sich abersehr erfolgreich an den Gebrauch von Glyphosat angepasst,indem sie die Aktivität der betreffenden Genabschnitte in ih-rem Erbgut vervielfältigen und so auch die Wirkung ihrerEPSPS-Enzyme erhöhen. Man spricht von epigenetischer An-passung. Die neuen Forschungsergebnisse legen nahe, dassdie Unkräuter auf diesem Weg zusätzlich eine höhere biolo-gische Fitness erlangen. Der großflächige Anbau der Gen-technik-Pflanzen führt demnach dazu, dass Superunkräuterentstehen, die sich noch schneller auf den Äckern ausbreitenkönnen als je zuvor.

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