Gentrification und Lebensstile - UZH · 2016-02-24 · GENTRIFICATION UND LEBENSSTILE II...

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Diplomarbeit am Geographischen Institut der Universität Zürich von Manuel Fuchs Gentrification und Lebensstile Ein Porträt über Gentrifier in einem Zürcher Aufwertungsgebiet (Stadtkreis 5) Frühjahr 2001 ausgeführt unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Elsasser Dr. André Odermatt eingereicht bei Prof. Dr. Hans Elsasser

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Diplomarbeit am Geographischen Institut der Universität Zürich

von Manuel Fuchs

Gentrification und Lebensstile

Ein Porträt über Gentrifier in einem Zürcher Aufwertungsgebiet (Stadtkreis 5)

Frühjahr 2001

ausgeführt unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Elsasser

Dr. André Odermatt

eingereicht bei Prof. Dr. Hans Elsasser

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Für meine Eltern

Gentrification und Lebensstile Ein Porträt über Gentrifier in einem Zürcher Aufwertungsgebiet (Stadtkreis 5)

Fuchs, Manuel: Gentrification und Lebensstile. Ein Porträt über Gentrifier in einem Zürcher Aufwertungsgebiet (Stadtkreis 5). Diplomarbeit am Geographischen Institut der Universität Zürich, ausgeführt unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Elsasser und Dr. André Odermatt, eingereicht bei Prof. Dr. Hans Elsasser im Frühjahr 2001.

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Vorwort

Den Entschluss, im Themengebiet der Stadtforschung die Diplomarbeit zu schreiben, fasste ich während meines Studienaufenthaltes in Berlin. In dieser Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit stadtspezifischen Fragestellungen und lernte dabei sowohl Probleme wie Chancen kennen, mit denen sich die Städte in der heutigen Zeit konfrontiert sehen. Ich begann dadurch die Stadt als soziale Veranstaltung besser zu begreifen, in der Personen mit unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft miteinander in Interaktion treten und jeweils ganz verschiedenartige Wünsche mit der städtischen Lebensweise verknüpfen. Neben der Beschäftigung mit den Theorien der Stadtforschung war ich aber in Berlin in erster Linie ein Bewohner einer Grossstadt und konnte so am reizüberfluteten Alltagsleben teilnehmen. Berlin war für mich während dieser Zeit zugleich ein Ort der Anonymität, an dem die eigene Biographie keine Rolle mehr spielte, wie auch ein Ort der Identifikation, an dem ich mich heimisch fühlte. An meinem Wohnort im Prenzlauer Berg konnte ich zudem miterleben, wie intensiv sich das Gesicht eines Stadtteilgebietes innerhalb kürzester Zeit verändern kann: Ehemalige Gemischtwarenläden wurden umgestaltet in noble Wein-handlungen oder exquisite Gourmetläden und aus alternativen Kneipen entstanden durch-gestylte Bars oder teure Restaurants. Dieser dynamische Wandel des Stadtteilgebietes – den man als Gentrification bezeichnet – begann mich mitsamt den sozialräumlichen Ursa-chen und Folgen zu interessieren. Dabei wurde mir bewusst, dass Städte keine starren Gebilde sind, sondern dass sie kontinuierlichen Veränderungen ausgesetzt sind. Die Be-deutung der Umgestaltung eines Stadtteilgebietes durch den Prozess der Gentrification liegt nun darin, dass damit ein tiefgreifender und schneller Wandel verbunden ist, welcher weit ausserhalb der “normalen” Veränderungen liegt. Die Dynamik der Gentrification wurde mir vergangenen Herbst erneut bewusst, als ich nach über einem Jahr Abwesenheit den Prenzlauer Berg wieder besuchen ging. Rund um den Kollwitz-Platz, wo die Verän-derungen am intensivsten verlaufen sind, haben in der Zwischenzeit auch die letzten Knei-pen und ursprünglichen Läden ihren Besitzer und ihr Angebot gewechselt. Und in den Seitenstrassen vom Kollwitz-Platz weg gibt es kaum einen Wohnblock mehr, der nicht in den letzten Jahren renoviert wurde. Sensibilisiert durch den Studienaufenthalt in Berlin sind mir nach meiner Rückkehr in die Schweiz im Zürcher Stadtkreis 5 deutliche Indizien der Gentrification aufgefallen. Vor dem Beginn dieser Arbeit kannte ich den Kreis 5 hauptsächlich aus der Sicht eines Bewoh-ners, lebte ich doch zwischen 1994 und 2000 insgesamt über fünf Jahre lang in diesem Stadtteilgebiet. Daher erinnere ich mich auch an die Zeit, als der Kreis 5 besonders wegen den vielen Drogenabhängigen und Dealern als Wohnort problematisiert wurde. Für viele Bewohner war der Kreis 5 aber bereits damals wegen der zentralen Lage, der bunten Be-völkerungsmischung und den vergleichsweise eher tieferen Wohnungsmieten eine interes-sante Wohngegend. Zudem war der Kreis 5 wegen den verschiedenen leerstehenden Kel-

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lergeschossen bekannt, in denen illegale Bars und Clubs eingerichtet waren und von denen man nur über Mund-zu-Mund-Propaganda erfahren konnte. In der Zwischenzeit hat sich einiges verändert und der Kreis 5 entwickelte sich für eine breite Bevölkerungsschicht immer stärker zu einem attraktiven Wohngebiet. Da die Diplomarbeit einen ersten Schlusspunkt des Studiums darstellt, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um mich an dieser Stelle bei allen Personen bedanken, die mich auf meinem universitären Weg begleitet und unterstützt haben. Insbesondere meinen Eltern bin ich zu grossem Dank verpflichtet, da sie mich moralisch und finanziell unterstützt haben und mir dadurch die Möglichkeit eröffneten, während den letzten Jahren eine ebenso lehrreiche wie interessante Studienzeit zu verbringen. Weiter gehört mein Dank meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen, mit denen ich zahllose persönliche und fachliche Gespräche führen durfte und mit denen ich ebenso viele angeregte wie entspannende Stunden verbringen konnte. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich auch bei all jenen Personen, die in unterschied-lichem Mass und auf verschiedenartige Weise am Zustandekommen dieser Diplomarbeit beteiligt waren. Allen voran bedanke ich mich bei meinem Betreuer Dr. André Odermatt. Er verstand es einerseits, mir insbesondere bei den “Meilensteinen” der Arbeit mit Rat zur Seite zu stehen und mir wichtige Inputs zu meiner Arbeitsweise wie auch zur Arbeit selber zu liefern. Andererseits schätzte ich seine kompetente und präzise Kritik, durch die ich zu weitergehenden Gedanken angeregt wurde. Einen Dank aussprechen möchte ich auch an Prof. Dr. Hans Elsasser für die gewährte Freiheit bei der Themenwahl und für die Unter-stützung bei verschiedenen studentischen Belangen. Des Weiteren gebührt ein grosses Dankeschön den Interviewpartnerinnen und Interview-partnern dieser Arbeit für ihre Offenheit gegenüber meiner Forschungsfrage wie auch für ihre Bereitschaft, mir einen Einblick in ihr städtisches Alltagsleben zu gewähren. Die durchgeführten Interviews sind mir in überaus guter Erinnerung. Zu guter Letzt möchte ich mich bei Urs Ziltener und meinem Vater, Dr. Stefan Fuchs, herzlich bedanken, dass sie diese Arbeit durchgelesen haben und mich auf inhaltliche Widersprüchlichkeiten oder Unklarheiten wie auch auf orthographische Fehler hingewie-sen haben. Zürich, im März 2001 Manuel Fuchs

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Inhalt

1 Einleitung und Fragestellung .......................................................................7

Fragestellung und Zielsetzung................................................................................9 Zum Aufbau der Arbeit ........................................................................................10

2 Gentrification ...............................................................................................13

2.1 Was ist Gentrification?......................................................................................... 13 2.1.1 Definition von Gentrification.....................................................................13 2.1.2 Formen des Aufwertungsprozesses ............................................................15

2.2 Beschreibung des Prozesses der Gentrification.................................................... 16 2.2.1 Die Akteure im Gentrifications-Prozess.....................................................17 2.2.2 Verlauf und Phasen von Gentrification......................................................19

2.3 Erklärung von Gentrifizierung.............................................................................. 22 2.3.1 Angebotsseite: Bodenmarkt und Wohnungswesen ....................................23 2.3.2 Nachfrageseite: veränderte Lebensstile und Wohnpräferenzen.................24 2.3.3 Handlungstheoretische Interpretation der Gentrification...........................26

2.4 Folgen und Bewertung von Gentrification ........................................................... 29 2.5 Methodische Probleme ......................................................................................... 31 2.6 Der Zürcher Stadtkreis 5....................................................................................... 33

2.6.1 Historische Entwicklung der Stadtkreise 4 und 5 ......................................33 2.6.2 Die Zürcher Stadtkreise 4 und 5 zwischen Auf- und Abwertung ..............35 2.6.3 Der Stadtkreis 5 als Gentrifications-Gebiet ...............................................39

3 Lebensstile...................................................................................................41

3.1 Was sind Lebensstile? .......................................................................................... 41 3.1.1 Definition von Lebensstil ...........................................................................42 3.1.2 Beziehung zwischen Individuum und Lebensstil .......................................44

3.2 Empirische Lebensstilforschung .......................................................................... 49 3.2.1 Operationalisierung von Lebensstilen........................................................49 3.2.2 Ein Modell des Lebensstilbegriffs .............................................................50

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IV

4 Empirischer Teil...........................................................................................57

4.1 Zielsetzung und Thesenbildung............................................................................ 57 4.2 Qualitative Erhebungsmethode............................................................................. 60

4.2.1 Die Auswahl der Erhebungsmethode .........................................................60 4.2.2 Die Art der Befragung................................................................................62 4.2.3 Methode der Datenerhebung ......................................................................63 4.2.4 Auswahl der befragten Personen................................................................63 4.2.5 Suche nach Gentrifiern...............................................................................64 4.2.6 Die Interviewsituation ................................................................................66 4.2.7 Stil der Kommunikation .............................................................................66 4.2.8 Datenerfassung ...........................................................................................67 4.2.9 Vorgehensweise bei der Analyse der Interviewdaten ................................68

4.3 Auswertung der Interviewdaten............................................................................ 68 4.3.1 Die Qualität urbaner Lebensweise .............................................................69 4.3.2 Raumbezug und Raumbedürfnisse .............................................................74 4.3.3 Raum als Szenerie ......................................................................................78 4.3.4 Wahrnehmung von räumlichen Veränderungen.........................................81 4.3.5 Soziale Kontakte ........................................................................................86 4.3.6 Soziale Beziehungen ..................................................................................90 4.3.7 Sozialräumlicher Kontext und Integration .................................................94

4.4 Methodenkritik ..................................................................................................... 98

5 Schlussbetrachtung .................................................................................. 101

5.1 Bewertung des idealtypischen Lebensstils ......................................................... 101 5.2 Die „Karrieren“ der Befragten............................................................................ 102 5.3 Konkurrenz um Raum und indirekte Verdrängung ............................................ 105 5.4 Präzisierung des Invasions-Sukzessions-Zyklus................................................. 110

Zusammenfassung.............................................................................................................. 113

Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 115

Anhang ............................................................................................................................ 121 I Schreiben für erste Kontaktaufnahme ................................................................ 122 II Interviewleitfaden für Diskussionsleiter............................................................. 124 III Kurzfragebogen für Interviewpartner ................................................................. 126 IV Informationsbogen für Interviewsituation .......................................................... 127 V Beobachtungsbogen für Wohnungseinrichtung.................................................. 128 VI Statistik über die Interviewpartner ..................................................................... 129 VII Übersichtskarte über den Zürcher Stadtkreis 5 .................................................. 130

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V

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Merkmale von Gentrification und Incumbent Upgrading ..........................16

Abbildung 2: Doppelter Invasions-Sukzessions-Zyklus der Gentrification.....................20

Abbildung 3: Schematische Beziehungen zwischen Akteuren, Handlungen und Kontext ................................................................................................28

Abbildung 4: Ausländeranteil in % der Wohnbevölkerung in den Zürcher Stadtkreisen ..................................................................................36

Abbildung 5: Zusammenschau der Planungsvorgaben der Grundeigentümer und der Stadt Zürich für Zürich-West ........................................................38

Abbildung 6: Modell des Lebensstilbegriffs ....................................................................51

Abbildung 7: Auswahl der Forschungsmethode ..............................................................61

Abbildung 8: Kontaktaufnahme mit potentiellen Gentrifiern ..........................................66

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1 Einleitung und Fragestellung

Die Rolle der Stadt als Wohn- und Lebensraum für eine kulturell vielfältige Gesellschaft ist ein zentrales Thema der Stadtforschung. Die Zukunft städtischer Lebensformen wird dabei ganz unterschiedlich eingeschätzt. Auf der einen Seite wird befürchtet, dass die Städte in steigendem Masse Brennpunkte sozialer Konflikte werden. Es wird von der „Krise der Städte“ gesprochen und die Frage aufgeworfen, ob der Zusammenhalt der Städte noch gegeben sei (vgl. Heitmeyer et al. 1998). Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Städte nicht mehr für alle Bewohner Zugang zu Arbeit, Wohnung und Bildung bereitstellen können und einzelne Stadträume sich immer stärker in arme und reiche Gebiete segregieren, ist der Zweifel an der Integrati-onsfähigkeit der Städte gerechtfertigt. Verstärkt wird die Segregation durch den Prozess der Suburbanisierung. Da die Städte – und insbesondere die innenstadtnahen Wohnviertel – als eher ungeeignete Lebensumwelten für das Heranwachsen von Kindern gelten, ziehen vor allem Familien aus den Innenstädten aus, um sich auf neu erschlossenem Land nieder-zulassen. Als Ergebnis der selektiven Wanderung ins Umland verbleiben überdurch-schnittlich viele immobile, arme und alte Bewohner in der Stadt. Der Verlust von wohl-habenderen Stadtbewohnern bewirkt ein sinkendes Steuereinkommen für die Kommunen. Am Beispiel der Stadt Zürich zeigt sich diese Entwicklung in den unterschiedlichen Steuer-füssen (vgl. Janos et al. 1997). Während die umliegenden reichen Gemeinden ihre Steuer-füsse zunehmend stärker senken können, wird die Forderung der Stadt Zürich nach einem finanziellen Lastenausgleich immer lauter. Durch die tiefen Steuerfüsse locken die reichen Gemeinden verstärkt wohlhabende Steuerzahler an, die jedoch immer noch das Konsum- oder Arbeitsangebot der Stadt nutzen. Durch das steigende Pendleraufkommen in die Stadt verschärfen sich die Verkehrsprobleme und Umweltbelastungen durch Lärm und Abgase innerhalb der Stadt. Neben den „inneren“ Herausforderungen der Städte haben sich zugleich die äusseren Rahmenbedingungen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geändert, was gemeinhin mit dem Schlagwort der Globalisierung umschrieben wird. Dadurch werden Standorte neu be-wertet und in die sich ausdifferenzierende internationale Arbeitsteilung einbezogen. Die Städte sind davon besonders betroffen, da ihre Rolle und Position im Städtesystem neu definiert werden. Der Strukturwandel setzt die Städte einem stetig stärker werdenden Wett-bewerbsdruck aus, der sie zwingt, sich in der internationalen Städtekonkurrenz besser zu behaupten (vgl. Häussermann und Roost 1998). Folglich sehen sich viele Städte mit neuen und wachsenden Aufgaben und Verantwortlich-keiten konfrontiert bei gleichzeitig sinkenden Steuereinnahmen. Die Stadtpolitik steht vor dem Dilemma, für eine wachsende, marginalisierte Stadtbevölkerung aufkommen zu müs-

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sen und gleichzeitig den gestiegenen Ansprüchen an die Infrastruktur nachzukommen, bei zunehmend unzureichender Finanzausstattung. Auf der anderen Seite können Indizien einer „Renaissance städtischer Lebensform“ fest-gestellt werden (Häussermann 1987). Alte, innenstadtnahe Wohngebiete werden durch eine wachsende Anzahl von meist jungen, gut ausgebildeten und zahlungskräftigen Personen bevölkert und umgestaltet:

„Altbauwohnungen sind wieder in (...). Baulücken werden nicht lediglich funktional auf-gefüllt, Neubauten werden „gestaltet“. Der anscheinend wieder wichtig gewordene Stras-senraum wird zur kunstvoll stilisierten Kulisse“ (ebd.:11).

Das Leben an den innenstädtischen Standorten wird von diesen Personen nicht als Muss angesehen. Viel eher haben diese Personen ihre zentrumsnahen Wohnorte bewusst ausge-wählt, um von den vielfältigen Möglichkeiten, die eine Stadt zu bieten hat, zu profitieren. Wie können nun aber diese Personen charakterisiert werden, für die das Leben in der Stadt mehr Lust als Frust bedeutet? Können sie als narzisstische Singles bezeichnet werden, die ausschliesslich im Hier und Jetzt zu leben versuchen, die materialistisch, konsum- und erfolgsorientiert sind, wie sie bisweilen – auf überspitzte Weise – skizziert werden (z.B. bei Müller-Thurau 1988)? Zweifel an einem solch undifferenzierten Bild sind sicherlich gerechtfertigt. Zur Erklärung der gewandelten Wohnstandortpräferenz der Neuzuzüger werden jeweils deren Lebensstile herangezogen, da diese die räumliche Nähe zu den städtischen Infra-struktureinrichtungen verlangen. Durch das neu erwachte Interesse an den städtischen Qualitäten durch die meist kinderlosen Personen aus der Mittel- oder Oberschicht fliessen Investitionen in heruntergekommene Kernstädte und führen zu einer Erneuerung der Stadt-struktur. Der Zusammenhang zwischen dem Angebot an und der Nachfrage von innen-städtischem Wohnraum ist jedoch ein wechselseitiger. So kann beispielsweise durch die Schaffung und geschickte Vermarktung von (luxuriösen) innenstadtnahen Wohnungen durch Investoren die Nachfrage danach bewusst gefördert werden (vgl. Kapitel 2.3). Auch in Zürich sind Umwertungstendenzen im Sinne einer Reurbanisierung zu erkennen. Es macht fast den Anschein, dass Zürich – aus der Sicht der Stadtentwicklung – in die besten Boom-Jahre zurückgekehrt ist. Als wichtiger Protagonist der „Zürcher Wende“ (Das Magazin, 12.8.2000) gilt auf parteipolitischer Ebene SP-Stadtrat Elmar Ledergerber, welcher vor gut drei Jahren das Hochbaudepartement von seiner Parteikollegin Ursula Koch übernommen hat. Hiess es unter Koch noch "Die Stadt ist gebaut"1, so heisst das Credo von Ledergerber "Zürich braucht Grossprojekte" und dies steht für Pragmatismus und Aufschwung. Erkennbar ist der Wachstumsschub innerhalb von Zürich vor allem in zwei städtischen Teilgebieten, im Zürcher Stadtkreis 5 und im neben dem Bahnhof Oerlikon gelegenen Zentrum Zürich Nord (ZZN). Während im Zentrum Zürich Nord hauptsächlich Industriebrachen zu Gewerbe-, Hotel- und Wohnräumen umfunktioniert 1 Damit meinte Koch jedoch nicht, dass in der Stadt Zürich nicht mehr gebaut werden kann. Vielmehr nimmt sie damit auf

die Tatsache Bezug, dass sich die Stadt Zürich an den Stadträndern nicht mehr weiter ausdehnen kann und eine Weiterentwicklung der Stadt folglich nur durch Veränderungen am Bestehenden möglich ist. So wurde denn auch die erste grosse Umnutzungsplanung auf den Arealen Escher-Wyss, Steinfels und dem Zentrum Zürich Nord (ZNN) unter der Ägide von Koch durchgeführt, wodurch neue Nutzungsformen auf diesen Gebieten erst ermöglicht wurden.

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EINLEITUNG UND FRAGESTELLUNG 9

werden, wird im Kreis 5 ein ehemaliges Arbeiterquartier im Sinne der Gentrification umgewertet (vgl. Kap. 2.6): Vor ein paar Jahren wurde der Kreis 5 vor allem wegen der Drogenszene als Wohngebiet problematisiert. Heute hat sich das Image gewandelt, wird doch der Kreis 5 – stark medial vermittelt – zum Trendquartier hochstilisiert, welches immer stärker von einer jungen, „urbanen Elite“ als Wohn- und Konsumort in Beschlag genommen werde. Dieser Umwertungsprozess des ehemals stigmatisierten Wohngebietes zum „goldenen Westen“ von Zürich ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit, wobei der Schwerpunkt auf dem Lebensstil dieser „urbanen Elite“ liegt, die allgemein als Gentrifier bezeichnet werden.

Fragestellung und Zielsetzung

Sowohl in der theoretischen wie auch in der empirischen Forschung wurden die verschie-denen Facetten von „Gentrification“ aus unterschiedlichen Perspektiven (sozial, räumlich, ökonomisch) diskutiert und untersucht. Den Ausgangspunkt nahm dieser wissenschaftliche Diskurs in den USA, wo der Begriff Ende der 70er Jahre meist in Verbindung mit der (Wieder-)Verdrängung der Schwarzen durch Weisse thematisiert wurde. Seit Ende der 80er Jahre wird der Prozess der Gentrification verstärkt auch in Europa diskutiert. Im Vergleich zu den amerikanischen Städten sind die Veränderungen in den Wohngebieten der europäischen (Gross-)Städte durch die Gentrification jedoch weniger tiefgreifend. Dennoch ist auch im deutschsprachigen Gebiet eine breite Literaturpalette auf diesem Forschungsgebiet entstanden – und ist weiter am Entstehen. Einen guten Überblick über den Stand der deutschsprachigen Forschung geben die beiden Sammelbände von Blasius und Dangschat (1990) sowie von Friedrichs und Kecskes (1996). Die in diesen beiden Bänden vorkommenden Fallstudien beziehen sich jedoch ausnahmslos auf deutsche Städte, wie beispielsweise Hamburg, Köln, Stuttgart etc. Innenstädtische Wohngebiete in Schwei-zer Städten hingegen wurden meines Wissens nie unter dem Aspekt der Gentrification untersucht. Dies mag zu einem Grossteil darin begründet sein, dass der Prozess der Gentri-fication in den eher kleinen Städten der Schweiz nie in der gleichen Intensität abläuft wie in Grossstädten. Daher ist es kaum verwunderlich, dass das Themengebiet Gentrification an den Schweizer Universitäten selbst innerhalb der Stadtforschung nur am Rande disku-tiert wird. Aus persönlicher Sicht stellt für mich dieser „Handlungsbedarf“ einen grund-legenden Ansporn dar, um mich mit dem Thema der Gentrification am Fallbeispiel des Zürcher Stadtkreis 5 zu beschäftigen. Schwerpunktmässig liegt mein Augenmerk auf den Lebensstilen der Gentrifier, da meiner Meinung nach in den meisten Forschungsansätzen von einem stereotypen Bild der Gentri-fier ausgegangen wird. Obwohl den Gentrifiern vor allem in den nachfrageseitigen An-sätzen von Gentrification die zentrale Rolle zukommt, gibt es kaum empirische Arbeiten, die sich auf differenzierte Weise mit dem Lebensstil von Gentrifiern auseinandersetzen. So wird in empirischen Untersuchungen meist der Lebensstil der Gentrifier mit anderen Le-bensstilgruppierungen verglichen, wobei hauptsächlich Instrumente der quantitativen Forschung zum Einsatz kommen. Mit der Durchführung von qualitativen Befragungen von

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Gentrifiern erhoffe ich, zu verfeinerten Aussagen über ihre Lebensstile zu kommen als dies mit quantitativen Untersuchungen möglich ist. Daraus entsteht ein Porträt über Gentrifier und ihre Vorstellungen von urbaner Lebensweise. Um die Lebensstile der Gentrifier cha-rakterisieren zu können, stehen folgende beiden Fragestellungen im Zentrum dieser Arbeit:

Frage 1 Welche Auffassung von städtischer Lebensweise haben die Gentrifier und welche Rolle spielen die stadträumlichen Eigenschaften der Wohnumgebung für ihr Identifikations- und Zugehörigkeitsgefühl?

Frage 2 Wie werden die stadträumlichen Qualitäten von den Gentrifiern im städtischen Alltag für die Verwirklichung ihrer Lebensformen (z.B. Konsummuster und Freizeitaktivitäten) genutzt und welche Bedeutung kommen den sozialen Kontakten und Beziehungen zu?

Die erste Frage bezieht sich vor allem auf die „mentale“ Seite des Lebensstils der Gentri-fier. Es geht darum, welche Wünsche und Vorstellungen die Gentrifier mit der städtischen Lebensweise verknüpfen und wie sie ihre Wohnumgebung wahrnehmen und bewerten. Die zweite Frage nimmt demgegenüber Bezug auf die „tätigkeitsspezifische“ Seite des Lebens-stils. Es soll abgeklärt werden, wie die Gentrifier innerhalb der Stadt ihr Alltagsleben organisieren, wie sie das städtische Dienstleistungsangebot nutzen, wie ihr soziales Netz-werk aufgebaut ist und wie sie es pflegen. In dieser Diplomarbeit werde ich also sowohl auf Handlungsorientierungen wie auch Handlungsmuster der Gentrifier eingehen, um differenzierte Aussagen über ihr Verhältnis zur Urbanität machen zu können und um nachzuprüfen, inwieweit der in der Literatur beschriebene Lebensstil der Gentrifier nur eine Konstruktion aus theoretischen Ansätzen ist, der so in der städtischen Alltagswelt nicht vorkommt.

Zum Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Im ersten Teil werden zuerst die theoretischen Grundlagen erarbeitet, um eine Basis für die anschlies-sende empirische Untersuchung zu schaffen. Der erste Themenschwerpunkt im theoretischen Abschnitt liegt beim Prozess der Gentrifi-cation. In einem ersten Schritt wird der Prozess der Gentrification inklusive den damit einhergehenden positiven und negativen Folgen beschrieben und bewertet. Die Gentrifica-tion wird dabei als doppelter Invasions-Sukzessions-Zyklus verstanden, bei dem status-höhere Zuzüger die statusniedrigeren Bewohner aus einem Wohnviertel verdrängen. Im Hinblick auf die empirische Arbeit werden zudem methodische Probleme der Gentrifica-tions-Forschung angesprochen. In einem zweiten Schritt werde ich mich in der Rolle eines „Stadtbummlers“ auf die Suche machen, um im Zürcher Stadtkreis 5 Indizien der Gentrifi-cation aufzufinden. Dies ist insofern von Bedeutung, als eine grundlegende Annahme dieser Arbeit ist, dass im Kreis 5 zur Zeit eine Umwertung im Sinne der Gentrification abläuft.

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Der zweite Themenschwerpunkt der theoretischen Arbeit liegt beim Begriff des Lebens-stils. Da Lebensstile in den Sozialwissenschaften zur Charakterisierung von Personen einer Bevölkerungsgruppe verwendet werden, können sie hauptsächlich als Bestandteil der Schichtungstheorien aufgefasst werden. In einem ersten Abschnitt steht daher die Bezie-hung zwischen den Lebensstilen und der sozialen Ungleichheit im Zentrum des Interesses, wobei die Individualisierungstheorie von Ulrich Beck (1986) mit der Habitustheorie von Pierre Bourdieu (1987) verglichen wird. Beide Autoren verwenden dabei in ihren Ansätzen an zentraler Stelle ein Lebensstilkonzept, gehen jedoch von unterschiedlichen Stand-punkten aus, was die Beziehung zwischen Individuum und Lebensstil betrifft. In einem zweiten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, wie Lebensstile operationalisiert werden können. Im Hinblick auf die empirische Arbeit wird dabei ein Modell entworfen, in wel-chem ich meine Vorstellungen des Begriffs des Lebensstils in schematischer Weise zu-sammenfasse. Im empirischen Teil dieser Arbeit werden dann die Interviewresultate vorgestellt, welche sich aus den leidfadengestützten, qualitativen Befragungen von Gentrifiern ergaben. Zu Beginn werden die Thesen vorgestellt, die einerseits die Grundlage für den Interviewleit-faden der Befragung bildeten und die andererseits zugleich eine Basis darstellen für die darauffolgende Interpretation der erhaltenen Interviewdaten. Danach wird die Vorgehens-weise bei der Gewinnung und Auswertung der Interviewdaten dargelegt, um eine inter-subjektive Überprüfbarkeit der Resultate gewährleisten zu können. Der Kern der empiri-schen Arbeit liegt jedoch bei der Auswertung und Interpretation des Interviewmaterials. Abgeschlossen wird diese Arbeit mit einer Schlussbetrachtung, in der die Frage aufge-worfen wird, was für Konsequenzen sich aus den gewonnenen Erfahrungen für die Gentri-fications-Forschung ableiten lassen.

Zur Verwendung der weiblichen Form in der Sprache

In der deutschen Sprache hat sich noch keine befriedigende Regelung beim orthografisch korrekten Gebrauch der weiblichen Form durchgesetzt. Grundsätzlich müsste jeweils bei einer Mehrzahl von Personen immer die weibliche und die männliche Form genannt wer-den; so sollte beispielsweise immer von den Bewohnerinnen und den Bewohnern die Rede sein, wenn damit sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind.2 Da durch die Doppelnennungen die Lesbarkeit dieser Arbeit unnötig erschwert würde, wird grundsätz-lich nur die männliche Form verwendet, womit jedoch immer beide Geschlechter gemeint sein werden.

2 Optisch und linguistisch unbefriedigend sind meiner Meinung nach auch Versuche, mit einem Querstrich (z.B. Bewoh-

ner/innen) oder einem Grossbuchstaben (z.B. BewohnerInnen) beide Geschlechter einzubeziehen.

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2 Gentrification

Gentrification ist ein doppeldeutiger Begriff. Auf der einen Seite ist mit ihm die Hoffnung verbunden, dass stigmatisierte innenstädtische Gebiete sich zu attraktiven Wohngebieten für einkommensstarke Bevölkerungsschichten wandeln. Auf der anderen Seite geht eine Gentrification immer mit einer mehr oder weniger starken Verdrängung der ehemaligen, statusniedrigen Wohnbevölkerung einher. Nicht zuletzt wegen dieser Zweideutigkeit ist der Prozess der Gentrification in der Stadtforschung ein zentrales Thema, wobei der Begriff auch nach und nach Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch findet. Das Phänomen der Gentrification wurde bereits Ende der 70er Jahre in den Grossstädten von Nordamerika beobachtet, wodurch erste Arbeiten über Ursachen und Ablauf angeregt wurden. In europäischen Städten begann man den Prozess der Gentrification erst später durch wissenschaftliche Studien (z.B. Dangschat und Friedrichs 1988) zu beschreiben, wobei erste theoretische Modelle entstanden sind (z.B. Dangschat 1988). In der Zwischen-zeit hat jedoch die Zahl der Publikationen zum Thema der Gentrification schnell zuge-nommen. In den nun kommenden Kapiteln wird der Begriff der Gentrification definiert, sowie der Prozess dieser Entwicklung beschrieben, erklärt und bewertet. Zudem wird kurz auf (empi-rische) Probleme eingegangen, die sich bei der Erforschung des Gentrifications-Prozesses ergeben. Da eine wichtige Basis der späteren empirischen Arbeit die Annahme ist, dass im Kreis 5 ein Wandel im Sinne einer Gentrifizierung erkennbar ist, wird am Ende dieses Kapitels die Entwicklung des Zürcher Stadtkreis 5 vom Industrie- zum Trendquartier thematisiert. Zugleich werden Veränderungen im Kreis 5 beschrieben, die als Indizien einer Gentrifizierung gedeutet werden können.

2.1 Was ist Gentrification?

2.1.1 Definition von Gentrification

Der Begriff der Gentrification wurde zum ersten Mal im Jahre 1963 von der Engländerin Ruth Glass verwendet. Er leitet sich aus der englischen Bezeichnung ‚gentry’ ab, was übersetzt soviel wie „vornehme Bürgerschaft“, „niederer Adel“ oder „besitzende Schicht“ bedeutet. In der engeren Bedeutung könnte Gentrification folglich als die „Rückkehr des bodenbesitzenden Adels“ (Dangschat 1988:272) in innenstadtnahe Viertel umschrieben werden. Heute spricht zweifelsohne niemand mehr vom Landadel, viel eher wird Gentrifi-cation verwendet zur Beschreibung eines Anstiegs des Anteils der Bewohner der Mittel-

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und der oberen Mittelschicht in einem innenstädtischen Stadtteilgebiet. Damit verbunden ist eine (Re-)Investition in den (heruntergekommenen) Wohnungsbestand wie auch eine Verbesserung der Infrastruktur des Gebietes. In der angelsächsischen Literatur werden synonym zum Begriff der Gentrification Be-zeichnungen wie (urban) reinvasion, middle-class resettlement, neighborhood renewal, neighborhood reinvestment oder (inner-city) revitalization gebraucht (Dangschat und Blasius 1990:11). Im deutschen wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird indes zwischen ‚Gentrifizierung’ zur Darstellung des Prozesses und ‚Gentrification’ zur Beschreibung des Zustandes unterschieden (ebd.). In dieser Arbeit wird diese begriffliche Unterscheidung übernommen. Als grundlegende Umschreibung von Gentrification bzw. Gentrifizierung kann die fol-gende Definition von Dangschat (1991; zit. in Blasius 1993:32) angesehen werden:

„Gentrifizierung ist die Verdrängung der ehemaligen Bewohner durch jüngere, besser ausgebildete und in der Regel mit höherem Einkommen versehene Haushalte in innen-stadtnahen Wohngebieten. Mit Verdrängung sind Auszüge aufgrund von Mietsteigerungen oder Umwandlungen ehemaliger Mietwohnungen in Eigentumswohnungen gemeint. Damit einher geht in einem Wechselwirkungsprozess eine Veränderung des Wohnungsbestandes in Richtung überdurchschnittlicher Modernisierung, Mietpreissteigerung und der Um-wandlung von Miet- in Eigentumswohnungen resp. eine Veränderung der Infrastruktur, die zunehmend den Bedürfnissen der neu Hinzuziehenden entspricht“ (Dangschat 1991; zit. in Blasius 1993:14).

Gentrification ist folglich Ausdruck einer zusätzlichen Nachfrage nach Wohnraum, die sich im Gegensatz zu früher nicht mehr auf Neubaugebiete am Rande der Stadt, sondern auf bewohnte Gebiete richtet und damit in eine Verdrängungskonkurrenz mit den traditionellen Bewohnern tritt. Gentrifizierung ist die Wiederentdeckung der Innenstadt als Wohnort durch die sogenannten „funktionalen Eliten der kapitalistischen Gesellschaft“ (Krätke 1995:177). In den betroffenen Gebieten werden dabei neue Räume des Konsums geschaf-fen, die in erster Linie auf die Bedürfnisse der Neuzuzüger abgestimmt sind. Die Gentrifi-zierung betrifft jedoch nicht den gesamten innenstädtischen Wohnraum, sondern von ihr werden meist nur städtische Teilgebiete oder gar nur einzelne Wohnblocks erfasst. Da Gentrification immer die Kombination einer räumlichen Aufwertung mit einer Ver-änderung der Sozialstruktur meint, ist in der deutschen Literatur im Zusammenhang mit Gentrifizierung häufig von sozialer und räumlicher Aufwertung die Rede. Das Bild der Aufwertung beinhaltet jedoch die Vorstellung, dass das Gebiet zu einem früheren Zeit-punkt aus sozialer und räumlicher Sicht weniger „wertvoll“ gewesen wäre. Insbesondere im Begriff der sozialen Aufwertung widerspiegelt sich die Auffassung, dass es weniger wertvolles und wertvolleres Leben gebe. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem sozial ab-wertenden Begriff der innenstädtischen Revitalisierung (engl.: revitalization), womit streng genommen die „Belebung“ eines ursprünglich „unbelebten“ Wohnviertels gemeint ist. In dieser Arbeit werden die beiden Begriffe ‚soziale Aufwertung’ und ‚Revitalisierung’ nicht gebraucht, da sie moralisch wertend sind. Der Begriff der Aufwertung wird in dieser Arbeit hingegen aus rein sprachlichen Gründen als Synonym zum Begriff der Gentrifizierung

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WAS IST GENTRIFICATION? 15

verwendet. Ich verbinde mit diesem Ausdruck keinerlei Wertung in Bezug auf eine gesell-schaftliche Hierarchie.

2.1.2 Formen des Aufwertungsprozesses

Ein Erneuerungsprozess in einem Stadtgebiet kann nach Clay (1980; zit. in Dangschat 1988:273ff) auf zwei Arten erfolgen: Einerseits durch die Initiativen der Bewohner und der Eigentümer, die selber im Viertel wohnen und andererseits durch Personen und Investoren von ausserhalb des Viertels. Eine Aufwertung eines Viertels, die von innen heraus initiiert wird, bezeichnet Clay als ‚Incumbent Upgrading’. Eine Aufwertung dagegen, die haupt-sächlich von exogenen Initiativen getragen wird, wird als ‚Gentrification’ benannt. In Abbildung 1 sind die Unterschiede zwischen den beiden Formen des Aufwertungs-prozesses tabellarisch zusammengestellt. Der Prozess der Gentrification läuft dabei im Vergleich zu Incumbent Upgrading intensiver ab und geht mit stärkeren Veränderungen in der Bau-, wie auch der Sozialstruktur einher. Da die Initiative bei der Gentrifizierung in erster Linie von nicht im Gebiet ansässigen Personen und Institutionen ausgeht (Maklern, Spekulanten, Investoren, Planungsbehörden), orientiert sie sich stark an den Bedürfnissen der (potentiellen) Neuzuzüger. Anhand zweier Stadtteilgebiete in Erfurt vergleicht Weiske (1996) in einer Studie die beiden Formen der Aufwertung und kommt zu ähnlichen Ergeb-nissen wie bereits zuvor Clay: Im Unterschied zur Gentrifizierung geht ein Incumbent Upgrading nicht zwangsläufig mit einem relativen Statusverlust und mit der Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung einher. In einer weiteren Untersuchung kommt auch Wiessner (1990) in Bezug auf die sozialen Folgen von Aufwertungsprozessen in innen-städtischen Wohngebieten zu einem ähnlichen Schluss:

„Im Gegensatz zu den bedenklichen Verdrängungspraktiken bei den Umwandlungsmoder-nisierungen [der Gentrification; d.Verf.] können die moderaten Erneuerungsstrategien [das Incumbent Upgrading; d.Verf.] der zurückhaltender agierenden Hauseigentümer (...) als relativ sozialverträglich und bewohnergerecht bezeichnet werden.“

Auch wenn sich die beiden Formen der Aufwertung voneinander relativ deutlich unter-scheiden, gibt es eine gewisse Abhängigkeit untereinander (vgl. Clay; zit. in Dangschat 1988:274). So kann beispielsweise eine von den Bewohnern bewirkte Aufwertung (ein Incumbent Upgrading) dazu führen, dass ein Prozess der Gentrification einsetzt. Nach Clay kann aber auch der umgekehrte Fall eintreffen, dass es nämlich am Rande eines Gentrifi-cations-Gebietes zu einem Incumbent Upgrading kommt. Es kann also mit grosser Wahr-scheinlichkeit angenommen werden, dass jeweils beide Formen der Aufwertung gleich-zeitig in einem Aufwertungsgebiet vorkommen und man in der Realität kaum „reine“ Gentrifications- oder Incumbent Upgrading-Prozesse antreffen wird. Im Vergleich zum Incumbent Upgrading sind Umwertungen im Sinne der Gentrification für ein städtisches Viertel jedoch von folgenschwererer Bedeutung, da damit intensive Veränderungen in der Bau- und Sozialstruktur einhergehen. Folglich ist es angebracht, hauptsächlich den Prozess

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der Gentrification zu untersuchen, auch wenn vielleicht gleichzeitig Veränderungen ablau-fen, die zum Prozess des ‚Incumbent Upgrading’ gerechnet werden müssten. Merkmal Gentrification Incumbent Upgrading Initiative geht aus von ...

Investoren von aussen, Planungsbehörden den Bewohnern, insbesondere wenn sie Hausbesitzer sind

orientieren sich an den ...

Bedürfnissen der Spekulanten (Gewinnerwartung), Planungsbehörden (Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete) und der neuen Bewohner (aufwen-dige Renovierungen der Wohnungen), Investitio-nen ins Wohnumfeld (neue Geschäfte, Freizeit-angebote)

Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten der Bewohner (Selbsthilfe)

Prozess verläuft ... schnell, intensiv, in Schüben langsam, wenig intensiv, gleich-mässig

Sozialstruktur starke Veränderungen (vorher: kriminogen, d.h. wenig geeignet für Mittelschicht; nachher: obere Mittelschicht)

geringe Veränderungen

Einkommen / Status Vorher: Farbige, Arme, Alte; nachher: obere Mittelschicht/ höherer Status (Freiberufler, Selbst-ständige, höhere Beamte und Angestellte)

untere Mittelschicht, hoher Arbei-teranteil

Haushalte Kleine Haushalte, meist ohne Kinder, oft Ledige; jung (Haushaltsvorstand meist unter 45 Jahre)

Familien mit Kindern; „ältere“ Haushalte werden langsam durch junge Familien (auch Farbige) ersetzt

Konflikte zwischen Invadierenden und dort bereits Wohnen-den; intensive Konflikte

gesamte Nachbarschaft gegenüber der Administration und/oder Financiers; unterschiedlich inten-siv, aber geringer

Baustruktur vorher: heruntergekommen, zerstört, teilweise Ruinen; nachher: aufwendig modernisiert, Appar-tements, Baulückenfüllung, starke Veränderung des Erscheinungsbildes

ohne besondere Auffälligkeiten, langsame Anpassung an gestiegene Ansprüche

Baualter sehr alt, teilweise aus 19. Jahrhundert relativ jung (50er und 60er Jahre)

Lage in transitorischer Zone in reizvoller Umgebung (auf Hügel, am Wasser, an Parks)

entfernter vom CBD

Gebietsgrösse relativ klein, oft nur ein Häuserblock relativ gross

Art der Nutzung Mischgebiet Wohngebiet

Abbildung 1: Merkmale von Gentrification und Incumbent Upgrading (Quelle: nach Clay 1979; aus Dangschat 1988:275)

2.2 Beschreibung des Prozesses der Gentrification

Die eigentliche Bühne eines Aufwertungsprozesses sind städtische Teilgebiete. Ob und in welchem Umfang ein Gebiet jedoch aufgewertet wird, hängt von vielerlei Voraussetzungen

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BESCHREIBUNG DES PROZESSES DER GENTRIFICATION 17

ab. So haben das Image, die Bevölkerungszusammensetzung, die Qualität des Wohnungs-bestandes, das Ausmass und die Qualität der Versorgung mit privatwirtschaftlicher und öffentlicher Infrastruktur wie auch die räumlichen Bezüge zu anderen städtischen Teilge-bieten und rechtlich-stadtplanerische Rahmenbedingungen einen Einfluss darauf, ob und in welcher Form ein Wandel abläuft. Grundsätzlich jedoch werden von einem Aufwertungs-prozess vor allem ehemalige Arbeiterwohnquartiere erfasst, die citynah gelegen sind (vgl. Blasius 1993:14). Das ins Gebiet einfliessende Immobilienkapital formt die ehemalige Bausubstanz um und schafft neue Räume des Konsums für einkommensstarke Bevölke-rungsschichten, wodurch sich der Charakter des Gebietes wandelt. Die Gentrifizierung ist ein komplexer Prozess, da damit ein Wandel der Bevölkerungs- wie auch eine Verände-rung der Gebäudestruktur verbunden ist.

2.2.1 Die Akteure im Gentrifications-Prozess

Um den Prozess der Gentrification beschreiben zu können, müssen in einem ersten Schritt die Akteure charakterisiert werden, die als Nachfrager auf dem innenstadtnahen Woh-nungsmarkt auftreten. Dangschat und Friedrichs (1988) haben in der deutschen Literatur eine der ersten Klassifikationen der am Prozess der Gentrification beteiligten Gruppen aufgestellt. Sie unterschieden zwischen drei Sozialkategorien3, den ‚Alteingesessenen’, den ‚Pionieren’ und den ‚Gentrifiern’. Diese drei Kategorien unterscheiden sich sowohl in ihrer soziodemographischen4 und ökonomischen5 Situation wie auch bezüglich ihres Lebensent-wurfes relativ stark (vgl. Dangschat/ Blasius 1990; Blasius 1993; Friedrichs 1996; Alisch/ Dangschat 1996): - Die Alteingesessenen leben bereits schon längere Zeit in den innenstadtnahen Ge-

bieten. Es sind in erster Linie Personen, die eher zu den benachteiligten Bevölkerungs-schichten gezählt werden können. Vertreter dieser ethnischen, altersmässigen oder statusniedrigen Randgruppen sind Ausländer, Alte, Arme oder Arbeitslose. Diese Be-völkerungsgruppen werden auf dem freien Wohnungsmarkt infolge ihres tiefen öko-nomischen, sozialen und kulturellen Kapitals sowie ihrer eingeschränkten Flexibilität an Standorte verwiesen mit niedrigen Mieten und heruntergekommener Bausubstanz.

- Zur Sozialkategorie der Pioniere werden Personen mit hoher formaler Schulbildung gezählt, die in der Regel in Ausbildung sind und daher noch keine gute bzw. gesicherte berufliche Position haben. Folglich ist ihr Einkommen meist niedrig und ungesichert und setzt sich häufig aus mehreren Quellen zusammen. Bedingt durch das tiefe verfüg-bare ökonomische Kapital und durch die hohe Bereitschaft mit anderen Personen zu-sammenzuleben, wohnen sie häufig in Wohngemeinschaften. Sie sind selten verheira-

3 Zum Begriff der Sozialkategorie vgl. Kapitel 5.4. 4 Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltsgrösse, Haushaltstyp, Schulbildung, Erwerbstätigkeit 5 Pro-Kopf- bzw. Haushaltseinkommen

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tet und in der Regel kinderlos, wodurch sie in ihrem Lebensentwurf flexibel sind. Der (eher schlechte) Zustand der Wohnung wird wegen der preiswerten Miete in Kauf ge-nommen. Die Mischung aus verschiedenen Ethnien und unterschiedlichen sozialen Schichten im Stadtviertel wird von ihnen nicht nur toleriert, sondern meist implizit ge-sucht. Als weiterer Vorteil wird die zentrale Lage ihres Viertels innerhalb der Stadt angesehen, woraus die räumliche Nähe zur Ausbildungsstätte und zu einem vielfältigen Angebot an kulturellen Einrichtungen und unterschiedlichen Dienstleistungsangeboten resultiert. Die Pioniere sind zumeist die ersten, die in ein zukünftiges Aufwertungsgebiet einzie-hen.6 Durch ihren Zuzug gewinnt das Quartier aus der Perspektive der nachfolgenden Gentrifier als Wohnort an Attraktivität. Zur Sozialkategorie der Pioniere werden meist Personen aus der alternativen Szene gezählt. In dieser Kategorie sind Studenten oder Personen mit künstlerisch-kreativen Berufen wie Fotografen, Künstler etc. übervertre-ten.

- Die Gentrifier haben ein hohes Bildungsniveau, welches jedoch im Vergleich zu den Pionieren eher tiefer liegt. Sie verfügen dagegen über ein hohes und sicheres Einkom-men und haben fast immer eine gute berufliche Position inne. Die Gentrifier sind selten verheiratet, meist kinderlos und leben in der Regel alleine oder mit dem eigenen Part-ner zusammen. Ihre hohen Wohnflächenansprüche können sich die Gentrifier relativ leicht verwirklichen, da sie sich durch ihre hohe Mietzahlungsfähigkeit und -bereit-schaft (insbesondere als Doppelverdiener) in der Konkurrenz um Wohnraum leicht durchsetzen können. Sie ziehen in ein Aufwertungsgebiet normalerweise erst ein, wenn absehbar ist, dass es sich zu einem „guten“ Wohngebiet wandeln wird.

Die Klassifikation in diese drei Sozialkategorien ist in allen Untersuchungen über Gentrifi-cation in mehr oder weniger variierenden und differenzierten Versionen erkennbar. In vielen Untersuchungen werden jedoch noch weitere Sozialkategorien dazugenommen. So differenziert beispielsweise Blasius (1993) die Kategorie der ‚Alteingesessenen’ in ‚Sonstige’ und ‚Ältere’, oder Alisch und Zum Felde (1990) teilen die ‚Gentrifier’ zusätz-lich je nach Einkommen in die Kategorie der ‚Gentrifier’ oder in die der ‚Ultra-Gentrifier’ ein. Eine weitere erwähnenswerte Klassifizierung machen Häussermann und Siebel (1987) in ihrer Arbeit über die neue Urbanität. Dabei sehen sie die treibende Kraft der Aufwertung von Stadtteilgebieten in den neuen Urbaniten, bei denen es sich auf den ersten Blick um zwei unterschiedliche Personengruppen handelt: Auf der einen Seite stehen die ‚Yuppies’7, denen die Autoren Erfolg im Beruf und einen chic-dynamischen Lebensstil attribuieren; auf der anderen Seite sind die ‚Alternativen’, die alles Bürgerliche negieren und neue Lebens- und Arbeitsformen propagieren. Auch wenn beide Sozialkategorien unterschied-liche Lebensauffassungen besitzen, so sind sie nach Häussermann und Siebel (1987:14)

6 Der Begriff ‚Pioniere’ erinnert an die weissen Pioniere, die den amerikanischen Westen gegen eine als unzivilisiert

geltende, ansässige Bevölkerung eroberten und „kultivierten“. 7 Young Urban Professional People

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aus einer gemeinsamen Wurzel kulturellen Wandels in die Städte gekommen. Diese Wur-zel ist nach Ansicht der Autoren in der „Krise des bürgerlichen Lebensmodells“ zu sehen, deren Anfang in den Studentenbewegungen der sechziger Jahre zu suchen ist. Denn auch die Yuppies verkörpern einen Lebensstil, „der zwar schick, aber ebenso wenig bürgerlich sein soll wie der der Alternativen. Ihre gelebte Kritik [am bürgerlichen Lebensmodell; d.Verf.] beschränkt sich aufs Private, vor allem auf eines: auf die Befreiung von den Zwängen eines Familienlebens“ (ebd.:16). Neben der kritischen Einstellung gegenüber bürgerlichen Lebensformen liegen die Ge-meinsamkeiten zwischen Alternativen und Yuppies darin, dass beide Sozialkategorien einen höheren Bildungsstand vorweisen können. Unterschiede machen die Autoren dage-gen vor allem in der Beschäftigungssituation und im Konsumverhalten fest, ohne aber die beiden Kategorien operational auseinander zu halten. Grundsätzlich können die Bezeich-nungen ‚Alternative’ und ‚Yuppies’ als Synonyme angesehen werden zu den Begriffen ‚Pioniere’ und ‚Gentrifier’. In dieser Arbeit wird das Begriffspaar von Häussermann und Siebel nicht verwendet, da die Begriffe ‚Alternative’ und ‚Yuppie’ in der alltagssprach-lichen Verwendung mit wertenden Bedeutungen belegt sind. Die Begriffe ‚Pioniere’ und ‚Gentrifier’ sind weniger ideologisch gefärbt und für diese Arbeit geeignetere Bezeichnun-gen im Zusammenhang mit dem Prozess der Gentrification.

2.2.2 Verlauf und Phasen von Gentrification

Der Verlauf der Wiederaufwertung innenstadtnaher Wohnviertel und der Zuzug von Pio-nieren und Gentrifiern kann in mehrere Phasen unterteilt werden. In Anlehnung an das Modell des Invasions-Sukzessions-Zyklus aus der Chicagoer Tradition der Humanökolo-gie8 entwickelte Dangschat (1988) den doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus der Gentrification. Ein Invasions-Sukzessions-Modell beschreibt dabei grundsätzlich den Prozess des Eindrin-gens einer Bevölkerungsgruppe I in ein Wohngebiet (Invasion), das bislang vorwiegend von der Bevölkerungsgruppe A bewohnt wurde. Falls die Invasion genügend lange dauert, werden die Bewohner I nach einer gewissen Zeit die dominante Bevölkerungsgruppe im Wohngebiet werden (Sukzession). Verstärkt wird dieser Prozess dadurch, dass die ehema-ligen Bewohner der Gruppe A vermehrt ausziehen, da sie nicht in Nachbarschaft mit Gruppe I leben wollen (vgl. Friedrichs 1981:34). Angewandt wird dieses Modell meist zur Beschreibung des Eindringens einer statusniedrigen ethnischen Minorität und des damit einhergehenden Wegzugs einer statushöheren Bevölkerungsschicht. Dadurch können Segregationserscheinungen auftreten, die im Extremfall bis zur Gettoisierung eines Gebie- 8 Die "Human Ecology" der Chicagoer Schule entstand in den USA. Wichtige Vertreter der Schule sind Park, Burgess und

McKenzie, welche 1925 die Untersuchung "The City" publizierten. In dieser Arbeit werden Fragen behandelt, die unmit-telbar mit der räumlichen Gliederung der Stadt in Zusammenhang stehen. So werden Fragen über die Mobilität der Bevöl-kerung, über die Gradienten des Bodenwertes vom Zentrum einer Stadt zur Peripherie, über Wachstumsvorgänge und Viertelsbildung, über Nachbarschaftswirkung, Jugendkriminalität etc. analysiert. Eine Darstellung und Kritik des sozial-ökologischen Ansatzes findet sich bei Von Frieling (1980:233ff), Krätke (1995:158ff) oder Odermatt (1997:89ff). Zudem wird in Kapitel 5.4 dieser Arbeit noch einmal auf die Humanökologie eingegangen.

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tes führen. Gentrification beschreibt jedoch genau den umgekehrten Fall, zieht doch im Vergleich zur ursprünglichen Einwohnerstruktur eine statushöhere Bevölkerungsgruppe ins Gebiet ein. Der von Dangschat (1988:280ff) beschriebene doppelte Invasions-Sukzssions-Zyklus der Gentrification kann als idealtypischer Verlauf der Gentrifizierung angesehen werden, wobei fünf Phasen unterschieden werden können (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Doppelter Invasions-Sukzessions-Zyklus der Gentrification (Quelle: Dangschat 1988:281)

In diesem fünfphasigen Ablauf wird die Bevölkerung zweimal ausgetauscht, weshalb er auch als doppelter Invasions-Sukzessions-Zyklus bezeichnet wird. So dringen im Modell zu einem frühen Zeitpunkt Pioniere in ein zukünftiges Aufwertungsgebiet ein und verdrän-gen die alteingesessenen Bewohner. Gleichzeitig steigt die Attraktivität des Gebietes als Wohnort aus der Perspektive der Gentrifier an. Durch den Zuzug der Gentrifier ins Gebiet werden die noch anwesenden Alteingesessenen weiter verdrängt, wie auch ein Teil der Pioniere. Die fünf Phasen des Modells können wie folgt beschrieben werden (vgl. Dang-schat 1988; Friedrichs 1996 und 1998; Friedrich 2000):

Ausgangslage Damit eine „Aufwertung“ überhaupt erfolgen kann, muss zu einem früheren Zeitpunkt in einem Gebiet eine „Abwertung“ stattgefunden haben. Denn ein Viertel als Aufwertungs-gebiet zu bezeichnen macht nur Sinn, wenn man es mit der ursprünglichen Situation ver-gleicht. Gentrifizierung findet somit vor allem in städtischen Gebieten statt, in denen die Gebäude in schlechtem Zustand sind, in denen tiefe Wohnungsmieten und Bodenpreise bezahlt werden und in denen überdurchschnittlich viele statusniedrige Bewohner leben.

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Eine zusätzliche wichtige Bedingung für das Einsetzen der Gentrifizierung ist, dass das Gebiet nahe des Stadtzentrums gelegen ist und die Bewohner dadurch von der räumlichen Nähe zu den innenstädtischen Infrastruktureinrichtungen profitieren können.

Invasions-Phase I der Pioniere Erste Pioniere ziehen in das zukünftige Gentrifications-Gebiet ein. Ihr Anteil an der Ge-samtbevölkerung ist jedoch noch klein. Die Gründe für den Zuzug der Pioniere sind haupt-sächlich darin zu sehen, dass die Mietpreise der Wohnungen relativ tief sind und dass das Gebiet als Wohngebiet einen unkonventionellen Charakter aufweist.

Invasions-Phase II der Pioniere Der Anteil der Pioniere an der Wohnbevölkerung erhöht sich sukzessive, da weitere Pio-niere in freie oder frei werdende Wohnungen einziehen. Durch den Zuzug dieser „Sub-kulturen“ ändert sich langsam das Gastronomie- und Dienstleistungsangebot des Gebietes, da beispielsweise neue Kneipen oder Secondhand-Läden entstehen. Zudem werden erste Modernisierungen an Gebäuden vorgenommen, die zu Mietzinssteigerungen führen. Da die Veränderungen im Gebiet jedoch kaum sichtbar sind, ändert sich aus der Perspektive Aussenstehender das Image des Gebietes erst geringfügig.

Invasions-Phase III der Pioniere / Invasions-Phase I der Gentrifier Immer mehr Pioniere ziehen ins Gebiet ein und das Angebot an verschiedenen Läden, Kneipen, Restaurants etc. steigt weiter an. Einzelne Lokale werden als Geheimtipp durch die Medien bekannt gemacht, wodurch das Gebiet verstärkt von Personen aufgesucht wird, die nicht im Gebiet wohnhaft sind. Der beginnende Wandel des Images bewirkt, dass die ersten Gentrifier ins Gebiet einziehen. Durch den verstärkten Zuzug der Pioniere und Gentrifier ins Gebiet steigt die Nachfrage nach Wohnungen an. Verschiedene Wohnblocks werden nun durch Renovationen und Modernisierungen den Ansprüchen der Neuzuzüger angepasst. Durch Kündigungen und Mietzinserhöhungen wird die alteingesessene Bevölke-rung nach und nach aus ihren Wohnungen verdrängt. Von Maklern, Investoren und Spe-kulanten wird das Gebiet immer stärker als zukunftsträchtig angesehen, wodurch die Zahl der Modernisierungen zunimmt.

Invasions-Phase II der Gentrifier Angelockt durch die positiven Berichte in den Medien ziehen vermehrt Gentrifier ins Ge-biet ein. Bauliche Veränderungen, wie die luxussanierten Wohnungen und die neuentstan-denen Wohnblocks werden nun auch von Personen ausserhalb des Aufwertungsgebietes wahrgenommen. Der Wandel des Gebietes wird von den Pionieren am stärksten abgelehnt, da sie den Verlust der bunten Mischung beklagen (vgl. Alisch/ Zum Felde 1990 und 1992). Auf Kosten des kleinen Einzelhandels werden nun im Gebiet zahlreiche neue Läden eröff-net, um die Bedürfnisse der neuen Kundschaft zu bedienen. Gleichzeitig wechseln bereits bestehende Geschäfte den Besitzer und meist den Namen (die ehemalige Kneipe wird beispielsweise zur Coconut-Bar). Durch die gestiegenen Mieten ziehen verstärkt Haushalte der Alteingesessenen und der Pioniere aus.

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Invasions-Phase III der Gentrifier Ins Gebiet ziehen nun fast ausschliesslich Haushalte von Gentrifiern ein. Diese Sozialkate-gorie wird insofern als die risikoscheuste bezeichnet, da sie erst einziehen, wenn sich das Image des Viertels vollständig gewandelt und über die Stadt hinaus den Ruf eines attrakti-ven und guten Wohngebietes hat. Viele Gebäude werden nun von Investoren aufgekauft, modernisiert und als Eigentumswohnungen den Neuzuziehenden zum Verkauf angeboten (Spekulation). Die Pioniere sind in dieser Phase immer stärker von der Verdrängung be-droht – ihre Zahl nimmt stetig ab. Der Anteil der ehemaligen Bevölkerungsgruppen ist auf ein Minimum gefallen. Der idealtypische Ablauf eines doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus kann bei empiri-schen Untersuchungen in der Realität kaum in dieser Klarheit gefunden werden. Zudem kann angenommen werden, dass der Zyklus je nach sozialräumlicher Struktur des Gebietes ganz unterschiedlich aussehen wird: Eine Aufwertung wird beispielsweise in einem ur-sprünglichen Arbeiterquartier anders verlaufen als in einem ehemals grossbürgerlichen Gebiet. In einzelnen Studien wurde der doppelte Invasions-Sukzessions-Zyklus jedoch nachgewiesen, wie in der Untersuchung von Zukin (1982; zit. in Blasius 1993:37ff). In dieser Untersuchung in New York beschreibt Zukin den Bevölkerungsaustausch in Lofts: Die ersten Mieter dieser Lofts waren Händler und Inhaber kleiner Manufakturen, die dann in den 70er Jahren durch die einziehenden Künstler verdrängt wurden. Diese gebrauchten die Lofts sowohl als Arbeits- wie auch als Wohnstätten. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die Künstler dann aber selber auch verdrängt, da – angeregt durch das Vorbild der Künstler – immer mehr Angehörige der Mittelschicht das ‚loft-living’ entdeckten. Dass sich die Überprüfung des Modells des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus in der Realität schwierig gestaltet, liegt hauptsächlich an der Tatsache, dass Längsschnitt- oder Paneldaten über ein Aufwertungsgebiet fehlen. Es kann jedoch davon ausgegangen wer-den, dass die Realität vom Modell abweichen wird. Beispielsweise ist zu bezweifeln, dass Pioniere und Gentrifier nacheinander und nicht gleichzeitig in ein Gebiet eindringen (vgl. Van Weesep 1991; zit. in Friedrichs 1998). Aber trotz allen Einwänden: Auch wenn das Modell durch empirische Untersuchungen weder endgültig bestätigt noch falsifiziert werden kann, soll seine Bedeutung meiner Meinung nach in erster Linie darin liegen, dass damit eine beschreibende Basis für weiter-gehende Untersuchungen auf dem Gebiet der Gentrification geschaffen wurde.

2.3 Erklärung von Gentrifizierung

Der Begriff „Gentrification“ hat viele Facetten. So kann man ihn im Zusammenhang sehen mit demographischen Veränderungen der Wohnbevölkerung, mit der Zunahme der Arbeitsplätze im tertiären Sektor, mit den Kosten-Nutzen-Überlegungen von Eigentümern und Investoren oder aus der Sicht von rechtlich-stadtplanerischen Rahmenbedingungen. Grundsätzlich jedoch wird zur Erklärung von Gentrifizierung ein Marktmodell heran-gezogen, mit dem die Aufwertung eines innenstädtischen Wohnviertels sowohl von der

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Angebots- wie auch von der Nachfrageseite her betrachtet wird. Während in den Theorien der Angebotsseite in erster Linie die Verfügbarkeit und die Erreichbarkeit attraktiver Wohnungen im Viertel betrachtet werden, heben die Ansätze der Nachfrageseite die Her-ausbildung „neuer“ Lebensstile und Konsummuster der „neuen“ Haushalte hervor. In der wissenschaftlichen Literatur werden die Modelle der Ökonomie meist zur Erklärung der Angebotsseite herangezogen. Die Veränderungen in den Lebensstilen der Nachfrage-gruppen werden dagegen fast ausschliesslich mit soziologischen Theorien erklärt.

2.3.1 Angebotsseite: Bodenmarkt und Wohnungswesen

Geht man bei der Erklärung der Gentrifizierung von der Angebotsseite aus, spielen die Bauherren, die Makler, die Hausbesitzer, die Financiers von Hypotheken, die Politiker und die Personen aus den administrativen Einheiten eine entscheidende Rollen, da sie im Wesentlichen die Produzenten des Angebots an attraktiven Wohnungen sind. Auf die angebotsseitige Erklärung richten sich zwei Theorien: die des ‚rent gap’ und die des ‚value gap’.

Die ‚rent gap’-Theorie

In der ‚rent gap’-Theorie von Neil Smith (1987; zit. in Krätke 1995:178) beschreibt der Autor das Auftreten einer Differenz zwischen der potentiell zu erzielenden Bodenrente eines Grundstückes und der gegenwärtigen Bodenrente, die mit der aktuellen Nutzung tatsächlich erzielt wird. Entstanden ist diese Differenz durch das Ausbleiben von Investi-tionen (Desinvestition) in diese betroffenen innenstädtischen Wohnstandorte (vgl. Dang-schat 1988; Krätke 1995; Friedrichs 1998). Die Theorie geht davon aus, dass ein Grund-stück vor dem Einsetzen der Gentrification einen Wert besass, der unter der potentiellen Rente liegt. Die potentielle Rente wird dabei anhand der besten und höchsten Nutzung des Grundstückes bestimmt. Erst durch die ökonomische „Unter-Nutzung“ werden nun die Voraussetzungen geschaffen, dass Investitionen in die Bausubstanz wieder gewinnbringend werden. Eine suboptimale Grundstücksverwertung (‚rent gap’) ist somit nach Smith eine grundlegende Voraussetzung für Neuinvestitionen, was die Grundlage für eine beginnende Gentrification sein kann. Eine empirische Schwierigkeit der ‚rent gap’-Theorie ergibt sich aus der Bestimmung der Höhe der potentiellen Rente (vgl. Friedrichs 1996:28). So hängt diese stark davon ab, welche Nutzung auf dem Grundstück möglich ist. Eine hohe potentielle Bodenrente würde sich beispielsweise durch eine gewerbliche Nutzung ergeben, falls eine solche Nutzung vom Bebauungsplan zugelassen würde. Welche Nutzung sich aber letzten Endes durch-setzen wird, hängt von den Zahlungsbereitschaft der Nachfrager ab. Nach Friedrichs (ebd.) lässt sich eine potentielle Bodenrente am ehesten anhand der Preise abschätzen, die für be-nachbarte Grundstücke erzielt wurden.

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Die ‚value gap’-Theorie

Wie bei der ‚rent gap’-Theorie wird bei der ‚value gap’-Theorie von Hamnett und Ran-dolph (1986; zit. in Dangschat 1988:286) die Gentrifizierung durch eine Rendite-Lücke erklärt, wobei sich der ‚value gap’ jedoch nicht auf die Grundstückswerte, sondern auf die Gebäudewerte bezieht. Ein ‚value gap’ ergibt sich demnach aus der „Differenz zwischen einerseits dem Wert langfristiger Einnahmen aus einem Wohnhaus, das vermietet ist und andererseits dem Verkaufswert eines leerstehenden Wohnhauses, in dem die Wohnungen als Eigentumswohnungen verkauft werden können, unter Berücksichtigung der Moderni-sierungskosten“ (Dangschat 1988:286). Der ‚value gap’ resultiert somit aus der Differenz zwischen dem n-fachen Jahreszins der Vermietung und dem Preis, der bei einem Verkauf des Gebäudes erzielt werden kann. Je höher nun ein ‚value gap’ ist, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit sein, dass spekula-tive Gewinne durch Mieterwechsel oder durch die Umwandlung von Miet- in Eigentums-wohnungen möglich sind. In Analogie zur ‚rent gap’-Theorie ergeben sich Schwierigkeiten in der Bestimmung der (potentiellen) Verkaufspreise der Gebäude. Denn auch der Gebäudewert variiert stark in Abhängigkeit von der zukünftigen Art der Nutzung des jeweiligen Gebäudes. Die beiden Theorien sind jedoch keine konkurrierende Konzepte zur Erklärung von Gentri-fication, sondern sie ergänzen sich vielmehr. Geht man von einer kausalen Beziehung zwi-schen Gebäude- und Grundstückwert aus, lassen sich die beiden Theorien nach Friedrichs (1996:30) verknüpfen. Friedrichs geht so von der Hypothese aus, dass sich eine Verringe-rung des ‚value gap’ – hervorgerufen durch Modernisierungen oder die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen – mit einer zeitlichen Verzögerung auch auf die Boden-preise und somit auf den ‚rent gap’ auswirkt.

2.3.2 Nachfrageseite: veränderte Lebensstile und Wohnpräferenzen

Der komplexe Prozess der Gentrifizierung kann nicht einseitig nur mit der Produktion des Angebotes erklärt werden, vielmehr kommt der Nachfrageseite eine ebenso grosse Bedeu-tung zu. Denn ein Angebot an attraktiven Wohnungen wird aus ökonomischer Sicht meist erst dann geschaffen, wenn eine Nachfrage danach besteht.9 Aus der Perspektive der Nachfrageseite wird der Aufwertungsprozess eines Wohngebiets durch die Herausbildung „neuer“ Haushalte erklärt, die als Nachfrager auf dem Woh-nungsmarkt die Stadt als attraktiven Lebensraum wiederentdecken.10 Das Attribut „neu“ ist

9 Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, dass durch eine gezielte Vermarktungsstrategie von luxuriösen Wohnungen

eine Nachfrage danach auch bewusst geschaffen werden kann. Durch angebotsseitige Investitionen in Wohnungen können daher nachfrageseitige Prozesse ausgelöst und/oder verstärkt werden.

10 Ein Haushalt besteht aus einer einzelnen Person oder aus mehreren Personen, die aber nicht notwendigerweise familiär miteinander verbunden sind. Ein Haushalt kann dabei grundsätzlich nicht als Akteur auftreten, sondern es sind immer seine Mitglieder, die die Handlungen ausführen. Es sind also genau gesehen nicht die Haushalte, die z.B. Wohnraum nachfragen, sondern immer die dahinterstehenden Personen, die den Haushalt bilden.

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aber nicht so zu verstehen, dass es diese Haushalte historisch gesehen noch nie gab, viel-mehr bezieht sich das Adjektiv „neu“ auf die Tatsache, dass dieses Phänomen zwar schon länger besteht, es aber bisher quantitativ und qualitativ kaum eine gesellschaftliche oder politische Relevanz gehabt hätte. Die Personen der „neuen“ Haushalte zeichnen sich durch folgende Merkmale aus (Friedrichs 1998:64): Sie haben ein überdurchschnittliches Einkommen, sie leben als Singles oder in einer unverheirateten Partnerschaft und haben meist keine Kinder. Zudem erfordert ihr Lebensstil die räumliche Nähe zu den städtischen Dienstleistungsangeboten wie Restaurants, Bars oder Boutiquen und nicht selten haben sie ihren Arbeitsort in der Innenstadt. Wie bereits in Kapitel 2.2.1 beschrieben, werden die Mitglieder dieser „neuen“ Haushalte, die Wohnraum in zentrumsnah gelegenen Stadtvierteln nachfragen, als Gentri-fier bezeichnet. Was sind nun die Ursachen, warum sich der Anteil der „neuen“ Haushalte ausweitet oder bereits ausgeweitet hat? Die Gründe sind vorwiegend im Wandel gesellschaftlicher Werte- und Normenvorstellungen wie auch in demographischen Veränderungen zu suchen: Durch durchschnittlich längere Ausbildungswege hat sich in den letzten Jahrzehnten die Lebensphase der Postadoleszenz ausgeweitet, also die Phase zwischen dem Verlassen des Elternhauses bis zur eigenen Familiengründung. Nach Beauregard (1986; zit. in Dangschat 1988:283) gibt es in der Phase der Postadoleszenz kaum tradierte Handlungsmuster, wo-durch neue Lebensstile ermöglicht und erfordert wurden. Charakteristisch für die Post-adoleszenz ist, dass in dieser Phase Erfahrungen in unterschiedlichen Haushaltsformen und Partnerschaften gesammelt werden und eine berufliche Karriere angestrebt wird. Jegliche Festlegung im Lebensentwurf wird in dieser Phase als Einschränkung der persönlichen Selbstverwirklichung angesehen (vgl. Droth und Dangschat 1985; zit. in Friedrichs 1996:22). Besonders das Kinderkriegen wird häufig mit dem Verlust der persönlichen Freiheit gleichgesetzt. Da durch die gesellschaftliche Akzeptanz der Geburtenregelung die Grün-dung einer Familie geplant werden kann, wird das Kinderkriegen häufig auf einen späteren Zeitpunkt verschoben oder es wird gänzlich darauf verzichtet. Diese Tatsache muss im Zusammenhang mit der veränderten, emanzipierten Rolle der Frau in der Gesellschaft gesehen werden (vgl. Höpflinger 1997:97ff). So verliert das Aufziehen von Kindern spe-ziell für Frauen an Attraktivität, die beruflich einen Einstieg gefunden haben. Eine weitere Erklärung für die Zunahme der „neuen“ Haushalte ist darin zu sehen, dass eine grosse Anzahl von Individuen über ein ausreichendes Einkommen verfügt, um frei-willig alleine wohnen zu können. Zudem hat das Alleinleben in den letzten Jahrzehnten eine wichtige soziale Umbewertung erfahren. Diese Umbewertung kann sehr schön im Sprachgebrauch verdeutlicht werden: Wurden früher die Alleinlebenden noch als „biedere Junggesellen“ oder „alte Jungfern“ bezeichnet, wird heute der positiv besetzte Begriff ‚Single’ verwendet. Ganz im Gegenteil zu den früheren Bezeichnungen sind mit ihm ausschliesslich positive Assoziationen wie Lebenslust, Selbstbestimmung und Individu-alität verbunden (vgl. Häussermann und Siebel 1987:14f). Durch die angesprochenen kulturellen und demographischen Veränderungen wächst der Anteil von Ein- und Zweipersonenhaushalten, welche innenstädtischen Wohnraum nach-

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GENTRIFICATION UND LEBENSSTILE 26

fragen. Die Attraktivitätssteigerung der Stadt als Wohnort für die „neuen“ Haushalte beruht auf der Wahrnehmung, dass im städtischen Raum die Ausübung ihrer nicht-traditio-nellen Lebensstile ermöglicht wird. Die verstärkte Herausbildung einer privilegierten Bevölkerungsschicht, die urbane Wohnungen nachfragt, ist somit eine überaus wichtige Ursache, die das Zustandekommen von Gentrification erklären hilft.

2.3.3 Handlungstheoretische Interpretation der Gentrification

In einem Marktmodell bedingen sich Angebots- und Nachfrageseite in einer wechsel-seitigen Beziehung. Der Prozess der Gentrification kann somit nicht umfassend nur mit der einen oder mit der anderen Seite erklärt werden. Vielmehr ist die Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage eine symbiotische, in der sowohl „Produzenten“ (Makler, Investo-ren, Hausbesitzer, Politiker u.a.m.) wie auch „Konsumenten“ (Alteingesessene, Pioniere und Gentrifier) in einem wechselseitigen, dynamischen Interdependenzverhältnis stehen. Folglich ist es auch müssig, sich die Frage zu stellen, ob zur Erklärung des Auftretens von Gentrification eher die Angebots- oder die Nachfrageseite in den Mittelpunkt zu stellen sei. Im Zusammenhang mit dem Prozess der Gentrification lässt sich die symbiotische Bezie-hung zwischen Angebots- und Nachfrageseite mit einem handlungszentrierten Ansatz beschreiben. Bei einem handlungszentrierten Ansatz stehen die Handlungen der am Pro-zess beteiligten Akteure im Zentrum der Erklärung. Unter einer Handlung wird dabei eine Tätigkeit von Individuen verstanden, die zielorientiert und bewusst abläuft:

„Im Vergleich zu ‚Verhalten’ wird ‚Handlung’ als menschliche Tätigkeit im Sinne eines intentionalen Aktes begriffen, bei dessen Konstitution sowohl sozial-kulturelle, subjektive wie auch physisch-materielle Komponenten bedeutsam sind. Die Situation des Handelns wird gemäss dieser Auffassung von den Subjekten in Bezug auf die Intention, das Ziel, definiert. Einige der Situationselemente werden als Mittel zur möglichen Erreichung des Ziels erkannt, nicht verfügbare zielrelevante Elemente bilden die „Zwänge“, welche Ziel-setzungen „vernichten“ können. Die Folgen einer Handlung können beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein“ (Werlen 2000:313ff).

Eine Handlung wird also immer aktiv und bewusst herbeigeführt, wodurch sie sich von einer Verhaltensweise grundsätzlich unterscheidet. Ausserdem sind Handlungen immer in einem sozialräumlichen Kontext eingebettet, da sich die Akteure bei der Ausübung von Handlungen permanent auf ihr sozial-kulturelles und physisch-materielles Umfeld bezie-hen. Sozialräumliche Kontexte müssen dabei als Bedingung und als Beschränkung des Handelns angesehen werden, da sie einzelne Formen des Handelns ermöglichen (Ermögli-chung) und andere einschränken (Zwang). Sozialräumliche Kontexte sind jedoch dem Handeln nicht entgegengesetzt wie etwa in strukturell-funktionalen Theorien angenommen wird, vielmehr konstituieren sich Kontexte selber aus handelnden Personen, deren Hand-lungen und Handlungsprodukten (vgl. Esser 1988). Sozialräumliche Kontexte sind daher nicht nur Bedingung von Handlungen, sondern sie sind gleichzeitig Resultat vorangegan-gener Handlungen.

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ERKLÄRUNG VON GENTRIFIZIERUNG 27

Dieser skizzierte Zusammenhang von Handlung und Kontext wurde – wenn auch mit anderer Terminologie – ausführlicher von Giddens (1997) in seiner Theorie der Strukturie-rung entwickelt. Giddens spricht jedoch nicht von sozialräumlichem Kontext, sondern von Struktur. Die Struktur umfasst dabei sowohl Regeln11 wie auch Ressourcen12 und existiert nach Giddens nicht ausserhalb des Handelns (ebd.:71ff). Nach ihm sind Strukturen und Handeln ebenfalls keine radikalen Gegenbegriffe, sondern sie sind zwei Dimensionen derselben Sache: Handlungen können nur in Strukturen erfolgen, reproduzieren aber in einem rekursiven Prozess zugleich die Strukturen. Strukturen sind somit Medium wie auch Resultat von Handlungen, was Giddens als die Dualität von Handlung und Struktur be-zeichnet (ebd.:215). Kehrt man zurück zur Frage, wie der Prozess der Gentrification aus handlungszentrierter Sichtweise beschrieben werden kann, so wird erkennbar, dass im Gentrifications-Prozess Anbieter mit Nachfrager von innenstädtischem Wohnraum interagieren. Die Akteure werden dabei jeweils ganz unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse an den sozialräum-lichen Kontext stellen. Schauen wir uns beispielsweise die „Konsumenten“ von Wohnraum an: Ein Gentrifier wird höchstwahrscheinlich erst dann einziehen, wenn es absehbar ist, dass sich das Viertel zu einem attraktiven Wohngebiet entwickeln wird. Die Zuzug-Motivation für einen Pionier wird dagegen eher in den tiefen Mieten der Wohnungen, in der bunten Mischung der Wohnbevölkerung des Viertels oder im „unfertigen“ Charakter der Bausubstanz mit seinen vielfältigen Möglichkeiten für Zwischennutzungen liegen. In beiden Fällen kann jedoch der Zuzug als intentionale Handlung angesehen werden, bei welcher die sozial-kulturelle, die subjektive wie auch die physisch-materielle Komponente die Entscheidungsgrundlage bilden. Durch ihren Zuzug ins Viertel tragen die Neuzuzüger im Aggregat dazu bei, dass sich durch ihre Handlungen neue Strukturen herausbilden, die wiederum auf die weiteren Handlungen der verschiedenen Akteure einen Einfluss haben. Beispielsweise machen Pioniere ein Gebiet durch ihren Zuzug mittelbar oder unmittelbar für die nachkommenden Gentrifier als Wohngebiet attraktiv. Durch die Attraktivitätssteige-rung und den damit einhergehenden Anstieg der Nachfrage nach Wohnungen wird das Gebiet zunehmend auch für Investoren, Makler, Hausbesitzer etc. interessant. Ihre Ent-scheidungen und Handlungen haben häufig einen richtungsweisenden Einfluss auf den Prozess der Gentrification und somit auf den sozialräumlichen Kontext des Gebietes. Durch Mietpreissteigerungen der Wohnungen steigt gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für die Pioniere, dass sie durch einen Prozess verdrängt werden, den sie zu einem grossen Teil selber mitgestaltet haben. In diesem Falle kann die Aufwertung des Images als unbeab-sichtigte Konsequenz der Handlungen der Pioniere angesehen werden. Kecskes (1996:56ff) spricht in diesem Zusammenhang von Emergenzeffekten, also von den kollektiven, unvor-hergesehenen Folgen individueller intentionaler Handlungen.

11 Unter den Regeln versteht Giddens Verhaltensanweisungen jeglicher Art (Gesetze, Verkehrsregeln, informelle Normen,

u.a.m.) 12 Die Ressourcen setzen sich nach Giddens zusammen aus allokativen Ressourcen (Verfügungsgewalt über Objekte und

materielle Güter) und autoritativen Ressourcen (Verfügungsgewalt auf dem kulturell-lebensweltlichen Bereich).

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Der beschriebene Zusammenhang zwischen Akteuren, ihren Handlungen und dem sozial-räumlichen Kontext ist in Abbildung 3 schematisch dargestellt, wobei sich diese Abbil-dung auf eine Darstellung von Esser (1988:39f) stützt.

Handlungen 1 Handlungen 2

Nachfrageseite

Angebotsseite

Handlungen 1 Handlungen 2

AlteingesessenePioniereGentrifieru.a.m.

AlteingesessenePioniereGentrifieru.a.m.

InvestorenPlaneru.a.m.

InvestorenPlaneru.a.m.

WandelKontext 1 Kontext x

Abbildung 3: Schematische Beziehungen zwischen Akteuren, Handlungen und Kontext (Quelle: Eigene Darstellung in Ahnlehnung an Esser 1988:39f)

Aus dem Schema wird erkennbar, dass der Wandel von einem Kontext 1 zu einem Kontext x nur über den Einbezug der Handlungen der Akteure plausibel gemacht werden kann. Ein Wandel eines sozialräumlichen Kontextes im Sinne einer Gentrifizierung kann somit nicht ausschliesslich über die Eigenschaften des früheren Kontextes erklärt werden. Vielmehr entstehen erst durch individuelle Handlungen veränderte Kontexte, die dann aber wie-derum Auswirkungen auf die Handlungen der beteiligten Akteure haben. Im Zentrum der Gentrifizierung stehen somit die Akteure, die durch intentionale Handlungen gewollt oder ungewollt diesen Prozess mitgestalten. Die Gentrification darf daher nicht als Produkt angesehen werden, das ausserhalb der Gewalt der Menschen stehend und ohne sie – gleichsam auf natürliche Weise – entstanden ist. Vielmehr ist eine Gentrification die Summe beabsichtigter und unbeabsichtigter Folgen einer Vielzahl von mehr oder weniger aufeinander bezogenen Handlungen individueller Akteure.

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FOLGEN UND BEWERTUNG VON GENTRIFICATION 29

2.4 Folgen und Bewertung von Gentrification

Im Prozess der Gentrification lassen sich zunächst einige Vorteile für ein städtisches Teil-gebiet finden, geht damit doch die Sanierung und Modernisierung alter Bausubstanz ein-her. Nach und nach wird das Viertel für Investoren interessanter und es ziehen zunehmend mehr einkommensstarke Haushalte ein. Der Anteil an statushöheren Haushalten erhöht sich zudem, weil durch die Aufwertungstendenzen im Gebiet immer weniger gutverdienende Haushalte ins Umland abwandern. Durch diesen Prozess steigen die Einnahmen der Stadt durch Steuererträge. Aus der wachstumsorientierten Sicht der Stadtökonomie wird daher eine Gentrifizierung als überaus positiver Prozess angesehen, da privates Investitions-kapital in stagnierende Stadtteilgebiete fliesst (vgl. Busse 1990). Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten erscheint jedoch nach Häussermann (1990:35f) die Gentrifizierung aus folgenden zwei Gründen problematisch:

- Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung Durch den Zuzug neuer, kaufkräftiger Nachfrager werden sozial Schwache – die z.T. lange im Quartier gelebt haben – an Orte mit schlechter Wohnqualität verdrängt. Da die Alteingesessenen zur Mobilität gezwungen werden, wird nach Häussermann (ebd.) das „grundsätzliche Recht auf Immobilität“ verletzt, das juristisch gesehen nur Privat-eigentümern zusteht. Der erzwungene Ortswechsel führt bei den Betroffenen zu Stress und geht häufig einher mit dem Verlust sozialer Netze, die am ehemaligen Wohnort über die Jahre hinweg aufgebaut wurden. Da die Mietkosten mit zunehmender Dauer eines Mietverhältnisses relativ niedriger werden, entfällt zudem durch den Wohnungs-wechsel dieser ökonomische Vorteil, da meist bei Neuvermietungen Mietzinssteige-rungen durchgesetzt werden.

- Abnahme von günstigem Wohn- und Gewerberaum Preisgünstiger Wohn- und Gewerberaum wird durch den Prozess der Gentrification ei-nem anderen Marktsegment zugeführt, ohne dass er an anderer Stelle ersetzt würde. Dadurch verkleinert sich innerhalb einer Stadt der Teilmarkt von preisgünstigem Wohn- und Gewerberaum. Die Abnahme von günstigem Gewerberaum ist zugleich mit dem teilweis ersatzlosem Wegfall kleiner Dienstleistungsbetriebe und Läden verbun-den.

Durch die Gentrifizierung gewinnt ein Stadtgebiet wohl an Image für eine gehobene Mit-telschicht, welche – angeödet vom Leben in suburbanen Gebieten – in innenstädtischen Vierteln wohnhaft wird. Dadurch wird innerhalb der Stadt jedoch billiger Wohnraum knapp, der auch sozial Schwächere am Stadtleben partizipieren lassen könnte. Das Anstei-gen von Investitions- und Umbautätigkeiten wie der Zuzug einer kaufkräftigen Bevölke-rungsschicht ist folglich eine zwiespältige Wiedergeburt bereits „aufgegebener“ Stadtteile um den Preis einer Vertreibung.

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Aus dem bisher Gesagten wird erkennbar, dass der Prozess der Gentrification ein wichtiges Thema in der Stadtentwicklungsplanung sein muss. Denn je nachdem wie die Bewertung einer Gentrifizierung ausfällt, können sich unterschiedliche planungs- und stadtentwick-lungspolitische Ziele ergeben. Ob eine Gentrifizierung als positiv bzw. negativ zu beurtei-len ist, hängt entscheidend vom Ausmass der Aufwertung ab. So kann nach Busse (1990:208f) folgende grobe Einschätzung vorgenommen werden: Gentrification ist positiv zu beurteilen ...

- im Rahmen eines „normalen“ Austausches beim Wegzug vorhandener Mieter. Durch die neue Durchmischung erhält das Aufwertungsgebiet eine Chance zur Regeneration.

- aus stadtwirtschaftlicher Sicht wegen des Einsatzes privater Initiative und Investitionen sowie wegen der Bindung zahlungs- und steuerkräftiger Bürger an die Stadt.

- aus Überlegungen zur städtischen Vielfalt. Wohlhabendere Bevölkerungsschichten gehören zur vielfältigen „Palette städtischen Lebens“ und deshalb sollte ihnen auch die Möglichkeit eröffnet werden, in der Stadt wohnhaft zu bleiben/werden.

Gentrification ist negativ zu beurteilen, ...

- wenn die Gentrifizierung zur rigorosen Verdrängung der Alteingesessenen führt und damit sozial schwächeren Gesellschaftsteilnehmern durch die Entwurzelung aus dem bisherigen Milieu13 neue Belastungen aufgebürdet werden.

- wenn ungewollte Strukturveränderungen städtebaulich eingeleitet werden und möglicherweise eine Breitenwirkung erzielen.

Für eine sozialverträgliche Stadterneuerungsplanung können nun im Hinblick auf die Gentrifizierung verschiedene Leitvorstellungen abgeleitet werden. Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten sollte eine Aufwertung eines Gebietes möglichst behutsam und in Über-einstimmung mit den Interessen der Bewohner erfolgen. Im Idealfall würde dies nach Wiessner (1990:320ff) bedeuten, dass Modernisierungen nur mit dem Einvernehmen der betroffenen Bewohner durchgeführt werden dürfen. Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Richter (1990:178f). Er fordert einen stärkeren Mieterschutz, indem Wohnungsmodernisie-rungen erst durchgeführt werden können, wenn die betroffenen Mieter eine ihnen zusa-gende Wohnung gefunden haben. Neben dem verbesserten Schutz der Bewohnerinteressen bei Modernisierungen plädiert Wiessner (1990) für bewohnergerechte Modernisierungen. Dabei sollten vor allem Mass-nahmen für eine gemässigte Modernisierung zu fördern sein, während aufwendige, zu Luxusstandards führende Erneuerungen entsprechend geringer unterstützt werden sollten. Dies bedeutet, dass besonders ein Aufwertungsprozess im Sinne eines Incumbent Upgra-ding aus der Sicht einer städtebaulich und sozialpolitisch verantwortbaren Stadterneuerung zu unterstützen ist. Bei einer Aufwertung eines Viertels dagegen, die die Form einer

13 Zum Begriff des Milieus vgl. den Abschnitt „Raum und Lebensstile“ in Kapitel 3.2.2.

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METHODISCHE PROBLEME 31

Gentrifizierung hat, sollte der Fokus der Stadtpolitik weniger bei den Interessen der Gentri-fier liegen. Vielmehr muss man sich die Frage stellen, wo die verdrängten Alteingeses-senen bleiben, um mit geeigneten Instrumenten (z.B. Hilfeleistung bei der Suche nach preiswertem Wohnraum) die Verdrängung abzufedern. Zudem sollten Massnahmen ergrif-fen werden, um der mit der Gentrifizierung einhergehenden Verknappung von preiswertem Wohnungsbestand entgegen zu wirken.

2.5 Methodische Probleme

Die Forschung über den Wandel städtischer Quartiere durch Gentrification hat nach Huinink (1990:251) in besonderer Weise mit dem Problem der Verbindung von Prozessen auf verschiedenen „sozialen Aggregations- bzw. Hierarchieebenen gesellschaftlicher Realität“ zu tun. Die Gentrifications-Forschung steht vor der Schwierigkeit, Handlungs-muster unterschiedlichster individueller oder korporativer Akteure (Mikro- und Meso-ebene) im Bezug zu ihren räumlich-städtischen Strukturen (Makroebene) zu untersuchen. Möchte man das Phänomen ‚Gentrification’ auf den unterschiedlichen Ebenen beschrei-ben, benötigt man daher Instrumente, mit denen man sowohl Handlungsorientierungen und Handlungsmuster der beteiligten Akteure (Befragungen), wie auch die systematische Beschreibung der Bausubstanz oder Wohnumgebung (Beobachtungen) erheben kann. Da der Prozess der Gentrification zudem ein dynamischer Prozess ist, kann er kaum mit einer empirischen Momentanaufnahme umfassend dargestellt werden. Vielmehr sollten im Idealfall die sozialräumlichen Veränderungen in einem Aufwertungsgebiet mit Hilfe von Panelanalysen in regelmässigen Zeitabständen erhoben werden. Erst durch den Einbezug der Zeitperspektive liesse sich beispielsweise das von Dangschat (1988) konstruierte Mo-dell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zykluses näher beschreiben und überprüfen. Aber mit Hilfe von Paneluntersuchungen bleibt das Problem, dass eine Gentrification meist erst erkennbar wird, wenn der Prozess der Aufwertung bereits eingetreten ist. Dies führt nach Rohlinger (1990:233) „die retrospektive Zielsetzung eines idealen Paneldesigns ad absurdum“, denn weder die Geschichte der ehemaligen Bewohner wie auch diejenige der räumlichen Strukturen werden sich im Nachhinein exakt rekonstruieren lassen. Die Aufgabe der Gentrifications-Forschung besteht also darin, Prozesse auf den unter-schiedlichen Ebenen in einem dynamischen Modell so zu verbinden, dass sie einer theore-tischen und empirischen Analyse zugänglich bleiben (vgl. Huinink 1990:252). Diese Auf-gabe wird dadurch erschwert, dass die individuellen Beziehungs- und Handlungsprozesse mit den strukturellen Aspekten in enger Beziehung stehen und sich in ihrer zeitlichen Veränderung gegenseitig bedingen. Neben diesen eher grundlegenden Schwierigkeiten bei der Beschreibung von Gentrifica-tion ergeben sich verschiedene weitere konkrete Probleme innerhalb des Forschungspro-zesses. An dieser Stelle beschränke ich mich jedoch auf das Problem der operationalen

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Zuordnung der Akteure und auf die Schwierigkeiten, die aus der Wahl des Untersuchungs-gebietes resultieren. Das erste Problem ergibt sich in der Klassifikation der Bevölkerungsgruppen, die am Prozess der Gentrification beteiligt sind. In empirischen Untersuchungen werden die ver-schiedenen Sozialkategorien operational fast ausschliesslich über soziodemographische und ökonomische Variablen festgelegt. Beispielsweise definierten Dangschat und Friedrichs (1988:20) die Sozialkategorie der Pioniere, der Gentrifier, der Älteren und der Anderen operational über die Merkmale Alter‚ Bildung, Einkommen und Haushaltstyp, indem sie jeweils Schwellenwerte festlegten. Damit nun eine Person zur Sozialkategorie der Pioniere gezählt wurde, musste sie zwischen 18 und 25 Jahre alt sein, musste mindes-tens Abitur haben, durfte keine Kinder und nur ein maximales Pro-Kopf-Einkommen von DM 2000 haben. Gentrifier sind in dieser Untersuchung dagegen zwischen 26 und 45 Jahre alt, kinderlos und haben ein Pro-Kopf-Einkommen von über DM 2000. Von anderen For-schern wurden in der Folge diese Definitionen entweder übernommen oder modifiziert. Nun ist einerseits die eher willkürliche Festlegung der Schwellenwerte problematisch. So müsste beispielsweise ein Pionier, dessen Einkommen sich erhöht, plötzlich zur Gruppe der Gentrifier gezählt werden. Andererseits stellt sich die Frage, ob Pioniere und Gentrifier auf Individualebene oder auf Haushaltsebene definiert werden sollen (vgl. Alisch und Zum Felde 1990:101ff). Für eine Definition über die Individualebene spricht, dass die Einstel-lungen und Wahrnehmungen der Pioniere und Gentrifier nur in der Rolle als Einzelper-sonen analysiert werden können. Der Vorteil der Definition auf Haushaltsebene ist, dass es letzten Endes Haushalte sind, die als Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt auftreten. Das zweite Problem ergibt sich bei der Auswahl eines Gentrifications-Gebietes. Dabei stellt sich die Frage, welche Besonderheiten auf ein Gebiet zutreffen müssen, dass man es als Gentrifications-Gebiet bezeichnen kann. Auch hier fehlt es an einer genauen Definition, durch welche Merkmale sich ein Aufwertungsgebiet von anderen Stadtteilgebieten unter-scheidet. Wann in einem Viertel von Gentrification gesprochen werden kann, ist demnach keine leichte Aufgabe. Anhaltspunkte für den Prozess der Gentrification in einem städti-schen Gebiet können am ehesten mit Hilfe von Statistiken, durch Begehungen und Beo-bachtungen und durch Expertengespräche gewonnen werden. So verwendete beispiels-weise Blasius (1993:55) bei der empirischen Untersuchung über Gentrifications-Prozesse in Köln in einem ersten Schritt Aggregatdaten auf Stadtteilebene. Er konnte damit anhand von Veränderungen – zum Beispiel eines abnehmenden Ausländeranteils – erste Rück-schlüsse auf mögliche Gentrifications-Prozesse in einzelnen Teilgebieten schliessen. Um die Gentrifications-Gebiete in Köln endgültig ausscheiden zu können, ergänzte er in einem zweiten Schritt die Ergebnisse auf Stadtteilebene zusätzlich mit Stadtrundgängen und Experteninterviews.

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DER ZÜRCHER STADTKREIS 5 33

2.6 Der Zürcher Stadtkreis 5

Verschiedene Umnutzungselemente im Zürcher Stadtkreis 5 können als Anzeichen von Gentrification gedeutet werden.14 Beispielsweise entstehen zur Zeit exklusive Wohnan-lagen und neue Orte des Konsums, wobei einzelne Bauprojekte und Renovationen bereits abgeschlossen wurden. Die Veränderungen im Kreis 5 verlaufen intensiv und werden besonders auch im öffentlichen Diskurs thematisiert. So berichten Printmedien und Fern-sehen häufig sehr unkritisch über den „goldenen Westen“ oder das „boomende Stadt-viertel“ von Zürich. Der Kreis 5 hat sich in den letzten Jahren immer stärker zum Trend-quartier von Zürich entwickelt und ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht absehbar. Wie ist es aber dazu gekommen? Hierfür muss die historische Entwicklung des Gebietes betrachtet werden, um die spezifi-schen Voraussetzungen verstehen zu können, die zur Umwertung des Gebietes führten.

2.6.1 Historische Entwicklung der Stadtkreise 4 und 515

Aus historischer Sicht haben die heutigen Zürcher Stadtkreise 4 und 5 eine ähnliche Ent-wicklung durchlaufen. Von 1787 bis 1893 waren die Kreise 4 und 5 in der Gemeinde Aussersihl zusammengefasst. Die Flüsse Sihl und Limmat bildeten dabei die natürlichen und politischen Grenzen zur Altstadt (heutiger Kreis 1) und den ehemaligen Nachbarge-meinden16. Vor dem Jahre 1787 war das Gebiet Aussersihl der Vogtei Wiedikon unterstellt. Nachdem jedoch 1787 ein Gesuch um Abtrennung des Gebietes von der Gemeinde Wiedikon der Zürcher Rat angenommen hatte, wurde Aussersihl zu einer selbstständigen Gemeinde. Die Namensgebung der Gemeinde ergab sich dabei aus der Perspektive der Zürcher Altstadt, da das Gebiet jenseits der Sihl und der ehemals mittelalterlichen Befesti-gungsanlage und somit ausserhalb der Kernstadt lag. Die Gemeinde Aussersihl war ein ehemaliges Überschwemmungsgebiet der Sihl und erstreckte sich ausserhalb der Zürcher Altstadt nach Westen hin. Zum Zeitpunkt der Ge-meindegründung wohnten 558 Personen auf dem Gebiet von Aussersihl. Durch die Zu-wanderung von Handwerkern, Arbeitern und Kleinhändlern erhöhte sich diese Zahl danach stetig. Die Bevölkerungsdichte nahm insbesondere im Zuge der Industrialisierung zu, da Aussersihl zur Immigrationszone tausender arbeitssuchender Menschen aus dem In- und Ausland wurde. Verschiedene Fabrikationsbetriebe der Metall- und Maschinenindustrie liessen sich Ende des 19. Jahrhunderts in Aussersihl nieder und lockten Arbeitskräfte ins Gebiet. Von grosser Bedeutung für die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe war insbe-

14 Vgl. die Übersichtskarte über den Kreis 5 im Anhang (S.130). 15 In diesem Abschnitt beziehe ich mich hauptsächlich auf Bärtschi 1987 sowie auf Kapitel 3 in der Arbeit von Berger et al.

(1999). 16 Wiedikon, Albisrieden, Altstetten, Höngg, Wipkingen, Unterstrass

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GENTRIFICATION UND LEBENSSTILE 34

sondere die Nähe zur Wasserkraft der Sihl wie auch der Bau der ersten Eisenbahnlinie im Jahre 1847 und die damit einhergehende Anbindung der Fabrikbetriebe an das Schienen-netz. Der Bau der ersten Eisenbahnlinie erwies sich für Aussersihl zudem als einschnei-dender Eingriff in die Raumstruktur, wurde dadurch doch der Verkehr und die Kommuni-kation zwischen dem heutigen Kreis 4 und dem späteren Industriequartier – dem heutigen Kreis 5 – erschwert, weil nur an wenigen Stellen eine Überquerung der Bahngleise möglich war. Durch die Ansiedelung der ersten Industriebetriebe17 erhielt der zukünftige Stadtkreis 5 die Bezeichnung ‚Industriequartier’. Im Zuge der Industrialisierung hat sich Aussersihl innerhalb von hundert Jahren von einem spärlich besiedelten, unwegsamen Acker- und Weidegebiet zur bevölkerungsreichsten Vorortgemeinde der Stadt Zürich entwickelt. Die Einwohnerzahl in Aussersihl stieg zwi-schen 1800 und 1894 um den Faktor 44, während er in der gleichen Zeitperiode in der Zürcher Altstadt um den Faktor 3 zunahm. Das Gebiet wurde dadurch allerdings zu einem Problemgebiet, da es wegen mangelnder Infrastruktur (fehlende Trinkwasserversorgung und Kanalisation) bald zu einem Seuchengebiet wurde.18 Zufolge der hygienischen Miss-stände zogen wohlhabende Bürger aus dem Gebiet aus, wodurch eine Konzentration un-vermögender Leute in Aussersihl zurückblieb. Aussersihl war zu dieser Zeit gleichzeitig bevölkerungsreichste Zürcher Immigrationszone wie auch steuerärmster Vorort von Zürich und wurde zusammen mit den Gemeinden Wiedikon und Wipkingen das Armenhaus der Agglomeration genannt. Vor dem Hintergrund einer desolaten Finanzlage und der Überforderung bei der Bewäl-tigung der Probleme, die sich aus dem enormen Bevölkerungszustrom ergaben, reichten die Aussersihler 1860 einen Antrag bei der finanzkräftigen Stadt Zürich ein mit der Bitte um Eingemeindung. Der Stadtteil Aussersihl wurde aber erst 1893 zusammen mit elf weiteren Gemeinden innerhalb der ersten Eingemeindung mit Zürich vereinigt.19 Seit 1913 bilden zudem die Gleisanlagen die politische Grenze zwischen den Stadtkreisen 4 und 5. Im Zuge der verstärkten Industrialisierung während der Jahrhundertwende weitete sich die Perspektive der reichen Kernstadt Zürich aus auf das verheissungsvolle Entwicklungs-gebiet Aussersihl, sollte doch dort das moderne Zürich entstehen (City-Expansion). Das Gebiet wurde einer städteplanerischen Sanierung unterzogen und erhielt neue Schulen, Kirchen, Strassen und Plätze. Durch die Abtragung zahlreicher älterer Gebäude ver-schwanden die Spuren des vorurbanen Aussersihl und das Gebiet entwickelte sich zu einem günstigen Standort für Geschäfts- und Gewerbehäuser.

17 Beispielsweise siedelten sich 1890 die Seifenfabrik Steinfels und 1891 die Maschinenfabrik Escher-Wyss im Gebiet an. 18 Vgl. das Kapitel über „Verdichtung und Elend in der Vorstadt“ bei Bärtschi (1983:77ff). 19 Bei der zweiten Eingemeindung von 1934 wurden acht weitere Gemeinden an Zürich angegliedert, wodurch die Stadt

Zürich flächenmässig die heutige Grösse erreichte (vgl. Bärtschi 1983:317ff).

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DER ZÜRCHER STADTKREIS 5 35

2.6.2 Die Zürcher Stadtkreise 4 und 5 zwischen Auf- und Abwertung

Das Gebiet Aussersihl ist bereits seit dem Mittelalter alternierenden Abwertungs- und Aufwertungsprozessen unterworfen (vgl. Berger et al. 1999:36ff). So befand sich im Mittelalter auf dem Gebiet der heutigen Stadtkreise 4 und 5 der Henkersplatz und das Siechenhaus und im Verlaufe der Geschichte siedelten sich weitere Infrastrukturein-richtungen an, die im Zentrum nicht geduldet wurden: militärische Anlagen, Schlachthof, Müllverbrennungsanlage, Industrie- und Gewerbeanlagen. Das Gebiet diente Zürich wäh-rend verschiedenen zeitlichen Perioden als Zuweisungsort für Unerwünschtes und ist folglich seitdem ein Auffangbecken und Zufluchtsort für gesellschaftliche Aussenseiter und für eine Bevölkerungsschicht mit tiefem sozialem Status. Während sich im Mittelalter rechtlose Bauern, Kranke und Aussätzige im Gebiet niederliessen, waren es im Zuge der Industrialisierung Arbeiter, Italiener und Katholiken20. Heute sind es in erster Linie die Drogenszene und die Prostitution, welche die Funktion des Stadtteils als Zuweisungsort und Auffangbecken für gesellschaftlich Unerwünschtes in der genannten Tradition fort-führen. Gleichzeitig sind im Gebiet auch immer wieder Aufwertungstendenzen erkennbar. So wurde mit städteplanerischen Mitteln versucht, das abgewertete Arbeiterviertel nach der Eingemeindung in die Stadt Zürich für die City-Expansion attraktiv zu machen. Dieselbe Logik wiederholte sich in den 70er und 80er Jahren, als man die entvölkerten und teilweise vom Zerfall bedrohten Arbeiterquartiere „wiederbeleben“ und für neue Bevölkerungsgrup-pen erschliessen wollte. Nach Berger et al. (1999:38) sind die Kreise 4 und 5 nach wie vor im Spannungsfeld von Abwertung- und Aufwertungstendenzen positioniert, wobei ein Nebeneinander wie auch ein Nacheinander der beiden Tendenzen in den beiden Stadtteilgebieten feststellbar ist. Während sich aber ab Mitte der 90er Jahre der Stadtkreis 5 insbesondere in den Medien zur „Projektionsfläche urbaner Grossstadtträume“ (ebd.:38) verwandelt hat, ist der Kreis 4 noch nicht im gleichen Ausmass von der Reurbanisierungswelle erfasst worden. Der Grund dafür scheint in der unterschiedlichen strukturellen Ausgangslage zu liegen. Denn im Vergleich zum Kreis 4 verfügt der Kreis 5 durch seine industrielle Prägung über bedeutend mehr brachliegendes Industriegelände, das für finanzkräftige Investoren und Bewohner aufbereitet werden kann.

Die Kreise 4 und 5 als stigmatisierte Stadtteile

Bevor aber eine Aufwertung im Sinne der Gentrification überhaupt stattfinden kann, muss zuvor eine Abwertung im Gebiet stattgefunden haben. Der offensichtlichste Abwertungs-prozess in den späten 80er und frühen 90er Jahren wurde im Kreis 5 meist festgemacht an der offenen Drogenszene am Platzspitz und Letten. Um 1987 bildete sich auf dem Platz-spitzareal eine offene Drogenszene, die vorläufig geduldet wurde (vgl. Arber 1996:66ff). Nachdem die Kriminalisierung und Verelendung im Park zunahmen, wurde 1992 das Platzspitzareal für die Drogenszene geschlossen. Dadurch verlagerte sich die Szene in den

20 Die Katholiken waren in der protestantischen Zwinglistadt Zürich eine religiöse Minderheit und erhielten erst 1863 die

staatliche Anerkennung.

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Kreis 5 und formierte sich neu im Lettenareal. Um die Wohngegenden im Kreis 5 zu ent-lasten, wurde die Ansammlung im Lettenareal zunächst vom Stadtrat geduldet. Mit der Lettenräumung am 14. Februar 1995 erfolgte jedoch die räumliche Verlagerung des öffentlich wahrnehmbaren Teils der Drogenszene vor allem ins Gebiet um die Langstrasse und in verschiedene Wohnüberbauungen – die offene Drogenszene wurde in eine verdeckte überführt. Zum heutigen Zeitpunkt sind die Drogenszene und die Prostitution im Kreis 4 stärker spürbar als im Kreis 5. Die Stadtkreise 4 und 5 sind aber nicht nur in Bezug auf die Drogenszene städtisches Auffangbecken für stigmatisierte und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. So wiesen 1995 beispielsweise die Stadtkreise 4 und 5 auch einen deutlich höheren Anteil an Flücht-lingen, Asylbewerbern und vorläufig Aufgenommenen im Verhältnis zur Wohnbevöl-kerung auf als die Gesamtstadt oder andere Kreise (Berger 1999:46): 4% im Kreis 4, 5.7% im Kreis 5, im Vergleich zu 1.7% in der Gesamtstadt und einem Anteil von unter 1% im Kreis 7. Auch die Bedeutung der Stadtkreise 4 und 5 als bevorzugte städtische Immigrationsgebiete hat sich bis in die Gegenwart erhalten, was am hohen Ausländeranteil ersichtlich wird (vgl. Abbildung 4). Der Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung ist jedoch in den letzten fünf Jahren im Kreis 5 überdurchschnittlich stark zurückgegangen. Der relativ hohe Ausländeranteil manifestiert sich zudem in der hohen Konzentration an ausländischen Kindern in der Volksschule, was vor allem Schweizer Familien bewog, den Stadtteil zu verlassen, da sie Angst um die Bildungschancen ihrer Kinder hatten (vgl. Landert & Part-ner 1999). Stadtkreis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Stadt

Ausländeranteil 1995 [in %]

20.7 20.8 32.5 46.1 48.7 22.5 18.2 24.5 28.0 23.8 28.2 29.2 28.0

Ausländeranteil 2000 [in %]

21.1 22.9 32.8 44.5 43.0 22.3 18.3 23.3 32.0 24.5 31.8 34.0 29.4

Abbildung 4: Ausländeranteil in % der Wohnbevölkerung in den Zürcher Stadtkreisen (Quelle: Statistisches Amt der Stadt Zürich (www.stadt-zuerich.ch/kap03/statistik/; Januar 2001))

Eine Studie zur sozialen Entmischung von Meyrat-Schlee und Gafner (1998) weist unter anderem darauf hin, dass sich Personen mit hohem Einkommen nicht gleichmässig über den Zürcher Stadtraum verteilen. Insbesondere in den Stadtkreisen 4 und 5 wohnten 1995 signifikant weniger Personen mit einem hohen bis sehr hohen Reineinkommen als in ande-ren städtischen Gebieten. Im Vergleich zur Stadt konzentrierten sich dagegen in den Krei-sen 4 und 5 Personen mit eher geringem sozialem Status, bezogen auf das Bildungsniveau und die berufliche Stellung. Die örtliche Konzentration unvermögender, ausländischer, marginalisierter und deprivier-ter Bevölkerungsgruppen führte dazu, dass die Stadtkreise 4 und 5 wiederholt negativ stigmatisiert und als Wohnorte problematisiert wurden. In diesem Zusammenhang muss zusätzlich die Rolle der Medien als Spiegel und Mitproduzenten der öffentlichen Meinung

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erwähnt werden. So betonen Berger et al. (1999:51), dass insbesondere die Verlagerung der ehemals offenen Drogenszene am Letten in die Kreise 4 und 5 den Medien Anlass bot, “diesen Stadtteil zum Getto jenseits „normaler“ Verhältnisse zu stigmatisieren“.

Indizien für den Aufwertungsprozess des Stadtkreis 5

Waren vor ein paar Jahren die Berichterstattungen über die Kreise 4 und 5 stark geprägt von der Drogenszene und der Prostitution (vgl. Arber 1996), so wird heute insbesondere der Stadtkreis 5 als der In-Kreis von Zürich beschrieben, in dem sich eine junge, hedonis-tisch veranlagte und zahlungskräftige Klientel in Museen, Theatern und Kinos und in Szenekneipen sowie zu Partys versammelt. Der Kreis 5 wird in den Medien plötzlich als „Vorzeigestadtteil der Trendstadt Zürich“ betitelt (NZZ 17. Januar 2000, S.13) und das Quartier Escher-Wyss wird zu „Zürich-West“, wo sich eine moderne „West Side Story“ abspiele (Das Magazin 12. Juni 2000, S.45ff). Der Imagewandel des Gebietes widerspiegelt sich auch in den Zürcher Stadtführern. So werden Aufwertungstendenzen im Kreis 5 als „Inkarnation des Brooklin-Feelings“ be-schrieben oder es ist – bewirkt durch die orientalischen und türkischen Strassenhändler an der Josefstrasse – von „little Istanbul“ die Rede (Ackeret 2001). Das ehemalige Industrie-quartier wird medial vermittelt zu einem Ort stilisiert, in dem urbanes Leben wieder prakti-ziert werden kann:

„Will man das Ambiente der Megapolis des 21. Jahrhunderts spüren, ist der Kreis 5 der Ort dazu. Denn der Kreis 5 ist das Schweizer Trainingsgelände für das Leben in der gros-sen, weiten Welt, der Fitnessraum für Kosmopoliten, das Resozialisierungszentrum für Isolationisten, das Akklimatisierungsprogramm für das nicht so gemütliche, dafür um so spannendere Dasein in der „global community““ (annabelle 1998; zit. in Berger et al. 1999:56).

Da die Medien die Aufwertungstendenzen nach aussen hin – in vielen Fällen verklärt – kommunizieren, spielen sie eine wichtige Rolle beim Imagewandel des Kreis 5. Der Aufwertungsprozess wird von der Stadtpolitik mit verschiedenen Programmen unter-stützt. Beispielsweise hatte sich die Kooperative Entwicklungsplanung Zürich-West zum Ziel gesetzt, die Potentiale eines möglichen Aufschwungs für Zürich-West21 zu unterstüt-zen. Die Vorgehensweise im Planungsverfahren war dabei von der Idee geprägt, dass verschiedene Vertreter der Stadt, der Quartiere und der Bevölkerung, wie auch der Wirt-schaft und der Grundeigentümer zusammen sitzen sollten, um konsens-, lösungs- und marktorientierte Entscheidungen zu treffen, was auf dem Gebiet der Industriebrachen zu stehen kommen sollte (vgl. Hochbaudepartement der Stadt Zürich 1999). Die Ziele, welche die Stadt Zürich und die an der kooperativen Planung beteiligten Grundeigentümer für das Entwicklungsgebiet Zürich-West verfolgten, sind in Abbildung 5 zusammengestellt. Dem-nach werden die ausgedehnten Industriebrachen hauptsächlich als wichtige Entwicklungs- 21 Das Gebiet im Kreis 5 westlich der Hardbrücke inklusive des Steinfels-Areals wird als Zürich-West bezeichnet. Es ist mit

Ausnahme des Steinfels-Areals deckungsgleich mit dem Quartier ‚Escher Wyss’, welches mit dem Quartier ‚Gewerbe-schule’ den Kreis 5 bildet.

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reserven angesehen, um den wirtschaftlichen Standort Zürich im internationalen Standort-wettbewerb zu stärken und das Gebiet für finanzkräftige Bewohner und Investoren attraktiv zu machen. Gute Position im internationalen Standortwettbewerb Gut durchmischte Wohnbevölkerung

Zuzug auch von ausländischem Kapital Wohnungen mit hohem Standard

Baldige Verwertung des überbaubaren Landes Attraktive Freiraumgestaltung

Angemessene und marktkonforme Rendite Umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung

Baldmöglichste Rechtssicherheit und kurze Bewilli-gungswege

Abstimmung der Nutzungsziele mit den anliegenden Gebieten durch kooperative Verfahren

Wegweisende Langfristenperspektiven im Hinblick auf rationellen Ausbau der Infrastrukturen und optimale Ausgestaltung der Bau- und Nutzungsordnung

Sinnvolle Aufgabenteilung mit den anderen Ent-wicklungsgebieten der Stadt

Abbildung 5: Zusammenschau der Planungsvorgaben der Grundeigentümer und der Stadt Zürich für Zürich-West (Quelle: Eigene Darstellung nach Angaben des Hochbaudepartements der Stadt Zürich (1998:4ff))

Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wird zur Zeit auf den ver-schiedenen brachliegenden Industriearealen exemplarisch vollzogen, wobei heute von der ehemals ansässigen Industrie nur noch Bruchstücke übriggeblieben sind. So ist beispielsweise bereits vor längerer Zeit auf dem Escher-Wyss-Areal der Technopark als Innovations- und Gründerzentrum für neue (Technologie-)Firmen entstanden. In der Zwischenzeit haben nun gleich daneben drei neue Hotels unterschiedlicher Preisklasse ihre Tore geöffnet und auch der Umbau der ehemaligen Schiffbauhalle wurde abgeschlossen. In der Halle, wo früher Schiffsschrauben hergestellt wurden, sind neue Bühnen des Schau-spielhauses, ein Musiklokal und ein Restaurant mit Bar eröffnet worden. Auch weitere Industrieareale im Kreis 5 werden anderen Nutzungen zugeführt. So hat sich auf dem Löwenbräu-Areal die Kunstszene mit verschiedenen Museen und Galerien etabliert und der Bau weiterer Museen wird diskutiert. Neben den Dienstleistungsangeboten sind auch neue Wohnungen entstanden. Beispielsweise sind auf dem Schöller-Areal die Bewohner bereits vor über einem Jahr in die neu entstandenen Wohnanlagen Limmat-West eingezogen. Und zur Zeit ist die zweite Etappe der Wohnanlage in Bau, nachdem sich die erste Überbauung bei einer zahlungskräftigen und kinderarmen Klientel als durchschlagender Erfolg erwie-sen hat. Aber auch im Quartier Gewerbeschule sind in den letzten Jahren neue Wohn-, Gewerbe- und Büroräume entstanden und weitere Überbauungen sind im Gange. Auf dem Gebiet des Steinfels-Areals, wo vor einem Jahr die Industriebrache noch von unterschiedlichen Zwi-schennutzern wie Architekten oder alternativen Restaurantbetreibern genutzt wurde, wird nun an der Überbauung ‚West-Side’ gebaut. Selbst direkt an der stark befahrenen Lang-strasse, wo überdurchschnittlich viele Dealer, Drogenabhängige und Prostituierte anzutref-fen sind, ist eine neue Überbauung entstanden. Diese Überbauung, welche von den Bauher-ren als ‚The Docks’ bezeichnet wird, orientiert sich hauptsächlich an den Bedürfnissen der „neuen“ Haushalte. Die ehemalige Bausubstanz wurde daher restlos abgetragen und in die

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neuen Wohn- und Gewerberäumen werden in den nächsten Monaten die ersten neuen Mieter einziehen, welche höhere Mieten zahlen werden als die ehemaligen Nutzer. Dass die neu entstandenen Wohn- und Gewerberäume überhaupt an die zahlungskräftigen Mieter vermietet werden können, hat entscheidend mit dem Imagewandel des Kreis 5 zu tun. Erkennbar wird dieser Wandel vor allem dann, wenn man die Prospekte durchblättert, mit denen für die neuen Wohnüberbauungen geworben wird. Die sozialräumlichen Eigen-schaften der ehemals stigmatisierten Wohnumgebung spielen in diesen Werbekampagnen eine zentrale Rolle, denn sie werden nun plötzlich dazu verwendet, um den Kreis 5 als Ort verheissungsvoller Urbanität zu vermarkten. So wird im Werbeprospekt zur Wohnüber-bauung ‚The Docks’ der Kreis 5 wie folgt beschrieben:

„Der Kreis 5 ist ein Magnet: neue Klubs, neue Galerien, neue Bars, neue Kinos und neue Geschäfte entstehen. Was gestern das Seefeld, ist heute der Trendkreis 5. Ein Melting Pot, ein kleines N.Y. mitten in Zürich. Urban, trendig, weltoffen“ (The Docks Times 1998).

Ganz ähnlich werden die Wohnungen, Gewerbe- und Büroräume in der Grossüberbauung ‚West-Side’ vermarktet:

„Wohnen & Wirken, wo die Stadt lebt (...). Immer mehr Menschen wollen wieder dort leben, wo sich das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben abspielt (...): im Stadtzentrum eben. West-Side wird zu einer der attraktivsten Adresse für solche Trend-setter!“ (Wohnen & Wirken, wo die Stadt lebt 1999). Als abschliessendes Indiz der Gentrifizierung lässt sich die Nutzung der Bögen des Bahn-viaduktes im Gewerbeschule-Quartier heranziehen. Zur Zeit werden diese Bögen als Lager, Einkaufsläden, Abstellräume, Werkstätten und für ein Restaurant genutzt. Die Besitzerin, die Schweizerische Bundesbahn (SBB), möchte jedoch auch von der allgemeinen Auf-bruchstimmung im Kreis 5 profitieren und hat den derzeitigen Mietern gekündigt. Geplant ist ein Architekturwettbewerb, um die Bögen schicker herzurichten. Mit den Investitionen ist das Ziel verbunden, diese Räume nach dem Umbau profitabler vermieten zu können. Die jetzige „Pionierkultur“ wird dadurch höchstwahrscheinlich von finanzkräftigeren Mietern verdrängt werden, wodurch eine weitere Nische im Quartier verschwinden wird. So kann bezweifelt werden, dass sich das ehemals halb-legale Restaurant ‚Banane und Frucht’ nachher gegen die Konkurrenz durchsetzen kann. Die Gastronomiekette ‚Möven-pick’ habe jedenfalls – einem Bericht in der Tageszeitung gemäss – bereits Interesse an einem Viaduktbogen bekundet (Tages-Anzeiger 18. November 2000, S.15).

2.6.3 Der Stadtkreis 5 als Gentrifications-Gebiet

Als wichtigste Belege, dass der Stadtkreis 5 im Sinne einer Gentrifizierung aufgewertet wurde und weiter aufgewertet wird, erachte ich den Imagewandel des ehemals stigmati-sierten Stadtviertels. Die im vorangegangenen Abschnitt aufgezählten Indizien für den

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(Image-)Wandel des Gebietes reichen meiner Ansicht nach bereits aus, um den Kreis 5 als Gentrifications-Gebiet kennzeichnen zu können. Sicherlich könnte man auf die weitere Suche nach objektiven und quantifizierbaren Indi-zien gehen, um mit „harten“ Indikatoren wie amtlichen Statistiken über die Bevölkerungs-zusammensetzung „beweisen“ zu können, dass eine Gentrifizierung im Kreis 5 wirklich abläuft. Aber auch hier wird man vor das methodische Problem gestellt, dass man nicht genau weiss, wie hoch das Mass an sozialräumlichen Veränderungen sein muss, dass man von Gentrification sprechen kann. Wie bereits in Kapitel 1.1 beschrieben, fehlt es der Gentrifications-Forschung an einer genauen Definition, welche (quantitativen) Merkmale ein Stadtviertel erfüllen muss, damit es als Gentrifications-Gebiet bezeichnet werden kann. Meiner Meinung reichen daher explorativ gewonnene „weiche“ Indikatoren aus, wie sie auch Rohlinger (1990) zur Identifikation von Gentrification verwendete. Auf der Suche nach Aufwertungsgebieten mimte er einen imaginären „Stadtbummler“, der auf der Suche nach Anzeichen der Gentrification ist. Mögliche Erkennungsmerkmale von Gentrification sind nach ihm beispielsweise renovierte Fassaden, neu entstandene Geschäfte, aber auch Befragungen von Postboten („Wo sind Bewohner ganzer Häuserblocks umgezogen?“) oder von Kioskbesitzern („Hat sich die Nachfrage nach Zeitschriften geändert?“). An dieser Stelle wird aber nicht mehr tiefer auf die Probleme bei der Auswahl von Gentrifications-Gebieten eingegangen, da man dies allenfalls bei Rohlinger (1990) oder Blasius (1993:53ff) nachlesen kann. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in dieser Arbeit von der grundsätzlichen Annahme ausgegangen wird, dass im Zürcher Stadtkreis 5 zur Zeit ein Gentrifications-Prozess abläuft. Visuell wahrnehmbar ist dieser an den baulichen Veränderungen, wie den Umnutzungen von Industriebrachen, Modernisierungen von Wohnblocks oder dem Neubau von ganzen Wohn- und Geschäftsanlagen. Zudem ist die Gentrifizierung am Imagewandel erkennbar, der insbesondere von den Medien nach aussen hin kommuniziert wird. Wie wir zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe des Interviewmaterials sehen werden (Kapitel 4.3.4), nehmen auch die Interviewpartner räumliche und soziale Veränderungen in ihrem Wohn-umfeld wahr. Dies stützt die Annahme, dass im Kreis 5 eine Gentrifizierung abläuft. Im Vergleich zum Prozess des Incumbent Upgrading verlaufen die Veränderungen im Kreis 5 sehr schnell und sind meist von auswärtigen Investoren oder von städtischer Seite her initiiert, sodass man auch wirklich von Gentrification sprechen kann. Die schwierig zu beantwortende Frage, in welchem Umfang Alteingesessene oder Pioniere durch diesen Prozess bereits verdrängt worden sind, kann in dieser Arbeit nicht endgültig geklärt wer-den. Am Beispiel des Umbaus des Bahnviaduktes ist jedoch erkennbar, dass Verdrän-gungsprozesse der ursprünglichen Kultur im Gange sind.

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3 Lebensstile

Seit ein paar Jahrzehnten hat für einen Grossteil der Bevölkerung innerhalb der westlichen Wohlstandsgesellschaften die Möglichkeit zugenommen, den eigenen Lebensentwurf aktiv mitzugestalten und zwischen Optionen zu wählen. Durch gewachsenen Wohlstand, verlän-gerte Freizeit, kleinere Familien, zunehmende Mobilität und ein dichteres Netz sozialer Sicherheit ergeben sich für die einzelnen Akteure sowohl neue Chancen wie auch neue Zwänge. Da die Individuen mehr und mehr aus traditionellen Sozialmilieus herausgelöst werden und traditionelle Werte und Normen zunehmend an Orientierungsfunktion verlie-ren, können (und müssen) die Individuen verstärkt persönliche Akzente und Präferenzen in die eigene Lebensführung und Lebensgestaltung einbeziehen. Die Stilisierung des eigenen Lebens gewinnt für das Individuum immer stärker an Bedeutung, da dadurch die Zugehö-rigkeit zu einem gewünschten Lebensstilmilieu demonstriert werden kann. Wie in Kapitel 2.3 dargestellt, ist eine Ursache für den Prozess der Gentrification die angestiegene Nachfrage nach innenstädtischem Wohnraum durch die Gentrifier. Die Gentrifizierung kann auf Individualebene somit als Ausdruck gewandelter Wohnstandort-präferenzen angesehen werden, welche sich durch die „neuen“ Lebensstile herausgebildet haben. Die Stadt gibt dabei den sozialräumlichen Kontext ab, der den Gentrifiern bei der Ausübung ihres Lebensstils entgegen kommt. In einem ersten Abschnitt wird nun der Frage nachgegangen, wo der spezifische Gehalt des Begriffs ‚Lebensstil’ liegt. Lebensstile können dabei vor allem als Teil des Konzepts sozialer Ungleichheiten gesehen werden. Der Lebensstilbegriff bezieht sich jedoch nicht auf die vertikale Dimension sozialer Ungleichheit, sondern auf die horizontale Dimension. Im Zentrum steht dabei, inwieweit die Lebensstile der Individuen durch ihre Schichtzuge-hörigkeit determiniert werden. Im zweiten Abschnitt wird ausgehend von der empirischen Lebensstilforschung ein Modell des Lebensstilbegriffs skizziert. Der Schwerpunkt liegt dabei unter anderem auf der Frage, welcher Bezug zwischen dem Lebensstil und dem (städtischen) Raum existiert.

3.1 Was sind Lebensstile?

Der Begriff des Lebensstils ist in seinem Bedeutungsgehalt sowohl im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Sprachgebrauch vielgestaltig. Besonders in der Werbung ist er ein beliebter Begriff, vor allem in der englischen Version des Lifestyles. Da mit dem Begriff hauptsächlich positive Assoziationen verknüpft sind, wird er in der Werbung verwendet, um einem Produkt einen Mehrwert zuschreiben zu können, der über die eigentliche Gebrauchsfunktion des Produktes hinausgeht.

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Auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften hat der Lebensstil-Begriff in den letzten Jahrzehnten wieder an Einfluss gewonnen, wobei mit ihm – je nach wissenschaftlichem Verständnis des jeweiligen Forschers – unterschiedliche Bedeutungen verknüpft sind (vgl. Kap. 3.1.2).

3.1.1 Definition von Lebensstil

Den Begriff ‚Lebensstil’ umschreibt Spellerberg (1996:11) wie folgt:

„Jeder Mensch wird über die Art sich zu kleiden, die Freizeit zu gestalten, Interessen zu bekunden, sich zu geben oder zu sprechen im sozialen Kontext wahrgenommen und klassi-fiziert. Bei zunehmenden Wahlmöglichkeiten verdichten sich die Stilisierungsmerkmale und Zeichen in Lebensstilen, die der sozialen Zuordnung und Abgrenzung von anderen wie der Identitätssicherung dienen. Lebensstile sind zu verstehen als symbolische, sichtbare Dar-stellung von sozialer Lage, sozialen Erfahrungen und individuellen Orientierungen.“

In dieser Umschreibung werden mehrere wichtige Dimensionen des Lebensstils angespro-chen: die Äusserungsformen eines Lebensstils, die Funktionen eines Lebensstils und die daraus abgeleitete Auffassung von Lebensstilen als Teil des Konzepts sozialer Ungleich-heit.

a) Die Äusserungsformen eines Lebensstils

Einerseits äussert sich ein Lebensstil in bewusst vorgenommenen und unbewusst routini-sierten Handlungsmustern wie auch in der Art zu kommunizieren. So drücken sich Lebens-stile im alltäglichen Leben beispielsweise im bewussten Einrichten einer Wohnung, im Tragen bestimmter Kleidungen oder Accessoires, im Praktizieren bestimmter Umgangs-formen etc. aus. Andererseits verweist ein Lebensstil auf verdeckt wirkende Orientierungen und kulturelle Ressourcen, indem er sich in den Wertorientierungen und Zielvorstellungen eines Individuums manifestiert. Lebensstile entfalten somit ihre Wirkung auf allen Gebie-ten des sozialen Lebens. Je nach praktiziertem Lebensstil wird mit ökonomischen Ressour-cen anders verfahren, werden unterschiedliche kulturelle Präferenzen verfolgt oder politi-sche Prioritäten gebildet. Folglich sollten in ein Konzept des Lebensstils sowohl Inter-aktionsformen, Freizeit- und Konsummuster, der Kleidungs- und Einrichtungsstil, wie auch Werte und Zielvorstellungen einfliessen. In dieser Komplexität beruht die Schwierigkeit des Lebensstilsbegriffs für die Forschung.

b) Die Funktionen eines Lebensstils

Eine besondere Betrachtung verdienen die Funktionen eines Lebensstils. So nennt Müller (1989:55), indem er sich auf Max Weber bezieht, drei verschiedene Funktionen: Erstens symbolisiert ein Lebensstil soziale Identität, zweitens signalisiert er Zugehörigkeit und markiert eine klare Abgrenzung zu anderen Lebensführungsweisen, und drittens ist die Ausübung eines Lebensstils eine Strategie zur Schliessung sozialer Beziehungen und zur

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monopolistischen Appropriation22 von Lebenschancen einer Statusgruppe. Lebensstile sind somit Mittel zur distinktiven Ab- und Ausgrenzung und zugleich Vehikel und Produkt der Identitätsbildung (Lüdtke 1989:140). Durch die abnehmende Sichtbarkeit von Status-unterschieden wie Einkommen und Bildung in der westlichen Gesellschaft gewinnen Lebensstile an Bedeutung, denn mit Hilfe der Lebensstile können sich die Individuen innerhalb der Gesellschaft positionieren. Zugleich spielen Lebensstile eine wichtige Orientierungsfunktion beim Handlungsentwurf, da durch einen Lebensstil die Handlungs-alternativen strukturiert und begrenzt werden können.

c) Lebensstile als Teil des Konzepts sozialer Ungleichheiten

Prinzipiell basieren Konzepte über soziale Ungleichheiten auf den Merkmalen des Status einer Person, d.h. auf vertikalen Unterscheidungsmerkmalen. Der Status bezeichnet dabei eine mehr oder minder hohe Position innerhalb einer Schichtungshierarchie – er benennt den Platz, den ein Individuum in einem sozialen System einnimmt. Zur sozialen Diffe-renzierung werden meist Statusmerkmale wie Einkommen, Bildung und Berufsposition verwendet. Mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft treten jedoch immer stärker Prob-leme der Statusinkonsistenz23 auf, wodurch hierarchische Unterscheidungsmerkmale an Erklärungsrelevanz verlieren. Da Variablen des Lebensstils u.a. verwendet werden um Personen innerhalb der Gesell-schaft zu positionieren, können sie als ein Teil des Konzeptes der sozialen Ungleichheit angesehen werden. Im Unterschied zum Status nehmen Lebensstile jedoch nicht auf die vertikale, sondern auf die horizontale Dimension sozialer Ungleichheiten Bezug. Denn für die soziale Positionierung im täglichen Leben werden Unterschiede nicht nur zwischen oben und unten, sondern vermehrt zwischen drinnen und draussen, zwischen Insidern und Outsidern wahrgenommen. Und gerade über Lebensstile wird entschieden, ob jemand zur Gruppe der ‚Insider’ oder zur Gruppe der ‚Outsider’ gezählt werden kann. Nach Noller (1999:33) sind lebensstilrelevante Attribute wie Auftreten, Kleidungsstil, Image, Körper-haltung etc. längst entscheidende Selektionskriterien für die soziale Positionierung im Alltag und in der Arbeitswelt geworden. So geht es nach Noller um die beständige „Neu-schöpfung von Symbolen der kulturellen Zugehörigkeit, die dazu dienen, sich innerhalb der Gruppe wiederzuerkennen und ihre Differenz zu anderen zu markieren“. Mit dem Begriff des Lebensstils steht somit eine neue Sozialkategorie zur Einteilung von Gesellschaften zur Verfügung, die die soziale Ungleichheit nicht mehr nur aus vertikalen Gesichtspunkten wie Status zu erklären versucht, sondern vermehrt durch Variablen wie Geschmack, persönliche Präferenzen oder gesellschaftliches Ansehen.

22 Appropriation bezeichnet bei Max Weber die „Schliessung“ der sozialen und ökonomischen Chancen innerhalb einer

Gemeinschaft gegen Aussenstehende (vgl. Lexikon zur Soziologie 1995:50). 23 Mit der Statusinkonsistenz wird der Fall bezeichnet, wenn ein und dieselbe Person hinsichtlich verschiedener Statuskrite-

rien nicht eindeutig innerhalb einer Schichtungshierarchie positioniert werden kann (z.B. ein arbeitsloser Hochschul-absolvent mit einer hohen formalen Bildung und einem niedrigen Einkommen).

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3.1.2 Beziehung zwischen Individuum und Lebensstil

Innerhalb der wissenschaftlichen Lebensstildiskussion stehen sich grob gesehen zwei unterschiedliche Positionen gegenüber (vgl. Müller 1992; Spellerberg 1996). Auf der einen Seite behauptet eine Forschungsrichtung, dass die Wahl des Lebensstils von der Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit abhängt. Nach dieser Ansicht variieren Lebensstile klassen-spezifisch und werden vom Individuum nicht „autonom“ konstruiert. Auf der anderen Seite steht die Forschungsrichtung, die von der Individualisierungsthese ausgeht. Es wird dabei angenommen, dass in der modernen Gesellschaft die Wahlmöglichkeiten zur individuellen Lebensgestaltung zugenommen haben. Die Möglichkeit zur aktiven Stilisierung des eige-nen Lebens ist nach dieser Ansicht darauf zurückzuführen, dass traditionelle Werte an Orientierungsfunktion eingebüsst haben und der Lebensstandard für eine breite Bevölke-rungsschicht zugenommen hat. Die beiden unterschiedlichen Ansichten werden nun kurz skizziert, wobei im Zentrum die Frage stehen wird, inwieweit die soziale Lage der jeweiligen Individuen die Ausbildung ihres Lebensstils (mit-)prägt. Dabei wird die Habitustheorie von Pierre Bourdieu der Indi-vidualisierungsthese von Ulrich Beck gegenüber gestellt. Beide Positionen verwenden ein Lebensstilkonzept an zentraler Stelle, weisen ihm jedoch eine andere Rolle zu.

a) Habitustheorie von Pierre Bourdieu

Bourdieu hat zur Klärung des Zusammenhanges von sozialer Ungleichheit und Lebensstil eine einflussreiche Theorie entwickelt, die ich an dieser Stelle als Habitustheorie bezeich-nen werde. Bourdieu (1983) geht grundsätzlich davon aus, dass innerhalb der Bevölkerung dreierlei Kapitalsorten ungleich verteilt sind: das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital und das soziale Kapital. Das ökonomische Kapital setzt sich dabei zusammen aus materiellen Gütern wie Geld und Eigentum – der Begriff ‚Kapital’ entspricht hier also ungefähr dem alltagssprachlichen Terminus. Mit kulturellem Kapital werden alle symbolischen, institutionalisierten wie auch materiellen Kulturgüter und Kulturressourcen bezeichnet. Das kulturelle Kapital existiert sowohl in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand (z.B. in Mentalitäten, Dispositionen), wie auch in institutionalisiertem Zustand (in Form von Zeugnissen, Bildungsabschlüssen und –titeln) und in objektiviertem Zustand (in Form von Kunstwerken, Büchern, Lexika etc.). Als dritte Kapitalsorte nennt Bourdieu das soziale Kapital, das sich aus dem jewei-ligen Netz von sozialen Beziehungen ergibt, auf die der einzelne zurückgreifen und die er nutzen kann (z.B. auf einflussreiche Freunde oder Förderer). Es handelt sich dabei um eine Kapitalart, die auf der Mitgliedschaft einer Gruppe beruht und sich beispielsweise in der Zugehörigkeit zu exklusiven Klubs äussert. Im Unterschied zu den anderen beiden Kapi-talsorten funktioniert das soziale Kapital jedoch auf rein immaterieller Ebene. In den Augen von Bourdieu sind alle drei Kapitalsorten strategisch wichtige Ressourcen, die jeweils ineinander umgewandelt werden können, wobei dies aber immer mit einem mehr oder weniger grossen Aufwand an Transformationsarbeit einher geht (ebd.:195ff). In dieser Arbeit wird mehrmals von der Ressource die Rede sein, auf die ein Individuum

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zurückgreifen kann, womit jeweils immer die Summe der drei vorgestellten Kapitalarten von Bourdieu gemeint sein wird. Je nach Volumen, Zusammensetzung und zeitlicher Entwicklung des individuellen Kapi-talbesitzes können nach Bourdieu die Gesellschaftsmitglieder eindeutig im sozialen Raum24 verortet und somit einer bestimmten Klasse zugerechnet werden (vgl. Bourdieu 1994); es geht konkret um:

- die herrschende Klasse: diese teilt Bourdieu weiter ein in eine herrschende Gruppe mit weitgehend ökonomischem Kapital, dem Besitzbürgertum (z.B. Industrieunternehmer, Bankiers, Handelsunternehmer), und eine beherrschte Gruppe mit hauptsächlich kultu-rellem Kapital, dem Bildungsbürgertum (z.B. Hochschullehrer, Kunstproduzenten)

- die mittlere Klasse: diese benennt Bourdieu als Kleinbürgertum (z.B. soziale Berufe, kaufmännische Angestellte) und unterteilt sie in eine moderne, in eine traditionelle und in eine auf- und eine absteigende Klasse

- die dominierte Klasse: nach Bourdieu die soziale Unterschicht (z.B. Arbeiter und Bauernschaft).

Ein zentraler Begriff im Werk von Bourdieu ist der des Habitus. Der Habitus ist als das Produkt unbewussten und bewussten sowie unentwegten Inkorporierens der äusseren Welt zu begreifen. Er kommt im Repertoire der kulturellen Praktiken wie Denk-, Wahrneh-mungs-, Bewertungs- und Handlungsmuster zum Ausdruck, welche den Lebensstil ausge-stalten:

„Im Habitus eines Menschen kommt das zum Vorschein, was ihn zum gesellschaftlichen Wesen macht: seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Klasse und die „Prä-gung“, die er durch diese Zugehörigkeit erfährt“ (Treibel 1997:206).

Dies bedeutet für einen Akteur, dass sich für ihn ein spezifischer Habitus herausbilden wird, je nachdem an welchem „Ort“ er innerhalb des sozialen Raumes sozialisiert wird. Unterschiedliche Klassenlagen führen somit zur Herausbildung von unterschiedlichen Habitusstrukturen. Besonders in seinem Werk ‚Die feinen Unterschiede’ (1987) beschreibt Bourdieu den systematischen Zusammenhang zwischen einerseits der sozialen Stellung eines Akteurs und andererseits der kulturellen Praxis, die sich in kulturellen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmustern äussert. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei dem Begriff des Ge-schmacks zu, der sich im Alltag auf unterschiedliche Weise äussert, wie beispielsweise in der Kleidungswahl, in der Vorliebe für Kunst, Musik und Essen wie aber auch im Gebrauch der Fotographie. Geschmack manifestiert sich im eigenen Auftreten und be-stimmt gleichzeitig die Wahrnehmung und Bewertung durch die anderen Akteure. Somit

24 Mit dem sozialen Raum ist bei Bourdieu kein physikalischer Raum gemeint. Der soziale Raum stellt nach Bourdieu

vielmehr die soziale Welt in Form eines mehrdimensionalen, interdependenten Macht- und Handlungsgefüges dar. Als Dimensionen des sozialen Raumes dienen ihm das Kapitalvolumen, die Kapitalstruktur (die Zusammensetzung der Kapitalarten) und die Laufbahn der positionierten Akteure. Der soziale Raum ist durch die wechselseitige Ausschliessung (Distinktion) bestimmt und ist somit als eine Struktur des Nebeneinanders von sozialen Positionen zu verstehen. Strate-gische Gewinne der Akteure sind immer als Positionsgewinne im sozialen Raum erkennbar. Zudem begünstigt eine „Nähe“ im sozialen Raum eine soziale Annäherung zwischen den jeweiligen Akteuren (vgl. Bourdieu 1991).

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kann Geschmack sowohl als Erzeugungsformel wie auch als Ausdruck eines Lebensstils angesehen werden. Insbesondere die Feinheiten des Geschmacks sieht Bourdieu als wichti-ges Distinktionsmittel an, mit dem sich vor allem die herrschende Klasse „nach unten“ abzugrenzen versucht. Nach Bourdieu resultiert der Geschmack einer Person jedoch nicht aus individuellen Vorlieben, sondern wird als Ausdruck sozialer Erfahrungen und Lernpro-zesse verstanden. Ein Geschmack ist nach ihm somit als etwas Gesellschaftliches zu sehen und bietet sich daher als bevorzugtes Merkmal von Klassenzugehörigkeit an (ebd.:18). Bourdieu vertritt somit die These, dass eine Klassenzugehörigkeit am deutlichsten im Lebensstil zum Ausdruck kommt. Bourdieu unterscheidet drei Geschmacks-Dimensionen, die je mit den entsprechenden sozialen Räumen bzw. Klassen verbunden sind (ebd.:36ff): den legitimen Geschmack der herrschenden Klasse, den mittleren (prätentiösen) und den populären (barbarischen) Ge-schmack der mittleren bzw. dominierten Klasse. Am ehesten vermag die Oberschicht ihren eigenen Stil als gesellschaftliche Norm zu propagieren und durchzusetzen. Zudem ist der Geschmack der herrschenden Klasse am wenigsten vom Prinzip der Notwendigkeit ge-prägt, was erst eine Voraussetzung für die Herausbildung ausgeprägter Lebensstile dar-stellt. Im Gegensatz dazu dominiert beim populären Geschmack das Funktionsdenken. Beim Kauf von Kleidern oder Einrichtungsgegenständen für die Wohnung etc. überwiegen bei der Arbeiterklasse die Kriterien des Preises und des Nutzens die ästhetischen Gesichts-punkte. Nach Bourdieu sind somit die unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten und -weisen der Individuen auf unterschiedliche soziale Lagen zurückzuführen. Die Aufgabe eines Lebensstils liegt dabei vor allem in der Demonstration von Zugehörigkeit und dient der Behauptung der eigenen Positionierung innerhalb der Gesellschaft. Der Verdienst Bourdieus mit seiner Habitustheorie ist darin zu sehen, dass er auf die sozialen Ursachen von Lebensstilen aufmerksam gemacht hat und sie als Dimension sozialer Ungleichheit ansieht. Oder wie es Spellerberg (1996:64) formuliert, dass er den Lebensstil eines Menschen als symbolisches Kapital – das heisst seine Bedeutung für Prestige, Anerkennung und soziale Schliessungsprozesse – herausgestrichen hat. Bourdieu hat somit viel zum Verständnis der symbolischen Seite sozialer Ungleichheit beigetragen. Hingegen muss kritisch gesehen werden, dass Bourdieu davon ausgeht, der Habitus würde mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter eine fertige Struktur aufweisen. Diese lebenszeitlich frühe Festlegung des Habitus scheint angesichts der lebenslangen Vergesellschaftung als eher unwahrscheinlich und der Vorwurf des Determinismus ist insbesondere dann gerecht-fertigt, wenn man von der Vorstellung ausgeht, dass sich das Individuum aktiv mit seiner Umwelt und den wechselnden Anforderungen auseinandersetzt. Die Veränderbarkeit des Habitus müsste grundsätzlich bereits im Konzept des Habitus angesiedelt sein. So konnte Vester (1993; zit. in Vester 1997) anhand einer grossen Stich-probe von qualitativen Interviews aufzeigen, dass der Habitus der Eltern von der jüngeren Generation nicht vollständig angenommen oder abgelehnt wurde, sondern in individuali-sierter Form abgewandelt wurde. Vester spricht in diesem Zusammenhang von Habitus-metamorphose. Auch die empirische Untersuchung von Ganzeboom (1990; zit. in Spel-lerberg 1999:66) widerspricht dem starren Habitusbegriff, da aufgezeigt werden konnte,

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dass Netzwerke und Freunde die alltagskulturelle Praktik stärker beeinflussen als das Herkunftsmilieu. Aus den genannten Gründen wird daher bei Spellerberg (ebd.:66) der Habitus in dynamisierter Form verwendet. Nach dieser Auffassung verändert sich der Habitus und dementsprechend auch der Lebensstil eines Menschen durch die tägliche, aktive Auseinandersetzung mit den Lebensverhältnissen. Dies scheint mir eine plausible theoretische Annahme zu sein, die auch für diese Arbeit übernommen wird.

b) Individualisierungsthese von Ulrich Beck

Im Gegenzug zu Bourdieus eher „deterministischer“ Sichtweise gehen die Individuali-sierungstheorien von der Herauslösung der einzelnen Individuen aus vielfältigen kulturel-len, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen aus. Ein wichtiger Vertreter der Individuali-sierungsthese ist Ulrich Beck. Nach Beck (1986) ist die Art, wie ein Individuum lebt, weitgehend unabhängig von „objektiven“ kollektiven Lebensbedingungen. Der Ausgangspunkt der Individualisierungstendenzen wird von Beck darin gesehen, dass die Modernisierung einher geht mit gewachsenem Wohlstand, starker Bildungsexpansion, verlängerter Freizeit, kleineren Familien, abgeschwächten Alltagsnormen, gestiegener sozialer Sicherheit, zunehmender Mobilität und veränderten Kommunikationsformen. Dadurch haben traditionelle soziale Zusammenhänge wie Familie, Klasse oder Schicht an Prägekraft für individuelle Lebensläufe verloren, was die Pluralisierung und Individuali-sierung der Lebensstile jenseits von Klasse und Schicht erst ermöglicht (ebd.:216). In anderen Worten ausgedrückt bedeutet dies, dass der Anteil vorgegebener Entscheidungen zugunsten freier Wahlmöglichkeiten zurückgedrängt wird, wodurch gleichzeitig die Selbst-ständigkeit des einzelnen Individuums wächst. Nach Beck werden die Lebensentwürfe somit durch bewusste Entscheidungen geprägt, da sich die Individuen stärker als autonom Handelnde begreifen würden: Die Individuen werden gleichsam zum „Planungsbüro der eigenen Biographie“ (ebd.:217). Die Befreiung aus den „Zwängen“ von Klassen, Schichten und Familien entlässt das Indi-viduum nach Beck aber nicht in ein Vakuum. Vielmehr geht die Ausdifferenzierung von Individuallagen mit der Tendenz einher, dass die freigesetzten Individuen arbeitsmarkt-abhängig und damit bildungsabhängig, konsumabhängig, abhängig von sozialrechtlichen Regelungen und Versorgungen, von Verkehrsplanungen, Konsumangeboten, sowie von den Möglichkeiten und Moden in der medizinischen, psychologischen und pädagogischen Beratung und Betreuung werden (ebd.:119). Es ist also eine Veränderung des Stellenwertes der für das Individuum zentralen Institutionen. Erkennbar ist eine Bedeutungsverschiebung weg von "gemeinschaftlichen" Institutionen (Klasse, Familie, Gemeinde) hin zu gesamtge-sellschaftlichen Institutionen (Arbeitsmarkt, soziale Sicherung, Bildungssystem). Unter-schiedlich ist die Art der Vorgaben dieser jeweiligen Institutionen: Sie haben sich verän-dert von einer genauen inhaltlichen Festlegung dessen, was im Einzelnen zu tun oder ausdrücklich nicht zu tun war, hin zu einer handlungsoffeneren Kombination von begren-zenden Rahmenbedingungen und der darin "enthaltenen" abstrakten Forderung an jedes Individuum, sein eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen (Beck 1994:12).

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Betrachtet man die Individualisierungstheorie kritisch, so haftet ihr auf ideologischer Ebene ein grundsätzliches Problem an. Dieses Problem ist darin zu sehen, dass durch die Entkoppelung von sozialer Lage und Lebensstilen die sozialen Ungleichheiten zwischen den Individuen verschleiert werden. Diese Verschleierung basiert auf der Annahme, dass soziale Ungleichheiten ausschliesslich als Ergebnis selbstgewählter Entscheidungen und Handlungen angesehen werden. Soziale Ungleichheiten werden weniger als Ausdruck einer strukturellen Fehlentwicklung angesehen, sondern vielmehr als individualisierte soziale Risiken aufgefasst. Die Schuld für ein Versagen wird vor allem beim Einzelnen und nicht mehr in der gesellschaftlichen Struktur gesehen. Mit Bezug zur These von Beck kommt Bertram (1992) in seiner empirischen Analyse über die regionale Differenzierung von Individualisierungstendenzen in den alten Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland zu interessanten Ergebnissen. Er konnte empirisch nach-weisen, dass mit der Individualisierungsthese lediglich ein Teil der Gesellschaft erfasst werden kann. Nach ihm besteht kein Zweifel darüber, dass in vielen grossen urbanen Zentren Tendenzen zur Individualisierung gelebte Realität ist, während in vielen anderen Regionen der alten Bundesländer dies nicht der Fall sei. Die individualisierte Teilgesell-schaft besteht nach Bertram vorwiegend aus städtischen Bewohnern, die gut gebildet und in einer gut bezahlten Berufsposition sind:

„Es ist zu vermuten, dass viele der Theorien und Thesen über die Individualisierungs-tendenzen in unserer Gesellschaft Thesen sind, die im Grunde genommen für die grossen städtischen Kulturen der Bundesrepublik in unterschiedlicher Ausprägung vollständig richtige Beobachtungen sind, wobei dies nicht nur in ganz grossen Städten, wie Berlin oder München nachweisbar ist, sondern auch in Universitätsstädten mit einem hohen Anteil an Intellektuellen" (ebd.:135f).

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere bei den Gentrifiern individualisierte Lebensstile im Sinne der These von Beck gefunden werden können. Dennoch muss auch in Bezug auf die Gentrifier die einseitige Betonung der gestiegenen Wahl- und Entscheidungsfreiheiten der Individuen in der These von Beck kritisch gesehen werden. Denn auch bei den Gentrifiern wird die persönliche Autonomie nach wie vor beschränkt durch Herkunftsbedingungen, biographische Einschränkungen, ökonomische Sachzwänge (auf höherem Niveau), institutionelle Vorgaben sowie durch den Druck zur distinktiven Abgrenzung. Und obwohl die Wahlfreiheiten der Akteure in der Individuali-sierungsgesellschaft grösser geworden sind, werden die Ausgangsbedingungen nach wie vor durch die soziale Lage (mit-)bestimmt. So lassen sich beispielsweise mit Blick auf die formale Bildung eines Individuums eindeutige Beziehungen zur sozialen Herkunft ziehen. In diesem Kontext spricht Bornschier (1998:231ff) von der Vererbung des Bildungs-status25, die sich aus der Tatsache ergibt, dass Schüler bereits mit unterschiedlichem kulturellem Kapital und schichtbedingten Aspirationsunterschieden in die Schule eintreten. Der Zusammenhang von Herkunft (und hier insbesondere die der formalen Bildung der 25 Die Vererbung des Bildungsstatus ist erkennbar an der hohen Korrelation zwischen der formalen Bildung der Eltern zu

derjenigen der Kinder.

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EMPIRISCHE LEBENSSTILFORSCHUNG 49

Eltern) und Schulerfolg konnte empirisch nachgewiesen werden und weist nach Bornschier auf eine fehlende Chancengleichheit beim Bildungserwerb hin. An diesem Beispiel wird erkennbar, dass die soziale Herkunft nach wie vor eine wichtige Determinante darstellt für die zukünftige Position, die ein Individuum innerhalb der Gesellschaft einnehmen wird.

3.2 Empirische Lebensstilforschung

Wie in Kapitel 3.1 dargelegt, sind Lebensstilkonzepte ein Teil der Sozialstrukturanalyse. Im Unterschied zu Klassen- und Schichtmodellen nehmen sie jedoch nicht auf die ökono-mische Sphäre Bezug, sondern auf Handlungsmuster und Werthaltungen. Wie werden nun aber Lebensstilkonzepte in der Empirie operationalisiert? Nach einer allgemeinen Einfüh-rung wird in diesem Abschnitt der Arbeit ein eigenes Modell des Lebensstilbegriffs vorge-stellt.

3.2.1 Operationalisierung von Lebensstilen

Der Schwerpunkt bei der Operationalisierung von Lebensstilen liegt meist in den be-obachtbaren Handlungsmustern von Individuen oder Gruppen. Häufig werden jedoch auch Einstellungen und Lebensziele sowie soziale Beziehungen und Kommunikationsweisen der Individuen einbezogen. Welche zentralen Dimensionen eines Lebensstils erfasst werden, ist eine überaus wichtige Frage in der Lebensstilforschung und hängt entscheidend vom jeweiligen Forschungsdesign ab. Grundsätzlich ist erkennbar, dass sich quantitative Er-forschungen von Lebensstilen vor allem auf Geschmacksrichtungen und manifeste Hand-lungen wie beispielsweise Konsummuster oder Freizeitaktivitäten konzentrieren (z.B. Blasius 1993). Qualitative Erforschungen von Lebensstilen hingegen zielen meist auf Orientierungen, Einstellungen und Werte der Individuen ab (z.B. Kritzmöller 1996). In den empirischen Beiträgen zur Lebensstilforschung werden die Lebensstile sehr unter-schiedlich operationalisiert. Je nach Autor werden in den jeweiligen empirischen Beiträgen unterschiedliche Dimensionen eines Lebensstils erfasst. Zusammengefasst können nach Spellerberg (1996:74ff) folgende Dimensionen ausgemacht werden:

- Freizeitaktivitäten, teilweise inklusive Zeitbudgets, Urlaubstätigkeiten, Aktivitätsmus-ter, Zeitpräferenzen (kommen in nahezu allen Studien vor)

- Wohnungseinrichtung, Speisegewohnheiten, Kleidungspräferenzen, Musik- und Kunst-geschmack, Fernsehgewohnheiten etc. (z.B. Bourdieu 1987; Kritzmöller 1996; Lüdtke 1989)

- Einstellungen zu Lebensbereichen, zumeist auf Beruf, Familie und Freizeit bezogen, sowie Einstellungen zu Geld und kulturellen Einrichtungen etc. (z.B. Schulze 1992)

- Werte und Lebensziele: häufig entlang der Skala „modern – traditionell“

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- Soziale Zuordnung: Freundschaftswahl, Heiratsverhalten, Bekanntenkreis, Mitglied-schaften in Vereinen und Organisationen oder Wohnquartieren (z.B. Lüdtke 1989)

- Persönlichkeits- und entwicklungspsychologische Variablen: Selbstbild, Identitätskon-zepte oder Persönlichkeitsstärken

In der Lebensstilforschung hat insbesondere das Konzept von Müller (1992) eine wichtige Bedeutung erlangt; es kann als Standard auf diesem Gebiet gelten (vgl. Spellerberg 1996:78). Die Stärke dieses Konzepts liegt darin, dass Müller in die Operationalisierung der Lebensstile sowohl Handlungsorientierungen wie Handlungsmuster einbezieht. So äussern sich Lebensstile nach Müller (1992, 377f) in folgenden vier wesentlichen Dimen-sionen:

„Da ist zunächst das expressive Verhalten, das sich in Freizeitaktivitäten und Konsum-mustern niederschlägt. Die zweite Dimension betrifft das interaktive Verhalten, das direkt in Formen der Geselligkeit und des Heiratsverhaltens, indirekt in Mustern der Medien-nutzung zum Ausdruck kommt (...). Hinzu kommt die Dimension evaluativen Verhaltens, die verschiedene Wertorientierungen und Einstellungen, die sich religiös in Kirchenbin-dungen und –traditionen und politisch in Wahlverhalten niederschlagen (...). Die vierte Dimension zielt auf das kognitive Verhalten ab, welches die Selbstidentifikation, die Zugehörigkeit und die Wahrnehmung der sozialen Welt überhaupt steuert.“26

Nach Müller bilden das expressive und interaktive Verhalten das materielle Substrat eines Lebensstils, also die manifeste Ausprägung des Handelns. Die mentale Komponente einer Handlung – in der Form des evaluativen und kognitiven Verhaltens – bildet demgegenüber das ideelle Substrat eines Lebensstils. Der Begriff des Lebensstils wird von Müller im Vergleich zu anderen Autoren sehr weit gefasst und bezieht viele Bereiche des alltäglichen Lebens ein. Gerade deshalb scheint mir dieser Ansatz in den Grundzügen ein geeignetes Instrument zu sein, um Lebensstilelemente der Gentrifier zu untersuchen. In Bezug auf die Fragestellung dieser Arbeit wird die Begrifflichkeit von Müller in (modifizierter) Form übernommen, woraus jedoch ein eigenes Modell des Lebensstilbegriffs entwickelt wird.

3.2.2 Ein Modell des Lebensstilbegriffs

Wie in Abbildung 6 erkennbar, werden im Modell theoretisch vier Dimensionen des Le-bensstilbegriffs bestimmt. Diese Dimensionen orientieren sich am Ansatz von Müller (1992), wobei jedoch von einer anderen Terminologie ausgegangen wird.

26 Zum Begriff des Verhaltens vgl. Kap. 3.2.2.

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Im Modell werden die Lebensstildimensionen nicht als kognitives, evaluatives, interaktives und expressives Verhalten bezeichnet, sondern als kognitive Orientierung, evaluative Handlungsorientierung sowie als interaktive und expressive Handlungsmuster. Denn mei-ner Ansicht nach ist es problematisch, von Verhalten zu sprechen, da dieser Begriff eine zentrale Stellung innerhalb der Theorie des Behaviorismus einnimmt. Mit ‚Verhalten’ wird dabei eine sinnlich wahrnehmbare Tätigkeit gemeint, die durch einen (beobachtbaren) Reiz verursacht wurde. Eine menschliche Tätigkeit als ‚Verhalten’ zu bezeichnen ist insofern fraglich, als dadurch die Akteure vor allem als reagierende Wesen angesehen werden. Geht man aber davon aus, dass das menschliches Tun kein kausal determinierter Akt ist, sondern eine absichtliche, auf ein Ziel hin entworfene Tätigkeit, so bietet sich der Begriff der Handlung an (vgl. Werlen 1993:27ff).

Die Äusserungsformen eines Lebensstils

Nach meinem Verständnis äussert sich der Lebensstil eines Individuums auf folgende unterschiedliche Arten (s. Abbildung 6):

- Als kognitive Orientierung in der Wahrnehmung der sozialräumlichen Lebenswelt, die das Individuum vorfindet, sowie in der Selbstidentität, die in der Gesamtheit der Wahrnehmungen, Vorstellungen und Bewertungen eines Individuums über die eigenen Handlungsmuster, Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten zum Ausdruck kommt und sich in der Selbsteinordnung innerhalb der Gesellschaft ausdrückt.

- Als evaluative Handlungsorientierung in den Wert- und Zielorientierungen, die kulturell vermittelt sind und die die eigentlichen Handlungsorientierungen bei der Wahl zwischen Handlungsalternativen darstellen.

- Als interaktive Handlungsmuster in der Art der sozialen Beziehungen und sozialen Kontakte zu anderen Gesellschaftsmitgliedern, die sich in spezifischen Interaktions-mustern äussern.

- Als expressive Handlungsmuster in den Konsummustern, die sich in Kaufentschei-dungen und im Umgang mit den angeschafften Waren sowie in der Inanspruchnahme von Dienstleistungsangeboten spiegeln, wie auch in Freizeitaktivitäten, also im Um-gang und in der Verwendung von freier Zeit.

Nicht alle Handlungsorientierungen oder Handlungsmuster sind gleich gut geeignet, um zur Stilisierung des Lebens beizutragen. Insbesondere Handlungen und Denkweisen, bei denen die Ästhetik bzw. die Form gegenüber der Notwendigkeit bzw. dem Inhalt bedeut-samer ist, sind zur Stilisierung des Lebens geeignet. Nehmen wir das Beispiel des Kleider-kaufs: Würde beim Kauf eines Kleidungsstückes nur darauf geachtet, dass es dem Körper Schutz vor Kälte oder vor den Blicken der Anderen bietet, wären Modedesigner und Be-sitzer von exklusiven Kleiderboutiquen wohl bereits nach kurzer Zeit arbeitslos.

Voraussetzungen für die Herausbildung eines Lebensstils

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der, dass die Herausbildung eines Lebensstils ein erheb-liches Mass an Wahl- und Entscheidungsfreiheit voraussetzt. Das Potential zur Stilisierung

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einer Lebensweise ist vor allem dann gegeben, wenn die Gestaltung des eigenen Lebens nur geringfügig durch Einschränkungen bestimmt wird. Solche Einschränkungen ergeben sich für ein Individuum bei tiefer Ressourcenverfügbarkeit, bei schwerer Krankheit oder bei anderen erzwungenen Lebensweisen (z.B. in Gefängnissen). Ein geregeltes und hohes Einkommen, eine hohe Bildung und Kinderlosigkeit, alles Merkmale, die auf die Gentrifier zutreffen, vereinfachen dagegen die Herausbildung eines ausgeprägten Lebensstils jenseits des „Reichs der Notwendigkeit“ (Lüdtke 1989:32). Lebensstile hängen somit vom Aus-mass und der Zusammensetzung der Ressourcen ab, die die Lebenschancen und somit die jeweiligen Optionen und Wahlmöglichkeiten festlegen. Ausserdem werden – wie in Abbil-dung 6 schematisch dargestellt – Lebensstile inhaltlich beeinflusst durch das Ausmass und die Zusammensetzung der Kapitalarten, aber auch durch Alter, Generation, Geschlecht, Gesundheitszustand und durch die Lebensform (Haushaltsform, Lebensphase, Kinderzahl). Einen überaus wichtigen Einfluss haben zudem die sozialen Erfahrungen, die innerhalb der Lebensgeschichte gemacht wurden und die die Mentalitäten der Akteure prägen.

Die Träger eines Lebensstils

Als Träger von Lebensstilen kommen grundsätzlich Individuen wie auch ganze Haushalte (z.B. bei Lüdtke) in Frage. Bezogen auf das hier vorgestellte Verständnis von Lebensstilen können meiner Ansicht nach nur Individuen Lebensstilträger sein. Denn es sind aus-schliesslich Individuen, die Pläne entwerfen und Ziele verfolgen, die mit anderen Indivi-duen interagieren und die sich durch expressive Handlungsmuster gegenüber anderen abgrenzen und sich zu einem bestimmten Stil bekennen. Es ist jedoch naheliegend, dass in vielen Fällen Haushalte von Personen mit ähnlichen Lebensstilen gegründet werden, da ansonsten ein Zusammenleben nur bei grosser Toleranz gegenüber dem anderen Lebensstil möglich wäre. Von dieser Annahme gehen diejenigen Ansätze aus, welche die Lebensstile von Haushalten untersuchen. Da die Individuen keine solitären Wesen sind, müssen die bewusst oder unbewusst vorge-nommenen Ausformulierungen eines Lebensstils im Zusammenhang mit anderen Men-schen und deren Lebensstilen gesehen werden, da erst durch den Austausch mit und die Bewertung von anderen Lebensstilen der eigene Stil gefestigt werden kann. Die persön-liche Identitätssicherung, die soziale Abgrenzung gegenüber andern und das gegenseitige Anerkennen wird folglich erst dann ermöglicht, wenn das Individuum in einem wechsel-seitigen Austausch mit anderen Personen, mit gesellschaftlichen Normen und Werten und mit politischen Prozessen steht. Dieser gesellschaftliche Orientierungsraster stellt jedoch keine deterministische Struktur dar, sondern wird von den Individuen jeweils unterschied-lich wahrgenommen und interpretiert – er steckt somit das Feld möglicher Ziel- und Zwecksetzungen eines Individuums ab. Zugleich ist der Orientierungsraster keine starre, sondern eine dynamische Struktur, die, vermittelt über die Handlungen der Akteure, zeitli-chen Veränderungen unterliegt.

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Raum und Lebensstile

Dem Raum kommt insofern eine wichtige Bedeutung zu, als er den unterschiedlichen Handlungen der einzelnen Akteure Rahmenbedingungen setzt, die sowohl von ermögli-chender wie auch von einschränkender Art sind. Den Gentrifiern ermöglicht insbesondere der Stadtraum die Ausübung ihrer Lebensstile, denn er gibt einen kontextuellen Rahmen für vielerlei Handlungen ab: Der Raum wird zur Bühne, auf der das eigene Leben stilisiert dargestellt werden kann. So äussern sich im städtischen Alltag die Lebensstile der Gentri-fier beispielsweise in der Art, wie das städtische Dienstleistungsangebot genutzt wird oder in der Ausgestaltung ihrer sozialen Netzwerke. Eine entscheidende Komponente spielt dabei, wie der Raumbezug der Gentrifier ausschaut. Dabei geht es um Aspekte der Wahr-nehmung des Raums, um Einstellungen zum Raum und um Wünsche an den Raum. All diese Aspekte werden in der empirischen Arbeit im Zentrum des Interesses stehen (vgl. Kapitel 4). Lebensstile manifestieren sich räumlich vor allem in sogenannten Milieus. Der Begriff des Milieus ist aber umfassender zu verstehen, als er im Alltagsverständnis gebraucht wird. Denn im alltäglichen Sprachgebrauch wird von Milieu meist im Zusammenhang mit dem Rotlichtmilieu gesprochen. In der neueren wissenschaftlichen Forschung wird der Milieu-Begriff aber eher gebraucht wie dies in der Definition von Hradil (1992:25) zum Ausdruck kommt:

„Unter dem Milieubegriff werden Kontexte bzw. Umwelten (seien sie materieller oder immaterieller Art, seien sie natürlich oder gesellschaftlich entstanden, seien sie ökono-misch, politisch, administrativ oder soziokulturell einzuordnen) verstanden, die von be-stimmten Bevölkerungsgruppen in spezifischer Art und Weise wahrgenommen und genutzt werden und somit spezifische Lebensweisen charakterisieren.“

In Milieus sind demzufolge Personen anzutreffen, die einen ähnlichen Lebensstil aufwei-sen. Herlyn (1998) unterscheidet zudem zwischen den traditionellen Wohnmilieus und den interessengesteuerten modernen Wahlmilieus.27 Wohnmilieus sind räumlich fixiert und entstehen hauptsächlich in Wohnvierteln, in die die Bevölkerung relativ fraglos hineinwächst. Da diese Milieus an den Ort des Wohnens gebunden sind, haben hauptsächlich nachbarschaftliche Beziehungen eine milieukonstitu-ierende Wirkung. Die Wohnmilieus werden dabei in der Regel umso schichthomogener sein, je stärker der soziale Austausch der Wohnbevölkerung untereinander ist. Eine beson-dere Rolle kommen Wohnmilieus zu, in denen Benachteiligte, vor allem arme Bevölke-rungsgruppen konzentriert leben. Daraus resultieren Gebiete, in denen sich vielfältige Problemlagen konzentrieren und sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken, wobei der Ort selbst zu einer Quelle sozialer Benachteiligung werden kann. Wahlmilieus sind demgegenüber zeitlich limitiert und räumlich verschiebbar. Ihre haupt-sächliche Bedeutung liegt für den Einzelnen darin, dass er in diesen Milieus die Zugehö-rigkeit zu einer bestimmten Lebensstilgruppierung demonstrieren kann. Es sind also Orte,

27 Schulze (1994) spricht nicht von Wohn- und Wahlmilieus, sondern von Raum als Umgebung und von Raum als Szenerie.

Dies ist jedoch hauptsächlich eine rein begriffliche Unterscheidung.

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EMPIRISCHE LEBENSSTILFORSCHUNG 55

die zu Treffpunkten und Schauplätzen von Milieus werden und von diesen in Beschlag ge-nommen werden. Herlyn (1998) geht davon aus, dass vor allem in den Städten der wohnungszentrierte, auf das Wohnquartier bezogene, soziale Austausch quantitativ an Wichtigkeit innerhalb des Alltages verliert. Schulze (1994; zit. in Dangschat 1994:342ff) führt diese Vermutung noch weiter, indem er behauptet, dass der Raum unter der modernen Bedingung gewählter Sozialbeziehung für die Milieukonstruktion unerheblich wird und das Handeln der Men-schen immer weniger an Räume gebunden sei. Die Annahme, dass der Raum für die Milieukonstruktion unerheblich würde und dass der durch den dauernden Aufenthalt definierte Ortsbezug an Prägekraft verlieren würde, muss jedoch kritisch gesehen werden. Denn die ungleiche Verteilung der Wohnstandorte innerhalb einer Stadt, die als resi-dentielle Segregation bezeichnet wird, hat sich insbesondere für die meisten Grossstädte der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten verschärft (vgl. Dangschat 1994). Diese grundlegenden Veränderungen in der sozialräumlichen Struktur dieser Städte werden mit den Begriffen ‚Polarisierung’, ‚Spaltung der Stadt’ oder ‚soziale Exklusion’ beschrieben. Durch die Verschärfung von sozialen Disparitäten und die Ausgrenzung benachteiligter Gruppen werden Städte in „Inseln der Verlierer“ und in „Inseln der Gewinner“ geteilt. Während die wohlhabenderen Milieus mit grossem Aufwand versuchen sich abzuschotten, weisen die Inseln der Verlierer häufig eine ethnisch-kulturelle Einfärbung auf.28 So teilen denn Häussermann und Siebel (1987:138f.) die sozialräumliche Struktur der Stadt in drei Bereiche: Während die erste Stadt von den internationalen, wirtschaftlichen Zentren repräsentiert wird, ist die zweite Stadt neben den oberzentralen Einrichtungen wie Uni-versitäten, Gerichten, Landesverwaltungen und mittelständischen Unternehmen vor allem durch die Arbeitsstätten, Wohnviertel und Aktionsräume der mittleren Schichten geprägt. Die dritte Stadt steht dagegen für die Armutsgebiete und für die marginalisierten Quartiere der Randgruppen ohne Wachstums- und Modernisierungspotentiale. Bei der Segregation kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Übertragung sozialer Ungleichheit in den städtischen Raum handelt. Dabei entstehen für die Individuen durch die jeweilige Lage und (infrastrukturelle) Ausstattung des Wohnstandortes unmittel-bare Vor- und Nachteile. Diese können die ohnehin bestehenden sozialstrukturellen Unter-schiede weiter verfestigen und vergrössern und die „Hierarchisierung“ der Räume voran-treiben:

„Die gruppenspezifische, z.T. monopolisierende Nutzung von städtischen Räumen, bzw. Wohnraum, als Ausdruck von Lebensstilisierungen findet ihre Entsprechung in Segrega-tionsmustern, die sich durch die Konkurrenz um Wohnraum im Stadtgebiet abzeichnen und soziale Ungleichheit reflektieren und verstärken“ (Alisch und Zum Felde 1992:191). Bourdieu ist einer der wenigen Autoren, welcher die Übertragung sozialer Ungleichheiten in den Raum in einem theoretischen Konzept thematisiert. Nach ihm bildet sich das Ne-beneinander der sozialen Positionen der Individuen im physisch-räumlichen Raum ab:

28 Die sozialräumliche Entmischung der Wohnstandorte wird dabei entscheidend durch bewusst vorgenommene, angebots-

seitige Wohnungsmarktprozesse gesteuert (vgl. Odermatt 1997:71ff).

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„Der soziale Raum weist eine Tendenz auf, sich mehr oder weniger strikt im physischen Raum in Form einer bestimmten distributionellen Anordnung von Akteuren und Eigen-schaften niederzuschlagen (...). Daraus folgt, dass der von einem Akteur eingenommene Ort und sein Platz im angeeigneten physischen Raum hervorragende Indikatoren für seine Stellung im sozialen Raum abgeben“ (Bourdieu 1991:25).

Je nach Position innerhalb des physischen Raumes ergibt sich für die Individuen ein mehr oder weniger grosses Ausmass an Lokalisationsprofit. Dieser setzt sich dabei nach Bourdieu (1991:30) zusammen aus der Situationsrendite, aus dem Okkupations- oder Raumbelegungsprofit und aus dem Positions- oder Rangprofit:

- Die Situationsrendite ergibt sich aus der Nähe zu erwünschten Personen und Dingen und aus der Ferne zu unerwünschten Personen und Dingen.

- Der Okkupationsprofit entsteht durch die Quantität des verbrauchten (Wohn-)Raumes und durch die Menge des unverbaubaren Blickfeldes.

- Unter Positions- oder Rangprofit fällt beispielsweise eine spezifische Adresse als besondere Form des symbolischen Kapitals (vgl. Leuthold 1998).

Wer nun einen physischen Raum mit hohem Lokalisationsprofit nutzen kann, hängt ent-scheidend vom verfügbarem ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapital ab. Im Falle der benachteiligten Bevölkerungsgruppen muss jedenfalls in den meisten Fällen von er-zwungener Segregation gesprochen werden, während es sich bei den statushöheren Schichten um freiwillige und meist bewusst vorgenommene Kontaktvermeidung handelt. Folglich bildet die räumliche Verteilung von (Lebensstil-)Gruppen innerhalb eines Stadt-gebietes grundsätzlich die früheren und heutigen Machtverhältnisse und Lebensweisen ab.

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4 Empirischer Teil

Das Themengebiet Gentrification wurde sowohl in der theoretischen wie auch der empiri-schen Forschung in den letzten Jahren aus unterschiedlicher Sichtweise (sozial, räumlich, ökonomisch) diskutiert und untersucht, wodurch eine breite Literaturpalette auf diesem Forschungsgebiet entstanden ist. Bei den im deutschsprachigen Raum durchgeführten empirischen Untersuchungen über die Lebensstile der am Prozess der Gentrification betei-ligten Akteure werden dabei hauptsächlich Unterschiede zwischen den einzelnen Lebens-stilgruppen analysiert. In dieser empirischen Arbeit wird hingegen kein Vergleich zwischen Lebensstilgruppierungen gezogen, sondern der Fokus des Interesses liegt alleine auf dem Lebensstil der Gentrifier. Nachdem in einem ersten Abschnitt dieses Kapitels die Zielsetzung dargestellt und die Thesen gebildet werden, wird in einem zweiten Abschnitt die empirische Vorgehensweise aufgezeichnet. Im dritten Abschnitt werden dann die Ergebnisse der Befragungen vorge-stellt und jeweils auf die Thesen bezogen interpretiert. Im letzten Abschnitt wird die Me-thodik der empirischen Arbeit kritisch gewürdigt.

4.1 Zielsetzung und Thesenbildung

Es ist erstaunlich, dass die meisten empirischen Untersuchungen über die Lebensstile der Gentrifier breit angelegte, geschlossene Befragungen der Bewohner sind. In diesen Arbei-ten wird dann meist ein eher stereotypes Bild der Gentrifier gezeichnet, da das einzelne Individuum immer in der Sozialkategorie der Gentrifier aggregiert ist. Kaum je wird der einzelne Gentrifier darin als Einzelperson in seiner individuellen Situation gewürdigt. Auch wenn diese Untersuchungen zu sehr interessanten Ergebnissen kommen, gibt es meiner Ansicht nach ein Defizit an wissenschaftlichen Arbeiten, die sich auf differenzier-tere Weise mit den Lebensstilen der Gentrifier beschäftigen. Dies ist letzten Endes auch die Motivation dieser empirischen Untersuchung, erhoffe ich mir doch damit, verfeinertere Informationen zum Lebensstil der Gentrifier zu erhalten, als dies mit quantitativen Analy-sen möglich ist. Aus diesen Gründen werden in der folgenden empirischen Arbeit qualitative Interviews mit Gentrifiern durchgeführt, um sie auf ihr urbanes Lebensgefühl hin zu befragen. Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit der in der Literatur beschriebene „urbane“ Lebensstil der Gentrifier nur eine Fiktion aus den theoretischen Ansätzen ist, die so in der städtischen Alltagswelt nicht vorkommt, oder ob er ein wirkliches Abbild der realen städtischen Le-bensweise der Gentrifier ist.

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Um diese Frage beantworten zu können, muss zuerst aufgezeigt werden, wie der Lebensstil der Gentrifier in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben wird. In einem ersten Schritt wird daher ein idealtypisches Bild über den Lebensstil der Gentrifier skizziert, wobei ich mich vor allem auf das Wissen stütze, das im Theorieteil erarbeitet wurde. In einem zwei-ten Schritt werden aus diesem idealtypischen Bild sieben Thesen abgeleitet, um eine Grundlage für die Befragung zu erhalten.

a) Der idealtypische Lebensstil der Gentrifier

Idealtypen sind eine insbesondere von Max Weber (1922:541ff) entwickelte Form der begrifflichen Erfassung komplexer sozialer Sachverhalte. Sie sind gedankliche Konstruk-tionen, die aber nicht als ideale, vorbildliche Typen mit moralischem Charakter aufzufas-sen sind, die es zu erreichen gilt. Vielmehr sollten Idealtypen nach Werlen (1993:31f) „Deutungsanleitung und Deutungsschemata für den Wissenschaftler sein, damit für ihn Handlungsweisen, die in bestimmten Situationen als individuell oder typisch gelten, inter-pretierbar werden.“ Idealtypen sind somit gedachte methodische Hilfskonstruktionen, die in Wirklichkeit in dieser Form nur selten oder nie anzutreffen sind. Die Funktion eines Idealtypus liegt darin, dass mit ihm ein allgemeiner Begriff geschaffen wird, dessen Definition den Hintergrund abgibt, vor dem die Besonderheiten des Einzelfalls sich abheben und beschrieben werden können. Genau diese Funktion muss der idealtypische Lebensstil der Gentrifier auch in dieser Arbeit erfüllen, wird er doch mit den Erkenntnissen verglichen, die sich aus den Interviews ergeben. Der in dieser Arbeit zu Grunde liegende idealtypische Lebensstil eines Gentrifiers schaut dabei wie folgt aus:

Typisch für den Lebensstil der Gentrifier sind individualistisch-materialistische Handlungs-muster, die mit einer ausgeprägten Berufs- und Karriereorientierung, einem hedonistischen Lebensentwurf im Bereich der Freizeit und des Konsums und vor allem mit der Ablehnung eines tradierten, kleinfamiliären Lebensmodells einhergehen (vgl. Krätke 1995:197f). Die grundlegende Einstellung der Gentrifier dem Leben gegenüber ist durch die geringe Bereitschaft sich festzulegen gekennzeichnet. Diese Offenheit der Zukunft gegenüber wird von den Gentrifiern als Möglichkeit verstanden, jederzeit auf neue Möglichkeiten einzuge-hen, die das Leben bieten mag (vgl. Spiegel 1986:72f). Sie ist zudem für die Gentrifier auch ein Mittel zur Selbstverwirklichung, also zur Entfaltung der eigenen Individualität. Selbstverwirklichen wollen sich die Gentrifier auch in ihrem Berufsleben, dient doch der Beruf neben der Einnahmequelle vor allem als Mittel zur Selbstbestätigung . Die Familie hat für die Gentrifier an Bedeutung verloren, Ort sozialer Sicherung zu sein. So ist denn für sie auch die Gründung einer Familie nicht mehr selbstverständlicher Orientie-rungspunkt eines „normalen“ Lebenslaufs, sondern die Familiengründung wird auf einen späteren Zeitpunkt verschoben oder gänzlich – meist auch zugunsten einer beruflichen Karriere – weggelassen (vgl. Häussermann und Siebel 1987:14). Die gewollte Befreiung von den Zwängen eines Familienlebens geht für die Gentrifier mit der Gefahr der sozialen Isolierung einher. So entstehen gleichzeitig Bedürfnisse nach

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ZIELSETZUNG UND THESENBILDUNG 59

ausserhäuslichen Kontakten, die in der Stadt durch die Vielzahl von ausserfamiliären Inter-aktionsmöglichkeiten jedoch gegeben ist. Zugleich ist die Stadt eine gesellschaftliche Bühne (vgl. Goffman 1996), auf der sich die Gentrifier dauernd in Szene setzen müssen (und können), um nicht übersehen und verges-sen zu werden. Durch die vielfältigen Angebot an Einkaufsmöglichkeiten und privaten Dienstleistungen bietet die Stadt den Gentrifiern jedoch genügend Möglichkeiten, sich in Szene zu setzen. Die Konsumgüter und die Art zu konsumieren stellen daher für die Gentri-fier ein überaus wichtigen Aspekt ihrer Lebensinszenierung dar und begründen einen Teil ihrer Identität: „Es wird nicht mehr nur gekauft, um den alltäglichen Bedarf zu decken, sondern Kaufen wird mehr: Kaufen wird zum sozialen Ereignis.“ (vgl. Blasius 1990:359) Dies wird für den Gentrifier umso bedeutsamer, je schwieriger die soziale Profilierung angesichts einer immer geringeren Sichtbarkeit von Statusunterschieden wird.

b) Thesenformulierung

Am derart konstruierten idealtypischen Lebensstil der Gentrifier können verschiedene Thesen abgeleitet werden. Eine wichtige Orientierungsgrundlage bei der Thesenbildung bildet das in Kapitel 3.2.2 vorgestellte Modell des Lebensstilbegriffs, wo der Begriff des Lebensstils operationalisiert wurde. In die Thesen fliessen daher sowohl hypothetische Aussagen über kognitive Orientierungen und evaluative Handlungsorientierungen der Gentrifier wie auch Vermutungen über ihre interaktiven und expressiven Handlungsmuster ein. Folglich beziehen sich die Thesen nicht nur auf die Vorstellungen der Gentrifier über Urbanität (These 1) oder auf die Wahrnehmung und Bewertung von räumlichen Verände-rungen (These 4), sondern auch auf die sozialen Interaktionen (These 5 und 6) oder auf ihre Konsummuster (These 3). Insgesamt formuliere ich die folgenden sieben Thesen: These 1: Die Qualität urbaner Lebensweise ergibt sich in erster Linie durch grössere potentielle Freiheiten in der Lebensgestaltung. An die Stelle des Wunsches, im Grünen und im Eigenheim zu wohnen, treten bei den Gentrifiern Werte, die auf Selbstentfaltung, Auto-nomie und Individualität abzielen.

These 2: Die Gentrifier haben ihre innenstädtische Wohnumgebung gezielt ausgewählt, um die potentiellen Möglichkeiten zu nutzen, die dieser urbane Stadtteil bietet. Der Stadt-teil trägt somit das Versprechen in sich, dass er die Aktivitäten und die Verfolgung der Lebensziele der Gentrifier eher ermöglicht als einschränkt.

These 3: Der städtische Raum wird von den Gentrifiern als Bühne der distinkten Selbst-darstellung und als Ort demonstrativen Konsums genutzt. Die hohe Verfügbarkeit von Ressourcen ermöglicht es ihnen zudem, von den Qualitäten des Quartiers als Lebensort zu profitieren und ihn als positiven Erlebnis- und Erfahrungsraum wahrzunehmen.

These 4: Die Gentrifier stehen dem Aufwertungsprozess in ihrer Wohnumgebung positiv gegenüber, da dadurch die Chancen zur Verwirklichung ihrer Lebensweisen steigen. Durch

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den Aufwertungsprozess entstehen zudem überproportional viele Räume, durch die eine symbolische Aneignung der Wohnumwelt durch die Gentrifier vereinfacht wird.

These 5: Das Zusammenleben der Gentrifier mit den Alteingesessenen und den gesell-schaftlichen Aussenseitern (Drogenabhängige und Prostituierte) ist charakterisiert durch physische Nähe bei gleichzeitiger sozialer Distanz. Die Stadt ermöglicht den Gentrifiern unterschiedliche kulturelle Begegnungen, die aber in den meisten Fällen die Form einer zwanglosen Beziehung haben. Die alteingesessene Bevölkerung erfüllt dadurch bei den Gentrifiern die Funktion einer urbanen „Staffage“.

These 6: Die Sozialbeziehungen der einzelnen Gentrifier basieren auf einem Kontaktnetz, das individuell hergestellt, erhalten und immer wieder erneuert werden muss. Insbesondere der Stadtraum bietet für die Gentrifier die Möglichkeit, vielfältige ausserhäusliche Kon-takte zu knüpfen und zu pflegen.

These 7: Die Stadt, verstanden als Ort verschiedenster Milieus29, ermöglicht auch ein Gentrifier-Milieu, welches die Integration der Gentrifier in die Stadtgesellschaft erleichtert. Insbesondere Szenerien – verstanden als Schauplätze von Milieus – spielen für die Gentri-fier eine wichtige Rolle, da über diese Orte die Demonstration der Zugehörigkeit zur ge-wünschten Lebensstilgruppierung gelingt.

29 Zum Begriff des Milieus vgl. den Abschnitt „Raum und Lebensstile“ in Kapitel 3.2.2.

4.2 Qualitative Erhebungsmethode

Empirische Untersuchungen können als „methodisch bewusster Verzicht auf Informa-tionen“ (Rohlinger 1990:235) angesehen werden. Daraus ergibt sich für die empirische Forschung die Notwendigkeit, dass das Zustandekommen der Ergebnisse beschrieben wird. Denn nur wenn der Prozess der Datengewinnung für die Leser offen dargelegt wird, kann die Glaubwürdigkeit der gewonnenen Ergebnisse gewährleistet werden. So fordert Lamnek (1998:120) für den Interpretationsprozess das methodische Prinzip der Explikation, wel-ches besagt, dass die Einzelschritte der Untersuchung offengelegt werden sollen, damit deren Akzeptanz erhöht wird. In diesem Abschnitt wird diesem Postulat Folge geleistet, um eine intersubjektive Überprüfbarkeit der Ergebnisse garantieren zu können.

4.2.1 Die Auswahl der Erhebungsmethode

Die Wahl einer geeigneten Forschungsmethode muss aufgrund der Fragestellung und Zielsetzung der jeweiligen Untersuchung entschieden werden (vgl. Lamnek 1998:107). Das Zusammenspiel von Fragestellung, Erhebungs- und Auswertungsmethode dieser empiri-

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schen Arbeit ist in Abbildung 7 skizziert. In der Abbildung wird dargestellt, dass die Erhe-bungs- und Auswertungsmethode eng auf die Fragestellung bezogen entwickelt wurden und dass sich zugleich die Auswertungsmethode stark an der Erhebungsmethode orien-tierte.

A

MLvzdGmbsvvdliDsDsqzqMinsli

Erhebungsmethode Qualitatives, weiches bis neutrales Leitfadeninterview (Einzelbefragung) mit offenen Fragen und dem Ziel, eine brauchbare Interpretationsgrundlage zu erhalten.

Thematik

Lebensstile der Gentrifier

Erkenntnisinteresse Beantwortung der Fragestellung (s. S. 9) und der Thesen (s. S. 59).

bbildung 7: Auswahl der Forschungsmethode (Quelle: E

it dieser empirischen Arbeit ist das Ziel ebensstile der Gentrifier weiterzuführen uorangegangenen Kapitel aufgestellten Theielt dabei weniger auf die effektiven Faktern vielmehr auf die Wahrnehmungen uentrifier. Beispielsweise ist von geringereöglichkeiten und privaten Dienstleistunge

eurteilen. Die Konzentration auf die Bedinnvoll, als für ein Individuum ausschliessant ist. Die räumlichen und sozialen Struermittelt über die eigene Perzeptionsbrillurch die Forschungsmethode des qualitaticht, ihre Wirklichkeitsdefinitionen mitzutea mit qualitativen Interviews am ehesten

tellungen und Bewertungen der Handelnurchführen von qualitativen Interviews a

chen Arbeit. Dies ist auch ganz in der Tradualitative Instrumente grundsätzlich zur Uogen werden, werden Analysen zwischen uantitativer Methoden durchgeführt. it qualitativen Befragungen wird gewähdividuellen Situation auch als Einzelfall

chliessenden Darstellung Berücksichtigunchkeit“. Der Vorteil der qualitativen Be

Auswertungsmethode Kategorisierung auf der Basis der zu Grunde liegenden Thesen, Interpretation mit Hilfe von relevanten Theorieansätzen

igene Darstellung nach Lamnek 1989:107)

verbunden, bereits bestehende Studien über die nd zu vertiefen, wobei die Überprüfung der im sen im Zentrum steht. Das Forschungsinteresse en und Realitäten der Gentrifizierung ab, son-nd Bewertungen dieser Tatsachen durch die m Interesse, wie gut das Angebot an Einkaufs-n für die Gentrifier wirklich ist, als wie sie es

eutungszuweisung der Handelnden ist insofern lich die (subjektive) Perspektive handlungsrele-kturen werden von den Handelnden also erst

e in die Handlungen einfliessen. Insbesondere ven Interviews wird es den Handelnden ermög-ilen (Lamnek 1989:61). Informationen über die Wahrnehmungen, Vor-den erfasst werden können, erweist sich das ls geeignete Vorgehensweise in dieser empiri-ition der Forschung über Lebensstile: Während ntersuchung innerhalb eines Milieus herange-verschiedenen Milieus dagegen eher mit Hilfe

rleistet, dass jeder einzelne Befragte in seiner gewürdigt wird und als solcher in einer ab-g findet, trotz seiner quantitativen „Unerheb-fragung liegt zudem darin, dass aufgrund der

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flexiblen Vorgehensweise differenziertere Informationen als bei quantitativen Untersu-chungen erhoben werden können; umfassende Beschreibungen von individuellen Lebens-stilen werden daher möglich. In der Auswertung kann zudem der Informationsverlust sehr klein gehalten werden – so klein, dass auch jene Lebensstil-Variationen, die nur von sehr wenigen oder auch nur von einer einzigen Person gelebt werden, beschrieben werden können. Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse ist jedoch aufgrund der (zwangsläufig) geringen Fallzahl und der fehlenden Standardisierung in der Regel nicht zulässig.

4.2.2 Die Art der Befragung

Bei die Art der Befragung habe ich mich für ein Leitfadeninterview entschieden. Das Leitfadeninterview nimmt dabei eine mittlere Position zwischen den beiden Extremtypen der nicht-standardisierten Befragung und der standardisierten Befragung ein. Die halb-standardisierte Befragung versucht dabei die Vor- und Nachteile der jeweiligen Extrem-positionen zu optimieren.30 Schell et al. (1993:390ff) sehen das Ziel von Leitfadenin-terviews darin, dass durch die offene Gesprächsführung und die Erweiterung von Ant-wortspielräumen der Bezugsrahmen der Befragten miterfasst werden kann. Nach diesen Autoren werden dadurch Einblicke in die Relevanzstrukturen und die Erfahrungshinter-gründe der Befragten erst möglich. Der Vorteil eines Leitfadens für diese Arbeit lag darin, dass dadurch gewährleistet werden konnte, dass alle forschungsrelevanten Themen angesprochen wurden. Dadurch verein-fachte sich die Vergleichbarkeit der einzelnen Interviewergebnisse sehr. In der Interview-situation versuchte ich mich relative strikte an den Leitfaden zu halten, wobei ich jedoch Reihenfolge und Formulierung der Fragen im Wesentlichen selbst bestimmte und den jeweiligen Antworten anpasste, wodurch der Gesprächsablauf flexibel gestaltet werden konnte. Den Interviewten blieb es auf diese Art und Weise überlassen, den für sie relevan-ten Stellenwert eines Themengebietes zu bestimmen, anstatt sich mit geschlossenen Fragen konfrontiert zu sehen, welche möglicherweise ausserhalb ihres Interesses gelegen oder sie durch vorgegebene Antwortkategorien eingeengt hätten. Die konkreten Fragen des im Anhang abgedruckten Interviewleitfadens ergaben sich hauptsächlich anhand der formulierten Thesen (vgl. Kap. 4.1), wobei sowohl mein Verständnis des Lebensstilbegriffs (vgl. Kap. 3.2.2) wie auch die wissenschaftlichen An-sätze, die im theoretischen Teil dieser Arbeit vorgestellt wurden, eine Orientierungshilfe bildeten.

30 Vor- und Nachteile von standardisierten bzw. nicht-standardisierten Befragungen sind beispielsweise in Lamnek

1989:36ff. oder in Schnell / Hill / Esser 1992:328ff. nachzulesen.

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4.2.3 Methode der Datenerhebung

Die gewählte Erhebungsmethode folgt dem Prinzip der Offenheit: Offenheit gegenüber der Erhebungssituation, Offenheit bezüglich des Forschungsdesigns, das genügend Flexibilität zur Anpassung an die Merkmale der Erhebungssituation gewährleistete, Offenheit gegen-über den untersuchten Personen, welche über das Ziel der Forschung in Kenntnis gesetzt wurden, sowie Offenheit hinsichtlich der Entwicklung hypothetischer Aussagen. Vor der endgültigen Datenerhebung wurden drei Interviews als Pretest durchgeführt. Ziel dieses Pretests war, unvorhergesehene Aspekte zu erheben, welche von mir bislang noch nicht als relevant erachtet wurden, die aber für die Behandlung meines Themas von Wich-tigkeit sind. Mit Hilfe des Pretests konnten so unvorhergesehene Fragestellungen, welche von den Testpersonen aufgeworfen wurden, im Leitfaden integriert werden. Die Fragen der Hauptinterviews wiesen daher im Vergleich zu denjenigen des Pretests einen höheren Grad an Standardisierung auf.

4.2.4 Auswahl der befragten Personen

Meine Fragestellung nach der städtischen Alltagswelt der Gentrifier kann kaum mit einer generalisierenden Aussage beantwortet werden. Vielmehr lassen die Antworten auf die Interviewfragen einen Spielraum für Deutungen und Interpretationen offen. Die Repräsen-tativität der Antworten spielte bei meinem Forschungsdesign daher eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger erschien mir, die ganze Spannweite an Aussagen über die Hand-lungsorientierungen und –muster der Gentrifier zu erhalten, um diese Gruppe charakterisie-ren und die im Voraus erstellten Thesen beurteilen zu können. Es ging in erster Linie nicht darum, wie häufig eine einzelne Antwort gegeben wurde, sondern das Ziel der Befragung war, eine möglichst vollständige Palette an Deutungsmustern der Gentrifier über ihre jeweilige soziale Realität zu erhalten. Für die Auswahl der Interviewpartner bedeutete dies, dass typische Fälle von Gentrifiern im Kreis 5 gefunden werden mussten. Dabei musste vermieden werden, eine verzerrte – weil untypische – Auswahl vorzunehmen. Das Problem bestand also darin, Personen mit unterschiedlichen individuellen Ausprägungen der Merkmalsvariablen wie Alter, Beruf, Geschlecht und Wohndauer im Kreis 5 zu finden, wobei sie aber dennoch alle der Sozial-kategorie der Gentrifier angehören mussten. Zu Beginn meiner empirischen Arbeit ging es darum, mögliche typische Gentrifier als Interviewpartner zu lokalisieren und für ein Interview zu motivieren. Während des For-schungsprozesses musste ich dann zudem die Auswahl der Interviewpartner überprüfen und allenfalls sukzessive erweitern.

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4.2.5 Suche nach Gentrifiern

Ohne theoretisches Vorverständnis wäre die Suche nach „typischen“ Gentrifiern nur be-dingt möglich gewesen. Eine grundsätzliche Restriktion bei der Auswahl der potentiellen Interviewpartner ergab sich durch die in der Wissenschaft beschriebenen Merkmale, die auf einen Gentrifier zutreffen müssen. Grundsätzlich werden Gentrifier in den meisten empirischen Untersuchungen über Gentrification über quantitative Merkmale operationa-lisiert. So definieren beispielsweise Dangschat und Friedrichs (1988:20) die Sozialkatego-rie der Gentrifier operational nach folgenden Merkmalen:

„Sie verdienen mindestens DM 2000.- pro Person; sie sind zwischen 26 und 45 Jahre alt, sie leben in Haushalten von ein oder zwei Personen und haben keine Kinder.“31

Für die Auswahl meiner potentiellen Interviewpartner wurden die definitorischen Ein-schränkungen der Variablen Alter, Haushaltsgrösse und kinderlos übernommen. Die Variable ‚hohes Einkommen’32 konnte jedoch nur indirekt berücksichtigt werden, indem ich von der Annahme ausging, dass diejenigen Leute, die in privilegierten Wohnun-gen leben, auch über ein hohes Einkommen und/oder Vermögen verfügen. Da die Miet-preise der einzelnen Wohnungen im Kreis 5 nicht einsehbar sind, war ich auf optische Merkmale angewiesen, durch die sich die privilegierten Wohnungen von den weniger privilegierten bereits von aussen unterschieden. Unterscheidungskriterien, die den Miet- oder Kaufpreis erhöhen, waren für mich die folgenden:

- Architektonischer Stil, der sich an der Formensprache der Lofts orientiert: grosse Fensterflächen; flexibler, meist offener Grundriss der Wohnung (nicht immer von aus-sen erkennbar)

- Privilegierte Lage der Wohnung innerhalb einer Überbauung: Eckwohnungen, Dachwohnungen; von Strasse abgewandt; nach Süden orientiert

- Wohnungsgrösse: grosse Wohnungen sind meist teurer als kleine; Wohnungen über zwei Stockwerke sind meist teurer als Wohnungen über ein Stockwerk

- Eigenschaften, die eine Wohnung zusätzlich verteuern wie beispielsweise grosse Balkone oder Terrassen

Diese von aussen erkennbaren Merkmale der Qualität einer Wohnung erwiesen sich als sehr nützlich bei der Auffindung von Gentrifiern. Ein wichtiger Aspekt spielte hierbei auch der Sachverhalt, dass durch äusserliche Merkmale einer Wohnung der Aussenwelt signali-siert wird, dass sich der Besitzer dieser Wohnung zu einer bestimmten sozialen Schicht zählt. Eine teure Wohnung steigert daher nicht nur direkt die Lebensqualität der Bewohner durch ihre Grösse oder Lage, sondern sie stellt gleichsam ein Mittel dar, um Statusunter-schiede zu signalisieren und Schichtzugehörigkeit zu demonstrieren.

31 Die Willkürlichkeit bei der Festlegung der Merkmalsgrenzen ist bei der Zugrundelegung von quantitativen Merkmalen

kaum zu umgehen. 32 Das von Dangschat und Friedrichs festgelegte Mindesteinkommen von DM 2000.- pro Person war zum Zeitpunkt der

Umfrage ein relativ hohes Einkommen für deutsche Verhältnisse. Als „Ultra-Gentrifier“ wurden die Gentrifier bei Dangschat zudem genannt, wenn sie über ein Einkommen von über DM 4000.- verfügten.

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Im Zürcher Stadtkreis 5 sind in den letzten zehn Jahren einige Überbauungen mit „Reprä-sentationscharakter“ und eher teureren Wohnungen entstanden, in denen ich mit hoher Wahrscheinlichkeit Personen aufzufinden hoffte, die zu den Gentrifiern gezählt werden können. Folgende Wohnüberbauungen kamen dabei in Frage, in denen ich dann auch die Interviews durchführte (vgl. Übersichtskarte über den Kreis 5 im Anhang):

- Limmat-West Überbauung (Hardturmstrasse) - Steinfels-Areal Überbauung neben Kino ‚Cinemax’ (Heinrichstrasse) - Renovierter Wohnblock (Zollstrasse / Ackerstrasse) - Wohnblock auf dem ehemaligen Gebiet der Wohlgroth (Josefstrasse / Zollstrasse ) - Wohnblock (Limmatstrasse 21) Innerhalb der Wohnüberbauungen bestimmte ich durch Begehungen und Beobachtungen nach den oben beschriebenen Merkmalen die privilegierteren Wohnungen, von denen jeweils die Namen der Bewohner in eine Liste eintragen wurden. Falls bei einer Wohnung drei Namen auf dem Wohnungsschild zu lesen waren, wurden die Namen nicht in die Liste eingetragen. Auch nicht eingetragen wurden Wohnungen, bei denen Kinderspielzeuge oder Kinderschuhe vor der Türe darauf schliessen liessen, dass dort offensichtlich Kinder leben würden. Dadurch konnte die Wahrscheinlichkeit verkleinert werden, dass Wohngemein-schaften mit mehr als zwei Personen oder solche mit Kindern für ein Interview angefragt wurden. In einem nächsten Schritt versuchte ich, die einzelnen Telefonnummern der auf der Liste aufgeführten Personen herauszufinden, da ich die Personen via Telefonanruf kontaktieren wollte. Erst wenn die Telefonnummer bekannt war, konnte mit der Kontaktaufnahme begonnen werden. Als sehr nützlich erwies sich ein Schreiben, das an die jeweiligen potentiellen Interview-partner verschickt wurde und in dem ich vorwegnahm, dass ich sie per Telefon kontaktie-ren würde (siehe Anhang). Dadurch waren die angefragten Personen bereits im Voraus über meinen Wunsch informiert, dass ich mit ihnen ein Interview durchführen möchte. In einem folgenden Telefongespräch wurden die quantitativen Merkmale überprüft, die eine Person erfüllen muss, damit sie nach obenstehender Definition zur Sozialkategorie der Gentrifier gezählt werden kann. Daraufhin wurde ein Interviewtermin ausgemacht, falls die notwendigen Merkmale zutrafen und sich die Person für ein Interview zur Verfügung stellte. Wie aus der Statistik (vgl. Abbildung 8) ersichtlich ist, war die Bereitschaft am Interview teilzunehmen überaus gross. Gerade mal zwei Personen fanden am Gedanken interviewt zu werden keinen Gefallen. Alle anderen Personen, die angeschrieben wurden, zeigten grosses Interesse an der Thema-tik und erklärten sich gerne bereit, am Interview teilzunehmen.

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4.2.6 Die Interviewsituation

Um eine vertraute Situation für die Befragten zu schaffen, die sich am Alltag jedes einzel-nen orientiert, fanden die Interviews in den jeweiligen Wohnungen statt. Dadurch erhielt ich zudem einen Einblick in die Wohnung des Befragten, wobei diese Beobachtungen nach dem Interview in einem separaten Beobachtungsbogen festgehalten wurde (siehe Anhang). Nachdem ich die jeweiligen Interviewpartner über Thema, Zweck und Ablauf des Inter-views informiert und mich für eventuelle Fragen dazu zur Verfügung gestellt hatte, bat ich, das Interview auf Tonband aufnehmen zu dürfen, um eine weitgehend exakte Erfassung der Inhalte für die Arbeit zu erhalten. Da die Tonbandaufnahme den Interviewten bereits im Schreiben angekündigt wurde, waren alle Befragten bereit, das Gespräch aufzeichnen zu lassen. Selbstverständlich sicherte ich ihnen die Wahrung der Anonymität der Antworten zu, was nicht nur dazu diente Hemmungen abzubauen, sondern teilweise die Voraus-setzung für die Bereitschaft zur Teilnahme erst darstellte. Am Ende des Interviewgesprächs bat ich die Befragten den Kurzfragebogen (siehe An-hang) auszufüllen. Dadurch erhielt ich zusätzliche Informationen zur Person, zu ihrer Schulbildung und zur aktuellen beruflichen Stellung. Eine Zusammenfassung dieser quan-titativen Merkmale befindet sich ebenfalls im Anhang.

4.2.7 Stil der Kommunikation

In der Interviewsituation stand ich als Diskussionsleiter einerseits vor der Aufgabe, eine eventuell mangelnde Bereitschaft zur Beantwortung der Fragen auf der Seite der Befragten abzubauen und andererseits einen Kommunikationsstil zu praktizieren, bei dem der Be-fragte bereit ist, auch auf persönliche Fragen Antwort zu geben. Nach Lamnek (1989:58) sind wesentliche Voraussetzungen, um bei der Befragung verläss-liche und gültige Befunde zu erhalten, das „Schaffen eines Vertrauensverhältnisses in der Kommunikationssituation und das Einfühlen in die Situation der Betroffenen“. Der Inter-viewer muss versuchen, ein Vertrauensverhältnis zum Befragten aufzubauen, indem er seine Sympathie der Person (und nicht seinen Antworten) zukommen lässt. Diese Art des Interviewerverhaltens wird als ‚weiches Interview’ bezeichnet und steht im Gegensatz zum

Anzahl angeschriebene Personen: 14

Anzahl Personen, die per Telefon nicht erreicht werden konnten: 1

Anzahl Personen, auf die die notwendigen Merkmale nicht zutrafen: 1

Anzahl Personen, die sich für ein Interview nicht bereit erklärten: 2

Anzahl Personen, mit denen ein Interview durchgeführt wurde: 10

Abbildung 8: Kontaktaufnahme mit potentiellen Gentrifiern

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QUALITATIVE ERHEBUNGSMETHODE 67

‚harten Interview’, bei dem der Interviewer als Autorität auftritt und massiv Druck auf den Befragten ausübt. Den von mir angewandten Interviewstil versuchte ich zwischen weich bis neutral anzusie-deln. Ich wollte gegenüber dem Befragten Solidarität aufzeigen, ohne aber Inhalt und Ablauf des Interviews durch persönliche Stellungnahmen zu beeinflussen. Während der Dauer des Gesprächs räumte ich dem jeweiligen Interviewpartner den Status des Experten ein, dem es obliegt, mir in frei gewählter Form sein (Alltags-)Wissen zu übermitteln. Bedingt durch das halb-standardisierte Interview blieb es den Interviewten überlassen, den für sie relevanten Stellenwert eines Themengebietes zu bestimmen. Meine Rolle während des Interviews lag darin, die Befragten zum Erzählen zu animieren und den Gesprächsverlauf durch am Inhalt orientiertes Nachfragen allmählich auf die im Leitfaden enthaltenen Themenbereiche zu lenken. Um den Gesprächsfluss im Gang zu halten, erwies sich die Methode der Paraphrasierung, also das Wiederholen der Interview-aussage in leicht veränderter Form, als überaus nützlich. Dadurch wurde den Befragten die Möglichkeit gegeben ihre Aussagen kurz zu überdenken und – falls erforderlich – zu präzisieren.

4.2.8 Datenerfassung

Um eine weitgehend exakte Erfassung der Inhalte zu ermöglichen, zumindest was die verbale Komponente anbelangt, wurden alle Interviews auf Tonband aufgezeichnet. Da die Aufnahme den Interviewten im Vorab angekündigt und ihnen die Wahrung der Anonymität zugesichert wurde, war kein Interviewpartner befremdet über dieses Vorgehen. Nach den Interviews wurden die Gespräche im Wortlaut transkribiert. Da die Gespräche in schweizerdeutscher Mundart geführt wurden, wurden sie ins Hochdeutsche übertragen. Dialektausdrücke, für die keine adäquaten Begriffe im Hochdeutschen existieren, ohne dass der Inhalt verfälscht worden wäre, schrieb ich nach Gehör. Ziel in dieser Phase der Arbeit war, das Gehörte möglichst situations- und inhaltsgetreu auf Papier zu bringen. Der Satzbau wurde übernommen, so weit dies wegen der Übersetzung ins Hochdeutsche über-haupt möglich war. Unvollständige Sätze oder Wiederholungen wurden nur dann wegge-lassen, wenn sie für die Aussage keinerlei Wert besassen und die Lesbarkeit des Transkripts unnötig erschwerten. Den direkten Wortlaut ergänzte ich mit Bemerkungen über nonverbales Verhalten meiner Interviewpartner. Damit wurde gewährleistet, dass Verhaltungsweisen wie Zögern, Nachdenken, Lachen etc. beim Transkribieren nicht verlo-ren gingen. Allfällig relevante Angaben zu Besonderheiten der Gesprächssituation, wie die Anwesen-heit Dritter oder die Gesprächsbereitschaft beeinflussende Faktoren, wurden im Interview-protokoll festgehalten. Zudem notierte ich Informationen, welche ich nach Beendigung der Aufzeichnung erhielt. Die Gesprächstranskripte werden zur Wahrung der Anonymität und aus Gründen des Umfangs dieser Arbeit nicht beigelegt.

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GENTRIFICATION UND LEBENSSTILE 68

4.2.9 Vorgehensweise bei der Analyse der Interviewdaten

Die Transkripte bildeten die Grundlage für die Auswertung und Interpretation. In einem ersten Schritt ging es darum, das Interviewmaterial auf die Hauptaussagen zu konzentrie-ren. Abschweifungen vom Thema und unvollständige Sätze wurden an einzelnen Stellen weggelassen, sofern sie für die Thematik inhaltslos waren. Ziel der Konzentration war, die Transkripte lesbarer zu machen. In einem folgenden Schritt ordnete ich die Interviewdaten nach den Themenschwerpunkten, die sich aus den sieben im Voraus gestellten Thesen ergaben. Für jeden Themenschwerpunkt machte ich mich nun auf die Suche nach Gemein-samkeiten und Unterschieden zwischen den einzelnen Interviewaussagen, um mit vertief-tem Verständnis die Thesen interpretieren zu können. Als hilfreich für die Interpretation erwies sich das angeeignete theoretische Vorverständnis, da dadurch immer wieder Quer-vervebindungen zu wissenschaftlichen Theorien gezogen werden konnten. Die empirische Auswertung wurde mit einer Schlussbetrachtung abgeschlossen, in welcher ich mich wie-der von den Thesen löste, um einerseits Aussagen über die methodische Vorgehensweise bei Lebensstiluntersuchungen machen zu können und um andererseits Rückschlüsse auf die Konkurrenzsituation im urbanen Raum ziehen zu können.

4.3 Auswertung der Interviewdaten

Die Auswertung der Interviewdaten wird entsprechend den gestellten Thesen (vgl. Kapitel 4.1) in sieben Abschnitte unterteilt. Zudem wird jede These in zwei Abschnitte gegliedert: in einen ersten Abschnitt, in welchem die Kernaussagen aus den einzelnen Interviews zusammengefasst und kommentiert werden und in einen zweiten Teil, in welchem mit Blick auf die These ein Fazit gezogen wird. Da die Thesen absichtlich offen gestellt wurden, ist jeweils eine Falsifizierung oder Verifi-zierung der Thesen in den meisten Fällen kaum möglich oder wünschenswert. Verall-gemeinernde Aussagen wären zudem aus statistischer Sicht durch die geringe Fallzahl an qualitativen Interviews gar nicht vertretbar. Das Ziel der Auswertung muss vielmehr sein, dass sich in ihr die Aussagen der Interviewpartner widerspiegeln. Die Thesen sind somit gleichsam als „Einladung“ für Interpretationen zu verstehen, wobei auch Abweichungen vom Kern der Thesen zulässig sind, wenn sie den Aussagen der Befragten entsprechen. Mit Textpassagen aus den einzelnen Interviews werden die Interpretationen zudem verdeut-licht. Diese Zitate werden kursiv und in Anführungs- und Schlusszeichen visuell vom Rest des Textes abgehoben. Als Textpassage kommt eine Aussage nur dann in Frage, wenn sie eine Hauptaussage eines Interviews treffend wiedergibt. Diese Zitate stehen dann stellver-tretend für ähnliche Aussagen von mehreren Interviewpartnern.

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AUSWERTUNG DER INTERVIEWDATEN 69

4.3.1 Die Qualität urbaner Lebensweise

These 1: Die Qualität urbaner Lebensweise ergibt sich in erster Linie durch grössere poten-tielle Freiheiten in der Lebensgestaltung. An die Stelle des Wunsches, im Grünen und im Eigenheim zu wohnen, treten bei den Gentrifiern Werte, die auf Selbstentfaltung, Autono-mie und Individualität abzielen.

Kernaussagen der Interviews

Die Interviewpartner haben sich bewusst für eine Lebensweise innerhalb der Stadt ent-schieden, da sie damit den Wunsch verknüpfen, Urbanität33 erleben zu können. Sie bewer-ten dabei innerhalb von Zürich hauptsächlich den Kreis 5 als überaus urbanes Gebiet. Die charakteristischen Eigenschaften von städtischer Lebensweise werden insbesondere dann erkennbar, wenn man sie mit einer nicht-städtischen Lebensweise vergleicht. In den Augen der Gentrifier unterscheiden sich die städtischen von den nicht-städtischen Lebensweisen grundlegend. Die von den Gentrifiern als positiv erachteten Eigenschaften an der städ-tischen Lebensweise werden meist gerade als gegenteilig zu jenen einer nicht-städtischen Lebensweise angesehen und vice versa. Der Reiz der städtischen zu einer nicht-städtischen Lebensart ergibt sich für die Gentrifier einerseits aus dem räumlichen Kontext der Stadt und andererseits aus der spezifisch städtischen Art der Vergesellschaftung.

a) Die räumliche Dimension von Urbanität

Die Attraktivität der städtischen Lebensweise wird für die Gentrifier zu einem Grossteil durch die räumliche Nähe zu einem vielseitigen konsumtiven Angebot34 ausgemacht. Insbesondere im Kreis 5 finden die Interviewpartner eine hohe Dichte von verschiedenen kulturellen Angeboten, von Restaurants, Bars und Einkaufsläden (vgl. Kapitel 4.3.2 und 4.3.3), was sie als wichtige Qualität ihrer Wohnumgebung ansehen:

„Es hat hier ein riesiges Angebot: vom Nationalliga-A-Fussball über First-class-Galerien bis zu guten Kneipen. Es hat hier von vielem das Beste. Darum fühle ich mich hier auch extrem wohl.“

Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die unterschiedlichen Angebote von den Gentrifiern wirklich auch regelmässig genutzt werden. Der Reiz der Angebote scheint für die Befragten vielmehr darin zu liegen, dass man von ihnen spontan Gebrauch machen könnte, wenn das Bedürfnis danach aufkommen würde. Die Möglichkeit am Angebot partizipieren zu können, wenn dies gewünscht wird, kommt den Gentrifiern in der Aus-übung ihrer flexiblen Lebensweise sehr entgegen und lässt den Kreis 5 als abwechslungs-reichen Handlungskontext erscheinen. Gleichzeitig werden durch die verschiedenen kon-

33 Unter Urbanität verstehe ich ganz allgemein eine städtische Lebensweise, die sich grundsätzlich von einer nicht-städ-

tischen Lebensart unterscheidet. 34 Unter dem ‚konsumtiven Angebot’ verstehe ich Güter und Dienste, die durch Individuen genutzt oder verbraucht werden.

Darunter fallen beispielsweise kulturelle Angebote wie Theater und Kino, Dienstleistungsangebote wie Restaurants, Knei-pen und Clubs, sowie alltägliche Konsumgüter wie auch Luxusgüter.

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sumtiven Angebote andere Personen angelockt, die das Quartier beleben und es als einen „lebendigen Ort“ erscheinen lassen. Ein weiterer wichtiger räumlicher Faktor in der Wohnumgebung der Gentrifier sind die brachliegenden Industrieflächen und Industriegebäude. Sie tragen ganz entscheidend zur atmosphärischen Ausstattung des Kreises bei und sind ein wichtiger Teil der ästhetischen Qualität des ganzen Stadtteils:

„Als ich mich für diese Wohnung interessierte, war es doch ein Grund gewesen, dass mir das Gebiet hier sehr gefällt. Besonders der industrielle und grossstädtische Charakter, der hier herrscht – zum Beispiel im Vergleich zum Niederdorf35, das ja eher altstädtisch ist, hat mir hier gefallen.“

Grundsätzlich sind Industriebrachen Gebiete, die ein hohes Entwicklungspotential aufwei-sen und daher ein Versprechen für eine interessante Zukunft darstellen. Zudem sind leer-stehende Industriegebäude für jegliche Art von Zwischennutzungen geeignet. Insbesondere im Kreis 5 ist eine Vielzahl der konsumtiven Angebote in ehemaligen Industrieräumen, unter Bahnviadukten oder auf Brachflächen entstanden. Die leerstehenden Räume und Industrieflächen wurden an verschiedenen Orten umgestaltet zu Restaurants, Kneipen, Clubs sowie Ausstellungs- und Theaterräumen. Ein typisches Merkmal der verschiedenen Angebote ist, dass sie meist einen sehr provisorischen Charakter haben und dadurch das Image des Kreises als wandelbares, vielfältiges und erlebnisreiches Stadtteilgebiet stark mitbestimmen. Die stattfindenden Veränderungen und das Entwicklungspotential, das von den Industriebrachen ausgeht, wird von den Gentrifiern als wichtige urbane Komponente angesehen:

„Es ist hier noch nicht so richtig „fertig“ [im Sinne von nicht fertig gebaut; d.Verf.] und noch so ein wenig industriell, urban.“

Die Industriebrachen und Industriegebäude haben neben dem direkten Einfluss auf die Lebensqualität der Gentrifier einen stark symbolischen Gehalt. Die Industriegebäude dienen den Gentrifiern als Kulisse und werden gleichsam als Versatzstücke des vergange-nen Industriezeitalters angesehen: Industriekamine, Lagerhallen oder Bahnviadukte zeugen somit von der Geschichte des Kreises als Arbeiter- und Industriequartier. Das Wohnen zwischen Fabrikschloten – die selbstverständlich nicht mehr in Betrieb stehen – wird als trendig angesehen. Die Annahme, dass die Formensprache der Industriearchitektur anscheinend bestimmte (positive) Gefühle und Assoziationen hervorzurufen vermag, wird auch zur Vermarktung der neu entstandenen Wohnungen bewusst eingesetzt. So fliessen beispielsweise verschie-dene Elemente der Industriearchitektur in die neu entstandenen Wohnungen ein, um sie nachher als „Loft-Wohnungen“ vermarkten zu können. Und als Lofts werden in der ur-sprünglichen Bedeutung ja gerade 1-Raum-Wohnungen bezeichnet, die in ehemaligen Industrieräumen entstanden sind.

35 Das Niederdorf ist ein Teil des Zürcher Stadtkreises 1 und besteht zu einem Grossteil aus der intakten mittelalterlichen

Bausubstanz.

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Meiner Meinung nach erfüllen die Symbole des Industriezeitalters für die Gentrifier in erster Linie eine wichtige distinktive Funktion. Sie dienen den Gentrifiern dazu, um sich expressiv gegen eine Wohnform im Einfamilienhaus abzugrenzen: an die Stelle eines ländlichen Einfamilienhaus-Idylls setzen die Gentrifier eine Industrieromantik. Um dies zu exemplifizieren, lohnt es sich, kurz auf die Wünsche einzugehen, die mit dem Wohnen im ländlichen Einfamilienhaus verbunden sind. Nach Junker (1990:71ff) liegt die Attraktivität des Lebens in ländlicher Umgebung und im Einfamilienhaus vor allem darin, dass das Einfamilienhaus der Inbegriff des privaten Glücks ist und somit die Verwirklichung des kulturellen Wertes der Privatheit verspricht. Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus ist mit der Utopie verbunden, in familiärer Ge-borgenheit, nachbarschaftlichen Beziehungen und von der Erwerbsarbeit getrennt in allge-meiner Zufriedenheit wohnen zu können. Die Frage nach dem Wunsch, in einem Einfa-milienhaus zu wohnen, wird von den Suburbanisierern häufig erst gar nicht gestellt, da er von ihnen als natürliches Bedürfnis angesehen wird. Gemäss Junker signalisiert der Be-sitzer eines Einfamilienhauses nach aussen hin, dass er einen gewissen – bei den anderen angesehenen – Standard erreicht hat: Das Rasenmähen kann somit zur Selbstbestätigung des Besitzers werden. Der Wunsch, Geborgenheit in der Kleinfamilie zu finden und in einem „trauten Heim“ zu wohnen, ist für die Gentrifier eine Wertvorstellung, mit der sie sich in ihrer jetzigen Lebensphase nicht identifizieren können. Besonders bei den Inter-viewpartnern, die aus eher ländlichen Regionen in den Kreis 5 gezogen sind, scheint der Zuzug in die Stadt gleichsam eine Flucht aus dieser Welt zu sein, die als kleinkariert und bieder empfunden wird. So begründet beispielsweise eine Gentrifierin ihren Zuzug in den Kreis 5 mit der Bemerkung, dass sie in der früheren Eigentumssiedlung Angst bekommen hätte, nur eine „biedere Vorort-Ehe“ zu führen. Oder ein anderer Interviewpartner grenzt sich mit seinem Statement ganz bewusst von der beschriebenen Lebensform der Suburba-nisierer ab:

„Es ist hier so ein wenig industriell, so mit den vielen Kaminen. Ich habe so das Gefühl – ich kann eigentlich nicht sagen, was es grossstädtischer macht. Aber ich empfinde es hier nicht als typische Wohnsiedlung, wo nur Einfamilienhäuser nebeneinander stehen. Ich habe hier das Städtische gesucht, einfach so ein wenig das Chaos.“ Als wichtigster räumlicher Nachteil am Stadtraum wird das Fehlen einer naturnahen Um-gebung sowie die Lärmbelästigung angesehen, die durch die stark befahrenen Strassen hervorgerufen wird. Das fehlende Grün und der Lärm scheinen jedoch die Lebensqualität der Gentrifier nicht allzu stark zu beeinträchtigen. Vielmehr rücken die Nachteile neben den Vorzügen, die die Stadt zu bieten hat, in den Hintergrund und werden als unumgäng-licher Teil von Urbanität angesehen. Da die Wohnungen der Gentrifier meist an privile-gierter Lage liegen, wo die Nachteile nur in abgeschwächter Form erfahrbar sind und so nicht zu einer grossen Beeinträchtigung ihrer Lebenssituation führen, sind diese auch leichter tolerierbar. Zudem wird gerade ‚Lärm’ von den Gentrifiern positiv gewertet als ein Zeichen von ‚Lebendigkeit’:

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„Ich hatte also keine ruhige Wohnung gesucht, eine die abgelegen war oder wo man vom Leben nichts hört. Ich wollte da sein, wo es ein Leben gibt darum herum (...). Man hört hier immer ein wenig die Leute und das habe ich gerne.“

b) Die gesellschaftliche Dimension von Urbanität

Neben räumlichen Komponenten wird die Attraktivität der städtischen Lebensweise für die Gentrifier durch die spezifische Art der Vergesellschaftung beeinflusst. Unter Vergesell-schaftung verstehe ich dabei, wie die sozialen Kontakte und Beziehungen unter den einzel-nen Individuen stattfinden und organisiert sind. Die Stadt ist der klassische Ort, wo soziale Kontakte zwischen Fremden stattfinden (vgl. Kapitel 4.3.5 und 4.3.6). Bedingt durch den hohen Ausländeranteil sind die sozialen Kontakte im Kreis 5 geprägt durch das Aufeinan-dertreffen von Individuen aus verschiedenen ethnischen Kulturen und sozialen Schichten. Durch diese Mischung verschiedener Bevölkerungsgruppen wird der Kreis 5 von den Gentrifiern als überaus belebtes Stadtgebiet angesehen:

„Es ist nicht so, dass abends die Strassen ausgestorben sind (...) – hier lebt es halt.“

Dieses scheinbar problemlose Zusammenleben von verschiedensten Bevölkerungsgruppen lässt somit den Kreis 5 als ausnehmend urbanes und weltoffenes Gebiet erscheinen. Im Gegensatz dazu wird das Leben in nicht-städtischen Gebieten als „beschaulicher“ und „weniger hektisch“ und die Dörfler werden als „eher konservativ“ und „weltfremder“ beschrieben. Eine grundlegende Qualität von Urbanität liegt für die Gentrifier darin, dass die Stadt in erster Linie ein Ort der Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen ist. So wird am Leben in städtischer Umgebung vor allem der mit der Abnahme nachbarschaftlicher Be-ziehungen einhergehende Verlust an sozialer Kontrolle als angenehm empfunden:

„In meiner Situation schätze ich eine gewisse Anonymität eher, als in einem Dorf, wo jeder über jeden Bescheid weiss. Daran sieht man, dass die Leute sehr unfrei und eingeengt dadurch sind. Es wäre für mich ein Gräuel, in einer kleinen Gemeinde zu wohnen, wo man nichts machen kann, ohne dass es der Nachbar weiss.“

Die städtische Lebensweise beinhaltet für die Gentrifier somit eine Perspektive der Eman-zipation: Stadtluft macht frei. Der Begriff der ‚Urbanität’ enthält bereits von Anfang an ein emanzipatorisches Element, zunächst von der Natur, später aus gesellschaftlichen Zwängen. So liegt der Anfang aller Stadtkultur nach Siebel (1998:262ff) in der Unabhängigkeit von Naturzwängen, da das Leben und Arbeiten in der Stadt seit der antiken Polis aus den Zeitrhythmen der Natur herausgetreten ist. Stadtleben begann als Emanzipation vom Zwang, sich täglich mit einer unkultivierten Natur ums eigene Überleben auseinander setzen zu müssen. Die Stadt wird aber gleichzeitig auch als Ort der Emanzipation des bürgerlichen Indivi-duums aus den persönlichen Abhängigkeiten und den direkten Kontrollen vormoderner Sozialbeziehungen angesehen. Nach Bahrdt (1961:36f) ist die „unvollständige Integra-tion“ des Individuums innerhalb der städtischen Gesellschaft die Voraussetzung, dass sich die Polarität von anonymer Öffentlichkeit und Privatheit herausbilden konnte. Ausgehend

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von der Definition der Stadt als Marktort beschreibt er die Handlungsmuster auf einem Markt als stadttypische Handlungen: Das Individuum ist innerhalb bestimmter Grenzen frei, Kontakte aufzunehmen mit wem und worüber es will. Nach Bahrdt fehlt daher in der Stadt ein fest vorgegebenes soziales Bezugssystem, das die Beziehungen der Individuen lückenlos definieren würde. Die daraus entstehende Diskrepanz zwischen räumlicher Nähe und sozialer Distanz, wie sie für den Kontakt zwischen Individuen im öffentlichen Raum der Stadt charakteristisch ist, bezeichnet er als „unvollständige Integration“. Für das Individuum entsteht in der Stadt jeweils ein öffentlich-anonymer und ein privater Lebens-bereich. Im Vergleich zur ländlichen Lebensweise ist dieses Wechselverhältnis von öffent-licher und privater Sphäre nach Bahrdt ein Spezifikum städtischer Lebensart. Nach ihm ist das Leben in einer Ansiedlung umso städtischer, je stärker die Polarität zwischen öffentli-cher und privater Sphäre ausgeprägt ist. Dieser Ansatz von Bahrdt ist auch in der heutigen Zeit noch hervorragend geeignet zur Beschreibung von Urbanität. Denn für die Gentrifier liegt die Attraktivität der städtischen Lebensweise gerade im Nebeneinander von öffentlicher und privater Sphäre. Der Kontrast zwischen räumlicher Nähe und sozialer Distanz im öffentlichen Raum wird von den Gentrifiern ganz explizit als städtische Lebensqualität angesehen und von ihnen häufig bewusst aufgesucht. Verdeutlicht wird dies in der Aussage eines Gentrifiers, der manchmal ganz gezielt nicht in Lokale geht, in denen er seine Freunde antreffen könnte:

„Manchmal gehe ich auch absichtlich irgendwo anders hin, weil ich das Gefühl habe, dass ich eher allein sein will mit den vielen fremden Leuten um mich rum – dies mag ich eigent-lich noch.“

In solchen Situationen wird die Lokalität zur Bühne, auf der sich ein Teil des städtischen Alltagslebens beobachten lässt. In der bewusst gewählten Rolle des Fremden ist der Gentri-fier dann gleichsam distanzierter Beobachter eines reizvollen Schauspiels.

Fazit

Innerhalb von Zürich wird der Kreis 5 von den Gentrifiern als überaus urbanes Stadtteilge-biet angesehen,36 was sie als die positive Qualität ansehen. Die in ihrem Wohnumfeld feststellbaren, dominierenden Merkmale von Urbanität sind für die Gentrifier Dichte, Heterogenität, Dynamik und Unüberschaubarkeit:37 - Dichte: Der Kreis 5 gilt für die Gentrifier als kompakter, nutzengemischter Stadtteil,

als Ort der „kurzen Wege“, wo man auf engem Raum einer Überfülle von Reizen aus-gesetzt ist. Urbanität wird aber vor allem bestimmt durch die soziale Dichte, also durch die hohe Anzahl von Interaktionen und Beziehungen mit anderen Individuen. Für die

36 Vgl. hierzu auch die Diplomarbeit von Leuthold (1998) und insbesondere den Abschnitt über die generelle Bedeutungszu-

weisung zu ausgewählten Quartieren durch Wohnungssuchende in der Stadt Zürich (S.165ff). In der Untersuchung von Leuthold werden von den Befragten insbesondere die Kreise 4 und 5 als grossstädtisch bezeichnet.

37 Ganz ähnlich beschrieb die Chicagoer Schule den Begriff der ‚Urbanität’. Nach ihr ist Urbanität gebunden an die Grösse, die Dichte und die Heterogenität der Bevölkerung. Damit ist aber mehr als nur die physische Tatsache des dichten Zusammenlebens einer grossen Anzahl von Menschen gemeint (vgl. Wirth 1974; zit. in Siebel (1994)).

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Gentrifier garantiert diese Anhäufung von meist zufälligen Kontakten ein hohes Mass an Individualität und individueller Freiheit.

- Heterogenität: Urbanität wird aber nicht nur durch die Konzentration von verschiede-nen Reizen bestimmt, sondern insbesondere durch die Art der Reize. Für die Gentrifier bestimmt sich die hohe Qualität der in der Stadt wahrnehmbaren Eindrücke einerseits aus dem vielfältigen Angebot an konsumtiven Möglichkeiten in ihrem Wohnumfeld und andererseits durch die grosse Milieuvielfalt. Insbesondere das Leben in einem Mix von verschiedenen Kulturen ist für die Gentrifier ein wichtiges Zeichen von Urbanität: durch das Auftreten einer grossen Anzahl heterogener Individuen wird ihr Wohnum-feld zu einer attraktiven Kulisse.

- Dynamik: Die im Prozesse der Gentrification wahrnehmbaren Veränderungen lassen das Wohnumfeld der Gentrifier als dynamischen Handlungskontext erscheinen. Der Wandel des Stadtteilgebietes wird positiv als Aufbruchstimmung gewertet und enthält somit ein Versprechen für die Zukunft. Das Gefühl des Transitorischen, des Über-gangsmässigen und Belebten, ist daher ein wichtiger Teil von Urbanität.

- Unüberschaubarkeit: Dank der räumlichen und sozialen Dichte sowie der Heterogenität der Reize und der Dynamik der stattfindenden räumlichen Prozesse ste-hen die Gentrifier einer unüberschaubaren Menge von Eindrücken und Einflüssen ge-genüber. Für die Gentrifier bedeutet dies jedoch weniger eine Bedrohung, sondern vielmehr die Möglichkeit zu wählen. Die Unüberschaubarkeit wird als chaotische, un-geregelte Komponente der Stadt aufgefasst, die zufällige Begegnungen und Gegeben-heiten ermöglicht und so das Leben in der Stadt abwechslungsreicher gestaltet.

Der Wunsch der Gentrifier in einem urbanen Gebiet zu wohnen, unterscheidet sich somit in verschiedenen Bereichen sehr grundlegend von den Wertvorstellungen der Individuen, die in nicht-städtischer Umgebung leben wollen. Im Unterschied dazu enthält ‚Provinziali-tät’ als Gegenbegriff zu ‚Urbanität’ für die Gentrifier eine negative Konnotation. Mit ihrem Lebensstil distanzieren sich die Gentrifier somit explizit von der traditionellen Mittel-schicht, den Suburbanisierern.

4.3.2 Raumbezug und Raumbedürfnisse

These 2: Die Gentrifier haben ihre innenstädtische Wohnumgebung gezielt ausgewählt, um die potentiellen Möglichkeiten zu nutzen, die dieser urbane Stadtteil bietet. Der Stadtteil trägt somit das Versprechen in sich, dass er die Aktivitäten und die Verfolgung der Lebens-ziele der Gentrifier eher ermöglicht als einschränkt.

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Kernaussagen der Interviews

Die befragten Gentrifier geben mannigfaltige Gründe für den Zuzug in den Kreis 5 an. Bedingt durch die gemachten Erfahrungen am vorhergehenden Wohnort und den unter-schiedlichen und häufig ziemlich vagen Vorstellungen von der neuen Wohnumgebung im Kreis 5, variierten die genannten Gründe für den Umzug ziemlich stark. Zudem betonten die Interviewpartner, dass sich ihre Bedürfnisse und Ansprüche an ein Wohnumfeld wäh-rend den einzelnen Lebensabschnitten ändern könnten. Ihre jetzige Lebensphase im Kreis 5 zu verbringen, finden sie jedoch „ganz toll“ und planen in der nahen Zukunft daher noch keinen Umzug. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die Entscheidung, den Wohnstandort im Kreis 5 zu wählen in vielen Fällen eher zufälliger Art war. So kannten einige der Befragten den Kreis 5 kaum oder nur sehr schlecht, als sie dort einzogen. Hier führten vielmehr Kriterien bezüglich der Wohnung und der zentralen Lage innerhalb von Zürich zur Wahl des Kreis 5 als Wohnstandort und weniger seine spezifischen Eigenheiten. Nun, im Nachhinein werden diese Eigenheiten aber von allen Befragten als weitere wichtige Elemente angesehen, die die Qualität ihrer Wohnumgebung überaus steigern und ihren eigenen Bedürfnissen stark entgegen kommen würden. Der Imagewandel des Kreis 5 kann jedoch als wichtige Grundvoraussetzung eines Einzu-ges angesehen werden, da die meisten Befragten ihn erst dadurch überhaupt als möglichen Wohnort ins Auge gefasst hatten. Das vor ein paar Jahren über den Kreis 5 dominierende einseitige Bild eines von Drogen und Prostitution beherrschten Kreises war vielen Gentri-fiern ein wesentlicher Grund, dass dieser Kreis zu jenem Zeitpunkt nicht in die engere Wahl ihrer Wohnstandortentscheidung eingegangen ist. Erst jetzt, da der Kreis 5 zu einem Grossteil entstigmatisiert ist und das Versprechen in sich trägt, zur Befriedigung ihres Lebensstils beizutragen, kommt er in die engere Wohnstandortauswahl der Gentrifier. Letzten Endes ist diese Tatsache auch ein Grundpfeiler der Theorie der Gentrification, in der Pioniere in „mutigem Eroberungskampf“ in ein städtisches Gebiet vordringen und es so für nachkommende Gentrifier erst attraktiv machen. Wie bei jeder Migrationsbewegung können die Zuzugsmotive der Gentrifier in Push- und Pull-Faktoren aufgeteilt werden. Zu den Push-Faktoren werden dabei die vom Individuum als eher negativ bewerteten Eigenschaften am Herkunftsort gezählt. Faktoren, die sich hingegen aufgrund einer positiven Bewertung der voraussichtlichen Lage im Zielgebiet aufbauen, werden zu den Pull-Faktoren gerechnet.

a) Push-Faktoren

Da sich die Push-Faktoren auf den Herkunftsort der Gentrifier beziehen, ergeben sich vielfältige Bestimmungsgründe, die einen Wegzug aus der ehemaligen Wohnumgebung fördern. Zuzüger aus eher ländlichen Gebieten oder aus der Agglomeration betonten die weiten Distanzen, die sie vom ehemaligen Wohnort zum Arbeitsplatz und zu den vielfältigen Angeboten der Stadt Zürich zurücklegen mussten. So wird von einem Interviewpartner beklagt, dass er es satt hatte, jeden Tag zwei Stunden im Auto zu sitzen oder mit der Bahn

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weite Strecken zu pendeln. Oder ein anderer Befragter suchte mit seiner Partnerin einen Wohnort, von dem man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln einen grossen räumlichen Radius von möglichen Orten hat, zu denen man hin- und zurückpendeln kann. In einigen Fällen wurden die vielfältigen kulturellen Angebote und Konsummöglichkeiten der Stadt bereits vor dem Hinzug genutzt, sodass sich durch den Wohnortswechsel die verbrachte Zeit im Auto minimieren liess. Neben dem Wunsch, räumlich zentraler zu liegen, sind Dissonanzen zwischen dem Wohn-milieu und der jeweiligen Person ein weiterer wichtiger Push-Faktor:

„Da, wo wir gelebt hatten, war es ein reines Wohnquartier. Für uns stimmte es nicht mehr, weil es während des Tages sehr leblos war – das Quartier war überaltert und wenn junge Leute dort wohnten, dann nur Hausfrauen mit Kindern. Wir gehörten einfach nicht mehr dazu.“

Dieser Widerspruch zwischen den eigenen Werten und Normen und der übergeordneten Kultur der Wohnumgebung ist sowohl bei Befragten, die aus eher ländlichen Gebieten, wie auch bei Befragten, die innerhalb der Stadt Zürich38 in den Kreis 5 gezogen sind, feststell-bar. Dementsprechend ist der Einzug in den Kreis 5 auch mit dem Wunsch verbunden, die am Herkunftsort häufig als zu stark empfundene soziale Kontrolle hinter sich zu lassen.

b) Pull-Faktoren

Die Pull- und Push-Faktoren beim Wohnstandortentscheid meiner Interviewpartner bedin-gen sich gegenseitig, da die als negativ bewerteten Eigenschaften des Herkunftsortes gerade die Eigenschaften sind, die man am neuen Wohnort nicht antreffen will. So ist verständlicherweise als Pull-Faktor die zentrale Lage des Kreis 5 innerhalb der Stadt Zürich ein überaus wichtiges Merkmal, das den Gentrifiern bei der Ausübung ihres Le-bensstils entgegenkommt. Die Möglichkeit, am Abend spontan den Entschluss zu fassen, in ein Restaurant oder eine Bar zu gehen, einen Film oder eine Theatervorführung anzusehen oder mit dem Fahrrad ins Seefeld fahren zu können um Freunde zu besuchen, wird dadurch zu einem Teil der Lebensqualität, die durch die zentrale Lage erst ermöglicht wird. Die Zentralität ist aber kein Merkmal, das ausschliesslich auf den Kreis 5 zutrifft, sondern welches auch in anderen Kreisen gegeben ist. Neben der zentralen Lage wird als weitere positive Eigenschaft der „urbane“ Charakter des Kreis 5 angesehen. Aus der Sichtweise der Gentrifier unterscheidet er sich dabei von den anderen innenstädtischen Gebieten besonders dadurch, dass in ihm ‚Urbanität’ in verdich-teter Form erlebbar sei. Somit werden als positive Charaktermerkmale des Kreis 5 haupt-sächlich diejenigen Elemente erwähnt, die in Kapitel 4.3.1 unter dem Stichwort ‚Urbanität’ zusammengefasst wurden. Diese Merkmale stellen für die Gentrifier dabei wichtige Pull-Faktoren dar:

„Ich habe die städtische Komponente gesucht, einfach so ein bisschen das Chaos. Das gefällt mir hier sehr (...). Es ist hier noch nicht so richtig gepflegt und fertig gebaut, son-dern ziemlich industriell und urban.“ 38 Z.B. aus dem Seefeld und vom Zürichberg

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AUSWERTUNG DER INTERVIEWDATEN 77

Die Bewohner der Überbauung Limmat-West betonten zudem die Nähe zur „Natur“ und zum Fluss (Limmat) als wichtigen Faktor, der ihre Lebensqualität steigert. Die hier angeschnittenen räumlichen Qualitäten des Kreis 5 sind für viele Gentrifier Fakto-ren, die sie bei ihrer Wohnstandortentscheidung berücksichtigten. Genauso wichtig ist aber das Vorhandensein von geeigneten Wohnungen, die die Wohnwünsche der Neuzuzüger erfüllen können. Tatsache ist, dass die Interviewpartner ihre Wohnungen meist sehr be-wusst ausgewählt haben und nun mit ihrer jetzigen – im Vergleich zur früheren – Wohn-situation sehr zufrieden sind. Ausnahmslos waren alle Wohnungen von hoher ästhetischer Qualität, meist mit grosszügigen und offenen Grundrissen, grossen Fenstern und zudem häufig mit Veranden und Balkonen ausgestattet. Der architektonische Stil der Wohnungen ist von moderner Machart und durchgehend von geradliniger Bauweise. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Wohnung spielt natürlich der Miet- oder Kauf-preis eine entscheidende Rolle. Einige Interviewpartner haben bei ihrer Wohnungssuche die Erfahrung gemacht, dass im Kreis 5 „im Unterschied zum Seefeld oder zur Enge das Preis-Leistungs-Verhältnis einfach stimmt“, dass es „im Seefeld nur lausige Wohnungen gibt, die teuer sind“ und dass es „im Kreis 1 schwierig ist, eine erschwingliche Wohnung zu bekommen“. Diese Aussagen müssen als nicht zu vernachlässigende Zeichen gedeutet werden, dass der Preis einer Wohnung die Wohnstandortentscheidung stark mitbeeinflusst. Wie gross der Anteil des ökonomischen Rationalitätsdenkens im Vergleich zu den anderen Faktoren ist, die sich stärker auf den Lebensstil der Gentrifier beziehen, kann an dieser Stelle nicht abschliessend beantwortet werden. Jedoch bedauerte keiner der Befragten, dass er in einem anderen Stadtteil keine Wohnung mit befriedigendem Preis-Leistungs-Verhält-nis gefunden hatte und deshalb in den Kreis 5 gezogen war. Vielmehr wollte man bewusst nicht im Seefeld oder Kreis 1 wohnen, da diese Gebiete als „langweilig“, „versnobt“ oder als „Orte, an denen die Authentizität fehlt“39 aufgefasst werden.

Fazit

Mit dem Zuzug der Gentrifier in ihre neue Wohnumgebung verknüpfen sie die Erwartung, teilhaben zu können an der Urbanität dieses Gebietes. Die voraussichtliche Lage im Ziel-gebiet wird dabei von den Gentrifiern als überaus positiv bewertet. Es kann somit ange-nommen werden, dass für die Gentrifier die Pull-Faktoren in der Gegenüberstellung zu den Push-Faktoren die bestimmendere Grösse für den Umzugsentscheid sind. Dies scheint die These zu stärken, dass Gentrifier ihre neue Wohnumgebung gezielt auswählen, wobei mit dieser Wahl die Hoffnung an das Gebiet verbunden ist, dass es die Ausübung ihres Lebens-stils eher ermöglicht als einschränkt. Gegen die These der gezielten Wahl spricht jedoch, dass das Wissen der Gentrifier über das zukünftige Wohnquartier in vielen Fällen knapp und die Wohnstandortwahl daher häufig eher zufälliger Art war.

39 Authentizität kann übersetzt werden als ‚schonungslose Wahrhaftigkeit’. Von der Befragten wurde der Begriff

‚Authentizität’ verwendet um ihre Wahrnehmung zu unterstreichen, dass im Kreis 5 noch das „volle Leben herrscht“.

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Die Aufwertung des Quartiers innerhalb der Gentrifizierung und die damit einhergehende Entstigmatisierung ist aber Grundvoraussetzung, dass für die Gentrifier das Gebiet über-haupt als zukünftige Wohnumgebung in Betracht kommt.

4.3.3 Raum als Szenerie

These 3: Der städtische Raum wird von den Gentrifiern als Bühne der distinkten Selbstdar-stellung und als Ort demonstrativen Konsums genutzt. Die hohe Verfügbarkeit von Ressourcen ermöglicht es ihnen zudem, von den Qualitäten des Quartiers als Lebensort zu profitieren und ihn als positiven Erlebnis- und Erfahrungsraum wahrzunehmen.

Kernaussagen der Interviews

Das konsumtive Angebot im Kreis 5 wird von den Gentrifiern ganz unterschiedlich be-wertet und genutzt. Grundkanon der Interviewaussagen ist, dass das Angebot an konsumti-ven Möglichkeiten in der Wohnumgebung „nun endlich immer grösser wird“. In der Wahrnehmung der Gentrifier stieg das von ihnen genutzte konsumtive Angebot in letzter Zeit an und ist weiter am Ansteigen. Eine Befragte antwortete beispielsweise folgender-massen, als wir auf die Ausgehmöglichkeiten in ihrer Wohnumgebung zu sprechen kamen:

„Für unseren Geschmack hat es unwahrscheinlich viel Gutes. Wir müssen so gar nicht in einen anderen Stadtteil oder sonst wohin gehen, da das Angebot gerade hier vor der Türe liegt.“

Die Gentrifier gaben an, vor allem die verschiedenen kleineren und grösseren Einkaufslä-den im Kreis 5 zur Deckung der Bedürfnisse an alltäglichen Konsumartikeln zu nutzen. Besonders die kleinen Läden, in denen man italienische, asiatische oder türkische Spezi-alitäten kaufen kann, werden überaus positiv bewertet. Kleider werden eher selten in der Wohnumgebung, sondern eher in Boutiquen ausserhalb des Kreises gekauft. Dagegen werden die verschiedenen Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit im Kreis 5 als sehr gut angesehen. Sehr positiv bewertet wird auch die Vielfalt in Bezug auf verschiedenen Galerien, Kunstausstellungen und Museen, sowie der Umbau der ehemaligen Schiffsbau-halle zur jetzigen Nutzung mit Restaurant, Bar, Jazzlokal und Theatersaal. Im Sommer sind die Gentrifier häufig beim ehemaligen Letten-Bahnhof40 an der Limmat anzutreffen, „um schwimmen zu gehen oder um in den verschiedenen Bars ein Bier zu trinken“. Häufig bedingt durch die langen Arbeitszeiten in ihrem Job, werden die verschiedenen, in der Wohnumgebung liegenden Restaurants als weiteres bedeutendes Angebot angesehen, „wo man auch spontan hingehen kann, wenn man zu faul ist um zu kochen“. Der Kreis 5 bietet darüber hinaus einige Bars und Clubs, die den Ruf des Kreises als Szene-Ort stark mitprägen. Als gern genutzter Treffpunkt und Ausgeh-Ort wurde von den

40 Dieser befindet sich bereits auf dem Stadtgebiet des Kreis 6, trägt aber sehr viel zur Lebensqualität vieler Bewohner aus

dem Kreis 5 bei und wird von ihnen gerne auch symbolisch zum Kreis 5 gehörend gezählt.

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Gentrifiern die an der Neugass liegende Kino-Bar ‚Riff-Raff’ („dieses Kino führt ein Programm, das meine Ansprüche erfüllt“), sowie die direkt daneben liegende Bar ‚Acapulco’ (“die haben dort einen ausgezeichneten DJ“) genannt.41 In solche Kneipen und Bars gehen die Gentrifier meist nicht alleine hin, sondern vorwiegend mit ihren Freunden. Und falls sie dann doch einmal ohne Begleitung dorthin gehen, dann meist in der Erwar-tung jemanden zu sehen, den sie kennen. Das Selbstbild42 der Gentrifier hinsichtlich ihrer Rolle in der Kneipen- und Partyszene von Zürich kann als eher bescheiden bezeichnet werden. So betonten die meisten Befragten, dass sich wohl „sehr viele trendige Leute“ im Kreis 5 aufhalten würden, sie sich selber aber nicht zu dieser Sozialkategorie zählen würden:

„Ich bezeichne mich eher als durchschnittlich. Ich bin nicht sehr trendy – nicht, dass mich dies nicht interessieren würde, aber ich würde mich sicherlich nicht zu dieser Gruppe zählen.“

Oder ein anderer Interviewpartner bemerkte, dass er sich „zu wenig cool“ fände, um in ein als Szene-Bar beschriebenes Lokal zu gehen. Aber dennoch: auch wenn die sogenannten ‚In-Lokale’ von den Gentrifiern selber nicht immer genutzt werden, gelten sie dennoch als wichtiger Beitrag für die atmosphärische Qualität des Kreises und als Beweis der Leben-digkeit ihres Wohnumfeldes. Entschieden abgrenzen wollen sich die Gentrifier aber gegen die „Schickimicki-Szene“, wie sie zum Teil in Clubs anderer Stadtkreise vorhanden sei: „Dieses oberflächliche ‚Ich-habe-teure-Markenkleider-Getue’ und das Grosskapitalgekotze und –geklotze“ wird beispielsweise von einem Gentrifier als Grund angesehen, dass er kaum in den ‚Kaufleuten-Club’ gehen würde. Der offen dargestellte Reichtum gilt unter den Befragten als verpönt bis anstössig. Geld zu besitzen ist in erster Linie nicht dazu da, um damit zu protzen, sondern es ist ein Mittel, um den eigenen Lebensstil verwirklichen zu können. Erkennbar wird diese Einstellung insbesondere dann, wenn man die Funktion des Berufes betrachtet. Als ‚wichtig’ bis ‚sehr wichtig’ wird von allen Interviewpartnern der derzeitige, von ihnen ausgeführte Job angesehen. Die hohe Wichtigkeit des Berufes bezieht sich aber nicht in erster Linie darauf, ein hohes Einkommen zu verdienen oder eine einflussreiche Berufsposition zu erlangen, vielmehr wünschen sich die Gentrifier einen Beruf, in dem sie sich selbst verwirklichen können. Wenn man in Anlehnung an Veblen (1989) unter ‚demonstrativem Konsum’ einen Kon-sumstil versteht, mit dem Angehörige einer Oberschicht ihren Reichtum und ihre Macht durch aufwändige und nach aussen hin sichtbare Konsum- und Luxusgüter unter Beweis stellen möchten, dann trifft diese Eigenschaft auf die befragten Gentrifier höchstens in abgeschwächter Form zu. Die von ihnen verwendeten Statussymbole wirken nach aussen hin eher bescheiden als schrill. Ästhetische Qualität ist den Gentrifiern viel wichtiger als 41 Für Nicht-Zürcher sei hier erwähnt, dass im ‚Riff-Raff’ in erster Linie sogenannte Studiofilme gezeigt werden und kaum je

Hollywood-Produktionen. Das ‚Acapulco’ wurde im Jahre 2000 eröffnet und ist zu einem gutbesuchten Treffpunkt von eher jungen Leuten geworden, wobei das Preisniveau im Zürcher Durchschnitt liegt.

42 Mit dem Begriff ‚Selbstbild’ wird „die Gesamtheit der Vorstellungen, Einstellungen, Bewertungen, Urteile, usw., die eine Person im Hinblick auf ihre eigenen Verhaltensweisen, Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten usw. besitzt“ beschrie-ben (Lexikon der Soziologie 1995:592).

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prunkvoller Luxus. Erkennbar wird dies beispielsweise auch an der Wohnungseinrichtung. Die Inneneinrichtungen der Wohnungen der Interviewpartner waren sehr sorgfältig und bewusst gestaltet, mit meist nur wenigen, dafür sehr gezielt ausgewählten Gegenständen. Die Einrichtungen dieser Wohnungen orientieren sich nicht am Massengeschmack, der in vielen grossen Möbelhäusern zur Schau gestellt wird, sondern kann als eher individualis-tisch bezeichnet werden. Häufig anzutreffen waren beispielsweise Designer-Möbel aus der Bauhausära, deren hoher Verkaufspreis nur jemand erahnen kann, der über dieses kultu-relle Wissen verfügt. Aussenstehende ohne dieses Wissen werden diese Ästhetik zwei-felsohne anders deuten. Das auffälligste territoriale Zeichen des Lebensstils der Gentrifier sind ihre Wohnungen. Der an Lofts orientierte Baustil steht in der Tradition der Architektur der Moderne, die am einflussreichsten durch Le Corbusier (1887-1965) geprägt wurde. Die Formensprache der Lofts nimmt das architektonische Paradigma der Moderne auf, das in der prägnanten Kurz-formel „form follows function“ zum geflügelten Wort wurde. Absicht der modernen Bau-weise ist, die Erscheinungsform grundsätzlich aus der Funktion eines Bauwerkes abzulei-ten: das Zweckmässige wird zum Schönen erklärt. Durch die hauptsächlich verwendeten Materialien wie Beton, Stahl und Glas und durch den Verzicht auf Ornamente und andere Ausschmückungen ist der Baustil der Lofts eher als kühl denn als anheimelnd zu bezeich-nen. Nach aussen hin hat die Architektur die wichtige Funktion, dass sie dem Betrachter signa-lisiert, wie sich der Besitzer der Wohnung selber wahrnimmt und wie er gesehen werden will. So signalisiert der moderne Baustil, dass der Besitzer über das kulturelle Kapital verfügt, um die symbolischen Zeichen seiner Wohnung zu lesen und zu verstehen. Die Identifikation der Gentrifier mit ihrer eigenen Wohnung ist daher meist sehr gross. Zudem ist für die Bewohner das Leben in einer modernen Umgebung eine Bestätigung, dass sie über moderne Wertvorstellungen verfügen. Die nach aussen hin sehr offene Wohnung wird so zu einem Zeichen der Weltoffenheit seines Bewohners:

„Dies ist die neue Art zu leben, eine sehr offene Art.“

Neben der Demonstration von Zugehörigkeit zur Gruppe des modernen Städters ist die architektonische Formensprache der Wohnung gleichzeitig ein Mittel, um sich abzugren-zen. Wie in Kapitel 4.3.1 bereits angesprochen, ist es meiner Meinung nach vorwiegend eine Distanzierung von den Suburbanisierern und ihrer Lebensweise in den als bieder geltenden Vororthäuschen.

Fazit

Das Angebot an qualitativ unterschiedlichen Wohnungen in einem urbanen Gebiet ist sehr heterogen. So gibt es einerseits grosszügige Wohnungen, die an ruhiger Lage gelegen sind und in denen man vor allem von den positiven Möglichkeiten profitieren kann, die eine Stadt zu bieten hat. Dann gibt es auch weniger geräumige Wohnungen an stark befahrenen Strassen, in denen man stärker die negativen Seiten der Urbanität erfährt. Im Vergleich zu den einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten können sich die Gentrifier aufgrund höherer verfügbarer Ressourcen die „Sonnenplätze“ innerhalb des Kreises sichern und

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Urbanität von der schönen Seite lieben lernen. Diese privilegierten Orte in einem urbanen Gebiet sind jedoch Voraussetzung dafür, dass die Gentrifier überhaupt erst dort einziehen. Die Gentrifier können so von den vielen und vielfältigen Möglichkeiten, die der städtische Raum bietet, profitieren und ihn als einen überaus positiven Erfahrungs- und Erlebnisraum zur Verwirklichung ihres Lebensstils nutzen:

„Für uns haben sich hier alle Kriterien erfüllt. Erstens ist die Wohnung in einem lebendi-gen Quartier, zweitens kann man mit dem Fahrrad in die Stadt rein und drittens ist es dennoch ein bisschen im Grünen (...). Und es läuft hier immer was, es ist immer irgend etwas los, aber man ist dennoch an einem ruhigen Ort.“

Selbst Begriffe wie ‚lebendig’ und ‚ruhig’ sowie ‚urban’ und ‚grün’, die auf die Stadt bezogen eher als Antonyme gelten, scheinen solche Wohnorte gleichzeitig charakterisieren zu können. Es sind Orte, an denen die Gentrifier zwischen verschiedenen Optionen wählen können und so kaum je die Schattenseite der Urbanität erfahren werden. Wenn die ein-schränkenden Faktoren der Stadt aber überhand nehmen würden, hätten die Gentrifier immer noch die Option, an einen anderen „urbanen Ort“ ziehen zu können. Neben Grösse, Baustil und Lage ist es besonders die räumliche Nähe zu einem vielfältigen konsumtiven Angebot, die die Attraktivität der Wohnungen steigert. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, spontan vom einen oder anderen Angebot Gebrauch zu machen. Bereits durch das Wissen, dass sie am konsumtiven Angebot teilhaben könnten, wenn sie wollten, wird von den Gentrifiern als überaus wichtig angesehen. Das Auftreten der Gentrifier als Konsumenten innerhalb des Stadtgebietes muss aber als weniger demonstrativ betrachtet werden, als in der These angenommen. Die eigene Stel-lung innerhalb der Gesellschaft wird in erster Linie nicht durch den Konsum exklusiver Luxusgüter demonstriert; viel stärker steht die ästhetische Dimension des Konsumstils im Mittelpunkt, um sich distinktiv von anderen sozialen Gruppen abzugrenzen. Die Gentrifier identifizieren sich eher über ihr kulturelles, denn über ihr ökonomisches Kapital. Dennoch gehen die Ansprüche der Gentrifier an das konsumtive Angebot und somit auch an die Infrastruktur der Wohnumgebung über die alltäglichen und lebensnotwendigen Bedürfnisse hinaus.

4.3.4 Wahrnehmung von räumlichen Veränderungen

These 4: Die Gentrifier stehen dem Aufwertungsprozess in ihrer Wohnumgebung positiv gegenüber, da dadurch die Chancen zur Verwirklichung ihrer Lebensweisen steigen. Durch den Aufwertungsprozess entstehen zudem überproportional viele Räume, durch die eine symbolische Aneignung der Wohnumwelt durch die Gentrifier vereinfacht wird.

Kernaussagen der Interviews

Es kann gesagt werden, dass der Kreis 5 von den Gentrifiern als überaus positiver Hand-lungskontext angesehen wird. Nun stellt sich die Frage, wie denn die zur Zeit erkennbaren

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baulichen und sozialen Veränderungen von den Gentrifiern wahrgenommen und bewertet werden. Die Richtung, in die die Antwort auf diese Frage gehen wird, lässt sich bereits vor der Auswertung der Interviews angeben. So kann jedenfalls vermutet werden, dass eine Veränderung der Wohnumgebung als wünschenswert beurteilt wird, solange die daraus entstehenden positiven Aspekte die negativen kompensieren oder übertreffen. Diese Ver-mutung lässt sich durch die Interviewdaten stützen, wie man nun sehen wird.

a) Bewertung von räumlichen und sozialen Veränderungen

Grundvoraussetzung für eine Beurteilung von Veränderungen ist, dass solche überhaupt wahrgenommen werden. Die Zeichen der Veränderung sind im Kreis 5 jedoch offensicht-lich genug, denn die Gentrifier stellen sowohl räumliche wie auch soziale Veränderungen in ihrem Wohnumfeld fest. Es wird dabei in erster Linie beobachtet, dass viele Häuser renoviert werden, dass neue Wohnblocks entstanden sind und weiter am Entstehen sind, sowie dass neue Bars und Restaurants eröffnet wurden:

„Ich denke (...), dass nun in diesen Industriebrachen tatsächlich etwas Neues entsteht, weil man den Platz anscheinend nicht mehr braucht.“

Die Gentrifier äusserten die Vermutung, dass durch die baulichen Veränderungen vor allem junge, wohlhabendere Leute – zu denen sie sich selber auch zählen – angezogen werden:

„Ich denke, dass vor allem Besserverdienende hierher kommen. Besonders wenn ich schaue, wer hier drin so wohnt. Und dass es vorher eher billige Wohnräume gewesen sind.“

Die Umgestaltung des Gebietes durch Modernisierungen, Neubauten und die Umnutzung von Industriebrachen sowie der gleichzeitig stattfindende qualitative Bevölkerungsaus-tausch sind Merkmale der Gentrifizierung. Dieser wahrgenommene Prozess wird von den Gentrifiern meist eher positiv bewertet. Bereits die Tatsache, dass Renovationen getätigt und Industriebrachen umgenutzt werden und somit neue Wohnungen entstehen – dass also grundsätzlich Veränderungen im Wohnumfeld überhaupt stattfinden – wird von den Gentrifiern begrüsst:

„Generell finde ich es gut, dass gebaut wird. Ich finde, dies ist ein Teil einer Stadtent-wicklung (...). Ich finde es gut, dass sich hier in der Stadt etwas verändert.“

Das Bauen wird in diesem Sinne für die Gentrifier zu einem Symbol der Veränderung und stärkt dadurch ihre Gewissheit, Teilhaber an einem dynamischen Prozess zu sein. Im Ge-genzug dazu wird Verharrung als Zustand aufgefasst, dem eine spiessbürgerliche Konnota-tion anhaftet und der für die Gentrifier nicht mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung vereinbar ist. Veränderungen werden aber nur so lange als positiv angesehen, als dadurch die Eigen-schaften des Kreis 5 – die von den Gentrifiern als positiv bewertet werden – nicht verloren gehen. Die am häufigsten genannten positiven Eigenschaften des Kreis 5 sind das Neben-einanderleben von Individuen aus verschiedenen Kulturen oder unterschiedlichen sozialen

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Schichten sowie die verschiedenen konsumtiven Angebote im Wohnumfeld. So bewerten die Gentrifier den Zuzug einer wohlhabenden, jüngeren Bevölkerungsschicht – der sie selber angehören – grundsätzlich als positiv, da durch diese weitere Bevölkerungsgruppe die Mischung noch vielfältiger wird:

„Durch den Zuzug einer reicheren Schicht wird der Kreis noch kultureller – hinsichtlich der Bevölkerungsschicht – bereichert. Und dies tut dem Kreis 5 nur gut.“

Gleichzeitig wird aber auch wahrgenommen, dass durch den Zuzug einer wohlhabenderen Bevölkerungsschicht die Gefahr besteht, dass das multikulturelle Ambiente des Kreis 5 durch die Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerungsschicht verloren gehen könnte. Der Verlust der bunten Mischung wäre für die Gentrifier gleichbedeutend mit einem Ver-lust an Lebensqualität:

„Und das denke ich wäre schade, wenn hier ein Edel-Wohnquartier entstehen würde, es also ein Getto würde von Leuten wie wir sind (...). Dies wäre schade, denn dann würde gerade die Qualität verschwinden, die ich schätze.“

Die räumlichen Veränderungen wie Rennovationen, Neubauten von Wohn- und Geschäfts-räumen sowie die Entstehung von verschiedenen neuen konsumtiven Möglichkeiten wer-den von den Gentrifiern grundsätzlich begrüsst. Gerade die in den letzten Jahren stattge-fundene Aufwertung in baulicher Hinsicht bildet die Grundlage dafür, dass die meisten Gentrifier überhaupt erst in den Kreis 5 eingezogen sind:

„Vor drei bis vier Jahren standen hier nur Fabrikgebäude, Schuppen und alte Häuser. Und wenn dazumal jemand gesagt hätte, willst du hier wohnhaft werden, hätte ich gesagt, du spinnst wohl – auf keinen Fall.“

Als überaus positiv angesehen werden die verschiedenen neu hinzugekommenen Ausgeh-Möglichkeiten wie beispielsweise die Schiffsbauhalle mit Jazzlokal, Schauspielbühne und Restaurant oder die Kino-Bar ‚Riff-Raff’, da diese Orte von den Gentrifiern gerne und regelmässig aufgesucht werden. Die baulichen Veränderungen gehen in den meisten Fällen mit dem Verlust von alter Bausubstanz einher. Die Entstehung von etwas Neuem geht immer auf Kosten des Alten. Bedauert wird dies von den Individuen insbesondere dann, wenn sie die ursprüngliche Situation kennen- und liebengelernt hatten. In solchen Situationen können räumliche Ver-änderungen als Bedrohung wahrgenommen werden, da durch sie Vertrautes verloren geht und das Neue noch mit dem Gefühl der Unsicherheit behaftet ist. Die meisten Interview-partner wohnen aber noch nicht lange genug im Kreis 5, als dass für sie das bestehende Raumgefüge oder einzelne Gebäude stark symbolisch aufgeladen wären. Nur diejenigen Gentrifier, die bereits über längere Zeit im Kreis 5 verschiedene Angebote genutzt und dadurch die ursprüngliche Situation miterlebt hatten, bedauern den Verlust einzelner Orte, die in den letzten Jahren umgestaltet worden sind. Sie sind sich jedoch gleichzeitig auch bewusst, dass sie die Nutzniesser der stattfindenden Aufwertung sind und kleinere Einbus-sen an der Lebensqualität mehr als ausgeglichen werden durch die grundsätzlich positive Richtung, in die die Veränderungen gehen. Veranschaulicht wird diese Einstellung durch

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die Antwort einer Gentrifierin auf die Frage nach der Bewertung räumlicher Veränderun-gen:

„Klar, es hat immer was Positives und was Negatives – gerade beim Steinfels-Areal. Im Glacegarten43 war ich ziemlich häufig und fand dies total schön. Und nun ist dieses Areal einfach weg. Aber auf der anderen Seite dürfte ich auch nicht hier wohnen, denn vorher war hier auch eine solche Pionierkultur gewesen, die man halt vertrieben hat (...). Aber ich denke, so ist halt das Leben: es entwickelt sich immer weiter.“

Die negative Dimension der Gentrifizierung, die sich in der Verdrängung ehemaliger Bewohner äussert, wird von dieser Gentrifierin sehr klar wahrgenommen und mit dem Hinweis moralisch gerechtfertigt, dass dies zum Lauf der Dinge gehöre. Durch diese Ab-gabe der Verantwortung an eine äussere Instanz wird die Tatsache der Verdrängung legiti-miert und für diese Interviewpartnerin erträglicher gemacht. Abschliessend zur Thematik sozialer und räumlicher Aufwertung sei noch dies erwähnt: Die baulichen Veränderungen werden von den Gentrifiern insbesondere im stark industriell geprägten Escher-Wyss-Quartier positiv gewertet. Mit der baulichen Aufwertung in diesem Gebiet ist die Hoffnung verbunden, dass durch die entstehenden Überbauungen „neues Leben“ auf den brachliegenden Industriearealen einziehen wird. Für das Quartier ‚Gewer-beschule’ wird dagegen häufiger die Befürchtung geäussert, dass die kulturelle Mischung durch die „soziale Aufwertung“ verloren gehen könnte.

b) Die Rolle der Medien

Eine entscheidende Bedeutung für die Wahrnehmung von Aufwertungstendenzen spielen die Medien. Sie kommunizieren die Indizien der Aufwertung nach aussen hin und malen gerne und häufig ein Bild der totalen Aufbruchstimmung, der man im Kreis 5 dauernd begegnen würde. Die Medien spielen demzufolge eine wichtige Rolle für den Ruf des Kreises, da sie einen bedeutenden Beitrag zur Entstigmatisierung des zuvor abgewerteten Stadtgebietes leisten. Die Gentrifier – verstanden als dynamische und extrovertierte junge Leute – spielen in diesen Bildern meist die Hauptakteure, da sie die moderne Art zu leben praktizieren. Die in vielen Fällen einseitig positive Berichterstattung über die Aufwertungstendenzen innerhalb des Kreis 5 haben für die Ausübung des Lebensstils der Gentrifier zwei unter-schiedliche Bedeutungen. Durch diese medial vermittelten Bilder wird einerseits das Be-wusstsein der Gentrifier gestärkt, dass sie als Hauptakteure ein wichtiger Teil dieser Auf-bruchstimmung sind. Sie erhalten deswegen die Bestätigung, dass sie am Puls der Zeit sind. Da sie das Bild der jungen, kreativen und erfolgreichen Urbaniten zu verkörpern scheinen, werden sie dadurch gleichsam zu Trendsettern der urbanen Lebensweise. Durch die Entstigmatisierung wird die eigene Wohnadresse zur Visitenkarte, die den Besitzer als Person mit nonkonformistischem Lebensstil ausweist. Andererseits werden die Gentrifier zu viel Publicity für ihre Wohnumgebung kaum wünschen, denn dadurch steigt in den 43 Der Glacegarten war ein Gebäude auf dem ehemaligen Industrieareal ‚Steinfels’, das als alternatives Restaurant zwischen-

genutzt wurde. Zur Zeit entsteht nun an dieser Stelle eine neue Überbauung mit einer Vielzahl von Wohn- und Arbeits-räumen.

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Augen der Aussenstehenden die Attraktivität des Gebietes. Die Konsequenz daraus ist, dass das konsumtive Angebot im Gebiet von einer immer breiteren Bevölkerungsschicht genutzt wird und die Gentrifier somit konkurriert werden in ihren Raumansprüchen. Der mit dem Anstieg der Attraktivität einhergehende, verstärkte Zustrom von „Touristen“ in den Kreis 5, wird so auch von einem Gentrifier argwöhnisch beobachtet:

„Jetzt neu mit der Schiffbauhalle kommt der ganze Zürichberg und der „Goldküstenku-chen“44 in den Kreis 5. Die haben vorher gar nicht gewusst, wo der Kreis 5 liegt.“

Wenn es für eine breite Bevölkerungsschicht Mode wird in den Kreis 5 zu gehen, verlieren die Gentrifier den Status, Trendsetter zu sein. So zeichnet sich beispielsweise ein In-Lokal gerade dadurch aus, dass nur eine eingeschworene Auswahl von Personen davon Bescheid weiss. Spätestens wenn dieses Lokal vom hintersten und letzten Szeneheft „entdeckt“ wird, hat es keine distinktive Funktion für die ehemaligen Besucher mehr zu bieten. Das Image des Kreis 5, ein grossstädtischer, lebendiger und ein auf keinen Fall biederer Stadtraum zu sein, bietet den Gentrifiern also die Möglichkeit zur Identifikation, kann aber gleichzeitig auch den beginnenden Exklusivitätsverlust des von ihnen praktizierten Lebensstils markie-ren.

Fazit

Die positive Sicht der Gentrifier auf den Kreis 5 hat zu einem grossen Teil damit zu tun, dass sie die sozialen wie auch baulichen Veränderungen, die sie in ihrer Wohnumgebung wahrnehmen, nicht negativ beurteilen. Vielmehr werden die Anzeichen der Gentrifizierung meist sehr positiv gewertet, da sie zur Entstigmatisierung des ehemals schlechten Rufs des Kreis 5 beitragen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Gentrifier überhaupt ins Gebiet einziehen oder eingezogen sind. Obwohl der Ruf des Kreis 5 zu einem Grossteil entstigmatisiert ist, sind Elemente der ehemaligen Abwertung immer noch erkennbar. Für die Gentrifier trägt der Kreis 5 gerade durch das ehemals negative Image als Wohnquartier nun mehr zur Exklusivität ihrer Lebensführung bei als beispielsweise ein traditionell-bürgerliches Stadtquartier. Die Faszination der Aufwertung ergibt sich für die Gentrifier dadurch, dass der Kreis 5 wie „Phoenix aus der Asche“ zu „neuem Leben“ erwacht ist. Die räumlichen Aufwertungen haben aber auch einen ganz direkten Einfluss auf die Wohnqualität der Gentrifier. So kommen die neu entstandenen konsumtiven Möglichkeiten den Gentrifiern bei der Ausübung ihres Lebensstils entgegen, da dadurch häufig gerade ihre Konsumwünsche bedient werden. Die Aufwertung wurde von den Gentrifiern nur selten negativ bewertet und dann bezog sich die Kritik immer auf punktuelle bauliche Änderungen in ihrer nahen Wohnumgebung. Die Veränderungen können von den Gentrifiern meist gar nicht negativ bewertet werden, da sie wegen der eher kurzen Wohndauer die ursprüngliche Situation selber nicht miterlebt haben und für sie dadurch kaum Liebgewonnenes verloren geht. In die Zukunft blickend, 44 Am Zürichberg befindet sich das bürgerliche Villenviertel von Zürich. Als Goldküste wird die rechte, untere Uferseite

bezeichnet, an der überdurchschnittlich viele wohlhabende Leute wohnhaft sind. Mit dem Begriff ‚Goldküstenkuchen’ bezeichnet der Interviewpartner ein bisschen abschätzig die reichen Leute, die an den Wochenenden nach Zürich kommen um dort das kulturelle Angebot in Anspruch zu nehmen.

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befürchten die Gentrifier jedoch, dass durch eine andauernde Aufwertung die bunte Mischung von verschiedenen Kulturen verloren gehen könnte. Dieses Szenarium ist aber für die Gentrifier noch nicht eingetreten, vielmehr steigt die Qualität der Wohnumgebung durch die sozialen und räumlichen Veränderungen immer noch an. Der in die Zukunft gerichtete Blick der Gentrifier auf den Kreis 5 ist deshalb sehr optimistisch, verspricht die Aufwertung doch für sie eine verheissungsvolle Zukunft.

4.3.5 Soziale Kontakte

These 5: Das Zusammenleben der Gentrifier mit den Alteingesessenen und den gesell-schaftlichen Aussenseitern (Drogenabhängige und Prostituierte) ist charakterisiert durch physische Nähe bei gleichzeitiger sozialer Distanz. Die Stadt ermöglicht den Gentrifiern unterschiedliche kulturelle Begegnungen, die aber in den meisten Fällen die Form einer zwanglosen Beziehung haben. Die alteingesessene Bevölkerung erfüllt dadurch bei den Gentrifiern die Funktion einer urbanen „Staffage“.

Kernaussagen der Interviews

Bei den Interviews ist deutlich herausgekommen, dass ein wichtiger Teil der Lebensquali-tät der Gentrifier innerhalb des Kreis 5 durch die Möglichkeit von zufälligen Begegnungen mit Personen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und anderen ethnischen Gruppen ausgemacht wird. Die Stadtkreise 4 und 5 sind die traditionellen städtischen Immigrations-gebiete für Ausländer, was sich im hohen Ausländeranteil zeigt. Zudem sind sie die Stadt-teilgebiete, in denen die Drogenszene und die Prostitution am deutlichsten erkennbar sind (vgl. Kapitel 2.6.2). In diesem Abschnitt gilt es nun zu zeigen, welche Bedeutung die verschiedenen Milieus für die Gentrifier in ihrem städtischen Alltagsleben haben. An dieser Stelle wird unterschieden zwischen Interaktionen der Gentrifier zu Personen aus den alteingesessenen Milieus und zu Personen aus den gesellschaftlichen Aussenseitermilieus. Analog zu Berger et al. (1999:5) werden dabei zu den alteingesessenen Milieus die Milieus der ausländischen (Arbeits-)Migranten, die traditionellen Arbeitermilieus wie auch das links-alternative Milieu gezählt. Den Aussenseitermilieus können Drogen- und Alkoholab-hängige, Prostituierte und Obdachlose zugerechnet werden.

a) Soziale Kontakte zu Personen aus den alteingesessenen Milieus

Alle Interviewpartner betonten, dass insbesondere der Kreis 5 innerhalb von Zürich ein „überaus belebtes Gebiet“ sei, ein Ort, „wo das Leben herrscht, wo man was von den anderen Menschen mitbekommt“. Diese Eigenheit ihrer Wohnumgebung wird durch die Gentrifier als sehr positiv bewertet. Diese „Vielfalt und charmante Durchmischung von Farben, Düften und Geräuschen“ gibt den Gentrifiern „so ein städtisches Gefühl“ und wird somit zu einer wichtigen Komponente in ihrem urbanen Lebensgefühl. Urbanität bedeutet somit für die Gentrifier, dass man vom Leben der anderen Personen auf zufällige

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und unaufdringliche Art und Weise einen Teil mitbekommt, dass „wenn man das Fenster offen hat, man andere Leute sprechen, kochen und feiern hört“. Die Migros am Limmatplatz wird dadurch nicht nur ein Ort, wo man seine Einkäufe fürs Wochenende tätigt, sondern vor allem auch ein Ort, an dem man Ausländer beobachten kann, „wie sie mit ihren Einkaufswagen herumstehen und schwatzen, mit denen man aber keinen persönlichen Kontakt hat“. Auch im Gebiet rund um die Langstrasse wird das „internationale Flair“ als grossstädtische Komponente angesehen, wobei die „Schwarzen in ihren bunten Kleidern an Paris erinnern“ oder im Sommer durch die belebten Strassen „kommen Erinnerungen an Italien hoch, weil alles sehr mediterran wirkt“. Der Kontakt der Gentrifier zur Bevölkerung aus einer anderen Schicht und/oder Kultur ist jedoch kein tiefgehender. Es sind Kontakte, die auf zufälligen Begegnungen basieren, aus denen aber nur in den seltensten Fällen engere Bekanntschaften und kaum je Freund-schaften entstehen. Die Kontakte der Gentrifier zu Personen einer fremden Kultur be-schränken sich in den allermeisten Fällen auf das Zusammentreffen mit ihnen am Kiosk oder in den kleineren Einkaufsläden, welche man an verschiedenen Orten im Kreis 5 (noch) antrifft. An solchen Orten „kennt man sich so ein wenig und dies ist nicht anbie-dernd, sondern doch sehr schön“ und „man sagt sich ‚Ciao’ und ‚was machst du’, kennt sich aber vom Namen her nicht“. Gründe für die nur zaghafte Annäherung der Personen von verschiedenen sozialen Schich-ten oder Kulturen mag es viele geben. Und den Gentrifiern Interesselosigkeit gegenüber den Alteingesessenen vorzuwerfen und ihnen die alleinige Schuld am geringen Austausch zwischen den sozialen Klassen zuzuweisen, wäre ein zu einfaches Erklärungsmuster. Häufig ist das Bewusstsein einer kulturellen Differenz und Andersartigkeit sehr ausge-prägt, was in der folgenden Aussage einer Interviewpartnerin zum Ausdruck kommt:

„In einem türkischen Laden gehöre ich nicht hinein. Ich gehöre dort nicht dazu. Ich kann dorthin wohl einkaufen gehen, aber ich bin dann dort fast die einzige Nicht-Türkin.“

Für die Gentrifier beschränkt sich die Rolle der Personen aus einer anderen kulturellen Gruppe zu einem Grossteil darauf, dass diese viel zum facettenreichen Kulturangebot des Kreises beitragen. Die multikulturelle Mischung ist daher nicht mehr und nicht weniger als das soziale Nebeneinander-Leben von verschiedenen ethnischen Kulturen und sozialen Schichten. Kritisch gedeutet bedeutet dies, dass die Alteingesessenen von den Gentrifiern nicht primär als Individuen gesehen werden, zu denen man eine engere Beziehung aufbauen möchte oder könnte, sondern sie werden zu einem austauschbaren Element einer andersartigen Kultur. Nicht die individuellen und einmaligen Qualitäten der Einzelpersonen stehen im Mittelpunkt des Interesses der Gentrifier, sondern dass sie die Überbringerinnen der kultu-rellen Eigenheiten ihrer ethnischen Kulturen und/oder Schichten sind. Positiv gedeutet bedeutet dies aber auch, dass die Gentrifier die fremden Kulturen nicht als Bedrohung der eigenen Kultur ansehen, sondern als Bereicherung in ihren Lebensentwür-fen. Kein einziger Interviewpartner machte eine Bemerkung, die man als Ressentiment gegenüber den ausländischen Bewohnern im Kreis auffassen könnte, geschweige denn, dass jemand offen eine fremdenfeindliche Meinung geäussert hätte.

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b) Begegnungen mit Personen aus dem gesellschaftlichen Aussenseitermilieu

Das Leben im öffentlichen Raum des Kreis 5 geht immer noch einher mit einer Vielzahl von Begegnungen mit Individuen des gesellschaftlichen Aussenseitermilieus. Diese Be-gegnungen beschränken sich jedoch ausnahmslos auf das Quartier Gewerbeschule (vgl. Kapitel 2.6.2). Was für eine Rolle spielen nun die gesellschaftlichen Aussenseiter im städtischen Alltag der Gentrifier? Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass die Drogenszene und die Prostitution von den meisten Gentrifiern nicht als unerträgliches Problem angesehen wer-den. Die Meinung lautete einheitlich, dass das Problem in erster Linie örtlich konzentriert wahrnehmbar sei, wie beispielsweise an der Langstrasse. Durch das Vorhandensein der Drogenszene und der Prostitution wird das Alltagsleben der Gentrifier kaum tangiert. So ist denn der Standpunkt meiner Interviewpartner, dass für sie dadurch „keine direkte Störung“ entstehe. Und dass wenn eine Beeinträchtigung wahrnehmbar sei, diese eher indirekt geschehe, „durch Verschmutzung, Lärm und durch eine häufig aggressive Stimmung, wenn die Polizei die ganze Zeit rumfährt“. Die Einstellung der Gentrifier zu den gesellschaftlichen Aussenseitern schwankt zwischen zwei verschiedenen Gefühlsempfindungen: Mitleid und Faszination. Einerseits wurde von den Gentrifiern betont, dass sie sich beelendet fühlen würden von den Drogenabhängigen und den Prostituierten:

„Es tut mir weh, wenn man die Typen sieht, die fast halbe Leichen und geistig durch sind (...). Und bei der Prostitution finde ich es verrückt, dass die Mehrheit der Frauen aus Dritte-Welt-Ländern sind und zum Teil unfreiwillig oder aus Naivität hier gelandet sind.“

Andererseits wurde aber auch betont, dass von der Präsenz der Drogenabhängigen und Prostituierten eine Faszination ausgehe:

„Es ist ja auch ein gewisser Reiz, der vom Kaputten ausgeht (...). Und wenn ich dann spätabends nach Hause komme, dann stehen hier drei bis vier Frauen und ich frage mich, welcher Freier diese wohl frequentiert, denn sie sind extrem hässlich, so mit aufgespritzter Lippe und alles ist extrem schlecht gemacht.“

Die Drogenszene und die Prostitution stellen somit einen Teil der Unterhaltung dar, die die Gentrifier innerhalb des ethnisch-kulturell vielfältigen Quartiers antreffen. Von ihnen geht nicht primär eine Bedrohung aus, sondern sie werden gleichsam zu einem Symbol der negativen Kehrseite von Urbanität. Städte gelten gemeinhin als Wiege der Zivilisation und als Orte der Kultivierung und der Emanzipation der Bürger aus gesellschaftlichen Zwängen. Urbane Räume sind jedoch ganz offenkundig auch Orte, an denen eine Vielzahl gesellschaftlicher Krisenerscheinungen angesiedelt sind. So sind auch die Drogenabhängigkeit einzelner Individuen und die Pros-titution gesellschaftliche Phänomene, die sich insbesondere in den städtischen Räumen konzentrieren und hauptsächlich dort für Bewohner und Medien sichtbar werden. In der mentalen Vorstellung sind Drogenabhängigkeit und Prostitution stark mit dem Ort der Stadt verknüpft und werden dadurch zu einem integralen Bestandteil des Begriffs

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‚Urbanität’. Die Drogenabhängigen oder die Prostituierten an der Langstrasse verkörpern somit einen Teil der grossstädtischen Atmosphäre, die die Kreise 4 und 5 noch stärker als urbane Gebiete erscheinen lassen:

„Ich finde die Drogenszene und die Prostitution hier normal. Sonst muss man halt nach Horgen oder sonst einen ‚bünzligen’ Ort wohnen gehen. Ich finde es fast interessanter, wenn es solche Sachen gibt.“

Anzumerken gilt es an dieser Stelle, dass die von der Drogenszene und der Prostitution ausgehende Faszination den Gentrifiern nicht verborgen bleibt. So äusserten sich einige Interviewpartner befremdet über sich selber, dass diese gesellschaftlichen Krisener-scheinungen für sie einen Reiz darstellen würden. Die nicht allzu negative Beurteilung der Drogenszene und der Prostitution durch die Gentrifier hat stark mit der Tatsache zu tun, dass diese innerhalb des Kreises an privile-gierten Orten wohnen, die eher abgeschottet sind von den negativen Begleiterscheinungen, die die Drogenabhängigkeit und Prostitution mit sich bringen. So bekam ich häufig die Antwort, dass einige Interviewpartner vor ein paar Jahren wegen der Drogenszene noch nicht in den Kreis 5 eingezogen wären. Zudem könnten auch einige der Interviewpartner nicht in direkter Nähe der Langstrasse wohnen, „weil man dort das Elend direkt vor der Türe hat“. Die tägliche Auseinandersetzung mit der Drogenszene und der Prostitution und den Begleiterscheinungen wie Lärm, Gestank und Verschmutzung würde die Gentrifier denn doch in ihrer Befindlichkeit stören. Die räumliche Distanz zum Elend an der Lang-strasse fasse ich somit stark als eine Form der Realitätsverdrängung und Realitätsver-zerrung auf, durch die das Elend erst eine Komponente der Faszination bekommen kann.

Fazit

Es kann gesagt werden, dass im Kreis 5 Kontaktmöglichkeiten mit Menschen aus verschie-denen ethnischen Kulturen und sozialen Klassen wohl vorhanden sind, dass die kulturellen Differenzen jedoch stark als Hinderungsgrund für tiefergehende Bekanntschaften angese-hen werden. Der öffentliche Stadtraum ist grundsätzlich ein Ort, der zufällige und flüchtige Kontakte zwischen Fremden ermöglicht, wobei aus diesen Kontakten kaum tiefe Bekannt-schaften – die über einen zwanglosen Kontakt hinausgehen – entstehen. Die multikulturelle Vielfalt der urbanen Wohnumgebung wird so von den Gentrifiern hauptsächlich visuell erlebt. Der urbane Raum als Ort des Zusammentreffens verschiedener Kulturen ist in erster Linie ein Ort des Schauens und nur bedingt ein Ort des kulturellen Austausches. In diesem Zusammenhang ist auf den Forschungsbericht von Berger et. al (1999:101ff) zu verweisen. Die Autoren vergleichen auf sehr treffende Weise den Blick der Gentrifier mit dem Blick der Touristen. Das heisst, die Gentrifier nehmen durch ihre statusbedingte Fremdheit im Kreis 5 die distanzierte Rolle von Touristen ein. So setzen sie sich ähnlich wie Touristen freiwillig dem Fremden aus, indem sie sich an einen fremden Ort begeben. Die Attraktivität für die Gentrifier ist darin zu sehen, dass sie sich ohne grösseres Risiko und ohne längere Verpflichtungen zeitlich beschränkt auf eine andersartige Kultur „einlas-sen“ können. Die Einnahme der Touristenperspektive hat insbesondere in Bezug auf die gesellschaftlichen Aussenseiter eine entlastende Funktion. Durch den distanzierten Blick

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werden für die Gentrifier die häufigen Begegnungen mit gesellschaftlichen Aussenseitern erst erträglich gemacht. Nach Berger et al. ermöglicht die Einnahme des Touristenblickes den Gentrifiern zudem eine Toleranz auf Zeit,45 da sie die Gewissheit haben, jederzeit wieder wegziehen zu können, wenn das Leben im urbanen Raum zur belastenden Alltags-welt mit einschränkenden Konsequenzen würde. Die Vielfalt der Kulturen wird somit nur im Sinne eines „bereichernden Nebeneinanders“ gesucht.

4.3.6 Soziale Beziehungen

These 6: Die Sozialbeziehungen der einzelnen Gentrifier basieren auf einem Kontaktnetz, das individuell hergestellt, erhalten und immer wieder erneuert werden muss. Insbesondere der Stadtraum bietet für die Gentrifier die Möglichkeit, vielfältige ausserhäusliche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.

Kernaussagen der Interviews

Eines der wichtigsten Merkmale der Stadt ist nach Sennett (1994:60f), dass sie eine Sied-lungsform ist, die die Begegnung einander fremder Menschen wahrscheinlich macht. Die Stadt ist ein Ort, an dem Fremde miteinander interagieren können oder müssen. Es ist daher zu erwarten, dass aus den flüchtigen Kontakten zwischen den Fremden auch soziale Beziehungen – im Sinne von Freundschaften – entstehen können. Da die Gentrifier weni-ger als kontaktscheu, sondern eher als kommunikationsfreudig beschrieben werden, liegt die Vermutung nahe, dass sie häufig neue Freundschaften im Stadtraum schliessen. Die Interviewdaten bestätigen diese Vermutung aber in keiner Hinsicht. Vielmehr zeigen die Antworten meiner Interviewpartner auf, dass es nur wenige Orte gibt, an denen für sie die Möglichkeit besteht, Freundschaften mit für sie Fremden knüpfen zu können. So wurde die Frage, ob sie häufig neue Leute kennen lernen würden, wenn sie sich alleine im Stadtraum bewegten, von den Gentrifiern meist sehr ähnlich beantwortet:

„So direkt auf der Strasse oder in einem Café jemanden kennen zu lernen oder die Be-kanntschaft mit Leuten aus anderen ethnischen Gruppen zu machen, ist eher schwieriger.“

Obwohl sehr viele Interviewpartner angaben, dass sie „noch nie“ oder „eigentlich selten“ neue Leute per Zufall kennen gelernt hätten, wurde dies nicht primär als Nachteil des städtischen Alltags bedauert. Die Gentrifier erweitern ihren Freundeskreis in erster Linie über die personellen Kontakte an ihrem jeweiligen Arbeitsort. Weiter werden soziale Beziehungen über ein bereits beste-

45 Toleranz darf aber nicht mit Solidarität gleichgesetzt werden. Solidarität verstehe ich als zentralen Grundwert, der das

Motto „leben und leben lassen“ mit gegenseitiger Anteilnahme und Unterstützung paart. Solidarität drückt so nach meiner Auffassung eine Verbundenheit trotz und zugleich wegen sozialer Differenzen aus. Auch wenn die Toleranz der Gentrifier gegenüber den Personen aus den traditionellen Milieus und dem Aussenseitermilieu gross sein mag, muss dies nicht gleichbedeutend mit Solidarität sein. Wie hoch die Solidarität im Zusammenleben der Gentrifier zu den anderen Milieus jedoch ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.

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hendes soziales Netz ausgebaut, indem die Gentrifier die Kollegen der eigenen Freunde bei gemeinsamen Aktivitäten kennen lernen:

„Diese trifft man dann ab und zu wieder und sie werden so zu einem Teil des äusseren Freundeskreises“.

Im Weiteren ermöglicht eine Nachbarschaft zu Leuten mit ähnlichem Lebensstil, neue soziale Beziehungen aufzubauen. Hier ergeben sich aber ganz unterschiedlich tiefe Bezie-hungen, je nachdem wie die Konstellation der einzelnen Bewohner ausschaut und inwie-weit durch räumliche Situation ein Zusammentreffen der Bewohner überhaupt ermöglicht wird. Aus den nachbarschaftlichen Kontakten können sehr freundschaftliche soziale Be-ziehungen entstehen, welche die Anonymität der Stadt erträglicher machen. So äusserte sich ein Gentrifier sehr positiv über eine halb-öffentliche Veranda, die die Pflege der nachbarschaftlichen Kontakte vereinfacht:

„An der Stadt finde ich krass, dass alle aneinander vorbeileben (...). Genau dies gefällt uns sehr an unserer Wohnung. Die gemeinsame Terrasse ist wie eine Insel. Im Sommer sind wir häufig drauf und die anderen Nachbarn auch. Dies finde ich toll!“

Die nachbarschaftliche Nähe ist sicher eine Voraussetzung, aber keine Bedingung für die Herausbildung einer nachbarschaftlichen Freundschaft, wie folgende Interviewpassage aus einem Interview mit einem anderen Gentrifier aufzeigt:

„In diesem Haus hört man fast nichts von den Nachbarn. Ich bekomme von den Leuten also nur gerade was mit, wenn ich ihnen im Treppenhaus begegne. Selten führen wir aber ein Gespräch miteinander.“

Neben räumlichen Gründen verhindert die Tatsache, dass die Gentrifier durch die starke Gewichtung ihres Berufslebens jeweils nur kurze Zeit in der eigenen Wohnung oder in der Wohnumgebung verbringen, das Zustandekommen enger nachbarschaftlicher Beziehungen. Enge nachbarschaftliche Beziehungen bedeuten meist auch stärkere soziale Kontrolle durch die Nachbarn. So wird dann häufig gerade die Anonymität zu seinen Nachbarn als wünschenswert angesehen:

„Es ist ja ein rechter Zufall, wer nebenan oder oben wohnt. Das ist ja auch kein Grund, dass man einen engen Kontakt zu den Nachbarn pflegen muss.“

Wie wir oben gesehen haben, kann die Beziehung der Gentrifier zu den jeweiligen Nach-barn sehr vertraut, aber auch sehr anonym sein. Demgegenüber bewerten aber alle Gentri-fier die Anonymität zwischen den einzelnen, sich fremden Personen innerhalb der Stadt als überaus positiv. Grundsätzlich wird aber nicht die Anonymität an sich als positiv beurteilt, sondern der mit der Anonymität einhergehende Abbau sozialer Kontrolle:

„Anonymität bedeutet für mich, dass man ungezwungen vor sich hinleben kann und die Freiheit hat zu entscheiden, was man machen will. An einem Tag kann man mit roten Haaren ausgehen, am andern Tag wieder ganz unauffällig.“

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Anonymität wird als typisch städtische Dimension angesehen, da durch die Dichte, Grösse und Heterogenität einer Stadt Anonymität erst ermöglicht wird. In dieser Hinsicht unter-scheidet sich das städtische Leben vom Leben in Kleinstädten oder Dörfern grundlegend. Bereits Simmel (1903) wies in seinem Essay ‚Die Grossstadt und das Geistesleben’ auf die spezifische Form der Beziehungen der Städter untereinander und zu ihrer Umgebung hin. Simmel beschreibt die Stadt als Raum schnell wechselnder Reize. Wollte der Städter auf jeden einzelnen Reiz reagieren, würde das seine Aufnahmekapazität sprengen. Nach Simmel greifen die Städter daher auf drei unterschiedliche Schutzmechanismen zurück, um sich gegen die „Vergewaltigung der Grossstadt“ zu behaupten: Verstandesmässigkeit46, Blasiertheit47 und Reserviertheit48. Diese drei Schutzmechanismen sind auch in der heutigen Zeit beim Zusammentreffen der Städter erkennbar. Sie äussern sich in den überaus rationalistischen Handlungsmustern, wenn zwei sich fremde Personen treffen. Die Anonymität verstehe ich in diesem Sinne als Resultat der Abwehrmechanismen der Städter gegen die Vielzahl an Begegnungen mit Fremden. Sie ist gleichzeitig Bedingung für Privatheit, persönliche Freiheit und Indivi-dualität. In dieser Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen wird auch das negative Poten-tial von Anonymität erkennbar, das mit den Begriffen ‚Vereinsamung’ und ‚Vereinzelung’ der Menschen beschrieben werden kann. Das Interviewmaterial zeigt jedoch ganz deutlich, dass die Gentrifier für sich die Möglichkeit innerhalb der Stadt zu vereinsamen als klein einschätzen. Dass die Gefahr der Isolation nicht latent ist, ist einerseits mit der Tatsache zu erklären, dass die Gentrifier ökonomisch abgesichert sind, da sie sich durch ihre hohe formale Bildung auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen können. Andererseits sind sie innerhalb der Gesellschaft zudem in ein bestehendes soziales Netzwerk eingebettet. Die sozialen Beziehungen der Gentrifier zu ihresgleichen ist somit eine wichtige Grundvoraussetzung, dass die Anonymität von ihnen positiv beurteilt wird:

„Nein, ich fühle mich überhaupt nicht einsam in Zürich (...). Aber ich kann mir gut vor-stellen, dass, wenn man kein soziales Netz mehr hat, man sehr schnell vereinsamen kann in der Stadt.“

Nicht nur die effektiven Kontakte mit Bekannten und Freunden spielen in diesem Zusam-menhang eine wichtige Rolle, vielmehr scheinen die Gentrifier ein Grundvertrauen in sich zu tragen, dass für sie immer genügend Möglichkeiten vorhanden seien, um mit anderen Menschen zusammen zu kommen und sich auszutauschen. 46 Die Schutzfunktion der Verstandesmässigkeit liegt nach Simmel (1903:238) darin, dass durch die Intellektualisierung der

Reize diese einfacher zu verarbeiten sind. Die Verstandesherrschaft des Städters ist daher ein „Schutzorgan gegen die Entwurzelung, mit der die Strömungen und Diskrepanzen seines äusseren Milieus ihn bedrohen: statt mit dem Gemüte reagiert er auf diese im Wesentlichen mit dem Verstande (...).“

47 Blasiertheit (Simmel 1903:240) entsteht dadurch, dass die Sinne durch die städtische Überreizung abgestumpft werden. Simmel versteht darunter die „Unfähigkeit, auf neue Reize mit der ihnen angemessenen Energie zu reagieren (...).“

48 Unter Reserviertheit versteht Simmel (1903:241) eine spezifisch geistige Haltung der Gleichgültigkeit der Städter zueinan-der. „Wenn der fortwährenden äusseren Berührung mit unzähligen Menschen so viele innere Reaktionen antworten sollten, wie in einer kleinen Stadt (...), so würde man sich innerlich völlig atomisieren und in eine ganz unausdenkbare seelische Verfassung geraten“. Die reservierte Haltung gegenüber den Mitmenschen äussert sich nach Simmel in „leiser Aversion, gegenseitiger Fremdheit und Abstossung, die in dem Augenblick einer irgendwie veranlassten Berührung sogleich in Hass und Kampf ausschlagen würde.“

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Für die meisten Befragten sind im Vergleich zu den bekanntschaftlichen Beziehungen die verwandtschaftlichen von untergeordneter Bedeutung. Besonders im städtischen Alltag werden die Kontakte zu Freunden und Arbeitskollegen als bedeutsamer angesehen:

„Für meinen unmittelbaren Alltag hier, sind meine Kollegen und mein unmittelbares Umfeld wichtiger [als die Herkunftsfamilie; d.Verf.] (...). Für Alltagsprobleme sind eher die Kollegen da.“

Der Rückgang der sozialen Bedeutung der Verwandtschaft ist aber keine Erscheinung, die sich in erster Linie auf die Gentrifier beschränkt, sondern weite Teile der Bevölkerung innerhalb der westlichen Gesellschaft werden davon erfasst. Die ursprünglichen Funktio-nen einer Verwandtschaft, wie die Ermöglichung von gesellschaftlicher Integration oder die der Hilfe und Solidarität, werden heute zu einem Grossteil von öffentlichen Einrichtun-gen übernommen (z.B. von Altersheimen u.a.m.). Da die Gentrifier über ein hohes Mass an Ressourcen verfügen und ihnen somit andere Wege der sozialen Integration und der öko-nomischen Absicherung offen stehen, treten an die Stelle der ursprünglichen Funktionen der Verwandtschaft gefühlsbetonte Empfindungen. Die Verwandtschaft erfüllt somit vor allem noch emotionale Funktionen, wie das subjektive Gefühl der Verbundenheit:

„Nicht dass ich meine Familie häufiger sehen würde als meine Freunde, aber zu meiner Familie würde ich irgendwie den Kontakt nie abbrechen, das ist einfach so.“

Innerhalb der sozialen Netzwerke der Gentrifier, zu denen auch die Freunde, Nachbarn und Bekannten gezählt werden, nehmen demzufolge die Eltern und Geschwister dennoch einen bevorzugten Rangplatz ein. Dies insbesondere dann, wenn es sich um sehr persönliche Ratschläge oder um soziale Unterstützungsleistungen handelt, wie abschliessend das Zitat eines Gentrifiers aufzeigt:

„Wenn ich sehr schwierige Probleme habe, dann ist es wahrscheinlich mein Bruder, den ich am ehesten um Rat frage.“

Fazit

Der städtische Raum bietet für die Gentrifier eine Vielfalt an Möglichkeiten, ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Mögliche Treffpunkte innerhalb der Stadt sind beispielsweise die eigene Wohnung, ein Restaurant oder eine Bar. Obwohl im Stadtraum vielfältige Möglich-keiten zur Kontaktaufnahme vorhanden sind, schliessen die Gentrifier jedoch kaum neue Freundschaften im Stadtraum. Vielmehr knüpfen die Gentrifier meist an ihrem Arbeitsort oder über ein bereits bestehendes soziales Netz neue Freundschaften. Die sozialen Bezie-hungen der Gentrifier richten sich dabei in erster Linie auf Personen mit einem ähnlichen Lebensstil. Insbesondere in den einzelnen neu entstandenen Wohnüberbauungen erhöht sich die Chance des Aufeinandertreffens von Leuten mit einem ähnlichen Lebensstil. Manchmal entstehen daraus kleine Welten von ähnlichen Interessen und Wertvorstellun-gen, die für die Gentrifier gleichsam zu Inseln innerhalb der unpersönlichen Stadt werden. Die Sozialkontakte der Gentrifier werden aber dennoch weniger nach räumlicher Nähe oder Nachbarschaft gewählt, sondern nach nicht räumlich vermittelten Interessen und

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Neigungen. Dabei ist nicht die räumliche Nähe, sondern die Erreichbarkeit die entschei-dende Voraussetzung sozialer Beziehungen. Die Eigenheit der Stadt, anonyme Kontakte zwischen den einzelnen Stadtbewohnern zuzulassen, wird von den Gentrifiern als wichtige Form der Vergesellschaftung angesehen, da dadurch das Führen eines individualisierten Lebensstils vereinfacht wird. Wie wir aber gesehen haben, bedeutet das Führen eines individualisierten Lebensstils nicht, dass die Gentrifier bindungs- und beziehungslos in der Stadt leben – soziale Netzwerke und famili-äre Beziehungen haben für Gentrifier immer noch eine grosse Bedeutung. Feststellbar ist jedoch eine qualitative Verschiebung in der Funktion, die eine soziale Beziehung für die Gentrifier erfüllen muss. Nicht mehr die Nothilfe, die Solidarität oder die soziale Kontrolle sind die primären Bedürfnisse an das soziale Netzwerk, sondern die Beziehungen müssen insbesondere emotionale Bedürfnisse wie Kommunikation und soziale Integration befrie-digen.

4.3.7 Sozialräumlicher Kontext und Integration

These 7: Die Stadt, verstanden als Ort verschiedenster Milieus, ermöglicht auch ein Gentrifier-Milieu, welches die Integration der Gentrifier in die Stadtgesellschaft erleichtert. Insbesondere Szenerien – verstanden als Schauplätze von Milieus – spielen für die Gentri-fier eine wichtige Rolle, da über diese Orte die Demonstration der Zugehörigkeit zur ge-wünschten Lebensstilgruppierung gelingt.

Kernaussagen der Interviews

In dieser These geht es um die Frage, welcher Gruppe sich die Gentrifier zugehörig fühlen und von welcher Art eine allfällige soziale Integration in die übergeordnete Stadtgesell-schaft ist. Es geht demnach um die Frage des Selbstbildes der Gentrifier. Dieses beinhaltet sowohl die Vorstellungen im Hinblick auf ihre persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften wie auch die Zuordnung zu oder Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen. Einen Zugang zum Selbstbild der Gentrifier zu erhalten, ist kein leichtes Unterfangen. So wurde die Frage nach dem Selbstbild von vielen Interviewpartnern mit der Aussage beantwortet, dass sie sich im Vergleich zu den anderen Bewohnern des Kreises als „ganz normal“ einschätzten:

„Wir zählen uns eher zur Normalo-Seite“, „Ich bin nicht irgendein Freak (...). Also ich denke, dass wir normale Dinks49 sind.“

Einerseits weist diese uniforme Antwort auf die Tatsache hin, dass es allgemein sehr schwierig ist, ein Selbstbild von sich zu machen und dieses zudem nach aussen hin zu äussern. Andererseits kann man diese Antworten auch als Hinweis deuten, dass sich die

49 Der Begriff ‚Dinks’ ist die deutsche Übersetzung des englischen Kunstwortes ‚dinkies’, das sich wie folgt zusammen setzt:

Double Income no Kids.

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Gentrifier nicht als Fremde in ihrem Wohngebiet sehen, sondern als „normaler“ Teil (im Sinne von dazugehörig) einer kulturellen Bevölkerungsmischung. Aufschlussreicher dagegen ist die Frage, welche Merkmale die Gentrifier in ihrer Lebens-gestaltung als wichtig erachten. Die meisten dieser Merkmale können dabei den – sicher-lich umfassenden und unscharfen – Kategorie ‚Individualismus’ und ‚Selbstver-wirklichung’ zugerechnet werden. So ist denn auch eines der wichtigsten Kriterien in ihrer jetzigen Lebensphase die Offenheit des Lebensentwurfes. An die Stelle eines Lebensent-wurfes, der bestimmt ist durch Langfristigkeit und Verlässlichkeit, tritt bei den Gentrifiern der Wunsch, die eigene Zukunft immer wieder neu zu planen und den jeweils aktuellen Bedürfnissen wie auch Zwängen anpassen zu können. Die Gentrifier wollen jederzeit offen sein für neue Eindrücke, Erfahrungen und gegenüber neuen Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Entscheidungen, die eine teilweise Aufgabe der Kontrolle über die eigene Ge-staltung des Lebensentwurfes bewirken würden, werden entweder vermieden oder auf einen späteren Lebensabschnitt verschoben. Insbesondere die Entscheidung Kinder zu bekommen ist verbunden mit einem teilweisen Autonomieverlust in der Lebensgestaltung. So wird das Kinderkriegen entweder hinausgezögert oder es wird bewusst darauf ver-zichtet:

„Wir haben mit Absicht keine Kinder, weil wir uns diese Freiheit beibehalten wollen.“

Grundvoraussetzung für eine flexible Lebensgestaltung ist das Vermeiden von Abhängig-keiten, die die Lebensgestaltung zu einem grossen Teil determinieren könnten. Die Gentri-fier verfügen über genügend Ressourcen, um solche Abhängigkeiten vermeiden zu können ohne dass dies einhergehen würde mit dem Verlust an sozialer oder finanzieller Sicherheit. Das Zusammenspiel von relativer Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Absicherung er-möglicht es den Gentrifiern, relativ unbekümmert in die Zukunft zu schauen.50 Dieses auf sozialer und finanzieller Sicherheit aufbauende Vertrauen in die Zukunft wird durch fol-gendes Zitat einer Gentrifierin veranschaulicht:

„Wenn mir morgen beispielsweise der Job gekündigt würde, würde es mich schon ärgern. Aber es ist nicht so, dass ich auf der Strasse stehen würde und meine Existenz dadurch ganz bedroht wäre. Ich finde immer etwas. Von daher bin ich privilegiert.“

Diese relative Unabhängigkeit gegenüber sozialen Verpflichtungen oder gegenüber der Wahl der Erwerbsarbeit hat einen Einfluss darauf, wie das jeweilige Wohnumfeld von den Gentrifiern gesehen wird. In erster Line bietet der Kreis 5 den Gentrifiern eine Kulisse zur Verwirklichung ihres Lebensstils. Er wird aber von den meisten Befragten kaum als Ort aufgefasst, an dem sie bis zu ihrem Lebensende wohnhaft bleiben wollen. Vielmehr bietet er jungen Personen die gewünschte individuelle Umgebung in Form einer weltstädtischen Atmosphäre – wobei diese dann bei einer allfälligen Familiengründung meist aufgegeben würde.

50 Richard Sennett beschreibt in seinem Werk ‚Der flexible Mensch’ (1998), dass die Flexibilität des globalen Kapitalismus

den flexiblen Menschen fordert, der sich ständig neuen Aufgaben stellt und der immer bereit sein muss, Wohn- und Ar-beitsort zu wechseln. Dadurch würde bei den Menschen eine negative Befindlichkeit entstehen, die Sennett mit ‚Drift’ (zielloses Herumtreiben) umschreibt. ‚Drift’ ist nach ihm somit eine gesellschaftliche Folge der ‚Flexibilität’. Inwieweit das Leben der Gentrifier von ‚Drift’ bestimmt ist, kann an dieser Stelle nicht näher analysiert werden.

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Für die Gentrifier spielt es eine wichtige Rolle, dass sie eine flexible Lebensgestaltung führen können, die ihnen möglichst viele Optionen offen lässt, um den weiteren Lebens-weg bei Bedarf den neuen Bedürfnissen anzupassen. Diese spezifische Art der Lebens-gestaltung lässt Rückschlüsse auf die Art der Integration innerhalb der Stadtgesellschaft zu. Da der Begriff der Integration verschiedene Bedeutungen umfasst, muss kurz auf ihn eingegangen werden. In dieser Arbeit wird der Begriff der Integration als ein Prozess verstanden, durch den einzelne Personen in bestimmte Gruppen einbezogen und eingeglie-dert werden. Dies geschieht meist durch die Angleichung der Wertstrukturen und Hand-lungsmuster der einzelnen Personen an das übergeordnete soziale Gebilde. Der Begriff der Integration wird in der Literatur fast ausnahmslos in positivem Licht betrachtet.51 Wenn jedoch von Integration die Rede ist, darf man die in ihm enthaltenen Mechanismen der sozialen Kontrolle und Zwänge nicht vernachlässigen. So weist Heitmeyer (1997:26ff) darauf hin, dass eine unvollständige Integration einer Person in die Gesellschaft erst eine Voraussetzung für die Herausbildung von Individualität und Selbstentfaltung ist. Das in Kapitel 4.3.6 angesprochene positive Verhältnis der Gentrifier zur Anonymität innerhalb der Stadtgesellschaft stützt diese Annahme von Heitmeyer. Eine wichtige Folgerung des bisher Gesagten ist, dass einerseits eine tiefe soziale Integ-ration der Gentrifier von ihnen gar nicht erwünscht ist, da damit eine Zunahme an sozialer Kontrolle und eine Beeinträchtigung der Selbstverwirklichung einhergehen würde. An-dererseits werden die Gentrifier eine spezifische Art von Integration zulassen müssen, um einer drohenden Isolation und Vereinzelung in der Stadt zu entgehen. Das von mir erhobene Interviewmaterial zeigt auf, dass die Funktion der sozialen Integra-tion insbesondere in Wahlmilieus erfüllt wird (vgl. Kapitel 3.2.2). Herlyn (1998:159) nennt diese Orte interessengesteuerte Kommunikationsorte, an denen die Gentrifier ihre Zugehö-rigkeit zu einer bestimmten Lebensstilgruppierung demonstrieren können – Wahlmilieus werden so zu Szeneorten. Wahlmilieus werden von den Gentrifiern bewusst besucht, um einmal „etwas“ zu erleben, aber vor allem auch um „sich“ innerhalb einer relativ homoge-nen Gruppe zu erleben. So stellte eine Gentrifierin beispielsweise fest, dass in der Bar ‚Acapulco’ vor allem „viele Gestalter-Leute, wie Fotographen und Graphiker“ anzutref-fen seien. Da sie sich aber selber zu dieser Gruppe zählt, ist diese Lokalität für sie gleich-zeitig ein Ort, an dem sie Leute mit einem ähnlichen Lebensstil trifft und den sie daher regelmässig aufsucht. Da die Wahlmilieus interessengesteuert sind, sind sie räumlich verschiebbar und zeitlich limitiert. Sie unterscheiden sich daher stark von den traditionel-len, an Wohnräume fixierten Wohnmilieus, in denen die Quartierbewohner aufgrund räumlicher Nähe sozialen Austausch mit Nachbarn pflegen (können). Wie aber bereits in der These zu den sozialen Beziehungen (Kapitel 4.3.6) betont wurde, können sich bei den Gentrifiern die Wahlmilieus mit den Wohnmilieus überschneiden. Meiner Ansicht nach sind in erster Linie Wahlmilieus sozialräumliche Orte, mit denen die Gentrifier eine starke Identifikation eingehen. Je länger dabei der Aufenthalt in solchen Milieus ist, desto grösser wird die Wahrscheinlichkeit einer Identifizierung mit diesen

51 So bezeichnet beispielsweise Talcott Parson (1902-1979) das Konzept der Integration als den Extremfall von

Systemstabilität.

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Milieus. Ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Wohnumgebung werden die Gentri-fier erst dann erhalten, wenn sich ihre Wahlmilieus auch innerhalb der eigenen Wohn-umgebung befinden und sie dadurch identitätsstiftende Bezugspunkte innerhalb eines Raumes erhalten. Dies ist für mich der wichtigste Grund dafür, dass das Zugehörigkeitsge-fühl52 der verschiedenen Gentrifier zum Kreis 5 ganz unterschiedlich stark ausgeprägt ist. So antwortete beispielsweise eine Gentrifierin, dass sie eigentlich gar nicht von hier sei, dass sie gar nicht so richtig im Kreis 5 wohne, sondern nur hierher komme, um zu schlafen. Dem entgegengesetzt gibt es aber Gentrifier, die sich stärker zum Kreis 5 dazugehörig fühlen:

„Ich fühle mich hier zu Hause (...). Und hier weiss man, dass noch Leute wohnen, die man kennt.“

Fazit

Der Lebensentwurf der Gentrifier ist geprägt vom Wunsch, eine grosse Anzahl von Optio-nen für die Zukunft offen zu lassen, um dadurch die Möglichkeit zur eigenen Selbstver-wirklichung nicht einzuschränken. Daraus ergibt sich eine eher schwache Bindung der Gentrifier an den Wohnort, da er für die Gentrifier nur so lange ein Erlebnisraum bleibt, wie seine Eigenschaften mit ihren Ansprüchen übereinstimmen. Diese Eigenschaften würden beispielsweise bei einer Familiengründung den veränderten persönlichen An-sprüche nicht mehr gerecht werden. Die Gentrifier sind in Bezug auf die Wohnstandort-wahl eine überaus mobile Gruppe und werden wohl kaum tiefe Wurzeln an ihrem der-zeitigen Wohnort schlagen. Die Mobilität der Gentrifier zeigt sich auch an der Art, wie sie sich in die Stadtgesellschaft integrieren. Der Begriff ‚Integration’ bedeutet auf der einen Seite Stabilität, Sicherheit und Dazugehörigkeit, beinhaltet aber auf der anderen Seite gleichzeitig auch Mechanismen der sozialen Kontrolle und Zwänge. Die Gentrifier sind somit vor die Aufgabe gestellt, soziale Integration zuzulassen, ohne den Anspruch auf die eigene Unabhängigkeit zu verlieren. Insbesondere Wahlmilieus ermöglichen den Gentrifiern Integration in eine kulturelle und soziale Umwelt und stellen dadurch Identifikationsmöglichkeiten dar. Ein Wahlmilieu verstehe ich einerseits als Produkt von Handlungen und Praktiken menschlicher Individuen. Andererseits ist ein Wahlmilieu auch Orientierungshilfe, die den Gentrifiern bei der Identitätsfindung und der Ausübung von Handlungen dient und ein Ort, wo man sich distinktive von anderen sozialen Gruppen abgrenzen kann. Neben der hierar-chisch-gesellschaftlichen Aufteilung von ‚oben‘ und ‚unten‘ gesellt sich bei solchen Wahlmilieus die Trennung von ‚in‘ und ‚out‘, von ‚dazugehören‘ und ‚nicht-dazugehören‘ hinzu. Die Bedeutung von traditionellen, räumlich festgelegten Wohnmilieus ist im Unterschied zu den Wahlmilieus für den Gentrifier von untergeordneter Art: er kommuniziert eher mit räumlich entfernten Freunden als mit den Nachbarn. Der Gentrifier findet folglich seine

52 Das Zugehörigkeitsgefühl einer Person zu einem Ort fasse ich als stark auf, wenn sich die Person an diesem Ort zuhause

fühlt. Dies ist der Fall, wenn sie zu ihm sozial, kulturell, emotional und symbolisch eine Beziehung herstellen kann.

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Identität weniger in einem räumlich festgelegten Territorium, sondern vielmehr in gesell-schaftlichen Bezügen, die in den verschiedenen Wahlmilieus mosaikartig verortbar sind.53 Die Gentrifier pendeln somit in ihrem städtischen Alltag zwischen identitätsstiftenden Nischen und sozialer Anonymität, zwischen den kurzlebigen Rauminseln (Wahlmilieus) und den milieuneutralen Zonen. In den Grundzügen ist dieses Nebeneinander von Wahl-milieus und milieuneutralen Zonen letzten Endes der in Kapitel 4.3.1 angesprochene An-satz der „unvollständigen Integration“ von Bahrdt.

53 Vgl. zu dieser Thematik die Arbeit ‚Heimat in der Postmoderne’ von Andreas Huber, in der verschiedene Bedeutungen

von Heimat und Identität untersucht werden. Huber grenzt sich dabei entschieden gegen die Idee des „territorialen Impe-rativs“ ab, dass der Mensch seine Identität in einem Territorium finde (1999:103f).

4.4 Methodenkritik

Mit der Durchführung der qualitativen Befragungen wird das Ziel verfolgt, zu differen-zierten Aussagen über den Lebensstil der Gentrifier zu gelangen. Im Zentrum der Arbeit stand dabei das Interviewmaterial, das aus den leitfadengestützten Befragungen mit zehn Gentrifiern resultierte. Um die Qualität der Informationsgewinnung abschätzen zu können, muss die empirische Untersuchung auf Gültigkeit (Validität) und auf Zuverlässigkeit (Reliabilität) hin überprüft werden. Mit der Validitätsprüfung wird gemessen, ob man mit der gewählten Forschungsmethode wirklich diejenigen Informationen erhalten hat, die man aufgrund der Fragestellung erheben wollte. Die Reliabilität dient dagegen zur Beurteilung der Brauchbarkeit der wissenschaftlichen Informationsgewinnung. Hier stellt sich die Frage, ob bei einer wiederholten Datenerhebung die gleichen Resultate zustande kommen würden.

a) Validitätsprüfung

Um Einblicke in die Wahrnehmung, Bewertung und Handlungsmuster der Gentrifier zu erhalten, erwies sich die Methode des leitfadengestützten Interviews als geeignetes Instru-ment. Dadurch konnte das Postulat der Offenheit gegenüber der Forschungssituation wie auch hinsichtlich der Entwicklung hypothetischer Aussagen gewährleistet werden. Den Interviewpartnern war es dadurch freigestellt, wie und wo sie den Themenschwerpunkt im Interview setzten. Des Weiteren war insbesondere die Konstruktion eines Idealtypus ein nützliches methodisches Instrument, um eine Grundlage für die Thesenformulierung wie auch der Fragestellung zu bekommen, wodurch die Gefahr der Beliebigkeit verkleinert werden konnte. Die im Interviewleitfaden zusammengestellten Fragen würde ich auch aus retrospektiver Sicht nicht anders formulieren, wurden doch dadurch alle relevanten The-mengebiete abgedeckt.

a) Reliabilitätsprüfung

Ob die empirische Untersuchung den Anspruch der Reliabilität erfüllen kann, ist schwieri-ger zu beantworten. Ein erstes Problem ergibt sich durch die geringe Anzahl durchge-

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METHODENKRITIK 99

führter Interviews. In Analogie zu Körner und Pilgrim (1998:98) gehe ich jedoch davon aus, dass die Zahl der Aussagen zu einem gewissen Themenkomplex endlich ist. Es kann somit angenommen werden, dass mit einer grösseren Zahl an Interviews sich die Antwor-ten jeweils vorwiegend wiederholt hätten, ohne dass sich dadurch neue Erkenntnisse her-auskristallisiert hätten. Ein wichtiger Punkt bei geringer Fallzahl ist jedoch, dass einerseits wirklich Gentrifier befragt werden und andererseits die Auswahl der Befragten nicht ein-seitig ist, um eine möglichst vollständige Palette an Antworten zu erhalten. Wie in der Zusammenfassung über die quantitativen Merkmale der Interviewpartner erkennbar ist (siehe Anhang), können alle Befragten zur – sicherlich eher weit gefassten – Sozialkatego-rie der Gentrifier gezählt werden: So sind alle Befragten zwischen 26 und 42 Jahre alt, haben eine hohe formale Schulbildung, arbeiten im Dienstleistungssektor, leben als Single oder in einer Partnerschaft ohne jedoch eigene Kinder zu haben und verfügen über ein relativ hohes ökonomisches Kapital, wodurch sie sich eine grosszügige Wohnung leisten können. Aus jener Zusammenfassung ist zudem erkennbar, dass Personen mit sehr unter-schiedlichen Merkmalsausprägungen und Vergangenheiten interviewt worden sind. Grund-sätzlich bin ich überzeugt, dass eine vielfältige Auswahl an Gentrifiern interviewt werden konnte. Dennoch ist die Auswahl hinsichtlich eines Merkmals zu wenig heterogen, denn Gentrifier, die erst in den Kreis 5 einziehen werden, wenn die Aufwertung viel weiter fortgeschritten ist als zum jetzigen Zeitpunkt, konnten nicht miteinbezogen werden. Inwie-weit sich daraus weiterführende Erkenntnisse zur Theorie der Gentrification ergeben hätten, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Dieses Problem ergibt sich jedoch grundsätzlich, wenn man einen dynamischen Prozess wie die Gentrifizierung mit einer Momentanaufnahme untersucht. Ein zweites Problem ergibt sich durch die Analyse der Interviewdaten: Würde eine andere Person die Daten der Interviews analysieren und interpretieren, würde sie wahrscheinlich andere Schwerpunkte setzen oder gar zu anderen Aussagen gelangen. Die Interpretation der Interviewdaten stellt folglich in erster Linie meine persönliche Sichtweise dar und ist an einzelnen Stellen sicherlich subjektiv gefärbt. Dennoch wurde möglichst objektiv (sprich: wissenschaftlich) gearbeitet, indem die gemachten Interpretationen immer wieder reflexiv überarbeitet und am Interviewmaterial sorgfältig überprüft wurden. Dennoch werden einzelne Aussagen von hypothetischer Art sein und sollen dem kritischen Urteil der Leser unterliegen.

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5 Schlussbetrachtung

In den Thesen, die in Kapitel 4 vorgestellt wurden, ging es um die Wahrnehmung, Bewer-tung und Nutzung der innenstadtnahen Wohnumgebung durch die Gentrifier. Als For-schungsfeld diente dabei der Zürcher Stadtkreis 5. Nun kehren wir in einem ersten Schritt zurück zum idealtypischen Bild des Lebensstils (vgl. Kapitel 4.1) um es auf dem Hinter-grund der gewonnen Erfahrungen und Ergebnisse zu würdigen. In einem zweiten Schritt wird dann der Frage nachgegangen, an welcher Stelle das gewonnene Wissen über die urbane Lebensweise der Gentrifier die Theorie der Gentrification zu präzisieren und wei-terzuführen vermag. Dabei soll an drei unterschiedlichen Punkten angesetzt werden. In einem ersten Punkt wird der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Lebensstilen auf der einen sowie den individuellen Biographien und den Lebensbedingungen auf der anderen Seite betrachtet. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung bezieht sich dabei auf die methodische Vorgehensweise bei Untersuchungen über Lebensstile. Der zweite Punkt befasst sich mit der Frage, mit wem die Gentrifier in Konkurrenz um den städtischen Raum treten, woraus Rückschlüsse auf eine allfällige indirekte Verdrängung ihrerseits gezogen werden können. Im abschliessenden, dritten Punkt wird das Modell des doppelten Inva-sions-Sukzessions-Zyklus von Dangschat (vgl. Kapitel 2.2.2) kritisch gewürdigt und im Sinne einer Präzisierung kommentiert.

5.1 Bewertung des idealtypischen Lebensstils

Wie in Kapitel 4.3.3 beschrieben, wird der urbane Raum von den Gentrifiern als überaus positiver Erfahrungs- und Erlebnisraum wahrgenommen, der ihnen die Entfaltung ihres Lebensstils ermöglicht. Im Zürcher Stadtkreis 5 suchen sie insbesondere die städtische Lebensweise, also das, was die Lebensart der Stadtbewohner von der der Landbewohner unterscheidet. Durch ihre Flexibilität in ihrem Lebensentwurf und durch ihre Offenheit der Zukunft gegenüber, sowie durch die hohe Verfügbarkeit von Ressourcen können die Gentrifier dabei in erster Linie von den positiven Seiten der Urbanität profitieren. Über Wahlmilieus bekommen die Gentrifier zudem die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen und Zugehörigkeit zur gewünschten Lebensstilgruppe zu signalisieren. Die attraktiven Wohnungen der Gentrifier verhelfen ihnen zu einer hohen Lebensqualität und sind gleich-zeitig Mittel, um nach aussen hin zu demonstrieren, dass sie als Bewohner über einen gehobenen Geschmack verfügen. Dieses durch die empirische Forschung erhaltene Porträt über die Gentrifier zeigt starke Parallelen auf zum im Voraus skizzierten idealtypischen Lebensstil der Gentrifier. Den-

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noch bietet der Idealtypus niemals die Mannigfaltigkeit und Differenziertheit, wie sie in der Realität angetroffen wurde. So erwiesen sich die im Zürcher Stadtkreis 5 interviewten Gentrifier als relativ unhomogene Gruppe von Individuen mit mannigfachen Wertorien-tierungen, Zielvorstellungen und Handlungsmustern. Dies ist auch verständlich, unter-scheiden sich die Befragten doch bezüglich der Merkmalsvariablen wie Alter, Geschlecht, Beruf etc., wie auch durch die individuellen Biographien und die persönlichen Lebensbe-dingungen. Auch wenn die Realität viel differenzierter ist und sich komplexer darstellt, hat sich der idealtypische Lebensstil der Gentrifier in der Realität bestätigt. Dass es so ist, wird er-kenntlich, wenn man sich seine Funktion noch einmal vor Augen führt. Diese Funktion liegt ja nicht darin, dass sich die „eigentliche Wirklichkeit“ in die idealtypische Konstruk-tion nahtlos einfügt. Vielmehr muss der Idealtypus dem jeweiligen Forschungsprozess zur begrifflichen Erfassung komplexer sozialer Sachverhalte dienlich sein. Die in dieser empi-rischen Arbeit herausgearbeiteten mehr oder weniger grossen Abweichungen können demzufolge gleichsam als „verunreinigte“ Formen des idealtypischen Lebensstils der Gentrifier aufgefasst werden, wodurch eine verfeinerte, präzisere Gestaltung des Modells ermöglicht wird. Um zu einem vertieften Verständnis des Lebensstils der Gentrifier zu kommen, erwies sich die Zuhilfenahme eines idealtypischen Lebensstils als überaus brauchbares Werkzeug der Forschung. Wie gezeigt wurde, konnte damit einerseits ein differenzierteres Bild über den Lebensstil der Gentrifier gezeichnet werden. Andererseits wurde der Idealtypus gleich-zeitig mit der Realität konfrontiert und somit einer Bewährungsprobe ausgesetzt.

5.2 Die „Karrieren“ der Befragten

Ein grundlegendes Problem der Theorien zur Gentrification ist die methodische Klassifi-kation der Gruppen, die im Aufwertungsprozess involviert sind (vgl. Kapitel 2.5). Als Pioniere werden grundsätzlich die Personen genannt, die früh in ein (später durch Gentrifi-cation gekennzeichnetes) Gebiet einziehen und als Gentrifier diejenigen, die später nach-folgen. Aber wann nun ein Pionier wirklich zur Gruppe der Pioniere gezählt werden kann und wann nicht, ist eine umstrittene Frage und operational kaum zu definieren. Umstritten ist auch, wie stark die Differenzierungen innerhalb der Gruppen überhaupt sein müssen. So unterscheiden beispielsweise Dangschat und Friedrichs (1988:20) die Sozialkategorie der Gentrifier von derjenigen der Ultra-Gentrifier. Auch Blasius (1993:151) belegt, dass sich innerhalb der Sozialkategorie der Gentrifier zwei unterschiedliche Sozialkategorien nach ihren Einstellungen und Wohnbedingungen unterscheiden lassen. Gentrifier und Pioniere werden aber in diesen Ansätzen allesamt über Definitionsmerkmale wie Einkommen, Alter, Haushaltstyp, Bildung operational definiert. Die Handlungsorientierungen oder –muster, die sich im Lebensstil zeigen, werden in diesen Ansätzen zu den erklärenden Variablen (explanandum) gezählt und fliessen somit nicht in die operationale Definition ein. Aus dieser Tatsache ergibt sich das Problem, dass per Definition ein Pionier zu einem Gentri-

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DIE „KARRIEREN“ DER BEFRAGTEN 103

fier wird, wenn sich z.B. sein Einkommen erhöht und den definitorischen Schwellenwert überschreitet. Obwohl sich in dieser Situation für den ehemaligen Pionier das ökonomische Kapital ändert, wird sich dabei nicht gezwungenermassen gleichzeitig auch sein Lebensstil ändern. Diese verzögerte Anpassung der Wertvorstellungen an die sich geänderte Umwelt kann mit dem Begriff ‚cultural lag’ beschrieben werden. Darunter wird nach Ogburn (1969) ein Entwicklungsrückstand der nichtmateriellen Kultur gegenüber bereits stattge-fundenen sozioökonomischen Entwicklungen angesehen. Dasselbe Phänomen wird auch in anderen Konstellationen anzutreffen sein. So kann ange-nommen werden, dass sich die Sichtweise auf die Wohnumgebung eines Gentrifiers, der aus ländlicher Umgebung in ein städtisches Aufwertungsgebiet gezogen ist und dadurch plötzlich zur Sozialkategorie der Gentrifier gezählt werden kann, sich in vielen Punkten unterscheiden wird, von der Sichtweise einer Person, die die meiste Zeit ihres Lebens in einer (Gross-)Stadt verbracht hat. Oder wenn ein Gentrifier bereits einen längeren Zeit-raum im Aufwertungsgebiet gewohnt und/oder gearbeitet hat, wird er die Wohnumgebung auch aus einer anderen Perspektive sehen und bewerten als jemand, der neu ins Viertel eingezogen ist. Dem Umstand, dass der Lebensstil einen stark verharrenden Charakter hat und auch durch die früheren Lebensbedingungen bestimmt ist, wird in den wenigsten empirischen Untersuchungen Rechnung getragen. Eine löbliche Ausnahme bildet hier die Arbeit von Alisch und Dangschat (1996) über die Akteure der Gentrifizierung und ihre „Karrieren“. Sie versuchen eine erstmalige „Dynamisierung“ der Typologie der Akteure, um die „Karriere“ der Befragten und nicht nur den gegenwärtigen Status einzubeziehen. Mit den sogenannten ‚Shift-Typen’ berücksichtigen sie, welche Entwicklung die Befragten seit ihrem Einzug in die gegenwärtige Wohnung durchlaufen haben. In der Analyse der „Aufwertungskarrieren“ unterscheiden sie so sechs Typen,54 die jeweils eine andere Ent-wicklung durchlaufen haben. Auf diese Weise konnten die Autoren differenziertere Infor-mationen zur Wohnsituation und Einstellungen zur Gentrifizierung gewinnen. Sie konnten beispielsweise zeigen, dass insbesondere diejenigen, die als Pioniere eingezogen und zum Zeitpunkt der Erhebung Gentrifier waren, noch die Einstellungen der Pioniere aufwiesen. Auch in meiner empirischen Untersuchung scheinen einzelne Antworten auf die Fragen entscheidend durch die „Karrieren“ der Befragten beinflusst zu sein. Insbesondere die Wahrnehmung und Bewertung der Gentrifizierung durch die Gentrifier muss meiner Meinung nach unbedingt im Zusammenhang mit der jeweiligen „Karriere“ gesehen wer-den. Mit dem Interviewmaterial lässt sich diese Annahme statistisch nicht absichern, son-dern bestenfalls an einzelnen Aussagen exemplifizieren. Beispielsweise äusserte eine Gentrifierin, die eine längere Zeit in einer südeuropäischen Grossstadt gelebt hatte, dass es „relativ wenig Leben auf der Strasse“ im Kreis 5 gebe. Für sie war dies an ihrem früheren Wohnort eine grossstädtische Komponente, was sie nun an ihrer neuen Wohnumgebung sehr vermissen würde. Sie wünschte sich deshalb für die Weiterentwicklung des Kreises, „dass möglichst viele Dinge entstehen, die das Leben auf der Strasse fördern.“ Dem

54 Sie unterscheiden: konstante Pioniere (Pioniere, als Pioniere zugezogen), Aufwertungs-Aufsteiger (Gentrifier, als Pioniere

zugezogen), konstante Gentrifier (Gentrifier, als Gentrifier zugezogen), Einkommens-Aufsteiger (Gentrifier, als Sonstige oder Jüngere zugezogen), Alters-Pioniere (Sonstige oder Jüngere, als Pioniere zugezogen), Gentrifier-Familien (Sonstige oder Jüngere als Gentrifier zugezogen), Alters-Gentrifier (Mittelalte, als Gentrifier zugezogen)

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GENTRIFICATION UND LEBENSSTILE 104

entgegengesetzt steht die Aussagen eines Interviewpartners, der vor seinem Zuzug die letzten fünf Jahre in einer kleinen Gemeinde in ländlicher Umgebung gelebt hat. In Bezug auf die Bewertung von ‚Belebung’ bringt er einen ganz anderen Massstab mit, denn „dort auf dem Land, da herrschte ja Totenstille, jeder hockte in seinem Häuschen.“ So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass er den Kreis 5 als viel belebter wahrnimmt als die Gentrifierin:

„Es ist ein Quartier, das lebt, die Leute flanieren hier (..). Es ist nicht so, dass abends die Strassen ausgestorben sind.“

Unterschiedliche Wahrnehmungen und Bewertungen durch verschiedene „Karrieren“ haben für die Gentrifications-Theorie besonders bezüglich des Verhältnisses der Gentrifier zu den sozialen und baulichen Veränderungen eine wichtige Bedeutung. So kann der Wandel an der sozialräumlichen Struktur grundsätzlich nur dann wahrgenommen werden, wenn man die anfängliche Situation kannte (vgl. Kapitel 4.3.4). Neuzuzügern ist jedoch die ursprüngliche Situation kaum vertraut, sodass Veränderungen an der baulichen Struktur anfänglich gar nicht negativ bewertet werden können. Nur für Gentrifier, die bereits eine längere Zeit im Viertel gelebt haben, wird mit der Gentrifizierung auch Vertrautes verloren gehen. So trauerte ein Gentrifier beispielsweise den verschiedenen Galerien nach, die es vor dem Bau der Limmat-West Überbauung auf dem Schöller-Areal gab:

„An und für sich war das vorher auch ein wunderschönes Areal gewesen, was man auch hätte beibehalten oder renovieren können. Dann hätte es noch diesen Industriecharme gehabt von den Backsteinbauten.“

Oder ein anderer Gentrifier, der bereits längere Zeit im Viertel lebt, bedauerte das Ver-schwinden eines Clubs, wo er sich gerne aufgehalten hatte. Diese Aussagen legen die Vermutung nahe, dass insbesondere die Gentrifier, die bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Gentrifizierung ins Viertel (evtl. als Pioniere) eingezogen sind, Aufwertungstendenzen weniger positiv bewerten werden als neu hinzugezogene Gentrifier. Aus dem bisher Gesagten lässt sich für die quantitative Gentrifications-Forschung die Forderung ableiten, dass die soziale Mobilität der am Prozess beteiligten Akteure einbezo-gen werden muss. Nur so werden differenziertere Aussagen über ihre Lebensstile möglich, die mehr sind als einfache, stereotype Bilder. Für die empirische Forschung bedeutet dies konkret, dass die Typologie der Bevölkerungs-gruppen, die am Prozess der Gentrifizierung beteiligt sind, verfeinert werden muss. Die meisten quantitativen Untersuchungen über Gentrification unterscheiden zwischen vier bis sechs Bevölkerungsgruppen: Pioniere, Gentrifier, (Ultra-Gentrifier), Sonstige, (Mittelalte), Ältere. Um nun die „Karrieren“ der Akteure berücksichtigen zu können, müssen in Anleh-nung an Alisch und Dangschat (ebd.:113) drei Fragen in die Typologiebildung der Akteure einfliessen:

- Wie lange kann der einzelne Akteur bereits zur Sozialkategorie der ‚Pioniere’, ‚Gentrifier’, ‚Sonstigen’ oder ‚Älteren’ gezählt werden?

- Zu welchem Typus konnte der jeweilige Akteur gezählt werden, als er ins Viertel einzog?

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DIE „KARRIEREN“ DER BEFRAGTEN 105

- Hat sich das Wohngebiet parallel, langsamer/schneller oder entgegengesetzt zur „Kar-riere“ des jeweiligen Akteurs entwickelt?

Erst wenn man diese drei Fragen in die Gentrifications-Theorie einbezieht, werden diffe-renziertere Aussagen zu den Bewertungen und Handlungsmustern der Akteure möglich. Für die Typologie der Bevölkerungsgruppen, die am Prozess der Gentrifizierung beteiligt sind, bedeutet dies, dass sie um die bei Alisch und Dangschat eingeführten ‚Shift-Typen’ erweitert werden müssen. Für die Betrachtung der Lebensstile der Gentrifier bedeutet dies weiter, dass an die Stelle eines einzigen idealtypischen Lebensstiles differenziertere Ideal-typen – d.h. Variationen eines Lebensstils – zu stehen kommen hätten. Durch den Einbezug der sozialen Dynamik kann somit die Gefahr verkleinert werden, dass stereotype Bilder über die Akteure gezeichnet werden.55 Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass bei Untersuchungen über die Lebensstile der an der Gentrification beteiligten Akteure das Phänomen des ‚cultural lag’ miteinbezogen werden muss. Denn ein dynamischer Prozess wie eine Gentrifizierung kann ohne den Einbezug der sozialen Dynamik der Bevölkerungsgruppen nur unzureichend erklärt wer-den. Es ist also sinnvoll, die „Karriere“ der Akteure der Gentrifizierung in die Forschung einzubeziehen, wenn es um genauere Erkenntnisse des Prozessverlaufes geht. Alisch und Dangschat haben in der Praxis jedenfalls vorgemacht, wie der Einbezug der „Karrieren“ in der (quantitativen) Forschungspraxis aussehen kann, ohne auf teure Panelanalysen zurück-greifen zu müssen.

55 Dass in dieser Arbeit „nur“ von einem idealtypischen Lebensstil ausgegangen wird, ist auf die Tatsache zurückzuführen,

dass die Relevanz von sogenannten „Shift-Typen“ sich erst mit dem Voranschreiten der empirischen Auswertung heraus-kristallisierte.

5.3 Konkurrenz um Raum und indirekte Verdrängung

In diesem Abschnitt geht es um die Frage, mit wem die Gentrifier in Konkurrenz um den städtischen Raum treten. Wie man sehen wird, sind die Gentrifier, die zu einem frühen Zeitpunkt in ein Aufwertungsgebiet einziehen, bei einem andauernden Aufwertungsprozess selber gefährdet, indirekt verdrängt zu werden. Die wichtigste soziale Dimension, die im Prozess der Gentrifizierung enthalten ist, ist die Verdrängung einer statusniedrigeren durch eine statushöhere Bevölkerungsgruppe aus dem Aufwertungsgebiet. Im Laufe der Gentrifizierung kommt es zu einem Wandel der Bevölke-rung nach soziodemographischen Merkmalen, wobei den Verdrängten vor allem eine relativ grosse „ökonomische Schwäche“ (Zukin 1987; zit. in Blasius 1993:28) gemeinsam ist. Wie das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus (Kapitel 2.2.2) aufzeigt, gehen die Theorien von einer zweimaligen Verdrängung aus: zuerst der alteingesessenen

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Bevölkerung, dann der Pioniere. Die Art der Verdrängung kann dabei prinzipiell drei Formen annehmen (vgl. Friedrichs 1998:63):

- Direkte Verdrängung: z.B. durch Mieterhöhung, Kündigungen wegen Renovation u.a.m.

- Indirekte Verdrängung: Die sozialen und räumlichen Veränderungen im Gebiet missfallen einem Akteur, der deswegen auszieht.

- Neutrale Verdrängung: Der Grund des Auszuges eines Akteurs hängt nicht mit der Gentrification zusammen.

Meist wird von der Hypothese ausgegangen, dass es sich insbesondere beim Auszug der alteingesessenen Bevölkerung um eine direkte Verdrängung handeln würde. Damit ist gemeint, dass durch den Einzug einer zahlungskräftigen Bevölkerungsschicht die Nach-frage nach Wohnraum steigt und die alteingesessene Bevölkerung daher Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt bekommt. Die erhöhte Nachfrage führt – durch Renovationen und Modernisierungen an der ursprünglichen Bausubstanz, durch Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen – zu einem Anstieg der Mieten, wobei es insbesondere für die Bevölkerungsschicht mit tiefem verfügbarem Einkommen schwieriger wird, einen für sie noch zahlbaren Wohnraum im Aufwertungsgebiet zu finden. Neben der direkten Verdrängung kann angenommen werden, dass auch die indirekte Ver-drängung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Diese geschieht dadurch, dass von einzelnen Gruppen die sozialen und baulichen Veränderungen in ihrem vertrauten Wohn-umfeld als negativ bewertet werden. Die negativen Einstellungen führen dazu, dass ein-zelne Bewohner dieser Gruppe ausziehen, da nun unterschiedliche Lebensstile aufeinander treffen. Dieses Phänomen haben Alisch und Zum Felde (1990 und 1992) in ihren qualitati-ven Untersuchungen als den Verlust des guten Wohngefühls beschrieben. Die Angst der Alteingesessenen bezieht sich dabei nicht nur auf den Verlust der eigenen Wohnung, sondern die Autoren belegen bei den Befragten auch ein Misstrauen gegenüber den Ver-änderungen des Charakters des Viertels. Als negative Folgen der Gentrifizierung wird so von den Alteingesessenen und Pionieren der Verlust der vertrauten Nachbarschaft beklagt, die beginnende Abnahme der bunten Mischung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen bedauert wie auch den Veränderungen an Läden und Kneipen nachgetrauert. Dies geht mit einer abnehmenden Bindung gegenüber dem Viertel einher: Den bereits ansässigen Be-wohnern fällt es nun nicht mehr allzu schwer, aus dem Gebiet wegzuziehen, auch wenn sie sich diesen Wegzug nicht gewünscht hatten. Während die direkte Verdrängung auf den ökonomischen Schwächen der ursprünglichen Bewohner basiert, steht bei der indirekten Verdrängung das Gefühl des „nicht mehr Dazugehörens“ im Zentrum. Um den urbanen Raum wird somit nicht nur ökonomisch konkurriert, sondern auch in symbolischer Form. Kirchberg (1998:49ff) spricht in diesem Zusammenhang von symbo-lischer Raumaneignung. Nach ihm ist die symbolische Besitznahme eines Raumes ein Prozess, „durch den Räume ein kulturell erlebbares Attribut neu erhalten oder eine neuere Attributierung über eine ältere zieht“. Die symbolische Raumaneignung durch eine Le-bensstilgruppe wird dabei erst dann festgeschrieben, wenn es ihr gelingt, ihre spezifischen und relevanten Lebensstilmerkmale zu verankern. Durch die symbolische Raumaneignung

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KONKURRENZ UM RAUM UND INDIREKTE VERDRÄNGUNG 107

werden territoriale Zeichen installiert, durch die bestimmte Bevölkerungsgruppen sich angezogen und andere sich abgestossen fühlen. Betrachtet man an dieser Stelle noch einmal das Untersuchungsgebiet, so wird erkennbar, dass der Kreis 5 ein Gebiet mit unterschiedlichsten Milieus ist, wo auch der gesellschaft-liche Aussenseiter, der Exzentriker oder der gutverdienende Single ein Milieu findet, in das er sich sozial integrieren kann. Diese verschiedenen Milieus prägen den Charakter des Kreis 5 und lassen ihn für die Gentrifier als abwechslungsreichen Handlungskontext er-scheinen. Ganz verschiedene Bevölkerungsgruppen versuchen dem Viertel somit den Stempel ihrer sozialen Identität aufzudrücken und sich einzelne (öffentliche und private) Teilräume symbolisch und physisch anzueignen. So werden beispielsweise Teilgebiete im Quartier durch ausländische Milieus geprägt, an denen sich Personen aus anderen Gruppen als Fremde fühlen. Dies sind dann diejenigen Orte, an denen die Gentrifier die Touristen-perspektive einnehmen, um sich zeitlich beschränkt auf eine andere Kultur einzulassen (vgl. Kapitel 4.3.5). Neben den Milieus der Ausländer gibt es die Pioniere, die sich zu einem früheren Zeitpunkt der Gentrifizierung spezifische Teilräume im Viertel angeeignet hatten. Als territoriale Zeichen dieser symbolischen Aneignung entstanden neue Szene-kneipen, Restaurants oder Clubs, wodurch das Gebiet in den Augen der Gentrifier als Erlebnisquartier stark an Attraktivität gewonnen hat. Zeitgleich verloren die gesellschaft-lichen Aussenseiter ihren Einfluss über verschiedene Teilräume im Kreis 5, wie beispiels-weise die Drogenszene nach der Lettenschliessung durch die Polizei. Dennoch haben Prostituierte oder Drogenabhängige immer noch einzelne Strassenabschnitte oder Häuser-ecken symbolisch in Beschlag genommen. Für die Gentrifier sind dies aber keine Orte mehr, von denen eine Gefahr ausgeht, sondern es sind vielmehr sozialräumliche Kontexte, die gleichzeitig Mitleid und Faszination hervorrufen. Durch den Einzug der Gentrifier in ein Aufwertungsgebiet kommt eine weitere Gruppe dazu, die Ansprüche an den sozialräumlichen Kontext stellt. Da diese Gruppe ökonomisch stark ist, kann sie sich einzelne räumliche Teilgebiete sowohl physisch (z.B. auf dem Wohnungsmarkt) wie auch symbolisch (erkennbar z.B. in den neu entstandenen konsumti-ven Angeboten) relativ leicht aneignen und sich somit gegenüber den anderen Gruppen durchsetzen. Die Gruppe der Gentrifier drückt dadurch dem Viertel ihr kulturelles Gepräge auf, indem einzelne Teilräume durch die „neuen“ Lebensstile gestaltet werden. Als Folge davon müssen die anderen Gruppen ihre Territorien und Grenzen in den übrigen Teilge-bieten abstecken, wodurch sich der Charakter des Stadtteilgebietes ändern wird. Wie in Kapitel 4.3.4 erwähnt, haben diese Veränderungen für die einzelnen Akteure im Viertel ganz unterschiedliche Konsequenzen. In einer ersten Phase der Aufwertung werden diese wahrscheinlich von vielen Befragten befürwortet, steigt doch damit auch ihre Le-bensqualität. Diese Sichtweise wird sich jedoch ändern, wenn die Veränderungen mit dem Verlust der vertrauten Nachbarschaft einhergehen oder wenn man selbst von der direkten Verdrängung bedroht wird. Wann das Optimum der Aufwertung erreicht ist, hängt ganz entscheidend von der Perspektive der Person selbst ab. Grundsätzlich kann davon ausge-gangen werden, dass Pioniere das Optimum der Aufwertung zu einem früheren Zeitpunkt erreicht sehen als Gentrifier (vgl. Alisch und Zum Felde 1990). Weiter kann man die Vermutung aufstellen, dass insbesondere auch für Gentrifier, die in einer frühen Phase der

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Gentrifizierung ins Viertel eingezogen sind, die Gefahr entsteht, durch eine andauernde Aufwertung indirekt verdrängt zu werden. Es kann somit von der Annahme ausgegangen werden, dass insbesondere die früh eingezogenen Gentrifier, die ähnliche Wertvorstel-lungen wie die Pioniere haben, sich früher negativ über sozialräumliche Veränderungen äussern werden, als Gentrifier, die zu einem späteren Zeitpunkt ins Aufwertungsgebiet eingezogen sind. Aber wie schaut nun diese indirekte Verdrängung der „frühen Gentrifier“ konkret aus? In der wissenschaftlichen Literatur wird dieser Prozess kaum beschrieben, weshalb an dieser Stelle kurz darauf eingegangen wird: Die „frühen Gentrifier“ sehen in der bereits im Viertel ansässigen Bevölkerung keinerlei Konkurrenz, die ihnen den Raum streitig machen würde. Selbst die marginalisierten Be-völkerungsgruppen der Drogenabhängigen oder Prostituierten stellen für die Gentrifier keine Konkurrenz dar, solange sie räumlich auf Distanz und polizeilich unter Kontrolle gehalten werden können. Konkurrenz ergibt sich vielmehr durch die neu Hinzuziehenden, die einen ähnlichen oder gleichen Lebensstil wie die „frühen Gentrifier“ haben. Denn erst durch den zahlreichen Zuzug von wohlhabenden Personen mit einer urbanen Lebensweise wird sich der ursprüngliche Charakter des Gebietes verändern. Meiner Meinung nach gehen mit der physischen und sozialen Aneignung des Stadtraumes durch wohlhabende Personen insbesondere zwei Entwicklungen einher, die für die „frühen Gentrifier“ negative Effekte haben. Erstens wird die Heterogenität des Gebietes abnehmen, da im Vergleich zur ursprünglich relativ heterogenen Bevölkerungsmischung die verhältnismässig homogene Gruppe der Gentrifier einzieht. Und zweitens wird die Exklusivität des urbanen Lebensstils der Gentrifier abnehmen. Dies wird geschehen, wenn die Gentrifier das Gefühl bekommen, nicht mehr einen einzigartigen Lebensstil zu führen, sondern zur Masse dazuzugehören.

a) Verlust der Heterogenität

Die Gentrifier werden eine Aufwertung nur so lange gutheissen, wie die als positiv gewer-teten Qualitäten ihrer Wohnumgebung dadurch nicht verloren gehen. So betonten die Gentrifier in den Interviews insbesondere die Vielfalt an Personen aus unterschiedlichen ethnischen Kulturen und sozialen Schichten als wichtiges urbanes Element, das sie am Kreis 5 schätzen würden. Für die bereits im Gebiet wohnhaften Gentrifier wird die Auf-wertung genau dann zu weit gegangen sein, wenn durch den zahlreichen Zuzug neuer Bewohner der Stadtteil homogenisiert wird, wenn also nur noch wohlhabendere Leute ins Gebiet einziehen. Da die Heterogenität des Viertels von den Gentrifiern bewusst gesucht wird und einen wichtigen Aspekt ihrer jetzigen Lebensqualität darstellt, wird eine allfällige Abnahme des heterogenen Charakters ihrer Wohnumgebung mit dem teilweisen Verlust ihrer hohen Lebensqualität einhergehen. Aus den Interviewaussagen der Befragten ist zu entnehmen, dass dies sogar zu einem Motiv für den Auszug aus dem Viertel werden könnte:

„Es wäre fatal und schrecklich, wenn der Kreis 5 ein Quartier würde, wo nur noch mittel-ständische – also vom Einkommen her – oder sogar nur noch reiche Leute wohnen könnten (...). Dies könnte mit ein Grund für einen Auszug aus dem Quartier sein.“

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KONKURRENZ UM RAUM UND INDIREKTE VERDRÄNGUNG 109

Aus der Sicht meiner Interviewpartner ist jedoch das Optimum der Aufwertung im Kreis 5 noch nicht erreicht, bewerten sie doch die Aufwertungstendenzen im Kreis 5 grundsätzlich sehr positiv (vgl. Kapitel 4.3.4). Dennoch sind sie sich bewusst, dass die Aufwertung, wenn sie ungebremst weitergehen würde, auch die Grundlage ihrer hohen Lebensqualität gefährden könnte:

„Irgendwann, wenn zu viel investiert und alles renoviert wird und nur noch teurer Wohn-, Büro- und Gewerberaum vorhanden ist, dann verliert das Quartier auch, das ist klar. Gerade die kleinen Läden oder die Bars und so, die zum Teil ein wenig improvisiert sind, die werden dann wahrscheinlich verschwinden. Der multikulturelle Charakter wird sicherlich abnehmen.“

b) Verlust der distinktiven Funktion des urbanen Lebensstils

Durch die Attraktivitätssteigerung des Viertels als Wohnquartier und dem damit einherge-henden Austausch der ursprünglichen gegen eine wohlhabendere Bevölkerungsschicht wird nicht nur der multikulturelle Charakter abnehmen, sondern auch die Exklusivität des urbanen Lebensstils der Gentrifier. Denn gerade das ehemals negative Image des jetzigen Aufwertungsgebietes trägt für sie viel zur Exklusivität ihrer Lebensführung bei. Die Ex-klusivität ergibt sich dabei vor allem dadurch, dass die Gentrifier das ursprünglich stigma-tisierte Gebiet als attraktiven Wohnort „entdeckt“ und sich bewusst für die Urbanität dieses Gebietes entschieden haben. Diese Aussagen lassen sich exemplifizieren an den Äusserun-gen eines Gentrifiers, der bereits seit über drei Jahren im Kreis 5 wohnhaft ist, wobei er aber bereits früher in der Stadt Zürich gelebt hat. Seine ersten Eindrücke von der damals neuen Wohnumgebung umschrieb er wie folgt:

„Als ich vor drei Jahren in den Kreis 5 zog, war es hier noch sehr, sehr ruhig. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause kam, gab es noch keine Beleuchtungen, die nun in der Zwischenzeit (...) installiert wurden. Es war sehr dunkel und ich hatte dann manchmal schon ein wenig ein mulmiges Gefühl.“

Nach seiner Einschätzung war zu diesem Zeitpunkt der Ruf des Viertels noch negativ stigmatisiert:

„Früher haben viele Leute die Nase gerümpft, wenn man gesagt hat, dass man im Kreis 5 wohnhaft sei. Dann gab es irgendwelche dummen Bemerkungen, wie „du lebst im In-dustriekreis“. Inzwischen hat sich das Blatt natürlich gewendet.“

In diesen Aussagen des Gentrifiers schwingt auch ein bisschen Stolz mit, hat er doch den Kreis 5 „entdeckt“, bevor er von den Medien zum Trendquartier stilisiert worden ist. Da er somit einen grossen Teil der Aufwertung miterlebt und den Trend vorweggenommen hat, wird er sozusagen zum Trendsetter urbaner Lebensweise. Da nun seine Wohnumgebung von einer immer breiteren Bevölkerungsschicht besucht und bewohnt wird, verliert der von ihm praktizierte Lebensstil an Exklusivität und folglich an distinktiver Funktion:

„Die Leute, die man nun hier antrifft, sind wohl gerade jene, die früher die Nase gerümpft haben, wenn man vom Kreis 5 gesprochen hat. Sie merken und sehen nun plötzlich, was

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hier entsteht, was hier für ein „Groove“ herrscht, welche Art von Kultur hier entsteht und finden dies plötzlich auch überaus gut.“ Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Gentrifizierung von den „frühen Gentri-fiern“ nur bis zu einem gewissen Punkt als positiv bewertet wird. Wird dieser Punkt über-schritten, nehmen für die Gentrifier die Lokalisationsprofite (vgl. Kapitel 3.2.2) ihrer Wohnumgebung ab. Diese Abnahme ergibt sich zu einem Grossteil als unbeabsichtigte Konsequenz des Handelns der Gentrifier selber. Denn durch ihre Präsenz im Aufwertungs-gebiet eignen sich die Gentrifier den Raum sowohl physisch wie auch symbolisch an. Die damit einhergehende direkte und indirekte Verdrängung von bisher im Gebiet wohnhaften Personen wie auch die Kommerzialisierung und Vereinheitlichung des konsumtiven Ange-botes können als unintendierte Handlungsfolgen der „frühen Gentrifier“ angesehen werden und äussern sich in einer Homogenisierung des Gebietes. Mit ihrem Zuzug verändern die Gentrifier somit jene Eigenschaften des Viertels, welche die Motivation ihres Zuzuges bildeten.

5.4 Präzisierung des Invasions-Sukzessions-Zyklus

Wie bereits in Kapitel 2.2.2 dargelegt, dient das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus von Dangschat (1988:280f) in erster Linie zur Beschreibung des idealtypischen Prozesses der Gentrification und ist weniger ein Modell, welches in empiri-schen Untersuchungen verifizierbar ist. So kann beispielsweise bezweifelt werden, dass die ursprünglichen Bewohner so rasch ausziehen wie das Modell unterstellt. Zweifel sind auch angebracht, ob in der Realität der Anteil der Pioniere so stark und schnell abnimmt, wie von Dangschat angenommen. Dass sich der Kurvenverlauf im Modell von der Realität unterscheidet, ist insofern nicht als problematisch einzustufen, da die Kernsaussagen des Modells zur Beschreibung der Wirklichkeit beitragen. Wichtiger scheint mir jedoch, das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus im Sinne einer Präzisierung zu kom-mentieren, da verschiedene Punkte missverständlich sind. Da das Modell von Dangschat in der Tradition der Chicagoer Schule der Humanökologie steht, muss kurz auf das humanökologische Forschungsverständnis eingegangen werden: Das grundlegende Interesse der Humanökologie – heute wird sie als Sozialökologie be-zeichnet – bildet die Frage nach den Prozessen der wechselseitigen Anpassung zwischen menschlichen Gemeinschaften und ihrer physisch-räumlichen Umwelt (vgl. Von Frieling 1980:233ff). Dieser Ansatz geht dabei von der Vorstellung aus, dass sich die sozial-räumlich unterschiedlichen Stadtteilgebiete durch Invasion und gleichzeitige Sukzession von Bevölkerungsgruppen herausbilden. Als Basis für die Beschreibung der räumlichen Organisation menschlicher Gruppen im Raum wird eine Terminologie verwendet, welche der Tier- und Pflanzenökologie entlehnt ist. Demzufolge werden auch im Modell der Invasion-Sukzession diese bioökologischen Begriffe zur Beschreibung von Prozessen innerhalb der Stadt herangezogen. So wird unter dem Begriff der Invasion der Prozess des Eindringens einer Bevölkerungsgruppe in ein Teilgebiet verstanden, das bislang keinen

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PRÄZISIERUNG DES INVASIONS-SUKZESSIONS-ZYKLUS 111

oder nur einen sehr geringen Anteil einer solchen Bevölkerungsgruppe aufwies. Von Sukzession, dem zweiten Teil des Invasionsprozesses, wird dann gesprochen, wenn die eindringende Bevölkerungsgruppe die ursprünglichen Bewohner verdrängt hat und im Stadtteil dominant wird. Nach Park (1936; zit. in Von Frieling 1980:2398ff) – einem wichtigen Vertreter der Chicagoer Schule – bildet sich durch Invasion und Sukzession der einziehenden Bevölkerungsgruppe eine neue, junge ‚community’ und dadurch ein neuer, gleichsam natürlicher Gleichgewichtszustand56 heraus. Als ‚communities’ bezeichnet Park (ebd.) dabei räumlich organisierte Bevölkerungen, die mehr oder weniger vollständig in ihrem Lebensraum verwurzelt sind und deren Individuen in einem Verhältnis „wechsel-seitiger Abhängigkeit von der Art der kooperativen Konkurrenz leben“. Als grundlegendes Problem am Beschreibungssystem der Humanökologie kann die Über-tragung biologischer Begriffe und Konzepte auf soziale Sachverhalte angesehen werden. So wirft Alihan (1938; zit. in Von Frieling 1980:260) der Humanökologie vor, dass sie davon ausgeht, dass das menschliche Handeln „natürlicherweise“ vom Konkurrenzkampf um das Überleben bestimmt werde, dass sie die sozialen Gruppen mit Organismen gleich-setze und dass sie das Dominanzkonzept als „natürliches“ Prinzip auf kulturelle und öko-nomische Prozesse anwende.57 Da Dangschat (1988) im Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus die Begrifflichkeit und Konzepte der Humanökologie übernimmt, müssen bei einer differenzierten Würdigung des Modells diejenigen Kritikpunkte einbezo-gen werden, die bereits von Alihan erwähnt wurden. Meiner Ansicht nach muss das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus deshalb in zweifacher Hinsicht präzisiert werden. Die erste Präzisierung betrifft die dem Modell zu Grunde liegende „scheinbare Mechanik“: In ein Gebiet zieht danach – einem Planspiel ähnlich – die Gruppe der Pioniere ein, welche dann zu einem späteren Zeitpunkt von der Gruppe der Gentrifier verdrängt wird. Bereits der Begriff der Gruppe ist missverständlich, wird doch damit impliziert, dass die einzelnen Individuen der jeweiligen Gruppe in einem relativ kontinuierlichem Kommunikations- und Interaktionsprozess miteinander stehen und ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ entwickelt haben sollten. Berücksichtigt man jedoch die Ergebnisse aus den Befragungen (vgl. Kapitel 4.3), so wird deutlich, dass es keinen gruppenspezifischen Zusammenhalt zwischen den einzelnen Pionieren bzw. Gentrifiern gibt. Dies ist auch der Grund, weshalb in dieser Arbeit nicht von der Gruppe der Pioniere bzw. Gentrifier die Rede ist, sondern immer von der Sozialkategorie der Pioniere bzw. Gentrifier. Zu einer Sozialkategorie werden dabei Personen gezählt, die durch ein oder mehrere gleiche sozial relevante Merkmale gekenn-zeichnet sind, wobei kein gruppenspezifischer Zusammenhalt gegeben sein muss (vgl. Lexikon zur Soziologie 1995:619). Das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus darf also nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Pioniere bzw. Gentri-fier in Sozialgruppen eingebunden sind, welche dann gegenseitig um den städtischen Raum konkurrieren. Denn dies würde bedeuten, dass es eine Gruppe der Pioniere bzw. Gentrifier

56 Ein Gleichgewichtszustand ist nach McKenzie (1925; zit. in Von Frieling 1980:244) bei einem Invasionsprozess dann

erreicht, „wenn sich eine ökologische Organisation herausgebildet hat, bei der eine dominante Art in der Lage ist, die Lebensbedingungen mehrerer Arten zu kontrollieren und die Invasion anderer Arten zu verhindern.“

57 Krämer-Badoni (1991; zit. in Krätke 1995:159) betont in diesem Zusammenhang, dass der humanökologische Ansatz „unbeschadet der Analogie zur Tier- und Pflanzenökologie durchaus valide und generalisierungsfähige Beschreibungs-systeme für städtische Prozesse hervorgebracht hat.“

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gäbe, die im städtischen Raum als Akteur auftreten würde. Die sozialräumliche Wohn-standortverteilung soll also nicht als Resultat von Konkurrenzkämpfen um den Raum zwischen verschiedenen Gruppen verstanden werden, sondern der Prozess der Gentrifica-tion muss vielmehr als Emergenzeffekt angesehen werden, der aus den intendierten wie auch unintendierten Folgen individueller Handlungen resultiert.58 Die zweite Präzisierung betrifft die dem Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus anhaftende Vorstellung, dass sich nach der Beendigung des Zyklus gleichsam ein neues Gleichgewicht herausgebildet habe. Da die Gentrifier eine flexible Lebensgestaltung führen (können) und auch bezüglich ihrer Wohnstandortwahl sehr mobil sind (vgl. Kapitel 4.3.7), kann angenommen werden, dass dieses Gleichgewicht jedoch nur ein scheinbares ist. So wurde beispielsweise von den Interviewpartnern häufig geäussert, dass sie in eine „ruhigere Gegend“ fortzögen, wenn sie sich für Kinder entscheiden würden; die urbane Atmosphäre würde somit bei einer allfälligen Familiengründen meist aufgegeben:

„Wenn ich mir vorstelle, dass ich Kinder hätte, dann könnte ich mir gut vorstellen, dass ich wieder aufs Land ziehen würde.“

Weiter kann vermutet werden, dass in einer frühen Phase der Gentrifizierung die einzie-henden Gentrifier sich stärker über ihr kulturelles Kapital als über ihr ökonomisches Kapital definieren. In einer späteren Phase des Zyklus werden Gentrifier einziehen, die in Konkurrenz mit den „frühen Gentrifiern“ treten und von diesen gerne und despektierlich als Schicki-Micki bezeichnet werden. In dieser Zeitspanne steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die „frühen Gentrifier“ indirekt verdrängt werden, da das Quartier ihre Forderung nach Originalität nicht mehr erfüllen kann (vgl. Kapitel 5.3). Es kann also postuliert wer-den, dass das Gleichgewicht in einem gentrifizierten Stadtteilgebiet nicht so stabil ist, wie im Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus suggeriert wird. Viel eher wird der Bevölkerungsaustausch im Gebiet relativ intensiv bleiben, da die Gentrifier nur schwach an ihr „aufgewertetes“ Wohngebiet gebunden sind. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie ihren jetzigen Wohnstandort aufgeben werden, sollten sich ihre Bedürfnisse und Ansprüche an das Wohnumfeld ändern. Wie hoch jedoch der „Bevölkerungsumsatz“ in einem gentrifizierten Gebiet sein wird, müsste in weiteren empirischen Untersuchungen erforscht werden.

58 In die gleiche Richtung zielt auch die Kritik von Odermatt (1997:89ff) an der Sozialökologie.

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Zusammenfassung

Diese Diplomarbeit ist innerhalb der Stadtforschung auf dem Themengebiet der Gentrifi-cation angesiedelt. Als Gentrifizierung wird dabei ein Prozess bezeichnet, durch den die räumlichen Strukturen eines innenstadtnahen Wohngebietes durch einfliessende Investiti-onen aufgewertet werden. Zugleich ist damit eine Verdrängung der alteingesessenen Be-wohner verbunden, da durch den Zuzug von Personen mit höherem verfügbarem Einkom-men, welche als Gentrifier bezeichnet werden, die Konkurrenz um Wohnraum im Gebiet zunimmt. Der Prozess der Gentrification beinhaltet demnach immer zwei Dimensionen: einerseits eine räumliche Aufwertung und andererseits eine Veränderung der ursprüngli-chen Bevölkerungsstruktur. Aus der wachstumsorientierten Sicht der Stadtökonomie wird eine Gentrifizierung als überaus positiver Prozess angesehen, da privates Investitionskapital in ein stagnierendes Stadtteilgebiet fliesst. Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten aber erscheint die Gentrifi-zierung aus zweierlei Gründen problematisch: Erstens werden sozial Schwache – die z.T. lange im Quartier gelebt haben – an Orte mit schlechter Wohnqualität verdrängt und zwei-tens verkleinert sich durch die Renovations- und Modernisierungstätigkeiten die ursprüng-liche Bausubstanz und somit der Anteil von preisgünstigem Wohn- und Gewerberaum innerhalb einer Stadt. Der Prozess der Gentrification hat demnach weitreichende sozial-räumliche Konsequenzen für eine Stadt. Zur Erklärung von Gentrification kann sowohl von denjenigen Akteuren ausgegangen werden, welche attraktive Wohnungen im Viertel anbieten (Angebotsseite), wie auch von denjenigen, welche die Stadt als attraktiven Lebensraum wiederentdecken und innenstädti-schen Wohnraum nachfragen (Nachfrageseite). In den nachfrageseitigen Erklärungsan-sätzen steht der Lebensstil der Gentrifier im Zentrum des Interesses, da die gewandelten Wohnstandortpräferenzen auf ihn zurückgeführt werden. Die Stadt bildet dabei den sozial-räumlichen Kontext, der den Gentrifiern bei der Ausübung ihres Lebensstils entgegen-kommt. Obwohl der Lebensstil der Gentrifier innerhalb der Gentrifications-Forschung eine wich-tige Rolle spielt, wird in vielen Untersuchungen ein eher stereotypes Bild von ihm ge-zeichnet. An dieser Stelle will die Arbeit neue Akzente setzen. Mit Hilfe von leitfadenge-stützten, qualitativen Befragungen wird das Ziel verfolgt, differenziertere Aussagen über den Lebensstil der Gentrifier zu erhalten, als dies mit quantitativen Untersuchungen mög-lich ist. Im Zentrum steht demnach die Frage, worin der Reiz der städtischen Lebensweise für die Gentrifier liegt. Dabei werden sowohl die Wahrnehmungen und Bewertungen des urbanen Raumes durch die Gentrifier, wie auch die Möglichkeiten und Einschränkungen, die sich durch das Wohnen in zentrumsnahen Gebieten ergeben, in die Betrachtung einbe-zogen. Als Untersuchungsgebiet dient der Zürcher Stadtkreis 5, da in ihm seit ein paar

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Jahren Umwertungstendenzen im Sinne einer Gentrification erkennbar sind. In diesem ehemaligen Arbeiterquartier sind in den letzten Jahren verschieden neue Wohn-, Gewerbe- und Büroräume entstanden, und die Bautätigkeit wird auch in naher Zukunft weiter anhal-ten. Zugleich fand ein Imagewandel statt: Wurde der Kreis 5 anfangs der 90er Jahre als Wohngebiet problematisiert, so wird er heute – meist medial vermittelt – als Trendquartier hochstilisiert, in dem sich eine hedonistisch veranlagte und zahlungskräftige Klientel in den (neu entstandenen) Museen, Kinos und Bars versammle. Das eigentliche Porträt der Gentrifier und ihrem Lebensstil ergibt sich durch die Auswer-tung des Interviewmaterials. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Gentrifier die urbanen, sozialräumlichen Merkmale ihrer Wohnumgebung als durchwegs positive Quali-täten bewerten. Die Gentrifier beurteilen ihre Wohnumgebung mit der Überfülle und Heterogenität von verschiedenartigen Reizen und konsumtiven Angeboten als überaus abwechslungsreichen und attraktiven Lebensort, der viele Möglichkeiten offen lässt. Dabei erfüllen der industrielle Charakter der Bausubstanz wie auch die “bunte” Mischung von Individuen aus verschiedenen ethnischen Kulturen und sozialen Schichten in erster Linie die Funktion einer urbanen Staffage und sind somit für die Gentrifier wichtige Elemente der atmosphärischen Ausstattung des Stadtteilgebietes. Das Bedürfnis nach sozialer In-tegration befriedigen die Gentrifier vor allem in Wahlmilieus, wo die Möglichkeit besteht, Gleichgesinnte zu treffen und Zugehörigkeit zur gewünschten Lebensstilgruppe zu signali-sieren. Durch die Flexibilität in ihrem Lebensentwurf und der Offenheit der Zukunft ge-genüber, sowie durch die hohe Verfügbarkeit von Ressourcen können die Gentrifier in erster Linie von den positiven Seiten der Urbanität profitieren. Aus den erhaltenen Erkenntnissen der empirischen Untersuchung können verschiedene Konsequenzen für die Gentrifications-Forschung abgeleitet werden. Die erste Schluss-folgerung ist gleichsam ein Plädoyer dafür, dass die “Karrieren” der Akteure – und nicht nur ihr gegenwärtiger Status – stärker in die Gentrifications-Forschung einbezogen werden sollten. Denn ein dynamischer Prozess wie die Gentrification kann ohne Einbezug der sozialen Dynamik der Bevölkerungsgruppen nur unzureichend erklärt werden. In einer zweiten Schlussfolgerung wird der Frage nachgegangen, welche Akteure mit den Gentri-fiern um den städtischen Raum konkurrieren. Eine Konkurrenz erwächst den Gentrifiern dabei vor allem durch ihresgleichen, da durch den zahlreichen Zuzug von wohlhabenden Personen der ursprünglich heterogene Charakter des Gebietes abnimmt, was gleichbedeu-tend mit dem Verlust der als positiv erachteten Eigenschaften ihrer Wohnumgebung ist. In der dritten Schlussfolgerung wird das Modell des doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus von Dangschat (1988) kritisch gewürdigt und präzisiert.

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LEXIKA GRUNDBEGRIFFE DER SOZIOLOGIE (1998): hrsg. von Schäfers, Bernhard. 5. verbesserte und erw. Aufl. Leske + Budrich, Opladen.

LEXIKON ZUR SOZIOLOGIE (1995): hrsg. von Fuchs-Heinritz, Werner/ Lautmann, Rüdiger/ Rammstedt, Otthein/ Wienold, Hanns – 3., völlig neu bearb. und erw. Aufl., durchges. Nachdr. 1995. Westdeutscher Verlag, Opladen.

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NZZ/ NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Subkultur als Tourismus-Magnet. Zürich – Trendstadt für ein internationales Publikum. 17. Januar 2000, S.31.

NZZ/ NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Neuer Wohn- und Arbeitsraum für eine urbane Bevölkerung. 19. Januar 2000, S.43.

NZZ/ NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Experimentierfeld rund um die Hardbrücke – Ideen für die Aufwertung von Zürich West. 6./7. Januar 2001, S.43.

TAGES-ANZEIGER. Langstrassenviertel: ein Zürcher Soho. 26. März 1998, S.21.

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TAGES-ANZEIGER. Zürich-West: Ausgeh-Meile der Saturday-Night-Pendler. 26. Juli 1999, S.13.

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TAGES-ANZEIGER. Wie die Industrie in den Westen zog. 27. August 1999, S.19.

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TAGES-ANZEIGER. Eckwerte für Zürich-West gesetzt. 29. Juni 2000, S.19.

TAGES-ANZEIGER. Einheitslook für den Viadukt. 18. November 2000, S.15.

TAGES-ANZEIGER. Neue Stadttürme an der Hardbrücke. 16. Januar 2001, S.17.

WERBEPROSPEKTE WOHNEN & WIRKEN, WO DIE STADT LEBT: Werbeprospekt von West-Side/ Livit AG. Zu beziehen unter www.west-side.ch (Januar 2001).

THE DOCKS TIMES. KREIS FIVE – WHERE YOU BELONG (1998). Werbeprospekt der Immobiliendienstleistung INTERCITY. Zu beziehen unter www.thedocks.ch (Januar 2001).

INTERNETADRESSEN Adresse: Träger:

www.stadt-zuerich.ch Offizielle Homepage der Stadt Zürich, 20.1.2001

www.stadt-zuerich.ch/fste/ Fachstelle für Stadtentwicklung, 20.1.2001

www.wirtschaftsförderung.stadt-zuerich.ch Wirtschaftsförderung der Stadt Zürich, 20.1.2001

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www.zurichtourism.ch Tourismusverein Zürich, 20.1.2001

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121

Anhang

I Schreiben für erste Kontaktaufnahme

II Interviewleitfaden für Diskussionsleiter

III Kurzfragebogen für Interviewpartner

IV Informationsbogen für Interviewsituation

V Beobachtungsbogen für Wohnungseinrichtung

VI Statistik über die Interviewpartner

VII Übersichtskarte über den Zürcher Stadtkreis 5

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M a n u e l F u c h s Bäckerstrasse 54

8004 Zürich

Tel. (01) 241 03 18 [email protected]

Zürich, den 5. März 2001 Frau G Loftstrasse 376 8005 Zürich

I Schreiben für erste Kontaktaufnahme

Suche nach Interviewpartnern Sehr geehrte Frau G In den nächsten Tagen werde ich Sie telefonisch kontaktieren. Damit Sie über mein Anliegen bereits im Voraus informiert sind, schreibe ich Ihnen hier das Wichtigste: Meine Name ist Manuel Fuchs und ich bin Geographiestudent an der Universität Zürich. Für meine Diplomarbeit suche ich Personen, mit denen ich ein mündliches Interview durchführen kann. Ihren Namen habe ich per Zufallsprinzip ausgewählt. Es würde mich freuen, wenn sich jemand aus Ihrem Haushalt bereit erklären würde, an dieser Befragung teilzunehmen. In meiner Diplomarbeit untersuche ich den Imagewandel, den der Zürcher Stadtkreis 5 in den letzten Jahren durchmachte. War vor ein paar Jahren der Kreis 5 hauptsächlich bekannt wegen der Drogenproblematik, so ist er heute ein attraktives Wohnquartier mit einem grossen kulturellen Angebot, vielen Szene-Kneipen und voll von pulsierendem Leben. Meine Interviews führe ich bei Personen durch, die in den neu entstandenen Wohnungen leben. Damit Sie als Interviewpartner in Frage kommen, müssen Sie folgende drei Bedingungen erfüllen: 1. Sie sind zwischen 26 und 45 Jahre alt. 2. Sie leben in einem Haushalt von ein oder zwei Personen. 3. Sie haben keine Kinder. Im Interview werde ich Sie über Ihre Gründe befragen, wieso Sie den Kreis 5 als Wohnort ausgewählt haben. Zudem beabsichtige ich von Ihnen zu erfahren, wie Sie den Kreis 5 als Lebensraum nutzen und welche Ansprüche Sie ans Quartier stellen.

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Ihre Antworten werde ich selbstverständlich streng vertraulich behandeln und auf keinen Fall an andere Personen weitergeben. Ihre Anonymität wird so vollständig gewahrt bleiben. Das Interview würde ich gerne in Ihrer eigenen Wohnung durchführen. Die voraussichtliche Dauer der Befragung wird ca. 30 Minuten betragen. Ich denke, dass auch für Sie das Interview ganz interessant sein kann und somit der Aufwand von Ihrer Seite keine „verlorene Zeit“ darstellen muss. Falls ich mit Ihnen ein solches Interview durchführen kann, bin ich Ihnen überaus dankbar. Da Ihre Antworten eine wichtige Rolle in meiner Diplomarbeit spielen werden, werde ich mich selbstverständlich mit einer guten Flasche Wein bei Ihnen bedanken. In den nächsten Tagen werde ich Kontakt mit Ihnen aufnehmen um Unklarheiten zu klären und allenfalls einen Interviewtermin auszumachen. Mit freundlichen Grüssen und bestem Dank. Manuel Fuchs Anmerkung Bei Fragen dürfen Sie sich gerne an mich wenden oder an meinen Diplomarbeitbetreuer, Herrn Dr. André Odermatt (Geographisches Institut der Universität Zürich - Winterthurerstr. 190 - 8057 Zürich – Telefon: 01 635 52 44 oder 01 635 51 81)

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ANHANG 124

II Interviewleitfaden für Diskussionsleiter

Offene Fragen / Schlüsselfragen Vertiefungsfragen / Eventualfragen Einstieg / Wohnumfeld Wie lange leben Sie bereits in dieser Wohnung? Wie viele Leute wohnen sonst noch in dieser Wohnung? Wann sind Sie in den Kreis 5 eingezogen? Bei längerer Wohndauer im K5: - Was hat sich seither geändert an Ihrer persönlichen

Situation? (Job, Ausbildung / Lebensgewohnheiten...) Wieso Kreis 5 als Wohnort ausgewählt?

- Früherer Wohnort? - Gründe für den Einzug in die neue Wohnung?

Nähe zum Arbeitsort / Pull- und Push-Faktoren - Was hat sich verbessert / was verschlechtert?

Art der Wohnung? Grösse? Lage? - Was sind Ihre Gründe für die Wahl vom Kreis 5? - Kannten Sie den K5 gut, bevor Sie hierher gezogen

sind? - Welche Quartiere in ZH würden als Wohnquartiere

sonst noch in Frage kommen? - Andere Städte oder Dörfer?

Stadtkreis 5 / DL-Angebot Wie würden Sie den K5 kurz charakterisieren? Was finden Sie am K5 grossstädtisch? - Wie häufig gehen Sie am Abend aus? - Wo gehen Sie am häufigsten in den Ausgang? Kino? - Museen- und Theaterbesuche? - Kleiderkauf (Boutiquen)? / Coiffeur - Wie oft gehen Sie auswärts essen? Falls Sie nachts im K5 unterwegs sind, haben Sie Angst, dass Ihnen etwas zustossen könnte? (Verbrechen/Gewalt)

- Besondere Eigenheiten im Unterschied zu anderen Quartieren?

- Was gefällt Ihnen am K5? - Was vermissen Sie am Kreis 5? Was nervt Sie?

- Finden Sie dies positiv? - Was nicht? - Wohin gehen Sie nie in der Stadt in den Ausgang?

Was für Leute trifft man dort an? - Was hat sich verändert zu früherem Wohnort?

Grund für Umzug? - Wo? / Wann? (tagsüber/abends) - Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht? - Denken Sie, dass der K5 allgemein eine gefährliche

Gegend zum Leben ist? Lebensweise im ländlichen Raum Haben Sie früher mal auf dem Land / in der Agglomeration gewohnt? Was fällt Ihnen ganz spontan zum Wort „ländlich“ ein?

(J) Wo sehen Sie Unterschiede zum Leben auf dem Land?

- Was hat Ihnen gefallen? Was vermissen Sie? - War es einfacher Kontakte zu knüpfen? - Können Sie sich vorstellen, wieder mal auf dem Land

wohnen? Wann könnte dies geschehen (Kinder/Job/Alter)

(N) Möchten Sie mal auf dem Land wohnen? - Was müsste passieren, dass Sie aufs Land ziehen

(Kinder/Job/Alter) - Was würde Ihnen gefallen am Leben auf dem Land /

in der Agglomeration? - Und zum Wort „städtisch“?

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Soziale Kontakte Fühlen Sie sich als typischen K5-Bewohner? Gibt es Leute, über die Sie sich ab und zu ärgern? Viele Bewohner stören sich an den Drogenabhängigen und den Prostituierten. Wie stehen Sie dazu? Der Ausländeranteil im Kreis 5 ist sehr hoch. Welche Bedeutung haben die Ausländer für das Quartier?

(N) Was wäre dann ein typischer K5-Bewohner? - Was unterscheidet Sie von diesem Typus? - Gibt es weitere typische Bewohner? - Zu welcher Gruppe zählen Sie sich? - Mit welcher Gruppe haben Sie den engsten Kontakt? (J) Können Sie bitte kurz die typischen K5-Bewohner beschreiben? - Was für typische Leute wohnen sonst noch im K5? - Mit welcher Gruppe haben Sie den engsten Kontakt? - Wann? Und in welchem Zusammenhang? - Was bekommen Sie von der Drogenszene /

Prostitution mit? - Negative, positive Erlebnisse? - Könnten Sie beispielsweise direkt an der Langstrasse

wohnen? - Wann / wo kommen Sie mit Ausländern in Kontakt? - Kennen Sie diese Ausländer persönlich? - Was für Ausländer wohnen im K5?

Soziale Beziehungen Wo wohnen Ihre engsten Freunde? Welche Unterschiede gibt es zwischen der Beziehung zu Ihren Freunden und derjenigen zu Ihren Verwandten? Viele Leute klagen, nur schlecht neue Freundschaften in der Stadt knüpfen zu können. Lernen Sie häufig neue Leute kennen? Weiter wird die Anonymität zwischen den Leuten in der Stadt beklagt. Fühlen Sie sich oft einsam in der Stadt? Beziehung zu Nachbarn?

- Haben Sie diese Leute in der Stadt kennen gelernt? - Wann und wo treffen Sie Ihre Freunde? (J) Sind tiefe Freundschaften daraus entstanden? - Wo und wie lernen Sie fremde Leute kennen? - Gehen Sie gerne alleine in ein Kaffee oder eine Bar? (N) An was liegt das wohl? Möglichkeiten wären doch

vorhanden. (J) Würde es anders aussehen, wenn Sie z.B. auf dem

Land wohnen würden? (N) Was ist Ihr „Patent-Rezept“ dagegen? - Wäre es noch leichter auf dem Land Beziehungen zu

knüpfen als in der Stadt? Wahrnehmung von räumlichen Veränderungen Ist-Zustand: Es wird viel gebaut im Kreis 5 Freuen Sie sich darüber oder stört es Sie?

Hat sich dadurch auch die Bevölkerungsstruktur geändert?

Verliert der K5 durch die Veränderungen einen Teil von seinem Charakter? Abschlussfrage: Wie würden Sie sich wünschen, dass sich der Kreis 5 weiterentwickeln sollte?

- Welche konkreten Beispiele von erwünschten / unerwünschten Veränderungen fallen Ihnen spontan ein?

- Steigt dadurch für Sie die Lebensqualität? (J) Wo fällt dies Ihnen auf? - Wie hat sie sich verändert? Wie bewerten Sie dies? - Nahe Zukunft / Ferne Zukunft (Zeithorizont) - Falls dies eintrifft: werden Sie dann immer noch hier

wohnen? Haben wir ein Thema vergessen zu besprechen, das Ihrer Meinung nach sehr wichtig ist?

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ANHANG 126

III Kurzfragebogen für Interviewpartner

1. Wohnbesitzverhältnisse: ! Eigentumswohnung ! Hauptmieter ! Untermieter 2. Zivilstand: ! ledig ! verheiratet ! verwitwet ! geschieden 3. Ihr Jahrgang: 19......... 4. Ihre Nationalität: ............................. 5. Aktueller Beruf: ..................................................... 6. Höchste abgeschlossene Schulbildung: ! keine Ausbildung ! obligatorische Schule (9 Jahre) ! Berufslehre ! Maturitätsschule ! Höhere Berufsschule (Meisterschule, etc.) ! Höhere Fachschule (HTL, Konservatorium, etc.) ! Universität / Hochschule 7. Welches ist Ihre aktuelle berufliche Stellung: ! in Ausbildung ! ArbeiterIn / Vorarbeiter / Meister ! selbstständig mit ...... MitarbeiterInnen ! angestellt ohne leitende Funktion ! angestellt in leitender Funktion ( ...... Mitarbeiter) ! oberstes Management ! nicht erwerbstätig 8. Wie wichtig ist Ihnen Ihr derzeitiger Job: ! sehr wichtig ! wichtig ! mässig wichtig ! eher unwichtig 9. Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie durchschnittlich in Ihrem Job?

........................ Std./Woche Weitere Bemerkungen zum Interview / Fragebogen:

Ich danke Ihnen herzlichst für Ihre Mitarbeit und Geduld!

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ANHANG 127

IV Informationsbogen für Interviewsituation

Name: Geschlecht:

Haushaltstyp:

Wohndauer Wohnung: seit Wohndauer Kreis 5: seit

Zeitpunkt und Dauer des Interviews

Datum: Zeit (von - bis):

Ort des Interviews:

Spezielle Anmerkungen:

Anwesenheit Dritter

Anzahl der Personen:

Art der Personen:

Dauer der Anwesenheit:

Art und Grad der Beeinflussung des Gesprächs durch Dritte:

Sonstige Ereignisse:

Angaben zur befragten Person

Rollenverhalten des Interviewten:

Verhalten des Befragten vor und nach dem Interview:

Grad des Interesses des Befragten am Gespräch:

Weitere Bemerkungen:

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ANHANG 128

V Beobachtungsbogen für Wohnungseinrichtung

Name:

Überbauung:

Ungefähre Wohnungsgrösse:

Anzahl Stockwerke:

Fussboden: Holzfussboden poliert / unpoliert Steinboden Teppichboden

Kunststoffbelag Grosser Einzelteppich Kleinere Teppiche

Andere:

Wände: weiss / farbig gestrichen unverputzt mit Verputz

Tapete altmodisch / modern

Möbel: Designermöbel Antiquitäten Kaufhausmöbel (Ikea u.a.)

Andere:

Geräumigkeit: sehr leer normal vollgestopft

Zustand der Möblierung/Wohnung: luxuriös durchschnittlich

Attributierung der Wohnung: kühl/modern „heimelig“

Weitere Bemerkungen:

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VI Statistik über die Interviewpartner

Code Geschlecht Alter Zivilstand Nationalität Beruf Höchste

Schulbil-dung

Aktuelle berufliche Stellung

Arbeitsort Wichtigkeit des derzeiti-gen Jobs

Durchschnitt-liche Arbeitszeit pro Woche (Std.)

Wohndauer in Kreis 5 (Monate)

Wohn-dauer in neuer Wohnung (Monate)

Wohnbesitz-verhältnisse

Haushaltstyp

1 weiblich 35-40 ledig Schweiz Bankdienst-leistungen

7 4 Stadt Zürich/ London

mässig wichtig 30 - 60 12 12 Hauptmieter alleinwohnend

2 weiblich 26 ledig Schweiz Grafikerin 6 4 Stadt Zürich sehr wichtig ca. 45 10 10 Hauptmieter alleinwohnend 3 männlich 29 ledig Schweiz Account-

Manager (Werbung)

5 4 und 3 (x=0)

Stadt Zürich sehr wichtig ca. 60 - 80 ca. 36 ca. 36 Hauptmieter alleinwohnend

4 männlich 35 ledig Schweiz Journalist 4 5 (x=10) Stadt Zürich wichtig 40 - 60 (oder 0) 24 24 Hauptmieter wohnt mit Partner 5 männlich 35 ledig Schweiz Wirtschaftsin-

formatiker 5 4 Stadt Zürich wichtig 45 6 6 Hauptmieter wohnt mit Partne-

rin 6 männlich 35 verheiratet Schweiz Photograph 4 3 (x=0) Eigene

Wohnung sehr wichtig keine Angabe arbeitet seit 10

Jahren im Kreis 5 12 Hauptmieter wohnt mit Ehefrau

7 weiblich 34 ledig Schweiz Marketing-fachfrau

7 3 (x=0) Eigene Wohnung

sehr wichtig 50 16 16 Hauptmieter alleinwohnend

8 männlich 31 ledig Schweiz Sekundarlehrer 7 5 Agglomera-tion Zürich

wichtig 50 36 36 Hauptmieter wohnt mit Partne-rin

9 männlich 35 ledig Schweiz Journalist 5 4 Stadt Zürich sehr wichtig 50 36 36 Hauptmieter wohnt mit Kollegin 10 weiblich 42 verheiratet Deutschland Erwachsenen-

Ausbildnerin 6 1 / 5 Agglomera-

tion Zürich sehr wichtig 48 20 20 Eigentum wohnt mit Ehe-

mann

Index

1 = keine Ausbildung 3 = Berufslehre 5 = Höhere Berufsschule (Meisterschule, etc.) 7 = Hochschule / Universität Höchste abgeschlossene Schulbildung: 2 = obligatorische Schule (9 Jahre) 4 = Maturitätsschule 6 = Höhere Fachschule (HTL, Konservatorium, etc.)

1 = in Ausbildung 3 = selbstständig mit x Mitarbeitern 5 = angestellt in leitender Funktion (x Mitarbeiter) 7 = nicht erwerbstätig Aktuelle berufliche Stellung: 2 = Arbeiter / Vorarbeiter / Meister 4 = angestellt ohne leitende Funktion 6 = oberstes Management

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VII Übersichtskarte über den Zürcher Stadtkreis 5

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#

$

% &

%

&

"

#

$ Quelle: Stadtplan von Zürich. In: ACKERET, MATTHIAS (2001)

0 500m Limmat-West Überbauung (Schöller-Areal)

Cinemax-Überbauung (Steinfels-Areal)

Renovierter Wohnblock (Zollstrasse / Ackerstrasse)

Wohnblock (Zollstrasse / Josefstrasse)

Wohnblock (Limmatstrasse 21)N