GeoFakten - Niedersachsen

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Geofakten 24 1 Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie Geofakten 24 Boden Sulfatsaure Böden in niedersächsischen Küstengebieten: Entstehung, Vorerkundung und Auswertungskarten Überarbeitete Fassung Heumann, S., Gehrt, E., & Gröger-Trampe, J. Oktober 2018 In Niedersachsen kommen vor allem im Bereich der Marschen, Moore und Watten der Küstengebiete sogenannte „Sulfatsaure Böden“ vor. Bei Belüftung dieser Böden (z. B. infolge von Bauvorhaben, Entwässerungsmaßnahmen oder Grundwasserabsenkungen) können bestimmte, darin enthaltene Schwefelverbindungen (vor allem Eisensul- fide wie Pyrit) oxidieren und so eine Versauerung und u. a. eine stoffliche Belastung des Grundwassers bewirken. Hier werden die Entstehungsprozesse und wichtige Erkennungsmerkmale beschrieben. Außerdem werden Emp- fehlungen zur Vorerkundung, insbesondere mittels Auswertungskarten des NIBIS ® -Kartenservers, sowie zur weite- ren Kartierung und Beprobung zur Einstufung des Gefährdungspotenzials gegeben. Sulfatsaure Böden, Merkmale, Baumaßnahmen, Grundwasserabsenkung, Baubegleitung, Kartiereinheiten. Die hiermit vorliegende Überarbeitung der Erstauf- lage der Geofakten 24 (SCHÄFER et al. 2010) wur- de insbesondere deshalb notwendig, weil die bei- den Auswertungskarten für Sulfatsaure Böden anhand der im Herbst 2017 erschienenen Boden- karte für Niedersachsen 1 : 50.000 (BK 50) grund- legend neu erstellt wurden (s. Kap. 5.). Auch die Beschreibungen der relevanten Prozesse und Merkmale wurden anhand neuer Daten erweitert bzw. konkretisiert. 1. Problematik In Niedersachsen kommen vor allem im Bereich der Marschen, Moore und Watten der Küstenge- biete sogenannte „Sulfatsaure Böden“ vor. Die Bezeichnung „Sulfatsaure Böden“ ist historisch gewachsen und umfasst Böden, Sedimente und Torfe. Charakteristisch für die verschiedenen sul- fatsauren Materialien (SSM) sind hohe, geogen bedingte Gehalte an reduzierten anorganischen Schwefelverbindungen, die wegen konstant hoher Grundwasserstände unter anaeroben Bedingun- gen konserviert wurden. Bei den säurebildenden Schwefelverbindungen handelt es sich v. a. um Eisensulfide, hauptsächlich in Form von Pyrit (ein Eisendisulfid, FeS 2), aber auch z. B. in Form von FeS oder Markasit. Im Folgenden werden die Re- aktionen beispielhaft für Pyrit beschrieben. Hohe Pyritgehalte können zu schwerwiegenden Problemen führen, wenn SSM z. B. im Rahmen von Bauvorhaben entwässert und/oder aus dem natürlichen Verbund herausgenommen wird (z. B. als Aushubmaterial von Baugruben). Bei der dar- aus resultierenden Belüftung (aerobe Verhältnis- se) wird Pyrit oxidiert, und je nach Höhe der bo- deneigenen Säureneutralisationskapazität (SNK, s. Kap. 3) können erhebliche Mengen an Säure und Sulfat freigesetzt werden. Reicht die SNK ei- nes pyrithaltigen Bodens, Sediments oder Torfs nicht aus, um die Säurebildung aufgrund von Oxi- dationsprozessen zu puffern, handelt es sich um „potenziell sulfatsaures Material“. Durch Oxidation versauert dieses Material deutlich und wird so zu „aktuell sulfatsaurem Material“. Das hohe Gefährdungspotenzial ergibt sich durch: extreme Versauerung (pH <4,0), die Pflanzen- schäden verursacht bzw. Pflanzenwachstum verhindert (z. B. SCHÄFER, KUNTZE & BARTELS 1987), erhöhte Aluminium- und Schwermetallverfüg- barkeit bzw. -löslichkeit und erhöhte Metallkon- zentrationen im Sickerwasser (Überschreiten von Prüf-, Maßnahme- oder Vorsorgewerten nach BBodSchV möglich); Auswirkungen auf die aquatische Fauna und das Pflanzenwachs- tum; Verockerung von Dränrohren und Gräben durch Eisenaustrag, deutlich erhöhte Sulfatkonzentrationen im Boden- bzw. im Sickerwasser (Überschreitung von Grenz-/Schwellenwerten möglich: der Schwellenwert für Grundwasser nach GrwV beträgt 250 mg/l), hohe Korrosionsgefahr für Beton- (z. B. GRÖ- GER, HAMER & SCHULZ 2008, RAHMAN & BAS- SUONI 2014) und Stahlkonstruktionen.

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Geofakten 24 1

Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie

Geofakten 24 Boden Sulfatsaure Böden in niedersächsischen Küstengebieten: Entstehung, Vorerkundung und Auswertungskarten Überarbeitete Fassung Heumann, S., Gehrt, E., & Gröger-Trampe, J. Oktober 2018

In Niedersachsen kommen vor allem im Bereich der Marschen, Moore und Watten der Küstengebiete sogenannte „Sulfatsaure Böden“ vor. Bei Belüftung dieser Böden (z. B. infolge von Bauvorhaben, Entwässerungsmaßnahmen oder Grundwasserabsenkungen) können bestimmte, darin enthaltene Schwefelverbindungen (vor allem Eisensul-fide wie Pyrit) oxidieren und so eine Versauerung und u. a. eine stoffliche Belastung des Grundwassers bewirken. Hier werden die Entstehungsprozesse und wichtige Erkennungsmerkmale beschrieben. Außerdem werden Emp-fehlungen zur Vorerkundung, insbesondere mittels Auswertungskarten des NIBIS®-Kartenservers, sowie zur weite-ren Kartierung und Beprobung zur Einstufung des Gefährdungspotenzials gegeben.

Sulfatsaure Böden, Merkmale, Baumaßnahmen, Grundwasserabsenkung, Baubegleitung, Kartiereinheiten. Die hiermit vorliegende Überarbeitung der Erstauf-lage der Geofakten 24 (SCHÄFER et al. 2010) wur-de insbesondere deshalb notwendig, weil die bei-den Auswertungskarten für Sulfatsaure Böden anhand der im Herbst 2017 erschienenen Boden-karte für Niedersachsen 1 : 50.000 (BK 50) grund-legend neu erstellt wurden (s. Kap. 5.). Auch die Beschreibungen der relevanten Prozesse und Merkmale wurden anhand neuer Daten erweitert bzw. konkretisiert.

1. Problematik In Niedersachsen kommen vor allem im Bereich der Marschen, Moore und Watten der Küstenge-biete sogenannte „Sulfatsaure Böden“ vor. Die Bezeichnung „Sulfatsaure Böden“ ist historisch gewachsen und umfasst Böden, Sedimente und Torfe. Charakteristisch für die verschiedenen sul-fatsauren Materialien (SSM) sind hohe, geogen bedingte Gehalte an reduzierten anorganischen Schwefelverbindungen, die wegen konstant hoher Grundwasserstände unter anaeroben Bedingun-gen konserviert wurden. Bei den säurebildenden Schwefelverbindungen handelt es sich v. a. um Eisensulfide, hauptsächlich in Form von Pyrit (ein Eisendisulfid, FeS2), aber auch z. B. in Form von FeS oder Markasit. Im Folgenden werden die Re-aktionen beispielhaft für Pyrit beschrieben. Hohe Pyritgehalte können zu schwerwiegenden Problemen führen, wenn SSM z. B. im Rahmen von Bauvorhaben entwässert und/oder aus dem natürlichen Verbund herausgenommen wird (z. B. als Aushubmaterial von Baugruben). Bei der dar-

aus resultierenden Belüftung (aerobe Verhältnis-se) wird Pyrit oxidiert, und je nach Höhe der bo-deneigenen Säureneutralisationskapazität (SNK, s. Kap. 3) können erhebliche Mengen an Säure und Sulfat freigesetzt werden. Reicht die SNK ei-nes pyrithaltigen Bodens, Sediments oder Torfs nicht aus, um die Säurebildung aufgrund von Oxi-dationsprozessen zu puffern, handelt es sich um „potenziell sulfatsaures Material“. Durch Oxidation versauert dieses Material deutlich und wird so zu „aktuell sulfatsaurem Material“.

Das hohe Gefährdungspotenzial ergibt sich durch: • extreme Versauerung (pH <4,0), die Pflanzen-

schäden verursacht bzw. Pflanzenwachstum verhindert (z. B. SCHÄFER, KUNTZE & BARTELS 1987),

• erhöhte Aluminium- und Schwermetallverfüg-barkeit bzw. -löslichkeit und erhöhte Metallkon-zentrationen im Sickerwasser (Überschreiten von Prüf-, Maßnahme- oder Vorsorgewerten nach BBodSchV möglich); Auswirkungen auf die aquatische Fauna und das Pflanzenwachs-tum; Verockerung von Dränrohren und Gräben durch Eisenaustrag,

• deutlich erhöhte Sulfatkonzentrationen im Boden- bzw. im Sickerwasser (Überschreitung von Grenz-/Schwellenwerten möglich: der Schwellenwert für Grundwasser nach GrwV beträgt 250 mg/l),

• hohe Korrosionsgefahr für Beton- (z. B. GRÖ-GER, HAMER & SCHULZ 2008, RAHMAN & BAS-SUONI 2014) und Stahlkonstruktionen.

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Zur Gefährdungsminimierung bedürfen in den be-troffenen Gebieten alle Baumaßnahmen mit Aus-hubmaterialien (d. h. Bodenaushub sowie Bagger-gut nach DIN 19731) und/oder Eingriffe in den Boden-/Grundwasserhaushalt (z. B. Drainagen, Grundwasserabsenkungen) einer eingehenden fachlichen Planung und Begleitung. Folgende Punkte sind zu beachten: • Oft variieren die Pyritgehalte in der Tiefe und in

der Fläche kleinräumig sehr stark. • Nur wenn die Säureneutralisationskapazität

nicht ausreicht, um die Säurebildung aufgrund von Oxidationsprozessen von pyrithaltigen Materialien zu puffern, handelt es sich definiti-onsgemäß um potenziell SSM. Aber auch die Säureneutralisationskapazität (überwiegend aufgrund von Carbonaten wie Kalk, s. Kap. 3.) variiert kleinräumig sehr stark. Bei Oxidation von Materialien mit hohen Pyritgehalten und ausreichend hoher Säureneutralisationskapazi-tät kann es zu erheblichen Sulfatausträgen kommen, ohne dass es zu einer Versauerung kommt.

• Die durch chemische Analytik gestützte Identi-fikation von aktuell und potenziell SSM (Säure-bildungs- vs. Säureneutralisationskapazität, s. Kap. 3.) an einem konkreten Standort sowie Bauplanung und -begleitung können nur durch qualifiziertes bodenkundliches Fachpersonal vorgenommen werden.

• Aufgrund der oft geringen Tragfähigkeit dieser Böden, Sedimente und insbesondere Torfe müssen häufig große Baugruben ausgehoben und mit Sand rückverfüllt werden, so dass in kurzer Zeit viel SSM als Aushubmaterial anfällt. Zudem laufen Pyritoxidation und Versauerung i. d. R. sehr schnell ab, so dass z. B. auch von kurzzeitig angelegten Haufwerken eine Ge-fährdung ausgehen kann.

Die hier zusammengestellten Informationen sollen allen Beteiligten als Arbeitsgrundlage dienen. Zu-dem werden online abrufbare Auswertungskarten, die eine erste Abschätzung des Auftretens und des Gefährdungspotenzials von SSM ermöglichen, sowie deren Herleitung vorgestellt. Diese Karten können auch schon bei Planung und Ausweisung von Gebieten, z. B. im Rahmen von Flächennut-

zungs- und Bebauungsplänen, Trassenplanungen etc., genutzt werden. Potenziell und auch aktuell sulfatsaure Aushubma-terialien (d. h. Bodenaushub sowie Baggergut nach DIN 19731) müssen frühzeitig identifiziert und auch quantifiziert werden. Dieses Material sollte nach Analyse und ausreichender Kalkung umgehend in einen künstlichen sogenannten „se-miterrestrischen Polder“ umgelagert werden. Kon-krete Handlungsanweisungen zu Bauplanung und -begleitung sowie zu Beprobung und Laboranalyse des umzulagernden SSM finden sich in den Geo-fakten 25 (SCHÄFER et al. 2010).

2. Prozesse Im Folgenden werden die für die Beurteilung eines Standortes relevanten Prozesse und Reaktionen beispielhaft für das Eisendisulfid Pyrit (s. Kap. 1) beschrieben.

2.1. Sulfatreduktion und Pyritbildung Ursprünglich gelangte der Schwefel als Sulfat (SO4

2-) aus Meer- und Brackwasser in die jungen, holozänen Ablagerungen (<10.000 Jahre). Auf-grund wassergesättigter, anaerober Bedingungen wurde das Sulfat zu Sulfid reduziert und vor allem als Pyrit (FeS2, Abb. 1) über lange Zeit wegen konstant hoher Grundwasserstände unter anaero-ben Bedingungen konserviert. Die Pyritbildung – und damit die Entstehung von potenziell SSM – verläuft in mehreren Schritten unter folgenden Voraussetzungen (u. a. DENT 1986, GRÖGER 2010): • anaerobe Bedingungen, • Zufuhr von sulfathaltigem Wasser

(z. B. Meerwasser-/Brackwassereinfluss), • Vorhandensein von organischer Substanz

(erforderlich für die Reduktion des Sulfats zu Sulfid),

• Vorhandensein einer Eisenquelle.

Typische SSM sind tonreiche Materialien mit hö-heren Gehalten an organischer Substanz und/oder groben Pflanzenresten sowie über- und durch-schlickte Niedermoortorfe im Bereich des Küsten-holozäns.

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Abb. 1: Prozesse der Pyritbildung (FeS2) durch Reduktion von Sulfat (SO42-) (in Anlehnung an BLOEM, LÜTTMANN & GIANI 1995)

und der Pyritoxidation bei Belüftung durch z. B. Bodenaushub oder Grundwasserabsenkung.

2.2. Pyritoxidation und Jarositbildung Pyrit ist nur unter reduzierenden Bedingungen stabil. Durch Entwässerung und Belüftung von SSM wird die Oxidation von Pyrit initiiert und dabei Säure freigesetzt: Aus 1 mol Pyrit (FeS2) entste-hen 4 mol Säure (H+). Die Oxidation verläuft in mehreren Schritten und umfasst chemische und mikrobielle Prozesse (z. B. BAKER & BANFIELD 2003, GRÖGER 2010, DENT 1986). Das Ergebnis der Pyritoxidation mit Eisen(III)-hydroxiden als Endprodukt kann insgesamt wie folgt beschrieben werden:

+− ++→++ HSOOHFeOHOFeS 4227

415 2

43222 )(

Unter bestimmten Bedingungen und bei pH-Werten <3,7 kann Jarosit als Zwischenprodukt der Pyritoxidation entstehen (u. a. VAN BREEMEN 1973, DENT 1986), z. B.:

+−

+

++→

+++

HSOOHSOKFe

KOHOFeS

334

31

31

25

415

246243

222

)()(

Jarosit

Jarositbildung ist an charakteristischen blass- bis schwefelgelben Ablagerungen in Poren und Kluft-flächen im belüfteten Bereich zu erkennen. Die regionale Bezeichnung für Jarosit ist Maibolt; er ist ein typisches (wenn auch nicht zwingendes) Merkmal für aktuell sulfatsaure Böden oder Sedi-mente. In aktuell sulfatsauren Torfen tritt Jarosit jedoch kaum auf. Bei der weiteren Umwandlung von Jarosit in Eisen(oxy)hydroxid wird ebenfalls Säure freigesetzt (nach LANGENHOFF 1986).

++− +++→ HKSOFeOOHOHSOKFe31

32

31 2

46243 )()(

Auf diese Weise und durch residuale Pyrit-Gehalte kann auch aus bereits aktuell SSM in kurzer Zeit viel Säure bei Umlagerung freigesetzt werden.

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3. Einstufung als „potenziell sulfatsauer“ Pyrithaltiges Material (Böden, Sedimente, Torfe) wird als „potenziell sulfatsauer“ bezeichnet, wenn das Säurebildungspotenzial (v. a. aufgrund von Pyrit) größer ist als die bodeneigene Säureneutra-lisationskapazität. Aufgrund von Entwässerung und Belüftung entwickelt sich aus potenziell SSM „aktuell SSM“ mit pH-Werten <pH 4. Die Säureneutralisationskapazität der Materialien wird im Wesentlichen bestimmt durch: • Carbonate (d. h. Kalk), • austauschbare Basen

(meistens eher untergeordnet), • leicht verwitterbare Silikate (untergeordnet).

Silikate weisen nur eine geringe Löslichkeit und so niedrige Reaktionsraten auf, dass dadurch die Bildung von extrem sauren, aktuell SSM nicht ver-hindert werden kann. Auch die austauschbaren Basen können meistens nur die Säurebildung von relativ geringen Anteilen des vorhandenen Pyrit-schwefels neutralisieren.

Bei der Neutralisation der Säure durch Calcium-carbonat (CaCO3) kann Gips (Calciumsulfat) ent-stehen:

2242243 22 COOHCaSOOHSOHCaCO +∗→+++ −+

Aufgrund der Reaktionsstöchiometrie (s. Kap. 2.2) wird die Säurebildung bei der Oxidation von 1 Gew.-% Pyritschwefel (bzw. säurebildendem Schwefel) rechnerisch durch ca. 3,1 Gew.-% Kalk (CaCO3) neutralisiert (s. Geofakten 25). Die Ge-halte an CaCO3 variieren im Gebiet des nieder-sächsischen Küstenholozäns zwischen 0 und etwa 20 Gew.-% (DELLWIG et al. 1999), d. h. Kalk hat oft den größten Anteil an der Säureneutralisationska-pazität. Im Mittel enthalten die potenziell SSM des nieder-sächsischen Küstenholozäns etwa 2 bis 3 Gew.-% säurebildenden Schwefel, aber auch Gehalte bis 9 Gew.-% wurden beobachtet (DELLWIG et al. 1999). Es ist zu beachten, dass aus pyrithaltigen Materia-lien, deren Säureneutralisationskapazität größer ist als das Säurebildungspotenzial, trotzdem große Mengen an Sulfat freigesetzt werden können. Empfehlungen zur Laboranalytik für die Nettosäu-reneutralisationskapazität (ermittelt aus Säurebil-dungspotenzial und Säureneutralisationskapazität) werden in den Geofakten 25 erläutert.

4. Erkennungsmerkmale von aktuell und potenziell SSM

Hinweise auf das Vorliegen von potenziell SSM sind zum Teil aus Geländemerkmalen abzuleiten. Eine Abwesenheit der Merkmale ist allerdings kein Ausschlusskriterium. Mögliche, aber nicht zwin-gende Hinweise können sein: • Allgemein:

o teilweise zersetzte (häufig geschwärzte) Pflanzenreste, in der Regel über 8 Gew.-% organische Substanz, oder über- bzw. durchschlickte Niedermoortorfe,

o anaerobe, wassergesättigte Bedingungen, i. d. R. weichplastische Konsistenz,

o H2S-Geruch.

• Bei Mineralböden: o graue bis grünlich-graue Farben, häufig mit

schwarzen Flecken oder schwarze Ausfäl-lungen an Poren oder tiefschwarze Farben im ganzen Horizont (FeS),

o klastische Sedimente mit >45 % Ton und höheren Gehalten an organischer Substanz (>8 %),

o klastische Sedimente mit >30 % Ton im Kontakt mit Torfschichten.

Aktuell SSM entsteht durch Oxidation v. a. von Pyrit in belüfteten Bereichen und ist oft an folgen-den Merkmalen zu erkennen: • charakteristische blass- bis schwefelgelbe

Flecken von Jarosit (Maibolt) in einer sonst grauen oder bräunlichen Matrix, in der Regel im mehr oder weniger aeroben Unterboden oberhalb des Grundwasserspiegels, d. h. im Go- bzw. Go/r-Horizont,

• extreme Versauerung der ggf. jarosithaltigen Horizonte,

• hohe Gehalte an löslichem Eisen bzw. ausge-fallenen Eisen(hydr)oxiden im Dränwasser, starke Verockerung von Dränrohren und Drängräben.

• Aktuell sulfatsaure Niedermoortorfe zeigen häufig keine Jarositbildung. Hier ist ein Ver-dacht bei niedrigem pH-Wert (<4) gegeben.

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5. Vorerkundung anhand der beiden Auswertungskarten „Sulfatsaure Böden“

Die Böden, Torfe und Sedimente im Bereich der Marschen, Moore und Watten der niedersächsi-schen Küstengebiete unterscheiden sich sehr stark in ihrem Versauerungspotenzial. Die beiden Auswertungskarten „Sulfatsaure Böden in nieder-sächsischen Küstengebieten 1 . 50.000“ dienen der Vorerkundung bei geplanten Baumaßnahmen. Sie geben Hinweise auf das örtliche Versaue-rungs- bzw. Gefährdungspotenzial. In Karte 1 (s. Kap. 5.1) werden „Sulfatsaure Böden Tiefenbe-reich 0–2 m“ und in Karte 2 (s. Kap. 5.2) „Sul-fatsaure Böden unterhalb von 2 m Tiefe“ (bis zur Basis des Küstenholozäns) dargestellt. Beide Kar-ten sind auf dem NIBIS®-Kartenserver des LBEG (https://nibis.lbeg.de/cardomap3) bei den The-menkarten Bodenkunde zu finden. Die Karten betreffen verschiedene Tiefenbereiche und beruhen auf unterschiedlichem Kartenmateri-al. Karte 1 basiert auf der „Bodenkarte von Nie-dersachsen“ 1 : 50.000 (BK 50). In der BK 50 wer-den allein für die Marsch etwa 1.000 Kartiereinhei-ten unterschieden. Karte 2 basiert auf der „Geolo-gischen Küstenkarte – Profiltypen der Küstenho-lozäns“ 1 : 25.000 (GPTK 25). Die GPTK 25 unter-scheidet für den Tiefenbereich unterhalb von 2 m Tiefe bis zur Holozänbasis insgesamt 12 verschie-dene Sedimentsequenzen (STREIF 1998). Im Fol-genden soll die Ableitung der Legendeneinheiten bzw. Gruppen von „Sulfatsauren Böden“ aus die-sen Grundlagenkarten beschrieben werden. Für die Erstellung der Auswertungskarten wurden die Kartiereinheiten der BK 50 und die Sediment-sequenzen der GPTK 25 insgesamt acht Gruppen von „Sulfatsauren Böden“ zugeordnet. Die Legen-de wurde im Grundsatz als Ampelkarte anhand des Gefährdungspotenzials (rot = hohe bis sehr hohe Gefährdung, gelb = mittlere Gefährdung, grün = geringe Gefährdung) konzipiert (Tab. 1). Die drei Hauptgruppen unterscheiden sich in ihrem Gefährdungspotenzial und den dazu empfohlenen Maßnahmen für Kartierung und Analytik. Unter-gliederungen der drei Gefährdungsklassen nach der Entstehung, der Art oder der Lagerung der Gesteine werden mit Schraffuren über den Grund-farben sichtbar. „Spezielle Hinweise“ in Tabelle 1 beziehen sich z. B. auf das Erkennen des Gefähr-dungspotenzials vor Ort oder die spezielle Lage der betroffenen Bereiche in einem Areal.

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Tab. 1: Legendeneinheiten der beiden Karten der „Sulfatsauren Böden“ mit einer Kurzbeschreibung, der Einstufung des Gefährdungspotenzials, empfohlenen Maßnahmen und speziellen Hinweisen.

Gruppe der

„Sulfatsauren Böden“ Beschreibung

Einstufung des

Gefährdungs-potenzials

Empfohlene Maßnahmen

für Kartierung und Analytik

Spezielle Hinweise zur Bestimmung der Lage und des Gefährdungspotenzials

Kürzel Kurztext

SSM = sulfatsaures Material

GR_1A kalkfreies, aktuell und

potenziell SSM Material mit hohen Schwefelgehalten

(lagunäre oder stark humose, tonreiche Sedimente) sehr hoch

flächige Erkundung mit engem Raster und

tiefenorientiert (s. Geofakten 25)

z. T. Auftreten aktuell hoher Bodenversauerung (häufig erkennbar an Jarosit)

GR_1B kalkhaltiges Material über

potenziell SSM

natürliches oder anthropogenes, kalkhaltiges Material über Material mit hohen Schwefelgehalten (lagunäre oder stark humose, tonreiche

Sedimente), z. T. über Hoch- oder Niedermoortorfen

unten sehr hoch, oben gering bis

mittel

potenziell sehr hohe Bodenversauerung bei Material aus dem unteren Bereich

GR_1C

aktuell und potenziell SSM aus mineralischen Anteilen

und Torfen

Material mit hohen Schwefelgehalten (lagunäre oder stark humose, tonreiche Sedimente im Wechsel mit Torfen, häufig lagunäre Sedimente

und mächtigere Torfe im Untergrund, Material mit anthropogener Durchmischung wie z. B. Spittkulturen)

hoch bis sehr hoch

z. T. Auftreten aktuell hoher Bodenversauerung (häufig erkennbar an Jarosit, außer in Torfen)

GR_2A Niedermoortorfe im Küs-

tenholozän, z. T. mit SSM

Torfe, z. T. mit mineralischen Einspülungen; geringer Flächenanteil; auch Areale mit schwefelärmeren, fluviatilen Ablagerungen

im Tiderückstau über Torfen

örtlich mittel bis hoch

Erkundung (s. Geofakten 25) bei

begründeten Hinweisen im Bodenprofil wie

schwarzes Eisensulfid, Jarosit und/oder Eisen-ausfällungen (Feststel-lung durch bodenkund-

liches Fachpersonal) oder bei gehemmtem

Pflanzenwachstum

Versauerung insbesondere im Wechsel von Schlick zum Torf; Vorkommen gehäuft in räumlicher Nähe zu

GR_1C

GR_2B kalkfreies toniges Material;

örtlich mit SSM

schluffig-tonige Ablagerungen der Uferwälle und deren Hinterländer (epilitorale Sedimente) und alte eingedeichte Gebiete

(Groden vor dem 17. Jh.) und schwefelärmere lagunäre Ablagerungen im Bereich des Tiderückstaus

örtlich mittel bis hoch

Auftreten von Material mit hohen Schwefelgehalten (potenziell sulfatsauer) mit geringem Flächenanteil, insbesondere an offenen oder einplanierten alten

Gräben, Grüppen, Sielen oder Drainagen; z. T. Auftreten aktuell hoher Bodenversauerung

(hier häufiges Auftreten von Jarosit)

GR_2C

kalkhaltiges toniges Material, z. T. mit erhöhten

Schwefelgehalten

schluffig-toniges, kalkhaltiges oder nur schwach entkalktes Material, häufig unter Grundwasser- oder Tideeinfluss (Schlickwatt); im Bereich von Boden-

entnahmen für Ziegeleien und Deichbau gestörte Lagerung und Eintrag humusreichen Materials und reduzierte Verhältnisse durch Vernässung

mittel (nur örtlich)

insbesondere bei Auftreten von schwarzem Eisensulfid (FeS)

GR_2D

toniges Material, z. T. mit erhöhten Schwefelgehalten in den oberen Dezimetern

Material mit z. T. erhöhten Schwefelgehalten (stark humose, tonreiche Sedimente), maximal bis in eine Tiefe von 60 cm

mittel (nur örtlich)

Prozesse der Schwefeldynamik und Versauerung sind häufig abgeschlossen, daher kein nachhaltiges Versauerungspotenzial; potenziell SSM nur bei

oberflächennahem Grundwasserstand

GR_3A Hochmoortorfe im

Küstenholozän mächtige Hochmoortorfe, z. T. über Niedermoortorfen und Mudden,

überwiegend ohne Material mit hohen Schwefelgehalten gering Erkundung

nur in Ausnahmefällen sinnvoll

(s. spezielle Hinweise)

weitgehend keine Bildungsbedingungen für SSM; Erkundung insbesondere bei tiefliegenden Hochmooren unter 0 m ü. NHN und/oder

mineralischen Einspülungen

GR_3B schwefelarmes, verbreitet

kalkhaltiges Material

junges schwefelarmes, verbreitet kalkreicheres Material, Ablagerungen der jung eingedeichten Gebiete (Groden ab dem 17. Jh.), schluffig-feinsandige kalkhaltige Wattablagerungen,

schwefelarme fluviatile Ablagerungen im Bereich des Tiderückstaus

gering

aufgrund geringer Schwefel- und hoher Kalkgehalte wird oder wurde die Versauerung gepuffert;

Schwefelgehalte (Eisensulfide) evtl. erhöht im Grundwasserbereich (Gr-Horizonte); bei räumlicher Nähe zu GR_1 kann örtlich Versauerung auftreten

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Geofakten 24 7

Hilfreiche Zusatzinformationen zu den Bedingun-gen in einem bestimmten Areal lassen sich auf dem NIBIS®-Kartenserver des LBEG finden. Das Einbeziehen dieser Zusatzinformationen wird im Einzelfall empfohlen, da damit auch die zu ergrei-fenden Maßnahmen besser eingeschätzt werden können. Für Karte 1 handelt es sich um die um-fassenden Informationen der „Bodenkarte von Niedersachsen“ 1 : 50.000 (BK 50) sowie der Bo-denschätzungskarte 1 : 5.000 (beide im NIBIS®-Kartenserver bei den Themenkarten Bodenkunde). Als Beispiel kann die Gruppe GR_2C (kalkhaltiges toniges Material, z. T. mit erhöhten Schwefelgehal-ten) genannt werden. Diese Einheit wurde im Schlickwatt und im Bereich von älteren Bodenent-nahmen zugewiesen. Beide Bereiche könnten ggf. von Baumaßnahmen oder von einer Rohstoffge-winnung betroffen sein. Die konkrete Information ist verfügbar, wenn im Kartenserver neben der Karte „Sulfatsaure Böden Tiefenbereich 0–2 m“ auch das Thema BK 50 eingeschaltet wird. Mit dem Mausklick auf die betroffene Fläche werden beide Informationen in einem Zusatzfenster sicht-bar. Unter den weiteren Informationen zur BK 50 kann darüber hinaus das Schichtprofil des hinter-legten Bodenprofils angezeigt werden. Auch für Karte 2 („Sulfatsaure Böden unterhalb von 2 m Tiefe“) sind Zusatzinformationen im NIBIS®-Kartenserver abrufbar. Prinzipiell sollte Karte 2 hinzugezogen werden, wenn eine geplante Baumaßnahme bzw. Grundwasserabsenkung Auswirkungen auf eine Tiefe unterhalb von 2 m haben kann. Karte 2 liegt allerdings nur für den westlichen Küstenraum Niedersachsens vor, da deren Grundlage, die GPTK 25, von Cuxhaven bis Hamburg nicht erarbeitet wurde. Hinweise in die-sen Gebieten können die Bohrungen der NIBIS®-Bohrdatenbank geben, und ggf. ist der Bereich unterhalb von 2 m Tiefe durch eine neue Bohrung zu erkunden.

Zusammen mit Karte 2 sollte auch die „Geologi-sche Küstenkarte – Relief der Holozänbasis“ (wie die GPTK 25 im NIBIS®-Kartenserver bei den Themenkarten Geologie) herangezogen werden. Hier werden die Oberfläche der Holozänbasis und damit die ungefähre Mächtigkeit der holozänen, potenziell sulfatsauren Sequenzen beschrieben. Beispiel: Bei einer Höhe von 0,5 m ü. NHN und einer Höhe der Holozänbasis von 5 m ist das po-tenziell sulfatsaure Material etwa 5,5 m mächtig. Tiefer als ungefähr 6 m sind somit eher keine sul-fatsauren Materialien zu erwarten. Zumindest ist das Auftreten dort unwahrscheinlicher. Gegebe-nenfalls ist die Information durch eine neue Boh-rung abzusichern.

5.1. Die Karte „Sulfatsaure Böden Tiefenbereich 0–2 m“

Die Karte „Sulfatsaure Böden Tiefenbereich 0–2 m“ in der seit Anfang 2018 vorliegenden Version (Abb. 2, Ausschnitt in Abb. 3) beruht auf der Bo-denkarte von Niedersachsen im Maßstab 1 : 50.000 (BK 50). Diese Bodenkarte wurde für die Marschen in den Jahren 2011 bis 2014 neu erstellt. Da die Schwefeldynamik auch für die Bo-denentwicklung in den Sedimenten des Küstenho-lozäns eine herausragende Bedeutung hat, wurde dieser Faktor besonders berücksichtigt und fest in den Kartiereinheiten der BK 50 integriert. Damit wurde gleichzeitig die wesentliche Grundlage für die Auswertung im Hinblick auf die Gefährdungs-potenziale der Sulfatsauren Böden geschaffen.

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Abb. 2: Die Karte „Sulfatsaure Böden Tiefenbereich 0–2 m“, Übersichtsdarstellung im Kartenserver des LBEG

(Legende s. Tabelle 1).

Abb. 3: Die Karte „Sulfatsaure Böden Tiefenbereich 0–2 m“, Detaildarstellung im Kartenserver des LBEG

mit Ausschnitt aus dem Kehdinger Land (Legende s. Tabelle 1).

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Bei Betrachtung der Flächenanteile der acht Gruppen der „Sulfatsauren Böden“ (Abb. 4) im Tiefenbereich 0–2 m zeigt sich, dass rund 280.000 ha nicht oder nur untergeordnet von der Problematik der Versauerung betroffen sind. Dies umfasst die überwiegenden Gebiete des Watts sowie die Hochmoorareale (GR_3A und GR_3B).

Bei etwa 140.000 ha ist von einem hohen bzw. sehr hohen Gefährdungspotenzial auszugehen (GR_1A bis GR_1C), so dass hier eine flächenhaf-te Erkundung notwendig ist (s. Geofakten 25). Bei ca. 170.000 ha (GR_2A bis GR_2D) ist eine Er-kundung bei begründeten Hinweisen nach Tabel-le 1 erforderlich.

Abb. 4: Arealgrößen der Gruppen der „Sulfatsauren Böden Tiefenbereich 0–2 m“.

Im Grundsatz basiert die Ableitung der acht Le-gendeneinheiten bzw. Gruppen nach Tabelle 1 auf den Eigenschaften der Bodenhorizonte der BK 50. Versauerungsrelevante Eigenschaften sind die Gehalte an reduzierten Schwefelverbindungen und Kalk (s. Kap. 1–4), deren Verbreitung hier verall-gemeinert skizziert werden soll: Prinzipiell steigt in den marinogenen Sedimenten der Gehalt an or-ganischer Substanz mit dem Tongehalt bis auf etwa 6–10 % an. Ältere und tiefer gelegene tonige Ablagerungen sind in der Regel etwas kohlenstoff-reicher. Im brackischen (also salzärmeren) Milieu steigen die Gehalte oft auf über 8 % organische Substanz an (nach DELLWIG et al. 1999). Mit stei-genden Tongehalten steigen meistens auch die Kalkgehalte. Der primäre Kalkgehalt der Sedimen-te ist in den jüngeren Sedimenten meist deutlich höher als in den älteren. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren können unter Einbeziehen der Wasserstände die Bodenhorizonte in Bezug auf die aktuelle und potenzielle Versauerung einge-stuft werden. Aus den Horizontfolgen ergeben sich bei ggf. Über- oder Unterlagerung oder Wechsel-

lagerungen der Horizontbewertungen verschiede-ne Versauerungstypen. Diese wurden den Grup-pen der Sulfatsauren Böden zugeordnet. Die Auswertung ist aus folgenden Gründen mög-lich: • Bei der Erstellung der BK 50 für die Marsch

wurden die im vorherigen Absatz genannten Faktoren und Hinweise auf aktuell sulfatsaure Böden (z. B. Vorkommen von Jarosit) beson-ders berücksichtigt.

• Die bestimmenden Faktoren Bodenart, Kalk-gehalt und Humusgehalt wurden in Abhängig-keit vom Ausgangsmaterial beschrieben.

• Die Wasserstände im Bodenprofil werden nutzungsspezifisch in der BK 50 abgebildet. Dies ist möglich, weil die Bodenwertzahlen und Bodenarten der Bodenschätzung, historische Landnutzungen und Kultureinflüsse, die Geschichte der Eindeichung und Landverluste (historische Deichlinien) und Informationen aus digitalen Höhenmodellen (DGM 5) oder Luftbil-dern berücksichtigt wurden.

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• Die BK 50 beruht auf einem landschafts- und bodengenetischen Konzept. Auf dieser Basis wurden Ablagerungen aus den vier Phasen der Landschaftsentwicklung räumlich verortet. Die Inhalte und die Verbreitung sind genetisch konsistent (s. Kap. 5.3).

• Für die Erstellung der BK 50 wurden darüber hinaus Kartierungen (einschließlich Untersu-chung ausgewählter Baggerschürfe) und Geländebereisungen durchgeführt, um die Auswertungen aus den Konzeptkarten zu überprüfen bzw. die Inhalte genauer zu fassen.

Für die Erstellung der BK 50 in der Marsch wurden die folgenden Unterlagen ausgewertet: • Daten der Bodenschätzung, • Digitales Höhenmodell von Niedersachsen im

Raster von 12,5 m (DGM 5) • Bodenkarte von Niedersachsen 1 : 25 000

(BK 25), • Geologische Karte von Niedersachsen

1 : 50 000 (GK 50), • Deichlinien aus historischen Karten, • Bodenübersichtskarte von Niedersachsen

1 : 50 000 (BÜK 50), • Geologische Küstenkarte von Niedersachsen –

Profiltypen des Küstenholozäns (GPTK 25).

Bei der Bewertung der Inhalte wurde eine Hierar-chie für die verwendeten Daten festgelegt. Die Informationen der BK 25 und die Daten der Bo-denschätzung flossen gleichberechtigt ein. Da die Schwefeldynamik eine besondere Bedeutung für die Böden der Marsch hat, wurden entsprechende Hinweise vollständig übernommen und in Wert gesetzt. Informationen aus der GK 50 wurden vor allem dort benötigt, wo aus der BK 25 und den Daten der Bodenschätzung nur unzureichende Informationen vorliegen (s. o.). Genauere Erläute-rungen zu den Informationsgrundlagen und der Umsetzung für die BK 50 finden sich in GEHRT et al. (2011) und in verschiedenen Dokumentatio-nen zur BK 50.

5.2. Die Karte „Sulfatsaure Böden unterhalb von 2 m Tiefe“

Die zweite Auswertungskarte beruht ausschließ-lich auf der Geologischen Küstenkarte (auch: Pro-filtypenkarte des Küstenholozäns) von Nieder-sachsen (GPTK 25). Diese Karte liegt für das Ge-biet zwischen Weserästuar und Ems vor (Abb. 5). Die nicht bearbeiteten Bereiche sind in der Aus-wertungskarte grau gekennzeichnet („keine Infor-mation“). Wie die Grundlagenkarte (GPTK 25) erlaubt Karte 2 zu den „Sulfatsauren Böden“ Aus-sagen von 2 m bis zur Basis des Küstenholozäns. Neben der Karte der Profiltypen ist im Zusammen-hang mit den Sulfatsauren Böden auch das Relief bzw. die Oberfläche der Holozänbasis von Bedeu-tung, da hiermit die Mächtigkeit des relevanten Sedimentkörpers bestimmt werden kann.

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Abb. 5: Die Karte „Sulfatsaure Böden unterhalb von 2 m Tiefe“ bis zur Basis des Küstenholozäns,

Übersichtsdarstellung im Kartenserver des LBEG (Legende s. Tabelle 1). In den grau gekennzeichneten Bereichen sind bislang keine Daten und

Einstufungen des Gefährdungspotenzials verfügbar (s. Text).

Die GPTK 25 stellt die generelle Abfolge der Abla-gerungen sowie die Verzahnung von sandigen, schluffigen und tonigen Meeres-, Watt- und Brackwasserablagerungen mit den in Küstenmoo-ren gebildeten Torfen dar. Bei der Auswertung wurden die geologischen Profiltypen bzw. Se-quenzen den Legendeneinheiten bzw. Gruppen der Sulfatsauren Böden (Tab. 1) zugeordnet (Abb. 6). Die drei Hauptprofiltypen und zwölf Ne-benprofiltypen und der schematisierte geologische Schnitt beschreiben den Schichtenaufbau sowie die Lagebeziehungen der klastischen bzw. organi-schen Sequenzen des Küstenholozäns zueinander (Abb. 6, nach STREIF 1998). Sie vermitteln ein ge-neralisiertes Bild von der lateralen Verbreitung und vertikalen Abfolge der Küstenablagerungen. Über-wiegend handelt es sich dabei um tonig-schluffige, z. T. auch sandige Watt- und Brackwassersedi-mente, die vom Meer und von Flüssen in den Küs-tenraum eingefrachtet wurden, bzw. um Torfe, die in Küstenmooren akkumuliert worden sind.

Karte 2 wurde im Gegensatz zu der Karte für den Tiefenbereich 0–2 m im Jahr 2018 nicht neu über-arbeitet, es wurden nur die neuen Legendenein-heiten bzw. Gruppen der Sulfatsauren Böden (s. Tab. 1) zugeordnet.

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Abb.

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5.3. Der landschaftsgenetische Zusammenhang

Zum Verständnis der Sulfatsauren Böden und de-ren Verbreitung ist es hilfreich, einige landschafts-genetische Zusammenhänge zu kennen. Im Fol-genden werden die Phasen der Landschaftsgene-se näher erläutert und die Gruppen der „Sulfatsau-ren Böden“ diesen Phasen zugeordnet. Um kon-krete Angaben am jeweiligen Standort zu erhalten, ist es sinnvoll, wie schon angesprochen, weitere Informationen – insbesondere aus der BK 50 – im Kartenserver des LBEG abzufragen.

5.3.1. Phasen der Landschaftsentwicklung Vereinfacht verlief die Landschaftsentwicklung in den letzten ca. 4.000 Jahren in vier Phasen. Be-gründet sind diese Phasen im Verlauf des Mee-resspiegelanstiegs (aufgrund der Eisschmelze nach der letzten Eiszeit) und in der Kultivierung durch den Menschen (s. Kap. 5.4). Die Eigen-schaften der in diesen Phasen abgelagerten Se-dimente und die Bodenentwicklungen unterschei-den sich stark hinsichtlich der Schwefelgehalte und -dynamik. Weitergehende Ausführungen fin-den sich in GEHRT et al. (2011).

Phase 1: Altlandschaft bis 400 v. u. Z. – Lagunäre Phase Vor etwa 4.000 Jahren verlangsamte sich der zu-vor sehr schnelle Meeresspiegelanstieg. Im Küs-tensaum der südlichen Nordsee lagerten sich bei nur geringem Tidehub von wenigen Dezimetern im Bereich des mittleren Tidehochwassers (MTHW) schluffig-tonige Sedimente ab. Auf den heutigen Meeresspiegel bezogen, liegen die Areale um et-wa -1 m ü. NHN. Unter dem Einfluss der Nieder-schläge kam es nach Aussüßung zur Ausbreitung von Schilf und z. T. Weiden- und Erlengebüschen. Die Vegetationsreste dieser Sumpflandschaft wur-den über die Zeit im Sediment eingeschlossen. Diese pflanzenrestreichen Sedimente werden als lagunäre Sedimente bezeichnet. Bei hohen Was-serständen mit reduzierenden Bedingungen wurde der Schwefel zu FeS und FeS2 (Pyrit) umgewan-delt und angereichert. Bei diesen Böden handelt es sich überwiegend um schwefelreiche Organo-marschen. Sie machen den Hauptflächenanteil der Legendeneinheiten mit hohem bis sehr hohem Gefährdungspotenzial (GR_1A und GR_1C) aus. Werden diese entwässert und damit belüftet, kommt es oft zur Bildung von Jarosit und zur ggf. starken Versauerung der oxidierten Horizonte (ak-tuell SSM).

Phase 2: Bis 1100 u. Z. – Phase der Uferwälle und epilitoralen Sedimente Ab etwa 400 v. u. Z. kam es bei weiter ansteigen-dem Meeresspiegel entlang der Flüsse durch Sturmflutereignisse zur Bildung von Uferwällen. Diese bildeten mit heutigen Höhen um etwa 0,5 m ü. NHN eine natürliche Abdämmung des Hinter-landes. Im Hinterland (epilitoral) wurden schluffig-tonige Sedimente abgelagert (epilitorale Sedimen-te). Nach der Ablagerung kam es im Oberboden relativ schnell zur Pyritoxidation und bei geringen Kalkgehalten zur vollständigen Entkalkung (initiale Bodenentwicklung der Marsch). Bei hoher Vernäs-sung bildeten sich darüber hinaus geringmächtige Torfdecken, die entweder als Zwischenlage oder als oberste Schicht die Sedimentfolge abschlie-ßen. Die epilitoralen Sedimente weisen bei hohem Ton- und Kohlenstoffgehalt und gleichzeitig hoher Vernässung häufig reduzierte Bedingungen auf und führten daher oft ebenfalls zur Anreicherung von FeS und Pyrit.

Phase 3: Bis ca. 1600 u. Z. – Phase der alten Groden Ab 1100 u. Z. griff der Mensch mit dem Deichbau massiv in die Entwicklung der Landschaft ein. Zu-vor wurde Hochwasserschutz für Siedlungen aus-schließlich durch Anlage von Wurten und kleinen Ringdeichen betrieben, die nur lokale Auswirkun-gen hatten. Durch die geschlossenen Landesdei-che und die Abdeichung bei der Neulandgewin-nung (Groden, Höhe um ca. 1 m ü. NHN) wurden die Retentionsräume für Sturmfluten einge-schränkt. Dies hatte Deichbrüche und massive Landverluste zur Folge. In den alten Groden läuft wie in den Uferwällen die initiale Bodenentwick-lung der Marsch. Schwefel wird ggf. in den Gr-Horizonten angereichert oder mit dem Sickerwas-ser abgeführt. Die Bereiche mit Landverlusten wurden unter Tideeinfluss (Wattrinnen) mit fri-schem, kalkhaltigem Material wieder aufsedimen-tiert. Da diese Bereiche tief liegen und die Böden bis oben wassererfüllt sind, unterbleibt zunächst die initiale Bodenentwicklung.

Phase 4: Bis 1970 u. Z. – Phase der jungen Groden Ab 1600 u. Z. bis ins 20. Jahrhundert wurde bei moderatem Meeresspiegelanstieg die Neulandge-winnung intensiviert. Insbesondere Gebiete mit historischen Landverlusten (z. B. Harlebucht, Ley-bucht) wurden durch gezielte Maßnahmen der Landgewinnung erfolgreich neu eingedeicht. In diesen Gebieten ist erkennbar, dass die Höhenla-

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ge der Oberflächen in den Groden oder Polderflä-chen dem Meeresspiegel folgend ansteigt (sog. Marschentreppe). In den jüngsten Groden finden sich daher Höhen über ca. 2 m. ü. NHN. Die pri-mären Kalkgehalte der jüngeren Ablagerungen sind mit im Mittel etwa 8–12 % höher als in den älteren Groden und Uferwällen. Hier führt die ini-tiale Bodenentwicklung mit der Schwefeldynamik nur zur partiellen Entkalkung. Die hier oft anzutref-fenden, sogenannten Kalkmarschen haben im Go-Horizont einen Restkalkgehalt von im Mittel etwa 4 bis 6 %.

5.3.2. Die Gruppen der Sulfatsauren Böden im landschaftsgenetischen Kontext

Die Sulfatsauren Böden der Legendeneinheiten bzw. Gruppen GR_1A und GR_1C entstanden im Wesentlichen in Phase 1 und früher. Es handelt sich um lagunäre Sedimente mit nur geringmäch-tigen Überdeckungen aus jüngeren tonigen Sedi-menten (GR_1A) bzw. Niedermoortorf oder Wech-sellagerungen von klastischen Sedimenten und Torf (GR_1C). Wurden die alten Groden (Phase 3) über lange Zeit nicht mit Deichen geschlossen, konnten sich bei anhaltender Sedimentation Schilfbestände etablieren. Dadurch entstanden wie in Phase 1 schwefelreiche lagunäre Bildun-gen. Eng vergesellschaftet sind in diesen Gebieten Niedermoore, die z. T. mit Schlick durchsetzt sind (GR_2A). Ein mittel bis hohes Versauerungspo-tenzial ist hier örtlich gegeben, wenn Pyrit bzw. allgemein Eisensulfide in höheren Konzentrationen vorliegen. In einigen Bereichen wurden diese Sedimente mit kalkhaltigen Sedimenten überdeckt (GR_1B). Größere Bereiche sind die künstlich angelegten Spülfelder von Riepe westlich von Emden sowie Bereiche südöstlich des Jadebusens und im südli-chen Land Hadeln mit kalkhaltigen jungen Über-deckungen nach Sturmfluten aus Phase 3. Ver-gleichbare Bedingungen können auch nach einem Bodenabtrag für die Gewinnung von Ziegeleiton oder für den Deichbau auftreten. Die Sulfatsauren Böden der Gruppe GR_2B bilde-ten sich im Wesentlichen in den Phasen der Ufer-wälle (Phase 2) und der alten Groden (Phase 3). Der vorhandene, geogene Pyritschwefel wurde schnell oxidiert, die freigesetzte Schwefelsäure weitgehend durch Kalk gepuffert und das Sulfat aus der Schwefelsäure mit dem Sickerwasser in tiefere Bodenhorizonte verlagert und abgeführt (initiale Bodenentwicklung der Marsch). Das heuti-

ge Versauerungspotenzial ist eher gering. Insbe-sondere in der Nähe von alten Sielen, Gräben oder Grüppen finden sich bei reduzierenden Be-dingungen allerdings erhöhte Sulfid- und ggf. auch Pyritgehalte mit mittlerem bis hohem Versaue-rungspotenzial. Zusätzlich wird hier über die Drai-nage sulfathaltiges Wasser eingetragen. Im 20. Jahrhundert wurden die Marschhufenbeete (s. u.) durch den Ackerbau wieder eingeebnet. Der Aus-hub aus den Grüppen ist oft als potenziell sul-fatsauer einzustufen. Diese Areale sind überwie-gend nur kleinräumig vorhanden. In den tidal beeinflussten Wattrinnen, die nach Deichbrüchen verblieben, sind die Sedimente kalkhaltig (GR_2C). Die initiale Bodenbildung ist nur zum Teil abgelaufen. Aufgrund geringerer Ge-halte an Ton und organischer Substanz ist hier das Versauerungspotenzial nur als mittel einzustu-fen. Andererseits finden sich hier im Unterboden örtlich Anreicherungen von schwarzen Eisensulfi-den mit Versauerungspotenzial. Die Ablagerungen im Watt unterliegen einer ver-gleichsweise hohen Dynamik. Das heutige Ver-breitungsbild der Sedimente ist wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten entstanden und wurde vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Was-serwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (RAGUTZKI 1980) kartiert. Zu den Ablagerungen im Watt lie-gen in weiten Bereichen nur Angaben zu den obe-ren Dezimetern des Sedimentes vor. Die kalkhalti-gen Ablagerungen in den jungen Groden sind der Gruppe GR_3B zugeordnet. Das Sand- und Mischwatt und Ablagerungen von sogenanntem Muschelschill sind überwiegend kalkhaltig und kohlenstoffarm. Hier ist kein oder nur ein geringes Versauerungspotenzial gegeben (GR_3B). Das Schlickwatt ist ton- und kohlenstoffreicher. Damit ist auch ein höherer Schwefelgehalt verbunden (s. Kap. 2.1). Aus diesem Grund wurde das Schlick-watt der Gruppe GR_2C zugeordnet. In einigen Bereichen der Marsch wuchsen im Ho-lozän Hochmoore auf. Wenn diese über dem Ein-flussbereich der Sturmfluten liegen oder nur gering durch diese beeinflusst wurden, sind sulfatsaure Bedingungen in den Hochmoortorfen unwahr-scheinlich (GR_3A). Anders ist dies bei Hochmoo-ren in Höhen, die unter +/-0 m ü. NHN liegen. Die-se können durch das Einspülen von Schlick beein-flusst sein, wodurch auch das Versauerungspo-tenzial ansteigt. Diese Flächen wurden in GR_1C integriert, denn hier sind nähere Untersuchungen notwendig.

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5.4. Anthropogene Einflüsse In den vergangenen 150 Jahren kam es durch menschliche Einflüsse vermehrt zu Veränderun-gen der natürlichen Profile und zur Regulation der Wasserstände. Zu nennen sind Moorkulturen, Auf-träge und Spülflächen sowie Abgrabungen mit jeweils spezifischer Einstufung des Gefährdungs-potenzials. Zu diesen Arealen gibt es in der BK 50 ggf. spezifische Angaben.

5.4.1. Agrarstrukturelle Veränderungen Schon im 19 Jahrhundert wurden südöstlich des Jadebusens sogenannte Spittkulturen zur Brenn-stoffgewinnung aus Schwarztorf angelegt (vgl. BK 50). Durch das Umschichten wurden unter dem Torf liegende lagunäre Sedimente nach oben geholt. Die Profile sind durch ein streifenförmiges Muster von umgelagerten Torfgräben und klasti-schen Bereichen gekennzeichnet (GR_1C). Neben der natürlichen Überschlickung, wie in Ka-pitel 5.3 beschrieben, entstanden durch Auftrag von Klei die sogenannten Moormarschen. Ziel war es, die Moore trittfest und vielleicht auch ackerfä-hig zu machen. Insbesondere im Kontaktbereich der Kleidecke zum liegenden Torf können sul-fatsaure Bedingungen auftreten (GR_1C). Im Bereich der Marsch befinden sich Spülflächen von unterschiedlicher Größe. Das größte Gebiet liegt östlich von Emden bei Riepe. Hier wurden kalkhaltige Schlämme aus dem Emdener Hafen über alten Ablagerungen der Phase 1 aufgespült. Somit findet sich hier junges kalkhaltiges Spülgut über lagunären oder torfigen Ablagerungen (GR_1B). In anderen kleineren Spülflächen wurde sulfatsaures Material nass oder trocken deponiert (GR_1A). Hier ist das Versauerungspotenzial sehr hoch. Insbesondere im Raum Emden und an der Jade (z. B. JadeWeserPort) wurden große Gebiete für Industrieanlagen aufgespült. Diese eher mächti-gen, sandigen und kalkhaltigen Aufträge haben nur ein geringes Versauerungspotenzial (GR_3B). Im Bereich der Uferwälle wurde außerdem häufig Material für Ziegeleien oder den Deichbau abge-graben. Im Zuge dieser Rohstoffgewinnung wur-den zunächst die oberen Dezimeter beiseitegelegt, dann der Klei entnommen und anschließend der erste Abtrag wieder eingebracht. Die Abtragflä-chen liegen nach Abschluss etwa 0,5 bis 1 m tiefer als die natürliche Oberfläche und sind dadurch häufig vernässt. Damit sind oberflächennah redu-zierende Bedingungen als Voraussetzung für eine Schwefelreduktion gegeben. Die Areale sind weit-

gehend kalkarm. Das Versauerungspotenzial ist als mittel einzustufen (GR_2C). Insbesondere bei älteren Abgrabungen ist bei reduzierten schwar-zen Schwefelverbindungen oder Jarosit auch eine flächenhafte Erkundung mit engem Raster not-wendig.

5.4.2. Bedeutung der Regulation der Wasserstände

Für die Schwefeldynamik sind die Wasserstände in den Böden von entscheidender Bedeutung. Sind die Bodenhorizonte fast ganzjährig wasser-gesättigt (Gr-Horizonte), können die Eisen-Schwefel-Verbindungen nicht oxidieren. Es kommt daher nicht zur Versauerung. Unter oxidierenden Bedingungen laufen die Reaktionen der Schwe-feldynamik jedoch oft sehr schnell ab. Zur Beurtei-lung der Auswirkungen der Schwefeldynamik ist die Höhe der Schwefel- und Kalkgehalte (s. Geo-fakten 25) von Bedeutung. Die Wasserstände in der Marsch sind abhängig von der Höhe der Geländeoberfläche und von der Entwässerung durch Siele und Drainagen. Die mittlere Tidehochwasserlinie (MTHW) liegt heute bei etwa 1,3 m ü. NHN. Daraus resultiert, dass oberhalb der MTHW das Wasser der Gräben (Sie-le) auch bei Flut frei abfließen kann und die Böden insbesondere der jungen Groden (Phase 4) ver-gleichsweise tiefe Grundwasserstände aufweisen. Die Prozesse der initialen Bodenentwicklung sind i. d. R. abgeschlossen, und damit ist das System vergleichsweise stabil. Schwefel wird im Unterbo-den als reduziertes, schwarzes Eisensulfid ange-reichert oder über Draine und Siele abgeführt. Dies gilt im Grundsatz auch für die alten Groden (Phase 3). Bei Höhenlagen von 0,5 bis etwa 1 m ü. NHN sind die Wasserstände etwas höher, und die Entwässerung kann nur bei Ebbe erfolgen. Die Kalkgehalte sind etwas geringer als in den jungen Groden. Insbesondere in den nassen Gräben herrschen reduzierende Bedingungen. Schwefel-einträge werden hier im Zusammenhang mit ver-rottenden Pflanzenresten wieder zu Eisensulfid und Pyrit reduziert. Bei Kultur- oder Baumaßnah-men können diese wieder oxidieren und somit zur Versauerung führen. Die Sedimente der Uferwälle und epilitoralen Se-dimente (Phase 2) finden sich in Höhen unter 0,5 m ü. NHN. Auch hier ist eine Entwässerung nur bei Ebbe möglich, oder es werden schon Schöpfwerke eingesetzt. Insbesondere im Bereich der Uferwälle zwischen Cuxhaven und Hamburg

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wurden im 12 Jahrhundert flächendeckend die sogenannten Marschhufenbeete angelegt (s. o.). Die Sedimente der Phase 1 liegen verbreitet unter -1 m ü. NHN. Die klastischen Ablagerungen wer-den häufig von Torfen unter- oder überlagert. Eine Entwässerung ist nur über Schöpfwerke möglich. Die Wasserstände im Boden sind in der Regel hoch. Die Entwässerung bewirkte eine Setzung der Sedimente und eine sekundäre Tieferlegung der Landoberfläche. In einigen Gebieten ist eine Setzung von 1 m und mehr in den vergangenen 100 Jahren nachzuweisen. Diese sekundäre Set-zung macht zur Aufrechterhaltung der Bewirtschaf-tungsfähigkeit eine weitere Entwässerung notwen-dig. In den Bereichen der lagunären Sedimente sind die Schwefelgehalte mit etwa 3 bis 5 % hoch (nach DELLWIG et al. 1999). Aufgrund der hohen Wasserstände sind die Prozesse der Schwefeldy-namik nur bedingt abgelaufen, und damit ist das Versauerungspotenzial sehr hoch. Insbesondere der Übergangsbereich von den lagunären zu den epilitoralen Ablagerungen ist als potenziell sul-fatsauer einzustufen.

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Impressum Die Geofakten werden vom Landesamt für Bergbau, Ener-gie und Geologie (LBEG) herausgegeben und erscheinen unregelmäßig bei Bedarf. Die bisher erschienenen Geofakten können unter http://www.lbeg.niedersachsen.de abgerufen werden. © LBEG Hannover 2020

Version: 03.02.2020 DOI: 10.48476/geofakt_24_2_2018

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