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Geometrie https://www.mi.fu-berlin.de/kvv/course.htm?sid=22&iid=2&cid=9923 — vorl¨ aufiges Skript (ohne Garantie) — — Ich bin sehr dankbar f¨ ur Hinweise auf Fehler, Korrekturen, Erg¨ anzungen, Verbesserungsvorschl¨ age, etc. — — Version vom 26. August 2011 Prof. G¨ unter M. Ziegler Fachbereich Mathematik und Informatik FU Berlin, 14195 Berlin Tel. 030 314-25730 [email protected] http://page.mi.fu-berlin.de/gmziegler/ FU Berlin, Sommer 2011 Diese Vorlesung f¨ ur das Bachelorstudium soll als nat¨ urliche Fortsetzung von Lineare Algebra I und II Fundamente legen f¨ ur Vorlesungen/Zyklen wie Diskrete Geometrie, Algebraische Geometrie und Diffe- renzialgeometrie. Sie behandelt grundlegende Modelle der Geometrie, insbesondere – euklidische, affine, sph¨ arische, projektive und hyperbolische Geometrie, M¨ obiusgeometrie, Polarit¨ at und Dualit¨ at – Strukturgruppen, Messen (L¨ angen, Winkel, Volumina), explizite Berechnungen und – Anwendungen, Beispiele sowie Illustrationsthemen. Dabei werden weitere Bez ¨ uge hergestellt, zum Beispiel zur Funktionentheorie und zur Numerik. Literatur [1] David A. Brannan, Matthew F. Esplen, and Jeremy J. Gray. Geometry. Cambridge University Press, Cambridge, 1999. [2] Gerd Fischer. Lernbuch Lineare Algebra und Analytische Geometrie. Vieweg+Teubner, Wiesbaden, 2011. [3] Boris A. Springborn. Geometry I. Lecture Notes, TU Berlin/Berlin Mathematical School, 2007/08, 59 pp., ftp://ftp.math.tu-berlin.de/pub/Lehre/GeometryI/WS07/ geometry1_ws07.pdf. 1

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Geometriehttps://www.mi.fu-berlin.de/kvv/course.htm?sid=22&iid=2&cid=9923

— vorlaufiges Skript (ohne Garantie) —— Ich bin sehr dankbar fur Hinweise auf Fehler, Korrekturen, Erganzungen,

Verbesserungsvorschlage, etc. —— Version vom 26. August 2011 —

Prof. Gunter M. ZieglerFachbereich Mathematik und Informatik

FU Berlin, 14195 Berlin

Tel. 030 314-25730

[email protected]

http://page.mi.fu-berlin.de/gmziegler/

FU Berlin, Sommer 2011

Diese Vorlesung fur das Bachelorstudium soll als naturliche Fortsetzung von Lineare Algebra I und IIFundamente legen fur Vorlesungen/Zyklen wie Diskrete Geometrie, Algebraische Geometrie und Diffe-renzialgeometrie.Sie behandelt grundlegende Modelle der Geometrie, insbesondere– euklidische, affine, spharische, projektive und hyperbolische Geometrie, Mobiusgeometrie, Polaritat

und Dualitat– Strukturgruppen, Messen (Langen, Winkel, Volumina), explizite Berechnungen und– Anwendungen, Beispiele sowie Illustrationsthemen.

Dabei werden weitere Bezuge hergestellt, zum Beispiel zur Funktionentheorie und zur Numerik.

Literatur[1] David A. Brannan, Matthew F. Esplen, and Jeremy J. Gray. Geometry. Cambridge University Press,

Cambridge, 1999.

[2] Gerd Fischer. Lernbuch Lineare Algebra und Analytische Geometrie. Vieweg+Teubner, Wiesbaden,2011.

[3] Boris A. Springborn. Geometry I. Lecture Notes, TU Berlin/Berlin Mathematical School,2007/08, 59 pp., ftp://ftp.math.tu-berlin.de/pub/Lehre/GeometryI/WS07/geometry1_ws07.pdf.

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Geometrie — FU Berlin Sommersemester 2011 — Skript, Version: 26. August 2011 — Gunter M. Ziegler

Vorbemerkungen

Dies ist nicht nur meine erste Vorlesung an der FU Berlin, sondern auch meine ersten “allge-meine” Geometrie-Vorlesung. Ich will dabei meine Begeisterung fur die Geometrie vermitteln,insbesondere aber Werkzeuge fur die Arbeit mit geometrischen Strukturen vermitteln, die dannin ganz unterschiedliche Richtungen hilfreich sein konnen, insbesondere fur Vorlesungszyklenwie “Diskrete Geometrie I–III” (den ich selber halten werde), Differenzialgeometrie, Alge-braische Geometrie, aber auch fur Vorlesungen wie Geometry Processing und AlgorithmischeGeometrie.Hier kommt ein grober Zeitplan, den wir schrittweise anpassen werden:

1. Euklidische Geometrie, I: Der Rn mit einem Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . .12. April2. Euklidische Geometrie, II: Hochdimensionale Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. April3. Euklidische Geometrie, III: Euklidische Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. April4. Euklidische Geometrie, IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. April5. Affine Geometrie, I: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. April6. Affine Geometrie, II: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28. April7. Kegelschnitte, I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mai8. Kegelschnitte, II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mai9. Quadriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Mai

10. Quadriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Mai11. Projektive Geometrie, I: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Mai12. Projektive Geometrie, II: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Mai13. Projektive Geometrie, III: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Mai14. Projektive Geometrie, IV: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Mai15. Projektive Geometrie, V: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31. Mai16. “Was ist eine Geometrie” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Juni17. “Was ist eine Geometrie” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Juni18. Spharische Geometrie, I: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Juni19. Spharische Geometrie, II: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Juni20. Mobiusgeometrie, I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Juni21. Mobiusgeometrie, II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Juni22. Hyperbolische Geometrie, I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28. Juni23. Hyperbolische Geometrie, II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30. Juni24. Hyperbolische Geometrie, III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Juli25. Hyperbolische Geometrie, IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Juli26. Hyperbolische Geometrie, V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Juli27. Perspektiven der Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Juli

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Geometrie — FU Berlin Sommersemester 2011 — Skript, Version: 26. August 2011 — Gunter M. Ziegler

1 Euklidische Geometrie

1.1 Der Rn mit einem Skalarprodukt

1.1.1 Lineare und affine Unterraume

Modell: Rn reeller Vektorraum mit KoordinatensystemUntervektorraume U ⊆ Rn der Dimension dimU , mit 0 ≤ dimU ≤ n.“Innere Beschreibung”:

U = span{v1, . . . , vr} = {λ1v1 + · · ·+ λrvr : λ1, . . . , λr ∈ R}, mit r ≥ dimU.

Hier gilt r = dimU wenn {v1, . . . , vr} eine Basis ist. Jede (geordnete) Basis liefert uns Koor-dinaten fur U .“Außere Beschreibung”: durch ein homogenes lineares Gleichungssystem

U = {x ∈ Rn : Ax = 0}, mit A ∈ Rm×n, m ≥ n− dimU.

Hier hat A den Rang n − dimU , und es gilt m = n − dimU wenn die Zeilen von A linearunabhangig sind.Affine Unterraume U ⊆ Rn der Dimension dimU , mit −1 ≤ dimU ≤ n, sind die Losungs-mengen von linearen Gleichungssystemen, wobei ∅ als affiner Unterraum der Dimension −1betrachtet wird.“Außere Beschreibung”: U = {x ∈ Rn : Ax = b}, mit A ∈ Rm×n, m ≥ n − dimU , b ∈ Rn

durch ein lineares Gleichungssystem. Wenn b nicht im Spaltenraum vonA liegt, dann ergibt diesU = ∅. Ansonsten ist b ein Punkt in U , A hat den Rang n− dimU , und es gilt m = n− dimUwenn die Zeilen von A linear unabhangig sind.“Innere Beschreibung”: U = b + span{v1, . . . , vr}, mit r ≥ dimU . Hier gilt r = dimU wenn{v1, . . . , vr} eine Basis ist. Jeder Basispunkt mit einer (geordneten) Basis liefert uns Koordina-ten fur U .Symmetrischere Alternative: baryzentrische Koordinaten

U = {µ0u0 + · · ·+ µrur : µ0, . . . , µr ∈ R, µ0 + · · ·+ µr = 1},

wobei u0, . . . , ur affin erzeugen — zum Beispiel b, b+ v1, . . . , b+ vr.Unter anderem haben wir als affine Unterraume: Punkte, Geraden, Ebenen (Dimension 2), . . . ,Hyperebenen (Dimension n− 1). Ein affiner Unterraum hat keinen naturlichen Basispunkt.

1.1.2 Abstande

Standard-Skalarprodukt: 〈x, y〉 :=∑n

i=1 xiyi.Norm |x| :=

√〈x, x〉: Langenmessung

Metrik d(x, y) := |x − y| =√∑n

i=1(xi − yi)2: Abstand zwischen den durch x, y bestimmtenPunkten

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Dreiecksungleichung: d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z), mit Gleichheit nur wenn x, y, z in der richti-gen Reihenfolge auf einer (affinen) Geraden liegen.

Theorem 1.1. Im Rn gibt es n+ 1 Punkte, aber keine n+ 2 Punkte, die paarweise voneinanderdenselben Abstand haben.

Beweis (fur den ersten Teil der Aussage). Betrachte die Punktmenge e1, . . . , en, t(e1+ · · ·+en)(fur Abstand

√2). Das liefert eine quadratische Gleichung fur t, mit zwei Losungen fur t.

Problem. Wie viele Punkte kann es im Rn geben, zwischen denen nur zwei verschiedeneAbstande auftreten? — nicht vollstandig gelost!

1.1.3 Orthogonalisierung

Zwei Vektoren x, y ∈ Rn sind orthogonal, wenn 〈x, y〉 = 0 gilt.Orthogonale Projektion eines Punkts x auf eine Hyperebene H = {x ∈ Rn : 〈a, x〉 = α}fur a 6= 0: der eindeutige Bildpunkt x ∈ H lasst sich auf unterschiedliche Weise beschreiben/charakterisieren, die alle aquivalent sind (Ubungsaufgabe! Zeichnung!):• d(x, x) ist minimal fur x ∈ H• 〈x− x, y − x〉 = 0 fur alle y ∈ H• x = x+ ta mit t ∈ R so dass x ∈ H• x = x+ α−〈a,x〉

〈a,a〉 a

yx

x′

~a

Die Abbildung von x auf x ist linear:

x 7−→ x+α− 〈a, x〉〈a, a〉

a.

Vgl. Gram-Schmidt Orthogonalisierung aus der Linearen Algebra!Orthogonale Projektion auf einen affinen Unterraum: Genauso!

1.1.4 Spharen und Balle

Sphare Sn−1 := {x ∈ Rn : |x| = 1}, bzw. S(x0, r) := {x ∈ Rn : |x − x0| = r} fur x0 ∈ Rn,r > 0.Ball Bn := {x ∈ Rn : |x| ≤ 1}, bzw. B(x0, r) := {x ∈ Rn : |x− x0| ≤ r}.

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1.1.5 Winkel

Den Winkel ^(x, y) zwischen zwei Vektoren x, y 6= 0 definieren wir als den Abstand zwischenx′ := 1

|x|x und y′ := 1|y|y, aber gemessen auf der Einheitssphare Sn−1 := {x ∈ Rn : |x| = 1}.

Damit liegen alle Winkel im Intervall [0, π]. Man uberlegt sich (Trigonometrie!), dass dann|x′ − y′| = 2 sin(α

2) ist, also α = 2 sin−1(1

2|x′ − y′|).

α2

x

y

x′

y′

Oder man uberlegt sich (Gram-Schmidt Orthogonalisierung! Zeichnung!), dass fur x′′ := 〈x,y〉〈x,x〉x

das Dreieck 0x′′y rechtwinklig ist — und deshalb cosα = |x′′||y| = 〈x,y〉

|x||y| .

x

y

x′′α

Das liefert〈x, y〉 =: |x||y| cosα.

Lemma 1.2 (Winkel sind additiv. Dreiecksungleichung fur Winkel!). Fur Vektoren x, y, z 6= 0gilt

^(x, z) ≤ ^(x, y) + ^(y, z),

mit Gleichheit nur wenn x, y, z linear abhangig sind, mit y “zwischen” x und z.

Beweis. Dreiecksungleichung auf der Sphare.

1.1.6 Volumen

Volumen kann man fur “geeignete” Teilmengen A ⊆ Rn unterschiedlich definieren:

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1. elementar: Zerschneiden und Zusammensetzen (Isometrien)2. mit Hilfe der Determinantenfunktion (fur Wurfel, Spate, etc.)3. Riemann’sches Volumen: mit kleinen Wurfelchen ausschopfen (vgl. Analysis-Vorlesung).

Das fuhrt zu dem Riemann-Integral vol(A) :=∫A

1dx.Die Volumengleichheit z.B. von Parallelotopen, also Formeln von der Form

vol{λ1a1 + · · ·+ λnan : 0 ≤ λi ≤ 1} = | det(a1, . . . , an)|

folgen leicht mit Hilfe von Analysis-Methoden — aber lasst sich lasst sich Volumengleichheitvon Polyedern “elementar” durch Zerlegungsgleichheit in kongruente Stucke begrunden? Daswar “Hilberts drittes Problem”; es wurde von Dehn negativ gelost: Es gibt Tetraeder mit gleicherGrundflache und gleicher Hohe, die nicht “zerlegungsgleich” sind. Siehe [1, Kap. 9] [2] .

1.2 Hochdimensionale Effekte

1.2.1 Volumen von Kugel und Wurfel

Das Volumen der Kugel vom Radius 1

Vol(Bn) =πn/2

Γ(n2

+ 1)∼ πn/2

n2!∼(2πe

n

)n/2ist fur großes n (d.h. in hoher Dimension) verschwindend klein verglichen mit dem Volumen

Vol([−1, 1]n) = 2n.

Daher die Zeichnung (auf Anregung von Vitaly Milman, 1998), die die Sphare wie eine Amobezeigt?Wer einen zufalligen Punkt in der Einheitskugel konstruieren will, kann also nicht einfach Zu-fallswerte in [−1, 1]n nehmen . . .

1.2.2 Lange Diagonalen im Wurfel

Setzen wir 2n Balle vom Radius 1 an die Ecken des n-Wurfels [−1, 1]n, dann beruhren die sichgerade. Alle Balle sind in [−2, 2]n enthalten.Setzen wir noch einen moglichst großen Ball in den Mittelpunkt, so dass der die anderen Ballegerade beruhrt. Radius:

√n− 1.

Fur n > 4 ist der innere Ball großer als die außeren. Fur n > 9 ragt er sogar aus dem Wurfel[−2, 2]n heraus! (Siehe Matousek [4, Chap. 13])

1.2.3 Das Kusszahl-Problem

“Kusszahl”-Problem: Fur n = 3 konnen 12 Einheitskugeln eine gegebene Einheitskugel beruhren(Ikosaeder, siehe Hausaufgabe!), aber nicht mehr (Newton-Gregory Problem).Betrachten wir die Konfiguration im vorigen Abschnitt fur n = 4, dann ist ist der innere Balleine Einheitskugel, und genauso groß wie die außeren. Und man kann 8 weitere Balle an die

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Mittelpunkte ±2ei setzen, die die Eckballe nur beruhren — das gibt eine Konfiguration von 24Kugeln vom Radius 1, die gleichzeitig die Einheitskugel beruhren, ohne sich zu uberlappen.Diese 24er-Konfiguration ist in verschiedenster Hinsicht außergewohnlich; sie definiert ein 4-dimensionales regulares Polytop mit 24 Seitenflachen, die allesamt Oktaeder sind, und sie isthochsymmetrisch. Dieses “24-Zell” wurde von Ludwig Schlafli um 1850 entdeckt, als er dieregularen Polytope in Dimension n ≥ 4 klassifiziert hat. (Siehe z.B. Hilbert & Cohn-Vossen[3])Fur d = 4 ist die Zahl 24 von Beruhrkugeln maximal — das wurde von Musin 2008 bewiesen[5] [6]. Und man nimmt auch an, dass die Konfiguration eindeutig ist — das ist aber nichtbewiesen.Eine optimale Konfiguration kennt man auch fur n = 8 und fur n = 24, aber sonst fur keineDimension n ≥ 5

1.3 Kongruenztransformationen

1.3.1 Translationen

Translationen: Ta : Rn → Rn, x 7→ x+ a.Die Translationen sind Isometrien, das heißt, d(Ta(x), Ta(y)) = d(x, y) gilt fur alle x, y.Die Translationen bilden eine abelsche Gruppe, die wir mit (Rn,+) identifizieren konnen.

1.3.2 Orthogonale Abbildungen

Proposition 1.3. Isometrien, die den Nullpunkt festhalten, sind orthogonale Abbildungen.Solche Abbildungen sind also insbesondere linear, und konnen also in der Form x 7→ Ax be-schrieben werden, mit orthogonaler Matrix A.

Beweis. Sei f : Rn → Rn Isometrie mit f(0) = 0. Dann gilt insbesondere |f(x)| = |x| fur allex, und deshalb 〈f(x), f(y)〉 = 〈x, y〉 wegen Polarisation:

〈x, y〉 = 12(|x|2 + |y|2 − |x− y|2).

Nun sei e1, . . . , en eine Orthonormalbasis (ONB), zum Beispiel die Standardbasis (wir setzenja das Standardskalarprodukt voraus). Dann gilt fur jeden Vektor

x =n∑i=1

〈x, ei〉ei,

und deshalb, weil auch f(e1), . . . , f(en) eine ONB ist, und weil f das Skalarprodukt erhalt,

f(x) =n∑i=1

〈f(x), f(ei)〉f(ei) =n∑i=1

〈x, ei〉f(ei).

Daran sieht man, dass f linear ist.

Lemma 1.4. Eine lineare Abbildung x 7→ Ax is genau dann orthogonal, wenn eine der folgen-den aquivalenten Bedingungen gilt:

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• sie eine Orthonormalbasis auf eine Orthonormalbasis abbildet,• sie jede Orthonormalbasis auf eine Orthonormalbasis abbildet,• die Spalten von A eine Orthonormalbasis bilden,• AtA = En,• die Zeilen von A eine Orthonormalbasis bilden.

Jede orthogonale Abbildung hat Determinante +1 oder −1. Die orthogonalen Abbildungendes Rn (und damit die darstellenden Matrizen) bilden eine Gruppe, die orthogonale Gruppe

O(n) = {A ∈ Rn : AtA = En}.

Die orientierungserhaltenden orthogonalen Abbildungen bilden eine Untergruppe, die spezielleorthogonale Gruppe

SO(n) = {A ∈ Rn : AtA = En, detA = 1}.

Die Gruppen O(n) ist nicht kommutativ fur n ≥ 2, SO(n) ist nicht kommutativ fur n > 2.

Theorem 1.5 (Normalformsatz fur orthogonale Abbildungen). Fur jedes orthogonale Abbil-dung Rn → Rn gibt es eine Zerlegung des Rn in ein- und zweidimensionale invariante ortho-gonale Unterraume, so dass– auf jedem der ein-dimensionalen invarianten Unterraumen ist die Abbildung die Identitat

oder ihr Negatives,– auf jedem der zwei-dimensionalen invarianten Unterraumen ist die Abbildung eine Drehung

um einen Winkel im Intervall ]0, π[.

Aquivalent dazu: fur jede orthogonale Matrix A ∈ O(n) gibt es S ∈ O(n) so dass S−1AS eineBlockdiagonalmatrix ist

S−1AS = diag(1, . . . , 1,−1, . . . ,−1, D(α1), . . . , D(αk))

mit Einsen, Minus-Einsen und 2× 2 Drehmatrizen zu Winkeln 0 < αi < π auf der Diagonale,

also D(α) =

(cosα − sinαsinα cosα

).

Lemma 1.6. Jede orthogonale Abbildung der Determinante +1 kann stetig (innerhalb derGruppe O(n)!) in die Identitat deformiert werden.Jede orthogonale Abbildung der Determinante −1 kann stetig in die Spiegelung s1 : x 7→x− 2x1e1 deformiert werden.

Korollar 1.7. Fur n ≥ 1 hat die Gruppe O(n) ⊆ Rn×n zwei Zusammenhangskomponenten,namlich die spezielle orthogonale Gruppe SO(n) und die Nebenklasse SO(n)s1 = {A ∈ Rn :AtA = En, detA = −1}.

Korollar 1.8. Jede orthogonale Abbildung des Rn kann aus hochstens n Spiegelungen anHyperebenen durch den Nullpunkt erzeugt werden. Im Allgemeinen reichen dafur jedoch n− 1Spiegelungen nicht aus.

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1.3.3 Allgemeine Kongruenztransformationen

Die Gruppe der Isometrien des Rn (also der “euklidischen Bewegungen” oder “Kongruenz-transformationen”) enthalt einerseits die Untergruppe der Translationen — die wir mit Rn iden-tifizieren — andererseits die orthogonalen Abbildungen, also die Isometrien, die den Nullpunktfestlassen.Die Schnittmenge zwischen diesen beiden Untergruppen enthalt nur die Nullabbildung (dieeinzige Translation, die den Nullpunkt festlasst).Jede Isometrie f : Rn → Rn kann man als “orthogonale Abbildung gefolgt von einer Transla-tion” beschreiben, also als f : x 7→ Ax+ b fur A ∈ O(n) und b ∈ Rn. Dabei sind b = f(0) unddamit auch A durch f eindeutig festgelegt.

Theorem 1.9. Die volle Gruppe der euklidischen Bewegungen ist

Eukl(n) = {f : f(x) = Ax+ b fur ein A ∈ O(n), b ∈ Rn}.

Achtung: Trotzdem ist die Gruppe der euklidischen Bewegungen nicht einfach das ProduktRn × O(n), weil die Translationen und die orthogonalen Abbildungen nicht kommutieren. Siekann strukturell beschrieben werden als ein semidirektes Produkt “Rn o O(n)”, das gebildetwerden kann, weil die Gruppe der orthogonalen Abbildungen O(n) als eine Gruppe von Au-tomorphismen auf der Gruppe der Translationen (isomorph zu Rn) wirkt. In dem semidirektenProdukt bilden die Translationen eine normale Untergruppe: Jede Konjugation einer Translationx 7→ x+ a hat die Form

x 7→ S−1(((Sx+ b) + a)− b) = x+ S−1a,

ist also eine Translation.

1.3.4 Erzeugung durch Spiegelungen

Die Spiegelung an der Hyperebene H = {x ∈ Rn : 〈a, x〉 = α} bildet x auf x + 2ta ab, wennx 7→ x+ ta die Projektion auf die Hyperebene ist:

x 7−→ x+ 2α−〈a,x〉〈a,a〉 a.

Spiegelung in einem affinen Unterraum: Genauso!

Korollar 1.10. Jede Kongruenztransformation im Rn kann als Produkt von hochstens n + 1Spiegelungen an Hyperebenen dargestellt werden — von denen alle, bis auf moglicherweise dieletzte, Hyperebenen durch den Nullpunkt sind.Im Allgemeinen reichen dafur jedoch n Spiegelungen nicht aus.

Beweis. Dazu stellen wir die Kongruenztransformation als “orthogonale Abbildung gefolgt voneiner Spiegelung” dar.

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1.3.5 Hauptsatz der Euklidischen Geometrie

Theorem 1.11. Sind p0, . . . , pm und p′0, . . . , p′m Punkte im Rn mit

d(pi, pj) = d(p′i, p′j) fur alle i, j (0 ≤ i < j ≤ m),

so gibt es eine euklidische Transformation f : Rn → Rn, x 7→ Ax + b, mit A ∈ O(n) undb ∈ Rn, so dass f(pi) = p′i fur alle i gilt, 0 ≤ i ≤ m.Wenn die Punkte pi nicht alle auf einer Hyperebene liegen (was insbesondere m ≥ n erzwingt),dann ist diese euklidische Transformation eindeutig bestimmt.

Beweis. Nach einer Verschiebung um den Vektor b := p′0 − p0 durfen wir annehmen, dassp0 = p′0 = 0 ist.Nun wenden wir das Gram–Schmidt-Verfahren auf die Vektoren p0, . . . , pm an, und erhaltendaraus eine Orthogonalbasis p0, . . . , pn. Achtung: wenn die Vektoren pi nicht linear unabhangigsind, konnen dabei einige Vektoren durchaus Null ergeben – diese werden dann nicht weiterberucksichtigt. Wenn die Vektoren nicht aufspannen, wird am Ende zu einer Orthogonalbasiserganzt – in diesem Fall ist die Basis p0, . . . , pn nicht eindeutig durch die Folge p0, . . . , pmbestimmt.Genauso erzeugen wir mit dem Gram–Schmidt-Verfahren aus der Folge p′0, . . . , p

′m von Vek-

toren eine Orthogonalbasis p0, . . . , pn. Dabei lauft das Gram–Schmidt-Verfahren ganz analogab, mit denselben Koeffizienten, weil namlich die Koeffizienten aus Skalarprodukten zwischenden Vektoren entstehen, und diese (Polarisierung!) durch die Normen der Vektoren und ihrerDifferenzen bestimmt sind, und diese Daten sind nach Annahme fur die Folgen p0, . . . , pm undp′0, . . . , p

′m gleich.

Nun definiert die Vorschrift f : pj 7→ p′j eine orthogonale Abbildung f (weil sie eine ONB aufeine ONB abbildet). Die Tatsache, dass die pj mit denselben Koeffizienten aus den pi gewonnenwerden, wie die p′j aus den p′i ergibt insbesondere, dass auch die pi mit denselben Koeffizientenaus den pj dargestellt werden konnen wie die p′i aus den p′j . Also bildet f auch pi auf p′i ab.In dem Fall, dass keine Basiserganzung notig ist, die pi also den Rn aufspannen, ist die Abbil-dung f sogar eindeutig.

Korollar 1.12 (Kongruenzsatz “SSS”). Wenn zwei Dreiecke im Rn gleiche Seitenlangen haben,dann sind sie kongruent.

1.3.6 Freiheitsgrade

Bemerkung 1.13 (”Freiheitsgrade“ — Dimension der Gruppe der Kongruenztransformationen).Jede Kongruenztransformation bildet (0, e1, . . . , en) auf orthogonalen Rahmen ab. Fur den ers-ten Punkt liegt das Bild beliebig im Rn, der zweite liegt auf einer (n−1)-dimensionalen Sphare,der nachste auf einer (n− 2)-Sphare, usw. Daher ist die Anzahl der ”Freiheitsgrade“ insgesamtn+ (n− 1) + · · ·+ 1 = 1

2(n+ 1)n.

Alternative Rechnung: wir mussen die Bilder von n + 1 Punkten festlegen, das sind (n + 1)nVariable, aber es gibt

(n+12

)Bedingungen/paarweise Distanzen, also ist die Anzahl der Frei-

heitsgrade: (n+ 1)n−(n+12

)= 1

2(n+ 1)n.

Technisch (Analysis III): die Gruppe ist eine Lie-Gruppe, also insbesondere eine Mannigfaltig-keit der Dimension

(n2

)+ n =

(n+12

)= 1

2n(n+ 1).

10

Literatur[1] Martin Aigner and Gunter M. Ziegler. Das BUCH der Beweise. Springer-Verlag, Heidelberg Berlin,

third edition, 2009.

[2] V. G. Boltianskii. Hilbert’s Third Problem. V. H. Winston & Sons (Halsted Press, John Wiley &Sons), Washington DC, 1978.

[3] David Hilbert and Stephan Cohn-Vossen. Anschauliche Geometrie. Springer-Verlag, Berlin Heidel-berg, 1932. Second edition 1996. English translation: Geometry and the Imagination, Chelsea Publ.,1952.

[4] Jirı Matousek. Lectures on Discrete Geometry, volume 212 of Graduate Texts in Math. Springer-Verlag, New York, 2002.

[5] Oleg R. Musin. The kissing number in four dimensions. Annals of Mathematics, 168:1–32, 2008.

[6] Florian Pfender and Gunter M. Ziegler. Kissing numbers, sphere packings, and some unexpectedproofs. Notices of the AMS, 51(8):873–883, September 2004.

11

2 Affine Geometrie

2.1 Affine Transformationen

Definition 2.1. Eine Abbildung f : Rn → Rm heißt affin, wenn

f(λx+ (1− λ)y) = λf(x) + (1− λ)f(y)

gilt fur alle x, y ∈ Rn und λ ∈ R.Sie heißt Affinitat, wenn sie bijektiv ist (was insbesondere m = n impliziert).

Eine affine Abbildung ist also eine Abbildung, die Geraden auf Geraden abbildet, und auf denGeraden Teilungsverhaltnisse erhalt (z.B. Mittelpunkte).

Bemerkung 2.2. Die erste Bedingung reicht nicht allein, wie man z.B. am Fallm = n = 1 sieht.(Man kann aber zeigen, dass fur n ≥ 2 sogar jede Abbildung f : Rn → Rn, die Geraden aufGeraden abbildet, eine Affinitat ist — fur n ≥ 2 und uber den reellen Zahlen braucht man alsodie Voraussetzung uber Teilungsverhaltnisse nicht.) Siehe Fischer [2, Abschnitt 1.3].

Proposition 2.3. f : Rn → Rm ist genau dann affin, wenn es eine Matrix A ∈ Rm×n und einenVektor b ∈ Rm gibt mit f(x) = Ax+ b fur alle x ∈ Rn.f : Rn → Rn ist genau dann eine Affinitat, wenn es eine Matrix A ∈ GL(n,R) = {A ∈ Rn×n :detA 6= 0} und einen Vektor b ∈ Rm gibt mit f(x) = Ax+ b fur alle x ∈ Rn.

Lemma 2.4. Wenn f affin ist, dann gilt

f(λ1x1 + · · ·+ λkxk) = λ1f(x1) + · · ·+ λkf(xk)

fur k ≥ 1, x1, . . . , xk ∈ Rn, λ1, . . . , λk ∈ R mit λ1 + · · ·+ λk = 1.

Beweis. Fur k = 1 ist das trivial. Fur k > 1 konnen nicht alle λi gleich 1 sein, also konnen wirannehmen, dass λ1 6= 1 ist, und dann argumentieren wir mit Induktion:

f(λ1x1 + · · ·+ λkxk) = f(λ1x1 + (1− λ1)(λ2

1− λ1x2 · · ·+

λ21− λ1

xk)).

Ende 26.4.2011

Korollar 2.5. Die Affinitaten f : Rn → Rm bilden eine Gruppe, namlich

Affin(n) = {f : f(x) = Ax+ b fur ein A ∈ GL(n), b ∈ Rn} ∼= Rn oGL(n).

Beweis. Die Umkehrabbildung zu f(x) = Ax+b ist f−1(x) = A−1(x−b) = A−1x+(−A−1b).

Man kann sich uberlegen, dass auch Affin(n) zwei Zusammenhangskomponenten hat, die durchdetA > 0 bzw. detA < 0 gegeben sind.

12

2.1.1 Hauptsatz der Affinen Geometrie

Definition 2.6 (affin unabhangig, affine Basis). Punkte p0, . . . , pk ∈ Rn heißen affin unabhangig,wenn es keine nichttriviale affine Abhangigkeit λ0p0 + · · ·+ λkpk = 0, λ0 + · · ·+ λk = 0 gibt;aquivalent, wenn es fur jeden der Punkte eine affine Hyperebene gibt, die den Punkt nicht enhalt,alle anderen aber schon.Jede maximale Menge von affin unabhangigen Punkten bildet eine affine Basis. (Eine affineBasis ist also einfach eine Menge von n+ 1 affin unabhangigen Punkten.)

k + 1 affin unabhangige Punkte bilden die Ecken eines k-dimensionalen Simplex (Punkt furk = 0, Strecke fur k = 1, Dreieck fur k = 2, Tetraeder fur k = 3).

Definition 2.7 (Affiner Spann, affine Hulle). Fur p0, . . . , pk ∈ Rn heißt

aff(p0, . . . , pk) := {λ0p0 + · · ·+ λkpk : λ0 + · · ·+ λk = 1}

der affine Spann oder die affine Hulle von p0, . . . , pk.

Lemma 2.8 (Baryzentrische Koordinaten). Sind p0, . . . , pk ∈ Rn affin unabhangig, so hat jederPunkt x ∈ aff(p0, . . . , pk) eine eindeutige Darstellung in der Form x = λ0p0 + · · · + λkpk mitλ0 + · · ·+ λk = 1.

Die Koeffizienten λ0, . . . , λk heißen dann die baryzentrischen Koordinaten von x. Insbesondereheißt der Punkt x0 = 1

k+1(p0 + · · · + pk) das Baryzentrum oder der Schwerpunkt der Punkte

p0, . . . , pk.

Theorem 2.9 (Hauptsatz der Affinen Geometrie). Seien p0, . . . , pm und p′0, . . . , p′m zwei Folgen

von Punkten im Rn. Dann gibt es eine Affinitat f : Rn → Rn, x 7→ Ax+ b, mit A ∈ GL(n) undb ∈ Rn mit f(pi) = p′i, 0 ≤ i ≤ k, dann und nur dann, wenn zwischen den Punkten pi bzw. p′idieselben affinen Abhangigkeiten (mit denselben Koeffizienten) bestehen.Die Abbildung existiert also insbesondere, wenn die Punktfolgen p0, . . . , pm und p′0, . . . , p

′m

affin unabhangig sind. Wenn die Punktfolgen affine Basen sind (also insbesondere k = n), dannist die Affinitat eindeutig bestimmt.

Beweis. Klar?

Jede Affinitat• bildet Geraden auf Geraden ab,• bildet parallele Geraden auf parallele Geraden ab,• erhalt Strecken-/Teilungsverhaltnisse entlang von Geraden,• erhalt Volumenverhaltnisse.

13

Welche dieser Eigenschaften reicht zur Charakterisierung von Affinitaten?

Proposition 2.10. f : Rn → Rn ist genau dann eine Affinitat, wenn sie Volumenverhaltnisseerhalt, wenn es also eine Konstante α ∈ R, α 6= 0, gibt mit

det(f(p1)− f(p0), . . . , f(pn)− f(p0)) = α det(p1 − p0, . . . , pn − p0)

fur alle p0, . . . , pn ∈ Rn.

Beweis. Offenbar erhalt jede Affinitat f(x) = Ax+ b Volumenverhaltnisse, mit α = detA.Wenn umgekehrt f Volumenverhaltnisse erhalt, so bildet f Punkte auf einer Geraden auf Punkteauf einer Geraden ab — andernfalls findet man eine “affine Basis”, die auf eine “affine Nicht-Basis” abgebildet wird.

Korollar 2.11. Die volumenerhaltenden Abbildungen Rn → Rn sind genau die Affinitaten derDeterminante 1, bilden also die Gruppe

{f : f(x) = Ax+ b fur ein A ∈ SL(n), b ∈ Rn} ∼= Rn o SL(n),

wobei SL(n) die spezielle lineare Gruppe SL(n) = {A ∈ Rn×n : detA = 1 bezeichnet.

Bemerkung 2.12 (”Freiheitsgrade“ — Dimension der Gruppe der affinen Transformationen).Eine Affinitat ist durch die Bilder von n + 1 Punkten einer affinen Basis festgelegt, und diesekonnen (generisch) frei gewahlt werden. Also ist die Anzahl der Freiheitsgrade und die Dimen-sion der Gruppe Affin(n) gleich (n+ 1)n.In der Tat ist {(A, b) : detA 6= 0} eine offene Teilmenge des Rn×(n+1).

2.2 Anwendungen

Proposition 2.13 (Die Seitenhalbierenden schneiden sich.). In jedem Dreieck schneiden sichdie Verbindungslinien von den Ecken zu den gegenuberliegenden Seitenmittelpunkten.

Beweis. Die Behauptung ist invariant unter affinen Transformationen, also konnen wir anneh-men, dass wir es mit einem gleichseitigen Dreieck zu tun haben.

A

C

B

Mb

Ma

Mc

S

A′ B′

C ′

M ′b M ′

a

M ′c

S ′

14

Entsprechend hoherdimensional: Baryzentren.

Proposition 2.14 (Satz von Ceva). In jedem Dreieck schneiden sich die Verbindungslinien vonden EckenA,B,C zu PunktenA′, B′, C ′ auf den gegenuberliegenden Seiten dann und nur dann,wenn

AC ′

C ′B

BA′

A′C

CB′

B′A= 1.

Beweis. Invariant unter affinen Transformationen, also konnen wir annehmen, dass wir es miteinem gleichschenkligen rechtwinkligen Dreieck A = (0, 0), B = (1, 0), C = (0, 1) zu tunhaben.Fur dieses Dreieck rechnet man die Behauptung dann leicht(er) nach.

Merke: Koordinatentransformationen ausnutzen!Dto: “Der Satz von Menelaus” uber die Schnittpunkte einer Geraden mit den (verlangerten)Kanten eines Dreiecks.Quelle: Brannan et al. [1, Sect. 2.4]

Literatur[1] David A. Brannan, Matthew F. Esplen, and Jeremy J. Gray. Geometry. Cambridge University Press,

Cambridge, 1999.

[2] Gerd Fischer. Analytische Geometrie. Vieweg, Wiesbaden, 2001. 7. Auflage.

15

3 Kegelschnitte und Quadriken

3.1 Kegelschnitte und ihre Eigenschaften

Vorbemerkung: Quadriken (Losungsmengen von quadratischen Gleichungen in n Variablen)werden fur n = 2 oft mit Kegelschnitten “identifiziert”. Aussagen wie “Fur n = 2 nennen wirdie Quadriken Kegelschnitte” verdecken aber◦ die naheliegende Definition von Kegelschnitten als “Schnitten eines (Doppel-)Kegels mit

einer Ebene”◦ die Tatsache, dass zum Beispiel die leere Menge zwar eine Quadrik ist, aber kein Schnitt

eines Kegels,◦ die Frage, wann zwei Quadriken bzw. zwei Kegelschnitte gleich/aquivalent sind.Im Folgenden werden wir◦ Kegelschnitte als Schnitte eines (Doppel-)Kegels mit einer Ebene definieren, und (bis auf

Kongruenz-/Isometrie) klassifizieren◦ Quadriken als Losungsmengen von quadratischen Gleichungen definieren, durch Matrizen

darstellen, bis auf Isometrie klassifizieren, und auch bis auf affine Transformationen klassifi-zieren (jeweils mit “Normalform”)◦ ableiten, dass fur n = 2 die Kegelschnitte (bis auf Isometrie) genau die nicht-leeren Quadri-

ken sind (Ausnahme: zwei parallele Geraden sind auch eine Quadrik, aber kein Kegelschnitt).

3.1.1 Kegelschnitte

Unser Augangspunkt ist der Kreiskegel C = {(x1, x2, x3) ∈ R3 : x21 + x22 = x23} (der jaeigentlich ein Doppelkegel ist). Wir schreiben ihn fur das Folgende einfacher als

C = {(x, y, z) ∈ R3 : x2 + y2 = z2}.

Schneidet man C mit einer Ebene E, so erhalt man zum Beispiel◦ fur Schnitt mit z = c: einen Kreis, bzw. fur c = 0 einen Punkt,◦ fur Schnitt mit y = c: eine Hyperbel, bzw. fur c = 0 zwei sich schneidende Geraden,◦ fur Schnitt mit z = y + c: Parabel, Doppelgerade

Definition 3.1. Eine Teilmenge Q ⊂ R2 ist ein Kegelschnitt, wenn es eine Isometrie zwischenR2 und einer Ebene E ⊂ R3 gibt, unter der Q auf C ∩ E abgebildet wird, also auf den Schnittder Ebene E mit dem Doppelkreiskegel C = {(x, y, z) ∈ R3 : x2 + y2 = z2}

Wir betrachten also jetzt einen Schnitt von C mit einer beliebigen Ebene E, wobei wir dieSchnitte bis auf Isometrie klassifizieren. Wir konnen dabei die Symmetrien des Kreiskegelsausnutzen, also annehmen, dass wir eine Ebene der Form z = c, c ≥ 0 betrachten, die wir dannum einen Winkel ϕ, 0 ≤ ϕ ≤ π/2 (also um hochstens 90 Grad) um die x-Achse “kippen”.Wir uberlegen uns, dass die Isometrie, die Punkte der Ebene z = 0 auf eine solche “allgemeine”Ebene gegeben ist, wie folgt abbildet: x

y0

7−→

xy0

+

00c

=

xyc

7−→

1 0 00 cosϕ − sinϕ0 sinϕ cosϕ0

xyc

=

xcosϕy − sinϕ csinϕy + cosϕ c

.

16

Die Bildpunkte dieser Transformation mussen also die Gleichung des Kreiskegels erfullen:

x2 + (cosϕy − sinϕ c)2 = (sinϕy + cosϕ c)2.

Vereinfachung dieser Gleichung, unter Verwendung von cos2 ϕ−sin2 ϕ = cos 2ϕ und 2 cosϕ sinϕ =cos 2ϕ ergibt

x2 + (cos 2ϕ)y2 − 2c sin 2ϕy = (cos 2ϕ)c2

Fall 1. Fur ϕ = π/4, also cos 2ϕ = 0 und sin 2ϕ = 1 ergibt dies

x2 − 2c y = 0

also fur c > 0 eine Parabel y = 12cx2, und fur c = 0 eine Gerade (genauer eine Doppelgerade)

x2 = 0.Nehmen wir also jetzt ϕ 6= π/4 an, so konnen wir durch cos 2ϕ teilen und quadratisch erganzen,und erhalten

x2

cos 2ϕ+ (y − 2c tan 2ϕ)2 = (1 + tan2 2ϕ)c2.

Wenn wir jetzt y − 2c tan 2φ einfach durch y ersetzen, so entspricht das einer Translation, alsoeiner Isometrie, und wir erhalten

x2

cos 2ϕ+ y2 =

c2

cos2 2ϕ.

Fall 2. Fur 0 ≤ ϕ < π/4 ist cos 2ϕ > 0, dann ist das fur c > 0 die Gleichung einer Ellipse, dieman mit a2 := cos 2ϕ

c2und b2 := cos2 2ϕ

c2auf die Normalform

x2

a2+y2

b2= 1 mit a, b > 0

bringen kann; fur c = 0 erhalt man entsprechend mit a2 := cos 2ϕ und b2 := cos2 2ϕ

x2

a2+y2

b2= 0 mit a, b > 0

also den Punkt (0, 0).Fall 3. Fur π/4 < ϕ ≤ π/2 ist cos 2ϕ < 0, dann ist das fur c > 0 die Gleichung einer Hyperbel,die man mit a2 := − cos 2ϕ

c2und b2 := cos2 2ϕ

c2auf die Normalform

−x2

a2+y2

b2= 1 mit a, b > 0

bringen kann; fur c = 0 erhalt man entsprechend mit a2 := −cos 2ϕ und b2 := cos2 2ϕ

−x2

a2+y2

b2= 0 mit a, b > 0

also zwei sich schneidende Geraden bx = ±ay.Damit haben wir im Wesentlichen den folgenden Satz bewiesen — dessen Zusatz man auchleicht verifiziert.

17

Theorem 3.2. Die Schnitte des Kreiskegels C = {(x, y, z) ∈ R3 : x2 + y2 = z2} mit einerEbene im R3 sind isometrisch zu genau einer der folgenden sechs ebenen Mengen:1. eine Ellipse x2

a2+ y2

b2= 1 mit a, b > 0,

2. eine Parabel y = ax2 mit a > 0,3. eine Hyperbel −x2

a2+ y2

b2= 1 mit a, b > 0,

4. zwei sich schneidende Geraden, −x2

a2+ y2

b2= 0 mit a, b > 0,

5. eine Gerade, oder6. ein Punkt.Umgekehrt tritt jede dieser Figuren mit den gegebenen Parametern auch als Schnitt auf.

3.1.2 Geometrische Eigenschaften

1. Ellipse. Q = {x2a2

+ y2

b2= 1}, mit a ≥ b > 0

. . . ist affines Bild eines Kreises,

. . . hat zwei aufeinander senkrecht stehende Symmetrieachsen, x = 0 bzw. y = 0, die Haupt-achsen; vergleiche dazu die Zeichnung aus Durers beruhmter “Underweysung der Messung,mit dem Zirckel und Richtscheyt” [2]:

18

. . . hat vier Scheitelpunkte (±a, 0) und (0,±b) auf den Hauptachsen (fur a = b sind alle Ge-raden durch das Zentrum (0, 0) Symmetrieachsen, und alle Punkte auf der Ellipse Scheitel-punkte),

. . . hat Brennpunkte F = (c, 0) und F ′ = (−c, 0), fur c :=√a2 − b2

(hier verwenden wir a ≥ b; fur a = b fallen die Brennpunkte zusammen),

. . . Konstruktion der Brennpunkte mit dem Zirkel! (Kreise mit Mittelpunkt (±a, 0) durch (0,±b)).

Proposition 3.3 (Drei Eigenschaften/Charakterisierungen der Brennpunkte).

• [“Gartner-Konstruktion”] Fur alle Punkte P = (x0, y0) auf der Ellipse gilt

d(F, P ) + d(P, F ′) = 2a.

• [Reflexionseigenschaft] Lichtstrahlen, die von einem Brennpunkt ausgehen, und in derEllipse reflektiert werden, gehen durch den anderen Brennpunkt; das heißt, die StreckenFP und F ′P haben denselben Winkel zur Tangente an die Ellipse in P .

x

y

0−c c−a a

−b

b P

Ende 3.5.2011

• [Dandelin’sche Kugeln] 3-dimensionale geometrische Konstruktion

19

Lemma 3.4 (Tangentengleichung). Die Tangente an die Ellipse x2

a2+ y2

b2= 1 im Punkt P =

(x0, y0) ist gegeben durchxx0a2

+yy0b2

= 1.

Beweis. Leicht und elegant rechnet man nach, dass das wirklich eine Gerade ist, auf der P liegt,und dass P der einzige Schnittpunkt in T ∩Q ist.

Zwei ”affine“ Satze uber Ellipsen:

Proposition 3.5. [1, Sect. 2.2.3] Die Mittelpunkte der Schnitte einer Ellipse mit einer Paralle-lenschar liegen auf einem Durchmesser.

Proposition 3.6. [1, Sect. 2.2.3] Zu jedem Durchmesser ` einer Ellipse gibt es einen anderenDurchmesser `′ so dass:• Die Mittelpunkte der Sehnen, die zu ` parallel sind, liegen auf `′,• die Mittelpunkte der Sehnen, die zu `′ parallel sind, liegen auf `.

2. Hyperbel. Q = {x2a2− y2

b2= 1}, mit a, b > 0

. . . ist affines Bild der Standardhyperbel xy = 1,

. . . hat zwei aufeinander senkrecht stehende Symmetrieachsen, x = 0 bzw. y = 0, die Haupt-achsen,

. . . hat zwei Scheitelpunkte (±a, 0) auf den Hauptachsen,

. . . hat Brennpunkte F = (c, 0) und F ′ = (−c, 0), fur c :=√a2 + b2,

. . . hat zwei Asymptoten, die durch x2

a2− y2

b2= 0 gegeben sind, also bx ± ay = 0, und denen

sich die Hyperbelaste annahern,

. . . Konstruktion der Brennpunkte mit dem Zirkel! (Verwende Kreise mit Mittelpunkt (±a, 0)durch (0,±b))

Proposition 3.7 (Zwei Charakterisierungen der Brennpunkte).

• [“Gartner-Konstruktion”] Fur alle Punkte P = (x0, y0) auf der Hyperbel gilt

|d(F, P )− d(P, F ′)| = 2a.

• [Reflexionseigenschaft] Lichtstrahlen, die auf einen Brennpunkt zielen, aber in der Hy-perbel reflektiert werden, zielen dann auf den anderen Brennpunkt; das heißt, die StreckenFP und F ′P haben denselben Winkel zur Tangente an die Hyperbel in P .

20

x

y

0 a−a

−b

−c c

P

Lemma 3.8 (Tangentengleichung). Die Tangente an die Hyperbel x2

a2− y2

b2= 1 im Punkt P =

(x0, y0) ist gegeben durchxx0a2− yy0

b2= 1.

Lemma 3.9. Haben eine Hyperbel und eine Ellipse dieselben Brennpunkte, so haben sie 4Schnittpunkte, und sie schneiden sich in diesen senkrecht.

3. Parabel. Q = {y = ax2}, mit a > 0

. . . ist affines Bild der Standardparabel y = x2,

. . . hat nur eine Symmetrieachse, y = 0.

. . . der Scheitelpunkt ist (0, 0),

. . . der Brennpunkt ist F = (0, c), fur c := 14a

,

. . . die Leitgerade ist L = {y = −c}.

Proposition 3.10 (Zwei Charakterisierungen der Brennpunkte).

• [Parabolspiegel!] Fur alle Punkte P = (x0, y0) auf der Parabel gilt

d(F, P ) = d(P,L).

• [Reflexionseigenschaft] Lichtstrahlen, die vom Brennpunkt ausgehen, und in der Parabelreflektiert werden, sind danach parallel zur Symmetrieachse.

21

x

y

c

−c

P

Q

Lemma 3.11 (Tangentengleichung). Die Tangente an die Parabel y = ax2 im Punkt P =(x0, y0) ist gegeben durch

y = ax0(2x− x0).

Anwendung/Illustration: “Fortune’s Sweep” zur Konstruktion von ebenen Voronoi-Diagrammen.

22

Selbst ausprobieren:

(Quelle/Siehe: Applet auf http://www.diku.dk/hjemmesider/studerende/duff/Fortune/)

Ende 5.5.2011

23

3.2 Quadriken

Definition 3.12. Eine Quadrik ist die Losungsmenge Q ⊂ Rn eines Polynoms vom Gradhochstens 2 in n Variablen.

Man spricht dabei von quadratischen Gleichungen, und Q wird auch als Nullstellenmenge derGleichung q(x1, . . . , xn) ∈ R[x1, . . . , xn] bezeichnet.Prinzipiell lasst die obige Definition auch Polynome vom Grad hochstens 1 zu, also linearePolynome. Dieser Fall ist nicht besonders interessant: dann ist Q entweder leer, oder eine Hy-perebene im Rn, oder der gesamte Rn. Wir lassen diese drei ”trivialen“ Falle als Quadriken inder Definition zu, ignorieren sie im Folgenden aber meist.If Fall n = 1 ist Q also die Losung einer quadratischen Gleichung, also besteht Q aus ein oderaus zwei Punkten oder ist leer (oder ist ganz R).Fur n = 2 konnen wir die quadratische Gleichung wie folgt schreiben:

Q = {(x, y) ∈ R2 : ax2 + bxy + cy2 + dx+ ey + f = 0} fur a, b, c, d, e, f ∈ R.

Wenn (a, b, c) = (0, 0, 0), so erhalten wir eine lineare Gleichung, die Losungsmenge ist dannGerade oder leer oder der R2. Diesen Fall konnten wir also ausschließen . . .Bessere Notation, mehrere Moglichkeiten:

Q ={(x1

x2

)∈ R2 : a11x1

2 + 2a12x1x2 + a22x22 + 2a01x1 + 2a02x2 + a00 = 0

}=

{(x1x2

)∈ R2 : (1, x1, x2)

a00 a01 a02a10 a11 a12a20 a21 a22

1x1x2

}fur aij ∈ R2 (0 ≤ i, j ≤ 2).Entsprechend konnen wir n-dimensionale Quadriken wie folgt schreiben:

Q = {x ∈ Rn :∑

0≤i,j≤n

aijxixj = 0, mit x0 := 0}

= {x ∈ Rn : (1, xt)

(a00 a0

t

a0 A

)(1x

)= {x ∈ Rn : (1, xt)

(c bt

b A

)(1x

)= {x ∈ Rn : xtAx+ 2btx+ c = 0}

fur A ∈ Rn×n symmetrisch, a0 ∈ Rn, a00 ∈ Rbzw. A ∈ Rn×n symmetrisch, b ∈ Rn, c ∈ R.

3.2.1 Euklidische Klassifikation der Quadriken

Im Folgenden werden Koordinatentransformationen angewandt, um die Quadriken auf beson-ders einfache, und eindeutig bestimmte, Gleichungen zu bringen, also auf ”Normalform“. Dabeiwenden wir in dieser Reihenfolge an:

24

(1) orthogonale Transformationen(2) Translationen(3) SkalierungDabei verwenden wir, dass die Kombination (1) von (2) eine beliebige Isometrie ergibt. DieseKombination muss uns also die Klassifiktation der Quadriken bis auf Isometrie liefern. Lassenwir zusatzlich Skalierung zu, so ergibt das beliebige affine Transformationen, und damit dieentsprechende Klassifikation der Quadriken.Fundamentales Hilfsmittel aus der Linearen Algebra ist der Spekralsatz fur selbstadjungierteEndomorphismen/symmetrische Matrizen:

Theorem 3.13 (Spekralsatz). Jeder Endomorphismus auf einem endlich-dimensionalen reellenVektorraum mit Skalarprodukt hat eine Orthonormalbasis aus Eigenvektoren.Aquivalent: Fur jede symmetrische Matrix A ∈ Rn×n (also mit At = A) gibt es eine orthogo-nale Matrix S ∈ Rn×n (also mit St = S−1) so dass StAS = Λ eine Diagonalmatrix ist.

Der Beweis fur die Aquivalenz der beiden Formulierungen wird hier nicht gegeben. Die Diago-naleintrage von Λ sind die Eigenwerte von A. Die Spalten von S bilden eine Orthonormalbasisaus Eigenvektoren von A, wobei fur die zweite Formulierung das Standardskalarprodukt aufdem Rn angenommen wird (was wegen Gram–Schmidt zulassig ist). Damit ist der Spektralsatzkonstruktiv: wir wissen, wie man S konstruieren kann.Sei nun die Quadrik Q ⊂ Rn gegeben als Menge der Nullstellen von

q(x) = (1, xt)

(c bt

b A

)(1x

)mit A = At ∈ Rn×n, b ∈ Rn, c ∈ R.(1) Orthogonale Transformation. Wir konstruieren S ∈ O(n) so, dass

StAS =

λ1. . .

λkλk+1

. . .λk+`

0. . .

0

mit λ1, . . . , λk > 0 und λk+1, . . . , λk+` < 0. (Zum Beispiel kann man die nichtverschwindendenEigenwerte nach Große ordnen, und erhalt damit λ1 ≥ · · · ≥ λk > 0 > λk+1 ≥ · · · ≥ λk+`.)Damit konnen wir das quadratische Polynom q(x) wie folgt faktorisieren:

q(x) = (1, xt)

(1 00 S

)(1 00 St

)(c bt

b A

)(1 00 S

)(1 00 S−1

)(1x

)= (1, xt)

(c bt

b Λ

)(1x

)mit x := S−1x, b := Stb und Λ := StAS.

25

Hier sind also die ersten k ≥ 0 Spalten von S orthonormale Eigenvektoren zu positiven Eigen-werten von A, die nachsten ` ≥ 0 Spalten von S sind orthonormale Eigenvektoren zu negativenEigenwerten von A, und die letzten n−k−` ≥ 0 Spalten von S sind eine Orthonormalbasis furden Eigenraum zum Eigenwert 0, also zum Kern vonA. Dabei durfen wir im Fall, dass das mehrals eine Spalte ist, also fur n− k − ` ≥ 2, annehmen, alle diese Spalten außer moglicherweiseder ersten, senkrecht auf b stehen, dass also die letzten n− k − `− 1 Koordinaten von b = Stbverschwinden.Damit liegt das Polynom q(x) jetzt in der Form

q(x) = λ1x21 + · · ·+ λk+`xk+`

2 + 2b1x1 + · · ·+ 2bk+`+1xk+`+1

vor. Dieses kann man nun durch eine quadratische Erganzung vereinfachen, oder — aquivalentdazu (!) — durch eine geeignete Translation.(2) Translation. Eine Translation x 7→ x+ u (also eine affine Abbildung) lasst sich in den “ho-mogenen” Koordinaten (mit zusatzlicher Koordinate x0 = 1) als lineare Abbildung darstellen:(

1x

)7→(

1u+ x

)=

(1 0t

u E

)(1x

).

wobei E die Einheitsmatrix darstellt (hier: E ∈ Rn×n). Die Inverse der Translation um u ist dieTranslation um −u. Daher faktorisieren wir weiter q(x) als

(1, xt)

(1 00 S

)(1 −ut0 E

)(1 ut

0 E

)(1 00 St

)(c bt

b A

)(1 00 S

)(1 0t

u E

)(1 0t

−u E

)(1 00 S−1

)(1x

)= (1, ¯xt)

(c + 2btu + utΛu bt + utΛ

b + Λu Λ

)(1¯x

)mit ¯x = S−1x− u.

Nun setzen wirr := rankA = rank Λ = k + `

und

r′ := rank(c bt

b A

)= rank

(c bt

b Λ

)= rank

(c+ 2btu+ utΛu bt + utΛ

b+ Λu Λ

).

Dabei ist offenbar 0 ≤ r ≤ r′ ≤ r + 2, r ≤ n und r′ ≤ n+ 1.Fall 1: Liegt b im Spaltenraum von A, also rank(b Λ) = rank(Λ) = k + `, so gibt es ein u mitb + Λu = 0 (namlich u := −Λ∗b, wobei Λ∗ die Diagonaleintrage λi−1 hat), und wir berechnenc+ 2btu∗utΛu = c− btΛ∗b =: ¯c. In diesem Fall ist r′ = r wenn ¯c = 0 ist, und sonst r′ = r+ 1.Fall 2: Liegt b nicht im Spaltenraum von A, so hat q(x) also einen linearen Term, und wirkonnen c durch eine weitere Translation wegtransformieren.Insgesamt ergibt das den folgenden Normalformsatz:

Theorem 3.14 (Euklidische Hauptachsentransformation). Jede Quadrik im Rn (mit Ausnahmeder linearen Quadriken, also der Hyperebenen, sowie Q = ∅ und Q = Rn) lasst sich durcheine Isometrie auf eine der folgenden drei Typen von Normalformen bringen, fur k ≥ 1, ` ≥ 0,k + ` ≤ n, und 0 < a1 ≤ · · · ≤ ak, ak+1 ≥ · · · ≥ ak+` > 0:

(1a)x21a21

+ · · ·+ x2ka2k−x2k+1

a2k+1

− · · · −x2k+`a2k

= 1,

26

(1b)x21a21

+ · · ·+ x2ka2k− x21a2k+1

− · · · −x2k+`a2k

= 0 mit k ≥ ` und a1 = 1,

(2)x21a21

+ · · ·+ x2ka2k− x21a2k+1

− · · · −x2k+`a2k

= 2xk+`+1, mit k ≥ `, k + ` < n.

Hier entspricht (1a) dem Fall r′ = r + 1, (1b) ist der Fall r′ = r, und (2) ist der Fall r′ = r + 2.Dass man jede Quadrik auf eine dieser Normalformen transformieren kann, haben wir im We-sentlichen bewiesen; dafur setzt man λi =: 1

a2ifur i ≤ k und λi =: − 1

a2ifur k < i ≤ k + `. Die

Bedingung k ≥ 1 schließt die linearen Quadriken aus.Eigentlich wurde man den Normalformsatz so formulieren, dass die Normalformen alle unter-schiedlich sind, und Quadriken mit unterschiedlicher Normalform auch nicht ineinander trans-formierbar. Das ist fur die oben angegebene Formulierung nicht ganz richtig, aus zwei Grunden:

1. die Quadriken der Form (1b) haben im Fall k = ` zusatzliche Aquivalenzen, und2. fur lineare Quadriken (insbesondere Hyperebenen) ist das Quadrat einer definierenden

Gleichung wieder eine definierende Gleichung, und diese tauchen in den obigen Glei-chungen eben doch noch auf.

Mit etwas mehr Muhe/Geduld lasst sich die obige Beschreibung aber zu so einer “eindeutigenNormalform” verfeinern. Um dies zu formulieren, kann/musste man insbesondere im Fall (1b)lexikographische Ordnung etc. verwenden. Um sie zu beweisen, argumentiert man entwedergeometrisch, oder algebraisch — muss dann zeigen, dass die Gleichung durch die Quadrik imWesentlichen (bis auf Vielfache) eindeutig festgelegt ist — wieder bis auf die offensichtlicheAusnahmen im Fall von linearen Quadriken (leer, Hyperebene, ganzer Rn).Wir geben die Klassifikation der Quadriken fur n = 2 tabellarisch an:

Typ r r′ k ` typische Gleichung Beschreibung(1a) 1 2 1 0 x21 = 1 zwei parallele Geraden(1a) 2 3 2 0 x21 + x22 = 1 Ellipse(1a) 2 3 1 1 x21 − x22 = 1 Hyperbel(1b) 1 1 1 0 x21 = 0 (Doppel-)Gerade(1b) 2 2 1 1 x21 − x22 = 0 Geradenpaar mit Schnittpunkt(1b) 2 2 2 0 x21 + x22 = 0 Punkt (Kreis vom Radius 0)(2) 1 3 1 0 x21 = 2x2 Parabel

Wir diskutieren also nochmal die Aussage ”die Kegelschnitte sind genau die nicht-leeren ebe-nen Quadriken“ . . . und stellen fest, dass es drei Ausnahmen gibt, namlich die Ebene, die leereMenge, und zwei parallele Geraden — alle drei Ausnahmen sind Quadriken, aber keine Kegel-schnitte.

27

Genauso bekommen wir die nichtlinearen Quadriken im R3 als

Typ r r′ k ` typische Gleichung Beschreibung(1a) 1 2 1 0 x21 = 1 paralleles Ebenenpaar(1a) 2 3 2 0 x21 + x22 = 1 Zylinder uber einer Ellipse(1a) 2 3 1 1 x21 − x22 = 1 Zylinder uber einer Hyperbel(1a) 3 4 3 0 x21 + x22 + x23 = 1 Ellipsoid(1a) 3 4 2 1 x21 + x22 − x23 = 1 einschaliges Hyperboloid(1a) 3 4 1 2 x21 − x22 − x23 = 1 zweischaliges Hyperboloid(1b) 1 1 1 0 x21 = 0 Doppelebene(1b) 2 2 2 0 x21 + x22 = 0 Gerade(1b) 2 2 1 1 x21 − x22 = 0 Ebenenpaar mit Schnittgerade(1b) 3 3 3 0 x21 + x22 + x23 = 0 Punkt(1b) 3 3 2 1 x21 + x22 − x23 = 0 Kreiskegel(1b) 1 3 1 0 x21 = 2x2 Zylinder uber einer Parabel(1b) 2 4 2 0 x21 + x22 = 2x3 elliptisches Paraboloid(1b) 2 4 1 1 x21 − x22 = 2x3 hyperbolisches Paraboloid

Bemerkung 3.15. Die interessantesten Falle sind offenbar die mit r′ = n + 1; alle anderenQuadriken erhalt man als Zylinder oder Kegel uber niedrigdimensionaleren Quadriken.

Bemerkung 3.16. Unter den Quadriken im R3 mit r′ = n + 1 (nichtlinear, nicht Zylinder oderKegel (im Fall (1b))) sind• einschaliges Hyperboloid und• hyperbolisches Paraboloid

Regelflachen, bei denen es durch jeden Punkt der Quadrik zwei Geraden gibt, die in der Quadrikverlaufen.

Unter den Regelflachen wird insbesondere auf das einschalige Hyperboloid hingewiesen —siehe die “Mae West”-Skulptur in Munchen [3].

3.2.2 Affine Klassifikation der Quadriken

Wenn wir nur auf Klassifikation der Quadriken bis auf affine Transformation interessiert sind,dann durfen wir insbesondere Koordinatentransformationen der Form xi

ai7→ xi durchfuhren,

und bekommen damit aus dem euklidischen den affinen Normalformsatz:

Theorem 3.17 (Affine Hauptachsentransformation). Jede nicht-lineare Quadrik im Rn lasstsich durch eine affine Transformation auf eine der folgenden drei Typen von Normalformenbringen, fur k ≥ 1, ` ≥ 0, k + ` ≤ n:

(1a) x21 + · · ·+ x2k − x21 − · · · − x2k+` = 1,

(1b) x21 + · · ·+ x2k − x21 − · · · − x2k+` = 0mit k ≥ `,

(2) x21 + · · ·+ x2k − x21 − · · · − x2k+` = 2xk+`+1

mit k + ` < n.

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Dass man jede Quadrik auf eine dieser Normalformen transformieren kann, folgt aus dem eu-klidischen Fall mit einer zusatzlichen Substitution xi

ai7→ xi.

Quadriken mit diesen Normalformen sind alle unterschiedlich sind und nicht durch affine Trans-formationen ineinander transformierbar — wieder mit den ”offensichtlichen“ Ausnahmen, beiden linearen Quadriken. Um das zu beweisen, argumentiert man wieder entweder geometrisch,oder algebraisch.

Literatur[1] David A. Brannan, Matthew F. Esplen, and Jeremy J. Gray. Geometry. Cambridge University Press,

Cambridge, 1999.

[2] Albrecht Durer. Unterweysung der Messung mit dem Zyrkel und Rychtscheydt. Nurnberg, 1525(English translation with commentary by W. L. Strauss: “The Painter’s Manual: Instructions forMeasuring with Compass and Ruler”, New York 1977); http://de.wikisource.org/wiki/Underweysung_der_Messung,_mit_dem_Zirckel_und_Richtscheyt,_in_Linien,_Ebenen_unnd_gantzen_corporen/Erstes_Buch.

[3] Gunter M. Ziegler. Mathematik im Alltag: Der Name der Rose. Mitteilungen der DMV, 19(1):42–44,2011.

29

4 Projektive Geometrie

4.1 Motivation• Affine Geometrie: Punkte ”im Unendlichen“, so dass sich zwei Geraden in einer Ebe-

ne immer in einem Punkt schneiden; es gibt keine Parallen; perfekte Dualitat zwischenPunkten und Hyperebenen• ”Gebrochen-lineare“ Transformationen konnen Geometrie vereinfachen, aber schieben

”Hyperebenen nach Unendlich“• Was passiert, wenn man bei Kegelschnitten die Ebene stetig verandert?

Ellipse→ Parabel→ Hyperbel?• Zentralprojektion: Streckenverhaltnisse andern sich, aber “Doppelverhaltnisse” bleiben

gleich.Was haben wir davon? Geometrie mit• perfekter Dualitat• vielen Transformationen, also vielen Moglichkeiten zur Vereinfachung• Matrix-Beschreibung fur Transformationen

4.2 Der n-dimensionale projektive Raum

4.2.1 Definition; mehrere Modelle

Definition 4.1 (Der n-dimensionale projektive Raum). Der n-dimensionale projektive RaumRPn ist die Menge

RPn := {L ⊆ Rn+1 : L ist ein 1-dimensionaler linearer Unterraum}.

aller 1-dimensionalen Unterraume im Vektorraum Rn+1.Fur −1 ≤ k ≤ n sind die k-dimensionalen projektiven Unterraume die Teilmengen

P (U) := {L ∈ RPn : L ⊆ U} fur (k + 1)-dimensionale Unterraume U ⊆ Rn+1.

Achtung: die projektive Dimension von P (U) ist also gegeben durch

dimP (U) = dimU − 1.

Bemerkung 4.2 (Mehrere Modelle). Den Projektiven Raum RPn konnen wir aquivalent betrach-ten als(1) Raum der eindimensionalen Unterraume im Rn+1, wie hier definiert,(2) die Menge der Vektoren in Rn+1 \ {0}, modulo Identifikation von Vielfachen,(3) die Sphare Sn ⊂ Rn+1 modulo Identifizierung gegenuberliegender Punkte, oder(4) affiner Raum Rn plus “Punkte im Unendlichen”.

Wichtig sind die Ubersetzungen zwischen diesen Modellen, wobei wir identifizieren:(1) einen eindimensionalen Unterraume im Rn+1 mit(2) den nicht-verschwindenden Vektoren in den Unterraum, bzw.(3) den (beiden) Vektoren der Lange 1 in dem Unterraum,

30

(4) dem Vektor in dem Unterraum mit x0-Koordinate 1, bzw. sonst einer Richtung (d.h. einemElement von RPn−1).

Lemma 4.3. Zwei verschiedene Geraden G1, G2 ⊂ RP2 schneiden sich in genau einem Punkt.

Proposition 4.4 (Plucker-Koordinaten). Sei U ein k-dimensionaler linearer Unterraum U ⊆Rn. Sei A ∈ Rn×k eine Matrix, deren Spalten eine Basis von U bilden. Der Plucker-Vektor vonA ist der Vektor xA ∈ R(n

k) der k × k-Unterdeterminanten von A. Dieser ist bis auf Vielfacheeindeutig bestimmt, ergibt also einen eindeutigen Punkt im RP(n

k)−1. Dieser Punkt bestimmtden linearen Unterraum eindeutig (wobei nicht jeder Punkt in RP(n

k)−1 einen Unterraum ent-spricht).

Beweis. Die Matrix A ist bis auf invertierbare Spaltenoperationen eindeutig bestimmt. Also istder Vektor der Unterdeterminanten bis auf ein gemeinsames Vielfaches eindeutig bestimmt.Die Rekonstruktion des Unterraums aus dem gegebenen Plucker-Vektor uberlegt man sich amBeispiel.

4.3 Projektive Transformationen

Definition 4.5 (Projektive Transformationen; Projektivitaten). Eine Abbildung f : RPm →RPn heißt projektiv, wenn sie durch eine lineare Abbildung f : Rm+1 → Rn+1, x 7→ Axinduziert wird, fur A ∈ R(n+1)×(m+1). (Insbesondere muss dann x 7→ Ax injektiv sein, A alsovollen Rang m haben, insbesondere also m ≤ n gelten.)Eine Projektivitat ist eine projektive Abbildung f : RPn → RPn. (Projektivitaten sind also diebijektiven projektiven Abbildungen.)

Lemma 4.6. Die projektiven Transformationen RPn → RPn eingeschrankt auf Rn ⊂ RPn

sind genau die ”gebrochen-linearen“ Transformationen x 7→ Ax+bctx+δ

fur nichtsingulare Matrix(δ ct

b A

).

Beachte: die gebrochen-lineare Abbildung ist fur c 6= 0 nur außerhalb der Hyperebene H :={x : ct + δ = 0} definiert. Interpretation: diese bildet H ”nach Unendlich“ ab.

Beweis. (1x

)7−→

(δ ct

b A

)(1x

)=

(ctx+ δAx+ b

)∼(

1Ax+bctx+δ

).

Proposition 4.7 (Invarianten). Projektive Transformationen(i) bilden projektive Unterraume auf projektive Unterraume (derselben Dimension!) ab,

(ii) bilden Quadriken auf Quadriken ab.

Definition 4.8 (Projektive Basis). Eine projektive Basis des RPn besteht aus n + 2 Punktenp0, p1, . . . , pn+1, von denen keine n + 1 auf einer Hyperebene (also in einem Unterraum derDimension n− 1) liegen.

31

Proposition 4.9 (Hauptsatz der Projektiven Geometrie). Seien (p0, . . . , pn+1) und (p′0, . . . , p′n+1)

zwei (geordnete) projektive Basen des Rn, so gibt es genau eine projektive Abbildung f :RPn → RPn, die pi auf p′i abbildet (0 ≤ i ≤ n+ 1).

Beweis. Seien pi bzw. p′i entsprechende Vektoren im Rn+1. Dann gibt es lineare Abhangigkeitenλ0p0 + · · · + λn+1pn+1 und λ′0p

′0 + · · · + λ′n+1p

′n+1, die beide bis auf Vielfache eindeutig sind,

und deren Koeffizienten nicht Null sind. Weiter sind (λ0p0, . . . , λnpn) und (λ′0p′0, . . . , λ

′np′n)

Basen des Rn+1, so dass λipi 7→ λ′ip′i eine eindeutige lineare Abbildung definiert. Die linearen

Abhangigkeiten garantieren dann, dass λn+1pn+1 7→ λ′n+1p′n+1.

Ende 19.5.2011

Korollar 4.10. Die projektiven Transformationen auf dem RPn bilden eine Gruppe.Diese ist gegeben durch lineare Transformationen auf dem Rn+1 modulo Dilatationen, also

PGL(n,R) = GL(n+ 1,R)/R∗

Die Dimension dieser Gruppe, also auch die Anzahl der Freiheitsgrade, die wir fur eine projek-tive Transformation haben, ist (n+ 1)2 − 1 = (n− 2)n.

Beispiel 4.11. In der Ebene, kann man mit projektiven Transformationen jedes Dreieck aufjedes Dreieck abbilden, und jedes Viereck auf ein beliebiges Viereck (z.B. ein Einheitsquadrat),aber nicht jedes Funfeck auf ein beliebiges (z.B. das regelmaßige) Funfeck.

Korollar 4.12 (Projektives Koordinatensystem). Die Vektoren e0, e1, . . . , en, e0 + · · · + en ∈Rn+1 induzieren eine geordnete projektive Basis im RPn.Ist nun (p0, . . . , pn+1) eine beliebige geordnete Basis des RPn, so gibt es eine eindeutige Pro-jektivitat nach Hauptsatz 4.9. Diese induziert Koordinaten

(1 : 0 : 0 : · · · : 0) fur p0,(0 : 1 : 0 : · · · : 0) fur p1,

. . .(0 : 0 : 0 : · · · : 1) fur pn,(1 : 1 : 1 : · · · : 1) fur pn+1,

wobei die Notation (x0 : x1 : x2 : · · · : xn) betont, dass diese Vektoren von “Koordinaten” nurbis auf Vielfache definiert sind.

Mit diesen projektiven Koordinaten kann man rechnen. So entsprechen die Koordinatenvektorenmit xn 6= 0 (ohne Einschrankung der Allgemeinheit: xn = 1) genau den Punkten im affinenRaum Rn ⊆ RPn, wahrend die Koordinatenvektoren mit xn = 0 genau den Punkten “imUnendlichen” entsprechen. Punkte, die auf einer Hyperebene liegen, erfullen eine homogenelineare Gleichung, usw.

32

4.4 Das Doppelverhaltnis

Definition 4.13 (Doppelverhaltnis). Seien a, b, c, d ∈ RPn vier Punkte im RPn, die auf einerGeraden liegen, mit a 6= b.Dann konnen wir c = αa+ βb, d = γa+ δb schreiben.Das Doppelverhaltnis ist dann

[a, b; c, d] =β/α

δ/γ=

βγ

αδ∈ R ∪ {∞}.

Das Doppelverhaltnis [a, b; c, d] ist=∞ fur d = a= 0 fur d = b= 1 fur d = c

Lemma 4.14. Das Doppelverhaltnis ist wohl-definiert.

Beweis. Fur den Beweis wahlen wir a, b, c, d ∈ Rn+1 \ {0}, und beobachten, dass sich dasDoppelverhaltnis nicht verandert, wenn wir die Vektoren a, b, c, d durch Vielfache ersetzen.

Affine Teilungsverhaltnisse sind Doppelverhaltnisse: Liegen b, c, d auf einer affinen Geraden, a“im Unendlichen” auf der Geraden, mit d = (1 − λ)c + λb, so konnen wir a = c − b setzen,also c = a+ b und d = λa+ b, und das ergibt [a, b; c, d] = λ.Kurz also: [∞, b; c, (1− λ)c+ λb] = λ.

Bemerkung 4.15. Wir konnen das Doppelverhaltnis immer dann definieren, wenn die vier Punk-te a, b, c, d kollinear sind, und mindestens drei von ihnen verschieden. Falls a = b ist, setzen wirdafur [a, b; c, d] = [c, d; a, b].

Theorem 4.16 (Invarianten). Projektive Transformationen erhalten Doppelverhaltnisse. Sindalso unter a, b, c, d ∈ RPm mindestens drei verschiedene Punkte, und ist f : RPm → RPn, sogilt

[a, b; c, d] = [f(a), f(b); f(c), f(d)].

Beweis. Wir stellen a, b, c, d dar durch a, b, c, d ∈ Rm+1, und f durch A ∈ R(n+1)×(m+1). Giltc = αa + βb, d = γa + δb, so folgt Ac = αAa + βAb, Ad = γAa + δAb, und damit ergebenf(a), f(b), f(c), f(d) dieselben Parameter α, β, γ, δ und damit auch dasselbe Doppelverhaltnis.Im Fall a = b argumentiert man separat.

Proposition 4.17. Seien a, b, c, d ∈ Rn mit [a, b; c, d] = λ. Dann gilt(1) [a, b; c, d] = [b, a; d, c] = [c, d; a, b] = [d, c; b, a] = λ,(2) [a, b; d, c] = 1

λ, [b, a; c, d] = 1/λ,

(3) [a, c; b, d] = 1− λ(4) und damit sind alle anderen Werte des Doppelverhaltnisses einer Permutation der vier

Punkte festgelegt; dabei konnen nur 6 verschiedene Werte auftreten, namlich λ, 1λ

, 1 − λ,1− 1

λ, 11−λ und λ

λ−1 .

33

Beweis. Wegen Theorem 4.16 genugt es, dies fur n = 1 zu beweisen.(1) und (4) folgen aus (2) und (3).Dabei ist (2) ziemlich offensichtlich, wahrend (3) auf eine polynomiale Identitat zwischen De-terminanten hinauslauft, eine “3-Term Grassmann-Plucker-Identitat”.

Proposition 4.18 (Zentralprojektionen). Sind a, b, c, d und A,B,C,D jeweils kollineare Punk-te, so dass sich die Geraden aA, bB, cC, dD schneiden (bzw. so dass es einen Punkt o gibt, dernicht auf den beiden Geraden abcd und ABCD liegt und oaA, obB, ocC, odD kollinear sind),so gilt [a, b, c, d] = [A,B,C,D].

Beweis. Wegen Theorem 4.16 genugt es, dies fur n = 2 zu beweisen.Man konstruiert leicht eine projektive Transformation (“Zentralprojektion”), die o festhalt unda auf A und b auf B abbildet, und so weiter: Dafur arbeiten wir wieder im Rn+1, erganzen dorto, a, b zu einer Basis, und legen die lineare Abbildung Rn+1 → Rn+1 dadurch fest, dass wir oauf sich selbst abbilden und a 7→ A, b 7→ B, und die weiteren Basisvektoren (fur n > 2) wiederauf sich selbst. Die lineare Abbildung induziert eine projektive Abbildung mit o 7→ o, a 7→ Aund b 7→ B. Diese erhalt Kollinearitaten, also wird c auf C und d auf D abgebildet. Und dannkonnen wir Theorem 4.16 anwenden.

Projektive Abbildungen erhalten Doppelverhaltnisse. Es gilt aber auch eine Umkehrung:

Theorem 4.19. Jede Abbildung f : RPm → RPn, kollineare Punkte auf kollineare Punkte ab-bildet (also Geraden auf Geraden abbildet), und Doppelverhaltnisse erhalt, ist eine projektiveAbbildung.

Bemerkung: fur n ≥ 2 braucht man die Bedingung uber Doppelverhaltnisse nicht, dann mussman fur den Beweis aber signifikant harter arbeiten.

4.5 Projektive Inzidenzgeometrie

4.5.1 Schnitt und Verbindung

U, V ⊂ RPn projektive Unterraume, dann ist U ∧ V := U ∩ V wieder projektiver Unterraum.Dieser ist auch der großte Unterraum, der sowohl in U als auch in V enthalten ist. In dieserCharakterisierung wird er auch als Meet von U und V bezeichnet und als U ∧ V notiert.Aber U ∪ V ist ublicherweise kein projektiver Unterraum.

Definition 4.20 (Verbindung). Die Verbindung (oder auch der Join) U∨V von zwei projektivenUnterraumen U, V ⊂ RPn ist der Schnitt aller projektiven Unterraume, die U ∪ V enthalten.

Proposition 4.21 (Dimensionsformel: Modulare Gleichung). Fur beliebige projektive UnterraumeU, V ⊂ RPn gilt

dimU + dimV = dim(U ∧ V ) + dim(U ∨ V ).

Beweis. Dies folgt sofort aus der Dimensionsformel fur lineare Unterraume U , V ⊆ Rn+1 furlineare Unterraume, mit dimP (U) = dimU − 1 fur P (U) = U usw.

Korollar 4.22. Gilt dimU + dimV ≥ n fur U, V ⊆ RPn, so folgt U ∩ V 6= ∅.Korollar 4.23. Sei H ⊂ RPn eine Hyperebene und p ∈ RPn \H . Dann schneidet jede Geradedurch p die Hyperebene H in einem einzigen Punkt.

34

4.5.2 Dualitat

Theorem 4.24. Fur jedes n ≥ 0 gibt es eine Abbildung, die jedem projektiven Unterraum vonU ⊆ Rn einen projektiven Unterraum U∗ ⊆ RPn zuordnet mit• dimU∗ = n− 1− dimU ,• (U∗)∗,• U ⊆ V ⇔ V ∗ ⊆ U∗,• U ∧ U∗ = ∅, U ∨ U∗ = RPn.

Die Abbildung U 7→ U∗ heißt auch Dualitatsabbildung. Sie bildet insbesondere Punkte aufHyperebenen ab, und umgekehrt.

Beweis. Fur U = P (U) setze U∗ := P (U⊥).

Ende 26.5.2011

Damit ubersetzt sich jedes Inzidenztheorem in ein duales Inzidenztheorem. Beispiele:(i) Zwei verschiedene Geraden im RP2 schneiden sich in genau einem Punkt←→

Zwei verschiedene Punkte im RP2 liegen auf genau einer Gerade(ii) n Geraden in allgemeiner Lage im RP2 bestimmen

(n2

)Schnittpunkte←→

n Punkte in allgemeiner Lage im RP2 liegen auf(n2

)Verbindungsgeraden

(iii) n Punkte in der projektiven Ebene, nicht alle auf einer Geraden, bestimmen immer eineVerbindungsgerade, die genau zwei der Punkte enthalt←→nGeraden in der projektiven Ebene, nicht alle durch einen Punkt, bestimmen immer einenSchnittpunkt, der auf genau zwei Geraden liegt(das ist der Satz von Sylvester–Gallai, siehe [1, Kap. 10])

(iv) Drei Ebenen im RP3 haben immer einen gemeinsamen Punkt←→Drei Punkte im RP3 liegen immer auf einer Ebene.

(v) etc.

4.5.3 Pappus und Desargues

Theorem 4.25 (Satz von Pappus). Sind A,B,C Punkte auf einer Geraden G und A′, B′, C ′

Punkte auf einer Geraden G′, und ist γ der Schnittpunkt von AB′ mit A′B, β der Schnittpunktvon AC ′ mit A′C, α der Schnittpunkt von BC ′ mit B′C, so sind α, β, γ kollinear.

Beweis. Nach projektiver Transformation (!) durfen wir annehmen, dass αγ die Gerade imUnendlichen ist.Schneiden sich G und G′ in der affinen Ebene, so betrachtet man die affinen Streckungen ϕ :A 7→ B und ψ : B 7→ C mit Zentrum G∩G′. Affine Streckungen erhalten Parallelitat, also giltϕ : B′ 7→ A′ und ψ : C ′ 7→ B. Also ψ◦ϕ : A 7→ C, ϕ◦ψ : C ′ 7→ A′. Es gilt aber ψ◦ϕ = ϕ◦ψ.Sind G und G′ parallel, so argumentiert man separat.

Beobachtung: Kommutativitat spielt eine entscheidende Rolle im Beweis. (In der Tat ist derSatz von Pappus fur projektive Geometrie uber einem Schiefkorper nicht richtig.)

Theorem 4.26 (Satz von Desargues). Dreiecke ABC und A′B′C ′ und sind perspektivisch (alsodie Verbindungsgeraden entsprechender Ecken AA′, BB′, CC ′ konkurrent) dann und nur dann

35

wenn die Schnittpunkte α = BC ∩ B′C ′ β = AC ∩ A′C ′ γ = AB ∩ A′B′ der entsprechendenSeiten kollinear sind.

Beweis. Fur “⇐=”: Nach projektiver Transformation liegen α, β, γ auf der Geraden im Un-endlichen. Also ist AB‖A′B′, AC‖A′C ′ und BC‖B′C ′. Damit sind die Dreiecke ABC undA′B′C ′ ahnlich, ihr Zentrum kann durch Schnitt von Geraden ausgerechnet werden.Dabei verwendet man das “Lemma von Thales”, wonach parallele Geraden auf unterschiedli-chen Geraden dieselben Teilungsverhaltnisse induzieren — was man nachrechnen kann.Fur “=⇒”: Dualitat!

Beobachtung: Arithmetik spielt eine entscheidende Rolle im Beweis. (In der Tat ist der Satzvon Desargues fur “synthetische” projektive Ebenen nicht richtig.) Es gibt einen 3D-Beweis furden Satz von Desargues – aber in der Tat lasst sich jede “synthetische” projektive Raum derDimension n ≥ 3 uber einem Schiefkorper koordinatisieren.

Bemerkung 4.27. Vorsicht bei der Formulierung mit degenerierten Versionen!Vergleiche Richter-Gebert [4, Example 1.1]

Bemerkung 4.28. Es gibt vielfaltige Verallgemeinerungen: So kann man im Satz von Pappusdie Vereinigung der beiden Geraden G ∪G′ durch einen beliebigen Kegelschnitt ersetzen!

4.6 Quadriken

Theorem 4.29 (Projektive Hauptachsentransformation). Jede Quadrik im Rn (mit Ausnahmeder linearen Quadriken, also der Hyperebenen, sowie Q = ∅ undQ = Rn) lasst sich durch eineprojektive Transformation auf eine Normalform der Form

1 + x21 + · · ·+ x2k − x2k+1 − · · · − x2k+` = 0,

mit k + 1 ≥ ` ≥ 1, k + ` ≤ n bringen.In projektiven Koordinaten:

Q = {(x0 : x1 : · · · : xn) ∈ RPn : x20 + · · ·+ x2k − x2k+1 − · · · − x2k+` = 0}

mit k + 1 ≥ ` ≥ 1, k + ` ≤ n.

Beweis. Wir schreiben Q als

Q = {x ∈ Rn : (1, xt)

(c bt

b A

)(1x

)= {x ∈ Rn : (1, xt)A

(1x

)fur A ∈ Rn×n symmetrisch, b ∈ Rn, c ∈ R, bzw. A ∈ R(n+1)×(n+1) symmetrisch.Weil A symmetrisch ist, gibt es eine orthogonale Matrix S ∈ O(n + 1) so dass StAS diagonalist, also gleich diag(λ0, λ1, . . . , λk,−λk+1, . . . ,−λk+`, 0, . . . , 0) mit λi > 0, und dann eineDiagonalmatrix D ∈ R(n+1)×(n+1) mit Diagonaleintragen 1/

√λi fur 0 ≤ i ≤ k + `, so dass

DStASD = diag(1, . . . , 1,−1, . . . ,−1, 0, . . . , 0).

36

Die Tatsache, dass bei dieser Koordinatentransformation k und ` eindeutig bestimmt sind, fol-gert man aus Sylvester’scher Tragheitssatz [2, S. 186] [3, S. 362]: k+ 1 ist namlich die Dimen-sion des großten Unterraums von Rn+1, auf dem die quadratische Form xtAx positiv definit ist,und genauso fur ` und negativ definit.Die Bedingung k + 1 ≥ ` stellt man her, indem man ggf. A durch −A ersetzt.

Literatur[1] Martin Aigner and Gunter M. Ziegler. Das BUCH der Beweise. Springer-Verlag, Heidelberg Berlin,

third edition, 2009.

[2] Gerd Fischer. Analytische Geometrie. Vieweg, Wiesbaden, 2001. 7. Auflage.

[3] Gerd Fischer. Lernbuch Lineare Algebra und Analytische Geometrie. Vieweg+Teubner, Wiesbaden,2011.

[4] Jurgen Richter-Gebert. Mechanical theorem proving in projective geometry. Annals of Mathematicsand Artificial Intelligence, 13:139–172, 1995.

37

5 Was ist (eine) Geometrie?

5.1 Axiomatische Beschreibungen von Geometrie

Nach Euklid ca. 300 vor Christus [3, 5] und Hilbert 1899 [7]; siehe auch Artmann [1], Harts-horne [6]).So beschreibt Hilbert in den “Grundlagen der Geometrie” ein System von Axiomen fur eineMenge von Elementen, die “Punkte” heißen, mit Teilmengen, die “Geraden” heißen, so dassein Satz von Axiomen erfullt ist:• 8 Axiome der Verknupfung (Inzidenz)• 4 Axiome der Anordnung• 5 Axiome der Kongruenz• ein Parallelenaxiom• 2 Axiome der Stetigkeit.

Das Hilbert’sche Axiomensystem findet man beispielsweise zusammengefasst unterhttp://de.wikipedia.org/wiki/Hilberts_Axiomensystem_der_euklidischen_Geometrie.Muhsame Arbeit ergibt dann, dass die Axiome unabhangig voneinander sind, widerspruchsfreisind (unter der Annahme, dass die elementare Arithmetik widerspruchsfrei ist), und vollstandig:dass damit die Geometrie in R2 und R3 eindeutig beschrieben ist.Problem: es gibt auch viele sehr unsymmetrische, unnaturliche etc. Systeme, die Axiomensys-teme fur Geometrie erfullen konnen. Die Axiome sehen teilweise sehr willkurlich aus.Es stellt sich heraus, dass projektive Geometrie einfacher und konziser beschrieben werden kann(nach Veblen & Young 1905).

Definition 5.1. Eine projektive Geometrie ist ein Paar P = (P ,L), wobei die Elemente von PPunkte und die Elemente von L Geraden heißen, mit L ⊆ 2L (die Geraden sind Mengen vonPunkten), mitAxiom 1 Durch zwei verschiedene Punkte gibt es genau eine Gerade,Axiom 2 Sind A,B,C ∈ P verschiedene Punkte und schneidet ` ∈ L die Geraden AB und

BC in unterschiedlichen Punkten, dann schneidet sie auch BC.Axiom 3 Jede Gerade enthalt mindestens 3 Punkte

Theorem 5.2 (Veblen & Young). Gilt in einer projektiven Geometrie der Satz von Desargues,so ist sie als projektiver Raum uber einem Schiefkorper darstellbar.Gilt in einer projektiven Geometrie der Satz von Pappus, so ist sie sogar als projektiver Raumuber einem Korper darstellbar.

(Nach Hessenberg 1905 impliziert der Satz von Pappus den von Desargues.)Fugt man Axiome der Ordnung und Stetigkeit hinzu, dann kann man weiter auch den RPn

charakterisieren.

5.2 Kleins Erlanger Programm

In seiner Antrittsvorlesung in Erlangen (1872) hat Felix Klein eine andere Sichtweise auf Geo-metrie propagiert: als eine Menge von Elementen, die “Punkte” heißen, mit einer transitiven

38

Gruppenaktion, die zeigt, wie der Raum von jedem Punkt aus gleich aussieht. Eigenschaftender Geometrie sind dann Invarianten der Gruppenaktion, wie z.B. Geraden, Unterraume, etc.Wir versuchen die Idee von Klein formal zu fassen.

Definition 5.3. Eine Geometrie ist eine Menge X von Elementen, die Punkte heißen, mit Wir-kung einer Gruppe G, die transitiv und treu auf X wirkt.

(Transformationsgruppe: jedem Element g ∈ G entspricht eine Bijektion ϕg : X → X , so dassϕe die Identitat ist, und ϕg ◦ ϕh(x) = ϕg(ϕh(x)) gilt: Die Wirkung ist transitiv, wenn es furbeliebige x, y ∈ X ein g ∈ G gibt mit ϕ(x) = y. Die Wirkung ist treu, wenn nur das neutraleElement e ∈ G als Identitat wirkt.)Aufgabe der Geometrie (als Wissenschaft) ist dann das Studium der Eigenschaften/Strukturen,die unter der Transformationsgruppe invariant sind (also erhalten bleiben).

Definition 5.4. Eine Teilgeometrie einer Geometrie (X,G) ist gegeben durch eine TeilmengeX ′ ⊆ X und eine Untergruppe G′ ⊆ G, die X ′ erhalt (also ϕg′(x′) ∈ X ′ fur x′ ∈ X ′ undg′ ∈ G′), so dass sich jede Transformation g′ ∈ G′ eindeutig auf X fortsetzt, es also keineunterschiedlichen Gruppenelemente in G gibt, die auf X ′ dieselbe Wirkung zeigen.In diesem Fall heißt (X,G) auch eine Erweiterung der Geometrie (X ′, G′)

Beispiele:Geometrie Raum Transf.gruppe Invarianteneuklidisch Rn Rn oO(n) Kollinearitat (⇒ Unterraume);

Abstande (⇒Winkel, Volumina)Ahnlichkeit Rn Rn o (O(n)× R>0) Kollinearitat; Abstandsverhaltnisse

(⇒Winkel, Volumenverhaltnisse)affin Rn Rn oGL(n,R) Kollinearitat; Teilungsverhaltnisse

auf Geradenspharisch Sn O(n+ 1) Kollinearitat (bzgl. Großkreisen);

spharische Abstande (⇒ Winkel,Volumina)

elliptisch RPn = Sn/(±) O(n+ 1,R)/(±I) Kollinearitat; spharische Abstandeprojektiv RPn GL(n+ 1,R)/R∗ Kollinearitat; Doppelverhaltnisse;

QuadrikenHier ist mit R∗ die multiplikative Gruppe R\{0} gemeint.Ublich sind die Bezeichnungen PO(n + 1) = O(n + 1,R)/(±I) und PGL(n + 1,R) =GL(n+ 1,R)/R∗ fur die Transformationsgruppen von elliptischer bzw. projektiver Geometrie.Viele dieser Geometrien sind Teilgeometrien/Erweiterungen von anderen – wobei wir einigeerst noch kennenlernen werden:

projektiv↙ ↓ ↘

elliptisch affin hyperbolisch↓

Ahnlichkeit↓

euklidisch

39

6 Spharische und elliptische Geometrie

Hier diskutieren wir ausfuhrlicher spharische Geometrie, also

X = Sn, G = O(n+ 1)

und dann, davon abgeleitet, elliptische Geometrie, also

X = Sn/(x ∼ −x) = RPn, G = PO(n+ 1) = O(n+ 1)/(±I).

6.1 Spharische Zweiecke

Kollineare Punkte auf der Sphare sind Punkte, die auf einem Großkreis liegen (also auf einemSchnitt der Sn mit einem 2-dimensionalen Unterraum).

Definition 6.1 (Hemisphare, Zweieck). Eine Hemisphare auf der Sn ist eine Teilmenge von derForm

HN := {x ∈ Sn : 〈x,N〉 ≥ 0}wobei N ∈ Sn der Pol der Hemisphare ist (N ∈ Hn, −N /∈ HN ).Ein Zweieck ist der Schnitt von zwei verschiedenen, nicht gegenuberliegenden Hemispharen,also HN ∩HN ′ mit N 6= ±N ′.Lemma 6.2. Jede Hemisphare hat die Halfte des Volumens der n-dimensionalen Sphare. EinZweieck hat einen Anteil von α/2π am Volumen der n-Sphare, wobei α der Außenwinkel desZweiecks ist, also

α + α = 2π, 〈N,N ′〉 = cos α, 〈N,N ′〉 = − cosα.

α′α

m

n

α

40

6.2 Spharische Dreiecke

Sehr viel Geometrie lasst sich von der Geometrie von Dreiecken ableiten.Jedes Dreieck liegt in einer 2-dimensionalen Hypersphare, also dem Schnitt der Sn mit einem3-dimensionalen Unterraum des Rn+1. Daher nehmen wir im Folgenden ohne Einschrankungder Allgemeinheit an, dass wir ein spharisches Dreieck in der S2 betrachten.

Definition 6.3 (Dreieck). Ein Dreieck 4 ⊂ S2 ist in der spharischen Geometrie ein Schnittdreier Hemispharen

4 := HA′ ∩HB′ ∩HC′

deren Pole A′, B′, C ′ nicht kollinear sind (also nicht auf einem Großkreis liegen).

Lemma 6.4. Jedes spharische Dreieck4 ⊂ S2 lasst sich auch beschreiben als

4 = {x ∈ S2 : x = λA+ µB + νC, λ, µ, ν ≥ 0}

fur drei nicht kollineare Punkte A,B,C ∈ S2, die Ecken des Dreiecks.

A B

C

c

ab

Beweis. Die Punkte A,B,C sind gegeben durch

A =B′ × C ′

|B′ × C ′|, B =

C ′ × A′

|C ′ × A′|, C =

A′ ×B′

|A′ ×B′|.

41

Mit dieser Konstruktion uberpruft man

〈A′, A〉 > 0, 〈A′, B〉 = 0, 〈A′, C〉 = 0,

〈B′, A〉 = 0, 〈B′, B〉 > 0, 〈B′, C〉 = 0,

〈C ′, A〉 = 0, 〈C ′, B〉 = 0, 〈C ′, C〉 > 0.

Lemma 6.5. Im Dreieck 4 = ABC sind die Kantenlangen (in der intrinsischen Metrik derSphare, vom Durchmesser π) gegeben durch

cos a = 〈B,C〉, cos b = 〈C,A〉, cos c = 〈A,B〉

und die außeren Winkel durch

cos α = 〈B′, C ′〉, cos β = 〈C ′, A′〉, cos γ = 〈A′, B′〉,

mit Innenwinkeln α = π − α usw.

Proposition 6.6. Zu jedem Dreieck4 = ABC gibt es das duale Dreieck4′ = A′B′C ′ so dass• das Duale des Dualen ist das Ausgangsdreieck:4′′ = 4,• die Kantenlangen des Dreiecks sind die Außenwinkel des Dualen, und umgekehrt: a′ = α,

usw.

Ende 14.6.2011

Lemma 6.7 (Dreiecksungleichungen). Die Kantenlangen, Außenwinkel und Innenwinkel desspharischen Dreiecks4 = ABC erfullen

a+ b− c > 0 a− b+ c > 0 − a+ b+ c > 0 a+ b+ c < 2π

α + β − γ > 0 α− β + γ > 0 − α + β + γ > 0 α + β + γ < 2π

α + β − γ < π α− β + γ < π − α + β + γ < π α + β + γ > π.

Beweis. Die ersten drei Ungleichungen fur die Seitenlangen folgen aus der Dreiecksunglei-chung fur die Metrik auf der Sphare. Die vierte folgt aus

a+b+c = d(B,C)+d(C,A)+d(A,B) < d(B,C)+d(C,−B)+d(−B,A)+d(A,B) = π+π.

Die Ungleichungen fur die Außenwinkeln folgen daraus sofort nach Proposition 6.6, und damitauch die Ungleichungen fur die Innenwinkel mit α = π − α usw.

Insbesondere wissen wir aus Lemma 6.7, dass in jedem spharischen Dreieck die Winkelsummeα + β + γ großer ist als π

Theorem 6.8. Die Flache des Dreiecks4 = ABC mit Innenwinkeln α, β, γ ist α+ β + γ− π.

42

∆−∆

C

A−C

−A

Beweis. Die Zweiecke, die von den Innenwinkeln von4 und von denen des gegenuberliegendenDreiecks −4 aufgespannt werden, uberdecken die Sphare S2 ganz, dabei die Dreiecke 4 und−4 dreifach, den Rest aber einfach. Also erhalten wir

(2α + 2β + 2γ) + (2α + 2β + 2γ) = 4π + 2Vol(4) + 2Vol(4),

also4α + 4β + 4γ = 4π + 4Vol(4).

Proposition 6.9. Seien a, b, c ∈ R.(i) Ein spharisches Dreieck mit den Kantenlangen a, b, c existiert dann und nur dann, wenn

die vier Dreiecksungleichungen

a+ b− c > 0 a− b+ c > 0 − a+ b+ c > 0 a+ b+ c < 2π

erfullt sind.(ii) Wenn das Dreieck existiert, dann ist es eindeutig bis auf Kongruenztransformationen.

Beweis. Wir durfen A,B im Abstand c auf dem Aquator platzieren, und betrachten die Kreis-scheiben KA und KB vom Radius b bzw. a um A bzw. B.

43

Wir brauchen, dass die Kreisscheiben uberlappen und sich die Randkreise in zwei Schnittpunk-ten (in der oberen und in der unteren Hemisphare) schneiden. Das wird durch die vier Unglei-chungen garantiert: Wenn a + b ≤ c ist, dann sind die beiden Kreisschreiben disjunkt. Wenna+ c ≥ b, dann ist KB ⊂ KA; wenn b+ c ≥ a, dann ist KA ⊂ KB. Wenn a+ b+ c ≥ 2π, dannist KA ∪ KB = S2, die Kreischeiben uberdecken die Sphare, aber die Randkreise schneidensich nicht.

a c b

In allen anderen Fallen gibt es wie gewunscht die beiden Schnittpunkte, und daraus folgt Exis-tenz und Eindeutigkeit des Dreiecks.

In jedem spharischen Dreieck kann man aus den Seitenlangen die Winkel berechnen (wie inder eukldischen Geometrie, mit Hilfe des Kosinussatzes!), aber auch aus den Winkeln die Sei-tenlangen berechnen.

Proposition 6.10 (Kosinussatz). Im spharischen Dreieck mit Kantenlangen a, b, c und Außen-winkeln α, β, γ gilt der Seitenkosinussatz

cos α =− cos a+ cos b cos c

sin b sin cund der Winkelkosinussatz

cos a =− cos α + cos β cos γ

sin β sin γ.

und entsprechend fur cos β und cos γ bzw. cos b und cos c bei gleichzeitiger Permutation vona→ b→ c und α→ β → γ.

Beweis. Seien V := (A B C) ∈ R3×3 und W := (A′ B′ C ′) ∈ R3×3 die Basismatrizen, diedem Dreieck bzw. dem polaren Dreieck entsprechen.Die Gram-Matrix zu V ist dann die symmetrische, positiv-definite Matrix

G := V tV =

〈A,A〉 〈A,B〉 〈A,C〉〈B,A〉 〈B,B〉 〈B,C〉〈C,A〉 〈C,B〉 〈C,C〉

=

1 cos c cos bcos c 1 cos acos b cos a 1

.

Genauso gehort zu W die Gram-Matrix

G′ := W tW =

〈A′, A′〉 〈A′, B′〉 〈A′, C ′〉〈B′, A′〉 〈B′, B′〉 〈B′, C ′〉〈C ′, A′〉 〈C ′, B′〉 〈C ′, C ′〉

=

1 cos γ cos βcos γ 1 cos α

cos β cos α 1

.

44

Und schließlich berechnen wir das Produkt

W tV =

〈A′, A〉 〈A′, B〉 〈A′, C〉〈B′, A〉 〈B′, B〉 〈B′, C〉〈C ′, A〉 〈C ′, B〉 〈C ′, C〉

=

〈A′, A〉 00 〈B′, B〉 00 0 〈C ′, C〉

=: D,

eine Diagonalmatrix mit positiven Diagonaleintragen, also invertierbar.Damit konnen wir G′ einerseits aus W berechnen, also aus cos α, cos β und cos γ, andererseitsaus V mit W t = DV −1 und W = (V t)−1D, und damit G′ = W tW = DV −1(V t)−1D =DG−1D, und damit aus a, b und c.Gleichsetzen der beiden Ausdrucke fur G′ und Vergleich der Matrixeintrage liefert zuerst For-meln fur die Diagonaleintrage von D, und dann die Seitenkosinussatze.Die Winkelkosinussatze erhalt man entweder analog, oder viel einfacher aus der Dualitat vonProposition 6.6.

Wir geben zwei weitere, wichtige Formeln/Resultat der spharischen Geometrie ohne Beweisan.

Proposition 6.11 (Sinussatz). Im spharischen Dreieck mit Kantenlangen a, b, c und Außenwin-keln α, β, γ gilt

sin a

sin α=

sin b

sin β=

sin c

sin γ.

(Dies gilt naturlich genauso fur die Innenwinkel α, β, γ, wegen α = π − α und damit sin α =sinα, usw.)

Proposition 6.12 (Napier’sche Regel). Im rechtwinkligen spharischen Dreieck mit Seitenlangena, b, c, Innenwinkeln α, β sowie γ = π/2, und “Seitenkomplementen” a := π − a, b := π − agilt

cos c = sin a sin b = cotα cot b,

sowie die vier weiteren Gleichungen, die man durch die zyklische Vertauschung

c→ α→ b→ a→ β → c

daraus gewinnen kann.

α β

b a

c c

α β

b a

Ende 16.6.2011

45

6.3 Spharische und Elliptische Geometrie

Im letzten Abschnitt haben wir die Geometrie von spharischen Dreiecken in der S2 analysiert.Alle Ergebnisse gelten aber genauso in der Sn (n ≥ 2), weil jedes Dreieck der Sn in einer2-dimensionalen Untersphare liegt.Weiter kann man analysieren, dass die hochdimensionale Geometrie sehr weitgehend aus derGeometrie von Dreiecken abgeleitet werden kann. Siehe zum Beispiel die Beitrage zur “CoarseMetric Geometry” von Mikhail Gromov, dem Abel-Preistrager von 2010, vgl. Burago, Burago& Ivanov [2].Trotzdem ist auch festzustellen, dass die Gewinnung von expliziten Formeln, zum Beispielfur das Volumen eines spharischen Tetraeders aus den Kantenlangen, schwierig ist, und tiefin andere Bereiche der Mathematik fuhrt — zum Beispiel in die Algebraische Topologie (K-Theorie!), siehe Dupont [4].Die Geometrie, die wir dabei betrachten, ist nach Klein durch

X = Sn G = O(n+ 1)

gegeben. Zu den Invarianten gehort dann die Metrik

d(x, y) = cos−1〈x, y〉,

die Werte im Intervall [0, π] annimmt.Will man eine Geometrie im Sinne von Euklid und Hilbert gewinnen, in der es durch zweiverschiedene Punkte immer genau eine Gerade gibt, so muss man gegenuberliegende Punkteauf der Sphare identifizieren:

Definition 6.13 (Elliptische Geometrie). Fur die Elliptische Geometrie nehmen wir als Punktedie Paare von antipodalen Punkten von Sn, als Geraden die Mengen der Antipodenpaare aufeinem Großkreis. Wir erhalten so die Geometrie

X = Sn/(x ∼ −x) = RPn G = O(n+ 1)/(±I) = PO(n+ 1).

In dieser Geometrie geht nicht nur durch zwei verschiedenen Punkte genau eine Gerade, son-dern zwei verschiedene Geraden schneiden sich immer in genau einem Punkt, es gibt also keineParallelen — genau wie in der projektiven Geometrie (X = RPn, G = PGL(n+1,R)), wobeidie elliptische Geometrie aber eine viel kleinere Gruppe hat, und dafur mehr Invarianten, unteranderem die Metrik

d(x, y) = min{cos−1〈x, y〉, cos−1〈x,−y〉} = cos−1 |〈x, y〉|,

die Werte im Intervall [0, π/2] annimmt.Dreiecke, Winkel, Volumina etc. verhalten sich dabei sehr ahnlich wie in der spharischen Geo-metrie, wobei die Geometrie nur fur ungerades n orientierbar ist.

Literatur[1] Benno Artmann. Euclid — The Creation of Mathematics. Springer-Verlag, New York, 1999.

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[2] Dmitri Burago, Yuri Burago, and Sergei Ivanov. A Course in Metric Geometry, volume 33 of Gra-duate Studies in Math. Amer. Math. Soc., 2001.

[3] Oliver Byrne. The first six books of the elements of euclides. web presentation by Bill Casselman;http://www.math.ubc.ca/˜cass/Euclid/byrne.html.

[4] Johan L. Dupont. Scissors congruences, group homology and characteristic classes,, volume 1 ofNankai Tracts in Mathematics. World Scientific, Singapore, 2001.

[5] Euclid. The Elements. web presentation by David E. Joyce; http://aleph0.clarku.edu/˜djoyce/java/elements/toc.html.

[6] Robin Hartshorne. Geometry: Euclid and Beyond. Undergraduate Texts in Math. Springer-Verlag,New York, 2000.

[7] David Hilbert. Grundlagen der Geometrie. Chelsea Publishing Company, Leipzig, 1899. mit zahl-reichen Neuauflagen, zuletzt bei Teubner, Stuttgart 1999.

47

7 Mobiusgeometrie

Quelle/Referenz fur dieses Kapitel: Springborn [1, Lectures 28/29]

7.1 Spiegelung an einer Sphare

Jede Hyperebene H ⊂ Rn kann in der Form H = {x ∈ Rn : 〈x − a, v〉 = 0} geschriebenwerden, wobei a ∈ H ist und v 6= 0 ein Normalenvektor ist.Die Spiegelung an H ist gegeben durch

x 7−→ x = x− 2〈x− a, v〉〈x, x〉

x.

Dabei liegt x =: x− 〈x−a,v〉〈x,x〉 x auf der Hyperebene, und es gilt |x− x| = |x− x|.

x

x v

a

Sehr ahnlich definiert man die Spiegelung (oder “Inversion”) an einer Sphare.

Definition 7.1 (Spiegelung an einer Sphare). Sei S(c, r) := {x ∈ Rn : 〈x− c, x− c〉 = r2} dieSphare mit Mittelpunkt c ∈ Rn und Radius r > 0.Die Spiegelung an S(c, r) ist die Abbildung

x 7−→ x = c+r2

〈x− c, x− c〉(x− c).

c

x

xr

Wir notieren:• x liegt auf dem Strahl, der in c beginnt und durch x geht.• Dabei gilt |x− c||x− c| = r2.• Die Punkte auf S(c, r) werden auf sich selbst abgebildet.• Die Abbildung ist eine Involution: x 7→ x 7→ x = x.

48

• Die Abbildung ist fur x = c nicht definiert. Wir fugen einen Punkt im Unendlichen “∞”hinzu, und definieren dann die Abbildung als c 7→ ∞ and∞ 7→ c.• Mit dieser Festsetzung ist die Spiegelung an der Sphare S(c, r) eine Bijektion Rn ∪{∞} → Rn ∪ {∞}.

7.2 Mobiusgeometrie

Definition 7.2 (Mobiustransformationen, Mobiusgeometrie). Eine Mobiustransformation ist ei-ne Abbildung f : Rn ∪ {∞} → Rn ∪ {∞}, die sich als Hintereinanderausfuhrung von endlichvielen Spiegelungen in Hyperebenen und/oder Spharen darstellen lasst.Ist eine Mobiustransformatione ein Hintereinanderausfuhrung einer geraden Anzahl von Spie-gelungen, so ist sie orientierungs-erhaltend, andernfalls ist sie orientierungs-umkehrend.Die Gruppe der Mobiustransformationen bezeichnen wir mit Mob(n), die Untergruppe derorientierungs-erhaltenden Mobiustransformationen mit Mob+(n).

X = Rn ∪ {∞}, G := Mob(n).

In dieser Definition sind naturlich einige Behauptungen versteckt, etwa dass Mob(n) wirklicheine Gruppe ist und Mob+(n) eine Untergruppe, und dass Orientierung wohldefiniert ist.

Lemma 7.3. Ahnlichkeitsabbildungen sind Mobiustransformationen:

Ahnl(n,R) = Rn o (O(n)× R>0) ⊆ Mob(n).

Beweis. Jede orthogonale Abbildung in O(n) ist eine Hintereinanderausfuhrung von hochstensn Spiegelungen an Hyperebenen.Translationen kann durch Spiegelung an zwei parallelen Hyperebenen erzeugen.Die Streckung x 7→ λx erhalt man durch Spiegelung an Sn−1 = S(0, 1), gefolgt von Spiegelungan S(0,

√λ).

Ab jetzt: “Spharen” in der Mobiusgeometrie meint (n−1)-dimensionale Spharen S(c, r) ⊂ Rn

sowie Hyperebenen (als “Spharen durch∞”).

Theorem 7.4. Mobiustransformationen bilden Hyperebenen und Spharen auf Hyperebenen undSpharen ab.

Beweis. (1) Es reicht, das fur die Spiegelung in der Einheitssphare Sn−1 ⊂ Rn−1 zu zeigen,weil jedes Sphareninversion in einer beliebigen Sphare S dargestellt werden kann als– Ahnlichkeitstransformation, die S auf S(0, 1) abbildet,– gefolgt von Inversion in S(0, 1)– gefolgt von Umkehrung der Ahnlichkeitstransformation.(2) Wir zeigen, dass

{x ∈ Rn : p|x|2 − 2〈x, v〉+ q = 0} fur |v|2 − pq > 0

genau die Spharen (also (n − 1)-Sphare und Hyperebenen) im Rn beschreibt. Fur p = 0 folgtnamlich v 6= 0, und wir haben eine Hyperebenengleichung. Fur p 6= 0 zeigt quadratischeErganzung, dass dies eine Spharengleichung ist.

49

(3) Rechnung: Fur x := 1|x|2x gilt

p|x|2 − 2〈x, v〉+ q = 0 ⇐⇒ q|x|2 − 2〈x, v〉+ v = 0.

Theorem 7.5 (Mobiustransformationen sind lokal winkelerhaltend (“konform”)). Mobiustransformationenerhalten lokal die Winkel zwischen glatten Kurven (insbesondere: Geraden, Kreise) die sichschneiden.

Beweis. Weil Ahnlichkeitsabbildungen offenbar konform sind, reicht es, dies fur die Inversionin der Einheitssphare x 7→ 1

|x|2x nachzuweisen.

Dafur betrachtet man nun zwei Kurven γ(t) und η(t) mit γ(0) = η(0) = p und rechnet nach,dass 〈γ′, γ′〉 = 1

〈γ,γ〉2 〈γ′, γ′〉, similarly for 〈η′, η′〉, and evaluates at t = 0.

Ende 21.6.2011

Bemerkung 7.6. (1) “winkelerhaltend” gilt auch bei∞, wenn man den Winkel im Unendlichengeeignet interpretiert. (Dazu betrachtet man Geraden durch den Mittelpunkt der Sphare, in derinvertiert wird.)(2) Fur n > 2 gilt auch die Umkehrung: eine konforme Abbildung ist eine Mobiustransformation.Auch schon lokal. Fur n = 2 ist das global auch richtig, lokal aber vollig falsch: Riemann’scherAbbildungssatz. Trotzdem ist komplexe Interpretation wichtig, siehe nachster Abschnitt.

Umkehrung von Theorem 7.4:

Proposition 7.7. Fur n > 1 sind die Abbildungen f : Rn∪{∞} → Rn∪{∞}, die Hyperebenenund Spharen auf Hyperebenen und Spharen abbilden, genau die Mobiustransformationen.

Beweis. Eine solche Abbildung bildet insbesondere auch Kreise und Geraden (die 1-dimensionalenSchnitte von Hyperebenen uns Spharen) auf Kreise und Geraden ab.(1) Im Fall f(∞) = ∞ werden alle Geraden auf Geraden abgebildet. ALso haben wir es nachBemerkung 2.2 mit einer affinen Abbildung zu tun. Weiter durfen wir (nach einer Translation)annehmen, dass die Abbildung 0 auf 0 abbildet. Also ist die Abbildung linear.Wenn nun weiter die Einheitssphare auf die Einheitssphare abgebildet wird, dann ist die Abbil-dung eine Ahnlichkeitstransformation (namlich ein Vielfaches einer orthogonalen Abbildung).(2) Gilt f(∞) = c, so sei g die Inversion in der Sphare S(c, 1). Weil die Sphareninversion gHyperebenen und Spharen auf Hyperebenen und Spharen abbildet, gilt dies auch fur die Ab-bildung g ◦ f . Die Abbildung g ◦ f bildet nach ∞ nach ∞ ab, ist also nach Fall (1) eineMobiustransformation. Weil g = g−1 als Sphareninversion aber auch eine Mobiustransformationist, gilt dies auch fur f .

Bemerkung: fur n = 1 ist das naturlich falsch.Erweiterung von Lemma 7.3:

Korollar 7.8. Ahnlichkeitstransformationen sind genau die Mobiustransformationen, die ∞fixieren.

50

7.3 Komplex-projektive Interpretation der 2-dimensionalen Mobiusgeometrie

Im Fall n = 2 konnen wir den R2 mit der komplexen Zahlenebene identifizieren, R2 ∪ {∞}also mit C ∪ {∞}.Die Mobiustransformationen in der Ebene konnen wir alle als gebrochen-lineare komplexe oderkonjugiert-komplexe Funktionen darstellen:

• orientierungserhaltende Ahnlichkeitstransformationen sind z 7→ az + b fur a, b ∈ C,|a| = 1,orientierungsumkehrende Ahnlichkeitstransformationen sind z 7→ az + b fur a, b ∈ C,|a| = 1,

• Spiegelung an der x-Achse ist z 7→ z,

• Spiegelung im Einheitskreis ist z 7→ 1|z|2 z0 = 1

z.

Proposition 7.9. Die orientierungserhaltenden Mobiustransformationen auf C = sind genaudie Transformationen

z 7→ az + b

cz + dfur a, b, c, d ∈ C mit det

(a bc d

)6= 0,

die orientierungsumkehrenden Mobiustransformationen auf C = sind genau die Transforma-tionen

z 7→ az + b

cz + dfur a, b, c, d ∈ C mit det

(a bc d

)6= 0.

Beweis.(1) Die angegebenen gebrochen-linearen Transformationen bilden eine Gruppe: Die orientie-rungserhaltenden sind dabei genau die projektiven Transformationen von CP1.(2) Als Spezialfalle identifizieren wir alle oben angegebenen Erzeuger fur die Mobiustransformationenin der Ebene; also ist die Gruppe Mob(2) in der Gruppe der gebrochen-linearen komplexenFunktionen enthalten.(3) Umgekehrt sieht man aus

az + b

cz + d=a

c+

bc− adc(cz + d)

fur c 6= 0, dass jede gebrochen-lineare Funktion sich als Komposition der oben angegebenenErzeuger schreiben lasst. Entsprechend gilt das, wenn wir z durch z erzeugen. Daraus folgtauch die umgekehrte Inklusion: Jede gebrochen-lineare komplexe oder konjugiert-komplexeFunktion ist eine Mobiustransformation.

Insbesondere sehen wir also, dass Mob+(2) ∼= PGL(2,C).Aus der Identifikation der Mobiusgruppe der Ebene mit komplex-projektiven Transformationenkonnen wir nun leicht mehrere wichtige Schlussfolgerungen ziehen

Korollar 7.10. (1) orientierungserhaltende Mobiustransformationen der Ebene erhalten daskomplexe Doppelverhaltnis

[z1, z2; z3, z4] =(z1 − z3)(z2 − z4)(z2 − z3)(z1 − z4)

,

51

fur vier beliebige komplexe Zahlen z1, z2, z3, z4 ∈ C ∪ {∞} von denen mindestens dreiverschieden sind, orientierungsumkehrende Mobiustransformationen konjugieren das Dop-pelverhaltnis.

(2) “6-Punkte-Formel”: Sind z1, z2, z3 und w1, w2, w3 jeweils drei verschiedene Werte, so gibtes genau eine gebrochen-lineare Funktion f ∈ PGL(2, z) mit f(zi) = f(wi).

(3) Vier Punkte z1, z2, z3, z4 liegen genau dann auf einem Kreis, wenn ihr Doppelverhaltnisreell ist.

7.4 Stereographische Projektion als Mobiusabbildung

Definition 7.11 (Stereographische Projektion). Sei Sn = S(0, 1) ⊂ Rn+1 die Einheitssphare,und sei H ⊂ Rn+1 die durch xn+1 = 0 (Variante 1) bzw. xn+1 = −1 (Variante 2) gegebeneHyperebene, welche wir (durch weglassen der konstanten letzten Koordinate, also 0 oder −1)mit Rn identifizieren konnen.Die stereographische Projektion ist die Abbildung

Sn → H ∪ {∞},

die dadurch gegeben wird, dass der Nordpol N ∈ SN auf∞ abgebildet wird, und jeder anderePunkt von P ∈ Sn auf eindeutigen Schnittpunkt der Geraden PN mit der Hyperebene H .

Variante 1:

N

O

H = {x ∈ Rn+1 | xn+1 = 0}

Sn

Variante 2:

N

O

H = {x ∈ Rn+1 | xn+1 = −1}

Sn

Proposition 7.12. Die Stereographische Projektion ist die Einschrankung einer Mobiustrans-formation Rn+1∪{∞} → Rn+1∪{∞}, namlich der Sphareninversion in der Sphare S(N,

√2)

in Variante 1 bzw. der Sphare S(N, 2) in Variante 2.

52

Beweis. Die Sphareninversion bildet (in beiden Varianten) Geraden durch den Mittelpunkt Nder Inversionssphare auf Geraden durch N ab, andererseits die Sphare Sn auf die HyperebeneH∪{∞} ab — also den Schnittpunkt jeder Gerade mit S \{N} auf den Schnittpunkt derselbenGeraden mit H . Daraus folgt schon alles.

Korollar 7.13. Die stereographische Projektion ist konform.

Korollar 7.14 (Delaunay-Triangulierung). [vgl. Vorlesung]

7.5 Lorentz-Geometrie

Definition 7.15. Fur p, q ≥ 0 bezeichnet Rp,q den Vektorraum Rn+1 mit der Bilinearform

〈x, y〉 := x1y1 + · · ·+ xpyp − xp+1yp+1 − · · · − xp+qyp+q,

die wir als Skalarprodukt bezeichnen.

Allgemeiner konnten wir mit einen endlich-dimensionalen reellen Vektorraum Rm arbeiten, aufdem eine symmetrische Bilinearform gegeben ist, die nicht degeneriert (die also vollen Ranghat: nur der Nullvektor ergibt mit jedem anderen Vektor Null), die abernicht notwendigerweisepositiv definit ist.In dieser Situation kann man den Algorithmus von Gram-Schmidt so anpassen, dass er docheine “Orthogonalbasis” e1, . . . , en liefert, fur die

〈ei, ej〉 =

1 fur 1 ≤ i = j ≤ p,

−1 fur p < i = j ≤ p+ q,

0 fur i 6= j

gilt. Hier ist p die maximale Dimension eines Unterraums, auf dem 〈·, ·〉 positiv definit ist,q die maximale Dimension eines Unterraums, auf dem das Skalarprodukt negativ definit ist.Insbesondere gilt p+ q = m (weil das Skalarprodukt nach Annahme nicht degeneriert ist), unddie Kennzahlen p und q sind fur alle Orthogonalbasen dieselben. Das Paar (p, q) heißt der Indexdes Vektorraums.Mit O(p, q) bezeichnet man die Gruppe aller orthogonalen Transformationen auf Rp,q, die alsodas Skalarprodukt erhalten. Uns interessiert im Folgenden besonders der Spezialfall q = 1.

Definition 7.16 (Lorentz-Raum). Der Raum Rn,1, also der Vektorraum Rn+1 mit dem Skalar-produkt

〈x, y〉 := x1y1 + · · ·+ xnyn − xn+1yn+1

heißt ein Lorentz-Vektorraum.Die Lorentz-Gruppe aller linearen Transformationen T : Rn+1 → Rn+1, die das Skalarprodukterhalten, fur die also 〈Tv, Tw〉 = 〈v, w〉 fur alle v, w gilt, wird mit O(n, 1) bezeichnet.

Lemma 7.17 (Koordinatendarstellung). Eine Matrix A ∈ O(n, 1) ist dadurch charakterisiert,dass die Spalten eine Orthonormalbasis bezuglich des gegebenen Skalarprodukts bilden, dassalso

AtEA = E

53

gilt, wobei E die Diagonalmatrix

E =

(In 00t −1

)bezeichnet.

Definition 7.18 (Bezeichungen aus der Relativitatstheorie). Ein Vektor x ∈ Rn,1 heißt• raumartig, wenn 〈x, x〉 > 0,• lichtartig, wenn 〈x, x〉 = 0,• zeitartig, wenn 〈x, x〉 < 0.

Der Doppelkegel der lichtartigen Vektoren heißt der Lichtkegel.

Rn

R

raumartig (”außerhalb“ des Lichtkegels)

lichtartig (auf dem Lichtkegel)

zeitartig (”innerhalb“ des Lichtkegels)

Beispiel 7.19. Im Lorentz-Raum R1,1 ist das Skalarprodukt durch 〈x, y〉 = x1y1−x2y2 gegeben.Die Mengen {x ∈ R1,1 : 〈x, x〉 = 1} und {x ∈ R1,1 : 〈x, x〉 = −1} sind jeweils Hyperbeln.

Orthonormalbasen sind zum Beispiel(

10

),

(01

)und

(√2

1

),

(1√2

).

Beachte: Orthonormalbasen mussen wir als geordnete Folgen von Vektoren schreiben, weil esauf die Reihenfolge ankommt.

54

x1

x2

(1, 0)

(0, 1)(√

2, 1)

(1,√

2)

〈x, x〉 = 1

〈x, x〉 = −1

〈x, x〉 = 1

〈x, x〉 = −1

Definition und Lemma 7.20. Die Menge der zeitartigen Vektoren

Q := {x ∈ Rn,1 : 〈x, x〉 = −1} ⊂ Rn+1

ist ein zweischaliges Hyperboloid.Dabei bezeichnet

Hn := {x ∈ Rn,1 : 〈x, x〉 = −1, xn+1 > 0}die obere Schale.Jede orthogonale Transformation bildet die Vektoren in der oberen Schale Hn entweder auf dieVektoren der oberen Schale ab, oder auf die Vektoren der unteren Schale (d.h., er vertauscht dieSchalen.Die Untergruppe der orthogonalen Transformationen, die die obere Schale auf sich selbst ab-bilden, wird mit O+(n, 1) bezeichnet. Sie ist

O+(n, 1) = {A ∈ O(n, 1) : an+1,n+1 > 0}.

7.6 Das reell-projektive Modell

Mit Hilfe der (inversen) stereographischen Transformation konnen wir die n-dimensionale Mobius-geometrie auch auf der n-dimensionalen Sphare X := Sn ⊂ Rn+1 interpretieren.Die Mobiustransformationen sind also die Gruppe G der Abbildungen Sn → Sn, die Unter-spharen von Sn (also die Schnitte mit Hyperebenen) auf Unterspharen abbilden.Daraus folgt, dass die n-dimensionale Mobiusgruppe die Menge aller projektiven Transforma-tionen auf dem Rn+1 enthalt, die die Sphare Sn auf sich selbst abbilden. Diese Gruppe kannman mit PO(n + 1, 1) identifizieren — die Sn wird dabei als der projektivierte Lichtkegel imRn+1,1 interpretiert. Wir sehen also, dass PO(n+ 1, 1) ⊆ Mob(n). Es gilt aber noch mehr.

Theorem 7.21 (Das reell-projektive Modell der Mobiusgeometrie). Die n-dimensionale Mobius-geometrie kann durch die Menge X = Sn ⊂ Rn+1 ⊂ RPn+1 mit der Gruppe

PO(n+ 1, 1) = Mob(n)

dargestellt werden.

55

Beweis. Um dies zu beweisen, mussen wir nur noch zeigen, dass die Transformationen, die dieMobiusgruppe erzeugen, mittels der stereographischen Projektion auf die Sphare Sn transpor-tiert, durch projektive Abbildungen dargestellt werden konnen, die die Sphare fest halten.

Die (n−1)-dimensionalen Unterspharen der Sn konnen hierbei mit Hyperebenen im RPn+1 in-terpretiert werden, die Sn echt schneiden — und diese konnen wir mit ihren Normalenvektoren,also den raumartigen Punkten in RPn+1 identifiziert werden, also mit den Punkten “außerhalb”der Sphare Sn ⊂ Rn+1. Man verifizierte dafur, dass “außerhalb” hier wohldefiniert ist . . .

Korollar 7.22 (Darstellung von Mobiustransformationen durch Matrizen). Mobiustransformationenkonnen durch Aquivalenzklassen von (n+ 2)× (n+ 2)-Matrizen in A ∈ O(n+ 1, 1) dargestelltwerden.Es ist also Mob(n) = PO(n+ 1, 1) = O(n+ 1, 1)/(R \ {0}).

Literatur[1] Boris A. Springborn. Geometry I. Lecture Notes, TU Berlin/Berlin Mathematical School,

2007/08, 59 pp., ftp://ftp.math.tu-berlin.de/pub/Lehre/GeometryI/WS07/geometry1_ws07.pdf.

56

8 Hyperbolische Geometrie

Quelle/Referenz fur dieses Kapitel: Springborn [1, Lectures 7–11]

8.1 Der n-dimensionale hyperbolische Raum

Definition 8.1 (Hyperbolische Geometrie). Die n-dimensionale hyperbolische Geometrie istdie Menge

Hn := {x ∈ Rn,1 : 〈x, x〉 = −1, xn+1 > 0}

(also die obere Schale des zweischaligen Hyperboloids im zeitartigen Bereich der (n + 1)-dimensionalen Lorentz-Raum) mit der hyperbolischen Gruppe

O+(n, 1) = {A ∈ R(n+1)×(n+1) : AtEA = A, an+1,n+1 > 0}

der orthogonalen Lorentz-Transformationen, die die Schale auf sich selbst abbilden.Die hyperbolischen Geraden sind die nicht-leeren Schnitte von Hn mit zwei-dimensionalenlinearen Untervektorraumen des Rn,1.

Offensichtlich gibt es durch zwei verschiedene Punkte x, y ∈ Hn immer genau eine Gerade.

Bemerkung 8.2 (Kleine Formelsammlung). Im Folgenden brauchen wir den hyperbolischenSinus und Kosinus

sinhx =ex − e−x

2, coshx =

ex + e−x

2

x

f(x)

1

1

0

f(x) = sinh xf(x) = cosh x

Offenbar gilt sinh−x = − sinhx, cosh−x = coshx, coshx ≥ x, sinh′ x = coshx, cosh′ x =sinhx, und insbesondere

cosh2 x− sinh2 x = 1

fur alle x ∈ R.Die Umkehrfunktionen, Areasinus und Areakosinus, sind

arsinhx = ln(x+√x2 + 1), arcoshx = ln(x+

√x2 − 1),

letzterer nur fur x ≥ 1.

57

Beispiel 8.3 (1-dimensionaler hyperbolischer Raum). Fur n = 1 erhalten wir H1 ⊂ R1,1 alsHyperbelast.

x1

x2 H1

(sinh s, cosh s)

Dieser kann durch

γ(s) :=

(sinh scosh s

)parametrisiert werden — und dies ist die Parametrisierung mit “Geschwindigkeit 1”, also nachBogenlange:

γ′(s) =

(cosh ssinh s

)mit 〈γ′(s), γ′s〉 = 1.

Damit berechnen wir Abstande als

length(γ(s)|[s1,s2]) = |∫ s2

s1

√〈γ′(s), γ′s〉| = |s2 − s1|.

Wir berechnen das Skalarprodukt von zwei Punkten x = γ(s1) und y = γ(s2) auf H1 als

〈x, y〉 = 〈γ(s1), γ(s2)〉 = sinh s1 sinh s2 − cosh s1 cosh s2 = − cosh(s2 − s1).

Damit ist die Metrik in der 1-dimensionalen hyperbolischen Geometrie gegeben durch

− cosh d(x, y) = 〈x, y〉.

Lemma 8.4 (Hyperbolische Drehmatrizen).

O+(1, 1) = {(

cosh s sinh ssinh s cosh s

): s ∈ R} ∪ {

(− cosh s sinh s− sinh s cosh s

): s ∈ R}.

Die erste der beiden Teilmengen von Matrizen ist die Untergruppe der Matrizen der Determi-nante +1, also SO+(1, 1).

Die hyperbolischen Drehmatrizen sind genau die Matrizen, die H1 auf sich selbst abbilden.Wir definieren Metrik auf hyperbolischem Raum mit Hilfe der Metrik von Rn+1.Das definiert eine Metrik, weil die Tangentialvektoren raumartig sind! Dafur verwenden wir,dass jeder Tangentialvektor γ′(0) an Hn auf dem Vektor γ(0) senkrecht steht, 〈γ′(0), γ(0), unddass daraus folgt, dass γ′(0) raumartig ist. (Das kann man geometrisch argumentieren, weilspann{γ′(0), γ(0)} zweidimensional ist, also die Hyperebene xn+1 = 0 schneidet.)

58

Proposition 8.5. Der kurzeste (stuckweise-differenzierbare) Weg zwischen zwei Punkten in Hn

liegt auf der Geraden.

Beweis. Das wird hier nicht bewiesen (dafur vergleicht man den Fortschritt des Weges γ(s) mitder Funktion der linearen Abstande d(x, γ(0)) = arcosh(−〈x, γ(0)), und verwendet Cauchy-Schwartz sowie 〈γ(s), γ′(s)〉 = 0.)

Damit ist aber insgesamt die Abstandsfunktion auf Hn durch

− cosh d(x, y) = 〈x, y〉.

gegeben, und die hyperbolischen Transformationen erhalten Abstande.

Beispiel 8.6 (2-dimensionaler hyperbolischer Raum). Fur n = 2 erhalten wir H2 ⊂ R2,1 alsobere Schale des zweischaligen Hyperboloids.

R2

x3

H2

Jede Gerade ` ⊂ H2 lasst sich darstellen als ` = H2 ∩ U fur U = {x ∈ R2,1 : 〈x, n〉 = 0} mitn ∈ R2,1 raumartig und normiert, 〈n, n〉 = 1.

Proposition 8.7. Seien n1 6= ±n2 raumartig, 〈ni, ni〉 = 1, sowie `1, `2 die zugehorigen Gera-den. Dann sind aquivalent:

(i) `1 ∩ `2 6= ∅,(ii) Das Skalarprodukt 〈·, ·〉 eingeschrankt auf spann{n1, n2} ist positiv definit,

(iii) |〈n1, n2〉| < 1.

Beweis. (i)⇒(ii): Fur den Schnittpunkt x gilt {x}⊥ = spann{n1, n2}. Alle Vektoren, die auf xsenkrecht stehen, sind raumartig.(ii)⇒(i): spann{n1, n2}⊥ ist eindimensional, und wird von einem zeitartigen Vektor aufge-spannt.(ii)⇒(iii): Wir stellen das Skalarprodukt eingeschrankt auf spann{n1, n2}⊥ durch die Matrix

M =

(〈n1, n1〉 〈n1, n2〉〈n2, n1〉 〈n2, n2〉

)=

(1 〈n1, n2〉

〈n2, n1〉 1

)dar. Das Skalarprodukt ist positiv definit, wenn die Matrix positiv definit ist, und dafur muss dieDeterminante positiv sein, also 1− 〈n1, n2〉2 > 0.

59

Lemma 8.8 (Winkel). Seien `1, `2 zwei sich schneidende Geraden in der hyperbolischen EbeneH2, und seien hi := {y ∈ H1 : 〈y, ni〉 ≥ 0} die Halbebenen, die durch `1, `2 gegeben sind, mitEinheitsnormalenvektoren n1, n2.Dann gibt es eine eindeutige hyperbolische Rotation (in H2), gegeben durch eine Matrix/Transformation T ∈ O(2, 1), um den Schnittpunkt {x} = `1 ∩ `2, die h1 in h2 uberfuhrt und xfest lasst.Der Drehwinkel ist gegeben durch

cosα = 〈n1, n2〉;

das ist auch der Außenwinkel des Kegels h1 ∩ h2 mit Spitze x in der hyperbolischen Ebene.

Beweis. Nach Konstruktion steht x senkrecht auf n1 und n2. Verwendet wird die Drehung umdie von x aufgespannte Achse, die n1 in n2 uberfuhrt. Dabei ist der Winkel zwischen n1 und n2

genau der Winkel zwischen den 2-dimensionalen Unterraumen des R2,1, die `1 und `2 enthalten,und das ist nach Definition der Winkel zwischen `1 und `2.

Beispiel 8.9 (Hyperbolische Dreiecke). Seien A,B,C ∈ H2 nicht kollinear (also als Vektorenim R2,1 linear unabhangig). Dann bestimmen sie drei unterschiedliche Geraden, die ein hyper-bolisches Dreieck4ABC ⊂ H2 begrenzen.Seien A′, B′, C ′ ⊂ R2,1 die zugehorigen normierten raumartigen Normalenvektoren, die alsonicht in R2,1 liegen, mit 〈A,A′〉 > 0, usw. Seien hA′ , hB′ , hC′ die zugehorigen Halbraume, mithA′ = {y ∈ H2 : 〈y, A′〉 ≥ 0, usw. Dann kann gilt

4ABC = hA′ ∩ hB′ ∩ hC′ .

Die Kantenlangen im Dreieck sind gegeben durch

− cosh a = 〈B,C〉 usw.

und die Winkel durch− cosα = 〈B′, C ′〉 usw.

(Achtung: hier steht ein echter Kosinus, kein cosh!)

Theorem 8.10 (Kosinussatz). Im hyperbolischen Dreieck mit Kantenlangen a, b, c und Außen-winkeln α, β, γ gilt der Seitenkosinussatz

cosα =− cosh a+ cosh b cosh c

sinh b sinh c

und der Winkelkosinussatz

cosh a =cosα + cosh β cosh γ

sin β sin γ.

und entsprechend fur cos β und cos γ bzw. cosh b und cosh c bei gleichzeitiger Permutation vona→ b→ c und α→ β → γ.

Beweis. Analog zum spharischen Fall, Theorem 6.10!

60

Theorem 8.11 (Dreiecksungleichungen hyperbolisch). Ein hyperbolisches Dreieck mit Kan-tenlangen a, b, c > 0 existiert dann und nur dann, wenn die Dreicksungleichungen gelten (alsoa < b+ c etc.).Ein hyperbolisches Dreieck mit Innenwinkeln α, β, γ > 0 existiert dann und nur dann, wennα + β + γ < π.

Skizze. (1) Zunachst zeigen wir, dass die Gram-Matrix G = V tV fur V = (AB C) vonA,B,C, die ja linear unabhangig sind, Signatur (2, 1) hat — in anderen Worten, die zugehorigequadratische Form xtGx hat diese Signatur.(2) Dann berechnen wir die Gram-Matrix explizit, als

G =

−1 − cosh c − cosh b− cosh c −1 − cosh a− cosh b − cosh a −1

und verwenden das Kriterium, dass sich die Signatur aus den Hauptminoren ablesen lasst: DieDimension des negativ-definiten Teils ist die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Folge G0 :=1, G1 := g11 = −1, G2 = 1 − cosh2 c = − sinh c < 0. Also hat G genau dann die Signatur(2, 1), wenn die Determinante detG < 0 ist.(3) Explizite Berechnung der Determinante und Halbwinkelformeln ergeben

detG = −4 sinh −a+b+c2

sinh a−b+c2

sinha+ b− c

2sinh a+b+c

2

und man uberlegt sich, dass diese Determinante genau dann negativ ist, wenn die drei Dreiecks-ungleichungen gelten.(Hinweis: Es kann von den drei Dreiecksungleichungen nicht mehr als eine falsch sein, weilaus a > b+ c und b > a+ c folgt 0 > 2c.)(4) Und dann ganz analog fur G′, wobei die Rechnung ergibt

detG′ = −4 cos −α+β+γ2

cos α−β+γ2

cos α+β−γ2

cosα + β + γ

2.

Theorem 8.12. Die hyperbolische Gruppe O+(n, 1) operiert transitiv auf dem Hn, und in je-dem Punkt kann sie eine beliebige Orthonormalbasis auf eine beliebige andere abbilden.Insgesamt gilt also

dimO+(n, 1) = n+ (n− 1) + · · ·+ 1 = 12(n+ 1).

Die Gruppe O+(n+ 1) der Isometrien des n-dimensionalen hyperbolischen Raums Hn hat alsodieselbe Dimension wie die Gruppen O(n + 1) der Isometrien des spharischen Raums Sn undwie die euklidische Gruppe Eukl(n).

8.2 Die Modelle von Klein und Poincare

Bezeichne im Folgenden Dn := {u ∈ Rn : |u| < 1} den offenen Einheitsball im Rn, also dasInnere des abgeschlossenen Einheitsballs Bn. Insbesondere ist also D2 eine offene Kreisschei-be.

61

Definition 8.13 (Das Kreisscheibenmodell von Klein). Die bijektive Abbildung

κ : H2 −→ D2

x1x2x3

7−→ (x1x3x2x3

)ubertragt die 2-dimensionale hyperbolische Geometrie auf die offenen Kreisscheibe D2. Diesergibt das Klein’sche Kreisscheibenmodell fur die 2-dimensionale hyperbolische Geometrie.Die Geraden sind darin als die nicht-leeren Schnitte von D2 mit affinen Geraden des R2 gege-ben.Die Gruppenaktion der O+(2, 1) sowie Winkel und Abstande werden durch κ auf das Modellubertragen, konnen/mussen also mit Hilfe der Umkehrabbildung

κ−1 : D2 −→ H2

(u1u2

)7−→ 1

1− u21 − u22

u1u21

ubertragen, zum Beispiel durch d(u, u′) := d(κ−1(u), κ−1(u′)).BILD 8.13

Definition 8.14 (parallel, ultraparallel). Zwei Geraden `1, `2 schneiden sich, wenn die Norma-lenvektoren |〈n1, n2〉| < 1 erfullen.Sie heißen parallel, wenn |〈n1, n2〉| = 1 gilt, was einem “Schnittpunkt im Unendlichen” (alsoauf dem Rand des Kleinschen Kreisscheibenmodells) entspricht. In diesem Fall schneiden sichdie zugehorigen 2-dimensionalen Unterraume U1, U2 ⊂ R2,1 im Lichtkegel.Sie heißen ultraparallel, wenn |〈n1, n2〉| > 1 gilt, was einem “Schnittpunkt jenseits des Un-endlichen” (also außerhalb des Kleinschen Kreisscheibenmodells) entspricht. In diesem Fallschneiden sich die zugehorigen 2-dimensionalen Unterraume U1, U2 ⊂ R2,1 in einem raumarti-gen Untervektorraum.In der Zeichnung schneiden sich `1 und `2, `2 und `3 sind parallel, `1 und `3 sind ultraparallel,

`1

`2

`3

Proposition 8.15. Ist ` ⊂ H2 eine Gerade und x /∈ `, so gibt es zwei verschiedene Geradenund unendlich viele ultraparallele Geraden zu ` durch x.

Das Klein-Modell fur den hyperbolischen Raum “funktioniert” ganz genauso in hoheren Di-mensionen: Die bijektive Abbildung

κ : Hn −→ Dn

(x

xn+1

)7−→ 1

xn+1x

62

ubertragt die n-dimensionale hyperbolische Geometrie auf den offenen Ball Dn; die Umkehr-abbildung ist gegeben durch

κ−1 : Dn −→ Hn u 7−→ 11−|u|2

(u1

).

Das Klein-Modell hat die besondere Eigenschaft, dass die Geraden des Modells genau die Ge-raden des Rn sind (die den offenen Ball Dn schneiden). Weiter kann man das Modell mit demInneren der Sphare Sn ⊂ Rn+1 ⊂ RPn+1 identifizieren, und daran sehen, dass die Geometrieauf dem Rand des Klein-Modells genau wieder die Mobiusgeometrie Mob(n) ist. Das soll hieraber nicht mehr ausgefuhrt werden.Das Klein-Modell ist aber nur eines von mehreren Modellen fur die n-dimensionale hyperboli-sche Geometrie, die alle ihre interessanten Aspekte haben, und daher ein intensiveres Studiumwert waren. Wir geben hier aus Zeitmangel nur noch ein solches Modell an.

Definition 8.16 (Das Kreisscheibenmodell von Poincare). Die bijektive Abbildung

π : H2 −→ D2

x1x2x3

7−→ 1x3+1

(x1x2

)

ubertragt die 2-dimensionale hyperbolische Geometrie auf die offenen Kreisscheibe D2. Diesergibt das Poincare’sche Kreisscheibenmodell fur die 2-dimensionale hyperbolische Geometrie.Die Geraden sind darin als die Schnitte von D2 mit Kreisen gegeben, die den Rand S1 = ∂D2

der Kreisscheibe senkrecht schneiden.Die Gruppenaktion der O+(2, 1) sowie Winkel und Abstande werden durch π auf das Modellubertragen, konnen/mussen also mit Hilfe der Umkehrabbildung

π−1 : D2 −→ H2

(u1u2

)7−→ 1

1−u21−u22

2u12u2

1 + u21 + u22

ubertragen, zum Beispiel durch d(u, u′) := d(π−1(u), π−1(u′)).

Auch das Poincare-Modell kann analog fur den n-dimensionalen Fall konstruiert werden:

Hn

O

S

Dn

x

π(x)

63

Theorem 8.17 (Geraden und Unterraume des Poincare-Modells). Die stereographische Pro-jektion π : Hn → Dn ⊂ Rn bildet Schnitte von Hn mit linearen Unterraumen des Rn+1 aufSchnitte von Dn mit Spharen und mit linearen Unterraumen ab, die senkrecht auf dem RandSn−1 = ∂Dn des Modells stehen. (Die linearen Unterraume gehen also durch den Mittelpunktvon Dn.)

Theorem 8.18 (Das Poincare-Modell ist konform). Das Poincare-Modell ist konform: Winkelsind euklidische Winkel!Die Metrik ist im Poincare-Modell zum Beispiel dadurch gegeben, dass

d(0, y) = 12

ln1 + |y|1− |y|

.

Proposition 8.19 (ideale Dreiecke). Alle “idealen” Dreiecke in H2 (also Dreiecke, deren Sei-ten parallel sind, und deren Ecken auf dem Rand des Modells “im Unendlichen” liegen, sindkongruent. Sie haben alle die Flache π.

Proposition 8.20 (hyperbolische Dreiecksflache). Die Flache eines hyperbolischen Dreiecksmit den Winkeln α, β, γ ist

A(4ABC) = π − α− β − γ.

Alle endlichen hyperbolischen Dreiecke haben also eine Flache, die kleiner als π ist.

Man uberlege sich dazu, dass beim Zerschneiden eines Dreiecks in zwei Dreiecke (mit einemSchnitt durch einen Eckpunkt) sich die Große π − α− β − γ additiv verhalt.Man uberlegt sich genauso, dass in der hyperbolischen Ebene regelmaßige n-Ecke beliebig klei-ne Winkel haben — im Grenzfall von “idealen” regelmaßigen n-Ecken sind die Winkel gleich0. Andererseits sind die Winkel immer kleiner als die Winkel von regelmaßigen euklidischenn-Ecken. Zum Beispiel hat ein regelmaßiges euklidisches Funfeck Winkel gleich 3π/5 = 108◦,regelmaßige hyperbolische Funfecke haben beliebige Winkel im offenen Intervall (0◦, 108◦).Genauso existieren hyperbolische Dreiecke mit beliebigen Winkeln 0 < α, β, γ fur α+β+γ <π. Experimentiert man nun mit Spiegelungen an den Kanten von solchen Dreiecken, so er-gibt dies fur besondere Winkeln Pflasterungen der hyperbolischen Ebene mit Dreiecken, re-gelmaßigen n-Ecken, usw.: wie man sie zum Beispiel aus Graphiken von Maurits CornelisEscher1 kennen kann.

Literatur[1] Boris A. Springborn. Geometry I. Lecture Notes, TU Berlin/Berlin Mathematical School,

2007/08, 59 pp., ftp://ftp.math.tu-berlin.de/pub/Lehre/GeometryI/WS07/geometry1_ws07.pdf.

1Hollandischer Graphiker, 1898–1972, http://en.wikipedia.org/wiki/M._C._Escher

64

9 Perspektiven der Geometrie

9.1 Gruppentheorie

Nach Felix Klein: die Gruppe bestimmt die GeometrieBespiel: Euklidische Geometrie der Ebene: Die Elemente der Ordnung 2 sind genau die Gera-denspiegelungen und die Punktspiegelungen – wobei die Punktspiegelungen die Elemente sind,die selbst Quadrate sind. Also kann man die Punkte und die Geraden der Ebene eindeutig mitGruppenelementen identifizieren.Analog kann man versuchen, die Gruppen von bekannten Geometrien auch algebraisch zu ver-stehen, und auch interessante Gruppen geometrisch zu interpretieren. Dies bietet sich bei Lie-gruppen an (die glatte Mannigfaltigkeiten sind; benannt nach Sophus Lie), wird aber zum Bei-spiel auch fur endliche Gruppen/Geometrien studiert.

9.2 Differenzialgeometrie

Geschlossene Flachen (technisch: orientierbare, zusammenhangende, kompakte 2-dimensionaleMannigfaltigkeiten ohne Rand) kann man klassifizieren — und dann beweisen, dass jede sol-che Mannigfaltigkeit eine Metrik kompakter Krummung hat, also vollstandig als Raum mitkonstanter Krummung modelliert werden kann: die Sphare S2 als Raum positiver Krummung 1und spharischer Geometrie, der Torus (S1)2 als flacher Raum von konstanter Krummung 0 undeuklischer Geometrie, sowie die Flachen vom Geschlecht g > 1 als Raume konstanter negativerKrummung mit hyperbolsicher Geometrie. Diese Diskussion ist klassisch, man kennt sie in derFunktionentheorie als Uniformisierung, ein wesentlicher Schritt ist von Paul Koebe.Fur geschlossene Mannigfaltigkeiten der Dimension 3 sind erst mit dem Beweis der Geome-trisierungsvermutung von William Thurston in diesem Jahrtausend durch Grigrij Perelman einentsprechendes Resultat: es besagt grob, dass man jede Mannigfaltigkeit aufschneiden kannin Teile, die wiederum mit “Modellgeometrien” versehen werden konnen — dazu gehoren diespharische, flache und hyperbolische Geometrie wie auch einige andere. Achtung: Sehr schwie-rig.

9.3 Konforme Abbildungen

Kreispackungen in der Ebene sind ein nur scheinbar elementares Thema, das das Studium lohnt.So kann der Riemannsche Abbildungssatz aus der Funktionentheorie (“jedes einfachzusam-menhangende Gebiet in der komplexen Ebene kann mit einer komplex-differenzierbaren, alsokonformen, Abbildung auf eine Kreisscheibe abgebildet werden”) bewiesen werden, indem manerst den Kreispackungssatz beweist, und diesen dann fur Approximationen nutzt.Die Theorie der ebenen Kreispackungen ist also sehr reichhaltig, wahrend Kugelpackungen imHoherdimensionalen viel weniger verstanden sind. Es gibt hoherdimensional eben auch keinelokal-konformen Abbildungen, die nicht global konform waren — also nur die Mobiustransfor-mationen.Referenz: Stephenson [2]

65

9.4 Kugelpackungen

Betrachtet man Packungen von gleichgroßen Kugeln, so ist die Situation in der Ebene rechteinfach: Eine Kreisscheibe vom Radius 1 kann gleichzeitig 6 weitere Kreisscheiben vom selbenRadius beruhren, die sich nicht uberlappen. Man sagt, dass die Kusszahl in der Ebene, alsoDimension d = 2, gleich κ(2) = 6 ist.Genauso ist die dichteste Kugelpackung in der Ebene die offensichtliche, in der die Kreisschei-ben zeilenweise angeordnet werden.Wir diskutieren hier nur kurz die Kusszahlen in hoheren Dimensionen: Man weiß, dass κ(3) =12 ist — das ist als Newton–Gregory-Problem bekannt — sowie, dass κ(4) = 24 — das wurdeerst kurzlich bewiesen, zuerst von Oleg Musin, sowie, dass κ(8) = 240 und κ(24) = 196.560.Es gibt also in Dimensionen 8 und 24 ganz besondere geometrische Konstellationen, die wiedervon anderen Theorien abhangen: So verwendet man◦ in Dimension 4 die Ecken des 24-Zells, ein besonders interessantes 4-dimensionales Polytop,

das mit der Liegruppe F4 zusammenhangt;◦ in Dimension 8 das Wurzelgitter der Liegruppe E8, die in der Klassifikation der einfachen

Liegruppen als besonders interessante Struktur auftaucht;◦ in Dimension 24 das sogenannte Leech-Gitter, das man sowohl kodierungstheoretisch studie-

ren kann (mit dem Golay-Kode der Lange 24), als auch graphentheoretisch aus dem Graphendes Ikosaeders gewinnen kann. (Siehe [1]!)

Moral: Mit dem Studium der wichtigsten Geometrien haben wir die Buhne zur Verfugung, aufder viele spannende Strukturen existieren — deren Studium sich lohnt . . .

Literatur[1] Martin Aigner. Gitter, Codes und Graphen. Lecture Notes, FU Berlin, 1994/95.

[2] Kenneth Stephenson. Introduction to circle packing. The theory of discrete analytic functions. Cam-bridge University Press, 2005.

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