GEOPOLITISCHE L T Ö E 1 -...

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  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 1

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    ELISABETH LICHTENBERGER

    GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA

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    STERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN KOMMISSION FR DIE WISSENSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT

    MIT DIENSTSTELLEN DES BM FR LANDESVERTEIDIGUNG

    PROJEKTBERICHTE HERAUSGEGEBEN VON ELISABETH LICHTENBERGER

    VERLAG DER STERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN WIEN 1999

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    ELISABETH LICHTENBERGER

    GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION

    STERREICHS IN EUROPA

    VERLAG DER STERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN WIEN 1999

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    Vorgelegt bei der Sitzung der math.-nat. Klasse am 25.3.1999 ISBN: 3-7001-2801-0 IMPRESSUM Medieninhaber und Herausgeber: sterreichische Akademie der Wissenschaften Fr den Inhalt verantwortlich: emer. o. Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. E. Lichtenberger Layout und Graphik: Dr. Katja Skodacsek Mag. Christina Westermayr Druck: Agens Werk Wien 1. Auflage Wien, 1999

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    Editorial Die Kommission der sterreichischen Akademie der Wissenschaften fr die wissenschaft-liche Zusammenarbeit mit Dienststellen des Bundesministeriums fr Landesverteidigung wurde auf Initiative von Herrn Altprsidenten em. o. Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Otto Hitt-mair und Herrn General i. R. Erich Eder in der Gesamtsitzung der sterreichischen Aka-demie der Wissenschaften am 4. Mrz 1994 gegrndet. Entsprechend dem bereinkommen zwischen der sterreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Bundesministerium fr Landesverteidigung besteht die Zielset-zung der Kommission darin, fr Projekte der Grundlagenforschung von Mitgliedern der sterreichischen Akademie der Wissenschaften, deren Fragestellungen auch fr das Bun-desministerium fr Landesverteidigung eine gewisse Relevanz besitzen, die finanzielle Untersttzung des Bundesministeriums zu gewinnen. Von Seiten des Bundesministeriums fr Landesverteidigung wird andererseits die Mglichkeit wahrgenommen, im eigenen Bereich nicht abgedeckten Forschungsbedarf an Mitglieder der hchstrangigen wissen-schaftlichen Institution sterreichs vergeben zu knnen.

    In der Sitzung der Kommission am 16. Oktober 1998 wurde der einstimmige Beschluss gefasst, eine Publikationsreihe zu erffnen, in der wichtige Ergebnisse von Forschungspro-jekten in Form von Booklets dargestellt werden.

    Das Bundesministerium fr Landesverteidigung hat die Finanzierung der Projektbe-richte bernommen, welche im Verlag der sterreichischen Akademie der Wissenschaften erscheinen. Mit dem vorliegenden Projektbericht 1 ber GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA wird die Reihe erffnet. Wien, im Mrz 1999 Elisabeth Lichtenberger

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    Vorwort

    Der Titel der Publikation signalisiert die Zweiteilung der Thematik. Der erste Teil bie-tet geopolitische Perspektiven zur strategischen Lage sterreichs in Europa und erffnet mit den Konsequenzen der Beendigung des grten "Experiments" der Nachkriegszeit, der Zweiteilung Europas, und dem Entstehen von "Zwischeneuropa" zwischen EU und GUS, um daraus die genderte geopolitische Position von sterreich nach 1989 abzuleiten und auf die geopolitische "Drehung des Staates" einzugehen.

    Der zweite Teil ber die Transitfunktion sterreichs in Europa belegt die natrlichen Lagepotentiale des Staates, die historisch-politischen Determinanten des Verkehrsnetzes bis hin zum Erbe des geteilten Zentraleuropas. Kartographisch und statistisch werden die aktuellen Transitstrme auf Strae und Schiene, auf dem Wasser und in der Luft sowie der Transit ber Rohrleitungen (Erdl, Erdgas), welche sterreich queren, dokumentiert, um die Positionsbestimmung sterreichs in den Verkehrs- und Leitungsnetzen von Zentraleu-ropa vornehmen zu knnen.

    Die Zielsetzung der Forschungen war, aus der sterreichzentrierten Perspektive, wel-che die mediale ffentlichkeit und die politische Entscheidungsfindung beherrscht, den Quantensprung in eine europische Perspektive vorzunehmen, die Abhngigkeit des Kleinstaates sterreich von externen strategischen Entscheidungen offen zu legen und Fehlmeinungen zu revidieren.

    Die Thematik ist umfassend und aufgrund der Vernetzung von politischen, strategi-schen und konomischen Institutionen und Interessen nur teilweise informationsmig zugnglich. Der vorliegende Projektbericht kann daher nur als ein erster Versuch der Standortbestimmung gewertet werden. Mein Dank geht an meine wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frau Christine Westermayr, fr die unermdlichen Recherchen in Dienststellen und bei halboffiziellen und privaten Insti-tutionen sowie die graphische Gestaltung von Einband und Ausstattung. Fr die Finanzie-rung des Drucks geht mein sehr herzlicher Dank an Herrn Brigadier Dr. Hans Wallner im Bundesministerium fr Landesverteidigung. Wien, im Mrz 1999 Elisabeth Lichtenberger

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    Inhaltsverzeichnis 1 Zur geopolitischen Lage Europas

    Atlantikpakt und sozialer Wohlfahrtsstaat in Europa Europa zwischen EU und GUS - "Between-two-Europes"

    2 Die geopolitische Position von sterreich nach 1989 3 Der gedrehte Staat 4 Lagepotentiale und historisches Erbe

    Die natrlichen Lagepotentiale sterreichs in Zentraleuropa Historisch-politische Determinanten des Verkehrsnetzes Das Erbe des geteilten Zentraleuropas

    5 Vom Transitverkehr zum Binnenverkehr in der EU

    berblick Der Gterfernverkehr Der Transitgterverkehr Der Personenverkehr Vergleich des Straen- und Schienenverkehrs in der Schweiz und in sterreich Die Umfahrung von sterreich: Neue Transitstrecken Die Donau fliet "verkehrt" Luftverkehrskorridore in sterreich

    6 Die Position sterreichs in den Verkehrs- und Leitungsnetzen von Zentraleuropa 7 Kartenverzeichnis 8 Tabellenverzeichnis 9 Quellenhinweise

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    1 Zur geopolitischen Lage Europas

    Atlantikpakt und sozialer Wohlfahrtsstaat in Europa Die Geopolitik, lange Zeit verfemt im deutschen Sprachraum, feiert interessanterweise von Frankreich aus ein Comeback. Eine Reihe hervorragender franzsischer Werke beschftigt sich mit der "neuen Geopolitik von Europa" nach dem Ende des Kalten Krieges und der Beseitigung des Eisernen Vorhangs.

    Eine derartige neue Geopolitik von Europa muss jedoch mehr sein als eine Wiederauf-lage der geopolitischen Aussagen von Kjellen und Haushofer; sie muss neben den Lagede-terminanten fr auenpolitisches Handeln auch den Stellenwert des militrischen Sektors im Rahmen von Gesellschaft und Wirtschaft in die berlegungen einbeziehen.

    Die Aussagen erffnen daher mit dem Hinweis auf das globale Paradoxon, dass im Zu-ge des Aufbaus der globalen konomie in der Nachkriegszeit von den drei konomischen Weltmchten USA, EU und Japan die beiden letztgenannten nicht imstande waren, sich von der militrischen Supermacht der USA zu emanzipieren, mit der andererseits in der langen Periode des Kalten Kriegs die UdSSR mit dem System der Kommandowirtschaft militrisch gleichziehen konnte.

    Rckblickend gesehen, hat der erzwungene bzw. z.T. freiwillige Verzicht auf massive militrische Aufrstung in Europa, auf dessen Grnde hier nicht eingegangen werden soll, jedenfalls den Aufbau der sozialen Wohlfahrtsstaaten untersttzt.1 Andererseits haben die USA mit gigantischen Rstungsausgaben auch den Atomschirm des atlantischen Bndnisses ber Westeuropa zu einem wesentlichen Teil finanziert, wobei sie freilich die schlichte strategische Vorgangsweise verfolgten, potentielle Aggressionen der Sowjets durch den Auenposten Westeuropa vom eigenen Territorium fernzuhalten.

    Die Frage nach dem "cui bono" wird wohl erst die nchste Generation beantworten knnen, wenn die Archive fr die Forschung geffnet und die zweite Hlfte des 20. Jahr-hunderts in zeitliche Distanz zu den Betrachtern gerckt ist.

    Bei dieser Aussage sei innegehalten, und zwar ohne auf die schon seit mehreren Jahren sich dahinschleppende Diskussion um die knftige Aufgabe der NATO in Europa einzu-gehen, auf den Aufbau einer "neuen" NATO sozusagen, bei der man einen wesentlichen Teil der Verantwortung und der finanziellen Kosten an die europischen Staaten abgeben mchte.

    Fr den Rckblick und den Ausblick erscheint es vielmehr wichtig, auf die Koinzidenz der "Produktzyklen" von atlantischem Verteidigungsbndnis und wohlfahrtsstaatlichem Ausbau hinzuweisen, die eine interessante Symbiose eingegangen sind. Es ist mig dar-ber zu diskutieren, dass sich Europa die Kosten fr die Entwicklung eines voll ausgebau-

    1 Es ist einsichtig, dass daher manche Amerikaner die Auffassung vertreten, dass die amerikanischen Steuerzah-ler, die mit einem bescheidenerem "social overhead" vorlieb nehmen mssen, den Aufbau der beachtlichen sozialen Wohlfahrt in Europa mitfinanziert haben.

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    ten Sektors der Rstungsindustrie weitgehend ersparen konnte. Allerdings muss der Bedarf an Rstungsgtern derzeit zu einem wesentlichen Teil durch Importe aus den USA abge-deckt werden.2

    Obwohl sich beide Systeme, nmlich das strategische System der NATO und das po-litkonomische System des sozialen Wohlfahrtsstaates in der Endphase ihres Produktzyk-lus befinden, so wenig sind derzeit in beiden Fllen echte Alternativen sichtbar. Nur Um- und Rckbauten sind im Gange.

    Die Aussage ist zulssig, dass in einer Zeit, in der Sparpakete, Arbeitslosigkeit sowie ein Rckbau des Pensions- und Gesundheitssystems die Brger der EU erschrecken, eine Erhhung der militrischen Budgets politisch kaum durchsetzbar ist. Die interne Sichtwei-se bietet somit keine konstruktiven Aussagen fr die weitere Entwicklung. Blendet man allerdings zu einer globalen Perspektive hinber, indem man die jngsten politkonomi-schen Entwicklungen in Ostasien - insbesondere das wachsende Gewicht Chinas - und die politisch-religisen Tendenzen in der Welt des Islams in die berlegungen einbezieht, so wird die strategisch-militrische und konomische Diversifizierung der globalen Szene offensichtlich, aus der ein weiterer Bedeutungsverlust der europischen Agenden auf der Bhne des globalen Geschehens in langfristiger Perspektive resultieren kann, welcher umgekehrt regionalen Tendenzen Auftrieb geben wird. "Europa verbleibt auf absehbare Zukunft ein Objekt der globalstrategischen Entwicklung, das von externen Machtzentren entwickelte und vorgezeichnete Richtungen bestenfalls verstrken oder abschwchen, aber nicht bestimmen kann."3

    Europa zwischen EU und GUS - "Between-two-Europes" Nach diesen globalen Aussagen zurck zum rumlichen Kontext. Die Teilung Europas in der Nachkriegszeit durch die Supermchte hat Mitteleuropa lngs des Eisernen Vorhangs gespalten. Damit sind fr mehr als vier Jahrzehnte der Begriff Mitteleuropa, der im Ent-stehungszusammenhang auf den Territorien der Mittelmchte vor dem Ersten Weltkrieg fut, und die damit verbundene rumliche Konzeption von Mitteleuropa aus dem regional-geographischen Vokabular und aus den Medien verschwunden. Alle Staaten westlich des Eisernen Vorhangs, darunter die Bundesrepublik Deutschland und sterreich, wurden unter dem Begriff Westeuropa subsummiert. Zwischen 1945 und 1989 gab es im internati-onalen Sprachgebrauch nur West- und Osteuropa.

    2 In der Literatur wurden keine Angaben darber gefunden, wie viele Arbeitspltze in der EU durch die Schaf-fung einer voll ausgebauten europischen Rstungsindustrie fr die immerhin ber 3,5 Mio. Soldaten und deren betrchtliche Ausrstung geschaffen werden knnten. 3 G. Karner: Internationaler Bericht. In: sterr. Militrische Zeitschr. 1997, 3: 294.

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    Es wre ein miges und z.T. rein akademisches Unterfangen, den Begriff Mitteleuropa in der historischen Vielfalt der Auffassungen hinsichtlich Inhalt und rumlicher Ausdehnung und sein schlagartiges Comeback vorzufhren.4

    Aus dem geistreichen, ins Deutsche bersetzten Buch von Le Rider ber "Europe centrale" (1994) seien einige Passagen herausgegriffen, welche die aktuelle Problematik offenlegen. Nach der Ansicht von Le Rider ist die Frage berechtigt, ob man "Mitteleuro-pa" heute als Wunsch oder Angstvorstellung, als Schreckgespenst oder - im Gegenteil als berdauernde Idee eines friedlichen Zusammenlebens verschiedenster Vlker im Raum ansehen soll" (S. 164). Le Rider weist darauf hin, dass es unbestreitbar ist, dass die beiden groen Mitteleuropa-Traditionen - die deutsche Konzeption einer Einflusszone bis ins Baltikum und die sterreichische Tradition des Balkan- und Donauraumes - durch die Ereignisse von 1989 eine neue politische Aktualitt erlangt haben.

    Mit diesen Aussagen kommen wir zum eigentlichen Thema des rumlichen Kontexts. Le Rider beschreibt nmlich einen Raum, der als ehemaliges Glacis der UdSSR diente und heute zwischen den europischen Zusammenschlssen der EU (Gemeinschaft der 15) und der GUS (Gemeinschaft Unabhngiger Staaten, 1991) liegt und der aufgrund seiner rum-lichen Ausdehnung besser als "Between-two-Europes", daher in Deutsch als "Zwischeneu-ropa", zu bezeichnen ist (vgl. Karte 1).

    Auf die ebenfalls weit zurckreichende Geschichte dieses Begriffes kann nicht einge-gangen werden. Oskar Halecki (1957, S. 127) bemerkt hierzu: "Nach der Pariser Frie-denskonferenz von 1919 erschien dieser vergessene Raum Europas wieder in der Form eines Dutzends freier und unabhngiger Lnder, doch nur um sich dauernden Feindselig-keiten Deutschlands und Russlands gegenber zu sehen, die sich gleichermaen einer derartigen Organisation eines 'balkanisierten Zwischen-Europas' widersetzten, das sie wie ein cordon sanitaire trennte."

    Die gegenwrtige russische Sichtweise ist in dem Aufsatz von O. Gritsai und A. Tre-vish nachzulesen, welche zu "East Europe's megacore the axis Leipzig-Kuibyshev" rech-nen.5 Sie schliet auch die Ostregion sterreichs ein.

    In der franzsischen Literatur wird die Bezeichnung "Ostmitteleuropa" mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, auf "Mitteleuropa" abgendert, zu dem sich auch Slowenien zhlt. Schlielich wird sterreich zusammen mit der Schweiz als "Alpines Mitteleuropa" zusammengefasst (vgl. Karte 3).

    Der gesamte Raum dieses "Zwischeneuropa" befindet sich derzeit in einer bergangs-situation, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass mit Ausnahme der Staaten auf ehemals jugoslawischem Territorium und Albanien alle anderen Staaten den Anschluss an die EU anstreben, wobei die Staaten in "Ostmitteleuropa" auch bereits mit dieser assoziiert sind.

    4 K. Schlgel hat bereits 1989 darauf hingewiesen, dass allein die Bibliographie zum Thema eine umfangreiche Publikation ergeben wrde. Inzwischen ist ein Bibliotheken fllender "Mitteleuropa-Boom" ausgebrochen. 5 Geographische Zeitschrift 1990: 128, Skizze S. 139.

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    Karte 1: EU und NATO in Europa

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    Die Osterweiterung der EU wird trotz intensiver Bemhungen einzelner Staaten wie Tschechien kaum vor einem Jahrzehnt stattfinden und muss mit Notwendigkeit die Wirt-schaftskraft der Staaten bercksichtigen, die ein klares West-Ost-Geflle aufweist.6 Der-zeit ist nur die Aufnahme der unmittelbar an die EU angrenzenden Staaten Polen, Tsche-chien, Slowakei, Ungarn und Slowenien vorgesehen. Es verdient Hervorhebung, dass ebenso wie die Errichtung der NATO der Errichtung der EG vorangegangen ist, nunmehr die NATO-Osterweiterung (vgl. Karte 1) ebenfalls der EU-Osterweiterung vorangeht. In Hinblick auf die NATO-Erweiterung bestehen begreifli-cherweise etwas andere Kriterien als bei der geplanten EU-Erweiterung.

    In diesem Zusammenhang sei zunchst daran erinnert, dass die ehemaligen EFTA-Staaten sterreich, Schweden und Finnland beim EU-Beitritt den Neutralittsstatus nicht aufgegeben haben und derzeit nicht als NATO-Bewerber auftreten.

    Es ist daher festzuhalten, dass die GUS-Politik, hinter der die nationalen strategischen Interessen Russlands stehen, auch weiterhin einen langgestreckten, von Westen nach Osten gerichteten Neutralittsriegel lngs des Karpaten- und Alpenraums aufrechterhalten will. Dementsprechend gehrten die Slowakei und Slowenien auch nicht zu den Staaten der jngsten NATO-Erweiterung. Angemerkt sei ferner, dass der Beitritt der baltischen Staaten und der sdosteuropischen Staaten Rumnien und Bulgarien zur NATO sich nur schlecht mit den traditionellen geopolitischen Doktrinen von Russland vertragen wrde.

    Die NATO hat andererseits mit der ersten Osterweiterung bekundet, dass sie an einer rumlichen Konkordanz mit den Interessen der Europischen Union festhalten will. Aus der rumlichen Strukturierung der Befehlsbereiche in Europa ist zu entnehmen, dass vom Standpunkt der NATO aus am Beitritt der "missing bridge" sterreich zwischen den Be-fehlsbereichen von AFCENT und AFSOUTH selbstverstndlich Interesse bestehen muss-te, welches durch die nunmehr gegebene "Umfahrungsmglichkeit" nicht grundstzlich aufgegeben ist.

    Aufgrund der Abhngigkeit der auenpolitischen Entscheidungen der Gromchte von den Regierungschefs sind selbst mittelfristige Prognosen ber die strategischen Entwick-lungen in "Zwischeneuropa" kaum mglich. Diese Unsicherheit bedeutet andererseits, da dieser Raum weiterhin eine Zone der Instabilitt bleiben wird, nicht zuletzt auch aufgrund der konomischen Probleme der postsozialistischen Staaten und einer gewissen Rckkehr kommunistischer Ideen, die andererseits verbunden ist mit einem Aufflammen ethnischer Konflikte und einem Abweichen von einem mittleren Weg demokratischer Prinzipien.

    6 Zum Stand der konomischen Transformation vom Plan zum Markt und zur Wirtschaftskraft der Staaten vgl. die Publikationen von H. Famann und E. Lichtenberger.

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    2 Die geopolitische Position von sterreich nach 1989 Seit der Ostffnung hat sich die geopolitische und geo-konomische Lage sterreichs in Europa grundlegend verschoben. An Hand von mehreren Krtchen seien diese Verschie-bungen belegt.

    1. Es ist ein historischer Zufall, dass im Jahr 1989, knapp vor der Beseitigung des Ei-sernen Vorhangs und der Aufhebung der Teilung Europas in zwei politische Einflusssph-ren, der franzsische Wissenschaftler R. Brunet eine funktionelle Analyse von 165 Ag-glomerationen der Europischen Gemeinschaften durchgefhrt und unter dem Titel "Les villes 'Europeennes'" verffentlicht hat. Die Publikation hatte zunchst die Zielsetzung, die Grundlage fr die franzsischen Raumordnungsmanahmen zu liefern und die abseits der Rhein-Oberitalien-Achse gelegene konomische und verkehrsmige Position von Paris verbessern zu helfen. sterreich wurde als Mitglied von Westeuropa in die Klassifikation aufgenommen. Entsprechend der relativen Kleinheit der sterreichischen Grostdte wur-de allerdings nur die Hauptstadt Wien im Kartenatlas ausgewiesen.

    Die Detailuntersuchungen der europischen Grostdte gingen jedoch ber die Analy-se der Funktionen von Stdten, wie u.a. der Finanzfunktionen (vgl. Karte 2), und die Ge-winnung von Stadtprofilen hinaus und erbrachten die Grundlage fr die raumordnungspo-litische Gliederung der Europischen Gemeinschaft. Die Publikation hat sehr rasch eine auerordentliche Popularitt gewonnen, da sie im Stil des Geo-Designs die in Nordameri-ka verwendeten griffigen rumlichen Grokategorien Megalopolis und Sunbelt auf die Europische Union bertragen hat.

    2. In der seither immer wieder verffentlichten und berarbeiteten Skizze der Raum-ordnung von Westeuropa werden vier Gebiete unterschieden (vgl. Karte 3): Das metropolitane Rckgrat von "Europa" bildet die westeuropische Megalopolis,

    im Jargon der Medien als "Banane" popularisiert. Sie schliet die historische Stdte-achse von Oberitalien nach Flandern ein und reicht im Norden bis London.

    Der Freizeitgesellschaft dieser Megalopolis dienen die Freizeitsiedlungen im Norden des "Sunbelts". Die Analogien zu Nordamerika sind offensichtlich.

    Zwei Peripherien stehen den Kernrumen gegenber: eine atlantische, von Irland ber Wales bis Nordportugal, und eine mediterrane, welche Sdspanien, Sditalien und Griechenland umfasst.

    Regionalprogramme der Europischen Gemeinschaft dienen dem Ausgleich der Nord-Sd-Gegenstze zugunsten der wirtschaftlich unterentwickelten Staaten im Sden, wie Spanien, Portugal und Griechenland, welche als politisch "junge" Demokratien in die Europische Gemeinschaft aufgenommen wurden.

    sterreich bildete 1989 den uersten Ausleger von Westeuropa und wurde ebenso wie die Schweiz als "stadtloser" Raum abgebildet!

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    Am Eisernen Vorhang endete die Perspektive des Westens, daher fehlen auch die Ost-blockstaaten in dem Krtchen.

    Nun ist die Teilung Europas zu Ende, und es zhlt zu den interessanten Verzgerungs-effekten in der "Wahrnehmung" der genderten politischen Verhltnisse, dass die "Bana-nen"-Konzeption als innovatives geopolitisches Logo noch immer die internationale Lite-ratur bestimmt und inzwischen von der Geographie auch in die Sozialwissenschaften und ins Management diffundiert ist.

    Karte 2: Megalopolis und Sunbelt 1989

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    3. Es ist das Verdienst von tschechischen Geographen, als erste die Konzeption der Megalopolis durch eine zweite konomische Achse, von Wien ber Prag nach Berlin und Kopenhagen, erweitert zu haben.7 Darin spiegelte sich die sehr rasche Reaktion der Visegrad-Staaten auf die Auflsung des Warschauer Paktes und des COMECON wider, ebenso die Akzeptanz des Mitteleuropa-konzepts unter Einschluss der Bundesrepublik und sterreichs.

    7 P. Dostal u. M. Hampl, 1992, Abb. 17.1., S. 194.

    Karte 3: Die Doppelung der Megalopolis 1999

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    Karte 4: Die franzsische Sicht von Europa

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    4. Die franzsische Geographie und Geopolitik hat wesentliche Grundlagen fr die Raumordnung der EU gelegt und sie hat sehr rasch nach dem Ende des Kalten Krieges den Begriff Mitteleuropa aus der Vergangenheit zurckgeholt. Die von DATAR, der franzsi-schen Raumplanungsinstitution, herausgegebene Verffentlichung ber den "wiederent-deckten Kontinent Europa" 1993 (vgl. Karte 4) belegt allerdings, dass zwar der Begriff Mitteleuropa aus der Vergangenheit zurckgeholt, jedoch nicht in der historischen, auf die Mittelmchte abgestimmten Form verwendet wird, sondern auf die Visegrad-Staaten und damit auf Ostmitteleuropa beschrnkt bleibt. Davon abgehoben wird Sdosteuropa, wel-ches die gesamte Balkanhalbinsel von Kroatien bis Rumnien und auch Griechenland umfasst. Die baltischen Staaten werden - wie der gesamte Ostseeraum - zu Nordeuropa gerechnet.

    sterreich wird gemeinsam mit der Schweiz unter dem Begriff der Alpenstaaten sub-sumiert, und damit in eine Position gebracht, die auch in sterreich selbst immer wieder Prponenten findet. Aufgrund der Heraushebung der Alpenstaaten erfhrt die Megalopolis eine Reduzierung auf den Nordflgel, der als "Goldenes Dreieck" die Benelux-Lnder und die Global Cities London und Paris umfasst.

    Karte 5: Europisches Metropolen- und Hochgeschwindigkeitsnetz

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    5. Sehr rasch hat das internationale Kapital auf den Zusammenbruch der kommunisti-schen Systeme reagiert und in den Metropolen der postsozialistischen Staaten in den Auf-bau des tertiren und quartren Sektors investierte. Ebenso rasch reagierten die Verkehrs-experten auf die politische Wende. Bereits im April 1992 fand der erste "Hochgeschwin-digkeitskongress" in Brssel statt. Bei "Eurailspeed 92" ging es um die ehrgeizigen Ziele der Abstimmung und etappenweisen Umsetzung eines paneuropischen Schnellbahnsys-tems in einem neuen Europa. Die Konzeption unterscheidet sich grundlegend vom "Bana-nen"-Modell und weist Berlin, Wien, Prag und Budapest wichtige Positionen zu (vgl. Karte 5). Die Verknpfung der ursprnglich fr den jeweiligen nationalen Binnenverkehr in Frank-reich, Deutschland, Italien und Spanien gedachten Hochgeschwindigkeitsstrecken zu ei-nem gesamteuropischen Netz integrierte die Hauptstrecken in den ehemaligen Ostblock-staaten.

    Jeweils drei Trassen verlaufen von Westen nach Osten, von Nordnordwesten nach Sdsdosten und von Sdwesten nach Nordosten, so dass ein Verkehrsgitter entsteht. Wichtig hierbei ist der klare Aufbau von zwei meridionalen Achsen zu beiden Seiten der Brssel-Frankfurt-Mailand-Achse, nmlich einerseits im Westen die Anbindung von Lon-don mit der Erffnung des Kanaltunnels an die franzsische Achse von Paris nach Mar-seille und andererseits die Etablierung einer stlichen "mitteleuropisch-sdosteuropischen Trasse" von Berlin ber Prag nach Budapest und Belgrad und von hier mit einer Gabel nach Sofia und Istanbul bzw. Athen. Die Ereignisse in Sdosteuropa ha-ben die letztgenannten Plne zurcktreten lassen, auf die im Gefolge der geplanten NATO-Erweiterung zurckgekommen werden wird. Gegenwrtig bildet Budapest den sdstlichen Eckpfeiler eines leistungsfhigen Intercity-Verkehrs.

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    3 Der gedrehte Staat Der Beitritt sterreichs zur EU bedeutet fr den Kleinstaat einen Quantensprung in den rumlichen Mastben des Denkens und der Sichtweise der Bevlkerung, der politi-schen und wirtschaftlichen Entscheidungstrger und der Medien. Alle berlegungen hinsichtlich der Stellung sterreichs in einem in Vereinigung begriffe-nen Europa mssen von folgenden Grundbedingungen ausgehen: Die Bevlkerung sterreichs betrgt mit 8,1 Mio. (1996) nur rund 2,2% der Bevl-

    kerung der EU. Auf sterreich entfallen 3 von den insgesamt 76 NUTS-I-Regionen im Europa der

    15: die Westregion, die Ostregion und die Sdregion. Daraus resultiert in weiterer Konsequenz, dass der Kleinstaat sterreich keine Chan-

    cen hat, im Alleingang politkonomische oder kologische Manahmen der EU ent-scheidend beeinflussen zu knnen.

    sterreich befindet sich in derselben Relation zur EU wie Mdling, wenn es von Wien eingemeindet werden sollte.

    Gravierender als der Beitritt zur EU sind die Konsequenzen der Ostffnung als Teil des geopolitischen Umbruchs in Europa zu bewerten. Mit dem innenpolitischen Zusammenbruch des Ostblocks ist die Zeit des Gleichgewichts der Supermchte zu Ende. Auch sterreich ist - freilich nur indirekt - von der neuen wech-selhaften Instabilitt in "Zwischeneuropa", dem durch Kleinstaaten besetzten Raum zwi-schen Ostsee und Mittelmeer, betroffen. Die viel zitierte Drehung des Staates aus der Ost-West-Orientierung wieder zurck nach dem Osten und seine neue Mittellage in Europa haben eine sehr komplizierte Schnittstellensituation hinsichtlich der Bewegung von Kapi-tal und Menschen geschaffen.

    Die Rckkehr historischer Raumbeziehungen hat dabei dem Kleinstaat und allen voran seiner Hauptstadt einen neuen kulturellen und konomischen Mehrwert gebracht, erfordert jedoch ein erhhtes strategisches Potential an den nunmehr offenen Grenzen und ebenso fr die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit.

    Aus der Sicht der westlichen Welt hat sich die Position sterreichs durch Ostffnung und EU-Beitritt entscheidend verschoben. In konomischem Geodesign mutierte sterreich von einer nahezu stadtlosen Peripherie der westeuropischen Megalopolis zu einem "Alpenstaat" und schlielich zu einem integ-rierten Mitglied der EU mit starken Interessen in Ostmitteleuropa.

    sterreich ist weiterhin ein Grenzland par excellence geblieben. Aus der Lage als stlichster Auslufer der europischen Wohlfahrtsstaaten wurde ster-reich durch die Ostffnung nicht wirklich befreit. Die 1225 km lange Grenze gegen die ehemaligen Ostblockstaaten wandelte sich vielmehr zur Wohlstandskante Europas. Durch

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    den Beitritt sterreichs zur EU erhielt sie als deren Auengrenze eine zustzliche strategi-sche Funktion.

    Mit der Ostffnung und dem EU-Beitritt sind staatsbergreifende Verschiebungen und Regionsbildungen im Aufbau: In einer Art Blattverschiebung von Kapital von West nach Ost kommt es auf dem

    Kapitalmarkt einerseits zur Expansion auslndischer Investoren im Gefolge der Priva-tisierung von staatlichen Grobetrieben in sterreich und andererseits werden ster-reichische Investitionen nach Osten "verlagert".8

    Die zweite Verschiebung, die Ost-West-Bewegung von Bevlkerung, richtete sich vor allem in den Wiener Raum und die Ostregion. Das neue Herkunftsfeld von Zeit-wanderern reicht weit nach Sdpolen, in die Slowakei und bis Ungarn hinein. Im Ge-folge einer Osterweiterung der EU ist eine Zuwanderung in grnderzeitlichen Mast-ben zu erwarten.

    Die Umwandlung der Auengrenze gegen die ostmitteleuropischen Staaten in eine Binnengrenze der EU im nchsten Jahrhundert wird tiefgreifende Auswirkungen haben. Es werden sich einerseits die Agglomerationstendenzen der Wiener Region nach Osten in Richtung Bratislava und nach Norden in Richtung Brnn weiter verstrken, die Ostregion wird an Ausdehnung und Bevlkerung gewinnen, und andererseits wird eine weitere Pe-ripherisierung bereits jetzt peripherer Gebiete lngs des ehemaligen Eisernen Vorhangs erfolgen. Davon werden das nrdliche Wald- und Weinviertel ebenso wie das mittlere und sdliche Burgenland betroffen sein.

    Ferner werden die bereits jetzt wirksamen Overspill-Effekte aus der Bundesrepublik Deutschland in das stliche Mitteleuropa, allen voran nach Ungarn, noch weiter zunahmen.

    Der Kleinstaat sterreich sieht sich vor der Frage, welche Regionen in einem Europa der Regionen "europisches Format" aufweisen. Unter Wissenschaftlern besteht Konsens darber, dass mittelfristig nur diejenigen Regio-nen eine Chance besitzen, welche aufgrund der natrlichen Ressourcen und des Humanka-pitals imstande sind, sich hochgradig zu spezialisieren.

    sterreich hat zwei Regionen mit europischem Format anzubieten. Die Eurometropole Wien, deren kultureller Mehrwert ein Erbe der Monarchie ist und

    welche durch die Ostffnung neue Transformatorenfunktionen des tertiren und quart-ren Sektors fr Ostmitteleuropa erlangen konnte,

    8 sterreichische Banken besaen einen zeitlichen Vorsprung bei der Grndung von Niederlassungen in Tsche-chien und Ungarn. Das Ausma des Kapitaltransfers der sterreichischen Banken nach Tschechien und Ungarn gemessen am Umfang des Nominalkapitals wurde erst jetzt von den bundesdeutschen Banken erreicht. Mit

    Joint-ventures und Filialgrndungen des Einzelhandels steht sterreich in Ungarn an der Spitze.

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  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 24

    das Fremdenverkehrsrevier der sterreichischen Alpen, in dem die Bevlkerung das natrliche Potential der Wintersaison auch im Preis-Leistungs-Verhltnis zu nutzen verstanden hat und mittels der vorzglich gepflegten Kulturlandschaft auch in der Sommersaison in mittelfristiger Perspektive ressieren wird.

    Es bleibt offen, in welcher Form die Kleinheit der Lebensrume in groen Teilen sterreichs von der im Gefolge der EU zu erwartenden Peripherisierung der Peri-pherien erfasst werden wird bzw. ob durch neu nachgefragte kologische Qualitten bestimmte Landschaftsrume, wie z. B. die Ost- und Sdsteiermark, nicht nur auf dem Markt der biologischen Agrarproduktion, sondern auch mit dem Angebot sanfter Frei-zeitstile im Wettbewerb bestehen werden knnen.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 25

    4 Lagepotentiale und historisches Erbe Prambel Die vielzitierte Mittelpunktlage des Staates sterreich nach der ffnung des Eisernen Vorhangs und dem Beitritt zur EU hat in krzester Zeit den bis dahin als "Insel der Seli-gen" geltenden Kleinstaat in das "global-local-interplay" einbezogen. Diese Entwicklung hat zwei Seiten. Auf der einen Seite ist sterreich zum Transitland Europas geworden - die interkontinentalen Strme des Transports von Menschen, Gtern und Informationen auf dem Boden und im Luftraum des Staatsgebietes sprengen alle bisherigen Mastbe -, auf der anderen Seite ist im Gefolge der nderung der politischen Landkarte Europas ein neues regionales Umfeld fr die sterreichische Wirtschaft auerhalb der Staatsgrenzen in Zentraleuropa im Entstehen.

    Die natrlichen Lagepotentiale sterreichs in Zentraleuropa Die natrlichen Lagepotentiale sterreichs in Zentraleuropa sind durch zwei Hauptele-mente gekennzeichnet: sterreich liegt an der Donau, der Leitlinie fr den West-Ost-Verkehr in der Mitte

    Europas. sterreich ist ein Alpenstaat. Die wichtigsten Psse der Ostalpen liegen auf seinem

    Staatsgebiet. Die Karte 6 bietet hierzu den topographischen Orientierungsrahmen. Die Donau bildet die Leitlinie fr den West-Ost-Verkehr durch die Mitte des Kontinents zwischen den Alpen und dem Bhmischen Massiv auf sterreichischem Staatsgebiet. Der Durchbruch der Do-nau durch das Verbindungsstck zu den Karpaten ffnet den Weg nach Osten in das groe Pannonische Becken. Die Donaulinie mit dem Alpenvorland bildet daher die wichtigste determinierende Konstante in der politischen Entwicklung des Raumes. Die West-Ost-Fernverbindungen haben stets das nrdliche Alpenvorland prferiert, so dass bis heute die Hauptverbindungen des Staates mit der Bahn und der Autobahn von Wien nach Innsbruck ber Bayern fhren.

    Die zweite naturrumliche Konstante bildet der sich nach Osten auffchernde Bogen der Ostalpen. Die Alpen waren stets eine Barriere des Verkehrs zwischen Zentraleuropa und Italien. Lngs der tiefen Psse, welche die Ostalpen gliedern, sind im Mittelalter lngs meridionaler Verkehrslinien als Passstaaten Tirol und Salzburg entstanden.

    Diese zwei geostrategischen Positionen im West-Ost- und Nord-Sd-Verkehr in der Mitte Europas ziehen sich als Konstante durch die Verkehrsgeschichte, unabhngig von der zeitgebundenen politischen Landkarte Europas.

    Eine dritte Leitlinie des Verkehrs reicht ebenfalls tief in die Geschichte zurck, die Li-nie am Ostabfall der Alpen, welche im Wiener Raum die Donau querte und als Bernstein-

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 26

    strae durch die Mhrische Pforte an die Ostsee fhrte. Nicht im gleichen Mae ressiert haben die durch die tektonisch-morphologische

    Gliederung des Gebirges vorgezeichneten Lngstalfurchen, welche zu beiden Seiten die Zentralalpen begleiten. Der nrdlichen Lngstalfurche von Inn, Salzach und Enns wrde man die Funktion einer inneren Verkehrsachse fr den sterreichischen Staat zubilligen, die sie jedoch nie erringen konnte. Es ist bezeichnend fr den Kleinstaat sterreich, dass auch die Zweite Republik in der Nachkriegszeit kein von Westen nach Osten durchgehen-des Verkehrssystem erzeugen konnte. Im Gegenteil, wie bereits durch die Karte der Er-reichbarkeit der sterreichischen Grenzen im ersten Bericht demonstriert wurde, handelt es sich beim Gebirgsraum der Lngstler in der Obersteiermark um die "zentrale Peripherie sterreichs". Anders als in der Schweiz, wo die Rhein-Rhone-Achse den groen inneral-pinen Siedlungsraum darstellt, fehlt in den sterreichischen Alpen eine durchgehende inneralpine Siedlungs- und Verkehrsachse.

    Historisch-politische Determinanten des Verkehrsnetzes Die Verkehrsgeschichte sterreichs reicht tief in die Vergangenheit zurck und hat ver-schiedene Elemente der Gegenwart vererbt. Nahezu alle sterreichischen Landeshaupt-stdte und Viertelshauptstdte mit Ausnahme von Graz knnen auf eine rtliche bzw. regionale Standortkontinuitt von rmischen Siedlungen verweisen. Die gegenwrtig ge-lufige Aussage fr das Burgenland, dass es ein nahezu stdteloses Bundesland darstellt, traf bereits fr die rmische Zeit zu.

    Die rmischen Reichsstraen benutzten vielfach die vorgezeichneten Tiefenlinien des Gebirgsraumes. Die heutigen Autobahnen zeichnen in ihrem Verlauf zum Teil rmische Reichsstraen nach (vgl. Karte 7). Dies gilt fr die Westautobahn von Salzburg ber Wels, Linz und St. Plten bis Wien, aber ebenso fr die Brennerautobahn durch das Inntal und ber den Brenner nach Sdtirol. Ebenso fhrte eine Rmerstrae von Salzburg ber den Radstdter Tauern und den Katschberg nach Teurnia (Spittal) und weiter ber den Tarvi-ser Sattel nach Aquileia an der Adria.

    Allerdings waren die Rmer zum Teil fortschrittlicher als die Autobahnbauer der Ge-genwart. Die rmische Strae von Teurnia ber Aguntum (Lienz) nach Tridentum (Trient) hat bisher im Pustertal noch keine Autobahnnachfolge gefunden. Die Nord-Sd-Verbindung von Ovilava (Wels) ber den Pyhrnsattel, den Hohentauern und Neumarkter Sattel nach Virunum - und damit die Verbindung von Obersterreich nach Krnten - fehlt heute ebenso wie die bereits von den Rmern geschaffene Vernetzung der Katschberglinie mit der Norischen Senke und damit dem Kernraum der heutigen Obersteiermark. In West-tirol bestand ferner eine rmische Reichsstrae von Augsburg ber den Fernpass und das Reschen-Scheideck als vierte Alpentransversale. Auch hier fehlt heute eine Autobahn. Eine wichtige Tiefenlinie wurde allerdings in rmischer Zeit nicht bentzt, nmlich der sogenannte "schrge Durchgang durch die Alpen", dem die Triester Strae folgt. Dies fhrt zur Aussage, dass schon in rmischer Zeit in der Provinz Pannonien die Reichsstrae

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 27

    am Ostalpenrand in Richtung auf die Adria hin verlaufen ist. Die "Rckkehr der Geschich-te" ist ein hufiger Slogan der Interpretation aktueller Vorgnge im Osten Zentraleuropas. Im obigen Zusammenhang wird auf ihn noch einzugehen sein.

    Mit der Nennung der Triester Strae ist bereits ein Produkt der Kommerzialstraenzeit des 18. Jahrhunderts genannt, einer Periode des "Protoautobahnbaus", als der Flchenstaat des aufgeklrten Absolutismus die k. u. k. Reichs- und Residenzstadt Wien mit einem Straenfcher von Kommerzialstraen ausgestattet hat, die geradlinig ber kupiertes Ge-lnde hinwegzogen und Wien mit den Hauptstdten der Kronlnder verbunden haben. Dieser Straenfcher war ein Produkt der politischen Reichsbildung der Donaumonarchie. Es ist einsichtig, dass er von deren Zerfall betroffen sein musste, auch wenn der Grad dieses "Betroffenseins" erst in der Gegenwart nach dem Wegziehen des Eisernen Vor-hangs in vollem Umfang sichtbar wird. Festzuhalten ist, dass von Wien aus nach Prag, der Hauptstadt Bhmens, nach Brnn, der Hauptstadt des Kronlandes Mhren, nach Linz, dem Sitz der obersterreichischen Stnde, nach Budapest, der Hauptstadt des Knigreiches Ungarns und schlielich nach Triest, der Hafenstadt des Binnenstaates, Kommerzialstraen, errichtet wurden, und zwar vor den "Routes Napoleons" in Frankreich.

    Karte 7: Rmische Reichsstraen als Vorlufer der Autobahnen

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 28

    Ein Dreivierteljahrhundert spter folgte der Bahnbau dem gleichen Prinzip und akzentuier-te den Wiener Verkehrsstern, der damals europische Bedeutung hatte.

    Der Ausgleich mit Ungarn hat Budapest als neue Konkurrentin in der ungarischen Reichshlfte geschaffen. Auch die ungarische Reichshlfte hat von Budapest aus eine Hafenstadt bentigt: Fiume wird zu einer - allerdings nur bescheidenen - Konkurrenz ge-genber Triest. Auch hier knnen wir heute den Slogan von der Rckkehr der Geschichte verwenden.

    Das Erbe des geteilten Zentraleuropas Die vier Jahrzehnte der Trennung des westlichen und stlichen Teils von Zentraleuropa haben tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte rumliche Struktur mit sich gebracht. Der Eiserne Vorhang wird nicht nur durch die Kollektivierung der Flursysteme im Staats-kapitalismus als kulturlandschaftliche Grenze auch weiter fixiert bleiben, sondern beide Supermchte haben in der Zeit des Kalten Kriegs lngs des Eisernen Vorhangs potentielle Aufmarschfronten erzeugt. In Hinblick auf das Liniennetz der technischen Infrastruktur sind damit folgende Elemente ebenfalls weiterhin fixiert:

    die Doppelung der Verkehrsstrukturen (Autobahnen, Straen) aufgrund der Einflsse von NATO-Strategien in sterreich und von COMECON-Strategien im anschlieen-den stlichen Mitteleuropa;

    die Kappung von alten historischen Routen durch den Eisernen Vorhag; der Bau von Rohrleitungen beiderseits des Eisernen Vorhangs.

    In Hinblick auf die "Doppelung der Verkehrsstrukturen" sei zunchst auf die sterreichi-sche Situation eingegangen. Aus historischer Perspektive kann die Hypothese formuliert werden, dass die Neutrassierungen von Autobahnen in sterreich nicht konomischen Grnden, d.h. dem tatschlich anfallenden Bedarf und dem Prinzip der Verkehrsspannung zwischen Wirtschaftsrumen und stdtischen Verdichtungsrumen gefolgt sind, sondern dass es im Kleinstaat sterreich - nicht zuletzt aufgrund der Notwendigkeit auslndische Anleihen fr den Autobahnbau zu akquirieren - zu einer Kombination von fderalistischen Interessen unter dem Motto "jedem Bundesland seine Autobahn" mit externen konomi-schen und militrischen Interessen gekommen ist. Die 1958 begonnene Sdautobahn (A 2) von Wien nach Italien wurde daher nicht lngs des sogenannten "schrgen Durchgangs durch die Alpen" ber den Semmering und durch das Industrierevier der Mur-Mrz-Furche angelegt, somit durch das damalige Schwerin-dustriegebiet des Staates, sondern am Ostalpenrand entlang durch vorwiegend lndliche Gebiete mit geringer Verkehrsspannung, ber den Wechsel nach Graz und von hier weiter nach Klagenfurt trassiert, wobei die Distanz zum Eisernen Vorhang weniger als 60 km betrgt. Der fehlende bzw. lckenhafte Anschluss des obersteirischen Industriegebietes an den Wiener Raum ist bis heute nicht beseitigt. Die neuralgische Strecke des erst im Bau befindlichen Semmering-Straentunnels wird erst im nchsten Jahrhundert fertiggestellt

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 29

    sein, zu spt, um das Industrierevier zu retten. Der Bau des Basistunnels der Semmering-bahnstrecke, seit ber eineinhalb Jahrzehnten in einem "Vorplanungszustand", ist finan-ziell noch immer nicht gesichert. Damit ist sehr versptet eine Anpassung der Bedeutung des "schrgen Durchgangs durch die Alpen" und des Zielpunkts des Hafens Triest an das konomische Potential eines Kleinstaates erfolgt.

    Ebenfalls nicht aus sterreichischen konomischen Interessen erfolgte die zweite echte Neutrassierung ohne historische Vorlufer im europischen Verkehrssystem, nmlich die Nordwest-Sdost-Transversale durch die Alpen mit der Innkreisautobahn (A 8) von Pas-sau nach Wels und der Pyhrnautobahn (A 9) von Linz nach Graz, welche in den Jahrzehn-ten der Teilung Europas strategische Bedeutung als wichtige Teilstcke in der Verbindung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem NATO-Staat Trkei besaen und als sogenannte "Gastarbeiterroute" noch immer besitzen, wobei gegen die endgltige Schlie-ung einer Lcke der A 9 in Obersterreich unweit des in Planung begriffenen National-parks "Nrdliche Kalkalpen" heftige lokale Widerstnde bestehen. Konkret sind damit zwei wichtige neue Autobahntrassen in erster Linie aus internationalen Verkehrskonzepten heraus errichtet worden.

    Von Wien aus gesehen, verblieb nur eine einzige alte Straentrasse, nmlich die Strae durch das Alpenvorland, unberhrt von der Ziehung des Eisernen Vorhangs. Die Westau-tobahn wurde auch als erste Trasse fertiggestellt.

    Wenden wir uns den Nachbarstaaten zu. In der ehemaligen Tschechoslowakei wurde - ziemlich unbemerkt vom Westen - eine Autobahn von Prag ber Brnn bis Bratislava vllig folgerichtig als "nationale Haupttrasse" errichtet und damit die Zuordnung der drei Stdte auf die ehemalige Metropole Wien hin annulliert. Anders war die ungarische L-sung, welche von Budapest aus den Westanschluss suchte, so dass in Ungarn die einstige von Wien ausgehende ungarische Landstrae nunmehr in einer Autobahn ihre Fortsetzung gefunden hat.

    Die Kappung von historischen Routen Hierbei geht es um die beiden wichtigen Straenzge nach Norden, die Prager Strae und die Brnner Strae. Beide Trassen wurden durch den Eisernen Vorhang gekappt. Sie de-gradierten zu verkehrstoten Strecken und wurden dementsprechend von sterreichischer Seite nicht zu Autobahnen ausgebaut.

    Auf dem Gebiet der Bahntrassen sind hnliche Entwicklungen erfolgt. Auf der Bahn-strecke von Graz nach Marburg hat man brigens schon in der Zwischenkriegszeit das zweite Gleis abgetragen. Erst heute ist man wieder dabei, die Strecke von Slowenien ber Graz und das Palten-Liesing-Tal nach Obersterreich zweigleisig auszubauen.

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    Die Doppelung der Erdl- und Erdgasleitungen Die Doppelung der Erdl- und Erdgasleitungen ist als Erbe der Struktur eines geteilten Zentraleuropas noch klarer als auf dem Verkehrssektor von Bahn und Strae erkennbar (vgl. Karte 8). Fr den Transport von Erdl bestehen in sterreich analog zum Autobahn-system zwei Hauptrouten:

    1. die Transalpine lleitung (TAL), die von Triest ber Krnten, Salzburg und Tirol nach Ingolstadt verluft;

    2. von der TAL zweigt in Wrmlach, Krnten, die Adria-Wien-Pipeline (AWP) ab, die die Raffinerie Schwechat mit Importrohl versorgt.

    Wenden wir uns dem stlichen Zentraleuropa zu, so ist hier die Vorfeldsituation zum rus-sischen Erdl eindrucksvoll zu erkennen:

    1. Die Adria-Pipeline fhrt als Drushba IB sdlich an Budapest vorbei zur Raffinerie nach Szaszhalombatta und von hier als Adria-Pipeline weiter an die Adria nach Ri-jeka.

    2. Der zweite Ast, die Drushba 2 A, zweigt an der ukrainischen Grenze Richtung Slowakei ab und fhrt einerseits zur Raffinerie nach Bratislava und versorgt ande-rerseits Tschechien.

    hnlich zweigeteilt ist das System der Erdgasleitungen.

    sterreich hat mit der Trans-Austria-Gasleitung (TAG) von Baumgarten an der March in Niedersterreich bis Arnoldstein in Krnten und der West-Austria-Gasleitung (WAG) von Baumgarten an der March bis in die Gegend von Passau Anteil am europischen Gas-leitungsnetz. Diese Leitungen dienen seit 1968 nicht nur als Transitleitungen mit sehr beachtlichen Jahresleistungen (17,5 Mrd. m3 Erdgas jhrlich), sondern transportieren auch Gas fr die heimische Versorgung.

    Eine 3. Erdgasleitung von Baumgarten a. d. March (N) nach Oberitalien fr russi-sches Gas "Gasprom" mit einer Jahreskapazitt von zunchst 22 Mrd. m3 und ab 2002 fr 43 Mrd. m3 ist im Bau.

    Ein Blick in das stliche Zentraleuropa lsst erkennen, dass die Erdgasleitungen nicht in gleicher Weise in die interkontinentale Planung im Raum des ehemaligen COMECON einbezogen waren wie Planung und Bau der Erdlleitungen. Damit kann die OMV mgli-cherweise auf lukrative Transitgebhren bei der Versorgung von Ungarn, Kroatien und Slowenien bei der Versorgung mit russischem Erdgas via sterreich hoffen.

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  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 32

    Karte 9: Raffinerien und Rohlpipelines in Zentraleuropa

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 33

    5 Vom Transitverkehr zum Binnenverkehr in der EU Als Transitverkehr wird im folgenden der Gterverkehr, der sterreich durchquert und bei dem Ziel- und Quellgebiet auerhalb von sterreich liegen, bezeichnet. Das ist seit dem Beitritt sterreichs zur EU formal nur mehr partiell richtig, denn beim sterreich querenden Gterverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien handelt es sich seit 1994 um Binnenverkehr der EU. Diese nderung der Bezeichnung ndert jedoch nichts an den Auswirkungen auf die davon betroffenen Regionen.9

    Der Gterfernverkehr Der Gterfernverkehr wird als Gterverkehr im Inland mit einer Transportdistanz ber 80 km definiert. Er gliedert sich in folgende Segmente:

    inlndischer Fernverkehr, grenzberschreitender Fernverkehr aus und nach sterreich sowie Transitverkehr.

    Der Gterfernverkehr in sterreich umfasste 1994 188 Mio. t und eine Verkehrsleistung von 36,1 Mrd. tkm. Der Gternahverkehr wurde 1994 nicht erhoben.10 Der Schienen- und der Straenverkehr erbrachten mit 62,8 Mio. t bzw. 64,4 Mio. t nahezu die gleiche Leis-tung, ber Rohrleitungen wurden 53,8 Mio. t befrdert.

    Der Transitgterverkehr In Tabelle 1 werden folgende Transitstrme dokumentiert:

    der Transitverkehr auf der Strae, der Transitverkehr auf dem Wasser (Donau), der Transit ber Rohrleitungen (Erdl, Erdgas), der Transit ber den Schiffsverkehr, der Transit ber den Luftverkehr.

    Im Transitgterverkehr in sterreich entfiel 1994 die Hlfte auf Rohrleitungen (7,9 Mrd. tkm, 52%), ein Viertel auf LKW (3,7 Mrd. tkm, 25%), nahezu ein Fnftel auf die Bahn (2,8 Mrd. tkm, 18%) und 5% auf die Schifffahrt (0,8 Mrd. tkm). Insgesamt erreichte der Gtertransit auf der Strae 1994 25,2 Mio. t auf der Schiene 11,7 Mio. t, wobei die

    9 Wichtig ist ferner, dass durch die Umwandlung der ehemaligen EU-Grenzen gegen Italien und Deutschland in Binnengrenzen auch die Registrierung des Verkehrs an den Zollmtern wegfllt. Die letzten Daten der Grenz-zollmter stammen daher aus dem Jahr 1994 10 In der Literatur existieren aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsprinzipien der Verkehrsleistungen daher auch sehr verschiedene Angaben. Auf dieses Problem kann hier nicht eingegangen werden.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 34

    Bahn jedoch den wesentlich weiteren Transportweg verzeichnen konnte, aus dem die na-hezu gleich hohe Gesamtleistung, ausgedrckt in Tonnenkilometern, zu erklren ist. Drei Viertel des Transitgterverkehrs durch sterreich (ohne Rohrleitungen) hatten 1994 als Ziel bzw. Quelle Deutschland oder Italien. Der berwiegende Teil des Gterverkehrs konzentriert sich aufgrund der natrlichen Rahmenbedingungen des Reliefs auf wenige Korridore.

    Die Brennerachse hat mit 100.000 t pro Verkehrstag das mit Abstand strkste Ver-kehrsaufkommen des internationalen Straengterverkehrs in sterreich zu verzeichnen. Ihr gegenber fllt die Donauachse bereits deutlich ab, wenn sie auch mit 45.000t Ver-kehrsaufkommen die zweitstrkste Achse im internationalen Straengterverkehr von sterreich darstellt.

    Die Stellung der wichtigen Alpenbergnge im Kontext des Gterverkehrs und des Transitverkehrs ist aus Tabelle 2 zu entnehmen. Der Brenner trgt mit zwei Dritteln die Hauptlast des Transitverkehrs.11

    Tabelle 1: Gterfernverkehr auf Strae, Bahn, Wasser und durch Rohrleitungen 1994 (in 1.000 Tonnen)

    Grenzberschreitend Empfang Versand Transit Inland Insgesamt

    Schiene %

    20.814 33,1

    14.443 23,0

    11.674 18,6

    15.880 25,3

    62.811 100,0

    Strae %

    14.818 23,0

    11.788 18,3

    25.389 39,5

    12.372 19,2

    64.368 100,0

    Rohrleitungen %

    11.406 21,2

    - -

    40.889 76,0

    1.495 2,8

    53.790 100,0

    Binnenschifffahrt %

    4.467 58,0

    635 8,2

    2.171 28,2

    433 5,6

    7.706 100,0

    Luftfahrt %

    46 46,5

    43 43,4

    9 9,1

    1 1,0

    99 100,0

    Insgesamt %

    * EU %

    51.551 27,3 55,2

    26.909 14,3 73,0

    80.132 42,4 92,2

    30.181 16,0

    -

    188.733 100,0 64,6

    *EU % ohne Luftfahrt: EU-Anteile am Transportaufkommen im grenzberschreitenden Gterverkehr 1994

    Quelle: Statistisches Jahrbuch der Republik sterreich 1996, S. 324.

    11 Die mit dem Ausbau des Autobahnnetzes einhergehende sprunghafte Steigerung des Gterverkehrs und seine Verlagerung von der Schiene auf die Strae sind hier besonders augenfllig. 1960 betrug der jhrliche Durch-gang nur 180.000 Fahrzeuge, nach der Fertigstellung der Europabrcke im Jahr 1964 365.000 und nach dem Lckenschluss ber den Pass 1972 790.000. 1971 entfielen auf die Bahn noch 67% des Verkehrsaufkommens, 1991 nur mehr 33%.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 35

    Strker vom innerster-reichischen Gterver-kehr frequentiert erwei-sen sich drei hinsicht-lich der befrderten Menge gleichrangige Psse, nmlich der Radstdter Tauern, welcher Salzburg und Krnten verbindet, der Schoberpass, der de facto eine kaum merk-bare Talwasserscheide im Palten-Liesing-Tal bildet und das Ennstal mit dem Murtal verbin-det, und der Semme-

    Tabelle 2: Anteil des Transitverkehrs am Gterverkehr von Alpenbergngen 1994

    Alpenbergang Gterverkehr Mio. Tonnen

    %-Anteil d. Transitverkehrs

    Brenner 25.909 89 Radstdter Tauern 10.019 33 Schoberpass 10.863 6 Semmering 9.791 19 Wechsel 6.361 5 Arlberg 5.540 37 Reschen 0,793 68 Felber Tauern 0,398 4

    Quelle: Trafico-Verkehrsplanung 1995, S. 20.

    ring, der den schrgen Durchgang durch die Alpen gegenber dem Wiener Becken be-grenzt. Deutlich weniger frequentiert durch den Gterverkehr ist bereits der Arlberg, die Verbindung zwischen Tirol und Vorarlberg, unbedeutend die Talwasserscheide des Re-schenpasses von Nord- nach Sdtirol, dem auch eine Autobahn fehlt. Der Felber Tauern wird im wesentlichen nur vom Touristikverkehr bentzt.

    Von den insgesamt ber 125 Grenzzollmtern sind nur wenige fr den Transitverkehr wirklich von Bedeutung. Mit Abstand an erster Stelle stehen die Grenzstation im Inntal bei Kiefersfelden mit 8,6 Mio. t und der Brennerpass mit 9,1 Mio. t. Weit abgeschlagen folgte 1994 das bisherige Grenzzollamt am Walserberg bei Salzburg mit 1,8 Mio. t., dann Ar-noldstein an der italienischen Grenze bei Villach-Tarvis mit 1 Mio. t. Die Grenzstationen gegen Ungarn erreichten 1994 mit Nickelsdorf erst 336.000 t, diejenigen gegen Tsche-chien mit Drasenhofen 149.000 t.

    Die aktuelle Datenlage bietet sehr unterschiedliche Angaben ber den Gterverkehr mit den Oststaaten. Sicher ist nur, dass vor allem in den Staaten Ostmitteleuropas der bergang von der Schiene zur Strae sehr rasch erfolgt. Die Bestimmung des COMECON, dass bei Distanzen ber 50 km der Transport von Gtern mit der Bahn zu erfolgen hatte, wurde aufgehoben. Dies wirkt sich insbesondere auf den grenzberschrei-tenden Gterverkehr zwischen Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien und sterreich aus.12

    Durch die Grenzffnung nach dem Osten und den Balkankrieg ist es im Wiener Raum und im stlichen Niedersterreich zu ganz neuen, nicht vorhersehbaren Transportbelastun-gen gekommen. Der grenzberschreitende Verkehr vor allem Richtung Ungarn hat sich

    12 In der Knoflacher Studie 1996 ist nachzulesen, dass "sterreich vom LKW-Gter-Durchgangsverkehr berrollt wird."

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 36

    vervielfacht. Die Zahl der PKWs hat inzwischen die Grenze von 12 Mio., die der LKWs die von 500.000 im Jahr berschritten. Ein besonderes Problem stellen die ber 200.000 Busse dar, welche mit zum Teil vllig unzulssigem Schadstoffaussto Millionen Reisen-de aus den Oststaaten vor allem in den Wiener Raum transportieren.

    Der Personenverkehr 1994 wurden - ebenfalls zum letzten Mal - die Grenzbertritte der vorwiegend mit dem PKW einreisenden Auslnder an allen Grenzstationen sterreichs, auch gegen die Bun-desrepublik Deutschland und Italien hin, registriert. Die Gesamtzahl betrug mit fast 200 Mio. Personen das 25fache der sterreichischen Wohnbevlkerung von 8 Mio. Nun kann man von dieser Gesamtzahl die Zahl von 92 Mio. auslndischen Fremdenverkehrsgsten abziehen, welche in der sterreichischen Fremdenverkehrsstatistik bei den Nchtigungen aufscheinen. Dies bedeutet, dass mehr als die Hlfte auf den Tagestourismus, auf nicht registrierte Urlauber und auf auslndische Arbeitnehmer aller Art entfllt.

    Die Angaben nach den Landesgrenzstellen vervollstndigen die diesbezglichen In-formationen: (vgl. Tabelle 3).

    Hervorhebung verdient, dass an der Sdgrenze gegen die Nachfolgestaaten Jugosla-wiens, Slowenien und Kroatien, bereits im Jahr 1994 ebenso viele Grenzbertritte wie von Italien aus registriert werden konnten und die Zahl der Einreisenden aus Ungarn, Tsche-chien und der Slowakei mit 30 Mio. bereits die Zahl der aus der Schweiz Einreisenden ganz wesentlich bertroffen hat.13

    Tabelle 3: Grenzbertritte einreisender Auslnder 1994

    Landesgrenzstellen

    Einreisende in Mio.

    Bundesrepublik Deutschland 103

    Schweiz 23 Italien 20 Slowenien und Kroatien 19 Ungarn 16 Tschechien 10 Slowakei 4 Flughfen 3 Insgesamt 198

    Quelle: sterreichisches Statistisches Zentralamt.

    13 Angaben aus den Jahren 1995 und 1996 stehen derzeit noch nicht zur Verfgung.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 37

    Vergleich des Straen- und Schienenverkehrs in der Schweiz und in sterreich

    Die Alpen sind ein Hindernis fr den Nord-Sd-Verkehr in Europa. Im Hinblick auf den Transitgterverkehr ber die Alpen hat sterreich mit 45% den grten Anteil zu tragen,14 whrend auf die Schweiz 26%, auf Frankreich 29% entfallen, wobei im letzten Jahrzehnt der Transitverkehr durch Frankreich absolut und anteilsmig zugenommen hat (23% im Jahr 1984). In diesem Zeitraum hat sich der "modal split" im Gterverkehr sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz zugunsten des LKW-Verkehrs erhht, von 75 auf 85% bzw. von 6 auf 17%, blo in sterreich erfolgte eine Abnahme von 78 auf 64%. Nur hier hat sich der Anteil der Bahn relativ verbessert.

    Anhand der Gegenberstellung des Straen- und Schienenverkehrs durch die Alpenlnder Schweiz und sterreich ist das sterreichische Problem im Nord-Sd-Transit-Verkehr ber die Alpen klar zu erfassen (vgl. Karte 10 a, b) Whrend in sterreich 21,9 Mio. Tonnen Gter ber die Strae transportiert werden und nur 8,5 Mio. Tonnen mit der Bahn, ist es der Schweiz dank ihrer seit langem betriebenen Verkehrspolitik zugunsten des ffentlichen Verkehrs gelungen, durch eine entsprechende Dimensionierung der Tunnels die groen Lastkraftwagen und vor allem die Lastwagenzge von der Schweiz in Richtung sterreich und Frankreich abzulenken, so dass ber die Schweizer Fernstraen nur 2,3 Mio. Tonnen transportiert wurden, whrend die Bahn den Haupttransport mit 14,3 Mio. Tonnen bernommen hat.

    1992 wurde ein Abkommen zwischen der Europischen Union und sterreich ber den G-terverkehr mit der Zielsetzung geschlossen, die Schadstoffbelastung durch LKWs auf sterrei-chischen Transitstrecken bis 2004 um 60% zu reduzieren. Dies sollte durch ein KO-Punktesystem erreicht werden, wovon LKWs bis 7,5 Tonnen hchstzulssigem Gesamtgewicht und Vor- und Nachlauffahrten (Zubringer- und Abholfahrten im kombinierten Ladungsverkehr) ausgenommen sind. De facto hat jedoch die Lrm- und Schadstoffbelastung entlang der groen Durchgangslinien lngst die der Bevlkerung zumutbaren Grenzen berschritten. In Tirol entfal-len 88% der Stickoxyde auf den Kfz-Verkehr, im besonders geplagten Wipptal sogar 98%. Das Motto des ehemaligen Landeshauptmanns Wallnfer "Tirol darf nicht umfahren werden" ist seither der Angst des berfahrenwerdens gewichen. Lokale Brgerinitiativen fordern immer wieder eine Verbesserung der Situation.

    Aus dieser schwierigen Umweltsituation in den Talrumen und Beckenlandschaften des Hochgebirges heraus ist die spezifische Transitproblematik sterreichs, in erster Linie auf der Brennerroute, zu verstehen. Vom Gesamtverkehrsaufkommen her stellt sie jedoch keineswegs einen Sonderfall in Europa dar. Die von der Europischen Kommission entworfenen Karten der Strme und berlastungen im Straenverkehr Zentraleuropas (vgl. Karte 17) bzw. im Eisen-bahnnetz Zentraleuropas (Karte 18) dokumentieren viel mehr, dass nicht nur hnliche, son-dern sogar noch strkere Tageswerte in den Verdichtungsrumen der Beneluxstaaten, in der Bundesrepublik und ebenso in Italien auf groen Strecken vorhanden sind.

    14 Vgl. Wissenschaft und Verkehr 1, 1996, S. 14; u. Einbeziehung der Alpenbergnge vom Felber Tauern bis zum Wechsel.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 38

    Karte 10a: Gtertransit auf der Bahn durch sterreich und die Schweiz Karte 10b: Gtertransit auf der Strae durch sterreich und die Schweiz

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 39

    Karte 11: Umgehung sterreichs durch sdslawische Verbindungen

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    Die Umfahrung von sterreich: Neue Transitstrecken Verkehrsnetze stellen das Grundgerst fr die konomische und politische Strukturierung von Rumen dar. Das unglaubliche Tempo des Einigungsprozesses von Europa, die NATO-Erweiterung und die ebenfalls in wenigen Jahren zu erwartende Osterweiterung der EU werfen in den Planungen des transeuropischen Verkehrsnetzes ihre Schatten voraus.

    War noch im ersten Bericht aufgrund des Verkehrsplans der europischen Verkehrs-minister aus dem Jahr 1993 eine recht optimistische Einschtzung bezglich der Lage von sterreich und insbesondere von Wien angebracht, so ist eine Revision dieses Optimis-mus, und zwar in mehrfacher Hinsicht, am Platz. sterreich ist relativ spt der Europi-schen Union beigetreten. Die Entscheidungen fr den Verkehrsausbau waren einerseits schon gefallen und sie betrafen andererseits das Gebiet mit dem strksten Verkehrsauf-kommen im sogenannten Goldenen Dreieck, das von den Beneluxstaaten bis Frankfurt im Sden reicht, bzw. die Verkehrsstrnge in den italienischen Alpen. In den Planungen fr die Zukunft stehen andererseits Ausbauprogramme in den ostmitteleuropischen Staaten schon auf der Warteliste. berbetont knnte man sagen: sterreich wird in der Entwick-lung zum Teil bersprungen werden, es hat mit eigenen Initiativen zu lange gewartet, vielleicht auch die eigene verkehrsgeographische Position berschtzt.

    Damit ist ein neues Thema angesprochen. Es lautet: Die Umfahrung von sterreich. Bereits 1994 zeichnete sich die Tendenz ab, sterreich grorumig zu umfahren (vgl. Karte 11). Diese Tendenz wurde zum Teil sicher vordergrndig auch von sterreichischen Politikern begrt, die mit Rcksicht auf die grne Bewegung Verkehrsvermeidung als neuen Slogan akquirierten. Konkret ist festzuhalten, dass auf der in Kreta im Mrz 1994 abgehaltenen Verkehrskonferenz ein einziges Straenbauvorhaben von sterreichischer Seite einge-bracht wurde, nmlich die Fertigstellung der Ostautobahn A4 zwischen Parndorf und der Staatsgrenze bei Nickelsdorf.

    Nun wird sich nach niederlndischen und deutschen Verkehrsstudien der Gteraus-tausch zwischen Westeuropa und den zentraleuropischen Staaten auf der Strae verdop-peln, auf der Schiene vervierfachen. sterreichische Erhebungen ergaben, dass der grenz-berschreitende LKW-Verkehr mit Osteuropa allein im Zeitraum von 1988 bis 1992 um 70%, der Bahnverkehr nur um 15 % zugenommen hat.15 Mit dem Vertrag mit Slowenien von 1992 standen der EU die entsprechenden Transitaus-gnge in die GUS-Staaten offen, auch ohne sterreichisches Staatsgebiet zu durchfahren. Damit kam es zu bilateralen Vereinbarungen zwischen Ungarn und Slowenien einerseits und andererseits zum Einsatz von Phare-Mitteln zur Erneuerung von Straen und Eisen-bahnstrecken in Westungarn und der Slowakei fr die Verbindung Hegyeshalom-Bratislava-Prag im Bahnverkehr. Mit dem Ausbau dieser einst stark befahrenen Strecke besteht die Gefahr, dass sterreich im Eisenbahnverkehr weitrumig umfahren wird.

    15 Kudlicza 1994, S. 36.

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    Karte 12: Paneuropische Korridore der EU

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 42

    Dies wre fr das mittlere und sdliche Burgenland von grtem Nachteil.16 In Tschechien geniet die Autobahnverbindung Nrnberg-Prag und die Verbindung Prag-Dresden hchste Prioritt, erstere soll Ende 1997, letztere bis zum Jahr 2002 fertiggestellt werden. Eine weitere Autobahn ist bis 2007 projektiert und soll von Brnn ber Olmtz bis Ostrau an der polnischen Grenze gefhrt werden. Dagegen ist von Brnn nach Sden nur der Ausbau der ehemaligen Brnner Strae bis zur Staatsgrenze geplant. Die Auto-bahn von Prag bis Budweis soll bis 2005 gebaut werden. Ein sterreichischer Gegenflgel von Linz zur Staatsgrenze im Mhlviertel ist dagegen nicht in Planung. Im Eisenbahnbau sind in Tschechien Priorittskorridore mit Anschluss nach Dresden und andererseits von Brnn mit Anschlssen nach Bratislava und Wien geplant. Eine Haupttrasse geht von Nrnberg-Prag-Olmtz zur polnischen Grenze und verbindet damit Bayern mit dem ober-schlesischen Industrierevier.

    Andererseits ist auf sterreichischer Seite jedoch kein Ausbau der Bahnstrecke Wien-Bratislava in Sicht, es besteht auch kein Anreiz hierzu von Seiten der Nachfrage, da Bahn-fahrten dreimal so teuer sind wie Busfahrten, so dass die Zge leer bleiben. Ein Zusam-menschluss von Wien aus mit den slowakischen Fernverkehrsverbindungen nach Sdpolen ist nicht einmal angedacht.

    Inzwischen ist es Ungarn gelungen, die Autobahn von Budapest nach Wien fertig zu stel-len, und in Krze wird auch die Verbindungslcke zur slowakischen Autobahn bei Bratis-lava geschlossen sein. Insgesamt wird in Ungarn der Ausbau der Autobahn dem Bahnbau vorgezogen, da bei ersterem eine private Finanzierung mglich war. Die Autobahn von Budapest in die Ukraine steht damit auf dem Programm. Von Budapest aus sind bereits 70 km Autobahnstrecke fertiggestellt worden. Der Ausbau der Strecke von Budapest zum slowenischen Hafen Koper befindet sich im Planungsstadium.

    Slowenien betreibt mit groer Eile den Bau einer neuen Eisenbahnverbindung zwischen Murska Sobota und der Staatsgrenze mit Ungarn bei Hodos in Abstimmung mit dem unga-rischen Bahnprojekt nach Krmend. Die Bahnstrecke wird als Teil eines spteren Netz-werkes mit Verbindungen in die Slowakei, in die Tschechische Republik, nach Polen und in die Ukraine angesehen.

    Was steht hinter den verschiedenen Bemhungen der ambitionierten sdslawischen Umfahrung sterreichs durch eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von Laibach ber Zagreb bis Thessaloniki? Was steht hinter den Entwrfen paneuropischer Korridore, welche von der Europischen Kommission fr die Dritte Paneuropische Verkehrskonferenz in Hel-sinki im Juni d. J. vorbereitet wurden?

    Die Antwort ist schlicht und lautet: Der Einigungsprozess der Bundesrepublik und da-mit die Wiedervereinigung der lange geteilten Hauptstadt Berlin bestimmen die Verkehrs-korridore in Ostmitteleuropa entscheidend mit. Der Hauptverkehrsstern von Zentraleuro-pa, der von Berlin ausgeht, reduziert die Verkehrsbedeutung von Wien zu der einer natio-nalen Metropole, welche nur an einer echten Magistrale liegt, nmlich der West-Ost-

    16 Platzer: Gesamtverkehrskonzept Burgenland.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 43

    Magistrale in der mittleren Breite des Kontinents, welche von Paris ausgehend ber Stra-burg und Mnchen bis Budapest zieht. Mit der NATO-Erweiterung und der Osterweite-rung der EU kann Budapest damit die Position eines Verkehrsknotens im Pannonischen Becken bernehmen (vgl. Karte 12).

    Die Zeitschrift "Unser Wien" (Heft 19/1997) fordert "Der Zug darf nicht an Wien vor-beifahren" und beklagt sich darber, dass der Ausbau der Transeuropischen Netze (TEN) bei der Priorittensetzung Wien nicht bercksichtigt. Konkret geht es dabei um die Errich-tung einer schnellen Bahnverbindung Paris-Straburg-Mnchen-Wien-Budapest (Ma-gistrale fr Europa) im Schnittpunkt mit einer Nord-Sd-Linie Berlin-Prag-Brnn bzw. Warschau-Wien-Adria. Freilich befindet sich dazu die Errichtung eines Zentralbahnhofs in Wien erst im Planungsstadium. Dagegen werden sich in Budapest in wenigen Jahren die Autobahnen von Paris und Berlin (Hamburg) treffen und ebenso Hochleistungszge von beiden Metropolen. Wien, einst Schnittpunkt des Ostende-Expresses von Istanbul mit dem Moskau-Express, kann diese Funktion nicht mehr zurckgewinnen. Geblieben ist die West-Ost-Magistrale (vgl. Karte 13).

    sterreich hat aber auch in der Sdregion beim Bahnbau nicht mit Italien mitgezogen. Die Pontebbana von Udine-Pontebba nach Villach, eine zweigleisige etwa 115 km lange Hochleistungsstrecke fr Geschwindigkeiten zwischen 120 bis 200 km, ist inzwischen auf der italienischen Seite bis zur Grenze fertiggestellt, wobei Tunnels mit einer Gesamtlnge von 45,3 km errichtet worden sind. Auch auf der Sdrampe der Brennerstrecke hat

    Karte 13: Zentraleuropische West-Ost-Magistrale 1997

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    Italien inzwischen drei neue Tunnels mit insgesamt 24 km Lnge gebaut. Auf der sterreichischen Seite befindet sich fr die Bewltigung des Brennerverkehrs anstelle des Alpentunnels eine "kleine Lsung" im Bau. Sie fhrt durch das Inntal und wird zwischen Kufstein und Baumkirchen zu 75% als Unterflurtrasse gefhrt werden. Die Umfahrungen von Innsbruck und Hall sind schon fertiggestellt.

    Der hei umkmpfte Semmeringbasistunnel mit einer Lnge von 22 km samt einem Pi-lotstollen von 10 km ist seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Dauerbrenner im Nationalrat, seine Finanzierung ist bisher nicht gesichert. Die ber 100 Jahre alte Trasse war seinerzeit eine Pionierleistung, ist jedoch heute die lngste Langsamfahrstrecke in Europa und ein echtes Hindernis fr eine "Neue Sdbahn".

    Karte 14: Einzugsbereich der internationalen Spedition Schenker

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 45

    Zwischen den langsam reagierenden staatlichen Institutionen und den zgig handeln-den Privatfirmen bestehen beachtliche Unterschiede, welche die gegenwrtige geostrate-gische Landschaft sehr vielgestaltig werden lassen. Als ein Beispiel sei der Einzugsbereich der groen, schon in der Monarchie bestehenden, nunmehr von den USA aus agierenden Spedition Schenker, welche in Wien eine Hauptniederlassung unterhlt, in Sdosteuropa vorgestellt (vgl. Karte 14). Ihr Einzugsbereich reicht gegenwrtig von den Nachfolgestaa-ten der Monarchie ber Rumnien und Bulgarien bis in die Trkei und zeichnet damit einen Handelsraum nach, der seinerzeit von der k. u. k. Monarchie dominiert worden ist.

    Die Donau fliet "verkehrt" Mit dieser berschrift wird die Tatsache offengelegt, dass die Donau als wirtschaftlicher Handelsweg fr den Schiffsverkehr in einen erst im Aufbruch und in der Entwicklung befindlichen Teil Europas hineinfliet. Der nach der Wolga mit 2.850 km zweitlngste Fluss Europas, auf dessen Funktion fr die Elektrizittswirtschaft noch eingegangen wird, ist im Hinblick auf den Gterverkehr seit dem Zerfall der Monarchie nahezu bedeutungs-los geworden.

    Hierzu kommt ferner, dass der Schiffstransport von Massengtern wie der Kohle an Bedeutung verloren hat und das Erdl mittels Leitungen transportiert wird. Der Donau-Gterverkehr hat daher die 10-Mio.-Tonnen-Marke in der Nachkriegszeit nie erreicht und bewegte sich seit Mitte der 80er Jahre zwischen knapp 7 und 9 Mio. t.

    Die Erwartungen hinsichtlich eines Anstiegs des Frachtverkehrs durch die ffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals haben sich bisher nicht erfllt (vgl. Tabelle 4).

    Der Transitverkehr ber den Rhein-Main-Donau-Kanal durch sterreich belief sich 1994 auf rund 2 Mio. t. Im Wiener Hafen betrug der Schiffsumschlag 1996 1,588 Mio. t. Auch die Bemhungen, den Personenverkehr wieder zu aktivieren, waren nicht von Erfolg begleitet. Die bereits 1829 gegrndete Donaudampfschifffahrtsgesellschaft verfgte

    Tabelle 4: Fahrten und befrderte Gter auf der Donau

    Fahrten Befrderte Gter in 1.000 t 1985 10.478 7.619 1990 10.714 8.140 1991 8.620 6.786 1992 7.973 6.705 1993 7.218 6.542 1994 8.688 7.704 1995 9.503 8.791

    Quelle: Stat. Jahrbuch der Republik sterreich 1996, S. 340.

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    Tabelle 5: Donaukraftwerke

    Errichtet Leistung in MW sterreichisch-bayerisches Kraftwerk Jochenstein 1942-56 132,0 sterreichische Donaukraftwerke Aschach 1959-64 287,4 Ottensheim-Wilhering 1970-74 179,0 Abwinden-Asten 1976-79 168,0 Wallsee-Mitterkirchen 1965-68 210,0 Ybbs-Persenbeug 1954-59 203,5 Melk 1979-82 187,0 Altenwrth 1973-76 328,0 Greifenstein 1981-85 293,0 Freudenau seit 1995 in Bau 172,0

    Quelle: Lichtenberger, E., 1997, S. 139.

    vor dem Ersten Weltkrieg ber eine der grten Binnenflotten Europas mit 162 Dampfern und 860 Schleppern mit 470.000 Tonnen Tragfhigkeit. Noch 1937 gehrten ihr 22 Per-sonendampfer, 25 Zug- und Frachtdampfer, 394 Schlepper und 29 Erdltanker. Im Zwei-ten Weltkrieg wurde der Schiffsbestand stark reduziert. Von 1945 bis 1955 kam die DDSG als sogenanntes "Deutsches Eigentum" unter sowjetische Verwaltung und erst dann wieder in sterreichischen Besitz, 1993 wurde sie von der deutschen STINNES AG er-worben, sie hat derzeit noch 24 Motorschiffe und 80 Leichter und befrderte 1992 knapp eine halbe Million Reisende.

    In bezug auf die Multifunktionalitt der Donau hat in konomischer Hinsicht die Elektrizi-ttsgewinnung lngst dem Schiffsverkehr den Rang abgelaufen (vgl. Tabelle 5).

    Die Donau bildet derzeit mit 9 Kraftwerken, zu denen in Krze das Kraftwerk Freudenau bei Wien als 10. Kraftwerk hinzukommen wird, mit mehr als 2.000 installierten MW die Energieschiene sterreichs.

    Im Zeitalter der Freizeitgesellschaft und der kologischen Weltsicht hat der wasserbau-technisch gebndigte Strom gerade im Wiener Raum durch das Freizeiteldorado der Do-nauinsel und den Nationalpark Donauauen neue nichtkonomische Funktionen von hohem Stellenwert erhalten.

    Der Donau-Oder-Kanal, bei dem es sich ebenso wie beim Rhein-Main-Donau-Kanal schon um ein auf die Zeit der k. u. k. Monarchie zurckgehendes Projekt handelt, besteht bisher nur aus einem wenige Kilometer umfassenden Teilstck stlich von Wien, das der-zeit von der Wiener Bevlkerung als Badegewsser und durch die Anlage von Zweitwohn-sitzen genutzt wird.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 47

    Luftverkehrskorridore in sterreich sterreich ist nicht nur ein Transitland des Straen- und Bahnverkehrs, sondern auch des Luftverkehrs. Allerdings sollte man hier seine Bedeutung nicht berschtzen. Zum Unter-schied vom Straen- und Bahnverkehr haben die West-Ost-Korridor-Routen eine weit grere Bedeutung als der Nord-Sd-Verkehr. sterreich partizipiert damit an der West-Ost-Schiene des Flugverkehrs, welche am Nordrand der Alpen ber das Alpenvorland fhrt.

    Die Flugsicherung spielt fr die sterreich querenden Luftverkehrskorridore eine gro-e Rolle. Seit 1944 erfolgt die berwachung und Flugsicherung im sterreichischen Luft-raum durch die neugeschaffene "Austro Control Ges.m.b.H." mit Sitz in Wien III. 1996 zhlte man 224.000 An- und Abflge und weitere 435.000 berflge ohne Landung ber das sterreichische Staatsgebiet (vgl. Karte 15). Die Prognose sieht einen weiteren raschen Anstieg der Flugbewegungen voraus (vgl. Tabelle 6).

    Im Flugverkehr nimmt der Vienna International Airport mit 154.900 Flugbewegungen (1996) in sterreich eine der Primate City Wien entsprechende Position ein. Von der brsennotierten Flughafen AG nach der Ostffnung modernst ausgebaut und mit einem

    Karte 15: Luftverkehrskorridore in sterreich

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 48

    World Trade Center ausgestattet, hat sich seit 1989 die Zahl der Passagiere auf 9,1 Mio. im Jahr 1996 verdoppelt (vgl. Karte 16).

    Unter den 61 Gesellschaften, die Wien anfliegen, halten die Austrian Airlines derzeit bei einem Marktanteil von rund einem Drittel. Die strategische Flugallianz AUA, Lauda Air, Tyrolean, Swissair, Sabena, Delta und Singapore Airlines ist fr den Flughafen Wien zum bedeutendsten Umsatzbringer geworden.

    Hinsichtlich der Flugdestinationen des Linienverkehrs fhrt London, gefolgt von Paris; seit der Ostffnung konnte der Flugverkehr nach Moskau den Linienverkehr nach Rom berrunden. 60 % aller Flge entfallen auf Mitgliedstaaten der Europischen Uni -on. Um die Jahrtausendwende wird mit 12 Mio. Passagieren gerechnet.

    Karte 16: Flughafen Wien-Linienverkehr 2000

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 49

    #

    Tabelle 6: Prognose der An- und Abflge und der berflge bis 2002

    An- und Abflge berflge 1994 183.579 360.077 1995 204.224 411.266 1996 224.005 435.535 1997 245.535 456.755 1998 269.425 478.025 1999 296.805 501.015 2000 327.705 525.925 2001 359.415 547.915 2002 395.505 571.585

    Quelle:Eurocontrol 1996. Ein weiterer Ausbau ist bereits terrainmig abgesichert.17

    Bei einer tglichen Frequenz von rund 65.000 Autos ist ein Ausbau der S 7 im 15-Minuten-Takt erforderlich. Doch befindet sich die Flughafenschnellbahn noch immer im Planungsstadium, wobei sie nach den EU-Kriterien eine Voraussetzung fr die Position eines EU-Flughafens darstellt. Mit dem Flughafen Bratislava besteht eine Kooperation bezglich des Frachtverkehrs. Aufgrund der untergeordneten Position des innersterreichischen Flugverkehrs im Rahmen des Gesamtaufkommens weist der Wiener Flughafen ein viel strker internationales Ge-prge auf als hnlich groe bundesdeutsche Flughfen. Im Ausstattungsniveau der Ge-schfte und Boutiquen spiegelt sich noch das Flair der einstigen Weltstadt Wien.

    17 Insgesamt knnten die Kapazitten auf 18 Mio. Reisende ausgebaut und die Zahl der Flugbewegungen auf 240.000 ausgeweitet werden. Fr das Jahr 2015 werden 25 Mio. Passagiere erwartet (Vienna International Airport. Ein Weibuch. 1997).

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 50

    6 Die Position sterreichs in den Verkehrs- und Leitungsnetzen von Zentraleuropa Die Position sterreichs in den Verkehrs- und Leitungsnetzen ist differenziert:

    1. Die bereits in der Ersten Republik eingeleitete Redimensionierung der Verkehrs-stellung von einem Groreich auf einen Kleinstaat hin und der Verlust einer eigen-stndigen Verkehrspolitik im internationalen Feld wurden durch die Eingliederung in die Europische Union und die mittelfristige Osterweiterung weiter akzentuiert.

    2. In der Nachkriegszeit bildete sterreich einen Teil des westlichen Grenzgrtels in Europa. Dementsprechend diente der Autobahnbau z.T. internationalen strategi-schen Lsungen.

    3. Die West-Ost-Dichotomie hat fderalistische Interessen gefrdert, aus denen nur schwer ein Anschluss an kontinentale Perspektiven zu finden ist. Das Problem des Nord-Sd-Transits durch die Alpen wird lngst durch die Verkehrshlle in der Ost-region bertroffen, bei der die exorbitante Steigerung im Gterfernverkehr berdies durch Ostfrchter bernommen wird. Gleichzeitig hat sich die Vision einer Mittel-punktlage von Wien im Hochgeschwindigkeitsnetz von Europa nach der Grenzff-nung 1989 rasch verflchtigt.

    4. Zu spt wurde registriert, dass mit der NATO-Erweiterung und der geplanten EU-Erweiterung eine neue Verkehrsfront und damit eine neue Investitionsfront auer-halb sterreichs aufgebaut wird.

    5. Aus der Grundberzeugung heraus, dass sterreich die Drehscheibe des Verkehrs in Europa darstellt, glaubte man noch beim EU-Beitritt Forderungen stellen zu knnen. Es wurde bersehen, dass sich durch den Beitritt zur EU und die absehbare Osterweiterung das sterreichische Problem des Transitverkehrs mittelfristig zu ei-nem Engpassproblem des Binnenverkehrs in bestimmten Verkehrskorridoren redu-zieren wird. Vor dem Hintergrund der Verkehrsdichte in den Ballungsrumen des Ruhrgebietes und der Randstadt in den Niederlanden mutieren Werte, welche ster-reichische Verkehrsplaner erschrecken mgen, wie u.a. 100.000 Fahrzeuge am Tag in einem bestimmten Straenabschnitt im Linzer Raum, vom Extrem zur Normali-tt. Die Karten der EU ber die Strme und berlastungen im Straennetz Zentral-europas (vgl. Karte 17) und im Eisenbahnnetz (vgl. Karte 18) belegen dies ein-drucksvoll.

    Die sterreichische Verkehrspolitik versucht mehrere Wege, um unter den Zielkategorien von kologisierung des Verkehrs, kombiniertem Verkehr (rollende Landstrae usf.) und Ablenkung des Durchgangsverkehrs durch Einziehen bzw. Belassen von Blockaden, Langsamfahrstrecken, Dauerbaustellen u.dgl., den Transitverkehr zu reduzieren.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 51

    Karte 17: Strme und berlastungen im Straenverkehr Zentraleuropas

    Karte 18: Strme und berlastungen im Eisenbahnnetz Zentraleuropas

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 52

    Auch bei der Einbindung von sterreich in die europische E-Wirtschaft sind hnliche Spezifika der Energiepolitik vorhanden, wie der Einfluss der kologischen Bewegung in Hinblick auf die Verwendung von erneuerbaren und zugleich kostengnstigen Energien (Solaranlagen, Windenergie, Biomasse, Stroh, Energiepflanzen, Biogas usf.) und die Auf-gabenteilung zwischen Zentralismus und Fderalismus. Die gegenwrtige Struktur des Netzes ist ferner wie beim Verkehrssystem durch eine auffllige West-Ost-Dichotomie sowie eine externe Ausrichtung gekennzeichnet (vgl. Karte 19).

    Von Vorarlberg und Tirol fhren 380-kV-Hochspannungsleitungen in die Bundesrepu-blik Deutschland und in die Schweiz, ferner fhrt eine Hochspannungsschiene, welche die Laufkraftwerke an der Donau verbindet, nach Bayern und damit in das Netz der Bundes-republik Deutschland. Eine leistungsfhige Verbindung zwischen beiden Hochspannungs-leitungen fehlt. Vom geplanten Hochspannungsring, der von Wien aus ber Innerster-reich und Osttirol nach Salzburg ber den Inn an die Donaustrecke anschlieen soll, sind nur Teilstcke vorhanden.

    Mit dem Beitritt zur EU sieht sich die sterreichische Elektrizittswirtschaft vor der groen Schwierigkeit, nach Jahrzehnten einer Politik, welche gemeinwirtschaftliche ber-legungen in den Vordergrund rckte, nunmehr in der Preiskonkurrenz mit den Stromer-zeugern, welche in West und Ost billigeren Atomstrom anbieten, bestehen zu mssen. Damit ist der teure Spitzenstrom nicht mehr absetzbar.

    Die Karte des Verbundnetzes in Zentraleuropa (vgl. Karte 19) demonstriert recht ein-drucksvoll die hohe Leitungsdichte einerseits im Westen sterreichs, von Sddeutschland ber die Schweiz nach Oberitalien hin, und andererseits im Osten, in Tschechien und Un-garn.

    Die sterreichische Elektrizittswirtschaft steht institutionell-betrieblich vor einem tiefgreifenden Umbruch. Das Zuteilungssystem der Verbundgesellschaft ist nicht nur durch die europische Konkurrenz in Bedrngnis geraten, sondern auch die Landesgesellschaften als Produzenten melden sich zu Wort und sind dabei, ihren Einfluss bei der geplanten Privatisierung geltend zu machen. Die Losung fr die Zukunft lautet daher nicht nur "Mehr Privat, weniger Staat" wie in anderen Bereichen der Wirtschaft, sondern auch "Mehr Fderalismus, weniger Zentralismus". Das Hauptproblem der sterreichischen Verkehrs- und Infrastrukturpolitik besteht darin, dass die Reduzierung sterreichs zu einem Kleinstaat und die dadurch gegebene externe Determinierung nicht bzw. zu wenig reflektiert werden. Die mediale Aufmerksamkeit ist berdies stets einseitig auf den Straenverkehr ausgerichtet.

    Unbeachtet blieb die berflugfunktion im Flugverkehr, wo zweimal so viele berflge als startende und landende Flugzeuge zu registrieren sind. Karte 20 belegt beachtliche Unterschiede hinsichtlich der Knoten und Kanten des Netzwerkes der Fluglinien im Vergleich zu dem der Hochgeschwindigkeitszge. Es berwiegt beachtenswerter Weise eine Aus-richtung der Flugkorridore einerseits in NW-SO-Richtung, welche auch fr die berflug-schneisen in sterreich Bedeutung besitzt und andererseits in SW-NO- Richtung.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 53

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 54

    Die von Grobritannien nach Italien reichende Flugschneise ist besonders hervorzuheben. Es entspricht damit der Flugverkehr noch immer der Megalopolis-Konzeption, wie sie fr das Jahr 1989 gltig war. Die Doppelung der Megalopolis, die im Personen- und Gterverkehr auf der Strae schon deutlich ausgebildet ist, kommt im Flugverkehr noch nicht zu Geltung. Die Ausliegerfunk-tion von sterreich als einstiger Auenposten der westlichen Welt uert sich in der be-reits beachtlichen Zahl von berflgen lngs der Achse des Alpenvorlandes welche in raschem Ansteigen begriffen ist.

    Fassen wir zusammen: Zwei Prozesse bestimmen die Gegenwart: Die Globalisierung der Wirtschaft und das Zusammenwachsen der europischen Staaten zu einem Vereinten Europa.

    Die Globalisierung der Wirtschaft erzwingt die Akzeptanz der "economy of scale" auch im Verkehr, konkret kommt es dadurch zu den bekannten sich aufwrts drehenden Spiralen von Ausbau der technischen Infrastruktur und steigender Nachfrage, wodurch aufgrund der enormen Kosten eine Fixierung auf wenige Strecken mit wachsender Fre-quenz erfolgt. Magistralen des Verkehrs gehrt die Zukunft als Verbindungsachsen zwi-schen den Eurometropolen.

    Die Globalisierung und ebenso der konomische Einigungsprozess von Europa er-zwingen die "accessibility" von Rumen. Gebiete, welche schlecht erreichbar sind, werden peripherisiert und marginalisiert. Die Verkehrsgradienten werden steiler; whrend die Metropolen immer rascher erreichbar werden, verschlechtert sich die Erreichbarkeit peri-pherer Rume durch den ffentlichen Verkehr.

    Die Globalisierung ist mit einer Liberalisierung verbunden, d.h. einem Rckbau des Staates und erzwingt mittelfristig eine Separierung der Verkehrspolitik von der Sozialpoli-tik. Die Funktion des ffentlichen Verkehrs als Mittel des Disparittenausgleichs und gleichzeitig als wichtiger Arbeitgeber fr lndliche Rume ist auf die Dauer nicht haltbar.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 55

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 56

    7 Kartenverzeichnis Karte 1: EU - NATO - GUS Staaten

    Quelle: Lichtenberger 1997b; S. 330.

    Karte 2: Megalopolis und Sunbelt 1989 Quelle: Brunet 1989; S. 79.

    Karte 3: Die Doppelung der Megalopolis 1999 Quelle: Entwurf Lichenberger 1999.

    Karte 4: Die franzsische Sicht von Europa Quelle: Foucher M. u. J. Y. Potel, S. 12.

    Karte 5: Europisches Metropolen- und Hochgeschwindigkeitsnetz Quelle: Lichtenberger 1993; S. 159.

    Karte 6: Lage von sterreich in Zentraleuropa Quelle: Bobek, 1957.

    Karte 7: Rmische Reichsstraen als Vorlufer der Autobahnen Quelle: Putzger, Ledl, Wagner, 1975, S. 35; Graphik: Ledl.

    Karte 8: Erdl und Erdgas in Zentraleuropa Quelle: Westermann (Hg.), Petro-Atlas: Erdl und Erdgas, 1982, S. 22f, 126f.

    Karte 9: Raffinerien und Rohlpipelines in Zentraleuropa Quelle: OMV, 1997.

    Karte 10a: Gtertransit auf der Bahn durch sterreich und die Schweiz Quelle: Statistisches Jahrbuch, 1995; S.337

    Karte 10b: Gtertransit auf der Strae durch sterreich und die Schweiz Quelle: Statistisches Jahrbuch, 1995; S.337

    Karte 11: Umgehung sterreichs durch sdslawische Verbindungen Quelle: Hall, Journal of Transport Geography, 1993, S. 29.

    Karte 12: Paneuropische Korridore der EU Quelle: Paneuropische Verkehrsministerkonferenz, 1997.

    Karte 13: Zentraleuropische West-Ost-Magistrale 1997 Quelle: MA 18 (Hg.), Das Transeuropische Verkehrsnetz, 1997, S. 84.

    Karte 14: Einzugsbereich der internationalen Spedition Schenker Quelle: Schenker, 1997.

    Karte 15: Luftverkehrskorridore in sterreich Quelle: News, Nr. 47, 1996, S. 49.

  • GEOPOLITISCHE LAGE UND TRANSITFUNKTION STERREICHS IN EUROPA 57

    Karte 16: Flughafen Wien - Linienverkehr 2000 Quelle: Statistisches Jahrbuch 2002, S. 390.

    Karte 17: Strme und ber