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Gerhard Wiesenfarth DYNAMIK IM PROZEß DES UMGESTALTENS Partielle Gestaltänderung und ihre Auswirkungen auf die Gesamtgestalt im makroästhetischen Beschreibungsmodell 1. "Feldwirkung", Zusammenwirken Nach Wolfgang Köhler zeigen Gebilde "Feldwirkung", wenn die Eigen- schaften "in beschränkten Bereichen" aus der Beschaffenheit "im großen Gebiet" resultiert; "lokale Bereiche" sind abhängig von "ausgedehnten Gebieten" 1 Elemente haben demnach nicht nur z . B. einen bestimmten Grad der Helligkeit, sondern auch Eigenschaften , die aus dem Umfeld und dem Zusammenwirken resultieren. Nur Gebilde, die als "Summe ••• elementarer Einzelzustände und Einzelgebilde gelten können"J zeigen ein solches Zusammenwirken nicht; Partielle Eingriffe dehnen s i c h n i c h t auf i h r Um f e 1 d aus Für s o 1 c h e r e i n " s um m a t i v e n " Gebilde gilt: "Ein 'Zusammen' ist dann und nur dann eine reine 'Summe' von 'Teilen' oder 'Stücken', wenn es aus ihnen, und zwar einem nach dem anderen, hergestellt werden kann, ohne daß infolge der eines der 'Teile' sich ändert. Umgekehrt: Ein 'Zusammen' ist dann eine reine 'Summe', wenn durch Ausscheidung von 'Teilen' oder 'Stücken' weder das zurückbleibende 'Restzusammen' ••. noch die ausgeschiedenen 'Teile' geändert werden". 2 2. Zusammenwirken im mikroästhetischen Beschreibungsmodell 3 Unter dem Leitbegriff Information wird die rein physisch-materiale Betrachtung abgelöst. Visuell zugängliche Gestalten zeigen so ein spezifisches Zusammenwirken der Elemente: Partielle, örtliche Änderungen strahlen auf das Umfeld, auf die Gesamtanordnung aus. Zwar bleibt das Material im Umfeld erhalten, Helligkeitsunterschiede bei den Elementen z.B. bleibengenauso bestehen. Auch die Form in unbeteiligten Bereichen bleibt erhalten. Kein Element wird im Umfeld der partiellen Änderung verschoben. Aber die Informationswerte der Elemente und Elementkomplexe ändern sich: Die informative Struktu- rierung der g an z e n Fläche bewegt sich. 4 Ein einzelnes (iso- 111

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Gerhard Wiesenfarth

DYNAMIK IM PROZEß DES UMGESTALTENS

Partielle Gestaltänderung und ihre Auswirkungen auf

die Gesamtgestalt im makroästhetischen Beschreibungsmodell

1. "Feldwirkung", Zusammenwirken

Nach Wolfgang Köhler zeigen Gebilde "Feldwirkung", wenn die Eigen­

schaften "in beschränkten Bereichen" aus der Beschaffenheit "im

großen Gebiet" resultiert; "lokale Bereiche" sind abhängig von

"ausgedehnten Gebieten" 1 Elemente haben demnach nicht nur z . B. einen

bestimmten Grad der Helligkeit, sondern auch Eigenschaften , die aus

dem Umfeld und dem Zusammenwirken resultieren. Nur Gebilde, die als

"Summe ••• elementarer Einzelzustände und Einzelgebilde gelten

können"J zeigen ein solches Zusammenwirken nicht; Partielle Eingriffe

dehnen s i c h n i c h t auf i h r Um f e 1 d aus • Für s o 1 c h e r e i n " s um m a t i v e n "

Gebilde gilt: "Ein 'Zusammen' ist dann und nur dann eine reine

'Summe' von 'Teilen' oder 'Stücken', wenn es aus ihnen, und zwar

einem nach dem anderen, hergestellt werden kann, ohne daß infolge

der Zusammense~zung eines der 'Teile' sich ändert. Umgekehrt: Ein

'Zusammen' ist dann eine reine 'Summe', wenn durch Ausscheidung von

'Teilen' oder 'Stücken' weder das zurückbleibende 'Restzusammen' ••.

noch die ausgeschiedenen 'Teile' geändert werden". 2

2. Zusammenwirken im mikroästhetischen Beschreibungsmodell 3

Unter dem Leitbegriff Information wird die rein physisch-materiale

Betrachtung abgelöst. Visuell zugängliche Gestalten zeigen so ein

spezifisches Zusammenwirken der Elemente: Partielle, örtliche

Änderungen strahlen auf das Umfeld, auf die Gesamtanordnung aus.

Zwar bleibt das Material im Umfeld erhalten, Helligkeitsunterschiede

bei den Elementen z.B. bleibengenauso bestehen. Auch die Form in

unbeteiligten Bereichen bleibt erhalten. Kein Element wird im Umfeld

der partiellen Änderung verschoben. Aber die Informationswerte der

Elemente und Elementkomplexe ändern sich: Die informative Struktu­

rierung der g an z e n Fläche bewegt sich. 4 Ein einzelnes (iso-

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liertes) Element hat bestimmte Eigenschaften (Farbton, Helligkeit

usw.), aber keinen Informationswert. Nur inner h a 1 b einer

umfassenden Anordnung kann ihm ein solcher Wert zukommen. In Gestalten

sind die Elemente weitreichend verknüpft, folglich ufern örtliche

Varianzen aus.Änderungen an begrenzten Stellen ziehen Änderungen in

den Informationswerten 5 auch an jenen Stellen nach sich, die nicht

direkt modifiziert werden. Mit Bezug auf die Information erweist

sich deshalb die Gestalt im Sinne Wolfgang Köhlers als ein "Zusammen"

mit übersummativer Beschaffenheit.

Zeigt sich eine solche "Feldwirkung" auch im makroästhetischen

Beschreibungsmodell?

3. Auswirkungen partieller Gestaltänderungen im makroästhetischen

Beschreibungsmodell

Visuell zugängliche geometrische Figuren sind nach Wolfgang Köhler

bloß "summativ geometrische Mannigfaltigkeiten" 6 , also Gebilde ohne

"Feldwirkung". Es fragt sich deshalb: Sind solche Au'sweitungen

partieller Änderungen auf ihr Umfeld an das kollektive Zusammenwirken

v i e 1 e r Elemente gebunden? Zeigen sie sich ausschließlich in

der informativen Flächenstruktur, abseits makroästhetischer Sach­

verhalte? Da die makroästhetischen Eigenschaften weitgehend mikro­

ästhetische spiegeln, darf hier keine strikte Zweiteilung erwartet

werden: Auch in makroästhetischer Hinsicht zeigen Gestalten ''Feld­

wirkung". Geringfügige, örtliche Veränderungen können sich sogar in

drastischen Veränderungen der Gesamtgestalt fortsetzen. Dazu ein

Bei spie 1 (Ab b • 1 , 2 ) •

3 . 1 Grundgrößen der makroästhetischen Analyse im Überblick

Die makroästhetische Betrachtung setzt nicht bei speziellen "Gestalt­

gesetzen" an. Sie fragt allgemeiner nach den einfachen Elementen und

ihren konkreten Verknüpfungen. Die Gesamtheit der Verknüpfungen stellt

ein Beziehungsgefüge dar. 8 Ist es nicht regulär, enthält es Bereiche

mit dichten und weniger dichten Verknüpfungen. Die subtraktive Ge­

staltung (Dekomposition) zeigt auf, wie sich ~us der irregulären

Verteilung der Verknüpfungsdichte im Gefüge Teilgefüge herausheben.

(Teil-) Gestalten auf verschiedenen Stufen werden aufgewiesen. Blei­

ben dabei alle Verknüpfungen im ursprünglichen Gefüge erhalten, liegt

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I II 101 a b

Abb. 1: Gebilde zur Erläuterung zweier sogenannter Gestaltgesetze: "Gesetz der Nähe" (a), "Gesetz der Geschlossenheit" (b). In a werden die nahe beieinanderliegenden Linien als (Teil-) Gestalt gesehen, in b der geschlossene Linienzug (Quadrat): Das"Gesetz der Geschlossenheit" setzt sich in b gegen das "Gesetz der Nähe" durch.

1 2 ' 4

II II 5 /

II II 11_11 11_11 ·~

II III IV

101 V

Abb. 2: Fortschreitende Integration der Elemente 5 und 6 als Übergang zwischen den Gebilden a und b (Abb. 1).

keine eigentliche (äußere) Umgestaltung vor, es wird lediglich durch

"Interpunktieren" akzentuiert. Das ursprüngliche Gefüge wird jedoch

nur einseitig nach verknüpften Teilgestalten ausgelotet, wenn nicht

der gegenläufige und ergänzende Gesichtspunkt der additiven Ge­

staltung (Komposition) hinzutritt. Er akzentuiert, wie aus den

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~-vgl, ~

! GR •0,69 -1con 1

Abb. 2

(1-1 ::Ii ·:·(~~~ 0,4401-~ -8~- ·' '-Ia· o, 875

2 0,5l';~ 3

1,50 o,43 P~~a 1,09 ,-,-,---,,- ... ,··-·\ ,-, ,,-,· .. ·,··--, .. ,-.,

I : ~ ' • g ~ : ,' fl g ..

Gefüge als Einheit

1 "Figur" mit "Hintergrund" g

verknüpfte Teilgestalten Sture 2 o, 684;.o· 6·

9·{· ·.-:-:.: ·- • ·._--:.: '-- -- · '_,

0,316 ' 0,375~ 713 0,310J-O 624 o,65~o 573 o,625rv, 0,690 ' 0,344 '

\' 1,64 1,64 4 .. -,-,._.,,·,··: :· ::'~';

. -,.._,., ' ....... -' ,_ ... '...,_, ., oi-o,719ro,64o-ra 11. o,2a1 ~

I

verknüpfte Teilgestalten

l Stu.f'e 3

verknüpfte Elemente als letzte Einheiten

Abb . 3: Gefügeerhaltende Dekomposition. Die erzielten Werte der Gestaltreinheit im konfigurativen Konnex sind über den (Teil-)Gestalten angegeben. 0.: Innere Ordnung und Ein­heitlichkeit, I.: innere Isolierung, I :Isolierung nach außen. Bei den teilgestalten mit Pfeilaüberwiegt die innere Isolierung I. gegenüber den inneren Ordnung und Einheitlich­keit 0., in diesem Fall führt erst die weitere Dekomposition zu gestaltreineren Teilgebilden.

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Elementen oder Elementen höherer Ordnung (=Teilgestalten) die Ge­samtgestalt aufgebaut wird.

Elemente und ihre konkreten Verknüpfungen sind gegeben. Was als Teil­

gefüge dominiert und aus welchen Einheiten die Gesamtgestalt primär

gefügt ist, artikulieren erst die Vorgänge der gefügeerhaltenden Oe

komposition bzw. der Komposition.

3.2 Partielle Änderungen und ihre Auswirkungen auf die

Dekomp osi ti on

Den Zuständen I bis V (Abb. 2) liegen verschiedene Beziehungsgefüge

zugrunde: Die in I noch vollständig isolierten Elemente 5 und 6

verlieren schrittweise ihre Autonomie. Alle übrigen Verknüpfungen

bleiben erhalten. Wie wirkt sich diese in Schritten vollzogene

partielle Verdichtung auf den Dekompositionsvorgang aus? Die numeri­

sche Bestimmung der Gestaltreinheit (im konfigurativen Konnex)

einiger Dekompositionsresultate des Gefüges III zeigt Abbildung 3 . 9

Entsprechende Werte lassen sich auch von den übrigen Zuständen e r­

mitteln. Wie sich die Gestaltreinheit der Teilgestalten im jeweiligen

Konnex während der schrittweisen Integration des Elementes e 6 (Abb . 2)

verändert, kann dem Diagramm (Abb. 4) entnommen werden.

3.3 Phasen beim Umstrukturieren

Im Zustand I dominiert die Gestalt als Ganzes, das Linienpaar (e 1e 2 )

fungiert als Teilgestalt. Mit dem Zustand V wird eine ganz andere

Lage erreicht: Das Quadrat ist zur eindeutig beherrschenden Teil­

gestalt geworden. Wie vollzieht sich diese Umstrukturierung im

Detail?

Mit der ersten kleinen, partiellen Änderung des Gefüges I kommen

schon drastische Änderungen in Gang. Die "Figur" des Zustandes domi­

niert nicht mehr allein, die Linienpaare (e 1e 2 , e 3e 4 ) treten durch

den erhöhten Kontrast deutlicher als Einheiten (einer niedrigeren

Stufe) aus ihrem Umfeld heraus. Charakteristischer ist die starke

Diskrepanz iD den Gestaltreinheitswerten. Die noch weitgehend

isolierten, neuen Elemente werden als fremde "Zutat" herausgehalten:

Die Dekomposition erzeugt auf der Basis des neuen Gefüges die alten

gestaltreinen Teile und einen "Rest" mit extrem niedriger Gestalt-

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~on 2

Gestalt­reinheit im konfigu­rativen Konnex

D vgl. Abb. 3

JL_-- --------- .... .2.··•··%11 II ---~ ••••••••••••••••· -... 4 ..;·

_ _...- ........• .- '< Ii . .--······ ' 'Y/

0,5

I I ' • /

--o.. /:( 3 .' .... ~ .: /, II

~

.......

0,75

Grad der Isolierung I~ des Elements e6

I I

im Zustand: V ~IV ~III ~II -E-I

Abb . 4: Äußere, partielle Änderung des Zustandes I durch schritt-weise Integration der Elemente 5 und 6 und die Auswirkungen auf die Ausprägung von inneren Teilgestalten. Die äußere, örtliche Veränderung wird durch den Grad der Isolierung I des Elements e

6 angezeigt (Abszisse), die Auswirkungen a

auf die Gesamtgefüge lassen sich an den Dekompositionen 1 bis 4 (vgl. Abb. 3) ablesen. Die Werte der Gestaltreinheit von Teilgestalten gleicher oder entsprechender Dekompositionen sind durch Linien verbunden.

reinheit; er zerfällt weiter, ist also besonders instabil (Abb. 4).

Im Übergang zum Zustand III wird die Destabilisierung des ursprüngli­

chen Zustandes (I) fortgesetzt: Die alten Teilgestalten verlieren

an Dominanz , die Dekompositionen mit instabilen 11 Resten 11 bleiben

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erhalten. Die starke Diskrepanz wird jedoch abgebaut.

Im Zustand IV wird diese Tendenz verstärkt. Die Dominanz und der

Restcharakter wird weiter eingeschränkt. Die Teilgestalten stehen

im Wettbewerb. Die Destabilisierung erreicht im Übergang von I

nachiV ihren Höhepunkt; ohne daß eine reine Mehrdeutigkeit erzielt

wird.

Die letzte kleine, partielle Änderung des Gefüges IV entscheidet

den Wettbewerb. Der Dekompositionsprozeß nimmt aus dem neuen Gesamt­

gefüge heraus einen ganz anderen Verlauf. Es entsteht wieder eine

eindeutige Dominanz: Das Quadrat wird zur beherrschenden Teilge­

stalt (Abb. 4).

Die partiellen Veränderungen von I nach V bewirken umfassende "Be­

wegungen". Insgesamt gesehen vollzieht sich ein i n n e r e r

Umgestaltungsprozeß auf Grund einer geringfügigen äußeren Veränderung

(Abb. 4) in Phasen, die auch aus anderen Bereichen bekannt sind:

Zunächst läßt sich das noch Fremde aussondern, ohne daß die alten

stabilen Zustände stark beeinträchtigt werden. Mit fortschreitender

Integration der partiellen äußeren Veränderung kommt eine Destabili­

sierung in Gang, die schließlich in konkurrierenden inneren Zuständen

gipfelt. Eine weitere geringfügige Veränderung schafft Ungleichheit .

Eine neue Dominanz entsteht. Wie dieser Prozeß durch gefügeab­

hängiges Vereinfachen beeinflußt werden kann, muß noch untersucht

werden.

4. Transposition und Übersummativität

Wolfgang Köhler behandelt die beiden Eigenschaften von Gestalten ,

ihre Transponierbarkeit und Übersummativität , als "Gestaltkriterien" •10

In vielen nachfolgenden Darstellungen wurde diese Auffassung über­

nommen •11 Es wird der Eindruck erweckt , als ob die "Ehrenfels-Kri­

terien" unterschiedliche Anforderungen formulieren . B e i d e

"Kriterien" zielen jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven letzt­

lich auf das spezifische Beziehungsgefüge, auf das Zusammenwirken .

Änderungen im Material decken die Transponierbarkeit auf , partielle

Änderungen der Form akzentuieren die Übersummativität . Erst

diese verändernden Eingriffe verweisen deutlich auf die oft

schwer konkretisierbaren und explizit beschreibbaren Beziehungsge­

flechte. Wird beim Grundmaterial eingegriffen, wird es ausschließlich

variiert und zeigt sich dabei eine Invarianz, so ist ein Verweis auf

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das als Ganzes erhalten gebliebene Beziehungsgefüge gegeben. Bleibt

hingegen das Grundmaterial invariant, variiert allein die Form

partiell und wirkt sich dabei die örtliche Varianz auf ihre Umgebung

aus , so ist damit ebenfalls ein Verweis auf das Beziehungsgefüge

gegeben. Ohne Verknüpfung könnte sich die örtliche Varianz nicht

auf ihre Umgebung ausbreiten.

Eine grundlegende Dominanz ein e s "Kriteriums" läßt sich nicht

rechtfertigen. In Einzelbereichen können jedoch entscheidende Unter­

s c h i e d e auf t r e t e n : Bei äst h e t i s c h e n 0 b j e k t e n z • B • i s t d a s M a t e r i a 1

kein beliebig auswechselbares, lästiges Medium. 12 Es besteht zwischen

Material und Form ein inniger Verbund. Mit der Veränderung aller

Grundelemente werden auch schon feine, aber relevante Formunter­

schiede erzeugt. Ein Aquarell von William Turner z.B. läßt sich

nicht in eine pastose Ölmalerei übertragen, ohne die singuläre

Konkretion zu beeinträchtigen. Hier kann sich das Beziehungsgefüge

und das Zusammenwirken primär nur in umfassenden Änderungen bei

partiellen "Eingriffen" manifestieren. Läßt sich hingegen das Grund­

material insgesamt leicht ablösen und auswechseln oder kodieren,

zeigt sich das Beziehungsgefüge als Ganzes, als Invariante bei

Transposition. Dies ist eher bei den vielfältigen Formierungen von

Erkenntnissen, die auf Allgemeinhel t und auf' Wiedererkennen ausge­

richtet sind, der Fall.

ANMERKUNGEN

1 Wolfgang Köhler: Physische Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand. Braunschweig 1920, S. 188

2 a.a.o. s. 12

3 Zur Unterscheidung von Makro- und Mikroästhetik vgl. Max Bense: Aesthetica, Baden-Baden, 1. Auflage 1965, S. 140 ff

4 Semiosis 16, 4. Jahrgang, Heft 4, 1979, S. 23 f

5 Betroffen sind sowohl die Informationswerte der Elemente (Stufe 1) als auch die der Elementkomplexe (Stufe 2,3,4) vgl. Semiosis 16, 5.20

6 Wolfgang Köhler, a.a.O. S. 194

7 vgl. Max Wertheimer: Untersuchungen zur Lehre von der Gestalt. In: Psychologische Forschung, Bd. 4, 1923, S. 302-350; Wolfgang Metzger: Figuralwahrnehmung, 1966. In: Handbuch der Psychologie,

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1. Halbband: Wahrnehmen und Bewußtsein, Göttingen 1966

8 vgl. hierzu: Semiosis 21, 6. Jahrgang, Heft 1, 1981, S. 50f

9 vgl. Semiosis 31, 8. Jahrgang, Heft 3, 1983, S. 55f

10 Wolfgang Köhler, a.a~O. S. 36f

11 vgl. etwa: Ferdinand Weinhandl (Hrsg.): Gestalthaftes Sehen , Darmstadt 1967

12 vgl. Max Bense: Aesthetica, Baden-Baden, 1. Auflage 1965: "Der wissenschaftliche Gedanke oder Sachverhalt ist als solcher von der Art seiner Formulierung unabhängig, der ästhetische ist es nicht." S. 247 " ••• der ästhetische Träger kann ••• nur als nicht-abstrakt , als konkret, als material aufgefaßt werden" S. 251

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Internationale für Semiotik 10. Jahrgang,

Zeitschrift und Ästhetik

Heft 3/4, 1985

INHALT

Georg Nees:

Robert E. Taranto:

Olga Schulisch:

Günther Sigle:·

Geor g Gallan d:

Elisabeth Walther:

Barbara Wichelhaus:

Pietro Emanuele:

Werner Steffen:

Mattbias Götz:

Gerhard Wiesenfarth:

Wendelin Niedlich:

Kasus und Zeichen

A semiotic theory of codes

Farbe und Kommunikation

Eine semiotische Bemerkung zur axiomatischen und konstruktivisti­schen Grundlegung der Arithmetik

Zur Semiose des Begriffs

Semiotik der natürlichen Sprache

Märchentext - Märchenbild Eine semiotische Untersuchung

La teoria dei contrassegni (Merkmale) in Lambert e in Kant

Die Beeinflussung des Kunstwerks als Zeichen durch den vom Künstler beigegebenen Titel

Gegen wPhantasiew. Eine Attacke

Dynamik im Prozeß des Umgestaltens

Buchhändler N. notiert den Stand von Max Bense

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Nachtrag zu "Das Phänomen der Orthogonalitätw von Gotthard Günther

Nachrichten

Inhalt von Jahrgang 9/10, 1984/1985

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Wir danken Herrn Direktor Hans Lense, Laupheim, für seine großzügige finanzielle Unterstützung. ·