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Bibliothek Suhrkamp Michel Foucault Die Hoffräulein

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Michel Foucault

Die Hoffräulein

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SV

Band 24 der Bibliothek Suhrkamp

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Michel FoucaultDie HoffräuleinAus dem Französischen

von Ulrich Köppen

Mit Abbildungen

Suhrkamp Verlag

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Erste Auflage 996© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 97

Alle Rechte vorbehaltenDruck : Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden

Printed in Germany

Der Text wurde Michel FoucaultsDie Ordnung der Dinge entnommen (Kapitel ).

Farbtafel :Gemälde von Velasquez, Las Meniñas, 656

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Die Hoffräulein

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I.

Der Maler steht etwas vom Bild entfernt. Erwirft einen Blick auf das Modell. Vielleicht istnur noch ein letzter Tupfer zu setzen, viel-leicht ist aber auch der erste Strich noch nichteinmal getan. Der Arm, der den Pinsel hält, istnach links, in Richtung der Palette, geknicktund verharrt einen Augenblick unbeweglichzwischen der Leinwand und den Farben. Diegeschickte Hand ist durch den Blick einenMoment zum Stillstand gekommen; anderer-seits ruht der Blick auf der Geste des Einhal-tens. Zwischen der feinen Spitze des Pinselsund dem stählernen Blick kann das Schau-spiel seinen vollen Umfang entfalten.Das geschieht nicht ohne ein subtiles Systemvon Ausweichmanövern. Der Maler hat sichin einige Entfernung neben das Bild gestellt,an dem er gerade arbeitet. Für den Betrachtersteht er rechts von seinem Bild, das die äußer-ste linke Seite einnimmt. Demselben Betrach-

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ter ist nur die Rückseite des Bildes sichtbar,nur das riesige Gestell ist dem Blick freigege-ben. Dagegen ist der Maler völlig sichtbar.Auf jeden Fall ist er nicht durch die hoheLeinwand verborgen, die ihn vielleicht in ei-nigen Augenblicken verdecken wird, wenn erauf sie zugeht und sich wieder an die Arbeitmacht. Wahrscheinlich ist er dem Betrachtergerade sichtbar geworden, als er aus dieserArt virtuellen Käfigs heraustrat, den dieOberfläche der Leinwand, die er bemalt, nachhinten projiziert. Man kann ihn jetzt, in ei-nem Augenblick des Verharrens, im neutralenZentrum dieser Oszillation sehen. Seinedunkle Gestalt, sein helles Gesicht bilden dieMitte zwischen Sichtbarem und Unsichtba-rem. Er tritt hinter der für uns nicht einsehba-ren Leinwand hervor und wird dadurchsichtbar; wenn er aber gleich einen Schrittnach rechts tun und sich unseren Blicken ent-ziehen wird, wird er genau vor dem von ihmgemalten Bild stehen. Er wird dann an jenemPlatz vor dem für einen Augenblick vernach-

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lässigten Bild stehen, das schattenlos undohne etwas zu verschweigen für ihn wiedersichtbar werden wird. Als könnte der Malernicht gleichzeitig auf dem Bild, das ihn dar-stellt, gesehen werden und seinerseits dasje-nige sehen, auf dem er gerade etwas darstellenwill. Er herrscht an der Grenze dieser beidenunvereinbaren Sichtbarkeiten.Der Maler betrachtet mit leicht gewendetemGesicht und zur Schulter geneigtem Kopf. Erfixiert einen unsichtbaren Punkt, den wir Be-trachter aber leicht bestimmen können, weilwir selber dieser Punkt sind: unser Körper,unser Gesicht, unsere Augen. Das von ihmbeobachtete Schauspiel ist also zweimal un-sichtbar, weil es nicht im Bildraum repräsen-tiert ist und weil es genau in jenem blindenPunkt, in jenem essentiellen Versteck hegt, indem sich unser eigener Blick unseren Augenin dem Augenblick entzieht, in dem wir blik-ken. Wie könnten wir jedoch diese Unsicht-barkeit vor unseren Augen nicht sehen, findetsie doch im Bild selbst ihren spürbaren Aus-

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druck, ihre versiegelte Gestalt. Man könntetatsächlich erraten, was der Maler betrachtet,wenn man einen Blick auf die Leinwand wer-fen könnte, an der er arbeitet. Man sieht vonihr aber nur den eingespannten Rand, in derHorizontalen die Streben und in der Vertika-len die Schräge des Gestells. Das hohe, eintö-nige Rechteck, das die ganze linke Seite deswirklichen Bildes beherrscht und die Rück-seite des abgebildeten Gemäldes bildet, stelltin der Art einer Oberfläche die in die Tiefegehende Unsichtbarkeit dessen dar, was derKünstler betrachtet: jenen Raum, in dem wiruns befinden und der wir sind. Von den Au-gen des Malers zu dem von ihm Betrachtetenist eine beherrschende Linie gezogen, der wirals Betrachter uns nicht entziehen können.Sie durchläuft das wirkliche Gemälde und er-reicht diesseits seiner Oberfläche jenen Ort,von dem aus wir den Maler sehen, der uns be-obachtet. Diese punktierte Linie erreicht unsunweigerlich und verbindet uns mit der Re-präsentation des Bildes.

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Dem Anschein nach ist dieser Topos sehreinfach, er beruht auf Reziprozität. Wir be-trachten ein Bild, aus dem heraus ein Malerseinerseits uns anschaut. Nichts als ein Sich-gegenüberstehen, sich überraschende Augen,Blicke, die sich kreuzen und dadurch überla-gern. Dennoch umschließt diese dünne Linieder Sichtbarkeit ein ganzes komplexes Netzvon Unsicherheiten, Austauschungen undAusweichungen. Der Maler lenkt seine Au-gen nur in dem Maße auf uns, in dem wir unsan der Stelle seines Motivs befinden. Wir, dieZuschauer, sind noch darüber hinaus vorhan-den. Von diesem Blick aufgenommen, wer-den wir von ihm auch verdrängt und durchdas ersetzt, was zu allen Zeiten vor uns dawar: durch das Modell. Umgekehrt akzep-tiert der Blick des Malers, den dieser nachaußen in die ihm gegenüberliegende Leererichtet, so viele Modelle, wie Betrachter vor-handen sind. An dieser Stelle genau findet einständiger Austausch zwischen Betrachterund Betrachtetem statt. Kein Blick ist fest,

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oder: in der neutralen Furche des Blicks, derdie Leinwand senkrecht durchdringt, kehrenSubjekt und Objekt, Zuschauer und Modellihre Rolle unbegrenzt um. Und darin liegt diezweite Funktion der großen Leinwand, derenRückseite wir an der äußersten Linken sehen.Hartnäckig unseren Blicken entzogen, ver-hindert sie, daß die Beziehung der Blicke je-mals feststellbar ist und definitiv hergestelltwerden kann. Die opake Festigkeit, die sie aufder einen Seite herrschen läßt, macht das Spielder Verwandlungen für immer beweglich, dassich im Zentrum zwischen dem Betrachterund dem Modell herstellt. Weil wir nur dieseRückseite sehen, wissen wir nicht, wer wirsind und was wir tun. Sehen wir, oder werdenwir gesehen? Der Maler fixiert gerade einenPunkt, der von Augenblick zu Augenblickseinen Inhalt, seine Form, sein Gesicht undseine Identität wechselt. Aber die aufmerk-same Unbeweglichkeit seiner Augen weist ineine andere Richtung zurück, der sie schongefolgt sind und die sie, daran besteht kein

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Zweifel, bald wieder einschlagen werden: dieRichtung hin zur unbeweglichen Leinwand,auf der – vielleicht schon lange und für im-mer – ein Portrait umrissen ist, das nie wiederausgelöscht wird. Infolgedessen beherrschtder souveräne Blick des Malers ein virtuellesDreieck, das in seinen Umrissen dieses Bildeines Bildes definiert: an der oberen Ecke alseinzig sichtbarer Punkt – die Augen des Ma-lers; an der Basis einerseits der unsichtbareStandpunkt des Modells und andererseits diewahrscheinlich auf der Vorderseite der Lein-wand skizzierte Gestalt.In dem Augenblick, in dem die Augen desMalers den Betrachter in ihr Blickfeld stellen,erfassen sie ihn, zwingen ihn zum Eindringenin das Bild, weisen ihm einen zugleich privile-gierten und obligatorischen Platz zu, entneh-men ihm seine lichtvolle und sichtbare Artund werfen sie auf die unzugängliche Ober-fläche der Leinwand. Der Betrachter siehtseine Unsichtbarkeit für den Maler sichtbargeworden und in ein für ihn selbst definitiv

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unsichtbares Bild transponiert. Dies ist eineÜberraschung, die noch vervielfacht und un-vermeidlicher gemacht wird durch eine Falleam Rande. Auf der äußersten Rechten erhältdas Bild sein Licht durch ein Fenster, das insehr kurzer Perspektive dargestellt ist. Mansieht nur seine Vertiefung, so daß das einflu-tende Licht zwei benachbarte und verbun-dene, aber irreduzible Räume gleichmäßigbeleuchtet: die Oberfäche des Bildes mit demvon ihm repräsentierten Umfang (also dasAtelier des Malers oder den Salon, in dem erseine Staffelei aufgestellt hat) und vor dieserOberfläche den wirklichen Raum, den derZuschauer einnimmt (oder auch den irrealenStandort des Modells). Während das Lichtdas Zimmer von rechts nach links durchläuft,zieht es den Betrachter zum Maler und dasModell zur Leinwand. Durch dieses weitegoldene Licht wird auch der Maler dem Be-trachter sichtbar und läßt den Rahmen derrätselvollen Leinwand, in der sein Bild, ein-mal übertragen, eingeschlossen wird, in den

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Augen des Modells wie goldene Linien er-glänzen. Dieses äußerste Fenster, das kaumangedeutet ist, setzt ein volles und gemischtesTageslicht frei, das der Repräsentation als ge-meinsamer Punkt dient. Es bringt am anderenEnde des Bildes ein Gegengewicht zu der un-sichtbaren Leinwand zustande: so wie diese,indem von ihr nur die Rückseite sichtbar ist,sich gegen das sie repräsentierende Gemäldelehnt und durch die Überlagerung ihrer sicht-baren Rückseite und der Oberfläche des sietragenden Gemäldes den für uns unzugängli-chen Punkt bildet, an dem das Bild par excel-lence schillert, so richtet auch das Fenster alsreine Öffnung einen Raum ein, der ebensomanifest ist, wie der andere verborgen ist.Dem Maler, den Personen, den Modellen, denBetrachtern ist er ebenso vertraut wie der an-dere einsam (denn keiner sieht ihn an, nichteinmal der Maler). Von rechts dringt durchein unsichtbares Fenster das reine Volumeneines Lichts, das jede Repräsentation sichtbarwerden läßt. Links dehnt sich die Fläche aus,

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die auf der Vorderseite ihres allzu sichtbarenRahmens die von ihr getragene Repräsenta-tion verbirgt. Das Licht hüllt, indem es dieSzene überflutet (sowohl das Zimmer, alsauch die Leinwand, das auf der Leinwand re-präsentierte Zimmer und das Zimmer, in demdie Staffelei aufgestellt ist), die Personen undBetrachter ein und zieht sie durch den Blickdes Malers zu dem Punkt, wo der Maler sierepräsentieren wird. Dieser Ort ist uns aberentzogen. Wir sehen uns als durch den MalerBetrachtete und seinen Augen durch das glei-che Licht sichtbar geworden, durch das er unssichtbar wird. In dem Augenblick, in dem wiruns als auf seine Leinwand transponiert unddurch seine Hand wie in einem Spiegel wie-dergegeben begreifen können, können wirvon dem Bild nur dessen düstere Rückseiteerfassen – die Rückseite eines klappbaren An-kleidespiegels.Nun hat der Maler jedoch genau gegenüberden Beschauern – uns gegenüber – auf derWand, die den Hintergrund des Zimmers bil-

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det, eine Serie von Bildern repräsentiert. Un-ter allen diesen Bildern glänzt eines ganz be-sonders stark. Sein Rahmen ist breiter unddunkler als die der anderen. Eine helle, dünneLinie läuft indessen an seiner Innenseite ent-lang, wodurch auf der ganzen Oberfläche desBildes ein Licht entsteht, dessen Ursprungschlecht zu bestimmen ist. Es kommt von nir-gends, es sei denn von einem in ihm liegendenRaum. In dieser seltsamen Helligkeit erschei-nen zwei Silhouetten und über ihnen, ein we-nig weiter hinten, ein langer Purpurvorhang.Die anderen Bilder zeigen kaum mehr als ei-nige fahle Flecken an der Grenze einer tiefenNacht. Dieses Bild aber ist auf einen Raumhin geöffnet, in dem sich Gegenstände in derTiefe in einer Helligkeit abstufen, die nur ihmeigen ist. Unter allen Elementen, die dieBestimmung haben, Repräsentationen zu ge-ben, sie aber in Frage stellen, sie verhüllenoder durch ihre Position oder ihre Entfer-nung ausweichen lassen, ist dies das einzige,das in aller Ehrenhaftigkeit funktioniert und

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zeigt, was es zeigen soll. Das geschieht trotzseiner Entfernung und trotz des umgebendenSchattens. Es handelt sich aber nicht um einBild, sondern um einen Spiegel. Er gibt end-lich den Zauber frei, den ebenso die entfernthängenden Gemälde wie das Licht des Vor-dergrundes mit der ironischen Leinwand ver-weigerten.Von allen Repräsentationen, die das Bild re-präsentiert, ist er die einzig sichtbare. Keinerjedoch schaut ihn an. Der Maler, der nebenseiner Leinwand steht und dessen Aufmerk-samkeit völlig auf sein Modell gerichtet ist,kann den sanft leuchtenden Spiegel hintersich nicht sehen. Die meisten anderen Perso-nen auf dem Bild haben ebenfalls ihre Blickeauf das gerichtet, was sich vor ihnen abspielt –auf die helle Unsichtbarkeit, die die Lein-wand begrenzt, auf jenen Balkon aus Licht,der ihrem Blick diejenigen zeigt, von denensie angesehen werden –, und nicht auf diedunkle Höhlung, die das Zimmer abschließt,in dem sie repräsentiert sind. Zwar sind einige

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Köpfe nur von der Seite sichtbar, keiner je-doch ist in ausreichendem Maße abgewandt,um hinten im Raum das kleine leuchtendeRechteck, diesen Spiegel zu sehen, der nichtsals Sichtbarkeit ist, ohne daß sich jedoch einBlick seiner bemächtigte, ihn aktualisierteund die reife Frucht seines Schauspiels ge-nösse.Diese Indifferenz findet sich in ihm selbstwieder. Der Spiegel reflektiert in der Tatnichts, was sich im selben Raum mit ihm be-findet: weder den Maler, der ihm den Rückenzukehrt, noch die Personen in der Mitte desZimmers. In seiner hellen Tiefe spiegelt ernicht das Sichtbare. In der holländischen Ma-lerei war es Tradition, daß die Spiegel einereduplizierende Rolle spielten. Sie wieder-holten, was im Bild bereits gegeben war, aberin einem irrealen, modifizierten, verkürztenund gekrümmten Raum. Man sah darin diegleichen Dinge wie in der ersten Instanz desBildes, aber nach einem anderen Gesetz zer-legt und rekomponiert. Hier wiederholt der

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Spiegel nichts von dem, was bereits gesagtworden ist. Dennoch ist seine Position inetwa zentral. Sein oberer Rand liegt genau aufder Linie, die die Höhe des Bildes halbiert, ernimmt auf der Wand im Hintergrund (oderzumindest in dem sichtbaren Teil davon) eineMittelposition ein. Er müßte also von dengleichen perspektivischen Linien gekreuztwerden wie das Bild selbst. Man könnteerwarten, daß sich in ihm dasselbe Atelier,derselbe Maler, dieselbe Leinwand in ei-nem identischen Raumverhältnis ordnen. Erkönnte das perfekte Doppel sein.Indes, er zeigt nichts von dem, was auf demGemälde zu sehen ist. Sein unbeweglicherBlick wird vor dem Bild, in jenem notwendigunsichtbaren Gebiet, das sein äußeres Ge-sicht bildet, die dort befindlichen Personenerfassen. Statt sich um die sichtbaren Dingezu drehen, durchquert dieser Spiegel dasganze Feld der Repräsentation und vernach-lässigt das, was er darin erfassen könnte, stelltdie Sichtbarkeit dessen wieder her, was

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außerhalb der Zugänglichkeit jedes Blickesbleibt. Die Unsichtbarkeit, die er überwindet,ist nicht die des Verborgenen: er umgeht keinHindernis, er weicht von keiner Perspektiveab, er wendet sich an das, was gleichzeitigdurch die Struktur des Bildes und durch seineExistenz als Malerei unsichtbar ist. Was inihm reflektiert wird, ist das, was alle Personenauf der Leinwand gerade fixieren, indem sieden Blick starr vor sich richten; also das, wasman sehen könnte, wenn die Leinwand sichnach vorn verlängerte, tiefer hinabreichte, bissie die Personen miteinbezöge, die dem Malerals Modell dienen. Da die Leinwand dort ihrEnde hat und den Maler und sein Atelierzeigt, ist es allerdings auch das, was dem Bildin dem Maße äußerlich ist, in dem es Bild ist,das heißt, in dem es rechteckiges Fragmentvon Linien und Farben mit dem Auftrag ist,etwas in den Augen jeden möglichen Be-trachters zu repräsentieren. Im Hintergrunddes Zimmers läßt der Spiegel, von allen unbe-merkt, die Gestalten aufleuchten, die der Ma-

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ler betrachtet (der Maler in seiner repräsen-tierten, objektiven Wirklichkeit als der einesarbeitenden Malers); aber auch die Gestalten,die den Maler anschauen (in jener materiellenRealität, die die Linien und Farben auf derLeinwand niedergelegt haben). Diese beidenGestalten sind, die eine wie die andere, unzu-gänglich, dies jedoch auf unterschiedlicheWeise: die erste durch die Kompositionswir-kung, die dem Bild eigen ist, die zweite durchdas Gesetz, das der Existenz eines jeden Bil-des im allgemeinen seine Zwänge auferlegt.Hier besteht das Spiel der Repräsentationdarin, von den beiden Formen der Unsicht-barkeit die eine in einer beweglichen Überla-gerung an die Stelle der anderen zu setzenund sie sofort an das andere äußerste Endedes Bildes zu verlagern, an jenen Pol, der derim höchsten Maße repräsentierte ist: der einerReflextiefe in der Höhlung einer Bildtiefe.Der Spiegel sichert eine Metathese der Sicht-barkeit, die gleichzeitig den im Bild repräsen-tierten Raum und dessen Wesen als Repräsen-

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tation berührt. Er läßt im Zentrum der Lein-wand das sehen, was vom Bild notwendigzweimal unsichtbar ist.Das ist eine seltsame Art, buchstabengetreu,wenn auch umgekehrt, den Rat anzuwenden,den der alte Pachero seinem Schüler offen-sichtlich gegeben hatte, als er im Atelier vonSevilla arbeitete: »Das Bild muß aus demRahmen heraustreten.«

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II.

Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, jenes Bild zunennen, das in der Tiefe des Spiegels erscheintund das der Maler vor dem Bild betrachtet.Vielleicht ist es besser, die Identität der vor-handenen oder gezeigten Personen festzuhal-ten, um nicht unendlich in diese schwimmen-den Bezeichnungen verwickelt zu werden,die doch ein wenig abstrakt und immer vonZweideutigkeit und Verdoppelungen gefähr-det sind. Gemeint sind die schwimmendenBezeichnungen »der Maler«, »die Gestalten«,»die Modelle«, »die Betrachter«, »die Bilder«.Statt ohne Ende eine auf fatale Weise demSichtbaren unangemessene Sprache fortzu-setzen, genügte es zu sagen, daß Velasquez einBild geschaffen hat, daß auf diesem Bild ersich selbst in einem Atelier oder in einem Saaldes Escorial repräsentiert hat, während er ge-rade zwei Personen malt, die die InfantinMargarete, von Hofdamen, Hoffräulein, Höf-

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lingen und Zwergen umgeben, betrachtet.Dieser Gruppe kann man sehr genau ihre Na-men geben: die Überlieferung erkennt DoñaMaria Agustina Sarmiento, dann Nieto, dannNicolaso Pertusato, einen italienischen Ko-mödianten. Man braucht nur noch hinzuzu-fügen, daß die beiden dem Maler als Modelldienenden Personen nicht, wenigstens nichtdirekt sichtbar sind, daß man sie aber in ei-nem Spiegel bemerken kann und es sichwahrscheinlich um König Philipp IV. undseine Frau Marianna handelt.Diese Eigennamen könnten nützliche Auf-schlüsse bieten und würden doppeldeutigeBezeichnungen vermeiden, sie würden unsauf jeden Fall sagen, was der Maler und mitihm die Mehrzahl der Personen des Bildes an-schaut. Aber die Beziehung der Sprache zurMalerei ist eine unendliche Beziehung; dasheißt nicht, daß das Wort unvollkommen istund angesichts des Sichtbaren sich in einemDefizit befindet, das es vergeblich auszuwet-zen versuchte. Sprache und Malerei verhal-

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ten sich zueinander irreduzibel: vergeblichspricht man das aus, was man sieht: das, wasman sieht, liegt nie in dem, was man sagt; undvergeblich zeigt man durch Bilder, Meta-phern, Vergleiche das, was man zu sagen imBegriff ist. Der Ort, an dem sie erglänzen, istnicht der, den die Augen freilegen, sondernder, den die syntaktische Abfolge definiert.Nun ist der Eigenname in diesem Spiel nurein Kunstmittel: er gestattet, mit dem Fingerzu zeigen, das heißt, heimlich von dem Raum,in dem man spricht, zu dem Raum überzuge-hen, in dem man betrachtet, das heißt, sie be-quem gegeneinander zu stülpen, als seien sieeinander entsprechend. Wenn man aber dieBeziehung der Sprache und des Sichtbarenoffenhalten will, wenn man nicht gegen, son-dern ausgehend von ihrer Unvereinbarkeitsprechen will, so daß man beiden möglichstnahe bleibt, dann muß man die Eigennamenauslöschen und sich in der Unendlichkeit desVorhabens halten. Durch Vermittlung diesergrauen, anonymen, stets peinlich genauen

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und wiederholenden, weil zu breiten Sprachewird die Malerei vielleicht ganz allmählichihre Helligkeiten erleuchten.Man muß also so tun, als wisse man nicht, wersich im Hintergrund des Spiegels reflektiert,und diese Spiegelung auf der einfachen Ebeneihrer Existenz befragen.Zunächst ist diese Spiegelung die Kehrseiteder großen, links repräsentierten Leinwand,die Kehrseite oder eher die Vorderseite, da sievon vorn das zeigt, was die Leinwand durchihre Stellung verbirgt. Außerdem steht dieSpiegelung in Opposition zum Fenster undverstärkt es. Wie das Fenster ist der Spiegelein Ort, der dem Bild und dem ihm Äußer-lichen gemeinsam ist. Aber das Fenster ope-riert mit der fortgesetzten Bewegung einerEffusion, die von rechts nach links den auf-merksamen Personen, dem Maler, dem Bilddas Schauspiel zugesellt, das sie betrachten.Der Spiegel ist in einer momentanen, reinüberraschenden und heftigen Bewegung aufder Suche vor dem Bild nach dem befindlich,

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was betrachtet wird, was nicht sichtbar ist,um es in der fiktiven Tiefe sichtbar, aber füralle Blicke indifferent werden zu lassen. Diebeherrschende punktierte Linie, die zwischendem Reflex und dem Reflektierten gezogenwerden kann, schneidet den seitlichen Einfalldes Lichtes senkrecht durch. Schließlich, unddas ist die dritte Funktion des Spiegels, hängter unmittelbar neben einer Tür, die sich wie erin der Mauer im Hintergrund öffnet. DieseTür schneidet auch ein helles Rechteck her-aus, dessen mattes Licht nicht in das Zimmerdringt. Es wäre nichts als eine vergoldete Flä-che, wenn die Tür sich nicht nach außengrübe, wenn sie nicht durch die skulpturar-tige Oberfläche und die Kurve eines Vor-hangs und den Schatten verschiedener Stufenunterstrichen wäre. Dort beginnt ein Korri-dor, aber statt sich in der Dunkelheit zu ver-lieren, löst er sich in einer gelben Helle auf, inder das Licht, ohne nach vorn einzudringen,in sich selbst tobt und seine Ruhe findet. Aufdiesem gleichzeitig nahen und grenzenlosen

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Hintergrund hebt sich die hohe Silhouette ei-nes Mannes ab. Man sieht ihn im Profil, miteiner Hand hält er das Gewicht eines Vor-hangs, seine Füße ruhen auf zwei verschiede-nen Stufen, er hat das Knie gebeugt. Vielleichtwird er in das Zimmer eintreten, vielleicht be-schränkt er sich darauf, zu betrachten, wassich im Innern abspielt, und ist zufrieden, zubeobachten, ohne beobachtet zu werden. Wieder Spiegel fixiert er das Innere der Szene.Und man schenkt ihm nicht mehr Aufmerk-samkeit als dem Spiegel; man weiß nicht, wo-her er kommt; man kann annehmen, daß erim Laufe von unbestimmten Korridoren dasZimmer, in dem die Personen vereint sindund wo der Maler arbeitet, umgangen hat.Vielleicht befand er sich ebenfalls gerade imVordergrund der Szene, in dem unsichtbarenGebiet, das alle Augen des Bildes anschauen.Wie die Bilder, die man im Hintergrund desSpiegels beobachtet, kann auch er ein Emissärjenes verborgenen und evidenten Raumessein. Er stellt jedoch einen Unterschied dar,

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indem er in Fleisch und Blut vor uns steht. Ertritt aus dem Äußeren hervor, befindet sich ander Schwelle des dargestellten Raumes. Er istnicht anzweifelbar, ist kein wahrscheinlicherReflex, sondern direktes Hereinbrechen. DerSpiegel läßt, indem er uns jenseits der Mauerndes Ateliers das sehen läßt, was sich vor demBild ereignet, in seiner pfeilartigen Dimen-sion das Innere und das Äußere oszillieren:einen Fuß auf der Stufe, den Körper völligseitlich gekehrt, tritt der unbestimmte Besu-cher sowohl ein als auch hinaus, befindet ersich in einer unbeweglichen Balancestellung.Er wiederholt auf der Stelle, aber in der dunk-len Realität seines Körpers, die plötzliche Be-wegung der Bilder, die das Zimmer durch-queren, in den Spiegel eindringen, sich darinreflektieren und wie sichtbare neue und iden-tische Arten wieder daraus hervortreten. Fahlund klein, werden die Silhouetten im Spiegeldurch die hohe und feste Statur des Mannesabgewiesen, der im Rahmen der Tür er-scheint.

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Man muß aber vom Hintergrund des Bildesin den vorderen Raum der Szene zurück-schreiten, man muß die von uns durchlau-fene, schneckenförmige Bewegung verlassen.Vom Blick des Malers ausgehend, der linksgleichsam ein abgehobenes Zentrum bildet,bemerkt man zunächst die Rückseite derLeinwand, dann die ausgestellten Bilder, inihrer Mitte den Spiegel, dann die offene Tür,neue Bilder, von denen aber eine sehr engePerspektive nur die Rahmen in ihrer Dickesehen läßt, und dann auf der äußersten Rech-ten das Fenster, oder vielmehr die Fensterum-randung, durch die das Licht bricht. Dieseschraubenartig geformte Muschel bietet denganzen Zyklus der Repräsentation: den Blick,die Palette, den Pinsel, die noch unberührteLeinwand (das sind die materiellen Instru-mente der Repräsentation), die Bilder, die Re-flexe, den realen Menschen (die vollendete,aber gewissermaßen von illusorischen oderwirklichen Inhalten, die ihr nahegerückt sind,freigemachte Repräsentation); dann löst sich

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die Repräsentation auf: man sieht davon nurnoch die Rahmen und jenes Licht, in dem vonaußen die Bilder gebadet werden, das aberdiese wiederum in ihrer ihnen eigenen Art sodarstellen müssen, als komme es von woan-ders und durchquere ihre Rahmen aus dunk-lem Holz. Und dieses Licht sieht man in derTat auf dem Bild, das im Zwischenraum desRahmens aufzutauchen scheint. Von da ausgelangt es zur Stirn, zu den Wangen, den Au-gen, dem Blick des Malers, der mit der einenHand die Palette, mit der anderen den feinenPinsel hält … So schließt sich die schnecken-artige Kurve, oder vielmehr, so wird sie durchdieses Licht geöffnet.Diese Öffnung ist nicht mehr – wie im Hin-tergrund – eine Tür, die man aufgemacht hat,sondern es handelt sich um die Breite des Bil-des selbst, und die Blicke, die darauf fallen,sind nicht mehr die eines fernen Besuchers.Der Fries, der den Vorder- und Mittelgrunddes Bildes darstellt, wenn man dabei den Ma-ler einbezieht, repräsentiert acht Personen.

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Fünf unter ihnen mit mehr oder weniger ge-neigtem, abgewandtem oder gebeugtem Kopfschauen senkrecht aus dem Bild. Das Zen-trum der Gruppe nimmt die kleine Infantinmit ihrem weiten grauen und rosa Kleid ein.Die Prinzessin wendet den Kopf zur Rechtendes Bildes, während ihr Oberkörper und diegroßen Volants des Kleides leicht nach linksgehen. Aber der Blick ist genau senkrecht indie Richtung des Betrachters gerichtet, dersich vor dem Bild befindet. Eine mittlere Li-nie, die die Leinwand in zwei gleiche Flügelteilte, verliefe zwischen den Augen des Kin-des. Sein Gesicht befindet sich in einem Drit-tel der Höhe des Bildes. Infolgedessen liegt dadas Hauptthema der Komposition. Daran istnicht zu zweifeln. Das ist der eigentliche Ge-genstand dieses Gemäldes. Als wollte er esbeweisen und noch besser unterstreichen, hatder Maler Zuflucht zu einer traditionellenGestalt genommen: neben der Hauptgestalthat er eine andere gemalt, die kniet und sie an-schaut. Wie der betende Stifter, wie der die

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Jungfrau grüßende Engel streckt eine kniendeGouvernante die Hände zur Prinzessin. IhrGesicht hebt sich in einem vollkommenenProfil ab. Es befindet sich in der Höhe jenesdes Kindes. Die Hofdame betrachtet diePrinzessin und betrachtet nur sie. Ein wenigweiter rechts befindet sich eine andere Hof-dame, die ebenfalls zur Infantin gewendet ist,sich leicht über sie neigt, aber die Augen ein-deutig nach vorne gerichtet hat, dorthin, wo-hin bereits der Maler und die Prinzessinschauen. Schließlich gibt es zwei Gruppen,aus jeweils zwei Personen: die eine ist etwaszurückgezogen, die andere besteht aus Zwer-gen und befindet sich ganz im Vordergrund.Bei beiden Paaren schaut eine Person nachvorn, die andere nach rechts oder links.Durch ihre Stellung und ihre Größe entspre-chen die beiden Gruppen einander und bildeneine Dublette. Weiter hinten die Höflinge (dieFrau links schaut nach rechts), weiter vornedie Zwerge (der Knabe, der sich ganz außenrechts befindet, betrachtet das Bildinnere).

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Diese Personengruppe in ihrer so geartetenAufstellung kann je nach der Aufmerksam-keit, die man dem Bild schenkt, oder dem Be-zugszentrum, das man wählt, zwei Figurenbilden. Die eine wäre ein großes X, im obe-ren linken Punkt läge der Blick des Malersund rechts der des Höflings; an der unterenSpitze links die Ecke der von der Rückseiterepräsentierten Leinwand (genauer der Fußdes Gestells); rechts der Zwerg (sein auf denRücken des Hundes gestützter Schuh). ImKreuzungspunkt dieser beiden Linien, imZentrum des X, der Blick der Infantin. Dieandere Figur wäre eher die einer weitenKurve; ihre beiden Grenzpunkte wären linksdurch den Maler und durch den rechten Höf-ling bestimmt – zwei hohe und nach hintenverlegte Extrempunkte. Die viel weiter her-angezogene Krümmung fiele mit dem Ge-sicht der Prinzessin zusammen und mit demBlick, den die Hofdame auf das Gesicht rich-tet. Diese weiche Linie zieht eine Schalen-form, die gleichzeitig in der Mitte des Bildes

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die Stellung des Spiegels einbezieht und frei-läßt.Es gibt also zwei Zentren, die das Bild organi-sieren können, je nachdem, woran sich dieAufmerksamkeit des Betrachters heftet. DiePrinzessin steht mitten in einem Andreas-kreuz, das sich um sie dreht mit der Schar ausHöflingen, Hofdamen, Tieren und Komödi-anten. Aber dieses Gedrehe ist durch einSchauspiel angereichert, das absolut unsicht-bar wäre, wenn die gleichen, plötzlich unbe-weglichen Personen nicht wie in der Höhlungeiner Schale die Möglichkeit böten, in dieTiefe eines Spiegels zu blicken und dabei dieunvorhergesehene Verdoppelung ihrer Be-trachtung zu erspähen. In der Richtung derTiefe überlagert sich die Prinzessin dem Spie-gel, in der Richtung der Höhe liegt der Reflexüber dem Gesicht. Aber die Perspektive rücktsie beide in eine Nachbarschaft, so daß vonbeiden eine unvermeidliche Linie ausgeht.Die eine vom Spiegel ausgehende Liniedurchbricht die ganze repräsentierte Dicke

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(und geht sogar noch darüber hinaus, weil derSpiegel die Wand im Hintergrund durchlö-chert und hinter ihr einen neuen Raum ent-stehen läßt); die andere ist kürzer, sie kommtvom Blick des Kindes und durchquert nurden Vordergrund. Diese beiden pfeilartigenLinien konvergieren in einem sehr spitzenWinkel, und ihr Treffpunkt diesseits derLeinwand liegt in dem Punkt fest, von demaus wir etwa das Bild betrachten. DieserPunkt ist ungewiß, da wir ihn nicht sehen. Erist jedoch unvermeidlich und perfekt defi-niert, weil er durch diese beiden Hauptfigu-ren vorgeschrieben ist und außerdem von an-deren punktierten, hinzukommenden Linienbestätigt wird, die aus dem Bild entstehenund ebenfalls aus dem Bild herauslaufen.Was schließlich liegt in diesem völlig unzu-gänglichen Punkt, der dem Bild äußerlich ist,aber durch die ganzen Linien seiner Kompo-sition vorgeschrieben wird? Was ist das fürein Schauspiel, was sind das für Gesichter, diesich zunächst in der Tiefe der Pupillen der In-

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fantin, dann der Höflinge und des Malers unddann in der fernen Helle des Spiegels reflek-tieren? Aber sogleich wird diese Frage ver-doppelt: das Gesicht, das der Spiegel wieder-gibt, ist auch das, das ihn ansieht. Was allePersonen des Bildes betrachten, das sind auchdie Personen, deren Augen sie als eine anzu-schauende Szene geboten werden. Das Bild inseiner Gänze blickt auf eine Szene, für die esseinerseits eine Szene ist. Der Spiegel als Be-trachtender und Betrachteter manifestierteine reine Reziprozität, deren beide Mo-mente in den beiden Winkeln des Bildes auf-gelöst werden: links steht die umgekehrteLeinwand, durch die der äußere Punkt zu ei-nem reinen Schauspiel wird, rechts liegt derHund, das einzige Element des Bildes, dasweder schaut noch sich bewegt, weil es mitseinen großen Umrissen und dem Licht, dasauf seinen seidigen Haaren spielt, nur dazugeschaffen ist, ein Gegenstand zu sein, denman betrachtet.

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Dieses Schauspiel, das da im Blick ist, bilden,so hat uns der erste Eindruck des Gemäldessofort gelehrt, die Herrscher. Man vermutetsie bereits hinter dem respektvollen Blick derUmstehenden, in dem Staunen des Kindesund der Zwerge. Man erkennt sie am Endedes Bildes in den beiden kleinen Silhouetten,die der Spiegel erglänzen läßt. Mitten in alldiesen aufmerksamen Gesichtern und den ge-schmückten Körpern sind sie das bleicheste,am wenigsten reale, am meisten in Frage ge-stellte Bild: eine Bewegung, etwas Licht wür-den schon genügen, um sie verschwinden zulassen. Von allen dargestellten Personen sindsie die am meisten vernachlässigten, denn nie-mand widmet jenem Reflex Aufmerksamkeit,der sich hinter allen einschleicht und schwei-gend durch einen unvermuteten Raum einge-führt wird. In dem Maße, in dem sie sichtbarsind, sind sie die zerbrechlichste Form undam entferntesten von der Realität. Umge-kehrt sind sie in dem Maße, in dem sie außer-halb des Bildes stehend in eine essentielle

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Unsichtbarkeit zurückgezogen sind, das Zen-trum, um das sich die ganze Repräsentationordnet. Ihnen steht man gegenüber, zu ihnenist man gewandt, ihren Augen wird die Prin-zessin in ihrem Festkleid präsentiert. Von derumgedrehten Leinwand zur Infantin und vondieser zum spielenden Zwerg auf der äußer-sten Rechten ist eine Kurve gezeichnet (öffnetsich der untere Zweig des X), um für ihrenBlick die ganze Anordnung des Bildes zuordnen und so das ganze Zentrum der Kom-position erscheinen zu lassen, dem der Blickder Infantin und das Bild im Spiegel schließ-lich unterworfen sind.Dieses Zentrum ist symbolisch souverän inder Geschichte, da es durch den König Phil-ipp IV. und seine Frau besetzt ist. Aber vorallem ist es durch die dreifache Funktion sou-verän, die es in Beziehung zum Bild ein-nimmt. In ihm überlagern sich genau derBlick des Modells im Augenblick, in dem esgemalt wird, der des Betrachters, der dieSzene anschaut, und der des Malers im Au-

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genblick, in dem er sein Bild komponiert(nicht das, das repräsentiert wird, sonderndas, das vor uns liegt und von dem wir spre-chen). Diese drei »betrachtenden« Funktio-nen vermischen sich in einem dem Bildäußeren Punkt: das heißt, in einem idealenPunkt in Beziehung zu dem, was repräsen-tiert wird, der aber völlig real ist, da von ihmausgehend die Repräsentation möglich wird.In dieser Realität kann er nicht unsichtbarsein. Indessen wird diese Realität ins Inneredes Bildes projiziert – projiziert und in dreiGestalten zerbrochen, die den drei Funktio-nen dieses idealen und realen Punktes ent-sprechen. Dies sind links der Maler mit seinerPalette in der Hand (Selbstportrait des Malersdes Bildes); rechts der Besucher, einen Fußauf der Stufe und bereit, in das Zimmer einzu-treten, der die ganze Szene von hinten be-trachtet, aber das königliche Paar von vornesieht, das das Schauspiel selbst bildet; schließ-lich im Zentrum das Spiegelbild des Königsund der Königin, die geschmückt, unbeweg-

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lieh, in der Haltung geduldiger Modelle ver-harren.Dieses Spiegelbild zeigt naiv und im Schatten,was jedermann im Vordergrund betrachtet.Es restituiert gewissermaßen durch Verzau-berung das, was jedem Blick fehlt: dem desMalers das Modell, das sein auf dem Bild re-präsentiertes Double abmalt, dem des Königssein Portrait, das sich auf der Vorderseite derLeinwand befindet und das er von seinemStandpunkt aus nicht sehen kann; dem desZuschauers das reale Zentrum der Szene, des-sen Platz er wie durch einen gewaltsamenEinbruch eingenommen hat. Vielleicht aberist diese Großzügigkeit des Spiegels gespielt,vielleicht verbirgt er ebensoviel und mehr, alser offenbart. Der Platz, auf dem der Königmit seiner Gattin thront, ist ebenso der desKünstlers und der des Zuschauers. Im Hin-tergrund des Spiegels könnten und müßtendas anonyme Gesicht des Vorübergehendenund das von Velasquez erscheinen. Denn dieFunktion dieses Spiegelbildes ist es, ins In-

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nere des Bildes das zu ziehen, was ihm aufintime Weise fremd ist: den Blick, der organi-siert hat, und denjenigen, für den es sich ent-faltet; aber weil sie in diesem Bild anwesendsind, rechts und links, so können der Künst-ler und der Besucher nicht im Spiegel unter-gebracht werden: so wie der König im Hin-tergrund des Spiegels in dem Maße erscheint,in dem er nicht zum Bild selbst gehört.In der großen Kreiselbewegung, die den Peri-meter des Ateliers durchlief, vom Blick desMalers, seiner Palette, seiner verharrendenHand, bis hin zu den vollendeten Bildern,entstand die Repräsentation und vollendetesie sich, um sich erneut im Licht aufzulösen.Der Kreis war vollkommen. Andererseitssind die Linien, die die Tiefe des Bildesdurchqueren, unvollständig; es fehlt allen einTeil ihrer Bahn. Diese Lücke verdankt sichder Abwesenheit des Königs, die wiederumein Kunstgriff des Malers ist. Aber dieserKunstgriff deckt und bezeichnet eine Vakanz,die ihrerseits unmittelbar ist, die des Malers

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und des Zuschauers, wenn sie das Bildbetrachten oder komponieren. Vielleichtverbürgen sich in diesem Bild wie in jederRepräsentation (deren manifeste Essenz essozusagen ist) wechselseitig die tiefe Unsicht-barkeit dessen, der schaut – trotz der Spiegel,der Spiegelbilder, der Imitationen, der Por-traits. Um die Szene herum sind die Zeichenund die sukzessiven Zeichen der Repräsenta-tion angebracht, aber die doppelte Beziehungder Repräsentation zu ihrem Modell und zuihrem Souverän, zu ihrem Autor wie zu dem,dem man sie bietet, diese Beziehung ist not-wendig unterbrochen. Nie kann sie ohne Restpräsent sein, selbst nicht in einer Repräsenta-tion, die sich selbst als Schauspiel gibt. In derTiefe, die die Leinwand durchquert und siefiktiv aushöhlt, sie in den Raum vor sichselbst projiziert, ist es nicht möglich, daß dasreine Glück des Bildes jemals in vollem Lichtden Meister bietet, der repräsentiert, und denSouverän, den man repräsentiert.Vielleicht gibt es in diesem Bild von Velas-

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quez gewissermaßen die Repräsentation derklassischen Repräsentation und die Defini-tion des Raums, den sie eröffnet. Sie unter-nimmt in der Tat, sich darin in all ihren Ele-menten zu repräsentieren, mit ihren Bildern,den Blicken, denen sie sich anbietet, den Ge-sichtern, die sie sichtbar macht, den Gesten,die die Repräsentation entstehen lassen. Aberdarin, in dieser Dispersion, die sie auffängtund ebenso ausbreitet, ist eine essentielleLeere gebieterisch von allen Seiten angezeigt:das notwendige Verschwinden dessen, was siebegründet – desjenigen, dem sie ähnelt, unddesjenigen, in den Augen dessen sie nichts alsÄhnlichkeit ist. Dieses Sujet selbst, dasgleichzeitig Subjekt ist, ist ausgelassen wor-den. Und endlich befreit von dieser Bezie-hung, die sie ankettete, kann die Repräsenta-tion sich als reine Repräsentation geben.

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