Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland · 2018. 1. 15. · Rainald Schwarz gilt dafür mein...

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Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland KAROLINGISCHE UND OTTONISCHE KUNST

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  • Geschichte der

    bildenden Kunst in Deutschland

    KAROLINGISCHE UND OTTONISCHE KUNST

  • Herausgegeben von

    Bruno Reudenbach

    AutorenDieter Blume, Carola Jäggi, Rebecca Müller, Steffen Patzold, Bruno Reudenbach, Andrea Schaller, Irmgard Siede, Christoph Winterer

    Mit Beiträgen vonKlaus Gereon Beuckers, Andrea Hauff, Friedemann Hüfken, Boriana Ilkova,Thomas Labusiak, Hans-Rudolf Meier, Dagmar Patzold, Ute Verstegen

    Prestel

    München · Berlin · London · New York

    Deutscher Taschenbuch Verlag

    München

    Geschichte der

    bildenden Kunst in Deutschland Band 1

    KAROLINGISCHE UNDOTTONISCHE KUNST

  • AUTOREN DER KATALOGBEITRÄGE

    Dieter Blume (db)Kat. 290–314

    Klaus Gereon Beuckers (kgb)kat. 86, 87, 93–98, 106, 107

    Andrea Hauff (ah)kat. 48–53, 56, 54, 60–63, 66, 70–73

    Friedemann Hüfken (fh)kat. 39, 40, 42, 46, 47, 69

    Boriana Ilkova (bi)kat. 160, 163, 165, 166, 168, 172, 174, 175, 177, 178, 180–182, 187, 188, 193, 195, 196, 200, 203, 205, 206

    Carola Jäggi (cj)kat. 152–154, 157, 160, 162, 164–167, 169, 171–173, 175, 177–185, 187, 188, 190–193, 195–197, 200, 202–204

    Thomas Labusiak (tl)kat. 76, 77, 81–85, 88, 89, 92, 99

    Hans-Rudolf Meier (hrm)kat. 161, 186

    Rebecca Müller (RM)KAT. 1–35

    Dagmar Patzold (dp)kat. 58, 59

    Steffen Patzold (sp)kat. 36–38, 41, 43–45, 54, 55, 61, 64, 65, 67, 68

    Bruno Reudenbach (br)kat. 275–289

    Andrea Schaller (as)kat. 109–151

    Irmgard Siede (is)kat. 57, 208–274

    Ute Verstegen (uv)kat. 155, 156, 158, 159, 170, 176, 189, 194, 198, 199, 201, 207

    Christoph Winterer (cw)kat. 74, 75, 78–80, 90, 91, 100–105, 108

    Der Prestel Verlag dankt der Rudolf-August Oetker Stiftung für die Unterstützung bei der Herausgabe dieses achtbändigen Werkes.

  • 496Bruno ReudenbachReligiöse BilderTheologisches Urteil und künstlerische Praxis

    520Dieter BlumeWissenschaft und BilderVermittlung antiken Wissens im Frühmittelalter

    553Literatur

    603Register

    622Bildnachweis

    INHALT

    8Bruno ReudenbachKulturelle FusionenHerkunft, Formung und Aufgaben der Kunst im frühen Mittelalter

    32TAFELN

    190Rebecca MüllerAntike im frühen MittelalterErbe und Innovation

    238Steffen PatzoldKunst und PolitikVisualisierung von Status und Rang des Herrschers

    282Christoph WintererBischöfe, Äbte und Äbtissinnen als Stifter»… damit sie in der Ewigkeit den Engeln gleich werden.«

    326Andrea SchallerHeilige und ihre ReliquienFormen ihrer Darstellung und Verehrung

    370Carola JäggiOrte des christlichen KultesKlöster, Bischofssitze, Kapellen und Pfarrkirchen

    434Irmgard SiedeDie Ausstattung der LiturgieBücher, Geräte und Textilien

  • Soweit dies möglich ist, soll damit der ursprüngliche Ort

    frühmittelalterlicher Kunst in der mittelalterlichen Lebens-

    welt erkennbar werden. Diesem Zusammenhang sind die

    Objekte als Museumsstücke heute weitgehend entzogen;

    verstehen aber kann man sie nur in ihrer Beziehung zum

    Denken und Handeln, zu den Vorstellungen und Wahr neh -

    mungen der damaligen Zeit. Von Kunst im neuzeitlichen

    und modernen Verständnis ist die des frühen Mittelalters

    dadurch unterschieden, dass sie nicht zweckfrei der Selbst-

    verwirklichung von Künstlern und der Artikulation ihrer

    Anliegen diente, sondern auf Veranlassung von Auftragge -

    bern für bestimmte Aufgaben geschaffen wurde und durch

    festgelegte Funktionen und Kontexte bestimmt war. Diese

    zu analysieren und zu erklären, schien bei einem Band, der

    auch für ein breiteres Publikum gedacht ist, nicht zuletzt

    deshalb ein begründetes Anliegen, weil Kenntnisse mittel-

    alterlicher Kultur, Geschichte und Religion, ohne die auch

    die Kunst dieser Zeit unverstanden und fremd bleiben muss,

    heute nicht mehr als allgemein bekannt vorausgesetzt wer-

    den können.

    Den Autorinnen und Autoren, die es mit mir unternom -

    men haben, auf diese Weise die karolingische und ottoni-

    sche Kunst verstehbar zu machen, bin ich zu großem Dank

    verpflichtet. Dass ein so komplexes Vorhaben mit allen sei-

    nen Terminzwängen in ausgesprochen kollegialer Zusam-

    menarbeit entstand, war eine glückliche und keineswegs

    selbstverständliche Erfahrung. Dass daraus ein so ansehn-

    liches Buch wurde, ist das Verdienst eines Verlagsteams,

    das den Band von den konzeptionellen Anfängen bis zum

    gedruckten Ende hochengagiert, aufgeschlossen und ver-

    ständnisvoll begleitet hat. Namentlich Anne Hagenlocher,

    Eckhard Hollmann, Alice Rath, Marietheres Schulze und

    Rainald Schwarz gilt dafür mein herz licher Dank.

    Hamburg, 2009 Bruno Reudenbach

    Der vorliegende Band behandelt die Kunst im frühen Mittel-

    alter – im Zeitraum vom späten 8. bis zum frühen 11. Jh. – als

    das Reich in der Mitte Europas zunächst von den Karolin-

    gern und dann von der sächsischen Herrscherdynastie der

    Liudolfinger regiert wurde, die nach den drei aus ihrem Ge-

    schlecht stammenden Kaisern meist Ottonen genannt wer-

    den. Karolingische und ottonische Kunst stammt also aus

    einer sehr fernen Zeit, deren Lebensumstände heutzutage

    kaum noch vorstellbar und nur mit Schwierigkeiten re-

    konstruierbar sind. Dennoch muss die Wissenschaft immer

    wieder aufs Neue den Versuch unternehmen, Objekte, die

    aus dieser fernen Zeit auf uns gekommen sind und die wir

    heute ganz selbstverständlich als Kunst klassifizieren, aus

    den Bedingungen ihrer Entstehenszeit zu verstehen und

    zu erklären, sie aber ebenso mit Fragen zu konfrontieren, die

    durch heutige Interessen bestimmt sind. Für den in die-

    sem Band behandelten Zeitraum haben das in den beiden

    letzten Jahrzehnten u. a. große und bedeutende Ausstellun-

    gen unternommen.

    Auch der vorliegende Band stellt einen solchen Versuch

    dar. Er folgt dabei aber nicht dem in herkömmlichen Über-

    blicksdarstellungen lange gebräuchlichen Schema, seine Ge-

    genstände nach Gattungen getrennt und als chronologisch

    angelegte und regional differenzierte Entwicklungs- und

    Stilgeschichte vorzustellen. Insofern wird man Kapitel z.B.

    über die Hofschule Karls des Großen oder die Reichenauer

    Buchmalerei vergeblich suchen, auch deshalb, weil solche

    Themen in den voluminösen Katalogen der erwähnten Aus-

    stellungen bereits grundlegend und zusammenfassend ab-

    gehandelt sind und eine Wiederholung hier weder ange-

    bracht noch sinnvoll gewesen wäre.

    Die Darstellung frühmittelalterlicher Kunst in diesem

    Band orientiert sich v. a. an den Funktionen und Aufgaben,

    für die Kunstwerke geschaffen wurden, an den Interessen

    und Anliegen der Auftraggeber, an den kulturellen Kontex-

    ten, die Entstehung und Wirkung der Werke beeinflussten.

    ZU DIESEM BUCH

  • sche Meer mündet; hierauf ganz Italien, das sich von

    Aosta in einer Länge von mehr als tausend Meilen bis

    Südkalabrien ausdehnt, wo bekanntlich die Grenze

    zwischen Griechen und Beneventanern ist; ferner Sach-

    sen, das keinen kleinen Teil von Germanien ausmacht

    und für doppelt so breit gilt als der von den Franken

    bewohnte, während es ihm in der Länge gleichkom-

    men mag; sodann beide Pannonien, das auf der andern

    Donauseite anstoßende Dacien, auch Istrien, Liburnien

    und Dalmatien, mit Ausnahme der Seestädte, die er

    aus Freundschaft und wegen des mit ihm geschlosse-

    nen Bündnisses dem Kaiser von Konstantinopel über-

    ließ; endlich auch alle die barbarischen und wilden

    Völkerschaften, die Germanien zwischen Rhein und

    Weichsel, Meer und Donau bewohnen, so ziemlich die

    gleiche Sprache reden, in Sitten und Tracht aber sehr

    voneinander verschieden sind, und zwar so, dass er

    sie tributpflichtig machte. Die bedeutendsten darunter

    sind die Welataben, Soraben, Abodriten, Boemanen;

    mit diesen hat er auch Krieg geführt, die übrigen weit

    zahlreicheren unterwarfen sich ihm freiwillig.

    (Vita Karoli, 15)1

    Genaue und konkrete Kenntnisse der Geographie sind hier

    zu fassen. Mit »Germanien« meint jedoch auch Einhard nur

    die ehemalige, so benannte Provinz des weströmischen Rei-

    ches, nicht aber das, was man später »Deutschland« nannte

    und als »Nation« verstand. Vor allem aber verliert er kein

    Wort über ein Volk der Germanen; dafür ist umso mehr die

    Rede von Stämmen und »barbarischen und wilden Völker-

    schaften«, denen aber, bei aller Verschiedenheit, nach Mei-

    nung Einhards zumindest die Sprache gemeinsam war.

    Tatsächlich scheint sich in der 2. Hälfte des 8. Jhs. die deut-

    sche Sprache ausgebildet zu haben, und die ältesten Text-

    zeugen des Althochdeutschen gehören, wie das um 790

    entstandene sog. Wessobrunner Gebet (kat. 132), noch in

    das späte 8. Jh. Aber war zu derselben Zeit den genannten

    Völkerschaften auch eine Kunst sozusagen als Frühform

    »deutscher« Kunst gemeinsam? Die Antwort darauf ist

    Bruno Reudenbach

    KULTURELLE FUSIONEN

    HERKUNFT, FORMUNG UND AUFGABENDER KUNST IM FRÜHEN MITTELALTER

    EINE »DEUTSCHE« KUNST?

    Zu einer Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland auch

    die Kunst der Karolinger- und Ottonenzeit zu rechnen, ist

    keineswegs selbstverständlich. Für die Zeitgenossen des

    9. und 10. Jhs. war »Deutschland« jedenfalls keine Größe, die

    ihnen etwas gesagt hätte, und die Vorstellungen davon, was

    »Germanien« war, wo es sich erstreckte und wer zu seinen

    Einwohnern zählte, waren im Einzelfall sehr verschieden

    und nebulös. Noch im 9. Jh. hatte der Mönch Rudolf von

    Fulda († 865) davon offenbar keine wirklich konkrete Kennt-

    nis, sodass er in seiner Geschichte der Sachsen diesen Volks-

    stamm mit Schilderungen charakterisierte, die nicht auf

    eigener Erfahrung beruhten, vielmehr wörtlich der Germa-

    nia des antiken römischen Historikers Tacitus (um 55–116/

    120) entnommen waren. Einhard (um 770–840), Gelehrter

    und Ratgeber am Hof Karls des Großen, besaß genauere

    Vorstellungen. In seiner Biographie Karls, der Vita Karoli

    Magni, die er knapp zwanzig Jahre nach dem Tode Karls

    verfasste, umreißt er das von Karl hinterlassene Franken-

    reich folgendermaßen:

    Während früher nichts weiter als der zwischen Rhein

    und Loire, zwischen Ozean und dem balearischen Meer

    gelegene Teil Galliens und von Germanien der Teil zwi-

    schen Sachsen und Donau, Rhein und Saale, an der

    Grenze zwischen den Thüringern und den Soraben,

    der von den sogenannten Ostfranken bewohnt wird,

    und außerdem nur noch die Alamannen und Baiern

    zum Frankenreich gehörten, hat er [Karl der Große]

    durch die erwähnten Kriege zuerst Aquitanien, Was-

    konien, das ganze Pyrenäengebirge und das Land bis

    zum Ebro unterworfen, der im Gebiet der Navarrer ent-

    springt, die fruchtbarsten Gefilde Spaniens durchfließt

    und unter den Mauern der Stadt Tortosa ins baleari-

    1 Echternacher Evangeliar, Mensch als Matthäussymbol, Irland, um 690,

    33,5*26,5 cm, Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 9389, fol. 18v

  • 10 Kulturelle Fusionen

    schrift auf der Innenseite, die Hitler zum Erben und Nach fol-

    ger Karls erklärte: imperium / caroli magni / divisum per

    nepotes / anno dcccxliii / defendit / adolphus hitler /

    una cum / omnibus europae populis / anno mcmxliii

    (»Das Reich/ Karls des Großen,/ von seinen Enkeln geteilt/

    im Jahre 843,/ verteidigte/ Adolf Hitler/ gemeinsam mit allen

    Völkern Europas/ im Jahre 1943.«)

    Es ist dies nur ein Beispiel für die politische Instrumenta -

    lisierung karolingischer Kunst und Karls des Großen selbst,

    der damit – anders, als bei Einhard zu lesen – zur Gründer-

    figur eines großdeutschen Reiches stilisiert und als germa-

    nischer Held gefeiert wurde. Sicherlich auch, weil die Ent-

    stehung von Gotik, Renaissance oder Barock viel eher Frank-

    reich oder Italien zugeschlagen werden konnte, ist keine

    andere Kunstepoche von den Deutschen derart nationa-

    listisch vereinnahmt worden, wie die Kunst des frühen

    Mittelalters. Wilhelm Pinder erklärte sie zur »deutschesten

    Epoche«6 und behandelte sie als »Kunst der deutschen Kai-

    serzeit«7. In ihr sah man den Ausdruck deutscher Größe, die

    sich politisch im Reich des mittelalterlichen Kaisertums ma-

    nifestiert habe. Entsprechend wurden die Anfänge und die

    Ausformung dieser »deutschen« Kunst direkt dem jeweili-

    gen Herrscherwillen zugeschrieben: »Deutsche Kunst« war

    demnach von Beginn an dem energischen Willensakt der

    frühmittelalterlichen Könige und Kaiser zu verdanken.

    Schon 1919 schrieb Georg Dehio in seiner Geschichte der

    deutschen Kunst: »Niemals hat ein Einzelner in das Schick-

    sal der Kunst mit so großen Folgen eingegriffen, wie Karl

    der Große es tat.«8 Nur 16 Jahre später bestimmte Wilhelm

    Pinder den Anfang der deutschen Kunst mit einem »Wil-

    lensdiktat« Karls des Großen. Dieser habe der nordischen

    Kunst »Formenruhe« und »Formengröße« aufgezwungen –

    und diese Tat verknüpfte Pinder direkt mit dem Führerideal

    seiner Gegenwart: »Der geschichtliche Augenblick, von dem

    an die Möglichkeit sichtbar wird, aus der nordischen Kunst

    eine deutsche herauszuheben […], ist zugleich ein Augen-

    blick des Willenseingriffs und einer durch ihn [Karl den

    Großen] für uns gewiß künstlich erzwungenen Formen-

    ruhe und Formengröße. Man darf erwarten, dass gerade das

    heutige Erlebnis des Deutschen schließlich zu einem Ver-

    ständnis, ja sogar einer tiefen Würdigung des karolingi-

    schen Willensdiktates führen wird. Auch heute ist – wie-

    der! – eine Lage da, in der diktiert werden muss.«9

    Ein Band zur karolingischen und ottonischen Kunst hat

    also Ahnen, deren Erbe er keinesfalls antreten will, die man

    aber kennen muss, zumal Relikte dieser älteren Deutungs-

    muster und Geschichtsbilder nicht selten in populären Vor-

    stellungen von mittelalterlicher »Kaiserkunst« auch heute

    noch unterschwellig mitschwingen. Die Benennung der

    zwischen dem späten 8. Jh. und den ersten Jahrzehnten

    des 11. Jhs. entstandenen Kunst nach den Herrschern der

    Karolinger und Ottonen, ihre Bezeichnung als »karolingisch«

    und »ottonisch«, könnte diese Klischees befördern. Sie ist

    im vorliegenden Band rein pragmatisch als verbreitete und

    gängige Bezeichnung für den durch die Herrschaft der Ka-

    eindeutig »nein« – und wenn dann auch in der zeitgenössi-

    schen Wahrnehmung der Karolinger- und Ottonenzeit von

    »Deutschland« noch nicht die Rede sein kann, stellt sich um-

    so dringlicher die Frage, ob die zwischen dem späten 8. Jh.

    und frühen 11. Jh. entstandene Kunst eigentlich zu einer

    Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland gehört.

    Im 19. Jh. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. wäre

    es auf Unverständnis gestoßen, dies zu bezweifeln oder in

    Frage zu stellen, und zugleich wäre dieser Zeit die Antwort

    auf eine solche Frage nicht schwer gefallen. Herrschaft und

    Reich der mittelalterlichen Kaiser verkörperten für Genera-

    tionen das, was man in der eigenen Gegenwart vermisste

    und deshalb herbeisehnte: Deutschland als ein großes, ge-

    eintes und machtvolles Reich, das in der Mitte Europas das

    Schicksal des Kontinents bestimmte. Das mittelalterliche

    Kaiserreich, die Zeit der Karolinger-, der Ottonen- und zu-

    letzt der Staufer-Herrschaft, sah man als vergangene Er-

    füllung dieser Hoffnung an, und ebenso als Orientierung

    bie tendes Ideal und historische Legitimation des von dieser

    Vorstellung bestimmten, eigenen politischen Handelns.2

    Das frühe Mittelalter erschien in diesen Geschichtskon-

    struktionen v. a. als »germanische Vorzeit«, auf die eine

    erste Phase der »deutschen Kaiserzeit« folgte. Diese histo-

    rischen Epochen hatte man schon lange vor dem Ersten

    Weltkrieg mit einer diffusen völkisch-nationalistischen

    Begriffswelt von »Vaterland«, »Volk« und »Reich« zu einem

    heterogenen Ideenreservoir für die nationale Identitäts-

    findung vermengt. Später bedienten sich daraus auch natio-

    nalsozialistische Geschichtsbilder, die das »großdeutsche«

    Reich in die direkte Nachfolge des mittelalterlichen Reiches,

    insbesondere in das der Ottonen, treten ließen. Deren Ost-

    politik konnte so zur Legitimation der Ostexpansion und

    des Krieges gegen die Sowjetunion bemüht werden.3 Dem-

    gegenüber galt Karl der Große den Nationalsozialisten zu-

    nächst noch als »undeutsch«, als Vernichter der sächsisch-

    germanischen Freiheit und als »Sachsenschlächter«. Doch

    Ende der 30er-Jahre wurde diese Deutung zunehmend in

    Frage gestellt und Karl stattdessen als Vorbild für die Un-

    terwerfung Europas unter eine »germanische Ordnung« be-

    ansprucht.4 Von derartigen Geschichtsklitterungen müsste

    hier nicht die Rede sein, wäre dabei nicht immer wieder

    auch die Kunst des frühen Mittelalters politisch und propa-

    gandistisch beansprucht und der Blick auf sie entsprechend

    getrübt worden.

    Mit der berühmten Reiterstatuette aus Metz (kat. 31), die

    als Bild Karls des Großen galt, illustrierte man beispiels-

    weise im Jahre 1943 die Wahnidee, Hitler als Vollender und

    Verteidiger der Leistungen Karls des Großen zu feiern. Als

    man des 1100sten Jahrestages des Vertrages von Verdun ge-

    dachte, der 843 die Teilung des fränkischen Reiches besiegelt

    hatte, wurden für Angehörige einer an der Ostfront kämp-

    fenden Legion französischer Freiwilliger, aus der später die

    SS-Division Charlemagne hervorging, Gedenkteller herge-

    stellt, deren Außenseite die Metzer Statuette zeigte.5 Sie trat als

    Darstellung Karls in Konkurrenz zu einer lateinischen In-

  • 11Kulturelle Fusionen

    rolinger und Ottonen begrenzten Zeitraum zu verstehen.

    Mit diesen Bezeichnungen soll also allein ein zeitlicher Rah-

    men umschrieben sein, nicht aber die Leitidee, dass die

    Kunst dieser Zeit deshalb karolingisch und ottonisch ge-

    nannt wird, weil sie allein von den karolingischen und ot-

    tonischen Herrschern veranlasst, durchgesetzt und regle-

    mentiert, vom Herrscherwillen abhängig und ihm unter-

    geordnet war. Auch wenn zahlreiche und prominente

    Werke dieser Zeit in einer Beziehung zu Königen, Kaisern

    oder ihrem Umfeld standen, auch wenn die Herrscher wich-

    tige Auftraggeber waren, so lässt sich dies dennoch nicht

    auf den einfachen Nenner einer allein herrscherlichen, »im-

    perialen« Kunst bringen. Damit wäre sowohl die Funktio-

    nalität der Werke wie das Interessen- und Handlungsge-

    flecht der beteiligten Akteure erheblich unterschätzt und

    in seiner Komplexität unzulässig homogenisiert.

    Auch wird in diesem Band nicht den Anfängen »deut-

    scher« Kunst nachgegangen. In der Kunst einen überhisto-

    rischen Nationalcharakter aufzuspüren, ist als Forschungs-

    aufgabe wie als Deutungsmodell schon lange obsolet, für

    das frühe Mittelalter aber gänzlich verfehlt. Ohnehin hat

    die Wissenschaft die Meinung, dass Völker sozusagen biolo-

    gisch definierte Subjekte seien, längst verabschiedet und

    damit auch die romantische Vorstellung von einer »Volks-

    seele«, die sich in Kunst artikuliere. Gerade im frühen Mit-

    telalter ist zu studieren, dass sich die Identität der zahlrei-

    chen Völker in einem permanenten Wandel befand und von

    Generation zu Generation neu geformt wurde, dass Völker

    also erst in langen historischen Prozessen eine Identität

    gewannen. So kann man mit guten Gründen in den Spalt-

    produkten des fränkischen Reiches Karls des Großen, dem

    ost- und dem westfränkischen Reich, die Keimzellen der

    späteren Nationen Deutschland und Frankreich sehen. Aber

    weder verstanden die Zeitgenossen sich als Germanen oder

    Deutsche, noch existierte bis zum 10. Jh. überhaupt eine

    auch nur vage Vorstellung davon, was »deutsch« sei. Erst im

    11. Jh. begegnet man dem Regnum Teutonicum, das aber als

    Teil des Römischen Reiches, des Imperium Romanum, begrif-

    fen wurde. Keiner der Herrscher verstand sich als deutscher

    König; ihr Reich war das römische Imperium.

    Dies alles bedeutet für die Kunstgeschichte, dass die kom-

    plizierte Ethnogenese der Deutschen aus der Gemengelage

    des Frühmittelalters für sie letztlich weitestgehend ohne

    Belang ist. Die frühmittelalterliche Kunst als Ausdruck des

    »Deutschen« zu deuten und im frühen Mittelalter eine

    »deut sche« Kunst aufspüren zu wollen, ist demnach nicht

    nur ein vergebliches, sondern ein von vornherein verfehltes

    Unterfangen, für das zudem kunsthistorische Methoden

    keinerlei Anhaltspunkte liefern können. Im Gegenteil – ob

    Werke dem Osten oder Westen des fränkischen Reichs ent-

    stammen, ist mit Stilkritik häufig kaum zu entscheiden.

    Abgesehen davon sind die Entstehensumstände und -be-

    dingungen frühmittelalterlicher Kunst viel weniger durch

    politische Grenzen und Territorien geprägt, als durch direkte

    Beziehungen zwischen den Akteuren, zwischen Herrschern

    und Bischöfen, Fürsten und Geistlichen, zwischen Höfen,

    Klöstern und Bistümern. Wenn im vorliegenden Band der

    Blick vornehmlich auf den geographischen Raum nördlich

    der Alpen gerichtet wird, der im Wesentlichen mit dem

    nach der Teilung des Karolingerreiches entstandenen ost-

    fränkischen Reich umschrieben ist, dann schließt das ein,

    dass die Grenzen dieses Raumes zugleich auch immer wie-

    der überschritten werden müssen. Künstlerische Traditio-

    nen und Beziehungen wurden weder durch die Reichstei-

    lung noch durch spätere territoriale Veränderungen ein-

    fach gekappt, sodass hier punktuell auch von Mailand oder

    Corbie, von Rom oder Fleury, von Tours oder Metz die Rede

    sein muss.

    Ein Gegenentwurf zu einer nationalen Beanspruchung

    frühmittelalterlicher Kunst hat demnach weit größere

    Räu me als die späteren Nationalstaaten in den Blick zu

    nehmen. In der Nachkriegszeit galt daher nicht zufällig

    der euro pä ischen Dimension frühmittelalterlicher Kunst

    das Hauptinteresse. Karl der Große. Werk und Wirkung wur-

    de als zehnte Ausstellung des Europarats 1965 in Aachen

    ausgerichtet,10 und eine Ausstellung wie Werdendes Abend-

    land an Rhein und Ruhr (Essen, Villa Hügel, 1956) führte

    das Frühmittelalter und seine Kunst als Grundlegung des

    christlichen Abendlandes vor.11

    Bedeutender noch als derartige großräumige Panoramen

    aber war für die Kunstgeschichte des frühen Mittelalters

    eine kleinteiligere Struktur, die durch lokale künstlerische

    Zentren, wie Klöster, Bischofsstädte oder Herrscherhöfe, und

    deren Beziehungen zueinander gebildet wurde. Die detail-

    lierte Ausleuchtung und Rekonstruktion dieser Struktur

    hat die Wissenschaft lange beschäftigt, die damit eines ihrer

    Grundanliegen verband, nämlich die Werke der frühmittel -

    alterlichen Kunst verlässlich zu lokalisieren und zu datie-

    ren. Für Elfenbeinschnitzerei, Goldschmiedearbeiten und

    Buchmalerei konnten Werkstätten und Skriptorien, in der

    Forschung häufig als »Schulen« bezeichnet, identifiziert

    werden, denen sich zahlreich Werke zuordnen ließen. Am

    differenziertesten gelang dies, nicht zuletzt mit Hilfe der

    Pa läographie, im Bereich der Buchkunst. So wissen wir von

    der Produktion kostbarster Handschriften in einem mit

    dem Hof Karls des Großen verbundenen Skriptorium, das

    meist als »Hofschule« (kat. 208–210, 277 u. 278) bezeich-

    net wird; ebenso sind beispielsweise die Klöster in Fulda

    (kat. 147, 148 u. 217), auf der Reichenau (kat. 62, 65, 81, 82,

    84, 88, 231 u. 232) oder in St. Gallen als Stätten bedeutender

    Handschriftenproduktion und Buchmalerei greifbar. Auch

    kennen wir Bischofsstädte wie Salzburg oder Hildesheim

    (tafeln S. 58–63), Köln, Mainz, Trier oder Metz als kulturelle

    Zentren. So gelang es in jahrzehntelangen Forschungen, für

    eine Fülle frühmittelalterlicher Werke Ort und Zeit ihrer

    Entstehung oder Abhängigkeiten und Korrespondenzen

    zwischen einzelnen Werken stilanalytisch zu sichern oder

    wahrscheinlich zu machen. Damit verfügen wir heute über

    eine relativ fest gefügte Vorstellung davon, was im frühen

    Mittelalter wann und wo entstanden ist. Dieses Panorama

  • 12 Kulturelle Fusionen

    frühmittelalterlichen Kunst spiegelt sich noch über lange

    Zeit die allgemeinere politische und kulturelle Gemenge-

    lage des »Anfangs«, der eigentlich ein Übergang war, der

    vom Untergang des römischen Weltreiches und damit

    auch seiner ehemaligen Provinzen, die durch den Limes –

    die vom Rhein über den Main bis zur Donau reichende Be-

    festigungslinie – begrenzt waren, über das Eindringen der

    Germanenstämme bis zur Herausbildung des mittelalterli-

    chen Reiches führte. Trotz der Heterogenität der aus diesen

    Bedingungen resultierenden Formenwelt, wurde, so kann

    man verallgemeinernd sagen, die Formfindung der karo-

    lingischen und der ottonischen Kunst maßgeblich durch

    die Antike und speziell die frühchristliche Spätantike

    bestimmt. Aus ihr wurden alle wichtigen Werkgattungen

    übernommen, in erster Linie das aus Pergamentblättern

    gebundene Buch, der Codex. Für die Spätantike so charak-

    teristische Objekte wie elfenbeinerne Diptychen lebten in

    der karolingischen und ottonischen Kunst als Buchein-

    bände weiter (kat. 134, 244, 245, 279, 285 u. 286), Kästen

    und Gefäße standen bei der Gestaltung liturgischer Gerä-

    te Pate und ebenso orientierte man sich an beispielhaften

    Raumlösungen des frühchristlichen Kirchenbaus. Auch

    die Bildwelt der karolingischen und ottonischen Kunst

    verdankte ihre Grundanlage der Spätantike, aus der sie

    Formen der Bildorganisation und des Erzählens, aber auch

    einzelne Ikonographien, Rahmen- und Ornamentsysteme

    bezog. Ja, man kann sagen, dass die karolingische Kunst

    durch Nutzung antiker Vorbilder das Mittelalter die bild-

    liche Darstellung von Plastizität und Körperlichkeit lehr-

    te.

    Die antike Prägung macht allerdings weder die karolin-

    gische noch die ottonische Kunst zu einem rein kopieren-

    den Revival der frühchristlichen Spätantike. Auch wenn

    gelegentlich, wie bei Teilen der Lorscher Elfenbeintafeln

    (kat. 279), bis heute nicht sicher entschieden ist, ob ein Werk

    karolingisch oder spätantik ist, auch wenn Kopieren und

    Zitieren antiker Vorbilder den frühmittelalterlichen Künst-

    lern nicht fremd waren, aufs Ganze gesehen ist für die Kunst

    dieser Zeit gerade die Begegnung und Verbindung des anti-

    ken Erbes mit einer gänzlich anderen Formenwelt charak-

    teristisch, die Einbeziehung von im weitesten Sinne ger-

    manischen, von langobardischen oder insularen Formen.

    Ebenso aber wird man sagen können, dass diese Formen-

    welt häufig in die Randzonen der Werke abgedrängt und

    marginalisiert war, nur als isolierte Einzelform in »antiken«

    Systemen existierte und außerdem im Laufe der Zeit zu-

    nehmend an Bedeutung verlor.

    Dies alles ist nicht einfach auf einen Nenner zu bringen

    und die Motive für die Orientierung an der Antike können

    so verschieden sein wie die »Antiken«, die dabei ins Spiel

    kommen (s. S. 191). Keinesfalls sind diese Phänomene

    schlecht hin als Renaissance zu verbuchen, bei der die Anti-

    ke gar noch in den Rang eines ästhetischen Ideals gerückt

    würde. Schließlich ist die frühmittelalterliche Kunst auch

    nicht allein aus ihren Quellen zu erklären und die in einem

    kann im vorliegenden Band zugrunde gelegt, soll aber nicht

    erneut eigens zum Thema werden. In dem Maße, wie nicht

    mehr eine autonome Form- und Stilgeschichte im Vorder-

    grund des Interesses steht, die auf die grundlegenden

    Fragen nach dem Wann?, Wo? und Wie? Antworten sucht,

    sondern genereller und umfassender nach den Entste-

    hensbedingungen und Aufgaben von Kunst gefragt wird,

    lässt sich auch die Kunst der Karolinger- und Ottonenzeit

    nicht mehr nur als stilgeschichtlicher Ablauf darstellen,

    der außerdem meist durch die Separierung der einzelnen

    Gattungen voneinander erkauft wird. Die jeweils isolierte

    Betrachtung von Architektur, von Buchmalerei oder Schatz-

    kunst erliegt jedoch leicht der Gefahr, die ursprünglichen

    historischen Zu sammenhänge aus dem Blick zu verlie-

    ren oder gänzlich aufzulösen und allein eine kunsthistori-

    sche Systematik zu bedienen. Wenn Heinrich II. für das im

    Jahre 1007 neu gegründete Bistum Bamberg eine Bi-

    schofskirche errichten lässt (kat. 201), für diesen 1012 ge-

    weihten Dom eine großzügige liturgische Ausstattung

    bereitstellt und die dazu gehörenden Handschriften in

    verschiedenen Klöstern in Auftrag gibt (vgl. S. 446), dann

    ist ein solcher Vorgang weder stilanalytisch noch in einer

    separaten Analyse von Buchmalerei und Architektur hin-

    reichend zu erfassen, ja, damit geriete der fundamentale

    Funktionszusammenhang des Werkensembles gerade

    außer Betracht.

    Um derartige Zusammenhänge und Bedingungen, die

    die Werke in ihrer Zeit verstehbar machen, soll es aber im

    vorliegenden Band v. a. gehen, zumal er eine für heutige

    Menschen ferne und in Vielem sehr fremde Zeit behandelt.

    Ein solcher Zugriff ist nicht willkürlich gewählt. Im Unter-

    schied zur Kunst im neuzeitlichen Sinne sind die frühmittel-

    alterlichen Werke, die heute ebenfalls der Kunst zugerech-

    net werden, nicht der Eigeninitiative von Künstlern zu

    verdanken, die mit ihren Werken individuelle Anliegen

    und Befindlichkeiten zum Ausdruck brachten. Frühmittel-

    alterliche Kunst wurde von Auftraggebern veranlasst für

    deren Zwecke und Anliegen. Sie hatte also bestimmte

    Aufgaben zu erfüllen, in der Politik oder in der Religion,

    und immer ist die Kunst durch diese Funktionen mit an-

    deren und außerkünstlerischen Handlungsfeldern ver-

    bunden, mit dem politischen Handeln, mit der Liturgie

    oder mit Bildung und Wissenschaft. Mit diesen Stichwor-

    ten sind daher auch die Themen genannt, die der Dar-

    stellung der karolingischen und ottonischen Kunst in

    diesem Band zugrunde liegen.

    DIE ZWEI KULTUREN DER CHRISTIANISIERUNG

    Wollte man im Sinne einer Stilfibel ein homogenes Stilbild

    karolingischer oder ottonischer Kunst beschreiben, so wäre

    ein solches Anliegen angesichts der vielgestaltigen Form -

    phänomene dieser Zeit von vornherein aussichtslos. In

    den heterogenen und gelegentlich disparaten Formen der

  • 13Kulturelle Fusionen

    Werk manifeste individuelle Leistung und Absicht erfährt

    mit einer Identifizierung von Formen als römisch-antik,

    langobardisch oder insular keine hinreichende Würdigung;

    diese muss der Analyse des Einzelwerks vorbehalten blei-

    ben. Daneben aber lässt sich der in vielen Bereichen domi-

    nierende Rekurs auf antik-mediterrane Formen, Werkgat-

    tungen und Ikonographien, den man zu den Grundzügen

    der frühmittelalterlichen Kunst zählen kann, dennoch in

    einen begründenden Kontext einbetten.

    Die Formung der visuellen Kultur des Frühmittelalters

    steht in einer unmittelbaren Verbindung mit dem Prozess

    der Christianisierung.12 Spätestens, nachdem Kaiser Theo-

    dosius (reg. 379–395) im Jahre 392 alle heidnischen Kulte

    verboten hatte, sollten die Bürger des römischen Reiches

    Christen sein. Auch wenn dies sicherlich nicht Realität wur-

    de, mit dem 4. Jh. nehmen Belege dafür zu, dass in den nord-

    westlichen Provinzen des römischen Reiches, in den links-

    rheinischen Gebieten um Trier, Köln und Mainz und südlich

    der Donau um Augsburg, Regensburg und Passau Christen

    siedelten. Von einer flächendeckenden Christianisierung

    konnte freilich nicht die Rede sein, erst recht nicht nach dem

    Einbruch der Germanenstämme in die römischen Gebiete.

    Erst das Reich der Franken verstand sich, trotz des noch

    lange weiter bestehenden Heidentums, zunehmend als ein

    christliches Reich. Die Taufe des fränkischen Königs Chlod-

    wigs (reg. 481–511) im Jahre 498 war der berühmte Anfangs -

    punkt dieser zunächst aus reinem Machtkalkül gesuchten

    Neuorientierung, mit der die christliche Religion letztlich,

    wie zuvor im römischen Reich, zur Staatsreligion werden

    sollte. Bis dahin war es jedoch noch ein weiter Weg und

    die Koexistenz von paganen und christlichen Lebensfor-

    men hielt noch für lange Zeit an, und sie zeigte sich auch in

    den materiellen Zeugnissen der Zeit.

    So wurden in eindeutig christlichen Bestattungsstätten

    des 7. Jhs. in Alamannien und Bayern häufig Goldblatt-

    kreuze gefunden (abb. 2). Diese waren vermutlich an Tücher

    geheftet, die den Verstorbenen über das Gesicht gelegt wur-

    den – ein Bestattungsbrauch, der wie die Kreuze selbst ur-

    sprünglich aus dem italisch-mediterranen Raum stammte.

    Damit sind nicht nur schon für diese Zeit kulturelle Trans-

    ferwege über die Alpen hinweg belegt; die Kreuze selbst

    zeigen häufig auch, wie eine christliche Form mit Dekor

    versehen wurde, das paganen Ursprungs war. Tierorna-

    mentik konnte sich auf den Kreuzarmen ausbreiten, und

    selbst das Kreuzzentrum war gelegentlich mit Tierdarstel-

    lungen besetzt.

    Auch auf Schmuckstücken findet sich die Kreuzform;

    gänzlich von ihr bestimmt ist die Disposition der berühm-

    ten Goldscheibenfibel aus Mölsheim, die ebenfalls dem 7. Jh.

    angehört (abb. 3).13 Goldscheibenfibeln stammten ursprüng-

    lich aus dem mediterranen Raum, gelangten seit dem 7. Jh.

    in das Gebiet nördlich der Alpen, wo die bei den Franken,

    Alamannen und Bajuwaren üblichen Bügelfibeln mehr

    und mehr zugunsten der Scheibenfibeln aus der Mode ge-

    rieten. So imitierten auch einheimische Kunsthandwerker

    die südlichen Stücke, die meist aus einer bronzenen Boden-

    und einer goldenen Deckplatte bestanden, in die Edelsteine

    oder Glaseinlagen eingelassen waren. Die Mölsheimer Fibel

    folgt dieser Anlage und zeichnet sich zudem durch eine an-

    tike Spolie aus: Das aus einem mehrlagigen Stein geschnit-

    tene Haupt der Medusa ist prominent im Zentrum montiert.

    2 Goldblattkreuz aus Hintschingen, Mitte 7. Jh., Karlsruhe, Badisches

    Landesmuseum

    3 Goldscheibenfibel aus Mölsheim, 7. Jh., Goldblech Almandine, Glas, Perlen,

    Filigran, Dm. 8,5 cm, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. KG 31

  • 14 Kulturelle Fusionen

    chenväter waren von der frühchristlichen Spätantike ge-

    prägt. Ebenso waren für die in den Klöstern betriebene Wis-

    senschaft antike Autoren maßgebend. Christianisierung

    und das Bekenntnis zur christlichen Religion hieß damit

    auch Orientierung an der lateinischen, spätantik-frühchrist-

    lichen Kultur.

    Doch mehr noch – die Klöster wurden damit nicht nur

    als religiöse und politische Stützpunkte etabliert, sondern

    auch als die Kultur- und Bildungszentren, und, für die Kunst-

    geschichte noch wichtiger, als künstlerische Produktions-

    stätten. Diese Rolle fiel ihnen partiell schon in der Zeit der

    Karolinger zu, dann aber v. a. unter den Ottonen. Das Netz

    der Klöster, das aus der Missionierung hervorging, sollte

    für mehrere Jahrhunderte die Struktur vorgeben, die das

    frühmittelalterliche Kunstschaffen trug und prägte. Das be-

    trifft zunächst die Frage nach der Formensprache. Wenn

    oben von einer Gemengelage die Rede war, zugleich aber

    davon, dass die Formenwelt der karolingischen und otto-

    nischen Kunst weitgehend der Antike verpflichtet war,

    dann lässt sich diese Beobachtung sehr genau auf die prä-

    gende Kraft der Klöster beziehen. Mit ihnen verbreitete sich

    die lateinische Kultur der Kirche und daher lenkten sie wie

    von selbst den Blick auch auf Rom, auf die Stadt der früh-

    christlichen Märtyrer und den Sitz der Päpste, der Nach-

    folger des Apostels Petrus, dessen Grabstätte in Rom verehrt

    wurde. Zugleich aber waren die Wege der Mission auch

    Trans portwege fremder Formensprachen und Objekte, die

    die Missionare aus ihrer Heimat mitbrachten, insbeson-

    dere Bücher, die Heilige Schrift und Texte für die Feier der

    Messe oder die Spendung der Sakramente.

    Berühmt ist das Evangeliar, das Willibrord mit sich führ-

    te, als er seine Missionsreise zu den Friesen unternahm, und

    das dann in das von ihm gegründete Kloster in Echternach

    gelangte. Mit vier ganzseitigen Bildern der Evangelisten-

    symbole ist dieses Evangelienbuch geschmückt. Vor dem

    jeweiligen Evangelium erscheinen die Wesen, eingepasst

    in eine aus geraden Linien gefügte Rahmenfigur, als große,

    eindrucksvolle Zeichen, die ganz in der flächigen, ornamen-

    tal verstandenen und hochstilisierten Darstellungsweise

    gestaltet sind, die die insulare Buchmalerei kennzeichnet

    (abb. 1). Beim Matthäussymbol, dem Menschen, sind die

    Gewandfalten aus drei Paaren symmetrisch angeordneter,

    schlaufenartiger Formen gebildet; der Rahmen ist mit dem

    typischen Flechtbandornament gefüllt, das in der mittel-

    alterlichen Buchmalerei noch lange in Gebrauch blieb,

    nachdem es auf diesem oder vergleichbaren Wegen auf

    den Kontinent gelangt war. Die Symbolseiten in Willi-

    brords Evangeliar sind demnach deutlich seiner insularen

    Herkunft verpflichtet. Damit einher aber gehen Spuren,

    die aus diesem Evangelienbuch in die lateinische Spätan-

    tike und in das frühe Christentum weisen. Eine Schluss-

    notiz vermerkt nämlich ausdrücklich, dass der Text nach

    einer Handschrift korrigiert worden sei, die dem hl. Hiero-

    nymus gehört habe.15

    Wie hier, ist die Missionierung häufig gleichsam zwei

    Darum herum sind symmetrisch tropfenförmige, runde

    und quadratische Almandine und Glasflüsse gruppiert. Man

    kann diese Anordnung lesen als Überschneidung mehrerer

    einfacher Ornamentformen, einen um das Medusenhaupt

    gelegten Strahlenkranz, ein gerades Kreuz aus runden und

    ein Diagonalkreuz aus quadratischen Steinen. Dies ist als

    christliche Kreuzfiguration verstanden worden, was auch

    bedeutete, dass der Künstler das antike Medusenhaupt im

    Kreuzzentrum zum Kopf Christi umgedeutet hätte.14 Mit der

    Kombination von Kreuz und antiker Spolie als Christus kopf

    wäre eine Konstellation vorgebildet, wie sie später in der

    mittelalterlichen Schatzkunst tatsächlich realisiert wurde

    (vgl. kat. 22). Ob das allerdings auch für ein Schmuckstück

    wie die Goldscheibenfibel gilt, muss offen bleiben. Die

    kreuz förmige Anordnung von Steinen lässt sich weder als

    eindeutig pagane noch als eindeutig christliche Schmuck-

    form identifizieren. So wie hier ist in dieser Zeit oftmals

    nicht sicher zu entscheiden, ob die Formeigenschaften

    eines Werkes tatsächlich durch eine christliche Sinnge-

    bung begründet sind oder noch in einen paganen Kontext

    gehören.

    Die entscheidenden Schritte zur Christianisierung des

    fränkischen Reiches wurden weniger von innen als von

    außen angestoßen, durch mehrere Missionierungsschübe,

    von denen die Missionierung durch irische Mönche im 7. Jh.

    und durch angelsächsische im 8. Jh die bedeutendsten wa-

    ren. Kolumban († 615), Gallus († um 650) und Kilian († um

    689), Willibrord († 739) und Bonifatius († 754) sind die be-

    kanntesten Protagonisten dieser Missionsbewegung, die

    darüber hinaus aber von einer Vielzahl heute unbekannter

    Mönche getragen worden sein muss. Willibrords Engage-

    ment in dem 697/ 98 gegründeten Kloster in Echternach,

    das 724 von dem irofränkischen Missionar Pirmin gegrün-

    dete Kloster auf der Reichenau oder die Klostergründung

    744 durch Bonifatius in Fulda können daher beispielhaft

    für die Grundlegung frühmittelalterlicher Kultur stehen.

    Die Missionierung und das Überziehen des fränkischen

    Reiches mit einem Netz von Klöstern waren ein für die

    Kultur- und Bildungsgeschichte des Mittelalters funda-

    mentaler Vorgang, zumal sich die monastische Kultur in

    enger Verbindung mit den führenden Schichten und dem

    Adel entfaltete. So verbanden auch weltliche Fürsten, wie

    der Bayernherzog Tassilo in Kremsmünster, Orte und Stütz-

    punkte ihrer Herrschaft mit Klöstern und Stiften und eben-

    so waren später karolingischen Pfalzen wie in Aachen

    (kat. 41 u. 167) oder Nimwegen Stifte angegliedert, nutz-

    ten Karolinger und Ottonen Klöster und Stifte auch als

    politische Zentren.

    Die von den Mönchen aus Irland und Angelsachsen vo-

    rangetriebene Christianisierung bedeutete für die Missi-

    onsgebiete diesseits wie jenseits der ehemaligen Grenzen

    des römischen Reiches eine Überformung mit der Kultur

    der lateinischen Kirche, die ihr Zentrum in Rom hatte. Die

    Sprache der Kirche war Latein, ihre gesamte Lebenswelt,

    ihre Rituale, ihre Lehre und die Grundlagentexte der Kir-

  • 15Kulturelle Fusionen

    Kulturen verpflichtet, der Heimat der Missionare und der

    römischen Kirche. Der Angelsachse Bonifatius steht schon

    mit seinem Namen für eine Mittlerposition zwischen Rom

    und dem Norden. Geboren um 672/ 73 in der Nähe von Exe-

    ter wurde Bonifatius ursprünglich auf den Namen Wyn-

    freth getauft. Viele Jahre Ausbildung und Studium im Klos-

    ter machten ihn zu einem hoch gebildeten Gelehrten mit

    umfassenden Kenntnissen der Bibel und der Kirchenväter,

    des Kirchenrechts, der Wissenschaft und der Seelsorge. Im

    Jahre 718 verließ er seine Heimat und unternahm eine Pil-

    gerreise nach Rom. Dort erhielt er von Papst Gregor II. (amt.

    715–731) den Auftrag, »bei allen im Irrtum des Unglaubens

    befangenen Völkern […] die Verkündung beider Testamen-

    te« zu verbreiten.16 Zum Missionar ernannt, erhielt Wyn-

    freth auch einen neuen Namen, den des frühchristlichen

    Märtyrers Bonifatius. Sein missionarisches Wirken war v.a.

    durch das Bemühen bestimmt, im Verein mit den Herr-

    schern die fränkische Kirche auf Rom und die Normen der

    römischen Kirche auszurichten. Für das spätere Bündnis

    der Karolinger mit dem Papsttum war damit das Funda-

    ment gelegt.

    Noch vor Antritt seiner Missonsreise schuf Bonifatius ein

    be merkenswertes Zeugnis seiner Gelehrsamkeit, seiner

    christlichen Bildung wie seiner Kenntnis der antiken Wis-

    senschaft. Als Titelblatt eines Lehrbuches über die Gram-

    matik gedacht, verfasste er ein dem Kreuz Christi ge wid -

    metes Figurengedicht, eine auf den konstantinischen Hof -

    dichter Porphyrius zurückgehende Gedichtform, bei der die

    Anordnung der Textzeilen eine visuelle Figur ergibt. In das

    Zentrum seines Gedichtes setzte Bonifatius das Kreuz, das

    aus der Durchkreuzung des horizontal wie vertikal geschrie-

    benen Namens »Iesus Xristus« gebildet wird.17 Dieses Kreuz

    ist von einer Raute eingefasst, die wie die hintereinander

    gelesenen Anfangs- und Endbuchstaben aller Zeilen einen

    eigenen Text bilden, zwei Hexameter, mit denen Bonifatius

    die Hilfe seines Schülers Duddo und seine eigene Autor-

    schaft formuliert: uynfreth priscorum duddo congesse-

    rat artem / uiribus ille iugis iuvavit in arte magistrum

    (»Wynfreth hatte für Duddo die Lehren der Alten zusam-

    mengetragen, dieser half dem Lehrer mit nie nachlassen-

    der Mühe«). Schon diese Form der Signatur dokumentiert

    ebenso wie das kunstvoll und ausgeklügelt komponierte

    Kreuzgedicht insgesamt die sprachliche Kunstfertigkeit und

    die hohe Gelehrsamkeit des Bonifatius, die ganz an antiken

    Vorbildern, an den »Lehren der Alten«, geschult ist. Das Ge-

    dicht ist in einer im 9. oder 10. Jh. geschriebenen Handschrift

    erhalten (abb. 4), in der auch die Erläuterung des Bonifatius

    beigefügt ist. »Du sollst wissen«, heißt es dort, »dass du die

    Bestimmungen des Alten und Neuen Testaments dann in

    der den Kirchensatzungen entsprechenden Weise verstan-

    den hast, wenn du in der Mitte mit geistigem Auge betrach-

    tend den Christus am Kreuz erblicken kannst […].«18 Mit

    aller Klarheit ist hier die Verpflichtung auf die Normen der

    römischen Kirche ausgesprochen, die die Tätigkeit des spä-

    teren Missionars prägte. In Bonifatius verbindet sich so die

    angelsächsische Herkunft mit einer der antiken Literatur

    und der römischen Kirche verpflichteten Kultur und Bil-

    dung, die er in das fränkische Reich vermittelte. Noch nach

    seinem Märtyrertod im Jahre 754 wurde mit seiner Grab-

    lege auch ein prägnanter Bezug zu Rom inszeniert. Zur

    Weihe der um ein westliches Querhaus mit Apsis erweiter-

    ten Klosterkirche in Fulda (kat. 171), in deren Mittelschiff

    Bonifatius ursprünglich bestattet war, verlegte man im

    Jahre 819 seine Grabstätte in den neu erbauten Westteil

    der Kirche. Damit folgte man dem Vorbild von St. Peter in

    Rom – der angelsächsische Missionar war nun an der Stelle

    bestattet, an der in Rom das Grab des Apostels Petrus lag.

    Das Evangeliar Willibrords und das Figurengedicht des

    Bonifatius können die Vermittlungsleistung der Missio-

    nare illustrieren, die v. a. die lateinische Kultur der römi-

    schen Kirche und partiell auch die heimatliche Formenwelt

    in die frühe mittelalterliche Kultur einspeisten. Antikes

    Kulturgut kam dort allerdings keineswegs nur als Import

    und Begleiterscheinung der Mission zur Entfaltung; in den

    Gebieten der ehemaligen römischen Provinzen war antike

    und frühchristliche Kultur auch nach den Germanenstür-

    men durchaus noch intakt und sichtbar, in Siedlungsstruk-

    turen, in Skulpturen, Sarkophagen, Mosaiken und Malerei-

    en, in Objekten der Kleinkunst, wie Münzen und Medaillen,

    Kleinbronzen, Kameen oder Gefäßen.

    4 Sammelhandschrift, Figurengedicht des Bonifatius, Mainz, 9. Jh. ?,

    25,2* 18,5 cm, Würzburg, Universitätsbibliothek, M.p.th.f. 29, fol. 44r

  • 16 Kulturelle Fusionen

    alterlichen Herrscher. Wie bereits gesagt, nicht um ein deut-

    sches Reich oder gar die Formung einer Nation ging es den

    karolingischen und ottonischen Herrschern; bei durchaus

    unterschiedlichen politischen Konzeptionen hatten sie eins

    gemeinsam, sie sahen ihr Reich als Erneuerung und Fort-

    führung des Imperium Romanum. Rom, das römische Reich,

    der Papst und die römische Kirche waren durchgehend und

    immer wieder aktualisiert Bezugspunkte des politischen

    Denkens und Handelns.19 Dies zeigte sich schon darin, dass

    die Kaiserkrönung in Rom stattfand und vom Papst vollzo-

    gen wurde. Allein Karl der Große zog vier Mal selbst nach

    Italien; mit seinem Italienzug 781 steht die Anfertigung des

    Godescalc-Evangelistars (kat. 208) in direktem Zusammen-

    hang; der letzte Italienaufenthalt Karls fällt in das Jahr 800

    mit seiner Krönung zum Kaiser. Otto der Große verbrachte

    nach der Kaiserkrönung 962 fast seine gesamte Regierungs-

    zeit in Italien.

    Unübersehbar und programmatisch ist dieser Bezug zum

    antik-römischen Kaisertum immer wieder durch die Über-

    nahme des Titels des römischen Kaisers auf Bullen und Sie-

    geln vermerkt und damit auch visuell proklamiert wor-

    den. Schon auf der Kaiserbulle Karls des Großen (kat. 68)

    war Karl mit dem römischen Kaisernamen imperator au-

    gustus bezeichnet, und Otto III. (kat. 72) oder Heinrich II.

    (kat. 73) taten es ihm gleich. Der Bezug auf Rom, anschau-

    lich gemacht in einer Architekturabbreviatur (kat. 73), und

    der dezidierte Hinweis darauf, dass die eigene Herrschaft

    eine renovatio (Erneuerung) des imperium romanum

    sei, konnten hinzukommen. Doch nicht nur die Bildlich-

    keit der Münzen, Siegel und Bullen war antiken Vorbildern

    verpflichtet, auch die zahlreichen Darstellungen von Herr-

    schern, die sich in der ottonischen Buchmalerei finden,

    variieren das Schema spätantiker Thronbilder, wie es bei-

    spielsweise in dem großen silbernen Missorium des Theo-

    dosius von 388 überliefert ist (abb. 5). Die Architekturrah-

    mung, die frontal ausgerichtete Herrschergestalt, die

    Begleitfiguren, Soldaten und Schildträger rechts und links –

    all das zeigen auch in unterschiedlicher Kombination die

    ottonischen Herrscherbilder (kat. 60, 62 u. 64). Selbst das

    tatsächliche Arrangement von Thron, Architekturrahmung

    und Gitter (kat. 11–13), das im Obergeschoss der Aachener

    Pfalzkapelle realisiert wurde (abb. 6) – ob schon in karo-

    lingischer oder erst in ottonischer Zeit, muss vorerst offen

    bleiben – entspricht einem spätantiken Muster, wie es

    beispielsweise auf dem Elfenbein der Lampadii aus der

    1. Hälfte des 5. Jhs. für die Tribuna des Circus gezeigt wird

    (abb. S. 199). Das In-Erscheinung-Treten der Herrscher, v. a.

    aber ihre bildliche Präsenz, mit der sich vielschichtige Herr-

    schaftskonzeptionen, Vorstellungen und Ansprüche arti-

    kulierten (s. S. 239 ff.), vollzog sich demnach in sozusagen

    antiker Einkleidung. Damit verband sich nicht immer

    eine spezifische politische Programmatik, aber doch ein

    allgemeiner, gemeinsamer Nenner, eben das Bewusst-

    sein, das Imperium Romanum fortzusetzen, auch wenn im

    Einzelfall die Renovatio-Konzeptionen, etwa die Karls des

    DAS IMPERIUM ROMANUM ALS LEITIDEE

    Neben der Christianisierung muss noch ein zweiter Faktor

    genannt werden, der die wichtige Rolle der antik-mediter-

    ranen Kultur für die Formierung der frühmittelalterlichen

    Kunst festschrieb: Die Allianz von Kirche und Herrschaft,

    die schon bei Chlodwig angelegt war und die dem Herr-

    schertum sakralen Charakter verlieh. Damit lebten antike

    Herrschaftskonzeptionen weiter, die von der göttlichen Aus-

    erwähltheit des Herrschers ausgingen, vom Kaiser als einem

    Mittler zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre, als

    einem mit übermenschlicher Macht ausgestatteten Wesen.

    Sowohl die karolingischen als auch die ottonischen Herr-

    scher traten programmatisch in diese spätantik-christliche

    Tradition und damit in die des römischen Imperiums ein.

    Nachdem sich am Ende des 4. Jhs. das römische Reich in

    zwei Teilreiche gespalten hatte, das Ostreich mit Konstan-

    tinopel/ Byzanz und das Westreich mit Rom als Hauptstadt,

    begriff sich der oströmische Kaiser, der basileus, bald als Re-

    präsentant des ganzen Reiches, zumal der weströmische

    Kaiserthron seit dem späten 5. Jh. verwaist blieb. Erst durch

    das Bündnis der Franken mit dem Papst im 8. Jh., als der

    Papst die Hegemonie der Franken im Merowingerreich un-

    terstützte und die Franken dem Papst in Rom gegen die an-

    drängenden Langobarden zur Hilfe kamen, wurde das west-

    liche Kaisertum wieder belebt und Karl der Große 800 in

    Rom zum Kaiser gekrönt. So verstanden sich die Franken

    als Nachfolger des römischen Volkes und dem letzten der

    vom Propheten Daniel (Dan 2 und 7) geweissagten Welt-

    reiche zugehörig, dem römischen Reich, mit dem die Welt-

    geschichte an ihr Ende kam. Schon im 9. Jh. festigte sich

    diese Vorstellung zur Theorie von der translatio imperii,

    der Übertragung des römischen Reiches in das der mittel-

    5 Theodosius-Missorium, 388 n. Chr., Silber, Dm. 74 cm, Madrid,

    Real Accadémia de la Historia

  • 17Kulturelle Fusionen

    Großen und Ottos III., sehr unterschiedlich und keines-

    wegs deckungsgleich waren.

    Wenn das Interesse an der Antike der frühmittelalter -

    lichen Kultur seinen Stempel aufdrückte, dann waren dafür

    also außer der Prägung durch die römische Kirche auch

    Weiterführung und Erneuerung des römischen Reiches

    ausschlaggebend – und beide Faktoren waren aufs Engste

    ineinander verwoben: Das Imperium Romanum sollte ein

    Imperium Christianum sein. Die Missionierung war schon

    früh in enger Abstimmung mit der Führungselite des Rei-

    ches erfolgt, ein Zusammenhang, der noch lange Zeit beste-

    hen blieb. Mission folgte auf Expansion und Eroberung,

    die Erweiterung des Herrschaftsgebietes, wie Karls Zug ge-

    gen die Sachsen oder die Ostmission unter den Ottonen,

    wurde immer auch als Maßnahme zur Christianisierung

    von Heiden propagiert. Kunstgeschichtlich war freilich ein

    anderer Aspekt der engen Allianz von Herrschaft und Kir-

    che bedeutsamer, die bereits angeführte Vorstellung vom

    Sakral königtum und die religiöse Legitimierung von Herr-

    schaft. Karl der Große fügte in den Herrschertitel die For-

    mel »Dei gratia« (von Gottes Gnaden) ein und unter den

    Ottonen wurde diese Vorstellung noch forciert. Der König

    verstand sich als vicarius Christi, als Stellvertreter Christi,

    von Gott selbst gekrönt. Weniger in der Theorie und in po-

    litischen Traktaten, als in rituellen Inszenierungen, in der

    Geschichtsschreibung und v. a. in den Bildkünsten wurde

    diese Idee des Sakralkönigtums unter der Elite des Reiches

    verbreitet, und gleichzeitig war sie von einer durch und

    durch religiös geprägten Weltordnung getragen. Im ein-

    zigartigen Herrscherbild des Liuthar-Evangeliars (kat. 61)

    ist diese Idee Bild geworden, die Christus-Ähnlichkeit des

    Herrschers ebenso wie eine in der religiösen Weltordnung

    gründende Herrscherethik.

    Um es auf einen Nenner zu bringen: die römische Kirche

    und das Reich als Erneuerung und Fortsetzung des römi-

    schen Reiches, Imperium Romanum und Imperium Christia-

    num, begründen die hohe Bedeutung der antik-römischen

    Kultur in der frühmittelalterlichen Kunst. Dabei wurde die

    6 Aachen, Dom, ehem.

    Pfalzkapelle, »Thronloge« im

    Obergeschoss

  • 18 Kulturelle Fusionen

    möget […], eine Aufgabe, bei der euch, wie ihr wissen

    sollt, unsere Sorgfalt unterstützen wird […] Ihr sollt

    aber diese unsere aus dem Geist der Frömmigkeit ent-

    sprungene Anweisung, mit der wir Falsches korrigie-

    ren, Unnützes ausscheiden, Richtiges bekräftigen wol-

    len, keineswegs für anmaßend halten, sondern mit

    Liebe und wohlwollendem Sinn aufnehmen.22

    Die Reformpolitik Karls bedeutete demnach eine Neuord-

    nung der Gesellschaft im Zeichen des Christentums. Die

    Franken sollten zu einem Volk Gottes, zum populus christia-

    nus, werden. Die Reformmaßnahmen, die alle gesellschaft-

    lichen Bereiche betrafen – Gesetzgebung und Verwaltung

    ebenso wie die Liturgie (vgl. S. 437), den Kalender (vgl.

    S. 523), die Monatsnamen, das Münz- und das Schriftwe-

    sen – die Vereinheitlichung und Neuordnung aller dieser

    Bereiche diente letztlich der Durchsetzung und Verbrei-

    tung der göttlichen Ordnung, der Hinführung aller Ge-

    tauften »zu den Weiden des ewigen Lebens«. Die Passage

    der Admonitio generalis nennt die dafür aufgestellten

    Maximen: Falsches korrigieren, Unnützes ausscheiden,

    Richtiges bekräftigen. Auf die Verbesserung des Fehlerhaf-

    ten und das Beseitigen des Unnützen sollte die rectitudo

    folgen, die Durchsetzung des Richtigen, des Rechten, die

    neue gerechte, christliche Ordnung.23

    Für diese neue Gesamtordnung, für die damit verbunde-

    ne Rationalität der Herrschaftspraxis und die Ausrichtung

    auf eine verbindliche Norm spielte die Verschriftlichung von

    Vorgängen, Regelungen und Anweisungen eine überragen-

    de und vorher nicht gekannte Rolle.24 Eine neu geformte

    und gut lesbare Schrift, die karolingischen Minuskel, sollte

    die Durchsetzung gewährleisten. Als Einheitsschrift ersetzte

    die Minuskel die unterschiedlichen, teilweise schwer les-

    baren älteren Schriftarten. In dieser Schrift ließ der Hof

    Karls Regelungen und Vorschriften, aber auch verbindliche

    und einheitliche Texte für Bildung, Rechtsprechung und

    nicht zuletzt für die Liturgie verbreiten (vgl. S. 437 f. u. 521).

    Gerade die Belange der christlichen Religion, unerlässlich

    für die Formung und Erziehung einer christlichen Gesell-

    schaft, erforderten korrekte und zuverlässige Texte – der

    Bibel, der Liturgie, der theologischen Schriften. Es ist be-

    kannt, dass Karl zu diesem Zweck an seinem Hof Gelehrte

    versammelte, die diese Texte erarbeiten und garantieren

    sollten. Vor allem aber ließ er aus Rom und aus anderen Or-

    ten Norm- und Mustertexte, Codices authentici, beschaf-

    fen und in der Hofbibliothek sammeln (vgl. S. 437).25 Bereits

    im Jahre 774, als Karl erstmals in Rom weilte und dort

    Ostern feierte, überließ ihm Papst Hadrian (amt. 772–795)

    eine erweiterte Fassung der Kirchenrechtssammlung des

    Dionysius Exiguus (6. Jh.). Zehn Jahre später, 784, erhielt

    der Hof Karls von Hadrian das gregorianische Sakramentar,

    das als Normtext für die Liturgie gedacht war. Auch von

    der im Kloster Monte Cassino angeblich noch vorhandenen

    Urschrift der Mönchsregeln des hl. Benedikt ließ Karl eine

    Abschrift anfertigen und in der Hofbibliothek hinterlegen.

    direkte Begegnung mit antiker Kultur zwei Mal durch spe-

    zielle Impulse befördert, durch die karolingische Reform und

    durch die engen Beziehungen der Ottonen zu Byzanz.

    DIE KAROLINGISCHE REFORM

    Die karolingische Reform verband programmatisch mit der

    gesellschaftlichen und religiösen auch eine kulturelle Er-

    neuerung.20 Daher war die Herrschaft Karls des Großen

    nicht nur politisch ein epochaler Neubeginn; dieser betraf,

    ungeachtet weiter wirkender älterer Traditionen, auch die

    Kunst. Die Grundzüge der Reform wurden 789 in der Admo-

    nitio generalis, einem 82 Kapitel umfassenden Send- und

    Mahnschreiben, formuliert, das Karl an die Bischöfe, den

    Klerus, die weltlichen Würdenträger und das Volk richtete.21

    In der Einleitung der an den Klerus gerichteten Passage

    heißt es:

    Wir bitten euch, ihr Hirten der Kirche Christi, ihr Lei-

    ter seiner Herde und Leuchten der Welt, dass ihr mit

    wachsamer Sorge und unverdrossener Ermahnung das

    Volk Gottes zu den Weiden des ewigen Lebens führen

    7 Evangeliar, sog. Ada-Handschrift, Beginn des Matthäusevangeliums,

    Hofschule Karls des Großen, Ende des 8. Jhs., 24,5*36,6 cm, Trier,

    Stadtbibliothek, Hs. 22, fol. 16r

  • 19Kulturelle Fusionen

    Die Anstrengungen des karolingischen Hofes um eine

    verlässliche Textgrundlage der christlichen Religion sind

    in den Elfenbeinreliefs vom Einband des Dagulf-Psalters

    (tafel S. 43) geradezu als visuelle Botschaft an den Papst

    gerichtet, war die Handschrift doch ein Geschenk von Karl

    an Papst Hadrian.26 Zeigt die eine Tafel David zwischen

    Musikern und Sängern als den Verfasser der Psalmen, so ist

    auf der anderen zu sehen, wie der Kirchenvater Hieronymus

    eine Botschaft von Papst Damasus (amt. 366–384) mit der

    Bitte um die Revision des Psalmentextes empfängt. Unten

    ist Hieronymus bei dieser Textarbeit, beim Diktat, das von

    einem Schreiber entgegengenommen wird, dargestellt. Das

    Widmungsgedicht des Dagulf-Psalters spricht mit Bezug

    auf diese Szene davon, dass Hieronymus den Psalmentext

    »von Dornengestrüpp« (sublatis sentibus), also von den Feh-

    lern einer verderbten Textfassung, befreit habe.27 Wenn

    dann in einem zweiten Gedicht der Wunsch formuliert

    wird, auch Karl möge dem Sängerchor Davids beigesellt

    werden (Davitico et demum consociere choro), dann ist

    in diesem an den Papst gerichteten Geschenk auch Karls

    Selbstverständnis und Anspruch beschrieben. Er will in der

    Nachfolge Davids und des Schriftgelehrten Hieronymus für

    die rechte Gestalt und die Erneuerung des authentischen

    Wortlauts sowie für die Verbreitung des Psalmentextes, all-

    gemein also für Gottesdienst und Gesang, sorgen.

    Auch die liturgischen Prachthandschriften, die am karo-

    lingischen Hof entstanden, waren Ausweis dieses Reform-

    anliegens. Sie bezeugten nicht nur die Anstrengungen um

    eine korrekte Textgrundlage für die Liturgie; die mit größ-

    tem Aufwand gestalteten Seiten führten den alles überra-

    genden Wert des Wortes Gottes buchstäblich vor Augen.

    Häufig sind die Seiten mit Purpur gefärbt, sie sind mit Gold-

    oder Silbertinte geschrieben. Aufwendige Rahmungen, in

    denen gelegentlich gemalte Edelsteine und Perlen erschei -

    nen, umspannen die Textkolumnen (abb. 7 u. 8); Titel und

    Überschriften sind ganzseitig, wie eigene Schrifttafeln,

    dem Text vorangestellt.

    Schließlich ist das ikonographische Hauptthema der

    Hofschul-Manuskripte – die Darstellung der das Wort Got-

    tes schreibenden Evangelisten – die bildliche Ausmünzung

    der karolingischen Bemühungen um die Verbreitung der

    Heiligen Schrift (abb. 9, s. Tafel S. 38, 41).28 Die prachtvollen

    Codices, die ein zuvor nie erreichtes Niveau der Buchpro-

    duktion darstellen, dokumentieren also das hohe Engage-

    ment Karls für die christliche Religion, die eine karolingi-

    sche Münzprägung explizit mit seinem Namen verband

    (kat. 28). Sie kombiniert das Bildnis Karls und den römi-

    8 Evangeliar aus Saint-Médard, Soissons, Titelblatt zum Markusevange -

    lium, Hofschule Karls des Großen, um 800, 36,2*26,7 cm Paris, Biblio -

    thèque nationale de France, Cod. Lat. 8850, fol. 82r (kat. 277)

    9 Evangeliar, Evangelist Matthäus,

    Hofschule Karls des Großen, Ende des 8. Jhs., 24,8*37,1 cm,

    London, British Library, Harley Ms. 2788, fol. 13v

  • 20 Kulturelle Fusionen

    sprechung des karolingischen Reformideals der rectitudo

    zu verstehen, als anschaulicher Ausdruck des mit hoher Ra-

    tionalität verfolgten umfassenden gesellschaftlichen Ord-

    nungsentwurfs.31 Der Begriff rectitudo – das nicht nach

    rechts und links Abweichende, das Richtige, das Gerade –

    lebt von seiner Anschaulichkeit und kann insofern auch

    als eine Leitidee der visuellen Kultur gelten. Besonders im

    für die Reform wichtigen Schrift- und Buchwesen wurden

    daher auch visuelle Ordnungssysteme durchgesetzt, über

    die Einheitsschrift hinaus durch abgestimmte Hierarchien

    von Schriftarten oder millimetergenau wiederholte Zeilen-

    raster. Insofern verbindet die karolingische Reform partiell

    die Orientierung an der Maßstab, Vorbild und Norm abge-

    benden christlichen Spätantike mit einem eigenen Form-

    ideal, das einen Leitbegriff der Reform in die Anschaulich-

    keit überführt. Der Blick auf die Antike bis hin zum

    Nachahmen antiker Vorlagen war also nur Mittel zum

    Zweck, nicht das eigentliche Reformziel. Daher konnte die

    karolingische Kunst zugleich ein eigenes Profil entwickeln

    und offen bleiben für die Einbeziehung von Ornamentik

    und Darstellungsmotiven anderer als antiker Herkunft.

    IMPULSE AUS DEM OSTEN

    Die während der karolingischen Reform aus Rom herbeige-

    schafften Codices authentici können stellvertretend stehen

    für einen direkten Import antiker und frühchristlicher Wer-

    ke; teils war er politisch motiviert und gewollt, teils profi-

    tierte er vom befördernden Klima der romorientierten Re-

    formmaßnahmen. So sind in diesem Zusammenhang nicht

    nur Bücher zu nennen, auch antike Spolien und Werke der

    Kleinkunst (vgl. S. 195 ff.). Ein anderer, gleichfalls politisch

    motivierter Importschub ereignete sich in der Zeit der Ot-

    tonenherrscher in der 2. Hälfte des 10. Jhs., als aus Byzanz,

    dem Rom des Ostens, eine Fülle von Werken in den Westen

    gelangte. Im Jahre 960 hatte Papst Johannes XII. (amt. 955–

    963/ 64), der vom italienischen König Berengar bedrängt

    wurde, den deutschen König Otto I. (reg. 936–973) um Hilfe

    gerufen; dieser kam dem Hilfeersuchen nach, zog gegen

    schen Kaisertitel imp(erator) aug(ustus) auf der Vorder sei -

    te mit der Aufschrift xrictiana religio auf dem Revers

    (abb. 10). Die Prachthandschriften wie die Münzen dienten

    letztlich der Durchsetzung des Reformzieles, die Franken

    zu einem christlichen Volk, zum populus christianus, zu

    formen.

    Über diesen punktuellen Anlass hinaus war die ausdrück-

    liche Verpflichtung eines Herrschers auf die christliche Re -

    ligion eine Maxime, die auch noch in ottonischer Zeit die

    Veranlassung von Kunstwerken nach sich zog. Wenn die

    Könige ihrem Selbstverständnis nach Stellvertreter Christi

    (vicarius Christi) waren, von Gott auserwählt und gekrönt,

    dann kam das Königtum einem geistlichen Amte gleich.

    Daraus leitete sich aber auch die Verpflichtung der Herr-

    scher ab, die Ausübung der christlichen Religion und die

    Feier des Gottesdienstes zu sichern. Auf die Kultsorge als

    herrscherliche Aufgabe gehen daher vielfach Kirchen, Bü-

    cher, Schatzobjekte und liturgische Geräte zurück. Zweifel-

    los verband sich dieses Engagement häufig auch mit ande-

    ren Motiven, im Kern ging es aber zurück auf die Vorstellung

    von einer sakral begründeten Herrschaft, die sich entspre-

    chend um Festigung und Verbreitung des christlichen Glau-

    bens zu kümmern hatte. Nicht zufällig wurden die meisten

    der Herrscherbilder daher auch in Handschriften platziert,

    die für die Liturgie bestimmt waren (kat. 61–63, 65 u. 228).29

    Die Könige und Kaiser demonstrierten so, dass sie ihre Ver-

    pflichtung für den Glauben erfüllten, und zugleich wurde

    diese Pflicht als ein an die Herrscher gestellter Anspruch

    im Bild festgehalten.

    Mit dem Eintreten Karls des Großen für die religio chris-

    tiana begründet daher Einhard den Bau und die Ausstat-

    tung der Aachener Pfalzkapelle (kat. 167): »Der christlichen

    Religion, zu der er [Karl der Große] von Jugend auf angelei-

    tet worden war, fühlte auch er sich mit größter Ehrfurcht

    und Frömmigkeit zugetan. Darum erbaute er auch das herr-

    liche Gotteshaus zu Aachen und stattete es aus mit Gold

    und Silber, mit Leuchtern und mit ehernen Gittern und

    Türen« (Vita Karoli, 26).30

    Es liegt nahe, die auffällig durch Geometrie und Zahl be-

    stimmte Gestalt dieser Kirche zugleich als anschauliche Ent-

    10 Denar Karls des Großen, Vorder-

    u. Rückseite, nach 800 (?), Silber,

    geprägt, Berlin, SMB, Münz kabinett,

    aus der Sammlung Gariel Ferrari 1911