Geschichte der Philosophii Band 6 - Uni-Hildesheim · 2019. 11. 14. · Die Überzeugung, in der...

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Geschichte der Philosophii .: in Text und Darstellung j Band 6 Deutscher Idealismus Herausgeber: Rüdiger Bubner Herausgegeben von Rüdiger Bubner Band l Antike Band 2 Mittelalter Band 3 Renaissance und frühe Neuzeit Band 4 Empirismus Band 5 Rationalismus Band 6 Deutscher Idealismus Band 7 19. Jahrhundert Band 8 20. Jahrhundert Philipp Rcckm j'un. Stuttgart Philipp Reclam jun. Stuttgart -, . ....""^^---^^-"^. r-^<?Y---^-:^3-ys^-^^-."r^';r

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Geschichte der Philosophii.:

in Text und Darstellung j

Band 6

Deutscher Idealismus

Herausgeber:Rüdiger Bubner

Herausgegeben vonRüdiger Bubner

Band l AntikeBand 2 MittelalterBand 3 Renaissance und frühe NeuzeitBand 4 EmpirismusBand 5 RationalismusBand 6 Deutscher IdealismusBand 7 19. JahrhundertBand 8 20. Jahrhundert

Philipp Rcckm j'un. Stuttgart Philipp Reclam jun. Stuttgart

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Universal-Bibliothek Nr. 9916 [5]Alle Rechte vorbehalten. © 1978 Philipp Reclam jun., StuttgartGesamtherstellung; Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 1983ISBN 3-15-009916-1

nleltüng

^Immanuel Kant ... ..... . ....... 29Zu den Texten . . .... '. '-. ". ;.. '. ;. : .". '. ' 35'

s Kritik der reinen Vernunft. Vorrede zur 2. Auf-läge ........... . . . . .... 40.Kritik der praktischen Vernunft. §§ 1-8. ... 64'Idee zu einer allgemeinen Geschichte in wehhär-

- gerlicher Absicht ........ ...... 94

^Johann Gottlieb Fichte . . . . . . . . . . .; . . 113.Zu den Texten . ................ 118,

Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre . . . 122Über Geist und Buchstab in Philosophie. ZweiterBrief ............... ... . 154Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Ge-lehrten. I-IV .......... ..... 172

^Friedrich Wilhelm Joseph Schelling . . . . .... 220Zu den Texten .... ............ 225

Ideen zu einer Philosophie der Natur. Vorrede zurersten Auflage. Einleitung . . . . . ..... 228Über die Natur der Philosophie als Wissenschaft . 281

'Georg Wilhelm Friedrich Heget . . . ...... 322ZudenTexten . . . . . ... ........ 328

Differenz des Fichte'schen und Schelling'schehSystems der Philosophie. Vorerinnerung. Man-

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InKcdt

cherlei Formen, die bei dem jetzigen Philosophie-reri vorkommen . . . . ...... . . . '. 3321N

.

f.

Phänomehologie des Geistes. Einleitung .... 374||Grundlinien der Philosophie des Rechts. Vorrede 388||Die philosophische Weltgeschichte. Zweiter Ent-wurf .. .............. . -.. '405|

Bib-bibliographische Hinweise . . ........ 43S|

TexfnacHweise . . . . ' . ". :;;.;'. ' . . :;. '. : . . ;. '::. ':. : 442.\

II.

Eihleitürig

paradtgmätische Philosophie:.Wer ein für allemal sagen wollte, was die Philosophie ist,der befände sich in nicht geringer Verlegenheit. Als belasfetfeErben einer langen Tradition können wir nicht mehr at>-sehen von historischen Vorbildern. Es hat daher sein gutesRecht, Auskunft über Aufgaben und Möglichkeiten der Phi-losophie bei exemplarischen Epocheii der Philösophie-geschichte zu suchen. Zu den wahrhaft großen Zeiten^ des;Philosophierens gehört unbestritten die Periode, die^därcSdie Namen Kant und Hegel begrehzffwird; Man hat sicKangewöhnt, sie als den >Deutschen Idealismus« Zu bezeich-nen, obwohl der Titel insgesariit nicht ganz glücklich .ge-wählt scheint und im FalI&KantsAuch nur mit Eiriscfiräil-kuiig Geltung verdient®?Außer Zweifel steHf Jreilich, daß m der nicht eben kurzenGeschichte menschlichen Denlsens die Philosophie Selten aufeiner solchen Höhe stg.nd wie in den wenigen Jahrzehntenum das Jahr 1800. Eineeni .Vergleich hält wohl nur die Blüteder klassischen Philosophie im Athen des Platon und Äristö-teles stand. Der philosophische Anfänger, derslchein Be-wußtsein davon verschaffen will, was das Denkeil alles ver-mag; sei an die beiden Beispiele verwiesen. Hier läßtsidiüberzeugend studieren, bis zu welchem Grade die abstrakteSpekulation vorangetrieben werden kann, ohne den Kontaktzu den Sachen zu verlieren. Das Reflektieren entwickelt

schwierige Gedankengänge, behält darüber die Kontrollfrund vermag die begriffliche Komplexität in einen systemä-tischen/ Zusammenhang produktiv umzuschafferi.̂ Be-stechend wirkt auf den heutigen Leser vor allem diehöchgemute Selbstgewißheit des Kopfes, der ErristreinerVerantwortung für das Ganze und auch die verwegene;

m

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S^ Einleitung.

EntschlossenKeifczüm geistigen Abenteuer. Unter solcheiiVoraussetzungen durfte Philosophie sich ohne Abstriche

;g^ das umfassende Begreifen der Wirklichkeit durch die Ver-liühft zutrauen. Gerade -weil das Philosophieren unsererTage in seinen Hoffnungen bescheidener und in seiner Kom-pefeiiz eingeschränkter aufzutreten pflegt, kommt den klas-sisc!ieit|HöBepunkten der Tradition paradigmatische Be-deutüngzü.Die Überzeugung, in der Philosophie verwirkliche sich diehocliste Wissenschaft, ist aus der Antike auf den deutschenIdealismus überkommen. Freilich konnte ein solches Selbst-

Verständnis nicht auf einen unbezweifelten Oberlleferungs-Schatz gegründet werden. Der philosophische Aufbruch andeE'Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wird gerade mo-tiviert durch die zwingende Einsicht, daß die alten Auf-gaKeri streng systematischer Erkenntnis allzulange ungelöstliege» geblichen waren. Gleichzeitig wächst die Erwartung,da&nun die Kräfte der menschlichen Vernunft zur endgül-(igen Bewältigung der Probleme herangereift seien. (MjtK)inthebt das Bewußtsein an, daß die ererbten Ansprü(3ie~reinvernünftiger Erkenntnis angesichts der Selbständigen Ent-

®\. wicklung der neuzeitlichen Naturwissenschaften erst wiederneu zu begründen sind. Die Metaphysik, die nicht bloß dieSpräche der ehrwürdigen Tradition nachspricht, sondern,wie der Titel der kantischen »Prolegömena« es fordert, inalter Zukunft »als Wissenschaft wird auftreten können«, istdürclr eine grundsätzliche Kritik der Vernunft an sich selbsterstmals auf ein sicheres Fundament zu stellen. Das Prinzipeme& Kritisclieri Selbstbegründung haben die NachfolgerKants sogleich aufgegriffen, verabsolutiert und in systema-tiscKer Absicht ausgebaut. Fichte verspricht die »Grundlagedec gesamten Wissenschaftslehre« zu liefern, die das ganzemenschliche Wissen, die Einheit aller Wissenschaften, nocheinmal zum Thema einer obersten philosophischen Wissen-schaft macht und letztendlich fundiert. Schelling hat denGedanken eines systematischen Zusammenhangs aller ver-

Eirdeitüngj^^

niinftfgen Erkenntnis als Bedingung der absolutett Üniibei--^holbarkeit des philosophischen Wissens noch deutlicher lieriausgearbeitet, bis Hegel schließlich sagen Konnte, es sei tfder 2eit, daß Philosophie, die nach dem Ausweis ihres- grie^chischen Namens genau genOmnttea»Lieb& zur. Weisheit«heißt, diese Zurückhaltung ablege und vollgültige Wissenl,schaft werde. Das vollendetste System des deutschen Idealistmus, die enzyklppadische Dialektik Hegels, versfetit; sicHtmit allem Bedacht als AbscHlüßgestalt, in der die Philöso-phie erst wirklich zu sich kommt, weil die alte Aufgatieumfassender Wissenschaft nun definitiv gelöst wird.

Die Ausgangsstellang

Die philosophische Überlieferung hatte die höchste Tlieoriereiner Vernunft, in der die Philosophie sich mit dem Seien-den im Ganzen auseinandersetzt, Metaphysik genannt. Seitiden Griechen war darunter herkömmlicherweise eine teHrevon den eigentlichen Grundstrukturen aller WirkliAKeit ver-istanden worden. Das griechische Denken wollte wisseu, wasi^lwirklich ist und warum es so ist, wie es ist. Die Philosophie';war berufen, den Schleier der sinnlichen Erscheinungen zudurchdringen und kraft der Vernunft die Wahrheit des^Wirklichen zu erfassen. Die Wahrheit liegt jenseits der Ein-^zelaspekte, die die Realität dem wissenschaftliclleä Spezis-.listen zukehrt. Jedes besondere, eingeschränkte Erkeiinfnis--Interesse macht gegen das Ganze blind. Die Wahrheit desSeienden ist nur im uneingeschränkten BlicKauf das Ganze.zu haben. Wahrheit des Wirklichen und umfassende Aüs-richtung auf das Ganze gehören zusammen.Die griechische Philosophie besann sich auf das Mediuin

Logos,. u"i die grundlegenden Erkenntnisansprüche zuverwirklichen. >Logos< kann nur unvollkommen mifc>ver-nünftige Rede< übersetzt werden, weil wir zwei Begi-ifffezusammenstellen müssen, wo eine ursprüngliche Einheit ge-|meint ist. Logos heißt das rationale Offenbarmacheit Üncfe

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10^ M' Einleitung

Kündgeßea dessen, ̂ ros an sicK und wirklich ist. Hie^ hat'WahrKeiri&ren eigentlichen Ort. Nun ist aber gar, nichts,däs^nicKt logosfähig wäre; denn es gibt Keine 'Wirklichkeit,aitl die vernünftige Rede nicht heranreichte. Das Vertrauen

VvauWdeff universalen Logos, der alles^zu thematisieren ver-WmaSsf liefert mithin das methodischfc Fundament für jene

Vemünftwisserischaft, die auf Wahrheit im Ganzen zielt.Dem entspricht die Vorstellung einer einheitlichen und an-sictiseiehcfen Natur, die letztlich dafür einsteht, daß jedemEtwas seine Bestimmtheit auf Dauer zukommt. Das gilt fürdie tKeöretischen ebenso wie für die praktischen Dinge, sodaß die Einsicht in die Ordnung der Physis das Begreifender Welt wie des Lebens fördert.Im Gefolge des Christentums mußte die alte metaphysische

(s/ EeitvÖrstellung einer ansichseienden Natur verlorengehen.Dieildee eines persönlichen Gottes, der als der Schöpferder Welt zu verehren ist, verdrängte das Sein der Meta-pKysiK. Parallel dazu bemächtigt sich die christliche^Ver-küiidigüng der alten Logoslehre und formt sie zum WorteGottes-um. Der Weltbegriff wie der Wahrheitsbegriff sindtlamit ihrer ursprünglichen Stellung beraubt und auf einePerson bezogene die schafft und spricht. Es bedurfte eineslanganhaltendeii und. tiefgehenden Säkularisationsprozes-seiTderschon in der Theologie desMittelalters einsetzt unddis gesamte neüzeitliche Aufklärung'prägt, um die Glau-beiisgehalte aus deni theologischen Horizont herauszuführen.Eiiimät aus der religiösen Einkleidung gelöst, erschließensxe^sicK wie selbstverständlich dem menschlichen Zugriff.Was zunächst Gott Vorbehaltes war, wird jetzt dem Men-sehen zugesprochen. Das Selbstbewußtsein des Subjekts trittins Zentrum, und die Gesamtheit der Welt wird als Objektdäzi»?in Bezug gesetzt. So bildet sich im Subjekt-Objekt-Verhältnis die Grundstellung des neuzeklichen DenkensaüK^^;^:-^:,c^.^^i;;;...,)., '^. /i;, ^:^:i."^Üie^zunK Objekt entrückte Wirklichkeit bietetKategorien und Ordnungsformen des menschlicllenBewußt-

Einletf:urig\:'w II

seins dar. Alte^was ist, ist der Verfügungsgewatt des Sufci-

jekts unterworfen. Aufgrund dieser Überzeugung etablieresich die Wissenschaft, die mit methodischer Streiigei UMquanufizierendem Kalkül ein Feld der Realität riäcll dentändern erobert. Erfahrung gibt den Prüfstein .wKsenscBaft-licher Erkenntnis ab, denn Erfahrung ist der Punkte w 'Subjekt und Objekt aufeinanderstoßen. Gegen die empiristl-sehe Nüchternheit; wie sie zu Beginn der heuzeitlictienWissenschaftsentwicklung etwa Bacon propagiert, muß cterallumfassende Logosgedanke der Überlieferung wie teei-esGerede ohne echten Gehalt wirken. Folglich setzt sich einenominalistische Sprachauffassung durch, die nur meliceinSystem äußerer Zeichen zur Übermittlung der vö der 'Er-::fahrung beglaubigten Bewußtseinsgehalte zulasseni will.Die Herausbildung des Selbstbewußtseins und die Erfah-rungsbasis der Wissenschaften stehen an der Schwelle derferneren Entwicklung des philosophischen!. Denkens;^ Siedeterminieren, grob gesprochen, die beiden Richtungen desRationalismus und des Empirismus. Zwar hat es mancherleiVersuche gegeben, die beiden Lager miteinander in Einklang.zu bringen. Int großen und ganzen markiert aber das Ge-genüber von rationalistischen und empiristischen Ansätzennoch die Situation, von der die Bewegung des cteutschenlIdealismus ihren Ausgang nimmt. Es galt, das alte Pro-gramm der Metaphysik mit der neugewonnenen Gewißheitides Selbstbewußtseins und der zum Gegenstand empirischer, |methodisch geregelter Naturwissenschaft gemachten Weltder Objekte zu versöhnen.

EinKeit des Idectlismus

Die Anknüpfung an die reine. Verhunftlehre, cfereu eKr-'würdiger Titel einer Metaphysik inzwischeu allerdings^ äwKredit? Verloren hatte, ist deshalb Von Bedeutung, weil nurso deri-spezifische Aufschwung verständlich wird, den die^Philösophieimit Kant wieder nimmt, ünr daritrgteic&sanil

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12'.y Einleitung

unaüsweichlicK üfcer die kritisclie Restriktiöo der kanti-sctieu Philosophie hmäuszugelarigen. In der Literatur kannmail mitunter lesen, Kant habe den genialen Einfalt gehabt,RätiÖflalismus und Empirismus als zwei Aspekte eines ein-Keitlichen Komplexes zu begreifen, indem er die immanen-ten^ Bewußtseirisstrukturen auf die Erfahrungswelt pro-jizieite. So sei es seiner Transzendentalphilosophie gelungen,die Beiden Haüptrichtungen neuzeitlichen Denkens zusam-menzüführen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß dietierüKmte transzendentale Wende erst möglich wird, nach-dem die Erinnerung an das vernachlässigte Geschäft einerreinen Vernunftwissenschaft die Vernunft dazu brachte,siefi kritisch mit sich selber zu befassen. Andernfalls wäredie transzendentale Reflexion grundlos und müßte eine ge-Keimnisvolte Veranstaltung bleiben.Die Orientierung an der problematischen Lage der Meta-pKysifc macht zunächst den entscheidenden Unterschied vontränszendentaler Wende und bloßer Bewußtseinsreflexiondeut lich. Das Bewußtsein vermag stets aus eignen Kräften

aui sich zurückzukommen. Das >Ego cogito< des Descartesmacht sich diese im Bewußtsein gelegene Möglichkeit zu-nütze, um den skeptischen Zweifel am Realitätsgehalt allerGegebenheifen. an einem letzten Punkt des Unbezweifel-baren zum Stehen zu bringen. Entsprechend führt aus derImmänenz eines Bewußtseins, das von sich selbst nicht mehrzu abstrahieren vermag, nur ein komplizierter Gottesbeweis.wieder heraus zur Substantiellen Wirklichkeit. Ohne jeneder Tlieologie entlehnte Konstruktion kommt die mit denzwei Entitäten des Bewußtseins und der objektiven Weltoperierende Philosophie des Descartes nicht aus. Natürlichstellt Kant unter dem Vorzeichen der von Descärtes ange-stoßenen Bewußtseinsphilosophie. DennocK wiederholt dietränszendentale Wende nicht einfach die Reflexion des Be-.wüßtseins. Sie entspringt einem Begriff der Vernunft, diemit sieb üneins ist und diesen Widerspruch qua Vernunftnichts erträgt. Im größeren Rahmen der transzendentalen

Einleitung'... \3

Überlegung erhält das Jch c(enke< darin üliter dem Namender transzendentalen Apperzeption einen wohl bestiminteirOrt. Kant ist also mehr als ein Philosoph des Selbstbewüßt-seins.

Ein ändei-esBild hat der Neukantianismus des 19. JaKrhün-dens hinterlassen, der unter dem Eindruck der siegessicKerfortschreitenden Wissenschaften Kant zu einer ArtWissen-schaftstheoretiker stilisierte. Angesichts des >FaKtums derWissenschaften< habe die Transzendentalphilosophie die alt-!gemeinen und formalen, apriorischen Bedingungen der For-schungsarbeit zu ergründen. Kants zukunftsweisende Be-deutung liege in einer Logik der Erfahrungswissenschafteff.Diese Deutung des Einsatzes der klassischen Philosophie^ist polemisch gegen die idealistischen Folgen gerichtet. Sieerfreut sich bis heute weitgehender Zustimmung,, die äüs^der Retrospektive auch durchaus einleuchtet. Trotzdenisteckt hierin eine Verkürzung, die es zu durchschauen gilt*Kants Absicht ging nicht bloß darauf, den wohl funktio-nierenden Wissenschaften mit philosophischer Hilfe) eiiiFundament zu bauen. Was die Philosophie den Wisseft-schaften an Hilfe gewährt, ist zugleich eine Stärkung, diesie sich selbst zuteil werden läßt, indem sie am vorfindlicheriParadigma der Erkenntnis für ihr eignes Tun Maß nimmt.Die Vernunftkritik ist der erste Schritt zur endgültigenErfüllung der Aufgabe einer Vernunftwissenschaft. Der*autonome Vernunftbegriff der Philosophie bleibt der FluAt-punkt.

Die Bewegung des deutschen Idealismus gelangt zu ihreCwahren Größe erst, wenn sich die Einheit des Ganzen be-'gründen läßt. Dafür ist es wichtig, den Beginn richtig ein-zuschätzen, um die Folge bei aller Tendenz zur Innovatiönals konsequent erscheinen zu lassen. Gemeinsam ist Kantund seinen Nachfolgern aber die Bezugnahme auf eirieitautonomen Vernunftbegriff. So ist Kant von seinen Zeit-"genossen gesehen worden und so hat er Einfluß geKatit: als'derjenige, der der Philosophie den Mut und die Verpflictl-

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\^w Einleitung:

tuiig^ wiedergegetien hat, ganz auf die Vernunft zu baüett.Es scKeilit notwendig, diesea authentischen Aspekt des kan-tiscKenj Denkens wiederKerzüstellen, den die oben zitiertenInterpretätioheri ungenügend berücksichtigen. Sie sind indee" Zeit eines^ verbreiteten Mißtrauens gegenüber demId'ealismÜs lange nach dessen Höhenflug entstanden undMfiew mit5 nachhaltigem Einfluß Kants Philosophie alseuieff gesuiiäen, maß vollen Standpunkt dargestellt, den dieHypeitröphie der Späteren verzerrt und per verliert habe.Praglos?existiert eine tief gehende Spannung zwischen KantsKritili und den idealistischen Konzepten seiner Nachfolger.Dem) Initiator der neuen Philosophie wurde es bald un-lieimlicli, alsseine Propheten, die, wie Fichte etwa, in sei-liem Namen auftraten, eine so sehr verschiedene Richtungeinschtügen. Der voll ausgebildete Idealismus Hegels wächstgär? in der bewußten Auseinandersetzung mit Kants kriti-sctäeiu Standpunkt heran, indem er das dort bereits Ange-legte zu vollenden beansprucht. Hegels Dialektik gedachteden letzten Schritt mit der nötigen Entschlossenheit zu tun,an der es Kant noch gemangelt habe. Die Differenz zwi-sehen Kant und den Nachfolgern, auf die spätere Deutun-geffi den Akzent legen, soll keineswegs geleugnet werden.Trotzdem ist es kein Zufall, daß der Idealismus auf KantsDenKrevolution aufbaute. Er konnte sich vielmehr gutenGewissens auf den Begriff autonomer Vernunft berufen.

Das >Idealtstische<

'Wasistnundas>ldealistisclie<am deutschen Idealismus?Der Titet meint mitnichten die überschwengliche, ja blindeParteinahme für Irreales, die der gesunde Menschenverstandgemeinhin als blutleeren Idealismus schmäht. Auf idealisri-scHem Boden gedeiht etwa die Naturphilosophie Schellings,dife im Gegensatz zur subjektivistischen Reduktion derWirklichkeit die aus sich selbst heraus existierende Natur ineineiw geradezu rnaterialistischen Sinne .wieder ms Recht

Einleitung w IS.

setzen will. Die Philosophie Hegels gar, die sicli riickBält-los als idealistisch bekennt, ist getränkt von eiiiem Reaiis«mus, der es mit dem berühmten Wirklichkeitssinu des ÄrilstOteles aufnehmen könnte. Dem schwärmerischen Spinrisie|ren der ZeitgenossenWird radikal abgeschworen, weit dä^Augenmerk sich ganz auf die Substanz des Wirklichen^" clnet. Hegels Idealismus gründet in der Überzeugung, daSeine bloß ausgedachte Philosophie, die der Willkür des Ein-zelnen entspringt, keinen Bestand habe. Philosophie mußauf einem soliden Boden stehen. Nach einem berühmtenHegelschen Diktum ist sie nichts anderes als »ihre Zeit IniGedanken erfaßt«.Der Idealismus trägt seinen Namen, weil Ideen den Schlüs-sei zur Lösung der gestellten Aufgabe liefern, die Vernunft-lehre mit den Evidenzen des Selbstbewußtseins zwingendzu verbinden. Ideen sind der platonischen Definition gemäßrein geistiger Natur und dennoch voller SachbestimmtKeit.Ohne alles Beiwerk offenbaren sie den eigentlichen Gehaltdes jeweiligen Etwas. Sie fordern intellektuelle Auffassungjaber sie vermitteln die Grundaussagen über die Wirkliche"It: Ple IP^ft. zwischen Bewußtsein und Ding am sich^Subjekt und Objekt, schließt sich in der Idee. DerRückgriflauf dieses Modell versprach einen systematisch gangbareirWeg, Philosophie als oberste Wissenschaft zu ihrem'Endezu führen, gerade indem die Reflexion des Ich ernst gewm-men wird. Ideen erlauben, eine Welt zu konstruieren, wenaman nur die Selbstgewißheit des Bewußtseins angemessenbegreift. In diesem Sinne findet sich der alte Anspruch derMetaphysik wiederhergestellt, die alte Gestalt der Meta-physik aber überboten. Das macht den idealistischen CSa-rakter der Philosophie zwischen Kant und Hegel aus.^Matt vergegenwärtige sich ein derartiges Zutrauett. Jme esder Idealismus in die Fähigkeit des reinen Denkens setzteund man begreift auch die maßstabgebende Rolley wdefldie große deutsche Philosophie uns heute immer nocfi? er-.'scheint. Paradigmatisch heißt nämlich nicht das Imitätioris-'

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16^ | v Einleitung

würdige, dem leicht zu entspreclien ist; Als vorbildlich gikvielmekr däs^ Maßstatssetzende, das Förderunge» aufstellt,düss insofern^ änzuerkehrieh sind, als ihnen nicht leicht ge-nugtswerden kann. Die Radikalität, alles auf die Macht derIdeerTzü Setzen und mit den Möglichkeiten unserer Ver-nuiif^ctay Äußerste zu versuchen, erklärt auch ein weiteresKferluliafc des Idealismus, das sein Studium so faszinierendmacKte Man suche ein Kapitel der Philosophiegeschichte,ääsfvou vergleichbarer Energie der Begriffsentfaltung undDictlte der Diskussioa erfüllt ist. Eine erstaunliche Intensi-tat des gedänklichen Austauschs, der produktiven Anregunglind Förtspinnung aufgenommener Intentionen beherrschtdiei zwei knappen Menschenalter, die zwischen KantsHauptwerk, dw Kritik der reinen Vernunft von 1781, undHegels Tod im Jahre 1831 liegen.Schlag auf Schlag folgen einander die Konzepte, ihre Wi-dertegühg und Steigerung. Bevor sie zur Durchführung ge-diehen smd, finden sich die Entwürfe schoit wieder ver-tässea und in neue, noch umfassendere Gedankengebäudeedigegliedert. Dieser Bewegung scheint eine innere Logik zu-gninde'zu liegen. So sehr der philosophische Fortgang vondem durch die Kantische Erkenntniskritifc gesetzten Aus-gangspunkt mit den Namen Reinhold, Fichte, Schelling,Heget und anderen verknüpft ist, so repräsentiert er docheine tiefere Notwendigkeit der Sache. Der deutsche Idealis-tiius Kann nicht bloß doxOgraphisch dargestellt, er will auchalsl eiiie Vernunftgeschichte verständen werden, wo folge-rictltig^ein Entwurf jeweils seine Kritik herausfordert undzwangsläufig auf Verbesserungen drängt.Hegef hat so die Geschichte der neueren Philosophie ge-schrieben, ohne daß matt ihn bloß der Arroganz des Zu-letztgekönürienen verdächtigen dürfte. Was an Selbstuber-Schätzung tatsächlich in Hegels absolutem System, gelegenwäryha.fihria die Reihe seiner Kritiker über Feüerbach biszu Marx vorgerechnet. Die kritische Nachfolge Hegels be-

Weistsa indes im nachhinein die Berechtigung, Philosophie-

Emteitung : IX.

geschichte statt als kontingehte Folge von Aut oren und Bu-'

ehern vielmehr im I-ichte notwendiger Gectän&eflerifwicK-^lung zu interpreuerett. Die Kritiker setzen nämlicK die Linifteiner solchen Vernunftgeschichte weiter fort, indem sie?sicKbei aller Abwendung von idealistischen Systemen döckäu£die rationale Unvermeidlichkeit des nächsten Schrittes be-rufen. Einig ist sich die nachhegelsche Philosophie in derlErwartung des aus einsichtigen Gründen historisch anstehen-1den Umschlags der absoluten Theorie in die weltverän-1dernde Praxis.

Eine wesentliche Voraussetzung, beim Idealismus philoso-phisch in die Schule zu gehen, besteht in der Erkenntnis der-Konsequenz seiner immanenten gedanklichen Entwicklungdie bis in die materialistische und praxisbezogene Idealistmuskritik des 19. Jahrhunderts hinein weiterreicHN DieStärke dieser Philosophie liegt nicht sosehr in denr einen'oder ändern vollendeten System, der harmoniscKen Bewäl-tigung aller Inhalte oder der Deduktion allen vei-RigbärettWissens aus einem bestimmten Prinzip. Es geht nicht üttteine dogmatische Entscheidung Rir oder gegen Kants Kriti-1zismus, Fichtes Wissenschaftslehre, SchellingS Identitats-phüosophie oder Hegels absolute Dialektik. Esgeht auchnicht um das letztgültige Abwägen von Recht und Unrechtder einen Position gegen eine andere. Man hat einer Där-Stellung des Idealismus, wie sie das bekannte Buch R; Kro-ners Von Kant bis //ege/unternimmt, gelegentlich voi-ge-warfen, über dem teleologischen Duktus des Ganzen, der'Hegel imitiere, gehe die Eigenständigkeit der Autoren ver»loren. In der Tat hat die historische Forschung gelernt, Meund da Akzente anders zu setzen und im Rahmen des Relä-tiven auch Korrekturen vorzunehmen. Doch liegtii (ier.größtmöglichen Annäherung an historische Treue Iiichc dasphilosophische Interesse am Idealismus.Wenn man sich an einer schönen» allerdings vergangenenWeltansicht nicht bloß erbauen will, muß man den Blicfschärfen für die innere Triebkraft dieser unvergleichlicKew

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18 '. Einleitung

Denkbewegung. Die immer noch spürbare Wirksam&eit deridealistischea Philosophie geht von der Idee des sich zur \^bstan(iigKei^Jiex^arb^M4 -^n!11^ aus» das

^

die |-1 ̂ ra?t|er;Bdrbt[3^ne Begrenzungen und so j. t seuiea Horizont Schritt für Schritt erweitert. Es ist dies Mo- ;! rnentEur dea Tradition des Idealismus, das auch das gegen- \

wartige Nachdenken, wo es nicht in Sparten oder Schulen jerstarrt ist,! unvermindert zu inspirieren vermag. So viel seigesagt, um das Gesamtbild der Epoche zu profilieren. ^

/n^äfißc^'^rdgeni::;,:;';:'': ..'..:';':;':''^^ :

'WeIcKe inhaltlichen Einsichten verdanken wir dem Idealis- ;mus> Das. Tor, das der klassischen deutschen Philosophie :dw ganze Breite ihres thematischen Spektrums öffnete, war Jder Versuch, die Einheit von Subjekt und Objekt zu den- ;Ken. 'Damit antwortete der Idealismus auf die schon er- ;wähnte Probtemlage der neuzeitlichen Philosophie. Nichts -dergleicKen hatte Je im Blickfeld der antiken Kosmologie ;gestanden. Die Säkularisierung christlicher Vorstellungen ;ließ ein in die Innerlichkeit seines, Bewußtseins Verwiesenes ;Subjekt zurück, dem die Welt als die Sphäre der Objekte ;fremd gegenübertrat. Alle Bemühung'aber, auf der Ebene ^desi. Subjekt-Objekt-Verhältnisses Einheit zu stiften, muß ;scheitern, da die Entgegensetzung, die jenes Verhältnis cha- ;rakterisierf, unbemerkt beibehalten wird. Solange das Ob- ;jeKl das Subjekt definiert ode&das Subjekt das Objekt, :kann. keina Seite sich. und die ändere zugleich umfassen. \Eine SyntKese gelingt daher erst im Namen der Vernunft, |oBwbhfi die reinen Vernunftansprüche sich nicht mehr un- ^

abhängig vom gegebenen Subjekt-Objekt-Verhältnis for- ;mülieren lassen. Der Rekurs auf die Vernunft selber erlaubt,die Einheit von Subjekt und Objekt herzustellen, insofern ^vernünftig, angesehen der Gegensatz keinen Bestand mehr ;UäW.(^:^:. '^ii. :^;.. :^;. '.^v:':. :^^'^ _ . . .Die Einheit zeigt freilich viele Gesichter. Sie kann im Feld \

Einlettiing ,. : 19

der Erkenritnistheörie, der praKtiscKen und der politisctienPhilosophie, der Ästhetik; der Philosophie der Natüp üiidGeschichte aufgesucht werden. Bei aller Verschiedenartigekeit der Untersuchungsgegenstände enthüllen sie dem philo-sophischen Auge eine ähnliche Physiognomie. Die systeniä-tischen Leistungen der idealistischen Philosophie erklareirsich daher aus dem planmäßigen Verfolgen derselben Sti-uK-turen in den differentesten Sachgebieten. Immer wieder nettund immer wieder anders läßt sich ein durchgängiges Priffi-zip erkennen.Der Prozeß des Wiedererfcennens schafft den Zusämmen-halt der idealistischen Systeme, denn er verleiht ihneii iniDurchlauf durch die einzelnen Teile die runde AbgeSchlos-senheit. Ist doch das durch die Sachgebiete hindurcK ver-folgte Prinzip letztlich das des Philosophierens selber. Inder Fülle ihrer Themen kommt mithin die philosophisc&eVernunft auch zu sich. Die systematische Breite und-dleGeschlossenheit des Ganzen haben denselben Ursprung.;Wer so redet, sieht sich leicht dem Einwand ausgesetzt, 'der.fugenlose Zusammenhalt des Ganzen werde offen&ündig'durch die Einebnung der Differenzen erkauft. Alte InKälfeseien auf einer derartigen Abstraktionsstufe behandelt, daßsie ohnehin gleich aussähen. Aus dem unterschiedslosea'Grau-in-Grau vermöchte eine geschickte Rhetorik wohl einumfassendes Weltsystem zu zaubern. Dieser Einwand istschon früh laut geworden und verdient ernst genommen zuwerden.

Zunächst muß man sehen, welche Wichtigkeft die PhilosO-phie seit Kants Kritik den selbständigen Wissenschafteirbeimaß und mit welcher Energie die Philosophen sicK illfeverfügbaren Kenntnisse aneigneten. Schelling war durchausauf der Höhe seiner Zeit, was die Materialien angeht, dieer Rir seine Naturphilosophie brauchte. Kants und FicBtesRechtsphilosophie spiegeln Vertrautheit mit deim Lehr-^bestand der Jurisprudenz. Hegel war ein in sa vielen Ge-^bieten bewanderter Kopf, wie es vielleicht seit dero Uni-?

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versatgenie teibniz in der PhildsophiegeschicHte kaum einengegeben hätte. Die Hegelsche Enzyklopädie steht also aufreche soliden wissenschaftlichen Beinen. Eine Zeitbedingt-Keitder philosophisch reflektierten Forschungsergebnisse,die it Abstand'deutlich auffällt, gereicht den Idealistenfreilich kaum Zum Vorwurf.Die oft kolpörtierte Vorstellung von den Begriffskünstlern,die sich bloß auf ihre Abstraktionstalente verlassen und umdeii Fortschritt anderer Disziplinen nicht scheren, wird manverabschieden müssen. Im Gegenteil, die systematischen Ent-würfe überzeugen in vielen Stücken durch Reichtum anMaterial und durch eine größere Nähe zu den Gegenstän-äem als die methodisch gebrochene Optik der Einzelwis-senschaftett mitunter zuläßt. Gewisse Fächer verdankensogar der philosophischen Analyse fruchtbare Anregung fürdie eigne Arbeit, wie beispielsweise der Einfluß der Hegel-sehen-Ästhetik auf die Kunstwissenschaften beweist. ImGründe genommen drückt der Zweifel an der Zuständig-keit systematischer Philosophie für die verschiedenen Wis-sensgebiete die prinzipielle Auseinandersetzung zwischenPliilösöphie und Wissenschaft aus, die im 19. Jahrhundertnach der idealistischen Epoche erst in voller Schärfe ent-Bränht ist und heute zugunsten der Wissenschaften entschie-dea zu seire scheint. Diesen Hintergrund sollte man sichIjewußt machen, um die systematische Integrauonsleistungidealistischer Philosophie unbefangener zu beurteilen,Am besten prüft man den Sachgehalt der philosophischenAussagen, die der Idealismus in bezug auf den außerphilo-sbphischen Wissensstand wagen konnte, an der Tragfähig-keit der Problemlösungen angesichts gegenwärtiger Debat-ten. Uns trennen nahezu zwei Jahrhunderte vom Anfangdes Idealismus und anderthalb Jahrhunderte von seinemEnde. Ist nicht die philosophische Situation eine ganz an-dera und haben nicht die Fortschritte der Wissenschaftendie Kapazität des philosophischen Begreifens vollends über-stiegen?-Die Frage geht allerdings über die oben genannten

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Gesichtspunkte allgemeiner philosophischer Selbstverstän-digung am Modell des Idealismus hinaus und zielt, aufinhaltliche Vorschläge. Nun ist es eine bekannte hermeneü-itische Tatsache, daß jedes Zeitalter aus dem Erbe der Vei-gangenheit gerade das auswählt, was den eignen Bediirf-nissen entspricht. So ließe sich an der ihrerseits schon hisfo-nsch interprerierbaren Wirkungsgeschichte des Idealismusablesen, auf welche Teile des klassischen Kanons die ver-schiedenen Zeitalter besonders empfindlich reagierten. DatStudium der Relativität wechselnder Aktualisierungen läßtVorsicht geraten erscheinen. Definitive Auskünfte darüber,was nach einem Wort Croces tot und was lebendig sei ämiIdealismus, sind allemal überholt worden. Trotzdem sollder Frage nicht ausgewichen werden.Die geringsten Aussichten, jemals wieder erneuert zwwei--des, durfte das Programm eines enzyklopädischen Systems ials solches haben, das auf totale Assimilation allen Wissenddrängt. Die explosionsartige Vermehrung und Anreicherüng'der Emzelwissenschaften in den letzten hundert Jahren hatdem Ziel einer philosophischen Durchdringung des gesam-ten Stoffes unüberwindliche Barrieren in den Weg gestellt.Davon bleiben aber Schwerpunkte des systematischen Phi-losophierens unberührt, die sich aus der Idee der Vernunft- 'bestimmten Einheit von Subjekt und Objekt im einzelneaergeben. Vor allem hat die Intention, Theorie und Praxisaus einer Wurzel zu erklären, ihre Unverzichtbarkeit er-wiesen. Das zeigen die Anstrengungen zur Begründung einerrationalen Ethik ebenso wie die auf Interessen rekurrieren-den Analysen wissenschaftlichen Tuns. Die Theorien derpolitisch-geschichtlichen Welt können sich vom ideälisti-sehen Erbe ohnehin nicht frei machen, denn von dort stammt'recht eigentlich die Formulierung zentraler Probleme SeyPolitischen und Historischen. Die Geistes- und Sozialwis-senschaften sind ohne das Fundament, das die klässiscKePhilosophie gelegt hat, kaum denkbar. Doch hat aücll dieau der Naturwissenschaft orientierte Erkenntnis- und Wis-

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senscliaftsttieÖrie auf die Einsicht der subjektiven Konstitu-r&rtheit des Forschungsgegenstandes nicht so endgültig ver-ziehten könneff, wie die positivistische Schule es zeitweiligsüggerierte. Die Dialektik in ihrer Methodenrolle ist unver-lierBärer Besitz der philosophischen Diskussion. Nachdemdie^ Sprächphilosophie den Nominalismus überwunden bat,Können idealistisch geprägte Deutungen der Sprache neuerwogen werden. Die Ästhetik bewegt sich nicht zu ihremScfiäde» großenteils in den von Kant und Schiller, Schel-tilig und Hegel abgesteckten Bahnen. Ein anderes Bildungs-ideal als das vom Idealismus geschaffene und an die Erzie-Ktirigsiristitutiöhen weitergereichte ist in Wahrheit bislanglilcKt bekannf. - Diese Liste könnte fortgesetzt werden undwirtf ohfle Zweifel im Laufe der Zeit sich anders darstellen.Einige? wichtige Problemstellungen, in denen idealistischesGedähKerigut im gegenwärtigen Philosophieren weiterlebt,nennt sie jedenfalls beim Namen.

Die Phitosöpfj ie in ihrer Zeit

Treten wirnach dem Eingehen auf Inlialtliche Fragen nocheinmalzurücfc, um einen Blick auf die große deutsche Phi-lösöphie als historische Erscheinung in ihrer Epoche zu -wer-feül'Es kann den Eindruck der denkerischen Leistung nurSteigern, wenn man sich vor Augen führt, unter welchen ge-schichtlichen Bedingungen diese Philosophie in Gang kam.Das geistige Klima in Deutschland war durchweg provin-zlellr das intellektuelle Leben gegenüber dem westlichenEuropa rückständig. Der deutschen Kleinstaaterei mangelteeui Zentrum, wie es etwa Paris seit dem 17. und 18-Jahr-hundert fiir die Künste und Wissenschaften in Frankreichdarstellte.So begann Kant im fernen Königsberg gleichsam aus demNichts, ats er nach langer Vorbereitungszeit im reifen Alterseinem Vernunftkritik dem Publikum vorstellte. Gewiß hattees|iu Deutschland eine Schulphilosophie' gegeben. Kant

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knüpfte denn auch termihologisch und thematisch an Cliri-suan Wolff (1679-1754) und Alexander Baumgarten (1714'bis 1762) an. In ihrer Substanz war aber die kanüsche Tran-szendentalphilosophie etwas völlig Neues und Urierhörtes»Sie wurde allenthalben als kopernikanische Wende empfun-'den. Die geistigen Funken, die von dieser Philosophie ausgiri-gen, zündeten an vielen Stellen und veränderten alsbald dasallgemeüle Bewußtsein. Aber der Einßuß der käntiscKenPhilosophie, so unwiderstehlich sie auf die kommendenJahrzehnte auch wirken sollte, setzte doch sporadlsch ein:bei dem entsprungenen Jesuitenzögling und ehemaligen Fi-ei-.maurer Karl Leonhard Reinhold (1758-1823) in Wien, bei.dem polnischen Juden von ahasverischem BildungsgängeSalomon Maimon (1754-1800), bei dem Sohn armer. Leuteund Stipendiaten der sächsischen Fürstenschule-JohannGottlieb Fichte, schließlich bei den jungen Feuerköpfewdestraditionsbewußten evangelisch-theologischen Stifts in Tii-hingen mit Namen Schelling, Hölderlin, Hegel. Das natio-nale Forum, auf dem eine Philosophie auftreten und Wir-kungen entfachen konnte, existierte noch kaum. Es bildetesich erst im Zuge der Entwicklung des Idealismus, und zwarsehr geschwind. In wenigen Jahren kam eine allgemeinephilosophische Debatte zum Durchbruch, die lange gehüteteTrennlinien überwand, in der bestimmte Begriffe Ällgemein-gut wurden, Themen von anerkannter Dringlichkem dieGemüter der Beteiligten bewegten und jeder selbständigeKopf es eilig hatte, an den neuesten Fortschritten desmenschlichen Geistes teilzunehmen.Eine besondere Ermutigung erfuhr die intellektuelle Revolü-tion in Deutschland durch die Beobachtung der politlscKehRevolution in Frankreich. Für Fichte und die TübingerStiftler stand außer Frage, daß man im Reiche des Ge-dankens an einer für die gesamte Menschheit entscHeideri-den Veränderung teilnehme. Die politischen und gesell-schaftlichen Fernwirkungen, die vom Idealismus über diejunghegelianischen Kritiker und den Marxismus bis in die

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Gegenwart ausgehen, habe diese Seltisteinschätzüngfeestä-tigK Es bildete sich freilich damals auch ein Motiv aus, dasinjderpöstidealistischen Epoche nach dem Tode Hegelserneute Belebung erfuKri und seither weifergereicht wird.Die Deutschen, so heißt es, machten ihre Revolution nur imKopfe. Die Kraff des Gedankens, der bloß Gedanke bliebe,ofiiie W die Tat umgesetzt zu werden, vertrage sich bestensmit reaktionären Verhältnissen in der politischen Wirklich-keiteTatsächlich sind die äußeren Zeitläufte dem Idealismusnicht gerade hold gewesen. Fichtes affirmarive Schriften, inäeneiter die Französische Revolution begrüßte und recht-fertigte, mußten 1792/93 anonym erscheinen. »Heliopolis,u»: leczfen Jahre der alten Finsternis«, steht auf dem Titel-blattfti 'Wenige Jahre später zieht der inzwischen wohlbe-stallte Philosophieprofessor in Jena den Verdacht auf sich,seine Wissenschaftslehre des absoluten Ich sei in WahrheitAtheismus. Dieser öffentliche Skandal führt zum zeitweili-geu Rückzug Fichtes vom Katheder, wo er erfolgreich aufjunge Studenten gewirkt hatte. Zu seinen Verehrern zähltenauch die aufsässigen Theologiestudenten aus Tübingen, dieilirec Freiheitsbegeisterung nur im Schütze eines Freund-scKaftsbundes frönen konnten. Die Stiftsteitung beobach-tete mißtrauisch alle Regungen der Sympathie mit den re-'volutionaren Vorgängen jenseits des Rheins. In dieser At-i-nospKäre entstehen die frühen Entwürfe von SchellingUnd Hegel. Die Hoffnung auf grundlegenden Wandel derVerhältnisse steht im krassen Gegensatz zur historischenRealität der deutschen Zersplitterung. Der Kontrast bleibttypiscK.Über ein Jahrzehnt Später heißt Hegel 1806 bei derAbfas-süiig seines ersten Hauptwerks, der Phänomenologie des Gei-stes, den fremden Okkupator Napoleon, der in Jena ein-marschiert, als Erneueret- willkommen, weil er zwanghaftund von außen dem nötigen Fortschritt in Deutschland dieSaKri breche. Für kurze Zeit schlägt in der Aufbruchstim-

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mung der FreiKeitskriege dem Idealismus sodann eine giitt-stigere Stunde. Auf die Neugründung der Berliner Universi-'tat (1809) etwa nehmen Ideen der zeitgenössischen Philo-sophie entscheidenden Einfluß. Aber nicht lange dahacltschlägt das Klima wieder um. Nach den Karlsbader Be-Schlüssen (1819) ist Hegel genötigt, mit Rücksicht äu^ dieZensur an der liberalen Substanz seiner Rechtsphilosophieeinige Veränderungen vorzunehmen, um 1821 die PubliKä-tion zu ermöglichen. Als ideologische Verherrlichung derpreußischen Monarchie durch den offiziellen Hofphilöso-phen ist das Buch von seinen Kritikern daraufhin geschmäUtworden.

Mit Hegels Tod setzte eine Spaltung seiner Schule ein, iiider sich die Wirkung externer politischer Faktoren deutlichniederschlug. Das Eindringen der Tagespolitik zeigte unaK-weisbar das Ende philosophischer Selbstgewißheit an. Diesogenannten Rechtshegelianer machten ihren Frieden mitden Mächten von Staat und Kirche, während die Links-hegelianer in ständigem Streit mit der Obrigkeit lagen. DieLinke war die historisch einflußreichere Fraktion. Sie faßtePhilosophie im Prinzip als Kritik am Bestehenden auft undhat planmäßig den in dieser Auseinandersetzung parteilosenGedanken als Verrat des Geistes verschrien. Marx. ruftschließlich zur revolutionären Veränderung in der Praxisauf, womit er die Sphäre der reinen Theorie ein Rir allemalhinter sich läßt. Dieser Entschluß macht vollends deutlich,daß die Wege der Politik und des idealistischen Denkensnicht in Übereinstimmung, sondern eher in Opposition ver-laufen sind.

Ende und Fortwirkung

Zu jener Zeit kommt die Rede vom Züsammenbrucli desIdealismus auf. Die Realisierung der idealistischen Ihten-tionen in der Philosophie Hegels, die die Forderung wahrerWissenschaft aus Vernunft allein in einem enzyklopädisclien^

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SysterireinzulÖseffibeKäuptefe,! erschien plötzlich, als einSchein. Eine pauschale Desillusionierung hinsichtlich derphilosophischen Potenz war die Folge. Das nachdrücklichertioBene. Postulat! eiries Engagements der Theorie in derhistörisctien Praxis reduzierte den Weltgeist auf den Philo-sop&ieprofessor mit seinen realpolitischen Anpassungsnoten.Beliebt wurde der Spott auf den Idealismus als die gefähr-ließe Hybris von Kathedergötzen.Neben der praktisch gesonnenen Ab-wendüng vom Glaubenaffi die Gültigkeit idealistischer Philosophie waren es dieniässive Überzeugungskraft und Breitenwirkung der natur-wissenschaftlichen Fortschritte, die Zweifel säten an demwaghalsigen Unternehmen absoluter Spekulation. BesondersdieEmpirieferne und Metaphorik der idealistischen Natur-Philosophie schien nun einen grundlegenden Einwand gegenden Wissenschaftsanspruch der Philosophie zu liefern. WasWissenschaft heißt, bestimmen seither die Naturwissenschaf-ten. Ihreni positivistischen Credo soll das Denken sich fu-gen; wenn es überhaupt eine Oberlebenschance besitzen will.Die Philosophie, die mit allem Bedacht von den szientifi-sehen Gegebenheiten ausgeht, heißt Wissenschaftstheorie.Die Wissenschaftstheorie entsteht ebenso wie die Indienst-hatlme der Philosophie für Praxis und Leben um die Mittedes^j 19. Jahrhunderts in klarer Frontstellung gegen denIdealismus. Die Fraktionierung hat bis heute Schule ge-macht, und die beiden damals ausgebildeten Positionen lie-fern unverändert noch die wesentlichen Stichworte derIdealismuskritik.Gleichwohl scheint das Ende der idealistischen Philosophiezu früh ausgerufen zu sein. Im nachhinein zeigt sich näm-lich deutlicher als in der Situation unmittelbarer Polemik,daß die beiden Hauptströmungen, die im 19. Jahrhundertan die Stelle der klassischen Philosophie gerückt sind, vonÜberlegungen gespeist werden, die im Schöße jener Philo-söphie entstanden sind. Das Praxispostulat einerseits ver-längen» den allumfassenden Anspruch des Hegelschen Sy-

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Sterns über die bloße Theorie hinaus. Die letzte Schran&e'muß falten, damit tätiger Ernst aus den Thesen der Systemewerde. Im Schritt über die idealistische Philosophie hinaufwirkt deren Vollendungsideal noch als Motiv nach.Andererseits bringt die Besinnung auf die von Plülosophie'unabhängige Erkenntnis der empirischen Wissenschafteneine Prämisse wieder zur Geltung, die den Ursprung der.ganzen Richtung in Kants Vernunftkritik kennzeichnete. Im'gleichen Maße, wie der Idealismus seiner absoluten Gestaltentgegenstrebte, war die Orientierung an den Wissenschaften'in den Hintergrund getreten. Um die richtige Gewichturigvon Vernunftkritik und spekulativer Dialektik geht alsoder Streit. Es ist in gewissem Sinne ein Streit zwischen Kantund Hegel, der überall dort ausgetragen wird, wo im Ge-genzug gegen den absoluten Gestus des reinen Gedankensdas philosophische Augenmerk den konkreten Wissenschaf-ten zugewandt wird. Der Schritt über den Idealismus hin-aus kann also gedeutet werden als Schritt zurück zu denAnfängen.Die untergründige Fortzeugung von Elementen des Idealis-mus auch nach seiner offiziellen Herrschaft und sogar inden Argumentationsformen seiner Bestreitung beweist die^nicht ausgeschöpfte Fruchtbarkeit der dort entwickeltenIdeen. Es hat daher einen nicht bloß äußerlichen Sinn, wenndie Folgezeit von der Philosophiegeschichte mitunter alspostidealistische Epoche eingestuft wird. In vieler Hinsichtbefindet sich das Philosophieren durchaus noch im Banrie-jenes eindrucksvollen Vorbildes.