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18 Natürlich | 7-2007 Für die einen ist Cannabis reines Teufelszeug, für die andern nichts als eine geniale Nutzpflanze. Tatsache ist: Hanf dient seit Tausenden von Jahren als vielseitiger Rohstoff und als Heilmittel – und die Emmentaler Bauern stopften mit ihm ihr Sonntagspfeifchen. Text: Marion Kaden Chrüteregge GESUNDHEIT Hanf – zum Kiffen

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Für die einen ist Cannabis reines Teufelszeug, für die andern nichts als eine

geniale Nutzpflanze. Tatsache ist: Hanf dient seit Tausenden von Jahren

als vielseitiger Rohstoff und als Heilmittel – und die Emmentaler

Bauern stopften mit ihm ihr Sonntagspfeifchen.

Text: Marion Kaden

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Hanf – zum Kiffen

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Hanf (Cannabis sativa) ist eineder ältesten Kulturpflanzen derWelt. Ursprünglich stammt sieaus Vorder- und Mittelasien. Von

dort aus trat die robuste Pflanze ihren Sie-geszug um die ganze Welt an, denn ähn-lich wie der auch als Flachs bekannte Lein(Linum usitatissimum) ist sie vielseitigeinsetzbar. Hanf kann als Viehfutter ver-wendet werden, die Samen geben energie-reiches Öl, die Fasern der Pflanze sindRohstoff für die Herstellung von Seilen,Segeln und Kleidungsstücken. Und – Hanfist auch eine Heilpflanze.

Die erste schriftliche Dokumentationüber ihre Heilwirkungen soll aus demfrühen China stammen. Shen Nung ausder Shang-Zeit (2700 vor Christus) emp-fiehlt darin die Anwendungen von Canna-bisharz bei Frauenkrankheiten, Gichtoder Rheumatismus. Doch solche tradier-ten Aussagen sind nur unter Vorbehalt zubetrachten. Nicht nur, weil das Krank-heitsverständnis damals ein völlig anderesals heute war, sondern auch, weil dieKrankheitsbeschreibung, die Vorstellun-gen von ihrer Entstehung oder die Hei-lung kaum mit heutigen Konzepten ver-gleichbar sind.

Gotthelfs SonntagspfeifchenIm Europa der letzten Jahrhunderte warHanf eine weitverbreitete und beliebteNutzpflanze. In Pierers Lexikon von 1849ist zu lesen: «Aus dem Bast des Stängelswerden Seilerwaaren und sehr feste Lein-wand bereitet. Der Samen dient in denOfficinen zu Bereitung von Emulsionen,auch Fomentationen und Klystieren, undwird auch zur Fütterung verschiedenerSingvögel und zur Bereitung eines gelben,geschmacklosen, leicht gerinnenden Ölsbenutzt. Das Kraut ist narkotisch undwird von den Orientalen zu Bereitung be-rauschender Getränke auch als Rauch-und Kaumittel, angewendet».

Worüber sich die Autoren des Lexi-kons elegant ausschweigen, ist, dass Can-nabis auch in Europa als Rauschmittel

verwendet wurde. In Romanen und Er-zählungen sind zahllose Beispiele vonder Nutzung als Droge zu finden. So be-schrieb der Schweizer Heimatschriftstel-ler Jeremias Gotthelf (1797 bis 1854) dasLeben der Emmentaler Bauern des 19.Jahrhunderts. Dazu gehörte durchausauch der Genuss eines «Sonntagspfeif-chens», dessen Füllung aus getrockne-tem Hanf bestand. Auch Wilhelm BuschsLehrer Lempel frönte diesem Vergnügen.Er entspannte sich nach dem anstrengen-den Schultag bei seiner allabendlichen«Knasterpfeife», wie eine mit Hanf ge-stopfte Pfeife in Deutschland genanntwurde.

Industrielle Revolutionverdrängt HanfDer Nutzpflanze wurde durch die indus-trielle Revolution im 19. Jahrhundert einrasches Ende bereitet. Mit der Einführungder Dampfschifffahrt ab dem Beginn des19. Jahrhunderts sank der Hanfbedarffür Segel und Tauwerk zunehmend. Im20. Jahrhundert machten teilweise odervollständig synthetisch hergestellte FasernHanf als Rohstofflieferant für Seile, Segeloder Textilien in vielen Ländern überflüs-sig. Die Kunststoffseile oder -garne warenelastischer, reissfester oder witterungs-beständiger. Und bei der Erzeugung vonÖlen, Lacken oder Brennstoffen wurde

Hanf schliesslich durch erdölbasierte Pro-dukte ersetzt.

Hippies kommen auf den TripErneut zum Thema wurde die Pflanze vorrund 40 Jahren – jedoch nicht als Roh-stoff, sondern als Droge: Die amerikani-schen «Hippies» holten Cannabis aus derVersenkung und machten Cannabis als«leichte» Droge für viele Gesellschafts-schichten wieder salonfähig. Die dadurchbedingten Probleme wie Anstieg des Dro-genkonsums insgesamt, Folgeerkrankun-gen oder hohes psychisches Suchtpoten-zial führten über die Drogengesetzgebungder meisten Länder allmählich zur Geneh-migungspflicht auch des kommerziellenAnbaus von Hanf als Faser- oder Ölliefe-rant. Seither wird über Anbau und Nut-zung der Pflanze dauerhaft kontroversdiskutiert.

Hanf-Befürworter bemühen sich umdas Image der Pflanze insgesamt. Sie ver-weisen beispielsweise auf den hohen öko-nomischen Nutzwert von Hanf als schnellnachwachsendem Rohstoff mit zusätzli-chen ökologischen Vorteilen. Aus einemspeziell gezüchteten Faserhanf mit seinenlangen, ligninhaltigen Sklerenchymfasernlassen sich zum Beispiel strapazierfähigeTextilien oder Verbundmaterialien auchfür die Autoindustrie herstellen. EbensoDichtungs- und Baumaterial, Papier oder

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Hanf – aus rein botanischer SichtHanf gehört zur Familie der Hanfgewächse(Cannabaceae) und kann weltweit in tropi-schen wie auch gemässigten Klimazonenangebaut werden. Die Pflanze wächst schnellund erreicht eine Höhe bis zu drei Metern.Sie gilt als bodenverbessernd und benötigtim Gegensatz zu anderen Kulturpflanzenwenig Dünger. Hanf ist zweihäusig – es gibt also männlicheund weibliche Pflanzen. Die weiblichenPflanzen sind stärker verzweigt als die

männlichen. Die Blüten stehen in den Ach-seln kleiner Blätter, aus denen sich nach derBefruchtung kleine Nüsschen entwickeln.Die Blüten der männlichen Pflanzen ent-wickeln sich schneller als die weiblichenund werden in endständigen dichten Rispengetragen. Die Hanfblätter sind an den charakteristischtief handspaltig aufgeteilten Blättern zuerkennen, deren Ränder gesägt sind. DieStängel sind kantig und hohl.

zu schade

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zur Gewinnung von Treibstoffen als Alter-native zum begrenzten Rohstoff Erdöl. Diemeisten Produkte füllen bislang jedochnur kleine Nischen oder finden Absatz beiüberzeugten Konsumenten.

Pflanzentypen mit und ohne WirkstoffDie Hanfpflanze hat viele verschiedeneVarietäten. Alle Varietäten ähneln sich,doch Verteilung und Menge der psy-chotropen Inhaltsstoffe variieren zumTeil erheblich, besonders gilt dies für denHauptwirkstoff Tetrahydrocannabinol,kurz THC. Es wird angenommen, dassdie Varietäten durch geografische Rassen,Kultur und Chemovarietäten bestimmtwerden. Grundsätzlich wird heute zwi-schen dem Cannabis-Typ (THC-Gehalt 1bis 15 Prozent) und dem Fasertyp (THC-Gehalt unter 1,25 Prozent) unterschie-den. Wissenschaftler haben bei der gutuntersuchten Pflanze bisher 400 ver-schiedene Inhaltsstoffe isoliert, davon al-leine 60 Cannabinoide, ätherische Öle,Phenole, Harze und Flavonoide.

Cannabis passt zu KörperzellenWie beim Opium und bei seinen chemi-schen Abkömmlingen wuchs in den ver-

gangenen Jahrzehnten auch bei Cannabisdie Einsicht, dass die Hanf-Cannabinoideihre Botenstoffwirkungen über im Körpervorhandene, genau passende Zellorganel-len vermitteln, die sogenannten Cannabi-noid-Rezeptoren.

Dieses physiologische Signalübermitt-lungs-System hat körpereigene Aufgaben,die nichts mit dem Haschisch-Konsum zutun haben. Das endogene Cannabinoid-System ist unter anderem an der Gedächt-nisleistung, der Schmerzleitung sowie der

Schmerzhemmung, Appetitkontrolle, Re-gulation des Brechzentrums oder an derImmunmodulation beteiligt. Neuere For-schungen lassen vermuten, dass das Endo-cannabinoid-System auch an der Kont-rolle des Energiegleichgewichts, dem Ab-bau von Zucker und Fetten sowie für dieRegulation des Körpergewichts verant-wortlich ist.

Hanf als MedikamentDas US-amerikanische Institute of Medi-cine publizierte 1999 unter dem Titel«Marijuana and Medicine: Assessing theScience Base» die bisher umfassendsteÜbersicht über wissenschaftliche Erkennt-nisse hinsichtlich des möglichen medi-zinischen Nutzens von Cannabis. DieAutoren sehen es sogar als sinnvoll an,den Nutzen von Cannabinoiden in derSchmerzbehandlung, bei durch Chemo-therapie ausgelöster Übelkeit, bei Man-gelernährung, der Auszehrung bei Aidsund Krebs oder zur Verringerung vonMuskel-Dauerverkrampfungen weiter zuuntersuchen.

Der Bericht wurde im deutschspra-chigen Wissenschaftsraum kaum wahr-genommen, nicht zuletzt wegen unge-klärter rechtlicher Rahmenbedingungen.Eine im Auftrag des deutschen Gesund-heitsministeriums durchgeführte Prü-fung der medizinisch-wissenschaftlichenErkenntnisse in Hinsicht auf Wirksam-keit und Nutzen/Risiko-Abwägung kam2003 zum Schluss, dass «…Nachteile

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Hanf – und die DrogenwirkungTrotz der weltweiten Drogenkonsum-Verbotegehört Cannabis zur meist genutzten Drogeweltweit. Laut Schätzungen der Weltgesund-heitsorganisation WHO nehmen etwa147 Millionen Menschen (2,5 Prozent derWeltbevölkerung) Cannabis, das auch alsMarihuana (Gras, Pot, Heu, Kif ) oderHaschisch (Hasch, Shit) bekannt ist. Marihuana besteht aus den harzhaltigenTriebspitzen der weiblichen Pflanzen,Haschisch wird aus dem Harz der weiblichenPflanzen gewonnen. Beide Zubereitungenkönnen als halluzinogene Rauschmittelgegessen (Gebäck, Konfekt), getrunken(als Tee), geraucht oder geschnupft werden. Die Wirkungen sind dosisabhängig undreichen – je grösser die eingenommeneMenge – von leichter Euphorie bis hin zuSprach- und Gedächtnisstörungen. Eine

spürbare Drogenwirkung setzt bereits beietwa 50 Millionstel Gramm THC ein. Noch24 Stunden nach Cannabiskonsum ist dieSehfähigkeit im Dunkeln vermindert, dieFahrtüchtigkeit eingeschränkt und das Herz-infarktrisiko erhöht. THC löst keine körperliche, sehr wohl aberpsychische Abhängigkeit aus. ExzessiverMissbrauch oder chronische Dauernutzungführen zum Abbau körperlicher und geistigerLeistungsfähigkeit, zu Interesselosigkeit,Apathie oder psychischem Verfall. Weitere Auswirkungen: Das Schizophrenie-Risiko steigt, das erbgutschädigende Poten-zial kann zu Fehlbildungen der Nachkommenführen. Und entgegen allen anders lautendenBehauptungen: Im Vergleich zu Tabak istdas Lungenkrebs-Risiko beim Rauchen vonHanf erheblich gesteigert.

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Voll im Wind: Die Takelage stolzer Segler war früher aus Hanfseilen gefertigt

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und Risiken des Einsatzes von Cannabi-noiden zu medizinischen Zwecken einenetwaigen Nutzen bei Weitem überwie-gen.»

Cannabis und seine Heilwirkung• Schmerzen: Bei etlichen Erkrankungenkönnen moderne hochwirksame Schmerz-mittel versagen. Und zwar besondersdann, wenn der Schmerz seinen Ursprungim zentralen Nervensystem hat, was bei-spielsweise bei Multipler Sklerose (MS)der Fall ist. In Kanada ist derzeit ein Can-nabinoid-Präparat für die Anwendung beisolchen Schmerzen durch MS zugelassen.Ob es in Europa auf den Markt kommt,ist allerdings fraglich. • Krämpfe: Cannabinoide haben krampf-lösende Eigenschaften und können des-halb bei Krankheiten sinnvoll sein, diemit dauerhaft erhöhter MuskelspannungSpastik) einhergehen. Eine hiervon istdie fortgeschrittene MS.

Auch beim Tourette-Syndrom, dasmit plötzlichen, unwillkürlichen Muskel-zuckungen einhergeht, konnte in einigenStudien eine Beschwerdebesserung durchCannabinoide erreicht werden.• Appetitlosigkeit: Bei zahlreichen Er-krankungen könnte die Steigerung desAppetits durch Cannabinoide zu einerVerbesserung des Allgemeinzustandesführen, beispielsweise bei Aids, bei Tumor-erkrankungen oder Ess-Störungen. • Erbrechen: Moderne schulmedizinischeKrebsbehandlungen, vor allem Strahlen-oder Chemotherapien, haben ausgeprägteNebenwirkungen. Übelkeit, Brechreiz undErbrechen stehen von der Beschwerde-stärke im Vordergrund. Cannabinoidekönnen diese Nebenwirkungen lindern,unter Umständen aber auch den Therapie-erfolg einschränken.• Immunsystem: Cannabinoide beeinflus-sen fast alle Immunfunktionen des Kör-pers. Hoffnungen werden hier vor allemauf eine positive Wirkung bei Rheuma,chronisch-entzündlichen Darmerkrankun-gen, Arterienverkalkung, allergischem Asthma oder Diabetes Typ I gelegt.• Asthma: Wie Tabak hat auch Cannabiseine entspannende Wirkung auf die Bron-chial-Muskeln, die bei Asthma verkrampftsind.• Grüner Star: Das Glaukom ist eine derwichtigsten Ursachen für Erblindung.

Cannabinoide können den krankhaft er-höhten Augendruck verringern, allerdingsnicht regelmässig. Deshalb sind wirk-samere Wirkstoffe vorzuziehen.

Forschung in der SackgasseViele der in den letzten Jahren vorgelegtenStudien zur medizinischen Wirkung vonCannabinoiden genügen nicht den akzep-tierten wissenschaftlichen Standards. Soist die moderne Cannabinoid-Forschungin eine Sackgasse geraten. Wesentlichaussichtsreicher ist die Erforschung desEndocannabinoid-Systems. Also der Ver-such, das System selbst zu verstehen, an-statt Cannabinoide zu legalisieren. Und –sofern das Verständnis schon soweit reicht– therapeutisch einzugreifen. Aktuell ge-schieht dies zum Beispiel mit dem Wirk-stoff Rimonabant, der das EC-Systemselektiv blockieren kann. Es wird gehofft,dass auf diese Weise Übergewicht undexzessive Nahrungsaufnahme verringertund therapeutisch zur Senkung des Kör-pergewichts beigetragen werden kann. ■

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INFOBOX

Literatur zum Thema:• Grotenhermen: «Hanf

als Medizin – EinpraxisorientierterRatgeber zurAnwendung vonCannabis undDronabinol»,AT Verlag 2004,ISBN 3-85502-944-0, Fr. 24.90

• Schneider/Buschkamp/Follmann:«Cannabis – eine Pflanze mit vielenFacetten», Verlag VWB 2000, ISBN 3-86135-083-5, Fr. 23.60

• Grotenhermen/Karus: «Cannabis, Strassen-verkehr und Arbeitswelt», Springer-Verlag 2002,ISBN 3-540-42689-9, Fr. 92.–

• Grotenhermen: «Cannabis undCannabinoide», Verlag Hans Huber 2004,ISBN 3-456-84105-2, Fr. 59.90

Internet• www.sfa-ispa.ch

(Suchbegriff «Cannabis» eingeben)• www.infoset.ch (Suchbegriff «Cannabis»

eingeben, viele Links zu weiterführendenThemen)

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Weibliche Hanfblüte