Gesundheitsförderung älterer türkischer Migrantinnen; Health promotion of elderly Turkish...

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Die Bedarfe der Gesundheitsförde- rung werden häufig in statistischen Grö- ßen bzw. in aggregierten Formen ausge- drückt. Wenn damit der Förderbedarf für bestimmte Gruppen wie beispielswei- se Jugendliche, Arbeitnehmer bestimmter Branchen, Personen mit Migrationshin- tergrund usw. vorliegt, stellt sich die Fra- ge nach der optimalen Umsetzung der Gesundheitsförderung. Generell sind da- zu (zielgruppen-)spezifische Vorgehens- weisen notwendig, die allgemeingültige Inhalte vermitteln. Der vorliegende Bei- trag verweist auf Evaluationsergebnisse der Lernzielerreichung und deren Reich- weite am Beispiel von Gesundheitskursen des Sağlik-Projekts. Hintergrund und Fragestellung Das Projekt „Sağlik“ der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) entwickelte und imple- mentierte Angebote zur Gesundheitsför- derung von älteren türkischen Migrant- innen und Migranten (Alter ≥ 60 Jah- re). Für die Auswahl der Zielgruppe sind 2 Aspekte relevant: Einerseits rücken äl- tere Menschen im Zuge aktueller demo- grafischer Entwicklungen immer mehr in den Fokus gesundheitswissenschaft- licher Diskurse [7]. Andererseits zeigen verschiedene Untersuchungen, dass v. a. ältere Menschen mit Migrationshinter- grund im Vergleich zu anderen Bevöl- kerungsgruppen einen schlechteren Ge- sundheitszustand aufweisen [3]. Dabei muss allerdings beachtet wer- den, dass „[d]er „Migrationshintergrund“ eines Menschen … a priori keine Krank- heitsursache [ist] und nicht notwendig oder unmittelbar mit besonderen Krank- heitsrisiken assoziiert [werden kann]“ [4]. Vielmehr ist ursächlich zu konstatie- ren, dass Migrationshintergründe durch- schnittlich häufiger mit ungünstigeren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu- sammenhängen, was sich im Lebensver- lauf negativ auf die Gesundheit auswir- ken kann [3]. Davon ausgehend rücken Bedarfe an gesundheitsfördernden Maßnahmen in den Fokus, die im Sağlık-Projekt kon- kretisiert wurden: So konnte eine stan- dardisierte Befragung (n = 100) Hinwei- se darauf geben, dass insbesondere ältere Frauen mit türkischem Migrationshinter- grund häufiger als die Mehrheitsbevölke- rung Übergewicht aufweisen und gerin- gere Mengen an Obst und Gemüse ver- zehren und dass beide Aspekte mit einem geringen Nettohaushaltseinkommen kor- relieren [2]. Zudem konnte eine regionale Ressourcenanalyse zeigen, dass entspre- chende Angebote zur Gesundheitsförde- rung an dieser Zielgruppe „vorbeigehen“. Die Analyse bezieht sich auf 4 Hambur- ger Stadtteile (Altona-Nord, Altona-Alt- stadt, Billstedt, Wilhelmsburg), in denen Interventionen durchgeführt wurden bzw. weiterhin in Planung sind. Konkret sind 143 Einrichtungen in den ausge- wählten Stadtteilen erfasst, die insgesamt 172 Angebote zur Gesundheitsförderung, einschließlich sozialer Teilhabe, zur Ver- fügung stellen. Davon beschäftigen sich zwar 78 mit dem Thema Bewegung, und weitere 25 behandeln ausdrücklich das Thema Ernährung, aber nur 9 Angebote kombinieren dies mit Bewegungsaspek- ten. Abgesehen von dieser inhaltlichen Konkretisierung wird deutlich, dass sich keiner dieser „Kombikurse“ ausdrücklich an ältere Menschen mit (türkischem) Mi- grationshintergrund richtet. Zusammengefasst wird damit ein Handlungsfeld für Gesundheitsförderung deutlich, in der die Themen Ernährung und Bewegung miteinander kombiniert und auf die Zielgruppe der Personen mit türkischem Migrationshintergrund abge- stimmt werden sollten. Davon ausgehend stellt sich die Frage, wie entsprechende In- terventionen umzusetzen sind und wel- che Möglichkeiten und Herausforderun- gen dabei zum Tragen kommen. Vor die- sem Hintergrund diskutiert der vorliegen- de Beitrag die Ergebnisse und Reichweite von Interventionen zur Gesundheitsför- derung unter folgenden Fragestellungen: 5 Welches Wissen wird unter welchen Bedingungen vermittelt? 5 Welche Lernziele können erreicht werden? 5 Wo liegen die Grenzen? Ralf Schattschneider 1,4 · Johanna Buchcik 2,4 · Joachim Westenhöfer 2,4 · Christiane Deneke 2,4  · Mary Schmoecker 3,4 1 Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Pflege und Management 2 Fakultät Life Sciences, Department Gesundheitswissenschaften 3 Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Soziale Arbeit 4 Competence Center Gesundheit, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, Deutschland Gesundheitsförderung älterer türkischer Migrantinnen Möglichkeiten, Grenzen und Ergebnisse von Interventionen Präv Gesundheitsf 2014 DOI 10.1007/s11553-014-0443-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Prävention und Gesundheitsförderung X · 2014 | Prävention/Gesundheitsförderung

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Die Bedarfe der Gesundheitsförde-rung werden häufig in statistischen Grö-ßen bzw. in aggregierten Formen ausge-drückt. Wenn damit der Förderbedarf für bestimmte Gruppen wie beispielswei-se Jugendliche, Arbeitnehmer bestimmter Branchen, Personen mit Migrationshin-tergrund usw. vorliegt, stellt sich die Fra-ge nach der optimalen Umsetzung der Gesundheitsförderung. Generell sind da-zu (zielgruppen-)spezifische Vorgehens-weisen notwendig, die allgemeingültige Inhalte vermitteln. Der vorliegende Bei-trag verweist auf Evaluationsergebnisse der Lernzielerreichung und deren Reich-weite am Beispiel von Gesundheitskursen des Sağlik-Projekts.

Hintergrund und Fragestellung

Das Projekt „Sağlik“ der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) entwickelte und imple-mentierte Angebote zur Gesundheitsför-derung von älteren türkischen Migrant-innen und Migranten (Alter ≥ 60  Jah-re). Für die Auswahl der Zielgruppe sind 2 Aspekte relevant: Einerseits rücken äl-tere Menschen im Zuge aktueller demo-grafischer Entwicklungen immer mehr in den Fokus gesundheitswissenschaft-licher Diskurse [7]. Andererseits zeigen verschiedene Untersuchungen, dass v. a. ältere Menschen mit Migrationshinter-grund im Vergleich zu anderen Bevöl-

kerungsgruppen einen schlechteren Ge-sundheitszustand aufweisen [3].

Dabei muss allerdings beachtet wer-den, dass „[d]er „Migrationshintergrund“ eines Menschen … a priori keine Krank-heitsursache [ist] und nicht notwendig oder unmittelbar mit besonderen Krank-heitsrisiken assoziiert [werden kann]“ [4]. Vielmehr ist ursächlich zu konstatie-ren, dass Migrationshintergründe durch-schnittlich häufiger mit ungünstigeren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu-sammenhängen, was sich im Lebensver-lauf negativ auf die Gesundheit auswir-ken kann [3].

Davon ausgehend rücken Bedarfe an gesundheitsfördernden Maßnahmen in den Fokus, die im Sağlık-Projekt kon-kretisiert wurden: So konnte eine stan-dardisierte Befragung (n = 100) Hinwei-se darauf geben, dass insbesondere ältere Frauen mit türkischem Migrationshinter-grund häufiger als die Mehrheitsbevölke-rung Übergewicht aufweisen und gerin-gere Mengen an Obst und Gemüse ver-zehren und dass beide Aspekte mit einem geringen Nettohaushaltseinkommen kor-relieren [2]. Zudem konnte eine regionale Ressourcenanalyse zeigen, dass entspre-chende Angebote zur Gesundheitsförde-rung an dieser Zielgruppe „vorbeigehen“. Die Analyse bezieht sich auf 4 Hambur-ger Stadtteile (Altona-Nord, Altona-Alt-stadt, Billstedt, Wilhelmsburg), in denen Interventionen durchgeführt wurden

bzw. weiterhin in Planung sind. Konkret sind 143  Einrichtungen in den ausge-wählten Stadtteilen erfasst, die insgesamt 172 Angebote zur Gesundheitsförderung, einschließlich sozialer Teilhabe, zur Ver-fügung stellen. Davon beschäftigen sich zwar 78 mit dem Thema Bewegung, und weitere 25 behandeln ausdrücklich das Thema Ernährung, aber nur 9 Angebote kombinieren dies mit Bewegungsaspek-ten. Abgesehen von dieser inhaltlichen Konkretisierung wird deutlich, dass sich keiner dieser „Kombikurse“ ausdrücklich an ältere Menschen mit (türkischem) Mi-grationshintergrund richtet.

Zusammengefasst wird damit ein Handlungsfeld für Gesundheitsförderung deutlich, in der die Themen Ernährung und Bewegung miteinander kombiniert und auf die Zielgruppe der Personen mit türkischem Migrationshintergrund abge-stimmt werden sollten. Davon ausgehend stellt sich die Frage, wie entsprechende In-terventionen umzusetzen sind und wel-che Möglichkeiten und Herausforderun-gen dabei zum Tragen kommen. Vor die-sem Hintergrund diskutiert der vorliegen-de Beitrag die Ergebnisse und Reichweite von Interventionen zur Gesundheitsför-derung unter folgenden Fragestellungen: 5 Welches Wissen wird unter welchen Bedingungen vermittelt? 5 Welche Lernziele können erreicht werden? 5 Wo liegen die Grenzen?

Ralf Schattschneider1,4 · Johanna Buchcik2,4 · Joachim Westenhöfer2,4 · Christiane Deneke2,4 · Mary Schmoecker3,4

1 Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Pflege und Management2 Fakultät Life Sciences, Department Gesundheitswissenschaften3 Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Soziale Arbeit4 Competence Center Gesundheit, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, Deutschland

Gesundheitsförderung älterer türkischer Migrantinnen

Möglichkeiten, Grenzen und Ergebnisse von Interventionen

Präv Gesundheitsf 2014DOI 10.1007/s11553-014-0443-4

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1Prävention und Gesundheitsförderung X · 2014 |

Prävention/Gesundheitsförderung

Interventionen: Konzeptioneller Hintergrund und praktische Umsetzung

Im Projekt Sağlik wurden (bisher) in 3 Hamburger Stadteilen Gesundheitskur-se für ältere türkische Migrantinnen (Al-ter ≥ 60 Jahre) durchgeführt. Die Inter-ventionen richteten sich an Männer und Frauen gleichermaßen. Trotz einiger Zu-sagen kam es allerdings nicht zu einer Umsetzung von Kursen mit männlichen Teilnehmern. Die Gesundheitskurse setz-ten sich aus insgesamt 10 wöchentlichen Terminen zusammen, in denen Themen der gesunden Ernährung und Bewegung thematisiert, praktisch erprobt, diskutiert und in Form von „Hausaufgaben“ im All-tag der Teilnehmerinnen umgesetzt wer-den sollten. Um einen niedrigschwelli-gen und zielgruppenspezifischen Zugang zu ermöglichen, wurden die Kurse an be-stehende Gruppen stadteilbezogener Ein-richtungen (beispielsweise türkische Se-niorentreffs) angebunden. Diese koope-rierenden Einrichtungen waren zugleich in die Entwicklung der Kursinhalte invol-viert. Zudem wurden Kursmaterialien ins Türkische übersetzt, und muttersprachli-che Kursleiterinnen kamen zum Einsatz.

Neben der Einbeziehung potenziel-ler Teilnehmer und Teilnehmerinnen so-wie kooperierender Einrichtungen bei der Entwicklung der Gesundheitskurse orientiert sich die inhaltliche Ausgestal-tung an Informationen und Empfehlun-gen der Deutschen Gesellschaft für Er-nährung (DGE, [9]), des Auswertungs- und Informationsdienstes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (aid, [8]) und

der IN FORM MitMachBox [10] der Bun-desarbeitsgemeinschaft der Senioren-Or-ganisationen (BAGSO). Für die Vermitt-lung alltagspraktischer Aspekte gesunder Ernährung wurde zusätzlich ein 2-spra-chiges Ernährungsprotokoll (deutsch/türkisch) entwickelt. Damit können die Empfehlungen für eine gesunde Ernäh-rung eingeübt bzw. mit den tatsächlichen Verzehrgewohnheiten verglichen werden. Die Verwendung der Inhalte im Kursver-lauf zeigt . Tab. 1.

Die Themenschwerpunkte informie-ren theoretisch und praktisch über ver-schiedene Lebensmittelbereiche und de-ren gesundheitsförderliche Verwendung. Zur praktischen Anwendung zählen u. a. das Verkosten und Vergleichen türkischer sowie deutscher Produkte wie beispiels-weise Ayran mit Buttermilch. Damit sol-len türkische Gewohnheiten berücksich-tigt und gleichzeitig neue Produkte ken-nengelernt werden. Die Themen der Be-wegung werden theoretisch erläutert, konzentrieren sich aber eher auf die prak-tische Umsetzung. Mit Fokus auf dem Be-reich der Ernährung wurde auf die Ergeb-nisse der oben skizzierten Ressourcenana-lyse reagiert. Dort war deutlich geworden, dass bisherige Angebote zwar häufig auf Bewegung bzw. Sport abzielen, die Kurse aber eher nur selten auf das Thema gesun-de Ernährung ausgerichtet sind bzw. bei-des kombinieren.

Evaluationsinstrumente und methodisches Vorgehen

Zur Bewertung der Gesundheitskur-se wurden verschiedene Evaluationsins-

trumente erarbeitet und verwendet. Da-bei sind 2 Instrumente bedeutsam: einer-seits die Dokumentation der persönlichen Zielsetzung zu Beginn und der Zielerrei-chung am Ende der Intervention, ande-rerseits die Abfrage des kursspezifischen Wissens- bzw. Verhaltensstatus am Ende der Intervention. Die beiden Vorgehens-weisen sind nicht nur für die Evaluation, sondern auch für den eigentlichen Kurs-verlauf relevant, um die Vermittlung von Kursinhalten an der aktuellen Situation der Teilnehmerinnen auszurichten und Selbstreflexionen sowie Gruppendiskus-sionen einzuleiten und durchzuführen.

Grundsätzlich sind beide Evaluations-instrumente an der Erfassung von Lern-zielen ausgerichtet, die sich an den folgen-den 3 Anforderungs- bzw. Umsetzungs-ebenen orientieren [1]: Die kognitive Ebe-ne betrifft das Erlangen von Wissen und intellektuellen Fertigkeiten, die affek tive/sozial-emotionale Ebene die Verände rung von Werten sowie Einstellungen und die psychomotorische Ebene die Ausübung konkreten Handelns bzw. Verhaltens.

Die affektive/sozial-emotionale Ebe-ne ist weder in der Dokumentation der persönlichen Zielsetzung/Zielerreichung noch in der Erfassung des kursspezifi-schen Wissens- bzw. Verhaltensstatus berücksichtigt, da eine entsprechende Er-fassung Fragebögen erforderlich gemacht hätte, die ihrer Funktion als kursimma-nentes Instrument widersprochen hät-ten: Die Erhebung von Werten und Ein-stellungen erfordert eine umfangreiche-re Fragenbogenkonstruktion als bisher. Auch sind der Rahmen und das Konzept des Kurses nicht dafür ausgelegt, Wer-

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Prävention/Gesundheitsförderung

Tab. 1 Kursverlauf und gesundheitsspezifische Inhalte

Woche Thema Was wird gemacht

1 Eigene Ernährung Anlegen von Kräutertöpfen Bewegung der Gelenke

2 Gemüse Gemüsesticks mit selbst hergestelltem Dip Bewegung im Sitzen und Stehen

3 Obst Genussübung Apfel Kräftigung der Muskeln mit elastischem Band

4 Milchprodukte Milch-Shakes herstellen Gehsicherheitstraining, Gehfähigkeit

5 Fleisch und Fisch Fettgehalt und Qualität von Fleisch und Fisch Ausdauer

6 Ernährungstagebuch Was versteht man unter „einer Portion“? Sitztanz

7 Body-Mass-Index, Bauchumfang, Getränke

Body-Mass-Index berechnen, Zuckergehalt in Getränken Beweglichkeit von Hüfte und Beinen

8 Mahlzeiten: Rhythmus und Situationen Zwiebelkuchen backen Kräftigung Arm- und Schultermuskulatur

9 Süßigkeiten und Knabbereien Genussübung Schokoladen Sturzprophylaxe

10 Fette und Öle Kräuterbutter herstellen Balance

te und Einstellungen in größerem Um-fang auf die Kursinhalte zurückzuspie-geln bzw. zu reflektieren.

Dokumentation persönlicher Zielsetzung/Zielerreichung

Mit der Zielformulierung aus einer per-sönlichen Perspektive heraus lassen sich subjektiv bewertete Wirkungen der Inter-ventionen aufzeigen. Zusätzlich ist damit auch ersichtlich, welche Präferenzen sei-tens der Teilnehmerinnen zum Interven-tionsbeginn vorliegen und welche davon im Interventionsverlauf „bearbeitet“ wer-den konnten.

Die Erfassung der persönlichen Ziel-setzungen ist Bestandteil des ersten Kurs-termins. Die Teilnehmerinnen berichten zunächst, worin ihrer Ansicht nach die Stärken und Schwächen ihrer eigenen Er-nährung liegen, und notieren dies auf Mo-derationskarten. Danach wird gemeinsam mit der Kursleitung besprochen, warum die aufgeführten Punkte als Schwächen bzw. Stärken angesehen werden und in-wieweit diese mit den Kursinhalten kom-patibel sind. Anschließend notieren die Teilnehmerinnen auf weiteren Modera-tionskarten, welche Aspekte ihres Ernäh-rungs- und Bewegungsverhaltens (maxi-mal 3) sie innerhalb der nächsten 10 Wo-chen verändern möchten. In der 10. und letzten Kursveranstaltung liegen den Be-fragten die anfänglichen Zielsetzungen erneut vor. Sie werden gebeten, den ak-tuellen Status der Zielerreichung zu do-kumentieren. Innerhalb der zuvor aufge-zeigten Anforderungs- bzw. Umsetzungs-ebenen dient dieses Instrument vorrangig der Erfassung persönlicher Veränderun-gen im Verhalten bzw. Handeln.

Erfassung des Wissens- bzw. Verhaltensstatus

Während die Dokumentation der per-sönlichen Zielsetzungen auf (subjektive) Präferenzen abzielt, wird mit dem 2. Eva-luationsinstrument der (subjektive) wis-sens- bzw. verhaltensorientierte Status quo entlang der eigentlichen Kursinhal-te erhoben. Dazu wird den Beteiligten in der letzten Kursveranstaltung ein Frage-bogen überreicht, der den Wissenstand hinsichtlich der ernährungsspezifischen

Inhalte abbildet. Die darin abgefragten Kursinhalte lassen sich der kognitiven und der psychomotorischen Ebene zu-ordnen (. Tab. 2).

Stichprobe

An den Kursterminen aller 3 Interventio-nen nahmen durchschnittlich 11 Frauen teil. Die Teilnahme schwankte im Kurs-

Zusammenfassung · Abstract

Präv Gesundheitsf 2014 DOI 10.1007/s11553-014-0443-4© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

R. Schattschneider · J. Buchcik · J. Westenhöfer · C. Deneke · M. Schmoecker

Gesundheitsförderung älterer türkischer Migrantinnen. Möglichkeiten, Grenzen und Ergebnisse von Interventionen

ZusammenfassungHintergrund. Ältere Menschen mit Mig-rationshintergrund sind aufgrund spezifi-scher Lebens- und Arbeitsbedingungen häu-figer mit Gesundheitsproblemen konfron-tiert. Ausgerichtet auf diese Zielgruppe wur-den im Projekt „Sağlik“ (türkisch: Gesundheit) Gesundheitskurse mit den Schwerpunkten Ernährung und Bewegung entwickelt und in bisher 3 Interventionen erprobt.Ziel der Arbeit (Fragestellung). Anhand von kursimmanenten Evaluationsinstrumenten werden folgende Fragen beantwortet: Wel-ches Wissen wird unter welchen Interven-tionsbedingungen vermittelt? Welche Lern-ziele können erreicht werden? Wo liegen die Grenzen der Interventionen?Material und Methoden. Die subjektivier-te Datenerfassung flankierte die Gesund-heitskurse und erfolgte mithilfe einer Doku-mentation der persönlichen Zielsetzung/Ziel-erreichung im Kursverlauf sowie einer Abfra-

ge des kursspezifischen Wissens- bzw. Verhal-tensstatus am Ende der Intervention.Ergebnisse und Diskussion. Zentral ist, dass die Interventionen Verhaltensänderun-gen bewirken. Im gegebenen Projektrahmen konnten diese allerdings nur bis zum Inter-ventionsende verfolgt werden. Davon abge-sehen wurde deutlich, dass mit Gesundheits-kursen dieser Art hauptsächlich Personen er-reichbar sind, die implizit Verhaltensänderun-gen beabsichtigen oder vorbereiten. Perspek-tivisch ist damit einerseits zu fragen, wie eine Verstetigung gesundheitsförderlichen Verhal-tens unterstützt werden kann. Andererseits ist zu klären, ob und wie Menschen ohne Prä-ferenzen für gesundes Verhalten erreicht wer-den können.

SchlüsselwörterGesundheitsförderung · Ältere Migranten und Migrantinnen · Ernährung · Bewegung · Evaluation

Health promotion of elderly Turkish immigrants. Possibilities, limits and results of interventions

AbstractBackground. Elderly persons with an immi-gration background often face health prob-lems due to specific living and working con-ditions. Focussing on this target group, health courses which concentrate on nutrition and exercise have been developed and tried out in three interventions within the “Sağlik” proj-ect (Turkish: health).Purpose of this study (question). Based on instruments for evaluation which are imma-nent within the courses, the following ques-tions are answered: which knowledge is transferred subject to what kind of conditions of intervention? What kinds of learning tar-gets can be achieved? What are the limits of the interventions?Material and methods. Health courses are characterized by a subjective data collection. While courses are undertaken data is gath-ered on account of documenting personal goals and achievements. Moreover, a status

of course-related knowledge or behavior is queried at the end of the intervention.Results and discussion. It is crucial that the interventions cause changes in behavior. Within the given project’s perspective, how-ever, these changes could only be followed up to the end of the intervention. Apart from this it became evident that the health cours-es undertaken can only reach persons who implicitly intend or are prepared for chang-es in behavior. Therefore, with respect to the perspective of the project it can be asked how behavior promoting health can be con-stantly supported. Furthermore, it remains to be clarified whether and how people can be reached if they do not give preference to healthy behavior.

KeywordsHealth promotion · Elderly immigrants · Nutrition · Exercise · Evaluation

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verlauf in allen Einrichtungen von 6 bis 18 Teilnehmerinnen. Damit lässt sich in der hier relevanten Perspektive (gesamter Kursverlauf) keine stabile Grundgesamt-heit formulieren. Die Zahl der zur per-sönlichen Zielsetzung/Zielerreichung be-fragten Frauen beläuft sich aber insgesamt auf 22 (Kurs A/n = 7, Kurs B/n = 8, Kurs C/n = 7). Zudem nahmen an der abschlie-ßenden Befragung zum kursspezifischen Wissens- und Verhaltensstaus 27 Frau-en teil (Kurs A/n = 8, Kurs B/n = 9, Kurs C/n = 10). Für die Befragten zur persönli-chen Zielsetzung/Zielerreichung (n = 22) ist bezeichnend, dass sie zu Beginn und am Ende des Kurses anwesend waren. Zu-dem lässt die hohe Teilnahmebereitschaft an der Erfassung des kursspezifischen Wissens- und Verhaltensstaus (n = 27) darauf schließen, dass der Kern der kon-tinuierlich Teilnehmenden berücksichtigt werden konnte.

Ergebnisse

Zielsetzung/Zielerreichung der Teilnehmerinnen

Für die Dokumentation der persönlichen Zielsetzung/Zielerreichung liegen von 22 Befragten 31  (Mehrfach-)Antworten vor. Innerhalb derer repräsentieren die Zielformulierungen der Teilnehmerinnen sehr konkrete Verhaltensänderungen. Die als offene Antworten formulierten Zie-le konnten 6 inhaltlichen Kategorien zu-geordnet werden. Die Häufigkeiten, mit der diese 6 Zielkategorien genannt wur-den, sowie der Status der Zielerreichung

(ja: Ziel erreicht, nein: Ziel nicht erreicht) sind in . Abb. 1 dargestellt.

Anhand der Abbildung werden die breit angelegten Zielsetzungen und da-mit Interessen zu Beginn der Intervention sichtbar. „Abnehmen“ und „Durchschla-fen“ sind dabei Ziele, die nicht Bestand-teil der Gesundheitskurse waren (was den Teilnehmerinnen auch so mitgeteilt wur-de). Ein fester Bestandteil der Interven-tionen war dagegen die teilnehmerspezi-fische Veränderung in den Bereichen Er-nährung und Bewegung. In diesem Sinne konnten von 6 Teilnehmerinnen, die sich „mehr bewegen“ wollten, am Ende des Kurses 5 ihr Ziel erreichen. Der Haupt-fokus der Befragten lag aber auf Aspek-ten der Ernährung („regelmäßige Mahl-zeiten“, „mehr trinken“, „gesünder es-sen“). Aus Gründen der besseren Über-sichtlichkeit bzw. wegen geringer Fall-zahlen wurde die Kategorie „gesünder es-sen“ zusammengefasst. Dahinter verber-gen sich verschiedene, detaillierte Aspekte (beispielsweise mehr Obst und Gemüse, weniger Fett, einmal/Woche Fisch usw.), die alle mit den Kursinhalten korrespon-dieren. Dabei repräsentieren die Zielset-zungen innerhalb dieser Antwortkatego-rie den am häufigsten genannten Bereich (n = 14). Davon konnten 12 Teilnehme-rinnen ihr selbst gesetztes Ziel umsetzen.

Die zuvor relevanten Antwortkatego-rien „ja“ und „nein“ (. Abb. 2) lassen sich weiter differenzieren.

Die Antwortkategorien wurden fol-gendermaßen unterteilt: 5 vormals ja: ja + ja und zusätzlich An-deres erreicht,

5 vormals nein: nein + nein, aber An-deres erreicht.

Der Terminus „Anderes“ meint dabei teilnehmerspezifische Veränderungen im Sinne des Kurskonzeptes, also Aspekte der Ernährung und/oder Bewegung. Fasst man die Kategorien „ja“/„ja und zusätz-lich Anderes erreicht“/„nein, aber Ande-res erreicht“ zusammen, wird deutlich, dass nicht nur persönliche Ziele umge-setzt bzw. nicht umgesetzt wurden, son-dern auch in davon abweichenden Berei-chen kursadäquate Veränderungen er-sichtlich sind. Insgesamt zeigen sich da-mit nur 2 Fälle, die gänzlich mit „nein“ beantwortet wurden.

Wissens-/Verhaltensstatus am Interventionsende

Die Antworten zur Erfassung des Wis-sens- bzw. Verhaltensstatus am Ende der Intervention sind in . Tab. 2 zusammen-gefasst. Die für dieses Evaluationsinstru-ment relevante Unterscheidung der An-forderungs- bzw. Umsetzungsebenen in einen kognitiven und einen psychomoto-rischen Bereich (s. Abschn. „Evaluations-instrumente und methodisches Vorge-hen“) wurde nochmals konkretisiert: Die kognitive Ebene beinhaltet den Erwerb theoretischer Kenntnisse und die Nut-zung von Hilfsmitteln bzw. die Schaffung von Voraussetzungen für eine gesunde Ernährung. Die psychosomatische Ebe-ne fokussiert auf das konkrete Handeln bzw. Verhalten und meint damit die akti-ve Umsetzung gesunder Ernährung.

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Prävention/Gesundheitsförderung

Tab. 2 Wissens- bzw. Verhaltensstatus am Ende der Intervention (relative Häufigkeiten der „Ja“-Antworten)

Theoretische Kenntnisse – kognitive Ebene

Hilfsmittel/Voraus-setzungen gesun-der Ernährung – kognitive Ebene

Aktive Umsetzung gesunder Ernährung – psychomotorische Ebene

Wissens- bzw. Verhal-tensstatus

Kenntnis über persönliche Stärken/Schwä-chen eigener Ernährung

Kennt-nis über BMI

Nutzung Ernäh-rungs-tage-buch

Zukünf-tig auf Fett-gehalt achten

2-3x/Tag Ge-müse

2-3x/Tag Obst

3x/Woche fett-arme Milchpr.

Max. 4x/Woche fett-armes Fleisch

1x/Woche Fisch

1,5l/Tag kalorien-freie/arme Ge-tränke

Essen in Ruhe – nicht ‚zwi-schen– durch‘

‚Gesun-des Na-schen‘ wird be-achtet

Kurs/Einrich-tung A n = 8

100 % 100 % 88 % 100 % 100 % 88 % 63 % 63 % 63 % 88 % 88 % 88 %

Kurs/Einrich-tung B n = 9

100 % 78 % 78 % 100 % 78 % 67 % 100 % 89 % 78 % 89 % 89 % 78 %

Kurs/Einrich-tung C n = 10

100 % 90 % 60 % 100 % 90 % 100 % 90 % 90 % 100 % 100 % 90 % 100 %

Gesamt n = 27 100 % 89 % 74 % 100 % 89 % 85 % 85 % 81 % 81 % 93 % 89 % 89 %

Zur besseren Lesbarkeit sind die Ant-wortkategorien mit 100 %igen Ja-Ant-worten in fetter/kursiver Schrift abge-bildet. Die Antwortkategorien, in denen der Anteil der Ja-Antworten (gerundet) unter drei Viertel liegen, erscheinen da-gegen in fetter Schrift. Mit einem Blick auf die kurs- bzw. einrichtungsspezifi-schen Auswertungen (Kurs/Einrichtung A, B und C) wird deutlich, dass bis auf ei-nige Ausnahmen (fett markiert) die abge-fragten Aspekte mindestens drei Viertel der Teilnehmerinnen bekannt sind bzw. zum Zeitpunkt der Befragung umgesetzt wurden. In der Gesamtbetrachtung nivel-lieren sich die Werte, und es zeigt sich ein insgesamt hohes Niveau zustimmender Wissens- bzw. Verhaltensstandbewer-tungen. Bei differenzierterer Betrachtung ist erkennbar, dass die Anteile der Ja-Ant-worten innerhalb der 3 Kurse eine unter-schiedliche Struktur aufweisen:

5 Einrichtung/Kurs C: Bis auf eine Ausnahme (60 %ige Nutzung des Er-nährungstagebuchs) sind mindestens 90 % kursadäquater Wissensstän-de, einschließlich Umsetzung, vor-handen. 5 Einrichtung/Kurs A: Häufung fehlen-der aktiver Umsetzung gesunder Er-nährung. 5 Einrichtung/Kurs B: unsystematische Annährung bzw. Abweichung an die Ausprägungen von Kurs A und C.

In einer vertikalen Betrachtung der Antwortkategorien wird deutlich, dass „Kenntnis über persönliche Stärken/Schwächen eigener Ernährung“ und „zu-künftig auf Fettgehalt achten (Einkauf und Kochen)“ durchgehend von allen Befragten bejaht wurde. Dagegen zeigen sich die „Kenntnis über Body-Mass-Index (BMI)“ und „Nutzung des Ernährungsta-gebuchs“ in unterschiedlichen Ausprä-

gungen mit einer Spannweite von 60- bis 100 %igen Ja-Antworten. Die Verteilung in „Kenntnis über BMI“ erscheint hin-sichtlich der Gesamttabelle eher unsyste-matisch. Dagegen ist die Kategorie „Nut-zung des Ernährungstagebuchs“ im An-gebotsverlauf (Kurs A, dann B, dann C) von sinkenden Anteilen der Ja-Antwor-ten geprägt (Kurs A: 88 %, Kurs B: 78 %, Kurs C: 60 %), während sich dazu die An-teile der Ja-Antworten im Bereich der ak-tiven Umsetzung gesunder Ernährung gegenläufig verhalten.

Diskussion

Kursziele und Verhaltensstatus

Die Erfassung des Wissens- bzw. Ver-haltensstatus am Ende der Intervention konnte aufzeigen, dass sich die Kurse A, B und C v. a. im Ausmaß der aktiven Um-setzung gesunder Ernährung (psychomo-torische Ebene) unterscheiden. Es ist an-zunehmen, dass dabei Besonderheiten der Kleingruppen wie beispielsweise Milieu-zugehörigkeit, Lernverhalten usw. zum Tragen kommen, die anhand der vorlie-genden Stichprobe nicht in allgemeinere Muster überführt werden können. Mögli-cherweise lässt sich die Verlaufscharakte-ristik auch als „Lernkurve“ innerhalb des wiederholten Angebots von Interventio-nen (Kurs A, dann B, dann C) beschrei-ben, d. h., die Optimierung des Angebots durch die Kursleiterin wäre denkbar. Al-lerdings ist diese Argumentation nicht in Gänze gültig, da die Kursleiterin nach dem Kurs A wechselte und nur für die Kurse B und C konstant war.

In der Betrachtung der Antwortka-tegorien ist auffällig, dass alle Befragten angaben, ihre persönlichen Stärken und Schwächen der Ernährung zu kennen so-wie zukünftig beim Kochen und Einkau-fen auf den Fettgehalt achten zu wollen. Ein Hinweis zur Interpretation liegt in den dazugehörigen Dimensionen: Die Antwortkategorie „Kenntnis über Stärken und Schwächen“ ist Teil der Dimension „theoretische Kenntnisse“, und die „zu-künftige Beachtung des Fettgehaltes“ ist Teil der Dimension „Hilfsmittel/Voraus-setzung gesunder Ernährung“. Somit geht es hier nicht um die primäre Umsetzung einer gesunden Ernährung. Vielmehr ist

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Abb. 1 9 Häufigkeit der genannten persön-lichen Ziele und Status persönlicher Zielerrei-chung (absolute Häu-figkeiten)

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Abb. 2 9 Status per-sönlicher Zielerrei-chung/differenzier-te Antwortkategori-en (absolute Häufig-keiten)

zu vermuten, dass die Teilnehmerinnen mit den normativen Anforderungen ge-sunder Ernährung konfrontiert sind und dies als eigene Wertehaltung formulie-ren (sozial-emotionalen/affektiven Ebe-ne), die allerdings nicht zwangsläufig in entsprechende Handlungen übergehen müssen.

Der unterschiedliche Kenntnisstand über den BMI lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass zwar „schlank sein“ ein Teil normativer/gesellschaftli-cher Erwartungen ist, aber dies nicht un-bedingt mit einer Maßzahl in Verbin-dung gebracht wird. Bei der Verwendung des Ernährungstagebuchs ist auffällig, dass die Nutzung in negativem Zusam-menhang zur aktiven Umsetzung gesun-der Ernährung steht. Dies kann als Hin-weis darauf gelesen werden, dass die Teil-nehmerinnen des Kurses C weitergehen-de gesundheitsförderliche Alltagsrouti-nen praktizieren und daher weniger auf das Ernährungstagebuch als Instrument zur Initialisierung von „gesundem Ver-halten“ zurückgreifen. Umgekehrt lassen sich die Werte des Kurses A derart inter-pretieren, dass hier ein ebenso grundsätz-liches Interesse an Ernährungsfragen be-steht, aber der Prozess der Ausbildung von „gesunden Alltagsroutinen“ noch nicht abgeschlossen bzw. auf einem nied-rigeren Niveau gestartet ist, aber eine In-itialisierung mithilfe der Ernährungspro-tokolle angestrebt wird. Zusammengefasst verweisen die Interpretationen der kurs-spezifischen Ergebnisse auf eine Mög-lichkeit, Kurskonstellationen zu kategori-sieren, um die Bedingungen gelingender/nichtgelingender Interventionen zu iden-tifizieren.

Subjektive Präferenzen und Verhaltensänderungen

Die Dokumentation persönlicher Ziel-setzungen/Zielereichungen repräsentiert gesundheitsorientierte Verhaltensände-rungen auf der psychomotorischen Ebe-ne. Die Ergebnisse zeigen, dass der größ-te Teil der kontinuierlich Teilnehmenden selbst gesetzte bzw. kursadäquate Ziele er-reichen konnte. Zwar sind die involvierten Inhaltsbereiche (gesunde Ernährung und Bewegung) fester Bestandteil der Gesund-heitskurse, aber in der Auswahl der Zie-

le sind hauptsächlich Aussagen zum The-ma „gesunde Ernährung“ vertreten. Da-mit scheint das Interesse an gesunder Er-nährung besonders groß zu sein.

Ausgehend von den persönlichen Ziel-setzungen ist anzunehmen, dass mit den Gesundheitskursen eine (Ziel-)Grup-pe erreicht wurde, die grundlegend an einer gesunden Lebensweise interessiert ist und die sich möglicherweise im Vor-feld des Kurses schon mit dem Thema beschäftigt hat. In die Terminologie von Prochaska [6] überführt, entspricht dies entweder einem Stadium zur Absichtsbil-dung („contemplation“) oder einem Sta-dium der Vorbereitung („preparation“) von Verhaltensänderungen. Dabei ist an-zumerken, dass bisher nur Frauen erreicht wurden. Möglicherweise kommt hier zum Tragen, dass Männer ein geringeres Inter-esse an Gesundheit allgemein und Ernäh-rung im Besonderen haben als Frauen [5] und damit Kursangebote nötig sind, die Gender-spezifische Anschlussmöglich-keiten bereithalten.

Befinden sich potenzielle Teilnehmen-de in Stadien der Absichtsbildung oder Vorbereitung von Verhaltensänderun-gen, können gezielte Interventionen er-folgreich umgesetzt werden. Zudem ist damit aber auch eine Grenze markiert, weil Menschen mit Deutungs- und Be-deutungsmustern jenseits einer gesunden Lebensführung die Möglichkeit eines Ge-sundheitskurses nicht ohne Weiteres nut-zen werden oder nutzen können, da sie sich im Absichtslosigkeitsstadium befin-den („precontemplation“, [6]). Um diese schwer zu erreichende Zielgruppe zu ak-tivieren, müsste zunächst (also vor den eigentlichen Gesundheitskursen) eine grundlegende Aufklärungsarbeit geleistet werden. Transformiert auf Lernziele be-deutet dies, dass zunächst die sozial-emo-tionale/affektive Ebene angesteuert wer-den müsste [1], um damit eine Sensibili-sierung auf entsprechende Werte und Ein-stellungen zu ermöglichen.

Limitationen und Ausblick

Zusammengefasst lässt sich konstatie-ren, dass die Gesundheitskurse haupt-sächlich Verhaltensänderungen bewir-ken konnten. Das bedeutet zwar, dass eine Anpassung des Gesundheitsverhal-

tens ersichtlich ist, aber diese Aussage nur für den Zeitraum der Intervention gültig ist. Inwieweit daraus weitergehen-de Gesundheitswirkungen resultieren, konnte nicht beantwortet werden. Da-zu zählt auch, dass nicht untersucht wer-den konnte, ob und welche Folgen aus evtl. Anpassungsleistungen der (mögli-cherweise kulturspezifischen) Kochge-wohnheiten entstanden sind. Ebenfalls ist anzumerken, dass sich die Ergebnis-se auf ein qualitatives Untersuchungsde-sign mit einer subjektivierten Datenerfas-sung stützen und damit neben einer feh-lenden Objektivierung der Ernährungs-umstellung sozial erwünschte Antwor-ten nicht ausgeschlossen sind. Weil darü-ber hinausgehende Messungen nicht mit dem Kursrahmen und der Teilnahmebe-reitschaft vereinbar waren, konnte darauf im Projektrahmen nicht reagiert werden. Eine weitere methodische Einschrän-kung hinsichtlich der Aussagereichwei-te ergibt sich aus der fehlenden Kursteil-nahme von Männern, womit sich die Er-gebnisse in einer geschlechtsspezifischen Perspektive nicht verallgemeinern lassen. Wie schon oben angemerkt, wird es nö-tig sein, den Männern sozial anschlussfä-hige Kurs- bzw. Vermittlungsformate an-zubieten. Letztendlich ist in weitergehen-den Forschungsprojekten zu beantwor-ten, ob und v. a. unter welchen Bedingun-gen es zu einer nachhaltigen Überführung von gesundem Verhalten in gesundheits-fördernde Alltagsverhältnisse und -routi-nen kommt.

Fazit für die Praxis

5 Vorgehensweisen und Materialien müssen an die Zielgruppe angepasst werden (beispielsweise Kursdurch-führung in der Muttersprache der Teilnehmenden, Anbindung an be-stehende Gruppen bzw. Einrichtun-gen). 5 Gesundheitskurse mit praktischer Umsetzung bis in den Alltag hinein bewirken neben dem Wissenserwerb hauptsächlich Verhaltensänderungen (zumindest bis zum Interventions-ende). 5 Interventionen scheitern trotz ziel-gruppengerechter Ausrichtung, wenn sich die potenziell Teilnehmenden

6 | Prävention und Gesundheitsförderung X · 2014

Prävention/Gesundheitsförderung

im Absichtslosigkeitsstadium befin-den. Aufklärung und Sensibilisierung sind dann zielführender als ein praxis-orientiertes Kursangebot.

Korrespondenzadresse

R. Schattschneider MA ökonomische und soziologische StudienCompetence Center GesundheitHochschule für Angewandte Wissenschaften HamburgAlexanderstr. 1 20099 Hamburg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. R. Schattschneider, J. Buchcik, J. Westenhöfer, C. Deneke und M. Schmoecker geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Die Studie wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderlinie „Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ (SILQUA-FH, Förderkennzeichen 17SO1X10).

Patientenrechte und Tierschutzbestimmun-gen. Die beschriebenen Interventionen einschließ-lich der anonymen Verwendung von Forschungs-daten sind Bestandteile des gesamten Vorgehens im Projektverlauf, dem durch die Ethikkommission der HAW Hamburg (Vertreten durch den Forschungsaus-schuss) zugestimmt wurde.

Literatur

1. Bloom BS (Hrsg) (1972) Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich, 4. Aufl. Beltz Verlag, Wein-heim

2. Buchcik J, Westenhöfer J, Beyer A, Schmoecker M, Deneke C (2013) Body weight and healthy diet among elderly Turkish immigrants. Link to income. Ernaehrungs Umsch Int 60:16–23

3. Robert Koch-Institut (Hrsg) (2008) Gesundheitsbe-richterstattung des Bundes: Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Migration und Gesundheit. Robert Koch-Institut, Berlin, S 100 ff.

4. Knipper M, Bilgin Y (2009) Migration und Gesund-heit. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augus-tin, S 58

5. Kuhlmann E, Kolip P (2005) Gender und pub-lic health. Grundlegende Orientierungen für For-schung, Praxis und Politik. Juventa Verlag, Wein-heim und München, S 106 ff.

6. Prochaska JO, Velicer WF (1997) The transtheoreti-cal model of health behavior change. Am J Health Promot 12:38–48

7. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Ent-wicklung im Gesundheitswesen (2009) Koordina-tion und Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. Sonder-gutachten 2009, Bundesdrucksache 76/13770, Bundesanzeiger Verlag, Köln

8. http://www.aid.de/verbraucher/saisonkalender.php. Zugegriffen: 18. Nov. 2013

9. http://www.dge.de/pdf/10-Regeln-der-DGE.pdf Zugegriffen: 18. Nov. 2013

10. http://www.projekte.bagso.de/fit-im-alter/in-form-mitmachbox.html. Zugegriffen: 18. Nov. 2013

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