Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?

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Gibt es eine europäische Öffentlichkeit? Vortrag auf der „Zukunftswerkstatt Europa“ Malente 10.05.2014 Eric Bonse

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Are we witnesses of the emerging of a genuine European Public Sphere? Or are the upcoming elections for the European Parliament just another exemple of a discourse organized by and for the European elite?

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Gibt es eine europäische

Öffentlichkeit?

Vortrag auf der „Zukunftswerkstatt Europa“Malente 10.05.2014

Eric Bonse

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These:

Wir werden gerade staunende Zeugen der Geburt einer

europäischen Öffentlichkeit. Sie wächst von oben - durch

Spitzenkandidaten für die Europawahl, durch TV-Debatten und

Wahlkampftouren -, und von unten: durch europäische

Bürgerinitiativen, Proteste gegen die Sparpolitik, Kampagnen wie

z.B. gegen TTIP. Dieser Prozess wird zu mehr Interesse an Europa

und zu mehr Demokratie führen. Diese Europawahl wird historisch.

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Gegenthese:

Ganz im Gegenteil, wir erleben eine Renationalisierung der

Öffentlichkeit und eine Demobilisierung der Bürger. Das Vertrauen

in die EU ist tief erschüttert, das Interesse an der Europawahl geht

gegen Null. Diese Europawahl wird zum Flop, die Öffentlichkeit

wendet sich mit Grausen ab und diskutiert lieber über die Frisur

von Heidi Klum.

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Und tatsächlich…Die Zahlen von der ZDF-Fernsehdebatte am 8.5.2014 geben den Skeptikern recht:

Nur 1,79 Millionen Zuschauer schauten Schulz und Juncker zur Prime Time zu, Quote von 5,8 %, „totaler Flopp“.

Sogar GNTP - Germanys Next Topmodel - erreichte doppelt so viele Zuschauer (und das war das schwächste Finale…)

„Nie zuvor haben Europas Spitzenpolitiker einen so engagierten Wahlkampf geführt - und doch interessiert es bislang kaum

jemanden.“ (Severin Weiland auf SPON)

„Europawahl- gibt’s die?“ Europa wird täglich wichtiger- und doch spielt sich der laufende Europawahlkampf im Windschatten der

Ukraine-Krise kaum wahrnehmbar ab! (Ulricht Deppendorf, Leiter ARD-Hauptstadtstudio)

Jüngste Umfrage (8.5.2014): Kaum Interesse an Europawahl!

Ipsos poll - interest in 2014 elections:

POL 48% FRA 47% ITA 46%

HU 40% UK 39% IRE 38% BE 37%

DE 37% ESP 33%

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Ein wenig Theorie

Laut Wikipedia gibt es zwei Arten von Öffentlichkeit: die staatlich-verwaltungstechnische Öffentlichkeit und die nichtstaatliche Öffentlichkeit, die durch Zivilgesellschaft hergestellt und gepflegt wird. Während die staatliche Öffentlichkeit von Jürgen Habermas als „vermachtet“ angesehen wird, stelle die nichtstaatliche Öffentlichkeit eine (Gegen-)Öffentlichkeit dar.

Auf Europa übertragen hieße dies:es gibt eine Öffentlichkeit der europ. Eliten bzw. Exekutiven, die in Nationalstaaten hineinwirktund eine nationale Gegenöffentlichkeit, aus der sich europäische Zivilgesellschaft entwickelt

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Dazu der EU-Blogger Ronny Patz:Die EU- und Eurokrise hat die Bedingungen für eine europaweite Öffentlichkeit geschaffen! „In any case, there is no doubt that the amount of pan-European political debate, the amount of coverage of the upcoming European elections and the potential of thematic spillover and synchronisation of national political spheres around highly salient political topics show that there has been a genesis of a European Public Sphere in the past 5 years. This sphere will not go away anymore and it will affect European politics for the years to come.“

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Ulrich Beck hat diese Hoffnung in seinem Buch „Das deutsche Europa“ so formuliert:

„Entsteht aus der Sterblichkeitserfahrung der EU am Ende doch ein europäisches Bewusstsein, das sich sowohl gegen das abstrakte Brüssel-Europa als auch gegen die Nationalstaatsorthodoxie richtet?“

Er äußert die Hoffnung, dass die Krise dazu führt, dass die Europäer zusammenrücken, mehr übereinander sprechen und eine gemeinsame Öffentlichkeit schaffen.Laut Beck müsste sich diese sowohl von Nationalstaaten als auch von Brüsseler EU-PR emanzipieren.Also keine simulierte Öffentlichkeit der europäischen Eliten, sondern Herausbildung einer transnationalen europäischen Zivilgesellschaft

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Debatte

EINERSEITSrichtig, dass europäische Themen mehr diskutiert werdenauch Spillover und Synchronisation nimmt zudoch dies ist eine im Habermaschen Sinne vermachtete DebatteGeberländer geben den Ton an, Empfänger müssen folgensie haben nicht dieselben Interessen und auch nicht dieselbe Perspektivezudem machen sowohl Brüssel als auch die Hautstädte mehr Kommunikation pro domoBecks Forderung wird also durch die neue „Krisen-Kommunikation“ nicht erfüllt

ANDERERSEITSerleben wir die Herausbildung einer europäischen Zivilgesellschaft mit einer schlagkräftigen GegenöffentlichkeitBsp. ACTA, Bsp Wasserprivatisierung, Bsp. TTIPDe Gucht beschwerte sich kürzlich über enorme Macht sozialer Medienallerdings arbeitet diese Gegenöffentlichkeit punktuell, mit Kampagnenerfolgreich ist sie nur, wenn sie in wichtigen EU-Ländern stark ist und eine nationale Öffentlichkeit für sich gewinnt (Deutschland beim Wasser, Frankreich bei ACTA, beide bei TTIP)

PARALLELgibt es Versuche, eine genuine europäische Öffentlichkeit in Brüssel zu schaffenz.B. durch Spitzenkandidaten, Fernsehduelle etc.dies wird jedoch von europ. Elite torpediert

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„Öffentlichkeit entsteht durch Macht oder durch Kontroversen. Konflikte wurden aber nicht als Konflikte innerhalb Europas mit verschieden Positionen innerhalb des Parlaments kommuniziert, sondern als Konflikte zwischen den Ländern. Das hat wenig mit einer europäischen Öffentlichkeit zu tun.“Gesine Schwan

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Fazit

In Wahrheit werden die Debatten immer noch weitgehend national geführt. Wer in Deutschland interessiert sich wirklich für die italienischen Forderungen nach dem Lampedusa-Drama? Kanzlerin Merkel wischte sie mit einem Federstrich beiseite. Niemand in Deutschland nahm davon – und von den empörten italienischen Reaktionen – Notiz.

Ähnlich läuft die Debatte über Migranten aus Bulgarien und Rumänien . Die Briten lauern auf Cameron, die Deutschen auf Seehofer, EU-Sozialkommissar Andor hört kaum noch jemand zu.

Es entwickelt sich zwar eine europäische Gegenöffentlichkeit, z.B. am Thema Wasserprivatisierung oder TTIP. Regierungen und Leitmedien denken und sprechen jedoch weiter national.

Daran ändert auch Wahlkampf nichts. TV-Debatten sind sehr abstrakt und deutschlastig, ziehen die Bürger nicht mit. Es ist Kommunikation von oben, kein echter Bürgerdialog.

Letztlich geht es mehr um Pädagogik als um Partizipation. Es geht um eine Simulation von Öffentlichkeit - denn viele zentrale Fragen werden geheim gehalten (Details der Eurorettung, TTIP, NSA-Skandal).

Der Citoyen ist nicht gefragt… und wenn, dann nur zur Bestätigung einer schon entschiedenen Politik, zur Schaffung eines künstlichen Konsenses, der von den europäischen Eliten vorgegeben wird.