GKV-Versorgungsstrukturgesetz: Anspruch & Wirklichkeit€¦ · GKV-Versorgungsstrukturgesetz:...

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Editorial KVS-Mitteilungen Heft 12/2011 3 Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Wunschzetteln ist inzwischen Re- daktionsschluss und wir können gespannt bleiben, was uns im Weihnachtsmannsack am 24. Dezember tatsächlich beschert wird. Ähnlich ist es beim neuen Gesetz. Nach umfangreichen Wunschzetteln, Bitten, aber auch harten Forderungen unter- schiedlichster Interessenvertreter, nicht zuletzt auch aus dem KV-System, wurde das Gesetz nach 2. und 3. Lesung am 1. Dezember beschlossen. Mit dem In- krafttreten zum 1. Januar 2012 ist zu rech- nen. Viele der Regelungen greifen in den ärztlichen Alltag ein, einige möchte ich schwerpunktmäßig herausgreifen. Die Planungsbereiche werden flexibili- siert und müssen nicht mehr wie bisher Stadt- und Landkreisen entsprechen. Die Verhältniszahlen der Ärzte, die für eine bestimmte Einwohnerzahl als bedarfs- gerecht anzusehen sind, werden unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung neu berechnet. Die als über- versorgt eingestuften Regionen nehmen ab. Berücksichtigt werden auch Mitver- sorgungseffekte in Ballungszentren für das Umland. Vorgesehen ist, dass der Zulassungsausschuss bereits im Vorfeld eines in überversorgten Planungsberei- chen vorgesehenen Nachbesetzungsver- fahrens darüber zu entscheiden hat, ob ein solches überhaupt erfolgen soll. Aus- genommen von dieser Regelung sind Kinder, Ehegatten, Lebenspartner und Partner in Berufsausübungsgemeinschaf- ten. Im negativen Fall erhält der ausschei- dende Vertragsarzt von der KV eine Ent- schädigung aus der Gesamtvergütung in Höhe des Verkehrswertes. Das Thema Praxisaufkauf wurde und wird heiß dis- kutiert. Ich glaube aber, dass es weniger Bedeutung haben wird als angenommen. Denn auch die Kostenträger - Partner im Zulassungsausschuss - müssten den Mut haben, eine Praxis „vom Markt“ zu neh- men. Die Frage des „Verkehrswertes“ ist innerärztlich zu diskutieren und zu defi- nieren, unter Wahrung der Interessen des Abgebenden und der Vertragsärzteschaft. Im Bereich der Sicherstellung wird die Residenzpflicht aufgehoben. Praxissitze können innerhalb eines Planungsberei- ches nur noch verlegt werden, wenn dem nicht Versorgungsgesichtspunkte entgegenstehen. Dies gilt auch für Sitz- verlegungen in ein MVZ. Die KVen können in unterversorgten Ge- bieten Strukturfonds bilden, beispiels- weise für Investitionskostenzuschüsse bei Neuniederlassungen. Die Krankenkassen müssen sich in gleicher Höhe beteiligen, jeweils bis zu 0,1 % der morbiditätsorien- tierten Gesamtvergütung (MGV). Alle Leistungen von Ärzten, die in struktur- schwachen Gebieten tätig sind, werden grundsätzlich von der Abstaffelung aus- genommen und stattdessen voll vergütet. Allerdings ist nicht geregelt, woher das dazu notwendige Geld kommen soll! Es wäre eine Augenwischerei, sollte dies aus der MGV - zu Lasten der Anderen - kom- men. Hier sind die Kostenträger in der Pflicht! Vorgesehen ist auch ein Wartezeit- management. Die KVen und die Landes- verbände der Krankenkassen haben Re- gelungen zu treffen. Sanktionen sind nicht vorgesehen. Sie würden wohl auch am Kern der Sache vorbei gehen. Wir haben aber darauf zu achten, dass nicht wieder zeitraubende und kontraproduk- tive Bürokratie mit Frust statt Lust kreiert wird. Nichts desto Trotz müssen wir auch unsere eigenen Strukturen hinterfra- gen. Die Gründungsbedingungen für MVZ werden im Interesse der Ärzteschaft, bei Bestandsschutz bestehender Einrichtun- gen, modifiziert. Allerdings sind auch Genossenschaften künftig gründungsbe- rechtigt, so dass wohl auf diese Weise über stille Beteiligungen nichtärztliches Fremdkapital implementiert werden könnte. Bezüglich der Richtgrößenprüfungen wird das Prinzip Beratung vor Regress gestärkt. Es konnte leider nicht erreicht werden, die Richtgrößenprüfungen bzw. die Richtgrößen selbst abzuschaffen. Neu eingeführt wird die „ambulante spezialfachärztliche Versorgung“. Sie umfasst die Diagnostik komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Quali- fikation, eine interdisziplinäre Zusam- menarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Entgegen dem Regierungsent- wurf wird nun im Wesentlichen einge- grenzt auf schwere Verlaufsformen von Erkrankungen mit besonderen Krank- heitsverläufen, seltene Erkrankungen und Erkrankungszustände mit entsprechend geringen Fallzahlen sowie hoch speziali- sierte Leistungen. Leistungserbringer sind Vertragsärzte und Krankenhäuser, die Genehmigung zur Leistungserbrin- gung erfolgt durch die Selbstverwaltung, die Abrechnung direkt mit den Kranken- kassen oder optional über die KVen. Der Gesetzgeber hat grundsätzliche Rege- lungen zu Kooperationsvereinbarungen zwischen ambulant und stationär sowie einen vertragsärztlichen Überweisungs- vorbehalt aufgenommen. Es wird aber sehr darauf ankommen, wie dann die jeweilige Ausführung im Gemeinsamen Bundesausschuss geregelt wird. Wesent- lich ist auch die Frage der Bereinigung der Gesamtvergütung für die Leistungen der ambulanten spezialärztlichen Ver- sorgung. Diese darf nach Gesetz nicht Editorial GKV-Versorgungsstrukturgesetz: Anspruch & Wirklichkeit

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Editorial

KVS-Mitteilungen Heft 12/2011 3

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bei den Wunschzetteln ist inzwischen Re-daktionsschluss und wir können gespanntbleiben, was uns im Weihnachtsmannsackam 24. Dezember tatsächlich beschertwird.

Ähnlich ist es beim neuen Gesetz. Nachumfangreichen Wunschzetteln, Bitten,aber auch harten Forderungen unter-schiedlichster Interessenvertreter, nichtzuletzt auch aus dem KV-System, wurdedas Gesetz nach 2. und 3. Lesung am 1. Dezember beschlossen. Mit dem In-krafttreten zum 1. Januar 2012 ist zu rech-nen. Viele der Regelungen greifen in denärztlichen Alltag ein, einige möchte ichschwerpunktmäßig herausgreifen.

Die Planungsbereiche werden flexibili-siert und müssen nicht mehr wie bisherStadt- und Landkreisen entsprechen. DieVerhältniszahlen der Ärzte, die für einebestimmte Einwohnerzahl als bedarfs -gerecht anzusehen sind, werden unter Berücksichtigung der demographischenEntwicklung neu berechnet. Die als über-versorgt eingestuften Regionen nehmenab. Berücksichtigt werden auch Mitver-sorgungseffekte in Ballungszentren fürdas Umland. Vorgesehen ist, dass der Zulassungsausschuss bereits im Vorfeldeines in überversorgten Planungsberei-chen vorgesehenen Nachbesetzungsver-fahrens darüber zu entscheiden hat, ob ein solches überhaupt erfolgen soll. Aus-genommen von dieser Regelung sindKinder, Ehegatten, Lebenspartner undPartner in Berufsausübungsgemeinschaf-ten. Im negativen Fall erhält der ausschei-dende Vertragsarzt von der KV eine Ent-schädigung aus der Gesamtvergütung inHöhe des Verkehrswertes. Das ThemaPraxisaufkauf wurde und wird heiß dis -kutiert. Ich glaube aber, dass es wenigerBedeutung haben wird als angenommen.Denn auch die Kostenträger - Partner imZulassungsausschuss - müssten den Muthaben, eine Praxis „vom Markt“ zu neh-men. Die Frage des „Verkehrswertes“ istinnerärztlich zu diskutieren und zu defi-nieren, unter Wahrung der Interessen desAbgebenden und der Vertragsärzteschaft.

Im Bereich der Sicherstellung wird dieResidenzpflicht aufgehoben. Praxissitzekönnen innerhalb eines Planungsberei-ches nur noch verlegt werden, wenn dem nicht Versorgungsgesichtspunkteentgegenstehen. Dies gilt auch für Sitz-verlegungen in ein MVZ.

Die KVen können in unterversorgten Ge-bieten Strukturfonds bilden, beispiels-weise für Investitionskostenzuschüsse beiNeuniederlassungen. Die Krankenkassenmüssen sich in gleicher Höhe beteiligen,jeweils bis zu 0,1 % der morbiditätsorien-tierten Gesamtvergütung (MGV). AlleLeistungen von Ärzten, die in struktur-schwachen Gebieten tätig sind, werdengrundsätzlich von der Abstaffelung aus-genommen und stattdessen voll vergütet.Allerdings ist nicht geregelt, woher dasdazu notwendige Geld kommen soll! Eswäre eine Augenwischerei, sollte dies ausder MGV - zu Lasten der Anderen - kom-men. Hier sind die Kostenträger in derPflicht!

Vorgesehen ist auch ein Wartezeit -management. Die KVen und die Landes-verbände der Krankenkassen haben Re-gelungen zu treffen. Sanktionen sindnicht vorgesehen. Sie würden wohl aucham Kern der Sache vorbei gehen. Wir haben aber darauf zu achten, dass nichtwieder zeitraubende und kontraproduk-tive Bürokratie mit Frust statt Lust kreiertwird. Nichts desto Trotz müssen wir auch unsere eigenen Strukturen hinterfra-gen.

Die Gründungsbedingungen für MVZwerden im Interesse der Ärzteschaft, beiBestandsschutz bestehender Einrichtun-gen, modifiziert. Allerdings sind auchGenossenschaften künftig gründungsbe-rechtigt, so dass wohl auf diese Weiseüber stille Beteiligungen nichtärztlichesFremdkapital implementiert werdenkönnte.

Bezüglich der Richtgrößenprüfungenwird das Prinzip Beratung vor Regressgestärkt. Es konnte leider nicht erreichtwerden, die Richtgrößenprüfungen bzw.die Richtgrößen selbst abzuschaffen.

Neu eingeführt wird die „ambulante spezialfachärztliche Versorgung“. Sieumfasst die Diagnostik komplexer,schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Quali -fikation, eine interdisziplinäre Zusam -menarbeit und besondere Ausstattungenerfordern. Entgegen dem Regierungsent-wurf wird nun im Wesentlichen einge-grenzt auf schwere Verlaufsformen vonErkrankungen mit besonderen Krank-heitsverläufen, seltene Erkrankungen undErkrankungszustände mit entsprechendgeringen Fallzahlen sowie hoch speziali-sierte Leis tungen. Leistungserbringersind Vertragsärzte und Krankenhäuser,die Genehmigung zur Leistungserbrin-gung erfolgt durch die Selbstverwaltung,die Abrechnung direkt mit den Kranken-kassen oder optional über die KVen. DerGesetzge ber hat grundsätzliche Rege -lungen zu Koope rationsvereinbarungenzwischen ambulant und stationär sowieeinen vertragsärztlichen Überweisungs-vorbehalt aufgenommen. Es wird abersehr darauf ankommen, wie dann die jeweilige Ausführung im GemeinsamenBundesausschuss geregelt wird. Wesent-lich ist auch die Frage der Bereinigungder Gesamtvergütung für die Leistungender ambulanten spezialärztlichen Ver -sorgung. Diese darf nach Gesetz nicht

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zu Lasten der Hausärzte und der fachärzt-lichen Basisversorgung gehen. Nur eineeinmalige Bereinigung macht Sinn. Nachdieser könnte sich der Bereich weiterent-wickeln. Hier gibt es noch offene Fragenund Konfliktpotential.

Die Kompetenz der Honorarverteilunggeht bis auf Rahmenvorgaben der KBVzur Honorarverteilung und zur Trennungder Vergütung Hausarzt/Facharzt wiederauf die KVen über. Wir werden im kom-menden Jahr eigene Honorarverteilungs-maßstäbe festlegen können und müssen,dies nur noch im Benehmen mit denKrankenkassen. Man kann die Regiona -lisierung der Honorarverteilungskom -petenz positiv oder negativ sehen. Eskommt aber entscheidend darauf an, dass

die KVen die Honorarverteilung so ge-stalten, dass sie transparent, möglichstgerecht und adäquat ist. Chancen und Risiko für KVen gleichermaßen. Ohneadäquate Zuflüsse von Seiten der Kosten-träger nützt aber die beste Honorarvertei-lung wenig!

Das Gesetz bietet viele positive Ansätze.Viel Entscheidungskompetenz wurdeaber zum Gemeinsamen Bundesaus-schuss verlagert, das ist nicht in unseremInteresse. Dieser Entwicklung haben wirmit verstärktem Engagement Rechnungzu tragen. Auch sind noch Finanzie -rungsfragen, wen wundert es, offen bzw. noch nicht hinreichend geklärt. Das wird ein weiterer Schwerpunkt unsererArbeit.

So bleibt weiter viel zu tun – fachlich undberufspolitisch. Dazu brauchen wir alleviel Kraft. Wie auf der Rückseite diesesHeftes sind die Konturen am Horizontschon zu sehen, die Nebel werden sichnoch auflösen. Ich wünsche Ihnen allenmit Ihren Familien und Teams, auch imNamen von Herrn Dr. Heckemann undHerrn Prof. Porst, eine besinnliche Weih-nachtszeit und alles Gute für das Jahr2012.

Mit kollegialen Grüßen

Ihr Stefan WindauVorsitzender der Vertreterversammlung

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