Global & Liberal 1-2014

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Vom 22. bis 25. Mai sind 400 Mio. Europäerinnen und Europäer aufgerufen, ein neues Europäisches Parlament zu wählen - und sie nehmen dabei so viel Einfluss auf die Geschicke der Europäischen Union wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Grund genug für uns, diese erste Ausgabe unseres neu aufgelegten Auslandsmagazins „global & liberal“ dem Titelthema „Europa wählt!“ zu widmen und einen Blick nach Brüssel als auch in die europäischen Projektländer der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zu werfen. Die transatlantischen Beziehungen sind traditionell ein Eckpfeiler der EU-Außenpolitik, stehen aktuell jedoch vor großen Herausforderungen (S. 25). Dies gilt ebenfalls für die Verbindungen nach Asien, für die unser Autor die Vorteile eines ganzheitlichen, nicht nur auf China bezogenen Ansatzes erläutert (S. 31). Auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union gibt es für unsere Projektleiterinnen und Projektleiter viel zu berichten. Lesen Sie u.a. über den neuen Konfliktherd Ukraine (ab S. 21) und über erfolgreiche Dialogprojekte der Stiftung unter schwierigen Rahmenbedingungen in Ägypten und der Türkei (S. 27). Darüber hinaus berichten unsere Kolleginnen und Kollegen über den Stand der Demokratisierung in Lateinamerika (S. 37), Menschenrechtsarbeit im mittlerweile aus den Schlagzeilen verschwundenen Mali (S. 43) und wirtschaftliche Freiheit als das wesentliche Instrument zur Bekämpfung von Armut in Indien (S. 47).

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  • global & liberal Das Auslandsmagazin der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit

    Europa

    whlt!

    Themen:

    Europawahl 2014

    Ukraine: Eine dritte Chance fr die Demokratie

    Auf dem Weg in eine transatlantische Renaissance?

    Bridging the Gap: Mittelmeerdialog in gypten und der Trkei

    Von der neuen Chinoserie zur europischen

    Hinwendung nach Asien?

    Demokratiedefizite in Lateinamerika

    Menschenrechtsarbeit in Mali

    Wirtschaftliche Freiheit als Werkzeug der

    Armutsbekmpfung in Indien

    1-2014

  • Editorial

    Inhalt

    2

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    vom 22. bis 25. Mai sind 400 Mio. Europerinnen und Eu-

    roper aufgerufen, ein neues Europisches Parlament zu

    whlen - und sie nehmen dabei so viel Einfluss auf die Ge-

    schicke der Europischen Union wie nie zuvor in ihrer Ge-

    schichte. Grund genug fr uns, diese erste Ausgabe unseres

    neu aufgelegten Auslandsmagazins global & liberal dem Titelthema Europa whlt! zu widmen und einen Blick nach Brssel als auch in die europischen Projektlnder der

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit zu werfen.

    Die transatlantischen Beziehungen sind traditionell ein

    Eckpfeiler der EU-Auenpolitik, stehen aktuell jedoch vor

    groen Herausforderungen (S. 25). Dies gilt ebenfalls fr

    die Verbindungen nach Asien, fr die unser Autor die Vor-

    teile eines ganzheitlichen, nicht nur auf China bezogenen

    Ansatzes erlutert (S. 31).

    Auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Europi-

    schen Union gibt es fr unsere Projektleiterinnen und Pro-

    jektleiter viel zu berichten. Lesen Sie u.a. ber den neuen

    Konfliktherd Ukraine (ab S. 21) und ber erfolgreiche Dia-

    logprojekte der Stiftung unter schwierigen Rahmenbedin-

    gungen in gypten und der Trkei (S. 27).

    Darber hinaus berichten unsere Kolleginnen und Kollegen

    ber den Stand der Demokratisierung in Lateinamerika (S.

    37), Menschenrechtsarbeit im mittlerweile aus den Schlag-

    zeilen verschwundenen Mali (S. 43) und wirtschaftliche

    Freiheit als das wesentliche Instrument zur Bekmpfung

    von Armut in Indien (S. 47).

    Ich danke Ihnen fr Ihr Interesse an unserer Arbeit und

    wnsche Ihnen eine anregende Lektre!

    Ulrich Niemann

    Bereichsleiter Internationale Politik

    Titelthema Europawahl 2014

    Europa whlt - whlt Europa!

    Interview mit Sir Graham

    Watson MdEP

    Griechenland - die nchste Krise

    wartet schon

    Sdosteuropa - zwischen Ernchte-

    rung und Desinteresse

    Mitteleuropa und Baltische Staaten

    zehn Jahre nach dem EU-Beitritt

    Krisenherd Ukraine

    Eine dritte Chance fr die Demo-

    kratie

    Interview mit Julius von Freytag-

    Loringhoven

    Transatlantische Beziehungen

    Auf dem Weg in eine

    transatlantische Renaissance?

    Mittelmeer-Dialog

    Facetten erfolgreicher Projekt-

    arbeit in gypten und Trkei

    EU-Asien-Beziehungen

    Von der neuen Chinoserie zur

    Hinwendung nach Asien

    Demokratie in Lateinamerika

    ein leicht verbessertes Bild fr

    die Demokratie, aber nicht fr libe-

    rale Freiheitsrechte

    Menschenrechtsarbeit in Afrika

    Mali und noch kein Ende

    Wirtschaftsfreiheit in Sdasien

    Wirtschaftsfreiheit als Werkzeug

    der Armutsbekmpfung in Indien

    S. 3

    S. 9

    S. 10

    S. 12

    S. 16

    S. 21

    S. 24

    S. 25

    S. 27

    S. 31

    S. 37

    S. 43

    S. 47

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    global & liberal 1-2014

    Titelthema: Europa whlt - whlt Europa! Warum diese Europawahlen so richtungsweisend sind wie nie

    Titelthema Europawahl 2014

    Vom 22. bis 25. Mai 2014 knnen 400 Millionen Euro-

    per ein neues Europaparlament whlen. Die achte

    Direktwahl des Europischen Parlaments ist die erste

    nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags.

    Durch die neu eingefhrte Hchstzahl von 750 Abge-

    ordneten zuzglich des Prsidenten erfolgt eine Neu-

    verteilung der Sitzzahl pro Land. Deutschland gibt drei

    Sitze ab, bleibt mit 96 Abgeordneten jedoch weiterhin

    die grte Delegation im Europischen Parlament.

    Zudem muss der Europische Rat erstmals das Ergeb-

    nis der Europawahl bei der Nominierung des nchsten

    Kommissionsprsidenten bercksichtigen.1 Daher tre-

    ten die meisten europischen Parteifamilien mit ei-

    nem Spitzenkandidaten fr das Amt

    des Kommissionsprsidenten an.

    Seit 1979 wird das Europische Parlament alle fnf

    Jahre direkt gewhlt. Die Wahlbeteiligung ist seither

    sukzessive gesunken und hat seit der Wahl 1999 die

    50%-Hrde nicht mehr bertroffen, obwohl in Belgien

    und Luxemburg Wahlpflicht gilt. In vielen Mitglieds-

    staaten Mittel- und Osteuropas sank die Wahlbeteili-

    gung sogar auf unter 20%. Viele hinterfragen daher

    die demokratisch-reprsentative Legitimitt des Euro-

    paparlaments.

    Nun soll durch eine europaweite Debatte und die Auf-

    stellung von Spitzenkandidaten aus jeder Parteifamilie

    neuer Schwung in den europaweiten Wahlkampf ge-

    bracht werden. Die Europawahl knnte erstmals so die Hoffnung - keine rein nationale Wahl oder ein

    Plebiszit gegen die amtierende Regierung werden. Zum ersten Mal werden Debatten zwischen Spitzen-

    1 vgl. Vertrag von Lissabon, Art. 17 Abs. 7 (EUV)

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    global & liberal 1-2014

    kandidaten ber ihre grundstzlichen Visionen fr Eu-

    ropa stattfinden. Brgerinnen und Brger knnen sich

    ein klares Bild von den Parteien und ihren Wahlpro-

    grammen machen. Die Wahl von Spitzenkandidaten

    knnte damit eine wichtige Etappe auf dem Weg zu

    einer wahrhaft europischen Wahl sein. Auch Guy

    Verhofstadt, Spitzenkandidat der Allianz der Liberalen

    und Demokraten fr Europa (ALDE), gibt sich zuver-

    sichtlich: Diese Wahlen werden zeigen, dass die Eu-

    ropawahl kein Test fr die jeweilige Regierung ist,

    sondern dass es um Europa und seine Brger geht.

    Wahlen in Zeiten der Krise

    Die anhaltende Finanz- und Staatsschuldenkrise wird

    in vielen EU-Mitgliedsstaaten von einer tiefgreifenden

    politischen und institutionellen Krise begleitet. Harte

    Sparmanahmen und strukturelle Reformen wurden

    notwendig, um den Euro zu retten und Krisenlnder

    zu stabilisieren. Die Kehrseite der Medaille ist, dass

    die ffentliche Zustimmung zur EU zurckgegangen

    ist. Beispielsweise sank der Anteil der griechischen

    Befrworter der europischen Integration in 2013 auf

    ein Rekordtief von 19%. In Spanien stimmten im Jahr

    2013 nur noch 27% der Bevlkerung der von Europa verordneten Sparpolitik zu. Besonders besorgniserre-

    gend ist, dass nur noch in vier der 28 Mitgliedsstaaten

    die Mehrheit der Bevlkerung der EU vertraut.

    Die Unzufriedenheit ber die eingeschlagene Sparpoli-

    tik wird verstrkt durch ein Unbehagen gegenber der

    EU. Fehlende demokratische Legitimitt, Intransparenz

    und Brokratisierung fhren dazu, dass sich Brger

    entweder von der EU abwenden oder ihr stets kriti-

    scher gegenber stehen. Dass die EU-Mitgliedsstaaten

    den Europischen Institutionen oft den Schwarzen

    Peter fr unbeliebte Entscheidungen zuschieben, wirkt

    als Katalysator fr diese Entwicklung und wird sich

    auch auf den Erfolg etablierter, europabejahender

    Parteien auswirken.

    Gleichzeitig hat in den letzten Jahren die Debatte

    ber Sinn und Zweck der Europischen Union stark

    zugenommen. Die Frage "Brauchen wir mehr oder we-

    niger Europa?" wird in immer mehr Mitgliedstaaten

    immer hufiger gestellt. Besonders die Kompetenzver-

    teilung zwischen den Institutionen in Brssel und den

    Mitgliedslndern wird derzeitig hei debattiert. So

    haben die britische und niederlndische Regierung

    eine berprfung der Zustndigkeiten zwischen Brs-

    sel und den EU-Mitgliedern angestoen. Politiker,

    Parteien und Think Tanks publizieren ihre Positionen

    ber die Zukunft der EU; so auch die Friedrich

    Naumann Stiftung fr die Freiheit mit ihrem Europa-

    manifest Fr ein Europa der Freiheit und der Br-

    ger!.2 Auch Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, regt eine Reform der EU Institutionen an. Die

    Vermischung der Zustndigkeiten von EU, Bund, Ln-

    dern und Gemeinden habe dazu gefhrt, dass die EU

    einem Marmorkuchen gleiche. Um mehr Transparenz und Brgernhe zu gewhrleisten, pldiert Lindner

    fr eine Kompetenzaufteilung nach dem Prinzip der Schichttorte: damit Brgerinnen und Brger wissen,

    wer fr was Verantwortung trgt3.

    Neuverteilung der Sitzzahl pro Land

    (Quelle: Bundeszentrale fr politische Bildung)

    2 http://www.freiheit.org/files/62/Europa-

    Manifest_Beschluss_Kuratorium_Endversion_22032013.pdf 3 Christian Lindners Rede anlsslich des Dreiknigstreffens der FDP am 6. Januar 2014

    Titelthema Europawahl 2014

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    global & liberal 1-2014

    Liberales Spitzenduo fr ein selective Europe

    Die ALDE-Partei whlte am 1. Februar den frheren

    belgischen Premierminister und heutigen Vorsitzenden

    der ALDE-Fraktion im EP, Guy Verhofstadt, und dem

    finnischen EU-Wirtschafts- und Whrungskommissar,

    Olli Rehn, als ihre Spitzenkandidaten. Guy Verhofstadt

    strebt das Amt des Kommissionsprsidenten an. Olli

    Rehn ist der liberale Vorschlag fr einen Spitzenpos-

    ten im Bereich der Wirtschafts- oder Auenpolitik.

    Beide gehen als berzeugte Europer in die Wahl und

    ergnzen sich. Der Finne Olli Rehn wirkt als klassisch

    Liberaler eher nchtern-berlegt: Als berzeugte Eu-roper mssen wir fr das Projekt Europa werben,

    nicht auf naive Art, sondern kritisch und konstruktiv. Demgegenber wirbt Guy Verhofstadt, Grnder der

    pro-europischen Spinelli Gruppe, eher emotional fr eine fderalistische Position: Ich biete eine Alter-native fr ein Europa, das nur dann aktiv wird, wenn

    es einen Mehrwert zu nationalen Lsungen schafft.

    Niemand will einen europischen Superstaat. Beide

    sprechen sich fr ein selective Europe aus, bei dem Subsidiaritt nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. Olli

    Rehn tritt fr eine regelmige berprfung der Ge-

    setzgebung ein: "Wir brauchen eine jhrliche instituti-

    onalisierte berprfung, ob die EU-Gesetzgebung not-

    wendig ist und ob sie sensibel genug ist." Probleme,

    die auf regionaler oder nationaler Ebene entschieden

    werden knnen, sollten nicht in Brssel gelst werden.

    Aber gleichzeitig ist auch mehr Zusammenarbeit und

    Harmonisierung gefragt, wenn es um entscheidende

    globale Herausforderungen geht.

    Auch wenn mit Guy Verhofstadt und Olli Rehn zwei

    profilierte liberale Politiker als Spitzenkandidaten an-

    treten, werden sie nicht bewirken, dass die ALDE zur

    strksten Kraft im nchsten Parlament wird. Nur so

    knnte das Amt des Kommissionsprsidenten fr ei-

    nen Liberalen reklamiert werden. Angesichts der vo-

    raussichtlich niedrigen Wahlbeteiligung und der zu

    erwartenden Strkung populistischer und nationalisti-

    scher Bewegungen, werden die Liberalen wohl eher

    Mhe haben, ihre Position als drittstrkste Kraft im

    Parlament zu halten. Die ALDE-Fraktion setzt sich ge-

    genwrtig aus 85 Abgeordneten zusammen. Umfragen

    zufolge knnten es in der nchsten Wahlperiode nur

    zwischen 61 und 75 werden. Die ALDE knnte im

    schlimmsten Fall sogar knapp hinter der Linken Euro-

    pischen Partei (EUL/NGL) auf die vierte Position zu-

    rck fallen. Doch lassen sich auch einige Erfolge vo-

    raussehen. In Dnemark fhrt die oppositionelle libe-

    rale Partei Venstre die Umfragen mit 25% der Stim-

    men an.

    ALDE-Spitzenkandidaten Guy Verhofstadt und Olli Rehn

    (Foto: ALDE Party)

    Titelthema Europawahl 2014

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    global & liberal 1-2014

    Aber nicht nur die Wahl zum Europischen Parlament,

    auch die derzeit schwierige Position liberaler Parteien

    in vielen Mitgliedsstaaten werden einen Einfluss auf

    die knftige Zusammensetzung der Europischen

    Kommission haben. In der gegenwrtigen Barroso II

    Kommission gehren acht Kommissare ALDE-

    Mitgliedsparteien an. Derzeit sind die Liberalen jedoch

    nur in drei Mitgliedsstaaten entweder alleinregierend

    oder der grere Koalitionspartner, womit wohl auch

    nur drei Kommissare in der nchsten Kommission auf

    die ALDE-Familie entfallen drften.

    Populismus Aufstieg von Europaskeptikern

    Pro-europische Krfte haben es gegenwrtig schwer,

    ihre Argumente zu Gehr zu bringen. Jngsten Umfra-

    gen zufolge wird der Anteil der Mainstream-Parteien

    - EVP, S&D und der ALDE - wahrscheinlich von derzeit

    72% auf 63% sinken. Linke und rechte Europaskepti-

    ker und gegner finden dagegen groen Zulauf. Sie sind mittlerweile selbst zu Mainstream-Parteien ge-

    worden, so Guy Verhofstadt. Wie hoch der Anteil von Europaskeptikern im neuen Europaparlament sein

    wird, variiert von Umfrage zu Umfrage. Aber eines

    steht fest: Parteien am linken und rechten Ende des

    politischen Spektrums werden bei der Europawahl er-

    starken. Derzeit besetzen Anti-EU-Parteien 12% der

    Sitze im Europischen Parlament und konnten sich

    bisher nie auf eine gemeinsame Linie geschweige

    denn Bildung einer Fraktion einigen. Dies knnte sich

    mit der Europawahl jedoch ndern. Unterschiedlichen

    Umfragen und Schtzungen zufolge knnten den eu-

    ropaskeptischen Parteien zwischen 16% und 25% der

    Sitze zukommen. Die Rechte in Europa will nach den

    Europawahlen ihre Krfte in einer Fraktion bndeln.

    Den Takt vorgegeben haben bereits die Franzsin Ma-

    rine Le Pen und der Niederlnder Geert Wilders, die

    sich auf Initiative von Wilders im November 2013 zur

    Abstimmung ihrer Strategien trafen.

    Ob europaskeptische, nationalistische Parteien aber

    tatschlich zu einer einflussreichen politischen Kraft

    im nchsten Europaparlament werden, ist offen. Wer-

    den Anti-Europismus und Xenophobie, Nationalismus

    und Protektionismus als Bindeglied fr eine gemeinsa-

    me Politik ausreichen? Oder werden hierdurch nicht

    gerade Konflikte zwischen den vermeintlichen Part-

    nern aufbrechen?

    Animate Europe!

    Um zum kreativen Nachdenken ber Europa anzuregen, hat das FNF-Europabro in Brssel den Comicwettbe-werb Animate Europe organisiert. Anstatt traditionel-len Europaexperten wurden Comiczeichner aufgerufen,

    ihre Perspektive von Europa zu zeichnen.

    Aus aller Welt gingen Einsendungen ein, die jngste Teil-nehmerin war eine elfjhrige Schlerin, die eine Ge-schichte ber Krieg und Frieden erzhlte. Eine sechs-kpfige internationale Jury hat die fnf besten Comics ausgewhlt von einem Niederlnder, einer Indonesie-rin, zwei Brdern aus Deutschland, einem Amerikaner und einem in Hamburg lebenden Italiener. Ihre Ge-

    schichten sind so ideenreich und unterschiedlich in Stil

    und Form, so faszinierend wie die Europische Union und ihre 28 Mitgliedstaaten. Was sie alle verbindet: Sie

    erwecken Europa zum Leben!

    Titelthema Europawahl 2014

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    global & liberal 1-2014

    Guy Verhofstadt stellte auf dem ALDE-Parteitag in

    Brssel fest: die Krise ist nicht vorbei [] sie nhrt

    den Nationalismus und Populismus in Europa. Doch auch wenn die Zustimmung fr populistische Argu-

    mente durchaus ein Gradmesser des Unbehagens der

    Menschen sein kann, zeigt diese keine konstruktiven

    Handlungsalternativen auf. Die Abschottung Europas

    oder gar die Wiedereinfhrung nationaler Grenzen

    werden uns nicht vor illegaler Einwanderung, Klima-

    wandel und Arbeitslosigkeit schtzen. In einer globa-

    len Welt knnen globale Probleme nicht durch 28 Na-

    tionalstaaten mit 28 unterschiedlichen Politiken ge-

    lst werden. Fr den belgischen Liberalen Verhofstadt

    sind populistische Lsungen deshalb nur Lgen, in

    denen die Leute sich verfangen. Demgegenber stn-den die Liberalen fr eine weltoffene, moderne, pro-

    gressive Politik. Der populistischen Angstrhetorik setz-

    ten Liberale eine mutige, zukunftsorientierte Politik

    entgegen - oder mit den Worten des liberalen briti-

    schen Vizepremiers Nick Clegg: Hope, not fear.

    In einem haben viele Populisten und Euroskeptiker

    aber sicher recht: die Europische Union zeichnet sich

    nicht gerade durch Brgernhe, transparente Ent-

    scheidungsfindung und ein effizientes Management

    aus. Guy Verhofstadt rumt ein: Die EU wird schlecht gefhrt. Aber durch einfache Schuldzuweisung auf

    Brssel gehen wir den Populisten auf den Leim. Kritik

    ist richtig, sie muss jedoch an der richtigen Stelle an-

    setzen. Guy Verhofstadt wird nicht mde zu wieder-

    holen: Ich selbst bin so kritisch wie die Euroskeptiker,

    aber ich habe bessere Lsungen. Denn nationale Al-leingnge als Alternative bieten zum einen keine

    berzeugenden Antworten fr die heutigen Herausfor-

    derungen. Zum anderen tragen gerade die von den

    Populisten als Allheilmittel gepriesenen Nationalstaa-

    ten bereits heute magebliche Verantwortung bei al-

    len Entscheidungen, die in Brssel getroffen werden:

    Die Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten sind immer

    ber den europischen Rat eingebunden.4

    Die wichtigsten Europakritiker

    In mehreren Lndern fhren Anti-Europa-Parteien, dank ihres populistischen Kurses und einer Unzufrie-

    denheit der Brgerinnen und Brger mit den regieren-den Parteien, die Umfragen an, so etwa der Front Nati-

    onal in Frankreich, die Partei fr die Freiheit in den Nie-derlanden, die Volkspartei in Dnemark, die FP in s-terreich und Syriza in Griechenland.

    In Grobritannien fhrt die, von Nigel Farage gesteuer-te, United Kingdom Independence Party, mit der einfa-

    chen Devise Grobritannien raus aus der EU!, mit 30% der Stimmen die Wahlprognosen an. In Frankreich

    knnte der Front National mit Marine le Pen bis zu 24%

    der Stimmen gewinnen und somit die strkste Kraft Frankreichs werden. Auch in den Niederlanden fhren die Populisten mit Geert Wilders in den Umfragen. Sei-

    ne Partei fr die Freiheit knnte laut Demoskopen mit 17% der Stimmen die strkste Kraft sein. Auch aus Ita-lien knnten neben der nationalistischen Lega Nord,

    neue Gesichter aus der Cinque Stelle Bewegung ins Par-

    lament einziehen. Die Bewegung des Komikers Beppe

    Grillo mag zerstritten sein, Europa bietet seiner Anti-

    Establishment-Plattform aber reichlich Angriffsflche. Grillo kann mit mehr als 20% der Stimmen, daher mit

    16 Sitzen im Europischen Parlament rechnen. In Grie-chenland fhrt Alexis Tsipras die Linksradikale Koalition Syriza, die mit mehr als 30% der Stimmen die strkste

    Kraft Griechenlands in den Europawahlen sein knnten. Rechtsauen dominiert die Goldene Morgenrte. Aber auch aus nordeuropischen Mitgliedsstaaten werden europakritische Stimmen immer lauter. In Finnland

    knnten die Wahren Finnen den Einzug ins Europapar-

    lament diesmal schaffen. Mit ber 17% der Stimmen wren sie in Finnland die drittstrkste Kraft: In Schwe-den rechnen sich die rechtsextremen Schwedendemo-

    kraten gute Chancen auf einen Einzug ins EP aus. Auch

    wenn die Prognosen fr die Alternative fr Deutschland vergleichsweise niedrig liegen, knnte mit zwischen 4% und 7% der Stimmen zum ersten Mal eine europakriti-

    sche Partei aus Deutschland ins Europaparlament ein-

    ziehen. Die sterreichische Freiheitliche Partei ster-

    reichs kann wohl mit ber 20% der Stimmen rechnen. 4 Das Verhalten nationaler Politiker mit Blick auf Europa greift aus-

    fhrlicher der liberale Zwischenruf Moloch Europa? Moment mal! auf. http://www.freiheit.org/EU-Moloch-Europa-Moment-mal-Ein-

    liberaler-Zwischenruf/1804c29022i/index.html

    Titelthema Europawahl 2014

  • 8

    global & liberal 1-2014

    Fr ein Europa, das funktioniert

    Genau deshalb setzen sich die Liberalen fr eine klare

    Kompetenzaufteilung zwischen der europischen und

    den nationalen Regierungsebenen ein (Schichttorte

    statt Marmorkuchen). "Wir brauchen ein Europa, das funktioniert. Europa muss aber nicht alles Mgliche

    bis ins Detail regeln, bringt es Olli Rehn auf den Punkt. Die Umsetzung dieser Vorhaben wird eine der

    wichtigsten Aufgaben in der kommenden Legislatur-

    periode sein. Nur wenn es gelingt Monnets Europa

    durch die Hintertr (Lord Ralf Dahrendorf) zu einem Gemeinwesen weiterzuentwickeln, mit dem die Euro-

    perinnen und Europer sich identifizieren, auf das sie

    stolz sein knnen, wird das gemeinsame europische

    Projekt eine positive Zukunft haben.

    Autorin: Julie Cantalou

    Mgliche Sitzverteilung (Quelle: Umfrage von PollWatch.eu vom 19.03.2014)

    Grafik: Gerd Altmann/Pixelio

    Titelthema Europawahl 2014

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    global & liberal 1-2014

    Sir Graham Watson ist seit 1994 Abgeordneter im Euro-

    pischen Parlament und war von 2002 bis 2009 Frakti-onsvorsitzender der Europischen Liberalen und Demo-kraten im Europischen Parlament.

    Die Europawahl steht vor der Tr, doch viele Brgerin-nen und Brger haben keine genaue Vorstellung, was sie mit ihrer Stimme eigentlich whlen - wie erklren Sie Ihren Whlerinnen und Whlern, warum die Euro-pawahl wichtig ist? Mit welcher Botschaft gehen Sie

    und Ihre liberalen Kollegen, die als Europaabgeordnete

    kandidieren, ins Rennen?

    Die Europawahlen sind, angesichts der neuen Kompe-

    tenzen die dem Europischen Parlament und der EU allgemein durch den Lissabonner Vertrag bertragen wurden, wichtiger geworden. Daher mssen wir enga-giert werben, damit die Wahlbeteiligung nicht weiter

    sinkt. Ich versuche meine Whlerinnen und Whler ber den Einfluss, den die EU ber ihr Leben hat, zu infor-mieren. Ich mchte sie von der Wichtigkeit ihres Ein-flusses auf die Entscheidungen berzeugen, die in ih-rem Namen getroffen werden. Dabei betone ich, dass

    globale Herausforderungen wie der weltweite Bevlke-rungszuwachs, der Klimawandel und internationale Kri-

    minalitt auch Antworten brauchen, die einzelne Natio-nalstaaten nicht lnger alleine liefern knnen.

    Grobritannien arbeitet derzeit an einer berprfung der europischen Verantwortungsbereiche und ber-legt, manche Kompetenzen wieder zurck zu holen. Ist das der Anfang eines sukzessiven Rckzugs aus der EU?

    Ich hoffe sehr, dass dem nicht so ist. Die Prsenz der Liberal Democrats (LibDems) in der britischen Regie-rung ist eine Garantie gegen einen Rckzug. Wrden die Konservativen eine absolute Mehrheit der Sitze im

    Parlament erzielen, wrden sie ein Referendum abhal-ten, welches zum Rckzug Grobritanniens fhren knnte.

    Deutschland wurde v.a. in Griechenland fr den rigiden Sparkurs und den deutschen Einfluss bei der Bewlti-gung der Krise beschimpft - haben Sie den Eindruck,

    dass Deutschland auch in anderen Mitgliedslndern als zu dominant empfunden wird?

    Die neuste Umfrage des Pew Institute zeigt, dass die

    ffentliche Meinung in allen Mitgliedsstaaten -einschlielich Zypern, Griechenland, Portugal und Irland- Sparmanahmen und die Verringerung der Staats-schulden weiter befrwortet. Der Respekt fr Angela Merkel ist in ganz Europa auffallend gro. Demonstrati-onen der Linksradikalen sind eine Minderheit. Dennoch

    ist eine grere EU-Integration notwendig, um zu zei-gen, dass die verfolgten Manahmen gegen die Krise von der EU und nicht nur von der deutschen Regierung

    gefrdert werden.

    Zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft: Wie wird

    die Europische Union im Jahr 2020 aussehen und wird es die europische Einheitswhrung dann noch geben?

    Ich glaube, dass wir die Phase der Rezession und des

    schwachen Wachstums, die durch den finanziellen

    Tsunami im Jahr 2008 entstanden ist, berwunden ha-ben werden. Die EU wird vereinter und der Euro erfolg-

    reich sein. Aber ich denke auch, dass uns eine schwieri-

    ge Zeit bis 2018 bevorsteht, in der es wichtig ist, einen

    khlen Kopf zu bewahren.

    Die EU wird vereinter und der Euro erfolgreich sein Interview mit Sir Graham Watson MdEPs, Prsident der

    Allianz der Liberalen und Demokraten fr Europa Partei (ALDE Party)

    Foto: ALDE Party

    Titelthema Europawahl 2014

  • 10

    global & liberal 1-2014

    Die Verunsicherung ob der Ergebnisse der Europawahl

    ist derzeit gro in Griechenland. Die in Deutschland ge-legentlich geuerte Vermutung, dass Meinungsumfra-gen zu Gunsten des Auftraggebers geschnt sein knn-ten, ist in der Hellenischen Republik gang und gbe. Traue keiner Umfrage, die du nicht selbst geflscht hast, scheint bei der politischen Elite in Athen ein Cre-do zu sein, das die den Parteien nahestehenden Medi-

    enkonzerne gerne bernehmen.

    Vieles liegt momentan noch im Vagen. Klar ist jedoch,

    dass die etablierten Parteien abermals verlieren werden

    jedoch nicht zu Gunsten der Mitte, sondern zu Guns-ten der Rnder des politischen Spektrums. Der konser-vativen Regierungspartei Nea Dimokratia werden in

    fast allen Umfragen hchstens zwanzig Prozent voraus-gesagt, die einst so stolze PASOK ist nur noch ein

    Schatten ihrer selbst (ca. 5%) und das trotz der Profi-lierungsmglichkeiten der EU-Ratsprsidentschaft.

    Die offen faschistische Goldene Morgenrte, die bei der Parlamentswahl im Juni 2012 bereits sieben Prozent

    der Stimmen erhielt und mit 18 Sitzen im griechischen

    Parlament vertreten ist, kann bei der Europawahl mit

    bis zu 15 Prozentpunkten rechnen. Die Tatsache, dass

    fhrende Mitglieder der Partei darunter allein drei Parlamentsabgeordnete wegen des Vorwurfs der Bil-dung einer kriminellen Vereinigung in Beugehaft sitzen,

    tat der Popularitt der Rechtsextremisten indes keinen Abbruch.

    Weniger extremistisch, dafr jedoch nicht minder anti-europisch, ist das linksradikale Bndnis SYRIZA, das als

    strkste Kraft aus der Wahl hervorgehen kann viele Beobachter sagen mittlerweile wird. Ihr charismati-scher Vorsitzender Alexis Tsipras wurde von der Europ-ischen Linken als Spitzenkandidat fr die Europawahl und damit fr die Kommissionsprsidentschaft aufge-stellt. Dies drfte seiner Partei einen zustzlichen Schub verleihen. Das Linksbndnis, das in seinem politischen Gebaren der frheren PASOK nicht unhnlich ist, sich

    jedoch einer stark anti-europischen Rhetorik bedient, werden Werte zwischen 25 bis 30 Prozent vorausge-

    sagt.

    Wie volatil das griechische Parteienspektrum ist, zeigte

    jngst die Grndung einer neuen Partei, die laut ihrem Vorsitzenden linke Positionen mit neo-liberalen Ideen verbinden soll was auch immer sich der bekannte Journalist und Grnder Stavros Theodorakis darunter vorstellt. Obwohl To Potami (Der Fluss) erst Anfang

    Mrz ins Leben gerufen wurde, verzeichnete die Bewe-

    Europawahl in Griechenland - die nchste Krise wartet schon

    Auch wenn auf europischer Ebene alle Anstrengungen unternommen werden, die Europawahl nicht als Denkzettel fr nationale Politiken zu sehen, knnen die Ergebnisse groe Rckwirkungen auf Regierungen der Mitgliedstaaten

    haben. Insbesondere zeigt sich dies im krisengeschttelten Griechenland.

    Viele Griechen werden ihrer Regierung einen Denkzettel verpassen

    (Foto: Eric Vernier/Flickr)

    Titelthema Europawahl 2014

  • 11

    global & liberal 1-2014

    gung nur drei Wochen spter bereits Umfragewerte von bis zu 15 Prozent Tendenz steigend.

    All diese Beispiele zeigen die Sehnsucht einer Mehrheit

    der griechischen Bevlkerung nach Vernderung. So unterschiedlich sich dieser Wunsch auch manifestiert,

    klar ist, dass die Regierungsparteien Nea Dimokratia

    und PASOK weit davon entfernt sind, eine Mehrheit der

    Bevlkerung hinter sich zu bringen. Ganz im Gegenteil knnen beide Parteien froh sein, sollten sie zusammen noch ein Viertel der griechischen Stimmen auf sich ver-

    einen.

    Und so knnte die nchste Regierungskrise in Griechen-land bereits ihre Schatten vorauswerfen. Eine Koalition,

    die hauptschlich aufgrund ihrer aus liberaler Sicht unzureichenden Reformpolitik nach zwei Jahren Re-gierungsverantwortung abgestraft wird, knnte durch diese Wahlschlappe innenpolitisch stark unter Druck

    geraten. Bis vor kurzem rechneten nur Pessimisten mit

    einem Auseinanderbrechen der griechischen Regie-

    rungskoalition vor Mrz 2015, wenn das Parlament ei-nen neuen griechischen Staatsprsidenten whlen muss. Nun knnte unmittelbar im Nachgang der Euro-pawahl und der griechischen Ratsprsidentschaft die nchste Regierungskrise drohen. Das neu formierte Eu-ropaparlament und mit ihm die EU-Kommission knn-ten sich unversehens einem erneuten Krisenmanage-

    ment in Hellas gegenbersehen obwohl sich zuvor alle Akteure Mhe gegeben hatten, die Europawahl ge-rade nicht als nationales Plebiszit zu verbrmen.

    Autor: Markus Kaiser

    Der griechischen Regierung weht der Wind ins Gesicht

    (Foto: FNF-Europe)

    Titelthema Europawahl 2014

  • 12

    global & liberal 1-2014

    Von den alten Mitgliedsstaaten der Europischen Uni-

    on aus betrachtet, erscheinen die Lnder der letzten

    Beitrittsrunden Bulgarien und Rumnien 2007 und Kroatien 2013 derzeit hauptschlich mit negativen

    Schlagzeilen in der Presse. Die sogenannte Armuts-

    migration, aber auch das Defizitverfahren gegen Kroa-

    tien bestimmen das westliche Medienbild. Dass

    gleichzeitig die EU ihre Attraktivitt durch diese

    wahrgenommene Ablehnung einerseits und das Aus-

    bleiben des erwarteten Wohlstandes andererseits in

    genau diesen Lndern zunehmend zu verlieren droht,

    ist die andere Seite der Medaille.

    Die Probleme bleiben

    Trotz eines positiven Starts zu Beginn der Mitglied-

    schaft 2007 zeichnen die Fortschrittsberichte der EU-

    Kommission (CVM Mechanism for Cooperation and Verification) ein durchwachsenes bis dsteres Bild der

    neuen Beitrittsstaaten. ber Bulgarien wird das Fazit

    gezogen: Seit dem letzten Bericht der Kommission

    vom Juli 2012 hat Bulgarien einige begrenzte Fort-

    schritte erzielt. [] Der Gesamtfortschritt ist jedoch

    noch nicht ausreichend und bleibt unsicher. In der diplomatischen Sprache der EU ist dies eine deutliche

    politische Warnung. Kritikpunkte bleiben neben der

    weitverbreiteten Korruption die organisierte Kriminali-

    tt mit ihrer starken Beziehung zu Parteien und Re-

    gierungen, Justiz und Behrden.

    Mit diesem Votum wird deutlich, dass sich die Erwar-

    tungen der Bevlkerung, die EU wrde das gesell-

    schaftspolitische und wirtschaftliche Leben im Land

    regeln, schon sieben Jahre nach dem Beitritt nicht

    erfllt haben. Gleiches gilt fr die Hoffnungen auf ein

    besseres Leben. Nach Ansicht von 73 % der Bevlke-

    rung ist es in Bulgarien seit der EU-Mitgliedschaft zu

    keinen wesentlichen nderungen gekommen; die Frei-

    zgigkeit erscheint als grter Vorteil der Mitglied-

    schaft.

    Die wahrgenommene Erosion des Vertrauens gegen-

    ber der politischen Klasse, das Gefhl eines Stillstan-

    des, gepaart mit dem Wunsch nach einer nderung

    Europawahlen in Sdosteuropa

    zwischen Ernchterung und Desinteresse

    Anti-Regierungsproteste in Sofia (Foto: D. Kaddik)

    Titelthema Europawahl 2014

  • 13

    global & liberal 1-2014

    des Status quo im Land, wird durch die letzten Mei-

    nungsumfragen in Bulgarien besttigt. Die Unzufrie-

    denheit mit der Arbeit der Regierung ist derzeit auf

    53 % gestiegen und erstreckt sich auf fast alle Bevl-kerungsschichten. Dies wird verstrkt durch eine

    Schattenwirtschaft, die mit 31,2 % des BIP mit Ab-

    stand die hchste in der EU ist. So ist es auch nicht

    verwunderlich, dass auch nach dem Rcktritt von Pre-

    mierminister Borissov und den Neuwahlen vom Mai

    2013 bereits seit mehr als 270 Tagen tglich Proteste vor dem Parlament stattfinden und nationalistische

    und populistische Krfte im Aufwind sind.

    Im Lichte dieser Umstnde und bei einer Arbeitslosig-

    keit von 12,7 % sowie einer Jugendarbeitslosigkeit

    von offiziell 25,4 % erklrt sich, warum fr dieses

    Jahr erwartet wird, dass weitere 200.000 Menschen

    das Land verlassen werden. Damit setzt sich nicht nur

    ein Brain Drain, sondern vor allem ein Productivity

    Drain fort nicht nur Hochschulabsolventen, auch Handwerker, Krankenschwestern usw. emigrieren.

    Dass in Bulgarien das Einkommen pro Kopf seit dem

    EU-Beitritt von 28 % auf 44 % des europischen

    Durchschnitts gestiegen ist, ndert nichts an diesem

    Trend.

    Dagegen ist Rumnien nach Aussage des Fortschritts-

    berichtes auf einem deutlich besseren Weg und hat in

    vielen Bereichen Fortschritte erzielt. Im Zuge der Jus-

    tizreformen wurden von 2006 bis 2012 4.738 Perso-

    nen wegen Korruption strafrechtlich verfolgt, 1.496

    auch endgltig verurteilt, wobei mehr als die Hlfte

    aus der Politik stammt, darunter auch ein ehemaliger

    Premierminister. Zudem sind die aktuellen Indikatoren

    fr das Land sehr positiv. Mit einer geringen Au-

    enverschuldung (22 % des BIP) und einem Rekord-

    wirtschaftswachstum von 3,5 % hat es im letzten Jahr

    wieder deutlich aufgeholt. Dies spiegelt sich jedoch

    noch nicht in den Geldbeuteln der Rumnen wieder.

    Bei einem Durchschnittslohn von ca. 360 Euro bleiben

    fr die Rumnen nach Umfragen die grten Proble-

    me die schlechte Wirtschaftslage, die Preiserhhun-

    gen und die Arbeitslosigkeit. Desgleichen bezeichne-

    ten 58 % ihre finanzielle Lage als prekr.

    Schuld daran sind die eigenen Politiker, glauben die

    Rumnen: Mehr als zwei Drittel (69 %) der Befragten

    gaben an, kein Vertrauen in die eigene Regierung zu

    haben. Noch schlechter schnitt das Parlament ab, dem

    drei Viertel der Rumnen misstrauen. Hingegen nimmt

    der Europa-Optimismus der Rumnen wieder leicht

    zu: Laut Eurobarometer sprachen 45 % der Befragten

    der EU und ihren Einrichtungen das Vertrauen aus um 2 % mehr als im Herbst des vergangenen Jahres.

    Dabei bedeutet die EU fr die Rumnen vor allen Din-

    gen Demokratie (37 %), Frieden (32 %) und wirt-

    schaftlichen Wohlstand (25 %).

    Obwohl Rumnien nach Aussage von Komissionsprsi-

    dent Barroso alle technischen Kriterien erfllt hat,

    wurde gerade die Korruption von Staaten wie den

    Niederlanden oder Deutschland als Grund angefhrt,

    um Rumnien den Beitritt zum Schengenraum zu ver-

    weigern. Dies wrde fr die Rumnen den letzten, fast

    schon rein formalen Schritt zur vollen Freizgigkeit

    bedeuten, zumal die Liberalisierung des Arbeitsmark-

    tes ab dem ersten Januar 2014 gezeigt hat, dass

    dadurch keine zustzlich relevanten Arbeitsmigrati-

    onsbewegungen verursacht wurden. Auch fr dieses

    Jahr wird die Zahl der Arbeitsmigranten ca. 100.000

    betragen, so die ersten Schtzungen. Die ppige Me-

    dienberichterstattung zeigt, dass sich die Menschen

    von der fremdenfeindlichen Rhetorik nicht abschre-

    cken lassen und gerade Grobritannien und Deutsch-

    land wegen der hheren Einkommensstruktur und So-

    zialleistungen fr die Rumnen uerst attraktiv blei-

    ben werden. Dennoch hat die Debatte in den westli-

    chen Lndern dem Ansehen der EU in Rumnien,

    ebenso wie in Bulgarien, geschadet.

    Mit Blick auf Kroatien zeigt sich, dass auch das jngs-

    te EU-Mitglied im ersten Jahr nach seinem Beitritt

    noch nicht die wirtschaftliche Talsohle durchschritten

    hat: Am 28. Januar leitete die EU ein Defizitverfahren

    gegen den 28. Mitgliedsstaat der Union ein. Das Land

    Der Parlamentspalast in Bukarest (Foto: J. Issmer)

    Titelthema Europawahl 2014

  • 14

    global & liberal 1-2014

    ist geprgt von hoher Arbeitslosigkeit von rund 22 %,

    Korruption und Brain bzw. Productivity Drain.

    Wahl ohne Bedeutung?

    Whrend die Reise- und Arbeitsfreizgigkeit fr die

    Rumnen eine groe Rolle spielen, widmen sie fast

    gar keine Aufmerksamkeit denjenigen, die sie nach

    den Wahlen am 25. Mai auf europischer Ebene ver-

    treten sollen. Dies zeigte eine Umfrage von PES Acti-vists in Rumnien im Januar 2014: So wussten etwa

    90 % nicht, wann die EU-Wahlen stattfinden, 63 %

    wussten nicht, wie man whlt, und ein Drittel konnte

    keinen einzigen rumnischen EU-Parlamentarier an-

    geben. 42 % konnten dagegen einen einzigen Namen

    nennen: Elena Basescu, die Tochter des Staatsprsi-

    denten, die mit massiver Untersttzung der PDL als

    unabhngige Kandidatin ins EU-Parlament eingezogen

    war. Sie bleibt die bekannteste Vertreterin der Rum-

    nen in Brssel, gefolgt von Daciana Sarbu, der Frau

    des amtierenden Premierministers Victor Ponta. Somit

    hat das Europische Parlament in der ffentlichen

    Wahrnehmung die Stellung einer Versorgungsinstitu-

    tion fr Ehefrauen und Tchter von Politikern.

    Die schwache Wahlbeteiligung von 29,71 % aus dem

    Jahr 2009 drfte sich angesichts der allgemein herr-

    schenden Politikverdrossenheit wiederholen. Aller-

    dings wird sich den Prognosen zufolge die parlamen-

    tarische Konstellation ndern: Die Sozialdemokraten

    (PSD) rechnen mit 13 Sitzen, die konservative PDL und

    die liberale PNL mit je acht Sitzen, der ebenfalls kon-

    servative Ungarnverband (UDMR) erneut mit drei. Un-

    klar bleibt, wie viel Erfolg die vom Staatschef Basescu

    gegrndete Partei der Volksbewegung erhalten wird

    und ob die populistische Dan-Diaconescu-Partei

    (PPDD) den Einzug ins EU-Parlament schafft. Die nati-

    onalistische Grorumnienpartei PRM wird laut Um-

    fragen den Einzug ins Europische Parlament nicht

    mehr schaffen.

    Die erwartete Wahlbeteiligung fr Bulgarien ist mit

    42,3 % signifikant hher und wrde damit auch ber

    der von 2009 mit 37,49 % liegen. Nach Umfragen

    wrden die Sozialisten (BSP) mit einer Zustimmung

    von 18,8 % aller Wahlberechtigten (in bulgarischen

    Umfragen wird der Block der Nichtwhler bzw. Unent-

    schiedenen prozentual mit bercksichtigt) strkste

    Kraft werden, gefolgt von der konservativ-

    populistischen GERB (Brger fr eine europische Ent-

    wicklung Bulgariens) mit 18 %, whrend die liberale

    Bewegung fr Rechte und Freiheiten (DPS) mit 4,3 %

    rechnen kann. Unklar ist, ob der sogenannte Reform-

    block oder die Bewegung ABV des ehemaligen bulga-

    rischen Prsidenten Georgi Parvanov den Einzug ins

    Parlament schafft. Zudem buhlen in Bulgarien drei

    nationalistische Parteien um die Gunst der Whler:

    einerseits die populistische Partei Bulgarien ohne Zensur, die zusammen mit der nationalistischen

    VMRO und der Nationalen Agrarunion (ZNS) antritt

    und bei 8 % gesehen wird, anderseits die extrem nati-

    onalistischen Parteien Ataka und die Nationale Front

    zur Rettung Bulgariens (NFSB).

    In Kroatien hatte ein erster Lackmustest fr die anste-

    hende Wahlbeteiligung dagegen bereits im April ver-

    gangenen Jahres zu einem verheerenden Ergebnis ge-

    fhrt. Aufgrund der Wahlordnung waren mit dem Bei-

    tritt zur EU 3,75 Millionen Wahlberechtigte aufgeru-

    fen, ihre Stimmen abzugeben. Die Beteiligung lag da-

    Der Siderov Plan gegen die Kolonialherrschaft" -

    Wahlplakat in Bulgarien (Foto: D. Kaddik)

    Titelthema Europawahl 2014

  • 15

    global & liberal 1-2014

    mals bei knapp 20 %. Die zwei liberalen Partner der

    Stiftung, die Istrische Demokratische Versammlung

    (IDS-DDI) und die Kroatische Volkspartei (HNS), regie-

    ren derzeit in einer Koalition mit den Sozialdemokra-

    ten. Entsprechend einigten sich die drei Parteien auf

    eine gemeinsame Liste fr die jetzt erneut anstehen-

    den Wahlen. Nach jngsten Meinungsumfragen liegen

    Regierungsbndnis und die konservativ-

    nationalistische Opposition um die Kroatische Demo-

    kratische Union (HDZ) mit jeweils drei Mandaten

    gleichauf. Die brigen fnf Stimmen entfallen voraus-

    sichtlich auf die EU-skeptische, linkspopulistische

    Laburisti, die den Grnen nahestehende Koalition

    Walnuss sowie eine rechtspopulistische Regional-partei.

    Fazit

    Nach der Euphorie der Anfangsjahre hat sich in den

    Lndern der Region teilweise Ernchterung breitge-

    macht. Dabei zeigt sich klar, dass die EU zwar ein re-

    lativ hohes Vertrauen im Vergleich zu den nationalen

    Regierungen geniet, dies sich aber paradoxerweise

    nicht in der Wahlbeteiligung ausdrckt. Wahlen wer-

    den weiterhin als nationaler Prozess verstanden, die

    EU bleibt ein abstraktes Gebilde. Europapolitiker tau-

    chen relativ wenig im nationalen Kontext auf, wh-

    rend die Themen selbst im Europawahlkampf haupt-

    schlich nationaler Natur sind.

    Hier sind Institutionen und Mitgliedsstaaten der EU in

    der Pflicht einen Paradigmenwechsel anzustoen. Mit

    der wachsenden Macht der Populisten kommt die EU

    zunehmend unter Rechtfertigungsdruck, besonders

    wenn Reformen und Verbesserungen der Lebenssitua-

    tionen ausbleiben. Eine Diskussion wie unlngst zur

    sogenannten Armutsmigration oder die bestehende

    Weigerung, Rumnien und Bulgarien in den Schen-

    genraum aufzunehmen, spielt eben solchen Krften

    zustzlich in die Hnde.

    Autoren: Daniel Kaddik, Charles du Vinage

    Unsere Facebook-Seite bietet:

    Veranstaltungsankndigungen

    Interessante Neuigkeiten aus den

    Projektlndern

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    Titelthema Europawahl 2014

  • 16

    global & liberal 1-2014

    Nach dem Anfangsjubel kommt die Ernchterung

    Am 1. Mai 2004 war der Jubel in Polen, Tschechien,

    Ungarn, Slowenien, der Slowakei und den drei balti-

    schen Staaten gro. Mit der Aufnahme in die Europi-

    sche Union gelangten diese jungen Demokratien nicht

    nur endgltig aus dem Einflussbereich Moskaus, son-

    dern wurden auch Teil einer Gemeinschaft, in der die

    gemeinsamen europischen Werte sowie die persnli-

    che und wirtschaftliche Freiheit im Vordergrund stan-

    den. Und nicht zuletzt drfte der Blick auf den allge-

    meinen Wohlstand in den alten EU-Staaten zu dem

    breiten gesellschaftlichen Konsens in den ehemals

    kommunistischen Lndern hinsichtlich der Mitglied-

    schaft in der Union beigetragen haben. Der EU-Betritt

    machte sich anfangs auch in allen acht Staaten durch

    ein krftiges Wirtschaftswachstum bemerkbar, mit

    positiven Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft.

    Dieses wurde durch die globale Krise und die nachfol-

    gende Euro-Krise vielfach zunichte gemacht. Die mit

    Krzungen im Sozialbereich verbundene harte Sparpo-

    litik der Regierungen fhrte in weiten Teilen der Be-

    vlkerung nicht nur zur Verarmung, sondern auch zur

    Ernchterung hinsichtlich der erlangten Freiheit.

    Heute steht das Projekt der europischen Integration

    am Scheideweg: Die Diskussion ber die weitere Aus-

    richtung der EU wird auch die Wahlen zum Europi-

    schen Parlament beherrschen. Neben den Fderalis-

    ten, die eine weitere Zentralisierung und Verlagerung

    von Kompetenzen nach Brssel fordern, und den Eu-

    roskeptikern, die Europa auf eine Wirtschaftsunion

    reduzieren mchten, meldet sich nun eine neue, weit-

    aus gefhrlichere Allianz zu Wort: Populisten und Na-

    tionalisten stellen die EU als Zukunftsprojekt insge-

    samt in Frage. Die entsprechenden politischen Partei-

    en in fast allen neuen Mitgliedsstaaten sprechen sich

    zwar zumeist nicht grundstzlich gegen die EU aus,

    schren aber mit populistischen Tnen Misstrauen

    und Vorbehalte gegen Brssel und versprechen, natio-

    nale Interessen unnachgiebig zu verteidigen.

    Erschwerend kommt in den ehemals kommunistischen

    Staaten hinzu, dass dort heute die EU nicht mehr

    berwiegend als Wertegemeinschaft angesehen wird,

    sondern faktisch als Geldbeschaffungsquelle. Die Fr-

    dermittel aus den Kohsionsfonds sind wiederum hu-

    fig eine Quelle der Korruption. Kritik wird an der aus-

    ufernden Administrative in Brssel und den zahlrei-

    chen Direktiven geuert, die oftmals realittsfremd

    seien. Viele Brger, vor allem ltere Menschen, haben

    zudem den Wegfall des allfrsorgenden Staates nicht

    verkraftet. Damit einher geht die Unfhigkeit zur Ei-

    geninitiative und zu mehr Eigenverantwortung, oft

    verbunden mit sozialem Abstieg, fehlender Leistungs-

    orientierung und berechtigter Frustration ber die

    neuen politischen Eliten.

    Zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Mitteleuropa und

    Baltikum kmpfen mit Populismus und zunehmender Armut

    Titelthema Europawahl 2014

  • 17

    global & liberal 1-2014

    Die neue EU kein monolithisches Gebilde

    Trotz vieler gemeinsamer Probleme und Entwicklun-

    gen stellen die Lnder der Subregion kein homogenes

    Gebilde dar, wobei die globale Wirtschafts- und Fi-

    nanzkrise diese Unterschiede eher verstrkt hat. Wh-

    rend die drei baltischen Staaten und mit Abstrichen

    auch Polen, Tschechien und die Slowakei nach an-

    fnglichen Problemen mittlerweile zu den politisch

    relativ stabilen und wirtschaftlich wieder aufstreben-

    den Lndern gezhlt werden knnen, wurden Slowe-

    nien und vor allem Ungarn von den Krisenauswirkun-

    gen wirtschaftlich schwer erschttert und politisch

    destabilisiert.

    Ungarn war das erste

    Land unter den neuen

    EU-Mitgliedsstaaten,

    das gegen die enorme

    Staatsverschuldung und

    den Rckgang der

    Volkswirtschaft anzu-

    kmpfen hatte und kurz vor dem Bankrott stand. Die

    frhere sozialistische Regierung vermochte es nicht,

    das Land aus der tiefen Krise herauszufhren, was

    aber auch der seit Mai 2010 allein und mit Verfas-

    sungsmehrheit regierenden nationalkonservativen

    Partei FIDESZ von Ministerprsident Viktor Orban

    nicht gelungen ist. Im Gegenteil: Der zunehmend nati-

    onalistische, zentralistische und autokratische Cha-

    rakter der Politik der Regierung in Budapest geht mit

    dem Abbau einer offenen Brgergesellschaft und einer

    Gleichschaltung der Medien einher. Eine gesellschaft-

    liche Opposition gegen die demokratiefeindliche Poli-

    tik von FIDESZ begann sich erst im Herbst 2012 unter

    Leitung des ehemaligen sozial-liberalen Ministerprsi-

    denten Gordon Bajnai zu formieren. Die in Ungarn im

    April stattgefundenen Parlamentswahlen stellten al-

    lerdings bislang die wenige Wochen spter stattfin-

    denden Wahlen zum EP und zum Teil auch die Kom-

    munalwahlen im Herbst vollkommen in den Schatten.

    Obwohl Ungarn dringend liberale Lsungen und Ant-

    worten auf die aktuellen politischen Probleme

    braucht, konnte sich nach dem Niedergang des lang-

    jhrigen FNF-Partners SZDSZ bislang keine ernstzu-

    nehmende liberale Partei etablieren. Die liberal ge-

    sinnten Whler werden ihre Stimme notgedrungen

    dem oppositionellen Zweckbndnis aus Sozialisten

    (Mesterhazy und dessen Vorgnger Gyurcsani), Sozi-

    alliberalen (Bajnai), Liberalen (Fodor) und Grnen ge-

    ben mssen. Die unter dem Namen Einheit aufge-

    stellte gemeinsame Wahlliste konnte wegen ihrer pro-

    grammatischen Heterogenitt sowie mehrerer vorbe-

    lasteter Kandidaten die nach wie vor starke Position

    von FIDESZ-Chef Viktor Orban nicht ernsthaft gefhr-

    den, knnte sie aber perspektivisch zumindest sichtbar

    schwchen.

    Im Unterschied zu Ungarn

    ist die Politik der liberalkon-

    servativen Regierung Tusk in

    Polen nach wie vor ausge-

    sprochen proeuropisch. All-

    gemein ist die groe Mehr-

    heit der Polen froh, dass das

    Land Mitglied der EU ist, in

    der es gern eine strkere

    Rolle spielen wrde. Mit einem Beitritt Polens zur Eu-

    ro-Zone ist dagegen vorerst nicht zu rechnen, weil die

    Einfhrung des Euro neben der Erfllung der Maas-

    tricht-Kriterien einer Verfassungsnderung bedarf, die

    im Parlament in Warschau derzeit nicht durchsetzbar

    ist. Dazu kmpft der seit November 2007 regierende

    Ministerprsident Tusk in seiner seit Ende 2011 lau-

    fenden zweiten Amtszeit zunehmend mit Schwierig-

    keiten: Diese resultieren zum einen aus dem Erstarken

    der nationalkonservativen Partei Recht und Gerech-

    tigkeit von Oppositionsfhrer Jaroslaw Kaczynski, zum anderen aber auch aus internen Flgelkmpfen in

    Tusks Brgerplattform (PO), die sich immer deutlicher

    in einen liberalen und einen in etwa gleichstarken

    konservativen Flgel teilt, die nur mhsam einen Kon-

    sens finden. Zudem legte Tusk laut Kritikern seit 2011

    keine berzeugenden Reformen und Politikkonzepte

    mehr vor. Die erst jetzt in Polen sichtbar werdende

    und mit einem rapiden Anstieg des Staatsdefizits auf

    knapp 90 Prozent einhergehende globale Krise hat

    berdies die Armut vertieft, was der Groteil der Be-

    vlkerung wiederum Tusk anlastet.

    Das gilt auch fr

    Tschechien, das

    wegen seines

    engmaschigen

    sozialen Netzes

    in der Armutsfra-

    ge bislang eine

    Titelthema Europawahl 2014

  • 18

    global & liberal 1-2014

    Sonderstellung unter den Lndern der Region ein-

    nahm. Dennoch sind auch hier mehr als 15 Prozent

    der Bevlkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung

    bedroht. Was das Verhltnis zur EU betrifft, drfte

    Tschechien aber mit dem Antritt der neuen Mitte-

    Links-Regierung unter dem sozialdemokratischen Mi-

    nisterprsidenten Bohuslav Sobotka Ende Januar 2014

    wieder zu einer proeuropischen Politik zurckfinden,

    nachdem der frhere Regierungs- und sptere Staats-

    chef Vaclav Klaus das Land lange Zeit mit seinem Eu-

    roskeptizismus infiziert und verunsichert hatte. Tsche-

    chien ist das einzige unter den acht Lndern der Regi-

    on Mitteleuropa und baltische Staaten, das sich bis-

    lang nicht dem ESM angeschlossen hat. Das knnte

    sich bald ndern. Bereits im Vorfeld seiner Ernennung

    hatte der neue Auenminister Lubomir Zaoralek fr

    die uneingeschrnkte und aktive Beteiligung Prags am

    Ausbau der europischen Integration pldiert. Der seit

    Mrz 2013 amtierende und erstmals per Direktwahl

    gewhlte Staatsprsident Milos Zeman gilt zwar als

    Populist, vertritt jedoch im Unterschied zu seinem

    Amtsvorgnger Klaus eine europafreundliche Linie.

    Und die mitregierende brgerlich-liberale Protestpar-

    tei ANO hat den frheren EU-Kommissar Pavel Telicka

    als Spitzenkandidaten fr die EP-Wahl nominiert. Je-

    doch rechnet ANO-Chef Andrej Babis, Finanzminister

    in der neuen Regierung, mit der Einfhrung des Euro

    nicht vor 2020, obwohl die tschechische Wirtschaft

    schon lnger danach ruft.

    Der seit Mrz 2012

    in der Slowakei mit

    seiner linksorien-

    tierten Partei Smer

    -SD (Richtung-

    Sozialdemokraten)

    allein regierende

    Ministerprsident Robert Fico konnte sich von Beginn

    an auf die erfolgreichen Reformen seiner liberalkon-

    servativen Vorgnger sttzen, die dem Land am 1. Ja-

    nuar 2009 die Einfhrung des Euro ermglichten.

    Selbst Fico rumte ein, dass die gemeinsame europi-

    sche Whrung und die Mitgliedschaft in der EU sich

    fr die Slowakei besonders in der Krisenzeit als stabi-

    lisierender Faktor erwiesen haben. Von der globalen

    Wirtschaftskrise wurde die Slowakei denn auch nur

    partiell betroffen. Allerdings hat sich in der ra Fico

    die Qualitt der Demokratie verschlechtert. Die gr-

    ten Einbuen wurden im Bereich der demokratischen

    Institutionen und des Rechtsstaates sowie beim

    Schutz und der Einhaltung der Menschen- und Min-

    derheitsrechte verzeichnet. Letztere Verschlechterung

    betraf vor allem die Bevlkerungsgruppe der Roma,

    die aktuellen Schtzungen zufolge mit 402.000 Ange-

    hrigen nach den Magyaren die strkste Minderheit

    darstellen. Die in den Ghettos hauptschlich in der

    Ost- und Mittelslowakei lebenden rmsten Roma-

    Familien haben dabei die meisten Kinder. Trotz Schul-

    pflicht sind die Roma die Einwohnergruppe mit dem

    niedrigsten Bildungsgrad geblieben. Dieses Thema

    wird von Rechtsextremisten weidlich ausgeschlachtet.

    So siegte bei der Regionalwahl im mittelslowakischen

    Banska Bystrica (Neusohl) Ende 2013 der Rechtsradi-

    kale Marian Kotleba, dessen gegen kriminelle Zigeu-

    ner hetzende Volkspartei Unsere Slowakei (LSNS) sich am Rande der Legalitt bewegt.

    Slowenien ist wiede-

    rum ein gutes Beispiel

    dafr, wie ein ehe-

    mals bejubelter Mus-

    terschler heute um

    die Versetzung ban-

    gen muss. Das erste

    der neuen EU-Mitgliedslnder, das 2007 den Euro ein-

    gefhrt hatte, gilt weiter als Kandidat fr den Euro-

    Rettungsschirm. Und dies, obwohl die im Mrz 2013

    angetretene Mitte-Links-Regierung unter Ministerpr-

    sidentin Alenka Bratusek dem schuldengeplagten Land

    nicht nur ein Reform- und Sparprogramm verordnet,

    sondern auch die Privatisierung von 15 Staatsunter-

    nehmen durchgesetzt hat. Das galt lange Jahre als

    Ding der Unmglichkeit, weil Slowenien nach der Er-

    langung der Unabhngigkeit vor der Einfhrung klarer

    marktwirtschaftlicher Prinzipien zurckgeschreckt

    war. Seit dem Antritt der Regierung Bratusek sind

    auch die politischen Spannungen im Land abgeflaut,

    die sich zuvor in monatelangen Protestwellen gegen

    die vorhergehende Regierung Jansa geuert hatten.

    Bratusek gelang es sogar, einen Deal mit den streitba-

    ren slowenischen Gewerkschaften auszuhandeln, die

    dem Abbau von Arbeitspltzen im ffentlichen Dienst

    zustimmten. Dabei hat sich die Arbeitslosigkeit in Slo-

    wenien mit 12,8 Prozent (August 2013) seit Beginn

    der Krise fast verdreifacht. Besonders junge Leute sind

    davon betroffen, und viele wollen das Land verlassen.

    Deutschkurse sind heute gefragt wie nie zuvor.

    Titelthema Europawahl 2014

  • 19

    global & liberal 1-2014

    Die drei baltischen

    Staaten Lettland, Est-

    land und Litauen ha-

    ben das Jahr 2013

    nach Einschtzung

    der Ratingagenturen

    mit stabilen Aussich-

    ten beendet, doch das Problem der Abwanderung jun-

    ger hochqualifizierter Brger ins Ausland bleibt vor

    allem in Lettland und Litauen ungelst. Lettland, das

    seit dem ersten Januar 2014 der Euro-Zone angehrt,

    ist trotz der erfolgreichen Wirtschaftspolitik und des

    eisernen Sparkurses der Regierung ein armes Land ge-

    blieben und nimmt im europischen Armutsvergleich

    vor Bulgarien und Rumnien den drittletzten Platz ein.

    Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 hat sich in

    Lettland die Bevlkerung um ca. zehn Prozent verrin-

    gert. Die Notwendigkeit von Sozial- und Steuerrefor-

    men wird deshalb von Riga auch mit dem Ziel der Ver-

    ringerung von Armut und Ungleichheit begrndet.

    Denn in Lettland ist nicht nur die Arbeitslosigkeit an

    sich ein Problem, sondern auch die geringe Bezah-

    lung, die vor allem junge Fachkrfte ins Ausland

    treibt. ber 70 Prozent der Brger sind einer Umfrage

    des lettischen Meinungsforschungsinstituts DNB zu-

    folge der Ansicht, dass sie im eigenen Land keinen

    angemessen bezahlten Job bekommen.

    In Litauen konnte

    2013 die Arbeitslosen-

    quote weiter gesenkt

    werden, ist mit 11,5

    Prozent aber immer

    noch hoch. Obwohl die

    Regierung in Vilnius

    Anfang 2013 den Min-

    destlohn von 850 auf

    1.000 Litas erhht hat, hlt die Abwanderung junger Leute in Staaten mit hheren Lhnen weiter an. Seit

    2008 hat das Land 400.000 Menschen verloren, das

    sind mehr als die Zahl der litauischen Toten und Ver-

    missten im Zweiten Weltkrieg. Die Armut unter der

    Bevlkerung hat nach den Krzungen im Sozialbereich

    massiv zugenommen: 33 Prozent der Litauer leben mit

    einem Armuts- und Ausgrenzungsrisiko. Litauen gilt

    als Land mit der hchsten Selbstmordrate der Welt:

    34 von 100.000 Litauern whlten laut Weltgesund-

    heitsorganisation allein 2009 den Freitod, vor allem in

    lndlichen Gegenden. Mit der litauischen Wirtschaft

    geht es seit 2013 jedoch wieder aufwrts. Das BIP ist

    Schtzungen nach um 3,1 Prozent gestiegen. Ende

    Juni 2013 stellte die Europische Kommission ein De-

    fizitverfahren gegen Litauen ein, weil das Land 2012

    nur noch eine Neuverschuldung von 3,2 Prozent aus-

    gewiesen hatte. Erklrtes Ziel der Regierung ist die

    Einfhrung des Euro, die 2015 erfolgen soll. Die ge-

    meinsame europische Whrung gilt in Litauen als

    sicherheitspolitisches Kernprojekt.

    Im Unterschied zu Litau-

    en und Lettland galt Est-

    land politisch in den letz-

    ten Jahren als Hort der

    Stabilitt. Doch seit Mit-

    te 2012 regt sich auch

    hier die Unzufriedenheit

    der Brger mit der politischen Elite, die sich im Ergeb-

    nis der Kommunalwahlen von Ende Oktober 2013 wi-

    derspiegelte: Vor dem Hintergrund des weiterhin rigo-

    rosen Sparkurses der liberalen Reformpartei von Mi-

    nisterprsident Andrus Ansip wurde die linkspopulisti-

    sche Zentrumspartei Sieger des Urnengangs. Die est-

    nische Wirtschaft befindet sich jedoch wieder auf

    Wachstumskurs, die Staatsverschuldung bleibt mit die

    niedrigste in der EU. Auch die Armutsquote ist bei

    weitem nicht so hoch wie die der Nachbarlnder Lett-

    land und Litauen. Offen geblieben ist in Estland dage-

    gen bislang die Frage der Integration der russischen

    Minderheit, die landesweit 26 Prozent und in der

    Hauptstadt Tallinn sogar 36 Prozent der Einwohner-

    schaft stellt. Rund 95.000 ethnische Russen sind offi-

    ziell staatenlos, weil sie weder die estnische noch die

    russische Staatsbrgerschaft annehmen wollen. Ein

    Thema, das von Populisten aus beiden Sprachlagern

    sicher auch vor den EP-Wahlen ausgiebig errtert

    werden drfte.

    EU neu versus EU alt ist lngst berholt

    Whrend der letzten zehn Jahre und insbesondere seit

    der Euro-Krise hat sich die bliche Unterscheidung

    zwischen den alten und den neuen EU-

    Mitgliedslndern vollkommen berlebt. Manche Neu-

    linge wie z.B. Lettland oder Litauen haben die Folgen

    der Krise wesentlich schneller, besser und ohne diri-

    gistische Eingriffe bewltigt. Estland und Polen beug-

    Titelthema Europawahl 2014

  • 20

    global & liberal 1-2014

    ten durch eine konsequente und markt-liberal orien-

    tierte Politik einem greren wirtschaftlichen Ab-

    schwung vor. Diese Lnder sind mit ihren konsequen-

    ten Reformanstrengungen heute weiter als einige in

    der sogenannten alten EU. Das ist Best Practice wie

    aus dem Lehrbuch und muss gerade von einer libera-

    len Stiftung gefrdert werden. Auch die sozialen und

    gesellschaftlichen Probleme unterscheiden sich in den

    Beitrittslndern bis auf wenige Extreme (ungarische

    Nationalgarde, Lage der Roma in der Slowakei) nicht

    wesentlich von denen im westlichen Teil der EU. Der

    Populismus blht europaweit in der Slowakei wie in Italien, in Griechenland wie in Ungarn. Rechtsextreme

    und auslnderfeindliche Parteien haben nicht nur an

    der Moldau oder Donau Zulauf, sondern auch an der

    Themse, an der Seine und an der Maas. So gesehen

    haben uns die zehn Jahre erweiterte EU ein Stck

    Normalitt gebracht im positiven wie im negativen Sinne.

    Autor: Dr. Borek Severa

    Impressionen aus der Arbeit des FNF-Projektbros Mitteleuropa

    (Fotos: FNF)

    Titelthema Europawahl 2014

  • 21

    global & liberal 1-2014

    In der Nacht auf den 22. November 2013 begann in

    der Ukraine eine Protestbewegung, die als

    EuroMajdan Europa beeindrucken sollte. Auf den

    Facebook-Aufruf des ukrainischen Journalisten Mus-

    tafa Nayyem reagierten unerwartet viele Gleichge-

    sinnte. Wer vom Scheitern des Assoziierungsabkom-

    mens zwischen der Ukraine und der EU ebenso ent-

    tuscht war wie der Journalist, kam zum Kiewer Un-

    abhngigkeitsplatz Majdan Nesaleshnosti.

    Europa als Anker fr Reformen

    Das Abkommen mit der EU verstanden viele Ukrainer

    als Rettungsanker. Der sollte sie vor dem autoritren

    Staat bewahren, in dem Prsident Janukowytsch und

    seine Prsidialverwaltung seit Anfang 2010 demokra-

    tische Institutionen und Verfahren ausgehhlt oder

    manipuliert hatten. Die Venedig-Kommission des Eu-

    roparats urteilte, der Prsident habe viel mehr Macht, als von den Whlern erteilt. Von Integration in das

    EU-Gefge und Angleichung an europische Gesetz-

    gebung erhofften sich viele Ukrainer eine demokrati-

    sche Perspektive.

    In das "Proteststdtchen" am Majdan in Kiews Zent-

    rum kamen jeden Sonntag, an sog. Volkstagen (ukr.:

    Narodne Witsche), bis zu einige Hunderttausend De-

    monstranten. Dennoch war die Staatsmacht wochen-

    lang nicht zum Gesprch bereit. Allerdings konnten

    weder das Spielen auf Zeit noch Gewalt die Dauer-

    kundgebung beenden. Im Gegenteil brachte jedes bru-

    tale Vorgehen der Sicherheitskrfte mehr Demonst-

    ranten auf die Strae: Aktivisten aus ukrainischen

    Nichtregierungsorganisationen und Oppositionspartei-

    en, aber auch Brger aller Schichten aus dem ganzen

    Land.

    Warum Europa? Prsident, Regierung und Staats-

    macht diskreditierten sich in den Augen vieler Brger

    immer mehr. So war das Ziel der Protestler bald nicht

    mehr allein die Annherung an die EU, sondern ein

    grundlegender Wandel des politischen Systems. Die

    Menschen verlangten ein Ende des Autoritarismus und

    der Korruption sowie Freiheit und Achtung der Men-

    schenwrde.

    Neustart in die europische Integration

    Die bergangsregierung hat den Prozess der politi-

    schen Assoziierung mit Europa zgig wieder aufge-

    nommen. Neben Rechtsstaatlichkeit, zollfreiem

    Marktzugang und Auslandsinvestitionen wnschen

    sich viele Ukrainer die Beitrittsperspektive, also die explizite Bereitschaft, ihr Land eines Tages in die EU

    aufzunehmen. Aber so eindeutig will sich die EU nicht

    festlegen. Auf polnische Initiative hat der Rat der Au-

    enminister immerhin formuliert, die Assoziierung sei

    nicht das Endziel in den Beziehungen der EU zur Uk-

    raine.

    ... unter der Kontrolle des EuroMajdan

    Bislang hat die Politik in der Ukraine keine tiefgreifen-

    den Reformen vorgenommen, weil sie Geisel ber-

    mchtiger Finanzgruppen und regionaler Clans war.

    Politisch ttig zu sein, bedeutete in erster Linie, eige-

    ne Interessen durchzusetzen, nicht, fr das Gemein-

    wohl zu handeln.

    Eine neue Regierung arbeitet seit dem Untertauchen

    von Ex-Prsident Janukowytsch am 22. Februar auf

    Hochtouren. Die Herausforderungen sind immens: Es

    gilt, landesweit die Regierungsfhrung zu reformie-

    ren, der Korruption nachhaltig entgegenzutreten, den

    Staatsbankrott abzuwenden und ein Machtvakuum

    Ukraine: Eine dritte Chance fr die Demokratie

    Krisenherd Ukraine

  • 22

    global & liberal 1-2014

    zu verhindern. Entscheidungen in dieser schwierigen

    bergangsphase werden sich vielfach erst im Nach-

    hinein als umsichtig und integrativ oder diskreditie-

    rend und inkompetent herausstellen. Als Gefahr sehen

    viele ukrainische Brger in erster Linie, dass jene, die

    mter bernehmen, das alte System nicht abschaffen

    wollen oder knnen, und dass Politik, Wirtschaft und

    Korruption verflochten bleiben.

    Die Orangene Revolution war von Politikern die

    EuroMajdan-Bewegung ist jene der Brger

    Ermutigend ist die in den letzten Wochen demons-

    trierte Strke der Zivilgesellschaft. Die EuroMajdan-

    Bewegung will die Kontrolle nicht aufgeben und Re-

    gierung, Parlamentarier, Gouverneure und Oligarchen

    weiter beobachten, gerade wegen der schlechten Er-

    fahrungen nach 2004, im ukrainischen Volksmund

    die Revolution der Millionre gegen die Milliardre

    genannt. Einige Analysten warnen deswegen vor Po-

    pulismus; andere sehen darin optimistischer eine

    Chance fr die Politik, den Anschluss an die Gesell-

    schaft zu finden, die reifer sei als die politische Klasse

    und das politische System.

    Aktuelle Umfragen geben der zweiten Gruppe Recht.

    Von der Politik hufig instrumentalisierte Themen wie

    die Fderalisierung des Landes oder die Sprache haben

    nach Ansicht vieler ukrainischer Brger nicht die Be-

    deutung, die Politiker oder machtorientierte Industrie-

    magnaten ihnen beimessen und populistisch nutzen.

    So favorisierte etwa zu keinem Zeitpunkt eine Mehr-

    heit die Abspaltung ostukrainischer Oblaste (Gebiete):

    Selbst vor dem die nationale Identitt noch festigen-

    den Schock ber die Toten des Majdan, getauft die

    himmlische Hundertschaft, gab es weder auf der

    Krim (41%) noch in Donezk (33%), im Einflussgebiet

    des Regionalfrsten Akhmetow, eine Mehrheit fr den

    Alleingang.

    Der russische Faktor

    Die Kremlfhrung setzt die Begriffe Radikalismus, Fa-

    schismus und Nationalismus gezielt ein, um den Eu-

    roMajdan zu diskreditieren, in Westeuropa und der

    Ukraine. Dabei gibt es in Russland mehr neofaschisti-

    sche Gruppen als in der Ukraine, und sie treten ag-

    gressiver auf. Zum Rechten Sektor, Teil der 20.000

    Mann umfassenden Selbstverteidigung des Majdan, gehrten im Februar etwa 2.000 Personen. Eine anti-

    semitische Erklrung hat dort niemand abgegeben.

    Dafr beteiligen sich nachweislich russische Nationa-

    listen an den anhaltenden Unruhen in den Ost-

    Oblasten Luhansk, Donezk und Charkiw. Entgegen al-

    ler Vernunft leugnete die Kremlfhrung in Zusammen-

    hang mit dem Referendum, auf der Krim eigene Trup-

    pen (auer der permanent anwesenden Schwarzmeer-

    flotte) einzusetzen.

    Im heutigen Russland suchen viele Menschen Trost in

    traditionellen Werten wie Nationalstolz, Respekt vor

    Autoritt und Religion. Im eigenen Land ist die Popu-

    laritt von Prsident Putin so hoch wie nie seit seiner

    Rckkehr ins Prsidentenamt 2012. Der Wertewandel,

    der viel damit zu tun hat, dass die neunziger Jahre fr

    die Mehrheit der Menschen kein positiver Umbruch

    waren, lsst sich gut nutzen, wenn es darum geht,

    nationale Strke zu demonstrieren. Allerdings ist frag-

    Studenten auf dem Maidan

    (Foto: Taisia Stezenko, Korrespondent.net)

    Foto: Free University of Maidan

    Krisenherd Ukraine

  • 23

    global & liberal 1-2014

    lich, ob das auch fr eine offene Invasion in der bri-

    gen Ukraine gilt. Lew Gudkow vom Levada-Zentrum

    stellt fest, dass zwar eine absolute Mehrheit der Rus-

    sen fr den Beitritt der Krim zu Russland sei, aber

    mehr als 70 Prozent gegen den Einsatz von Gewalt in

    der Ukraine.

    Eine sich auf der Basis demokratischer Grundstze gut

    entwickelnde Ukraine bedroht Prsident Putins Herr-

    schaftssystem einer autoritr regierten ostslawischen

    Zivilisation als wertkonservativen Gegenpol zur EU.

    Um die Einbeziehung der Ukraine in den eigenen,

    staatskapitalistisch geprgten Einheitlichen Wirt-

    schaftsraum (EWR) mit Belarus und Kasachstan be-mht sich der Kreml schon seit vor der Orangenen Re-

    volution. Deshalb wird die Kremlfhrung auch fortfah-

    ren, das Nachbarland unter Druck zu setzen, Geheim-

    dienste und Provokateure einsetzen und weiter Propa-

    ganda betreiben. Innerukrainische Differenzen, etwa

    wenn nationalistische ukrainische Krfte kulturell rus-

    sisch geprgte Ukrainer ausgrenzen, wird der Kreml

    nutzen, um eigenes Intervenieren zu rechtfertigen zum Schutz russischsprachiger Bevlkerungsteile. Und

    wenn die ukrainische bergangsregierung im Gegen-

    zug Oligarchen einbindet, auf deren Mittel zur Ein-

    flussnahme sie etwa in den Ost-Oblasten setzt, dann

    ist das eine Gratwanderung, die auch den angestreb-

    ten Systemwechsel bedroht.

    Die Verantwortung Europas Perspektiven und

    Chancen

    Freilich mssen die Ukrainer ihre Regierungsfhrung

    und ihre Institutionen selbst reformieren. Aber Europa

    ist gegenber der Ukraine in der Verantwortung,

    schon aus ureigenem Interesse. Es ist richtig, wenn

    jene, die jetzt ernsthaft und transparent arbeiten, z-

    gig und effektiv untersttzt werden, politisch und

    wirtschaftlich, und dass Kredite ausgezahlt werden,

    wenn Reformen vorankommen (prior action). Auch die Beitrittsperspektive muss der Ukraine keine Vor-

    schusslorbeeren gewhren, wenn sie klar mit Reform-

    erfolgen verknpft ist. So sah es schon Lord Dahren-

    dorf: Ich sehe nicht den geringsten Grund, warum

    man [] nicht prfen sollte, ob die Ukraine die 'Kopenhagener Kriterien' erfllt, die die EU fr Bei-

    trittskandidaten festgelegt hat. Die Beitrittsperspek-

    tive kann in einer uerst schwierigen Phase ein zent-

    rales Signal fr eine selbstbestimmbare Zukunft am

    Ende des Tunnels senden.

    Die ukrainische Krise stellt Europa vor die Herausfor-

    derung, nationale Interessen nicht gegeneinander

    auszuspielen, sondern sich stattdessen gemeinsam auf

    Strken zu besinnen. Dabei geht es um einzelne Poli-

    tikfelder wie Handel, Wettbewerb oder Energiepolitik,

    die zentral fr die eigene Entwicklung sind.

    Die Ukraine hat nun ihre nach 1991 dritte Chance.

    Keiner kann vorhersagen, ob der grundlegende Wan-

    del gelingen wird, ob bewaffnete Konflikte oder ihre

    Macht rettende Oligarchen Reformen verhindern wer-

    den oder ob es gar zur Spaltung des Landes kommt. Aber nach der Erfahrung des EuroMajdan scheint Re-

    formerfolg eine Sache der Ehre und der nationalen

    Integritt zu sein.

    Autorin: Miriam Kosmehl

    Lemberg und Donezk heit Freundschaft

    (Foto: Facebook-Community NZMaidan)

    Krisenherd Ukraine

  • 24

    global & liberal 1-2014

    Julius von Freytag-

    Loringhoven, Projekt-

    leiter der Friedrich-

    Naumann-Stiftung

    fr die Freiheit in

    Moskau, beurteilt fr

    global&liberal die

    Krim-Krise aus der

    Perspektive der Russ-

    land-Arbeit:

    Ist die Euphorie zur Aufnahme der Krim in Russland

    echt?

    von Freytag-Loringhoven: Die Euphorie ist echt. Darin

    spiegelt sich auch das Trauma des Macht- und Bedeu-

    tungsverlustes der einstigen Supermacht wider. Der

    russische Prsident Putin hat in seiner Rede im Kreml

    am 19. Mrz relativ emotional von einem historischen

    Moment gesprochen, worauf der versammelte Saal in

    lautes Klatschen ausbrach. Er hat betont, wie sehr

    Russland und die Krim historisch zusammengehren,

    als Sitz der Schwarzmeerflotte und der berwiegend

    russischen Bevlkerung. Gleichzeitig griff er den Wes-

    ten scharf fr seinen Zynismus an und bemhte sich

    gleichzeitig, die Legitimitt des Referendums und rus-

    sischen Handelns deutlich zu machen. Dazu betonte

    er, dass es drei Amtssprachen geben werde, Russisch,

    Ukrainisch und Krim-Tatarisch, sowie eine besondere

    Rehabilitation der in der Stalinzeit unterdrckten Krim

    -Tataren. Zum Hintergrund sollte man wissen, dass die

    Krim-Tataren im Vorfeld besonders kritisch gegenber

    einem Beitritt zu Russland gewesen waren.

    Glauben Sie, dass sich Putin wirklich um eine Legi-

    timation seiner Handlung sorgt?

    von Freytag-Loringhoven: Putins Argumentation luft

    letztlich immer darauf hinaus, internationale Aner-

    kennung zu erhalten. Dass er diese im Westen dann

    wiederum selten erfhrt, hngt natrlich auch we-

    sentlich von seinem Handeln ab. Der Westen kann

    nicht tatenlos zusehen, wenn ein solches Referendum

    unter Verletzung des Vlkerrechts, ohne ausreichende

    internationale Beobachtung und im Angesicht russi-

    scher Militrprsenz stattfindet. Dass Putin in seiner

    Rede erwhnen musste, dass ber 96% fr eine In-

    tegration in die Russische Fderation gestimmt haben,

    macht natrlich jeden westlichen Beobachter stutzig.

    Die Zahl erinnert an die Wahlergebnisse zu Sowjetzei-

    ten. Nach unabhngigen Umfragen war aktuell tat-

    schlich die Mehrheit auf der Krim fr diese Integrati-

    on. Die prorussische Medienpropaganda der letzten

    Wochen war allerdings immens.

    Was sollte der Westen jetzt tun?

    von Freytag-Loringhoven: Putin sagte deutlich, dass er

    die territoriale Integritt der Ukraine anerkenne und

    wiederholte mehrfach, wie wichtig fr Russland gute

    Beziehungen mit der Ukraine seien. Kurz danach ver-

    sprach er allerdings den Russen in der Ukraine, dass

    Russland sich vehement fr deren Interessen einset-

    zen wrde das klang dann schon wieder anders. Der

    neuen Fhrung in Kiew spricht Putin jede Legitimation

    ab. Die Rationalitt hinter Putins Zielen und Handlun-

    gen mag von auen schwer zu erkennen sein jeden-falls sollte der Westen Sanktionen mit klaren Forde-

    rungen und Angeboten verbinden. Putin wei um den

    wirtschaftlichen Schaden von Sanktionen und auen-

    politischer Isolation. Deswegen sollte der Westen eine

    Sicherheitsgarantie fr die brige Ukraine und andere

    Regionen mit russischer Bevlkerung in Osteuropa

    einfordern und sich gleichzeitig darum bemhen,

    Russland in eine gesamteuropische Sicherheits- und

    Wirtschaftsarchitektur zu integrieren. Es hilft nicht,

    Putin und Russland jetzt in einer Auge um Auge Zahn um Zahn-Logik Schaden zuzufgen, sondern es

    geht vor allem darum, alles dafr zu tun, um auch aus

    dieser Situation heraus wieder am gemeinsamen Haus

    Europa weiter zu bauen.

    Putin wei um den wirtschaftlichen Schaden von

    Sanktionen und auenpolitischer Isolation Interview mit Julius von Freytag-Loringhoven, Projektleiter der FNF in Moskau

    Krisenherd Ukraine

  • 25

    global & liberal 1-2014

    Gerade besuchte Prsident Barack Obama zum ersten

    Mal in seiner Amtszeit die EU-Institutionen in Brssel.

    Angesichts der russischen Intervention auf der Krim

    bekam der Besuch eine besondere Bedeutung. Gegen-

    ber Vladimir Putin demonstrierten die USA und Euro-

    pa groen Schulterschluss. Bietet diese internationale

    Krise einen Neustart fr die transatlantischen Bezie-

    hungen oder werden Spannungen nur berdeckt?

    Auch beim Staatsdinner zu Ehren des franzsischen

    Prsidenten Hollande im Februar wurde transatlanti-

    sche Harmonie versprht. Zu Zeiten von Prsident

    George W. Bush und der Irak-Krise wurde franzsi-

    scher Rotwein noch ffentlichkeitswirksam ins Ab-

    wasser gekippt. Vor ein paar Wochen hingegen wurde

    mit einem Glas Rotwein freundschaftlich angestoen.

    Dieses Bild und ein gemeinsamer Meinungsartikel der

    Prsidenten Obama und Hollande in der Washington

    Post symbolisieren am besten die neue, groe Harmo-

    nie zwischen den USA und Frankreich. Doch was

    steckt hinter dieser pltzlichen Harmonie zwischen

    den USA und Frankreich? Handelt es sich um einen

    Versuch Obamas, die frheren Wogen zu gltten?

    Nichts dergleichen. Es reprsentierte vielmehr die

    Frustration der USA mit der EU und im Besonderen

    mit Deutschland. Denn die Enthaltung Deutschlands

    bei der Intervention in Libyen, die unterschiedlichen

    Auffassungen beim Kampf gegen die Wirtschaftskrise

    und die anhaltende Kritik wegen der NSA-Affre, ha-

    ben die deutsch-amerikanische Partnerschaft in letz-

    ter Zeit belastet.

    In den letzten Jahren hatte sich gezeigt, dass es einen

    greren Riss im gemeinsamen Wertegerst der USA

    und Europas gibt. Bei der Diskussion ber die NSA-

    Enthllungen wird dies besonders deutlich. Whrend

    die Affre in Europa hohe Wellen geschlagen hat, ist

    die Reaktion in der amerikanischen ffentlichkeit ver-

    halten. Die USA sind zwar bekannt als Land der per-

    snlichen Freiheiten, doch seit den Anschlgen vom

    11. September 2001 sind die Amerikaner bereit, ein

    Stck Freiheit und Privatsphre aufzugeben, um vor

    erneuten Anschlgen sicher zu sein. Natrlich gibt es

    auch in den USA Gegner der NSA-Abhrmethoden,

    doch das Thema wird lngst nicht so kontrovers disku-

    tiert wie in Europa. Hoffnungen auf durchgreifende

    Reformen der NSA-Methoden braucht man sich auf

    europischer Seite vorerst nicht zu machen. Ein No-

    Spy Abkommen wird es auch in Zukunft erst dann ge-

    ben, wenn Einigkeit darber herrscht, was ein solches

    Abkommen eigentlich erreichen soll. In Europa wird es

    als Spionageverbot gegenber Vertragspartnern aus-

    gelegt; die USA sehen dies nur als Instrument zur Re-

    gulierung der Spionageaktivitten gegenber Ver-

    tragspartnern.

    Zwischenruf: Auf dem Weg in eine transatlantische Renaissance? Entfremdung oder Neustart eine Wasserstandsmessung der EU-US-Beziehungen

    EU-Kommissionsprsident Barroso, US-Prsident Obama und

    EU-Ratsprsident Van Rompuy (Foto: European Union/Flickr)

    Transatlantische Beziehungen

  • 26

    global & liberal 1-2014

    Auch um das Transatlantische Investitions- und Han-

    delsabkommen (TTIP) ist es in Washington, DC ruhig

    geworden. Die transatlantischen Partner verhandeln

    zwar fleiig weiter, innenpolitisch bewegt sich in den

    USA diesbezglich jedoch im Moment nichts. Im Ge-

    genteil: Prsident Obama hat vom Kongress die ber-

    tragung einer sogenannten Trade Promotion Authority

    (TPA) eingefordert. Diese zustzliche Handlungsbefug-nis wird als wesentlich betrachtet, um TTIP tatschlich

    unter Dach und Fach bringen zu knnen. Doch Obama

    wird vom Kongress auf jeden Fall bis zu den Midterm

    Elections im November gebremst.

    Diese Beispiele spiegeln die unterschiedlichen Inter-

    pretationen dieser Beziehungen wider: Whrend die

    Europer, allen voran die Deutschen, die transatlanti-

    schen Beziehungen eher romantisch als enge Freund-

    schaft sehen, versteht Amerika dieses Bndnis nch-

    terner als eine freundliche Partnerschaft, die auf be-

    stimmte Ziele ausgelegt ist. Doch auf Partner kann

    nicht immer Rcksicht genommen werden. Nationen

    verfolgen Interessen, die sie trotz aller Freundschaft

    durchzusetzen versuchen. Ob die Interessen des engen

    Partners dabei auf der Strecke bleiben, ist nicht immer

    von Relevanz.

    Vor diesem Hintergrund wird es auf dem Weg in eine

    transatlantische Renaissance, von der US-

    Auenminister Kerry auf der Mnchener Sicherheits-

    konferenz gesprochen hat, in Zukunft weiterhin Miss-

    verstndnisse und Meinungsverschiedenheiten geben.

    Um das transatlantische Vertrauen wieder zu festigen,

    mssen verschiedene Interessen, Prioritten und Wer-

    teauslegungen erkannt und erklrt und in die politi-

    sche Diskussion auf beiden Seiten des Atlantiks einge-

    bracht werden.

    Das Transatlantische Dialogprogramm der Friedrich-

    Naumann-Stiftung fr die Freiheit wird genau hier

    ansetzen: So etwa durch Gesprche und Veranstaltun-

    gen beim nchsten Besuch des Vorstandsmitglieds

    der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit,

    Manfred Richter, oder bei der nchsten transatlanti-

    schen Konferenz, die nordamerikanische Fhrungs-

    krfte aus Politik und Wirtschaft mit europischen

    Experten zusammenbringt.

    Autor: Claus Gramckow

    Der monatlich erscheinende Newsletter

    "Washington brief" berichtet ber die neuesten

    politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftspoli-

    tischen Entwicklungen in den USA und bildet so-

    mit einen wichtigen Teil des Transatlantischen Di-

    alogs der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die

    Freiheit.

    E-Mail-Abo unter

    www.fnf-northamerica.org

    Transatlantische Beziehungen

  • 27

    global & liberal 1-2014

    Voneinander lernen Stiftung frdert europisch-

    arabischen Dialog der Liberalen

    Von Aufbruchstimmung ist wenig geblieben. Wo einst

    der arabische Frhling gefeiert wurde, herrscht heu-

    te Katerstimmung. Von einem arabischen Winter ist gar die Rede angesichts der vielen schlechten Nach-

    richten. Bei all dem ist wichtig, dass der politische

    Dialog zwischen Europa und der sdlichen Nachbarre-

    gion nicht abreit. Dieses Ziel hat sich das Regional-

    bro Mittelmeerlnder (MML) der Friedrich Naumann

    Stiftung fr die Freiheit (FNF) auf die Fahnen ge-

    schrieben. Das Projekt Bridging the Gap, das frei als

    Die Kluft berbrcken bersetzt werden knnte, zielt darauf ab, Liberale aus Europa und der arabischen

    Welt in einen strukturierten politischen Dialog einzu-

    binden. Nach knapp einem Jahr kann sich die Zwi-

    schenbilanz durchaus sehen lassen. Zu dem Erfolg hat

    mageblich die enge Zusammenarbeit mit ELF, dem

    European Liberal Forum in Brssel, beigetragen. Das

    mit Mitteln des Europischen Parlamentes operieren-

    de Forum leistet von Beginn an wichtige inhaltliche

    und finanzielle Beitrge.

    Seinen Anfang nahm das grenzbergreifende Projekt

    im Mai des vergangenen Jahres, als Kairo Schauplatz

    einer greren internationalen Versammlung wurde:

    ber hundert liberale Persnlichkeiten Politiker, Publizisten und Wissenschaftler trafen sich zu einer Dialogveranstaltung, auf der es um die Gemeinsam-

    keiten und die Differenzen zwischen Liberalen auf bei-

    den Seiten des Mittelmeers ging. Die wichtigsten Pa-

    piere des bisweilen tiefsinnigen Diskurses am Fue der

    Pyramiden sind inzwischen in englischer und arabi-

    scher Sprache publiziert.

    Inspiration aus dem Orient

    Es ist ein bemerkenswerter Lesestoff, der aufrumt

    mit dem alten Klischee, es gebe keinen autochtonen

    arabischen Liberalismus, und wenn es ihn dann doch

    gbe, dann sei er ohnehin ein Plagiat westlicher Poli-

    tik- und Lebensentwrfe. Mehrere Referenten prsen-

    tierten die Wurzeln des arabischen liberalen Denkens,

    und leugneten dabei nicht, dass die Freiheitsdenker

    Arabiens natrlich auch von westlichen Einflssen

    profitierten. Andererseits haben auch die Europer

    immer wieder Inspiration im Orient gefunden. Der Bel-

    gier Corentin de Salle vom Centre Jean Gol in Brssel

    Mittelmeer-Dialoge: Facetten erfolgreicher

    Projektarbeit in gypten und der Trkei

    Mittelmeer-Dialog

    gypten

    Dimitris Katsoudas, Director of the "Forum for Greece", Dr.

    Ronald Meinardus, FNF-Regionalbroleiter, Giulio Ercolessi,

    Board member of The European Liberal Forum (ELF) (vlnr)

    (Foto: FNF Cairo)

  • 28

    global & liberal 1-2014

    ging einen Schritt weiter: Der europische Liberalis-

    mus hat seine Wurzeln in der arabischen Zivilisation. Heute ist die Distanz zwischen arabischem und euro-

    pischem Denken gro. Gleichwohl stimmen die Libe-

    ralen auf beiden Seiten des mare nostrum in vielen

    Grundsatzfragen berein. Einigkeit besteht in dem

    Punkt, dass politische Wahlen kein liberales Allheil-

    mittel sein knnen. Es gibt keinen Liberalismus ohne Demokratie, es gibt aber viele sich Demokratie nen-

    nende Staaten ohne Liberalismus, formulierte Prof. Aristides Hatzis von der Universitt Athen das Dilem-

    ma, das den arabischen Liberalen heute zu schaffen

    macht. Denn bei den Wahlen gewannen stets nicht

    die Krfte des Liberalismus, sondern die Parteien des

    illiberalen Islamismus. Arabiens Liberale wurden Zeu-

    gen, wie ihre Revolution von den Feinden der Frei-heit auf formaldemokratisch einwandfreie Art und

    Weise in Besitz genommen wurde. Das gilt in beson-

    derem Mae fr gypten.

    Die gyptischen Entwicklungen standen dann auch im

    Mittelpunkt der Debatten anlsslich der Buchprsen-

    tation in Brssel im Februar. Eingeladen war unter

    anderem die gyptische Kolumnistin Dr. Hala Mostafa,

    die die Gefahr der Islamisierung der Gesellschaft in

    klarer Sprache beschrieb und dann erklrte, wieso

    gyptens Liberale gar bereit seien, Menschenrechts-

    verletzungen zu ertragen, wenn diese der Eindm-

    mung der religisen Krfte dienen. Wenn ich die

    Wahl habe zwischen politischen Freiheitsrechten fr

    alle und meiner ganz persnlichen Freiheit, dann ent-

    scheide ich mich fr letztere.

    Keine Alternative zum Dialog

    uerungen wie diese lsen bei europischen Libera-

    len naturgem Verwunderung, wenn nicht gar Ab-

    lehnung aus. In dieser schwierigen Situation sehe ich keine Alternative zum fortgesetzten Dialog, sagt

    FNF-Regionalbroleiter Ronald Meinardus.

    Diesen Dialog zwischen europischen und arabischen

    Liberalen frdert die Stiftung auf unterschiedliche Art

    und Weise. Das Projekt mit dem European Liberal Fo-

    rum ist nur eines von mehreren. Seit Jahren frdert

    die Stiftung das arabische Parteien-Netzwerk Arab

    Alliance for Freedom and Democracy und ein regiona-

    les Jugendnetzwerk. Eine wichtige Komponente bei

    diesen Manahmen sind Dialog-Veranstaltungen, bei

    denen Araber und Europer an einem Tisch sitzen und

    ber liberale Lsungen fr die kleinen und groen

    Herausforderungen der Zeit nachdenken. Ein strategi-

    scher Partner auf europischer Seite ist das internati-

    onale Programm der niederlndischen Regierungspar-

    tei VVD, das die Stiftungsprojekte finanziell und in-

    haltlich untersttzt.

    Es ist eine klassische Win-Win-Situation, sagt Regi-

    onalbroleiter Meinardus, der die Kooperation einge-

    fdelt hat. Wir bringen unsere Infrastruktur und un-sere guten Kontakte ein, und unsere Freunde Ideen

    und Geld. Ende April werden sich im marokkanischen Rabat Jungliberale aus Europa und Arabien zusam-

    menfinden, um ber Bevlkerungspolitik und Migrati-

    on zu diskutieren. Am Ende so die Absicht soll eine

    gemeinsame Erklrung zu diesem so kontroversen

    Thema stehen. Wenig spter ldt die Stiftung zum

    zweiten europisch-arabischen liberalen Dialogforum

    nach Kairo ein. Dieses Mal soll es um die Rolle des

    organisierten Liberalismus be