GLÜCK AUF!

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Festakt in Ensdorf Was die Ministerpräsidentin zum Ende des Bergbaus sagte GLÜCK AUF! MONTAG, 2. JULI 2012 SEITE E1 Sonderbeilage zum Ende des Bergbaus an der Saar Letzte Mettenschicht Wie die emotionale Feier die Menschen zu Tränen rührte Saar-Bergleute Wo der Bergbau à la Sarre noch ein paar Jahre weitergeht Fahnenträger bei der letzten Mettenschicht. FOTO: ROLF RUPPENTHAL

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Page 1: GLÜCK AUF!

Festakt in Ensdorf Was dieMinisterpräsidentin zum Ende des Bergbaus sagte

GLÜCK AUF!M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2 S E I T E E 1Sonderbeilage zum Ende des Bergbaus an der Saar

Letzte Mettenschicht Wie die emotionale Feier dieMenschen zu Tränen rührte

Saar-Bergleute Wo derBergbau à la Sarre noch ein paar Jahre weitergeht

Fahnenträger bei der letzten Mettenschicht.FOTO: ROLF RUPPENTHAL

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� E D I TO R I A L

Liebe Leserin,lieber Leser

Es ist die letzte Revue. Mitdieser Sonderbeilage zumBergbau im Saarland ver-

bindet die Saarbrücker Zeitungein letztes „Glück auf“ mit einerIndustriebranche, die unser Landgeprägt hat wie sonst nichts. Der

SZ ist dabeidurchaus be-wusst, dass längstnicht alle Saar-länderinnen undSaarländer trau-rig sind über das

Ende der Kohleförderung, die janicht nur schwierig, teuer undschmutzig war. Sondern die vie-len Menschen in den betroffenenRevier-Regionen auch viel Kum-mer und Ängste bereitet hat.Aber wir wissen auch, dass unse-re eigene 250-jährige Geschichteganz eng mit der über 250-jähri-gen Geschichte des Saar-Berg-baus verbunden ist.

Die SZ hat den Bergbau in allseinen Facetten begleitet. Sie hatdie Lebenswirklichkeit der Berg-leute dargestellt, über Jahrhun-derte hinweg den schwerenKampf der Kumpel um gerechteBezahlung, ordentliche Arbeits-bedingungen und Mitbestim-mung geschildert, die politi-schen, wirtschaftlichen und kul-turellen Verflechtungen desBergbaus mit Staat und Bürgernen detail beschrieben, kommen-tiert und illustriert. In der Blüte-zeit des Bergbaus malochten weitüber 60 000 Saarländer für denpreußischen Bergfiskus, für dieMines Domaniales Françaises dela Sarre, für Saarberg oder amEnde für DSK und RAG. In denRevieren war fast jeder Haushaltmit dem Bergbau tangiert, nahe-zu jeder Saarländer hatte einenVerwandten und Bekannten, deruntertage schuftete. Die Land-schaft war davon geprägt, dasVereinsleben, der Sport, dieKneipen und vieles mehr. DerBergbau war Saarland, Saarlandwar Bergbau. Eine Symbiose, dieauch das Bundesland Saarlandmaßgebend geschaffen und denLebensweg unserer Vorfahrengeprägt hat. Die schließlich einTeil unserer Identität wurde.

Dieses Erbe gilt es zu bewah-ren. Allen Bergbauschäden, Bit-ternissen und Verwerfungen zumTrotz. Am Samstag war dieserWille zu beobachten bei den sehremotionalen Feierlichkeiten zumEnde des Bergbaus an der Saar.Ensdorf war die letzte Grube, diegeschlossen wurde, es war dieletzte Mettenschicht. In ihr wur-de ein Stück Würde deutlich. DieWürde einer Arbeit, die mehrwar als ein Job. Den vielen tau-send Menschen, die zum Ab-schied leise Servus sagten, wurdezugleich bewusst, dass nach die-ser Zäsur nun eine neue Ära be-ginnt. Eine Zeit ohne Schlägelund Eisen, ohne Loren undSchrämmaschinen, ohne Wasch-kauen und Fördertürme – abernicht ohne Kohle. Denn dieSteinkohle lebt nicht nur weiterin aller Welt, wo sie als Energie-spender für unverzichtbar be-trachtet wird, sondern – zumin-dest bis 2018 – auch in Deutsch-land. Dann soll der Bergbau auchim Ruhrpott eingestellt werden.Das Saarland geht voran undschreibt damit ein Stück Ge-schichte. Glück auf!

Ihr Bernard Bernarding, stv. Chefredakteur

Am Wochenende hatsich das Saarland miteinem Festakt und ei-ner Mettenschicht

vom aktiven Bergbau verab-schiedet. Für die saarländischeWirtschaft im Jahre 2012 ist esnicht viel mehr als eine Zäsur,historisch gesehen markiertdieses Datum aber das Ende ei-ner Epoche. Vor Jahrzehntennoch war die Kohle heiß be-gehrt, wurde als schwarzes Goldgefeiert. Mit der Kohle und demStahl aus den Revieren erstandEuropa aus Schutt und Asche,begründeten andere Regionenihre neuen Industrien, die heu-te das Feld beherrschen. WegenKohle und Stahl wurde mit derMontanunion die europäischeEinigung begonnen.

Tempi passati.Zwischen Aufstieg und Fall

der Kohle liegen etwa 250 Jah-re. In dieser Zeit gestaltete sichdas Schicksal der Lande an derSaar auf, mit und wegen derKohle wechselhafter als das vie-ler anderer Regionen in derNachbarschaft. Dieser Land-strich in der Reibungszone zwi-schen Frankreich und Deutsch-land war vorher über viele Jahr-hunderte nur dünn besiedeltund politisch zersplittert. DieFranzösische Revolution stürz-

te auch hier die Verhältnisseum. Nach Napoleons Niederla-ge kamen Preußen und Bayernins Land, deren ökonomischeund militärische Interessenkünftig das Schicksal der Regionbestimmen sollten. Saarbrü-cken und Saarlouis wurden Gar-nisonsstädte zum Schutz derGrenze gegen Frankreich. Koh-le und Eisen ließen ein pulsie-rendes Industrierevier entste-hen. War das Land in den erstenJahrzehnten des 19. Jahrhun-derts noch ein Auswanderungs-land, so wendete sich das Blattum die Jahrhundertmitte. Diehier lebenden Menschen fan-den nun Arbeit in Gruben undHütten, aus der näheren Nach-barschaft pendelten die Men-schen in das entstehende Revieroder zogen in die Nähe ihrer Ar-beitsplätze. Die einst ländlicheGegend verwandelte sich in eineständig wachsende Agglomera-tion im Schatten derSchornsteine, derFördergerüste undder wachsendenHalden. Unter derErde schufen dieBergleute eine neueWelt, der Menschwurde – zeitweilig –in der Tiefe hei-misch. Nicht vonungefähr sprechenwir auch heute nochvon den Grubenge-bäuden. Und das giltbeiderseits der im-mer wieder geän-derten und verscho-benen Grenzen. Un-abhängig von derpolitischen Zugehö-rigkeit höhlten die Menschendie Erde, auf der sie siedelten,unter sich aus, teuften Schächteab, gruben Stollen, legten Strebean und förderten die Steinkoh-le, den wichtigsten Energieträ-ger des industrialisierten Euro-pa. Damit veränderten sie auchdas Gesicht der Landschaft,schufen riesige künstliche Hü-gel und ihre Siedlungen dräng-ten in die freien Räume des Lan-des, füllten die Täler und er-oberten die Höhen.

In den 1960er Jahren war dieDominanz der Montanindustrienoch überall spürbar. Das Landpulsierte. Kohle und Stahl ga-ben Arbeit, harte Arbeit, aberauch gut bezahlte Arbeit. DieIndustriekathedralen mit ihrenSchornsteinen und Hochöfen,die Fördertürme und Förderge-rüste beherrschten das Bild inder Landesmitte. Unter der Er-de wuchs das Grubengebäude.Aber bald zeigte sich, dass diemoderne Welt andere Wege ein-schlagen würde. Importkohle,Öl und dann das Gas nahmen inder Energieversorgung immermehr Räume ein. Die Zeit von1812 bis in die 60er Jahre des 19.Jahrhunderts war die Phase desAufstiegs der Kohle. In den 60erJahren des 20. Jahrhundertsbegann ihr Niedergang. DasJahr 2012 setzt an der Saar denSchlusspunkt. Eine Epochegeht damit zu Ende, die lebendi-ge Welt unter Tage wird zurWüstung. Die Bauten über derErde bekunden dennoch ihrefortdauernde Existenz. All dieserealen Spuren sind heute Erin-nerungsorte, sind Zeugnisse derIndustriekultur und sollen esauch in Zukunft bleiben, dennlange Zeit materialisierte sichin ihnen das Wesen des Landes.

Der Bergbau gab dem Land ei-ne eigene Kultur. In der Archi-tektur, in den bildenden Küns-ten, in der Literatur, in der Mu-sik, in der Sprache, in der viel-fach heute noch fortdauernden

Frömmigkeit der Menschenund ihrem Umgang miteinan-der, überall ist der Einfluss desBergbaus vorhanden, auchwenn das nicht immer auf denersten Blick erkennbar wird.Das sind gewichtige Gründe,nicht einfach zur Tagesordnungüberzugehen. Wir sollten diemateriellen und ideellen Hin-terlassenschaften des Montan-zeitalters mit Achtung undSorgfalt behandeln. Um dasLand zu verstehen, müssen wirbewahren und auch erklären,denn wir sehen nur das, vondem wir Kenntnis haben.

Und wie die Ringwälle derKelten, die römischen Villenund Städte, die mittelalterli-chen Burgen, die Schlösser derFürstenzeit und die Kirchen-bauten für die Zeiten stehen, indenen ihre Erbauer mächtig wa-ren und Land und Menschenbeherrschten, wie die Grenzver-

läufe, Festungen,Bunker und Kriegs-gräber von den un-sinnigen und unseli-gen Konflikten er-zählen, die aber imkollektive Gedächt-nis nicht auszulö-schen sind, so wirdder Bergbau für im-mer ein Teil unsererIdentität sein.

In den Alpenlän-dern prägen die Ber-ge das Bewusstseinder Menschen, in denKüstenländern sindes dagegen der hoheHimmel, der endloseHorizont und der Ge-ruch des Meeres. In

unserem von Flüssen und Bä-chen durchzogenen Hügellandsind es die mythenzeugendenBerufe unter Tage und in denEisenwerken, die stets präsentsind und den Charakter derMenschen auch zukünftig mitprägen werden.

Das Erbe der Montanarbeiterist die Bereitschaft zum Schaf-fen, die Kraft, sich unbequemenAufgaben zu stellen, Solidaritätzu üben, zu ihrem Erbe gehörenKameradschaft und Verlässlich-keit, das Gemeinschaftserlebnisauch über Tage. Daher rührtauch die Liebe zu den Mann-schaftssportarten hierzulandeund das rege Vereinsleben hatdort seine Wurzeln.

Nicht zu vergessen: Neben derlandeseigenen Frömmigkeit,neben der Verlässlichkeit in derArbeit, wohnte auch immer –und wohnt noch – ein StückAufsässigkeit in den oft so gelas-sen sich gebenden Menschen.Der Rechtsschutzsaal in Bild-stock ist ihr Symbol, das Gegen-stück zu der Bergwerksdirekti-on, die den Machtanspruch desstaatlichen Bergbaus in Steingemeißelt repräsentiert. Mit re-gulären und wilden Streiks em-pörten sich die Bergleute gegenUngerechtigkeiten, traten fürihre Interessen ein. Am Endeblieb nur noch der Kampf für ih-re Arbeitsplätze, ein Kampf, densie zuletzt nicht mehr gewinnenkonnten. Es ist das grausameGesetz der schrumpfendenZahl: mit dem Rückgang derFörderung schmolzen Bedeu-tung und Einfluss.

Die Kohle wird weltweit nochlange unverzichtbar sein. Mitden an der Saar entwickeltenTechnologien werden sich diehiesigen Zulieferer noch einigeZeit im Markt halten. Außer-dem: Kohle ist nichts anderesals gespeicherte Sonnenener-gie, oftmals mehrere hundertMillionen Jahre alt. Photovol-taikanlagen auf den ehemaligenGrubenstandorten nehmen da-gegen den direkten Weg. Welch‘optimistische Pointe, wenn esgelingen sollte, in den stillgeleg-ten Schächten mit Pumpspei-cherkraftwerken die Flüchtig-keit von Wind- und Sonnen-energien zu bannen.

Mit unseren Nachbarn inLothringen, Luxemburg undRheinland-Pfalz müssen undwollen wir die Zukunft gestal-ten. Im Schoße der alten Indust-riegesellschaft ist eine Dienst-leistungs- und Wissensgesell-schaft gereift, neue Generatio-nen werden das Land, werdendas Erbe der Bergleute weiter-entwickeln und ebenfalls ihreSpuren hinterlassen.

Vom Ende einer Epoche

Le dernier poste – die letzte Schicht, heißt das Gemälde der Saarbrücker Künstlerin Ruth Lavall. Esstammt aus dem Jahre 1997 und nahm das Ende des Bergbaus vorweg. REPRO: PRIVAT

„Die Kohlewird weltweit

noch langeunverzichtbar

sein.“Reinhard Klimmt

FOTO

: DA

PD

Der Bergbau gab dem Saarlandeine eigene Kultur.

Deshalb markiert die letzte Mettenschicht

im Saar-Bergbau auch mehr als das Ende der Kohleförderung.

Eine persönliche Betrachtung des Historikers und

Ex-Ministerpräsidenten Reinhard Klimmt.

Schicht im Schacht. FOTO: B&B

S E I T E E 2 N R . 1 5 1 M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2GLÜCK AUF!

I M P R E S S U M

Chefredaktion:Peter Stefan Herbst, Bernard Bernarding

Chef vom Dienst: Aloisius Tritz

Art-Direction: Robby Lorenz

Redaktion: Thomas Schäfer, SebastianKlöckner, Thomas Sponticcia, Johannes

Schleuning, Jörg Wingertszahn

Geschäftsführung:Dr. Joachim Meinhold (Vorsitzender),

Christian Erhorn

Verlagsgeschäftsführung:Thomas Deicke

Verlagsleitung Vertrieb:Thomas Marx

Anzeigen:Alexander Grimmer

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Das traditionsreiche FachgeschäftElektro R. Meyer (Foto: Elektro R.Meyer) wurde 1962 von Roland undHilde Meyer im Altenkesseler El-ternhaus gegründet. Der Verlegungdes Hauptsitzes mit Kundendienst-zentrale, Werkstätten, Lager undVerwaltung nach Heusweiler 1974folgte 1977 die Einführung deshauseigenen Leasingsystems. Dieswurde im eigenen Haus entwickelt.1979 eröffneten die Fachleute eineFiliale in Saarbrücken. Und im Jahre

1982 schließlich folgte der Beitrittzur Expert Cooperation. Von denderzeit rund 230 Mitarbeitern ar-beiten 141 seit mehr als zehn Jah-ren für Elektro R. Meyer. 42 sindlänger als 25 Jahre und sechs mehrals 40 Jahre dabei. Seit 40 Jahrensind alle fest angestellten Mitarbei-ter nach einem Jahr Betriebszuge-hörigkeit am Unternehmenserfolgbeteiligt.

Der Ausbildungsbetrieb betreutderzeit mehr als 20 Jugendliche.

Die Geschäftsführer Roland Meyer,Thomas Elsenbast und Oliver May-er leben ihren Slogan „Wir wollen,dass Sie zufrieden sind“. MotivierteMitarbeiter und zufriedene Kundenzeigen, dass das Unternehmen sei-ne Hausaufgaben perfekt meistert.Dies sehen die Geschäftsführer alsBeweis für den Dienst am Kundenvor und nach dem Kauf. Denn Ser-vice und Kundenzufriedenheit ste-hen bei Elektro R. Meyer an ersterStelle. PR/mcg

Elektro R. Meyer: Ein Porträt

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Jetzt sind es tatsächlichbloß noch zwei Stundenbis zur Endgültigkeit.Hans-Jürgen Becker,der Betriebsratsvorsit-

zende des Bergwerks Saar,spricht auf der großen weißenBühne am Fuße des frisch gestri-chenen Fördergerüsts der AnlageDuhamel. Mehr als einmal zittertseine Stimme „Nun blutet derBergbau aus, ein Wirtschafts-zweig, der noch so viel zu gebenhätte, er stirbt.“ Über 10 000noch aktive und ehemalige Berg-leute, ihre Familien, ihre Freundesind am Samstag nach Ensdorfgekommen, um beim Ende desBergbaus an der Saar dabei zusein. Ein einmaliges Ereignis inder Geschichte des Landes. Vielenicken zu Beckers Worten. DasMannsbild mit dem markantenBärtchen findet unter den vielen,vielen Rednern des Tages und desAbends die direktesten Worte,Worte, die zu Herzen gehen.

120 Minuten bleiben jetzt demBergbau noch, bis auch die Met-tenschicht, die sonst zu Weih-nachten untertage gefeiert wird,vorüber und alles vorbei seinwird, über ein Vierteljahrtausendstaatlichen Kohleabbaus in einerRegion, in der bereits die Keltennach dem schwarzen Gold gru-ben. 120 Minuten sind es noch,bis die Grubenwehr mit Fackelnaufmarschiert zu dunklen Trom-melschlägen, bis das letzte StückKohle übergeben wird. Und dieBergkapelle der RAG mit ihremDirigenten Bernhard Stopp „Ti-me to say goodbye“ spielen wird.

Box-Champion Henry Maskekletterte dazu oft in den Ring –und siegte. Heute Abend ist eskeine Triumphmusik. Heute istes das Abschiedslied. Das das An-zünden einer gigantischen Gru-benlampe begleitet. Ein Hoff-nungsschein, dass man zumin-dest das Erbe des Bergbaus nichtvergessen will.

Und doch ist diese Metten-schicht, die den Bergbau im Lan-de endgültig beschließt, alles an-dere als eine düstere Trauerfeier.Wehmut statt Wut, Nachdenk-lichkeit statt Empörung – so lässtsich die Gefühlslage am bestenskizzieren. Natürlich fehlt esnicht an kritischen Worten, dieden Unmut vieler Bergleute un-termauern, dass man eine nichterschöpfte Lagerstätte aufgebenmuss, wo doch noch so viel Kohlein der saarländischen Erde liegt.

Gewerkschaftschef MichaelVassiliadis sagt es klipp und klarund blickt auch auf die Ruhr undnach Ibbenbühren, wo nun auchsaarländische Bergleute arbeiten:„Die IG BCE hält den bis 2018 ge-planten Ausstieg Deutschlandsaus der Steinkohleförderung fürfalsch.“ Viel Beifall erntet Vassi-liadis dafür. Und vor der Bühnehält einer unentwegt in all die Fo-to- und Fernsehkameras, die zu-

schauen, eine Deutschlandfahnemit der Aufschrift „NationaleEnergieversorgung“. Dahintermahnt ein schwarzes Kreuz.

Aber auch Stolz merkt man vie-len an, weil der Bergbau hier ebendoch nicht einfach so vorbei ist,wie man heutzutage schnell maleine x-beliebige Fabrik zusperrt –und die Leute auf der Straße ste-hen. Der Bergbau lässt seine Leu-te nicht ins „Bergfreie“ fallen.„Wir sind stolz auf euch“, ruft Pe-ter Schrimpf, Vorstandsmitgliedder RAG. Und das Unternehmentut was dafür.

Die großen Debatten aber mitden Bergbaubetroffenen, die vie-len harten Auseinandersetzun-

gen mit der Politik, sie überschat-ten nicht den versöhnlichenGrundton dieses Abschieds. So istauch die Landespolitik an diesemAbend selbstverständlich mit da-bei. Viele Minister und Ex-Minis-ter sind seit dem Festakt amNachmittag geblieben. Wirt-schaftsminister Heiko Maas(SPD) geht sogar mit dem Hüt-ten- und Knappenvereinen mit,

als diese in einem prachtvollenZug zur Bühne marschieren. UndAnnegret-Kramp-Karrenbauer,nachmittags als Ministerpräsi-denten noch offizielle Rednerin,ist am Abend quasi privat alsBergmannsfrau da.

Manchmal staunt man aberauch, wie die Mettenschicht gera-de zu Anfang auch merklich zumVolksfest hin ausfranst – mit vie-

len Schwätzchen unter alten Kol-legen, mit Popcorn, Softeis, Pasta,Rostwurst für zwei Euro undüberlangen Schlangen an denBierständen. Vielleicht liegt es jaauch an diesem schönen Som-mertag, dass keine allzu trübenGedanken aufkommen. Vielleichtzeigt sich da aber auch jene saar-ländische Grundfertigkeit, stetsnoch das Beste aus dem Unver-meidlichen zu machen.

Doch mit der Dämmerung, denWorten des Trierer Bischofs Ste-phan Ackermann, von Weihbi-schof Robert Brahm und den bei-den evangelischen Oberkirchen-räten Gottfried Müller und Bar-bara Rudolph, vor allem aber dem

gemeinsam unter freiem Himmelgebeteten „Vater unser“ be-kommt der Abend seine Andacht,seine Besinnlichkeit. Nichts frei-lich rührt so sehr wie die siebenStrophen des Steigerliedes. „Festund kräftig“ verlangt die Musi-zieranweisung auf dem Noten-blatt. Bergkapelle und Saarknap-penchor spielen und singen siegemeinsam – fest und kräftig.Wie oft haben die beiden Werks-ensemble, die fest entschlossensind, das Erbe des Bergbaus wei-terzutragen, diese schlichten unddoch so feierlichen Noten schongespielt, gesungen? Die Zehntau-send stehen jetzt wie ein Mann.

Tränen laufenüber raue Män-nergesichter.Pranken, großwie Kohlensch-aufeln, tastensuchend, fassennach Frauen-händen, um indiesem schwe-ren AugenblickHalt zu finden.

Genau daswerde ihm der schwerste Mo-ment werden, wusste EngelbertEisenbarth schon vor Tagen. Stei-ger war er, Berg- und Maschinen-Ingenieur. 70 ist der Quierschie-der mittlerweile. Ganz unten inder Grube fing er an. Hat sichhochgearbeitet. Die Kohle, „seinSaarberg“, hat sein Leben ge-prägt, hat ihm als Lohn der Müheein gutes Auskommen gebracht,so wie einst dem halben Land.Wenn er von der Kameradschaftuntertage redet, „vom Einstehenfüreinander“, fliegt die Zeit zu-rück in die 60er, als noch Zehn-tausende in den saarländischenGruben „schafften“. Und keinervon ihnen dachte, dass er mal dasAus für die Kohle miterlebenmüsse.

Es sind Geschichten wie die sei-ne, die hundertfach bei dieserMettenschicht auch zu erzählenwären, ja, Geschichten, die dasSaarland ausmachen. Unter denvielen Gästen in Ensdorf ist auchJonas. Fünf ist er. Sein Opa, sagter stolz, war „uff der Grub“. Da-von erzähle ihm sein Opa oft. Wieer ganz tief aus dem „Bauch derErde“ die Kohle holte. Das beein-druckt Jonas – und der Knirpshat sich ein Stückchen der „letz-ten Kohle“ gesichert, die es alsAndenken gibt.

Wie viel aber von all dem, vomLeben und Arbeiten der Bergleu-te, von ihrer Kultur, ihrer Kame-radschaft, ihrer universellen Ge-schicklichkeit wird bleiben? Undwas wird Jonas das noch bedeu-ten, wenn er groß ist? Wird er voralten Fördertürmen, vor demSaar-Polygon, dem noch zu bau-enden Bergbau-Denkmal, stehenund damit etwas anzufangen wis-sen? Um 22.40 Uhr, am 30. Juni2012 ist es dann tatsächlich so,dass der Bergbau im Saarland Ge-schichte ist. Nun ist es an uns, sienicht zu vergessen.

Als dem Saar-Bergbau die letzte Stunde schlugVersöhnlich verabschiedete sich das Saarland im Bergwerk Saar vom Kohleabbau – Über 10 000 kamen zur feierlichen Mettenschicht

Von SZ-RedakteurOliver Schwambach

Im Gesicht dieses Berg-mannes spie-gelt sich die Gefühlsweltvieler Bergleuteund ihrer Ange-hörigen. FOTO:

ROLF RUPPENTHAL

„Nun blutet der Bergbau aus, ein Wirtschaftszweig, der noch so viel

zu geben hätte, er stirbt.“ Hans-Jürgen Becker, Betriebsratsvorsitzender des Bergwerks Saar

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Eine Mischung ausStolz, Wut und demVersuch, in Würdezu ertragen, wasnicht mehr zu än-

dern ist, prägt den Festakt zumAbschied des Saar-Bergbaus. Vi-vian Loch (20) aus Schmelzspielt Klarinette in der Bergka-pelle, die den musikalischenRahmen bestreitet. Trotz destraurigen Anlasses strahlt diejunge Frau. „Meine Familie,meine Großeltern waren schonBergleute. Darauf bin ich stolz.Der Bergbau endet zwar, aberich will ihn mit der Bergkapelleweiter repräsentieren.“ HansGeorg Schmitt (52), Vorsitzen-der der Bergkapelle, will dasauch, hat aber eine klare Mei-nung zum Festakt. „Für michspielen wir heute auf der eige-nen Beerdigung.“ Längst nichtjeder will ruhige, versöhnlicheTöne anstimmen. Zu frisch sindfür viele noch die Erinnerungenan einen verlorenen Kampf.

Es ist der Gesamtbetriebs-ratsvorsitzende Ludwig Ladzin-ski, der deutliche Worte wählt.Nein, er könne sich nun wirk-lich nicht dem Dank der Regie-rungschefin an ihren Amtsvor-gänger Peter Müller anschlie-ßen. Das Ende des Bergbaus seieine kurzfristige und falsche Po-litik. Politische Stimmen, nichtnur aus der CDU, hätten das oh-nehin problematische Ereignisdes Grubenbebens in Saarwel-lingen im Februar 2008 ,,dazugenutzt, es für ihre Ideologienoder ihre Zwecke zu verwen-den“. Zudem „war traurig, dassdie Bergbaugegner unverhohlennach dem sofortigen Aus desBergbaus im Saarland gerufenhaben, ohne die Folgen für dieBergleute, deren Familien unddie Region zu überdenken“, kri-tisiert Ladzinski.

Ministerpräsidentin Anne-gret Kramp-Karrenbauer(CDU) verteidigt ihren Dankauch an den Amtsvorgänger mitdem Argument, dieser habe inder hoch emotionalen Phasenach dem Beben standgehaltenund nicht sofort einen endgülti-gen Bergbaustopp verhängt.Auch er habe sich für einen sozi-alverträglichen Auslaufbergbaueingesetzt. Ihre Rede beim Fest-akt verteidigt sie mit den Wor-ten, die Politik „kann und musspräsent sein, weil sie auch zuvertreten hat, was sie beschlos-sen hat“. Danndankt sie den Berg-leuten für ihre gro-ße Leistung, die Ar-beit zum Wohle desLandes. Dies werdeman im Herzen be-wahren. Auch ohneBergbau müsse esgelingen, Wirt-schaftskraft zu stär-ken sowie die Fi-nanzen in den Griffzu bekommen.Dann habe das Landeine gute Zukunft.

Michael Vassilia-dis, Vorsitzender der Gewerk-schaft IG BCE, äußert Zweifel.Ohne Bergbau wachse das Risi-ko, die industrielle Basis zu ver-schlechtern. Nur mit einerfunktionierenden Industriekönne das Land seinen Wohl-stand halten und steigern. Des-halb solle die Landesregierungattraktive Bedingungen für kon-ventionelle und erneuerbareEnergien schaffen. Sie dürfenicht jeder Protest-Initiativenachlaufen. Auch Vassiliadishält das Bergbau-Ende fürfalsch. Die Menschen, „die hierbis heute hart und erfolgreichgearbeitet haben, wollten nochlange für den Bergbau und fürdas Saarland arbeiten. Sie woll-ten hier Steuern zahlen sowiedie Basis für die Energie diesesIndustrielandes liefern“. DieseMenschen, so stellt auch RAG-Chef Bernd Tönjes klar, „habensich um den saarländischenSteinkohlenbergbau verdient

gemacht. Sie können zurückbli-cken auf großartige Leistun-gen.“ Mehr noch. „Die saarlän-dischen Bergleute stellen dieHacke an den Stoß und verlas-sen ihr Bergwerk mit erhobe-nem Haupt.“

Besonders schmerzlich sei,dass nicht eine erschöpfte La-gerstätte das Aus war, das ihnenihre Arbeit genommen habe.„Gerade die fehlende politischeRückendeckung hier im Landein den schwierigen Jahren derErderschütterungen haben dieBergleute sehr bedauert – undauch noch nicht ganz verwun-den.“ Tönjes zeigt noch einmal

Stationen des Berg-baus auf. Das Gru-benbeben im Feb-ruar 2008 habedann die Zukunfts-perspektive desBergwerks Saar zer-stört. Wobei Tönjesheute einräumt,„dass in der Tatauch Menschenhätten zu Schadenkommen können.Zum Glück ist es beiSachschäden ge-blieben“. Am Endesagt er: „Ich hoffe

sehr, dass wir den Verzicht aufdie einzige heimische Energie-quelle neben der Braunkohlenicht eines Tages bitter bereuenmüssen.“

Im Publikum sitzt der 82-jäh-rige Adolf Quinten aus Dudwei-ler, der 1951 auf der Anlage Du-hamel, dem Ort des Festaktes,seine Ausbildung begonnen hat.Von 1983 bis 1989 war er Direk-tor der Grube Reden. Quintenspricht nach dem Festakt voneinem „würdigen Abschluss“.RAG-Chef Tönjes habe einen„schönen Abriss der Bergbauge-schichte an der Saar aufge-zeigt“. Den Auftritt der Minis-terpräsidentin hält Quinten fürrichtig. Zumal sie eingeräumthabe, dass es mit den Bergbau-betroffenen auch Menschengibt, die vom Bergbau geplagtwaren. Auch ihm sei klar gewe-sen, dass der Bergbau endenwird, sagt Quinten. Nur nicht,dass es so schnell gehen würde.

„Abgang mit erhobenem Haupt“Festakt im Konflikt zwischen Wut der Bergleute über das Aus und dem Versuch der Würdigung ihrer Leistung

Von SZ-RedakteurThomas Sponticcia

Viele schwarzeStunden erlebt

Der Saarbergbau hat vieleschwarze Stunden er-lebt. Alleine seit 1844

sind 1440 Bergleute tödlichverunglückt. Das Ende derSteinkohlenförderung an derSaar ist ein Augenblick von his-torischer Dimension. Er be-wegt nicht nur uns Bergleute insehr starkem Maße und erfülltuns tief mit Wehmut – die End-gültigkeit dieses Moments er-greift das ganze Land und seineMenschen, lässt sie für einenMoment innehalten. Eine be-deutende Epoche geht zu Ende,die weit mehr war als nur eine

große Industrie-Epoche – undeine neue Ära bricht an. DerBergbau im Saarland war exis-tenz- und identitätsstiftend fürden Einzelnen und das gesamteLand. Über lange Zeit war derBergbau größter Arbeitgeber,größter Auftraggeber, größterAusbilder. Viele sagen, ohneden Bergbau gäbe es das Saar-land nicht. Die Schicksalsstun-de schlug am 23. Februar 2008um 16.31 Uhr, als eine Erder-schütterung nicht erwartetenAusmaßes mit einem Schlag diePerspektive des Bergwerks Saarzerstörte. Eine Erschütterungmit einer Heftigkeit, wie sie bisdahin niemand für möglichhielt. Das Bergwerk Saar mitseiner hervorragenden Lager-stätte, mit Kohlevorräten weitüber 2020 hinaus und wettbe-werbsfähigen Förderkostenstand urplötzlich vor dem Ausund mit ihm der gesamte Saar-bergbau. Ich hoffe sehr, dasswir den Verzicht auf die einzigeheimische Energiequelle nebender Braunkohle nicht eines Ta-ges bitter bereuen müssen.

Bernd Tönjes,Vorstands-vorsitzenderder RAG FO

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APD

Ein Bergmanngibt nicht auf

Das Erderschütterungs-Ereignis am 23. Februar2008, gefolgt von der

politischen Entscheidung fürein vorzeitiges Ende des Berg-baus an der Saar hat unsereBelegschaft ins Herz getroffen.Verlegung, Weiterqualifizie-rung, Neuorientierung – dassind Herausforderungen, de-nen sich viele unserer Beschäf-tigten stellen müssen. Und dastun sie. Denn aufgeben istnicht eines Bergmanns Sache.Und nun blutet der Bergbauaus. Ein Wirtschaftszweig, dernoch so viel zu geben hätte,

stirbt. Ich frage die in 2008 po-litisch Verantwortlichen: Wardieses frühe Aus an der Saarnicht abzuwenden? Wir wis-sen: Mit gebündelter Kraft hät-te dies vielleicht gelingen kön-nen. Aber der Bergbau war po-litisch nicht mehr gewünscht.Und dies ohne Wenn und Aber.Seit Monaten redet jeder nurnoch von unserer saarländi-schen Kohle. Das schwarzeGold ist in aller Munde – leiderzu spät. Den Ausdruck „unserschwarzes Gold“ hätten wir in2008 so gerne gehört. Auchwenn der Bergbau geht, bitteich jedoch darum, etwas zu be-denken: Wenn wir Saarländernicht an unseren industriellenArbeitsplätzen festhalten, wirdunser Bundesland zum Aus-wanderungsland. Für unsBergleute ist es nun zu spät.Dennoch stehen wir solida-risch zur Industrie im Saarlandmit ihren Auswirkungen, dennimmer noch verdienen tausen-de Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer hier ihr täglichesBrot.

Hans-JürgenBecker, Betriebsrats-vorsitzenderBergwerk SaarFO

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Stolz sein aufdas Geleistete

In zahlreichen Begegnun-gen in den letzten Tagenwurde ich gefragt: Darf die

Politik diesen Tag des Ab-schieds mitbestimmen und aufdem Festakt reden? Eineschwierige, eine berechtigteFrage. Meine Antwort ist: Ja.Die Politik kann und muss prä-sent sein, weil sie zu vertretenhat, was sie beschlossen hat.Der Tag des Abschieds ist einTag voller Gefühle, auch derTrauer. Ein Tag auch der Wutbei denjenigen, die in ihrer Le-bensplanung berührt sind, weilsie von ihrer Familie getrennt

werden. War der Ausstieg ausdem Bergbau richtig, auch vordem Hintergrund der Energie-wende? Richtig, auch aus derErleichterung derjenigen, dieunter dem Bergbau gelitten ha-ben? Der Tag des Abschiedsvom Bergbau ist kein Tag derGleichgültigkeit, weil nieman-den der Bergbau gleichgültiglässt. Es geht um viel mehr alsdas Erbe der Steinkohlenförde-rung und eines Industriezwei-ges. Wir erleben heute eine Zä-sur. Und müssen uns jetzt alleder Aufgabe stellen, wie es mitdem Saarland weitergeht. Au-ßerdem es geht um die Frage,welches Erbe wir vom Bergbaubewahren wollen. Das Land hataber vor allem eines zu tun:Dank zu sagen an die Bergleu-te, die gearbeitet haben zumWohle des Landes. Auch 2012verdanken wir ihnen noch ein-mal einen Großteil des Wohl-standes. Ich sage: Ihr Bergleutekönnt stolz sein auf das, wasIhr für das Saarland geleistethabt. Das Saarland wird dieBergleute nicht vergessen.

AnnegretKramp-Karren-bauer, Minis-terpräsidentindes SaarlandesFO

TO: D

PA

Die Bergkapelle und der Saarknappenchor sorgten während des Festaktes für einen würdevollen Abschied vom Bergbau. FOTO: OLIVER DIETZE

„Bergleutekönnen aufgroßartigeLeistungen

zurück-blicken.“

Bernd Tönjes,Vorstandschef

der RAG

BERGBAU-CHRONIK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7. Jahrhundert vor Christus:Der keltische Bergbau aufSteinkohlen im 7./6. Jahr-hundert v. Chr. ist belegtdurch eine Perle aus so ge-nannter Kännelkohle, ei-ner schnitzbaren Stein-kohle, die im Grab der Kel-tenfürstin in Rubenheimgefunden wurde. DiesePerle gilt als der bislang äl-teste Nachweis für den Ab-bau von Steinkohlen inDeutschland. 14./15. Jahrhundert: Eineerste urkundliche Erwäh-nung der Steinkohle ent-stammt dem Jahr 1357. Da-mals untersagten die„Edelleute Friedrich undSimon von Saarbrükken“das Graben von Steinkoh-len auf dem Bann von Dud-weiler. Wichtigstes Doku-ment jener Zeit ist das ausdem Jahr 1429 stammende„Schöffenweistum vonNeumünster“ bei Ottwei-ler. Dabei handelt es sichum ein Klosterbuch, indem von der Kohlengewin-nung und deren Nutzungberichtet wird.1586: Bergordnung desGrafen Philipp zu Nassau-Saarbrücken. Sie regelt dieBegrenzung der privatenKohlengräbereien undenthält Bestimmungenüber Kohlengewinnungund Kohlenverladung so-wie Abgaben und Strafen.In die gleiche Zeit fällt eineZunftordnung für die Koh-lengräber der GemeindenDudweiler und Sulzbach.1608: Als Kohlenverschif-fungsplatz wird zum ers-ten Mal die bei Saarbrü-cken-St. Johann errichtete„Kohlrech“ (die spätere„Kohlwaage“) urkundlicherwähnt. 1751: Einziehung der Stein-kohlengruben (Kohlengrä-bereien) durch den Fürs-ten Wilhelm Heinrich zuNassau-Saarbrücken undBeginn der Bergmänni-schen Administration. Vondiesem Zeitpunkt an stehtder Saarbergbau im We-sentlichen ständig untereinheitlicher Leitung imStaatsbesitz – was ihn vonallen anderen Bergbaure-vieren des Kontinents un-terscheidet. 1754: Durch Verordnungder Fürstlichen Regierungwird die Allgemeine Reser-vation der Steinkohlen-gruben und Abbaufeldervollzogen. Dieser Zeit-punkt gilt als der eigentli-che Beginn der systemati-schen, wirtschaftlichenund rationellen Kohlenge-winnung an der Saar. An-stelle der planlosen Koh-lengräberei wird einkunstgerechter Abbau,verbunden mit wirksamerWasserlösung, eingeleitet.1765: Anordnung derfürstlichen Rentkammer,sämtliche Gruben im Saar-revier zu markscheidenund ordentliche Risse an-zufertigen. 1769: Durch Verordnungdes Fürsten Ludwig zuNassau-Saarbrücken wirdeine Bruderbüchse für dieBergleute sämtlicher lan-desherrlicher Gruben ein-gerichtet, die freie Kur undArznei sowie Krankengeldund eventuell weitere nö-tige Unterstützungen zugewähren hat. 1793: Französische Revo-lutionstruppen besetzendie Besitzungen der Fürs-ten zu Nassau-Saarbrü-cken. Die Bergwerke wer-den Regiebetriebe derRépublique Française.1807: Napoleon I. gründetin Geislautern eine kaiser-liche Bergakademie, zu de-ren Leiter der Bergdirek-tor Jean-Baptiste Duha-mel ernannt wird. 1814/15: Die Gruben in derRegion werden infolge derBestimmungen des PariserFriedens zum überwiegen-den Teil von Preußen über-nommen.

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Schon in den Kaffeeküchen derBergwerke gehörte ein kühlesKarlsberg Pils genauso dazu wieder Ringel Lyoner. Ein KarlsbergBräu steht für das gute Feierabend-Gefühl, für Genuss und Entspan-nung. Die Karlsberg Brauerei warals Getränkelieferant der Kantinender Saarbergwerke immer vor Ort.Bis heute bleibt die Verbindung be-

stehen: Karlsberg war Hauptspon-sor der Abschiedsfeier am Berg-werk Saar in Ensdorf.

Die zahlreichen und abwechs-lungsreichen Werbekampagnen, indenen Karlsberg auf die Traditiondes Bergbaus Bezug nimmt, ma-chen die Zusammengehörigkeitdeutlich. Schon 1937 existierte einWerbeplakat, auf dem ein Berg-mann mit Helm und Hacke zu se-hen ist. Der Slogan des Karlsberg-Plakates – „Je schwerer das Tage-werk um so froher der Feierabendbei einem leckeren kühlen GlasKarlsberg Bräu“ – beschreibtgleichzeitig das Lebensgefühl derZeit und die Nachricht der Hombur-ger Karlsberg Brauerei: „Karlsberg– Weil Leben nicht nur Arbeit ist“.Auf dem bei den Bergleuten belieb-ten „Bergmannskalender“ belegteKarlsberg von 1965 bis 1981 jeweilsdie Umschlagseite und warb zudemmit zahlreichen Anzeigen.

Im Juni ging nun nach über 250Jahren „Bergbau an der Saar“ eine

bedeutende Industrie-Epoche zuEnde. Wie kaum eine andere Bran-che hat die Kohle Land, Wirtschaftund Menschen geprägt. Die regio-nale Verankerung und die Verbun-denheit zum Saarland ist die Stelle,an der die Karlsberg Brauerei undder Bergbau des Saarlandes immerwieder zusammentreffen. Und dasauch in Zukunft.

Solidarität zum Bergbau

Unter dem Motto „Kohle, Kumpel,Karlsberg Bier“ begleitet Karlsbergdie ehemaligen Bergleute auchnach dem Ende des Saar-Bergbausund bringt damit seine Solidaritätzum Ausdruck. Denn auch hier gilt:„Karlsberg Bier-Gefühl ist Wir-Ge-fühl!“. Zum Dank erhielten alle ehe-maligen Bergleute einen Gutscheinfür eine Kiste Karlsberg UrPils. Am„Tag des Abschieds“ am 30. Juniverteilte Karlsberg außerdem„Glück Auf“-Flaschenöffner an alleBesucher. PR

Die Karlsberg Brauerei und der Bergbau an der SaarAm 30. Juni 2012 wurde die letzteSchachtanlage des Saarlandesstillgelegt. Damit endete der Berg-bau an der Saar – die besondereVerbindung zwischen der Karlsberg Brauerei und dem Bergbau aber bleibt.

Links: In Werbekampagnen nahm die Karlsberg Brauerei immer auch Bezugauf den Bergbau. Rechts: Am „Tag des Abschieds“ am 30. Juni verteilteKarlsberg „Glück Auf“-Flaschenöffner an alle Besucher. Fotos: Karlsberg

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Es bleiben Wehmut, Wut und WürdeSo denken Bergleute, Angehörige und Freunde über das Ende des Bergbaus an der Saar und die Feierlichkeiten

Günther Michel, 56, Fraulautern: „Ichbin sehr traurig. Ich komme seit über 20Jahren hierher und habe viele Freundeauf der Grube. Ich habe das Gefühl, sehrviele Bergleute sind aus Protest heutenicht hierher gekommen. Das Saarlandist mit dem Bergbau groß geworden.Jetzt macht es sich von Energie aus demAusland abhängig.“

Hans Berger, 74, Klarenthal: „Ich erlebeden Tag wutentbrannt, wegen all derKrokodilstränen, die heute hier geflossensind. Es wäre unverantwortlich, wenn wiruns von fossilen Brennstoffen abhängigmachen. Damit versperren wir der Ju-gend den Weg in die Zukunft. “ (Bergerwar in den 90er Jahren Bundesvorsitzen-der der IG Bergbau und Energie)

Ernst Maaß, 72, Schwarzenholz: „Ichschaue mit Wehmut und Groll auf dasEnde des Bergbaus. Auch mein Vaterund meine Brüder haben wie ich vieleJahre lang im Bergbau gearbeitet. Ichwerde diese Zeit immer in guter Erinne-rung behalten. Ich bin Fahnenträger imBergmannsverein und werde die Traditi-on weiterpflegen.“

Gerhard Ranker, 84, Kleinblittersdorf:„Ich erlebe den Tag heute mit gemisch-ten Gefühlen. Ich war Bergmann von1955 bis 1989 und zuletzt Leiter dertechnischen Eigenüberwachung. DieVeranstaltung heute ist für die Men-schen hier sehr ansprechend, aber ichbedaure den Untergang des Bergbaus ander Saar.“ FOTOS: IRIS MAURER

Anneliese Paul, 70, Bildstock: „Ich habemein ganzes Leben mit dem Bergbau zutun gehabt. Mein Mann war Bergmann,mein Sohn ist Bergmann und muss jetztin einer ganz anderen Branche arbeiten.Auf der Grube haben die jungen Leutefrüher viel Geld verdient. Wenn ich heutein Göttelborn den Förderturm sehe, er-innere ich mich an gute Zeiten.“

Jörg Müller, 46, Bexbach: „Ich hatte amFreitag meine letzte Schicht, ziehe jetztnach Ibbenbüren und muss dort noch ei-nige Jahre arbeiten. Ich pendele – mon-tags hin und freitags zurück. Ich bleibedem Bergbau an der Saar aber immerverbunden und werde weiterhin in ver-schiedenen Traditionsvereinen und demBergwerksmuseum Bexbach mithelfen.“

Elke Söhnel, 57, St. Ingbert: „Mein Mannhat 34 Jahre im Bergbau gearbeitet, undich hatte oft Angst um ihn. Wir haben al-le Höhen und Tiefen erlebt und demBergbau viel zu verdanken. Durch die Ar-beit konnten wir sehr gut leben. Es gabeine große Verbundenheit unter denKollegen, und wir haben viele schöneFeste miteinander gefeiert.“

Rolf Schultheis, 57, Bürgermeister vonFriedrichsthal: „Jetzt ist es leider end-gültig. Besonders schwer wird es für die,die noch viele Jahre in NRW einfahrenmüssen. Sie sind weit weg von der Hei-mat im Saarland. Das heute hier ist eineeinmalige Veranstaltung, aber es mussweitergehen, wir müssen die Erinnerungan den Bergbau pflegen.“

BERGBAU-CHRONIK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1848/52: Die SaarbrückerEisenbahn verbindet St.Johann und Neunkirchen.An der neuen Bahntrassesiedeln sich die so genann-ten Eisenbahngruben an.1877/80: Bau der König-lich-Preußischen Berg-werksdirektion in Saar-brücken. Heute ist dort dasEinkaufszentrum Europa-galerie untergebracht. 1908/11: Bau des Förder-turmes Camphausen IV –es ist die weltweit ersteTurmförder-Konstruktionin Stahlbeton.1919/20: Inkrafttreten desVersailler Friedensvertra-ges und Gründung der Mi-nes Domaniales Françai-ses de la Sarre durch Dek-ret der französischen Re-gierung. Der Gesellschaftunterstehen 29 Bergwerkemit über 65 Förder- und 88Hilfsschächten sowie 26Wäschen, eine Kokereiund vier Kraftwerke.1935: Nach der Volksab-stimmung vom 13. Januarkehrt das Saargebiet imMärz ins Deutsche Reichzurück. Die Gruben wer-den in die Saargruben AGeingebracht, deren Aktien-bestand in Händen desDeutschen Reiches liegt. 1945: Am 21. März beset-zen US-Truppen das Saar-land. Die zum Teil starkzerstörten Bergwerke un-terstehen zunächst deramerikanischen Kontroll-Kommission (Saar MiningMission). Am 10. Juli been-det sie ihre Tätigkeit unddie Kontrolle geht auf dieMission Française des Mi-nes de la Sarre über. 1948/49: Am 1. Januarübernimmt die Régie desMines de la Sarre alle Gü-ter und Rechte der Saar-gruben AG.1954: Am 1. Januar tritt dervon Frankreich und demSaarland 1953 unterzeich-nete Vertrag über den ge-meinsamen Betrieb derSaargruben in Kraft. Ersieht die Ablösung derRégie des Mines durch dieSaarbergwerke vor.

Karlsberg UrPils.Frisch. Würzig. Herb.

Kohle, Kumpel,Karlsberg Bier!Seit jeher gehört Karlsberg zum Lebender Bergleute an der Saar.

Karlsberg Anzeige aus dem Jahre 1965.

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S E I T E E 6 N R . 1 5 1 M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2GLÜCK AUF!

Momente des AbschiedsViel Prominenz und tausende Freunde des Bergbaus beim letzten „Glück auf“ in Ensdorf

Mit brennenden Fackeln schufen Mitglieder der Grubenwehr am Ende der Mettenschicht eine bewegende Atmosphäre. FOTO: OLIVER DIETZE/DPA

Umweltminister Peter Altmaier, RAG-Chef Bernd Tönjes undMinisterpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. FOTO: RUP

Schutzpatronin: Bergleute in traditioneller Montur tragen die mit Blumen geschmückte Heilige Barbara aufsFestgelände des Bergwerks Saar. FOTO: OLIVER DIETZE

Bergwerksleiter Friedrich Breinig währendseiner Ansprache. FOTO: OLIVER DIETZE

Mehr als 10 000 Menschen kamen am Samstag zur Metten-schicht auf das Gelände des Bergwerks Saar. FOTO: B&B

BERGBAU-CHRONIK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1957: Nach der Eingliede-rung des Saarlandes in dieBundesrepublik wird am30. September die Saar-bergwerke AG mit Sitz inSaarbrücken gegründet.Anteilseigner sind dieBundesrepublik mit 74Prozent und das Saarlandmit 26 Prozent. 1958 besa-ßen die Saarbergwerke 99in Betrieb befindlicheSchächte. Schon im selbenJahr mussten infolge derveränderten Verhältnisseauf dem Energiemarkt dieersten Feierschichten ge-fahren werden. 1962: Am 7. Februar wirdder Saarbergbau von demfolgenreichsten Gruben-unglück seiner Geschichtegetroffen. 299 Bergleutefinden auf dem BergwerkLuisenthal den Tod.1988: Die SaarbergwerkeAG verabschiedet dasDrei-Standorte-Konzept.Dieses sieht unter ande-rem die Stilllegung derFörderung am StandortCamphausen im Jahre1990 und die Schaffung desVerbundbergwerkes Göt-telborn/Reden (VerbundOst) vor. Die Anlagen Lui-senthal und Warndt wer-den zum Verbundberg-werk West zusammenge-fahren. Das Bergwerk Ens-dorf bleibt selbstständig. 1997: Im März kommt eszu einer harten Auseinan-dersetzung der Bundesre-gierung mit den Bergleu-ten und ihrer Gewerk-schaft Bergbau und Ener-gie (IGBE). Tagelangherrscht in der damaligenHauptstadt Bonn Belage-rungszustand. Die Revierean Ruhr und Saar sind imAufstand. Am 13. Märzwird ein Kompromiss zwi-schen der Regierung, derIGBE und den Bergbau-Unternehmen gefunden.Für die Saar bedeutet dies,dass die Steinkohlenförde-rung auf dem BergwerkGöttelborn/Reden Ende2000 eingestellt wird.1998: Am 1. Oktober wirddie Deutsche SteinkohleAG (DSK) mit Sitz in Her-ne gegründet. Sie über-nimmt die Bergwerke anRuhr, Rhein und Saar.2004: Zum 1. Januar wer-den die FörderstandorteEnsdorf und Warndt/Lui-senthal zum BergwerkSaar zusammengeführt. 2006: Das Verbundberg-werk Warndt-Luisenthal(Verbund West) wird am 1.Januar stillgelegt. Jetzt ru-hen alle Hoffnungen fürden künftigen Bergbau ander Saar auf dem FlözSchwalbach.

Wie wird sich dieser kleine Junge wohl einmal an den Bergbauim Saarland erinnern? FOTO: OLIVER DIETZE

Prominenz mit großen Verdiensten für denBergbau: Ex-Ministerpräsidenten Oskar La-fontaine und Reinhard Klimmt. FOTO: DIETZE

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Page 7: GLÜCK AUF!

M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2 N R . 1 5 1 S E I T E E 7GLÜCK AUF!

„Kaffeeküch’ und Schlagende Wet-ter“, der Titel unserer DVD-CD-Boxanlässlich des Endes des Bergbausan der Saar nach rund 250 Jahren,beschreibt sehr gut die extremeBandbreite der Gefühlswelten, dieder Bergbau in zweieinhalb Jahr-hunderten im Saarland geprägt hat.

Zwischen der „Heimeligkeit“, derwarmen Geborgenheit der „Kaffee-küch’“, dem Treffpunkt der Berg-leute auf dem Grubengelände, indem es das Bergmannsfrühstückund ein „Schwätzje“ unter Kollegengab und dem „Schlagenden Wet-ter“, einer Feinstaubexplosion un-ter Tage, die den Albtraum eines je-den Bergmanns darstellt und der1962 im schlimmsten Grubenun-

glück Deutschlands in Luisenthal299 Menschen zum Opfer fielen,liegen viele Grautöne bewegenderFakten und Ereignisse wie etwa dergroße Bergarbeiterstreik der 90erJahre und die Auseinandersetzun-gen um die Bergbauschäden abMitte der 2000er-Jahre. Der Titelbeschreibt die beiden Extreme: Dasder Geborgenheit im Bergbau, derArbeits- und Lebensumfeld definier-te, den Lebensunterhalt absicherte,Kameradschaft und Miteinanderförderte und über die Schicht hi-naus die Saarländer in einen Watte-bausch von sozialen Netzwerkenpackte. Auf der anderen Seite diekörperlich extrem harte und oftsehr gefährliche Arbeit unter Tage,verbunden mit Hitze, Lichtentzugund langen An- und Abfahrtswegenim Stollen und von und zum Berg-werk. Hinzu kommen in neuesterZeit die enormen Schäden über Ta-ge durch den Bergbau, die die Men-schen in bestimmten Regionen des

Saarlandes in Angst und Schreckenversetzen. Der Bergbau hat dasSaarland geprägt, hat seinem so-zialen, kulturellen und gesellschaft-lichen Leben genau wie seinerLandschaft seinen Stempel aufge-drückt, der noch lange sichtbarbleiben wird.

Der Saarländische Rundfunk hatüber all die Jahre dieses ambivalen-te Verhältnis der Saarländer zu ih-rem Bergbau ausgewogen, ange-messen und fair begleitet, vermit-telt und kommentiert. Der Bergbauin all seinen Facetten und mit allseinen verschiedenen Wirkweisenauf Mensch und Natur im Saarland,auf Wirtschaft und Gesellschaft, aufPolitik und Kirche wurde seit Beste-hen des Saarländischen Rundfunksvor 55 Jahren in Hörfunk und imFernsehen und in jüngeren Jahrenauch in unseren Telemedien-Ange-boten abgebildet. Die wesentlichenund prägenden Momente des Berg-baus an der Saar mit ihren direktenund indirekten Auswirkungen aufdas Leben der Saarländerinnen undSaarländer finden Sie auf der DVD-CD-Box, die unsere Programme fürSie zusammen getragen haben. Aufden CDs finden sich erstklassigeRadiofeatures zur Geschichte desBergbaus an der Saar, zum Gruben-unglück in Luisenthal, zur Kulturdes Bergbaus und zu persönlichenErinnerungen der Menschen, für dieder Bergbau ihr Leben war und ist.Auf der DVD befinden sich zweispannende Fernsehfeatures zu 250Jahren Bergbau an der Saar sowiezur Schließung des letzten Berg-werks im Saarland.

Erinnern Sie sich mit uns an einebedeutende Zeit, verbunden mitWachstum und Niedergang, Hoff-nung und Verzweiflung, harter Ar-beit und verbindender Kamerad-schaft, zwischen „Muddaglitzje“,„Kaffeeküch’“ und SchlagendenWettern, die jetzt ihren endgültigenAbschluss findet. PR � Die DVD ist ab sofort für 14,95Euro im „SR-Shop im MusikhausKnopp“ sowie über SRshop.de er-hältlich.

Bandbreite der Gefühlswelten Die DVD-CD-Box „Kaffeeküch’ undSchlagende Wetter – 250 JahreBergbau an der Saar“ vom Saar-ländischen Rundfunk zum Endedes Bergbaus ist ab sofort erhält-lich.

Der Bergbau hat das Saarland geprägt. Foto: RAG-Archiv

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Die Glocken waren es,die den Beginn derMettenschicht zumEnde des Bergbaus an

der Saar einläuteten. Anfangswar es die Anfahrtsglocke, diehell über das Gelände der Anla-ge Duhamel hallte. Danach läu-teten in nahezu allen saarländi-schen Gemeinden die Kirchen-glocken zum Gedenken an dieseprägende Industrie-Epoche.Der Trierer Bischof StephanAckermann wies darauf hin, wieselten ein solches Ereignis istund diese Art der Glocken-Sym-phonie nur erklingt, „wenn einneuer Papst oder ein neuer Bi-

schof gewählt ist“. Das Schwin-gen einer Glocke sei zwar nur einmechanisches Geräusch, beidem Metall auf Metall schlägt.„Doch ihre Schwingungen gehenunter die Haut, wecken tiefe Ge-fühle – vor allem an einem sol-chen Tag des Abschieds“, rief derBischof den Versammelten zu.Er zollte dem Bergmanns-BerufRespekt, „weil der Arbeiter un-tertage in lebensfeindliche Räu-me eindringt“. Man sei nahe ander Gefahr und sollte sich stetsdessen bewusst sein, „dass dasLeben nicht unser Eigentum ist,sondern nur eine kostbare Leih-gabe, die uns der göttlicheSchöpfer anvertraut hat“.

Barbara Rudolph, Oberkir-chenrätin der Evangelischen

Kirche im Rheinland, beschäf-tigte sich damit, dass ausgerech-net der biblische UnglücksrabeHiob (Hiobsbotschaft) über denBergbau die Weisheit findet. Sie,die Bergmannstochter, seischon früh auf Hiob gestoßen,der schreibt, dass „tief in der Er-de der Mensch nach Eisen undKupfer gräbt“. „Bis in den letz-ten Winkel stößt er vor, austiefstem Dunkel holt er das Ge-stein.“ Die Weisheit Gottes rei-che jedoch tiefer, machte Ru-dolph deutlich. „Die tiefste Tie-fe sagt: Hier ist sie nicht!“,schreibt Hiob. Doch am Endelöst er das Rätsel auf: „Den Her-ren stets ernst zu nehmen, dasist Weisheit.“ Die Bergleute –aber auch die vom Bergbau Be-

troffenen – hätten viele Hiobs-botschaften ertragen müssen,erinnerte die Kirchenfrau.„Doch in Gottes Namen gibt eskeinen freien Fall.“

Der Auftritt der katholischenund evangelischen Würdenträ-ger hatte etwas Feierliches undtrug Züge eines Gottesdienstes.Die anschließenden Fürbittenwaren für die kommenden Ge-nerationen. Gemeinsam mit ih-ren Zuhörern beteten Acker-mann und Rudolph mit Weihbi-schof Robert Brahm und demOberkirchenrat Gottfried Mül-ler ein „Vater unser“, bevor zumSegen der Kirche am Ende feier-lich das dreistrophige „TeDeum“ („Großer Gott, wir lobendich“) erklang.

Glockengeläut und kirchlicher Segen Ökumenische Gedanken während der Mettenschicht zum Leben nach dem Bergbau

Von SZ-RedakteurLothar Warscheid

Die Kirchenvertreter Gottfried Müller, Robert Brahm, Stephan Ackermann und Barbara Rudolph (v.l.). FOTO: ROLF RUPPENTHAL

,,Das Leben ist einekostbare Leihgabe,

die uns dergöttliche Schöpfer

anvertraut hat.“Der Trierer Bischof

Stephan Ackermann in seiner Ansprache

„Doch in GottesNamen gibt es

keinen freien Fall.“ Barbara Rudolph,

Oberkirchenrätin derEvangelischen Kirche im Rheinland, zu den

Bergleuten

BERGBAU-CHRONIK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2006: Bedingt durchmächtige Sandsteinbänkeoberhalb der Flöze kommtes in der Primsmulde im-mer wieder zu Erderschüt-terungen, wenn die Bänkebrechen. Die Bevölkerungmacht ihrem Unmut im-mer stärker Luft. 2007: Ende des Jahrestritt das Steinkohlefinan-zierungsgesetz in Kraftund legt das sozialverträg-liche Ende des subventio-nierten Steinkohlenberg-baus für 2018 fest.2008: Am 23. Februarkommt es zu der bis dahinstärksten Erderschütte-rung in der PrimsmuldeSüd mit der Stärke 4,0 aufder Richterskala. Die Lan-desregierung verfügt einensofortigen Abbaustopp,weil sie Leib und Leben inGefahr sieht. Mehr als4100 Mitarbeiter des Berg-werks Saar gehen in Kurz-arbeit. Die RAG beschließt,den Abbau in der Prims-mulde aufzugeben und diekünftige Förderung auf dieproblemlosen, aber wenigergiebigen Strebe 8.6 und8.7 Ost, Flöz Wahlschied,Feld Dilsburg Ost zu kon-zentrieren. Außerdemwird beschlossen, denBergbau an der Saar Mitte2012 auslaufen zu lassen. 2010: Bis zum Ende desSaar-Bergbaus müssen1400 Mitarbeiter inner-halb des Unternehmensins Ruhrgebiet oder nachIbbenbüren wechseln. 2012: Am 30. Juni wird derBergbau im Saarland end-gültig eingestellt. red

� Hauptquelle: „Der saar-ländische Steinkohlenberg-bau: Dokumentation seinerhistorischen Bedeutungund seines kulturellen Er-bes“, Karlheinz Pohmer(Hrsg.), Krüger-Verlag.

Kaffeeküch' und Schlagende Wetter250 Jahre Bergbau an der Saar

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Page 8: GLÜCK AUF!

Erinnerun-gen sind ele-mentar, sieprägen Kulturund Verhalten,

sie sind Brücken von derVergangenheit in die Zu-kunft. Deshalb sind für eineGesellschaft Erinnerungs-orte so wichtig. Sie sind daskollektive Gedächtnis einersozialen Gruppe, sie haben ei-ne große symbolische Bedeu-tung, und sie stiften Identität.Die wahren Erinnerungsortedes Bergbaus an der Saar sind dieGruben selbst, ihre Fördertürme,Gerüste, Maschinenhallen, Mund-löcher. Aber auch eigene Denkmälersollen an vielen Orten an den saarlän-dischen Steinkohle-Bergbau erin-nern.

Das Saarland ist voller Erinne-rungsorte, in zahlreichen Gemeindenstehen steinerne oder metallischeKunstwerke, die an die wichtigste In-dustrie der saarländischen Geschichteerinnern. Das monumentalste Denk-mal ist noch nicht fertig, es wird das Po-lygon in Ensdorf sein (siehe letzte Sei-te). Besondere Erinnerungsorte sindauch der „Redener Hannes“, derBronze-Bergmann am Eingang derGrube Reden; die Bergwerksdirek-tion in Saarbrücken mit ihren sak-ral wirkenden Bleiglasfenstern;das Ensemble mit Mini-Förder-turm in Landsweiler-Reden; diestilisierte Barbara-Statue vor derGrube Luisenthal; der Bergmannmit Presslufthammer am Orts-eingang in Sulzbach; die Kohle-Lore mit Halbrad und Wappenam Ortseingang Fischbach; dieaufgehängte Kohlelore mit Stahl-elementen am Verkehrskreisel Rie-gelsberg; die Statue der HeiligenBarbara am Krankenhaus Sulzbach.Allesamt sind sie Gedächtnisspeicherfür die Menschen im Saarland – undfür kommende Generationen. bb

Der „Redener Hannes“ auf der GrubeReden gilt als „der Saar-Bergmann“, ge-schaffen von Fritz Koelle.

Grüne Idylle: Kohlelore mit Halbrad und Gemeindewappen am Ortseingang in Fischbach.

Bergbau-Ensemble in Landsweiler-Reden ander Klinkentalhalle.

Montankunst: Kohlelore mit Stahlelementenam Verkehrskreisel Riegelsberg.

Barbara-Statue an der Grube Luisenthal. FOTOS: OLIVER DIETZE

Die Heilige Barbara des Künstlers Ernst Alt vordem Knappschaftskrankenhaus in Sulzbach.

Bergmann bei der Arbeit, Denkmal am Orts-eingang von Sulzbach.

Die sakral wirkenden Bleiglasfenster im Trep-penhaus der Saarbrücker Bergwerksdirektion.

Denk mal: Orte der Erinnerung

Fördertürme,Bergehalden undAbsinkweiher – dasSaarland ist voll vonWahrzeichen desBergbaus. Und von vielen kleinen Orten der Erinnerung.

S E I T E E 8 N R . 1 5 1 M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2GLÜCK AUF!

Das Historische Kupferbergwerk inBeckingen-Düppenweiler fungiertseit 1986 als Besucherbergwerk,das einen abenteuerlichen Einblickin die harten Arbeitsbedingungen„unter Tage“ erlaubt. Dort werdenaußerdem mittels der Licht- undToninstallation „Mystallica“ die„Herzstücke“ des Bergwerks mitBeleuchtung, Musik, Geräuschenund gesprochenen Texten präsen-tiert. Nach der Einfahrt über denBarbaraschacht gelangt der Besu-cher in den „Dom“, wo der Abbauder Erze in großen Räumen und Hö-hen mit Hilfe einer Bühnenbautech-nik dargestellt wird. Im „Maschi-nenschacht“ wird über die Prob-leme, die das reichlich vorhandeneGrundwasser mit sich brachte, in-formiert. Am „Unterirdischen See“erlebt man während einer Zeitreisein die Erdgeschichte die Entstehungder Erze.

Als neue Attraktion auf dem

Über-Tage-Gelände kann die neueKupferverhüttungsanlage mit Poch-werk, Erzwäsche, Erzrösten undSchmelzhütte besichtigt werden.Die voll funktionsfähige, histori-sche Kupferhütte veranschaulichtdem Besucher die Verarbeitung desErzes nach seiner Förderung imBergwerk des 18. Jahrhunderts.

Am Samstag, 21. Juli, um 19 Uhrsteht wieder „Blech im Bruch“ aufdem Programm. Mit der Produktion

„A Highland Symphony“ wird dasGebiet des sagenumwobenen Kö-nigs Artus und den Rittern der Ta-felrunde betreten. PR� Öffnungszeiten des Bergwer-kes: Von Anfang April bis Ende Janu-ar jeden Freitag, Samstag und Sonn-tag im Monat sowie an Feiertagen(außer Weihnachten und Silvester)von 14 bis 18 Uhr, ansonsten nurnach Vereinbarung. Weitere Infos:www.beckingen.de.

Neue Attraktion in Beckingen

Hier geht es zum „Unterirdischen See“. Fotos: Gemeinde Beckingen

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Besuchen Sie das Historische Kupferbergwerk Düppenweiler. Tauchen Sie ein in die Unter-Tage-Welt des Besucherbergwerkes bei einer Führung mit der Licht- und Toninstallation ,,Mystal lica“. Über Tage locken neue Attraktionen wie die neue Kupferhütte mit Pochwerk, Schmelzhütte und Maschinenanlagen. Wandern Sie auf dem Premium-Wanderweg der Gemeinde Beckingen, dem Litermont-Sagenweg. Genießen Sie wunderbare Aussichten auf dem Panorama-Höhenweg im Naturschutzgebiet Wolferskopf mit seiner einzigartigen Flora und Fauna, vielfäl-tigen Tier- und Insektenarten sowie über 30 Orchideen- und Wildrosenarten.Der ,,SaarGarten“ Beckingen lädt zum Verweilen, Flanieren und Staunen ein. Auch Kunstfreunde kommen in diesem Skulp-turengarten auf ihre Kosten!Im ,,SaarGarten“-Skulpturenpark lädt einer der schönsten Spielplät-

ze im Saarland mit Piratenschiff, dem Leuchtturm mit seinen Riesenrutschen, großer Schaukel, Matschecke und Strandlandschaft Familien und Kinder zum Toben und Verweilen ein.

Nähere Informationen:

Tourist-Info Gemeinde Beckingen Tel. (0 68 35) 55-1 05oder www.beckingen.de

Wandern, Rad fahren, Reiten –Urlaub in bewegter Landschaft

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M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2 N R . 1 5 1 S E I T E E 9GLÜCK AUF!

Saarländische Bergleutesind flexibel. Beim Ver-such, an ihrer neuenWirkungsstätte in Ost-westfalen zumindest

ein wenig heimatliche Atmosphä-re zu schaffen, muss sich aberwohl noch einiges einspielen.

So redet die 51 000 Einwohnerzählende Stadt Ibbenbüren heutenoch über die erste „saarländi-sche Kneipenfastnacht“. Sogardie Lokalpresse erschien, als sichim „Ledigs Anna“ zwei verkleide-te Herren einfanden, die sich als„Mönch“ und „Robin Hood“ aus-gaben. Jörg Loosz, Prokurist fürBelegschaftswesen im BergwerkIbbenbüren, klärt lächelnd auf:„Fastnacht in Ibbenbüren gehtohne Verkleidung. Die trinkenein Bierchen und gut iss.“

Einfacher verläuft die Annähe-rung der Mentalitäten in der täg-lichen Arbeit im Bergwerk Anth-razit. Torsten Marquardt (45) ausÜberherrn, der seit 1. Februar2012 vor Ort ist, rät seinen saar-ländischen Kollegen, sich nichtzu verschließen, weder beruflichnoch privat. „Keinerbeißt einen. Soschlimm ist das hieroben gar nicht. Wirarbeiten da, wo an-dere Urlaub ma-chen.“ Wer will,kann viele Freizeit-möglichkeiten nut-zen. Zudem liegenHamburg, Bremen,Münster und auchdie Niederlande vorder Tür.

Selbst an Kleinig-keiten lässt sich ab-lesen, dass die RAGvieles unternimmt,um den Saarländerndie Umgewöhnung zu erleich-tern. Und von Zeit zu Zeit an ihreHeimat erinnert zu werden. Soerscheint im Bergwerk überallauf Info-Bildschirmen gleichzei-tig die Wettervorhersage für Ost-westfalen und das Saarland.

300 Saar-Bergleute haben be-reits in den vergangenen zweiJahren die Schicht in Ibbenbürenangetreten. Die heiße Phase be-ginnt jetzt mit dem endgültigenEnde des Saar-Bergbaus. Direktim Anschluss machen sich weite-re rund 200 Bergleute auf denWeg. Die Verlegung von 1000Saarländern innerhalb des ge-samten Jahres ist eine große lo-gistische Herausforderung. Zu-mal es jetzt verstärkt ganze Fami-lien trifft. Bisher wurden vorran-gig Junggesellen verlegt, um so-ziale Härten zu vermeiden.

Jörg Buhren-Ortmann, Ar-beitsdirektor im RAG BergwerkAnthrazit Ibbenbüren, und Be-triebsrat Reinhard Alkemeyeräußern viel Lob über die Leis-tungsbereitschaft und fachlicheQualität der saarländischen Kol-legen. „Die Kollegen sind bei unswillkommen. Die Saar-Bergleutesind sehr gut ausgebildet. Wirbrauchen sie“, sagt Buhren-Ort-mann. Die hohe Wertschätzunghat noch einen weiteren Grund.,,Der Bergbau ist hier noch sehrangesehen. Und mit 2400 Be-schäftigten gleichzeitig auch dergrößte Arbeitgeber in unsererRegion“, sagt der SPD-Bürger-meister von Ibbenbüren, HeinzSteingröver.

Nicht mehr so einfach wie nochvor zwei Jahren ist die Woh-nungssuche. Eckhard Ferlemannvom Immobiliencenter derKreissparkasse Ibbenbüren be-stätigt, „dass gute Zwei-Zimmer-Wohnungen schwer zu bekom-men sind. Das führen wir schonauf den Zuzug der saarländischenBergleute zurück.“ Von denen 95

Prozent die Familie nicht mit-bringen. Sie pendeln spätestensjedes zweite Wochenende, wasnicht ohne Risiken ist. Denn al-leine die vielen engen Großbau-stellen im Großraum Köln for-dern auch nach der Schichthöchste Aufmerksamkeit. Für ei-ne Strecke muss man fünf Stun-den einkalkulieren. Derzeit über-legt die RAG in Ibbenbüren, wieman noch besser Fahrgemein-schaften organisieren kann, etwadurch elektronisch vermittelteAngebote im Bergwerk. Auch fi-nanziell ist die Doppelbelastungeiner Wohnung in Ibbenbürenund der Wohnung oder des Hau-ses an der Saar nicht so einfach zuschultern.

Manche tun sich diesen Stresserst gar nicht an, sondern habenFrau und Kinder mitgenommennach Ibbenbüren. Zumal dort einNetz an Kinderbetreuungs-Ein-richtungen und alle Schultypenexistiert. „Bei der Wohnungssu-che wird versucht, alle Wünschezu berücksichtigen. Bisher hat eskeine Beschwerden gegeben“,sagt RAG-Arbeitsdirektor Buh-ren-Ortmann. Jeder konnte sichgemeinsam mit Ehefrau oder Le-

bensgefährtin dreibis vier Angeboteansehen.

Dass es bisher sogut geklappt hat, istauch auf SabineLesch-Hoffmannzurückzuführen.Die Saarländerinaus Schwalbachkümmert sich seitdrei Jahren im Ver-legeteam der RAGAnthrazit um dieWohnungswünsche.Was der Saarländersucht? „Eine kleine,schnuckelige Woh-nung mit etwas Gar-

ten, wo man Schwenken kann.“Für 300 bis 400 Euro Miete istdas machbar. Selbst Urlaubswün-sche werden möglichst erfüllt.Das Gleiche gilt für kulinarischeAnnehmlichkeiten, wenn man ei-nige sprachliche Besonderheitenverinnerlicht. „An der Saar wirdgeschwenkt, hier wird gegrillt.Wenn man beim Metzger alsoGrillware bestellt, versteht der ei-nen“, sagt Lesch-Hoffmann.

Mancher „Geheimtipp“ istauch schon bekannt. So weißSteiger Achim König (42) ausMandelbachtal zu berichten:„Man bekommt saarländischesBier. Wenn man Ur-Pils will,muss man zum Marktkauf fah-ren. Nur Lyoner muss man sichnoch mitbringen“, sagt König,der sich seit dem 1. Juni 2011 umdie Verbesserung von Arbeitsab-läufen im Bergwerk kümmert.„Man muss sich schon etwas an-passen, aber man sollte von An-fang an Fragen stellen, nicht war-ten. Man muss sich seinen Platzerkämpfen. Dann wird man auchrespektiert“, rät König seinenkünftigen Kollegen aus dem Saar-land.

Bergmann Marquardt emp-fiehlt, die Freizeit zu genießenund Sport zu treiben. So gibt esbei der RAG in Ibbenbüren einGesundheitszentrum, in demkostenlos trainiert werden kann.Mit allen Annehmlichkeiten ei-nes Fitnesscenters. Ideal, umauch hier neue Kontakte zuknüpfen. In Zusammenarbeit mitKnappschaft und Berufsgenos-senschaft werden viele Aktivitä-ten angeboten: vom Kochkursüber Rücken-Schulungen biszum Lauftraining mit NordicWalking. Auch viele Fahrrad- undWanderwege sind vorhanden.Gerne werden die Saarländerauch in den Vereinen gesehen. Esgibt einen Musikverein, ein Sin-fonieorchester, eine Bergmanns-,

und eine Blaskapelle. Gesuchtsind Freiwillige, die sich um denErhalt des Brauchtums im Berg-bau kümmern. Ein Saarländerführt schon Besuchergruppendurch das Bergbaumuseum, einanderer bereichert den „HarleyDavidson Club“. Bergmann Ste-fan Schmitt (47) aus Losheim amSee hat seine anfängliche Scheuabgelegt. Und sich gut eingear-

beitet. Die Wohnung hat er mitseiner Frau ausgesucht. Ihm ge-fällt es in Ibbenbüren. Er wirdwohl fünf bis sechs Jahre bleiben.Und dann?

An diesem Punkt wird es hei-kel. Das Heimweh kommt zurSprache, von dem in Ibbenbürendie meisten Saarländer betroffensind. „Für immer will ich hiernicht bleiben“, sagt Schmitt. Kol-

lege Marquardt ist offener. ,,Malsehen, was das Leben nochbringt. Vielleicht mal am Meer le-ben.“ Für Achim König sind sol-che Vorstellungen völlig ausge-schlossen. „Ich werde zurückge-hen ins Saarland. Jetzt, wo ichweg bin von daheim, lerne ich dieHeimat erst so richtig schätzen.Man klebt eben an seiner Scholle.Dahemm is dahemm!“

Wo derSaar-Bergbau

weiterlebtNach dem Ende von Ensdorf arbeiten viele Saarländer jetzt in Ibbenbüren

Von SZ-RedakteurThomas Sponticcia

Saar-Bergleute in Ibbenbüren. Das Bild zeigt am Nordschacht des Bergwerks Anthrazit (von links) StefanSchmitt (Losheim am See), Torsten Marquardt (Überherrn) und Achim König (Mandelbachtal). FOTO: RAG

„DieSaar-Bergleute

sind bei unswillkommen.

Wir brauchensie.“Jörg

Buhren-Ortmann,Arbeitsdirektor im

RAG-BergwerkAnthrazit Ibbenbüren

1,5 Mrd.Tonnen Kohle wurden nachAngaben der RAG seit 1751 ausder saarländischen Erde ge-holt. Das entspricht der welt-weiten Produktion von Obstund Gemüse im Jahr 2011 oderder Masse aller Tiere in denOzeanen. Die höchste Jahres-förderung wurde 1955 mit 17Millionen Tonnen erreicht.

75 000Menschen waren zu Spitzen-zeiten im Bergbau an der Saarbeschäftigt, das war 1924. Da-bei hatte alles so klein ange-fangen: 1773 lag die Zahl derMitarbeiter bei 141, im Jahr1816 waren es knapp 1000,1855 schon rund 10 000 und54 000 anno 1910. 50 Jahrespäter setzte der Niedergangein: Zwischen 1960 und 1970halbierte sich die Zahl der Be-schäftigten auf knapp 27 000.

450Kilometer sind es von Saar-brücken bis Ibbenbüren, wo2010 die ersten 175 Saar-Berg-leute ihre Arbeit aufnahmen.Bis Mitte 2013 sollen insge-samt rund 1400 Beschäftigtevon der Saar nach Nordrhein-Westfalen gewechselt sein.

299Bergleute starben 1962 bei derschlimmsten Katastrophe desSaar-Bergbaus in Luisenthal.Auch in anderen Gruben gabes viele Tote. Zum Beispiel1864 (34 Tote) und 1907 (150Tote) in Reden, 1885 in Camp-hausen (175 Tote) oder 1930 inMaybach (99 Tote).

1712,70Meter unter der Erde liegt dertiefste Punkt des Saar-Berg-baus – es ist zugleich der tiefs-te zugängliche Punkt in Euro-pa. Die Seilfahrt bis zur 24.Sohle im Nordschacht desBergwerks Saar bei Lebach-Hoxberg dauerte zuletzt rundsieben Minuten.

94Erderschütterungen gab esvon Juni 2007 bis Februar2008 im Raum Saarwellingen.Das heftigste Beben am 23.Februar 2008 erreichte eineStärke von 4,0 auf der Richter-skala und Schwinggeschwin-digkeiten von bis zu 93,5 Milli-metern pro Sekunde.

27 500Mitglieder hat der Landesver-band der Bergmanns-, Hütten-und Knappenvereine des Saar-landes, der sich besonders derPflege bergmännischer Tradi-tionen verpflichtet hat.

1372Pferde waren 1906 im Saar-Re-vier unter Tage im Einsatz.Schon 1875 sollen es 600 gewe-sen sein, 1910 über 1600. BisMitte der 1960er Jahre setzteman im deutschen Bergbau aufdie Hilfe der „Gruwepäär“.

1908setzte das Grubensterben ander Saar ein, als Geislauterngeschlossen wurde. Massivwurde es im Zuge der Welt-wirtschaftskrise: 1931 und1932 machten gleich fünf Gru-ben dicht. Zwischen 1958 und1968 wurden weitere 13 Gru-ben aufgegeben. tho

Zahlen undDaten zum

Saar-Bergbau Die Kohle hat den Landstrich,den wir heute Saarland nen-nen, geprägt wie sonst nichts.Ein paar Daten und Fakten zumBergbau an der Saar:

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S E I T E E 1 0 N R . 1 5 1 M O N T A G , 2 . J U L I 2 0 1 2GLÜCK AUF!

Wahrzeichen der Bergbau-Ära im Saarland: So soll es aussehen, dasSaar-Polygon auf der Halde Duhamel in Ensdorf. Die begehbare Skulp-tur kostet rund 1,1 Millionen Euro. ENTWURF: KATJA PFEIFFER/OLIVER SACHSE

Das große Denkmal aufder Bergehalde Ensdorf

Die Vorbereitungen zur Realisierung des großen Denkmals,das auf der Bergehalde Duhamel in Ensdorf an die techni-schen und sozialen Leistungen im saarländischen Bergbau

erinnern soll, laufen auf Hochtouren. Die Grundsteinlegung ist fürSeptember 2012 vorgesehen. Das Saar-Polygon soll im April 2013fertig sein. Nach Angaben des Vorsitzenden des FördervereinsBergbau-Erbe-Saar, Hans-Jürgen Becker, werden die Baukosten 1,1Millionen Euro betragen. Man lege dabei Wert auf Qualität undLanglebigkeit. Der Clou des einmaligen Wahrzeichens: Durch diebesondere Konstruktion sieht es aus jeder Himmelsrichtung an-ders aus.

Ursprünglich sollte das Saar-Polygon zum Ende des Bergbaus am30. Juni 2012 fertiggestellt sein. Bis vor kurzem war jedoch die Fi-nanzierung noch nicht sichergestellt. Ein Vorstands-Beschlussschreibt die komplette Finanzierung vor, bevor mit dem Bau desDenkmals begonnen wird. Dies ist jetzt der Fall.

Auch die Landesregierung habe nunmehr ihren Anteil bewilligt,sagt Becker. Die Belegschaft selbst trägt 250 000 Euro durch denVerkauf von Treppenstufen bei, die zum Denkmal führen. Dabeierhält derjenige, der eine Stufe erwirbt, ein Namensrecht. 78 Stufenkönnen noch käuflich erworben werden (bis zu 1000 Euro). AuchUnternehmen können als Sponsoren auftreten.

Die Bezeichnung Polygon stammt aus dem Griechischen und be-deutet Vieleck. Die begehbare Großskulptur der Berliner Architek-ten Katja Pfeiffer und Oliver Sachse ging als Sieger aus einem Wett-bewerb „Landmarke zum Ende des Bergbaus“ hervor, den die RAGAG zum Ende des Bergbaus ausgeschrieben hatte. ts

Zum Abschied

Von Johannes Kühn

Bergmann, du warst der Mensch, der Reichtum brachte,und ob auch als Arbeitsmann angesehen,erlebtest du, wie die Wölkchen am Himmel spielten,wie Schnee lag bei Weiden am Bach –und gleich, was sich sonst begab an Erfreulichem über der Erde – du musstest hinab in den Schacht zu Arbeitsqual, in die Gefangenschaft der Schicht an Löhnung denkend.Dein Leben war kein Lustspiel.Man bewunderte dich, man bedauerte dich, man höhnte dich.Schwarzes Gold heißt die Kohle mit gehöhtem Namen.Bergmann, dich, der es förderte, sah man jahrhundertelang in unserem Land.Das ist vorbei, es schließen alle Stollen,Knappe, begreif es! Nun such dir andere Arbeit!Was Fluch war, das war auch Segen.Ich stolpere nicht in Verneinungen.Ich stolpere nicht in Bejahungen.Ich habe wie viele sonst, gar keine Macht dir zu helfen.Bedauernd prophezei ich: Du wirst zur Erinnerung.Die haltet in Ehren, Menschen der Heimat!

� Der Lyriker Johannes Kühn (78) aus Tholey-Hasborn stammtaus einer Bergmannsfamilie. Dieses auch persönlich gefärbte Ge-dicht hat er eigens für die SZ zum Ende des Bergbaus verfasst.

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: SZ