Goethe - Stella - En Alemán

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Johann Wolfgang Goethe Stella Ein Schauspiel für Liebende Personen Stella Cäcilie, anfangs unter dem Namen Madame Sommer Fernando Lucie Verwalter Postmeisterin Annchen Karl Bediente Ein Postillion

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  • Johann Wolfgang Goethe

    StellaEin Schauspiel fr Liebende

    PersonenStellaCcilie, anfangs unter dem Namen Madame SommerFernandoLucieVerwalterPostmeisterinAnnchenKarlBedienteEin Postillion

  • 2Erster AktIm Posthause

    Man hrt einen Postillion blasen. Postmeisterin.

    Postmeisterin.Karl! Karl!

    Der Junge kommt.

    Der Junge.Was is?

    Postmeisterin.Wo hat dich der Henker wieder? Geh hinaus; der Postwagen kommt. Fhr die Passagiers herein,trag ihnen das Gepck; rhr dich! Machst du wieder ein Gesicht?Der Junge ab. Ihm nachrufend.Wart, ich will dir dein muffig Wesen vertreiben. Ein Wirtsbursche mu immer munter, immeralert sein. Hernach, wenn so ein Schurke Herr wird, so verdirbt er. Wenn ich wieder heiratenmchte, so wr's nur darum; einer Frau allein fllt's gar zu schwer, das Pack in Ordnung zuhalten!

    Madame Sommer, Lucie, in Reisekleidern. Karl.

    Lucie, einen Mantelsack tragend, zu Karl.La Er's nur, es ist nicht schwer; aber nehm Er meiner Mutter die Schachtel ab.

    Postmeisterin.Ihre Dienerin, meine Frauenzimmer! Sie kommen beizeiten. Der Wagen kommt sonst nimmer sofrh.

    Lucie.Wir haben einen gar jungen, lustigen, hbschen Schwager gehabt, mit dem ich durch die Weltfahren mchte; und unser sind nur zwei, und wenig beladen.

    Postmeisterin.Wenn Sie zu speisen belieben, so sind Sie wohl so gtig zu warten; das Essen ist noch nicht garfertig.

    Madame Sommer.Darf ich Sie nur um ein wenig Suppe bitten?

    Lucie.Ich hab keine Eil. Wollten Sie indes meine Mutter versorgen?

    Postmeisterin.Sogleich.

    Lucie.Nur recht gute Brhe!

    Postmeisterin.

  • 3So gut sie da ist.Ab.

    Madame Sommer.Da du dein Befehlen nicht lassen kannst! Du httest, dnkt mich, die Reise ber schon klugwerden knnen! Wir haben immer mehr bezahlt als verzehrt; und in unsern Umstnden !

    Lucie.Es hat uns noch nie gemangelt.

    Madame Sommer.Aber wir waren dran.

    Postillion tritt herein.

    Lucie.Nun, braver Schwager, wie steht's? Nicht wahr, dein Trinkgeld?

    Postillion.Hab' ich nicht gefahren wie Extrapost?

    Lucie.Das heit, du hast auch was extra verdient; nicht wahr? Du solltest mein Leibkutscher werden,wenn ich nur Pferde htte.

    Postillion.Auch ohne Pferde steh ich zu Diensten.

    Lucie.Da!

    Postillion.Danke, Mamsell! Sie gehn nicht weiter?

    Lucie.Wir bleiben fr diesmal hier.

    Postillion.Adies!Ab.

    Madame Sommer.Ich seh' an seinem Gesicht, da du ihm zu viel gegeben hast.

    Lucie.Sollte er mit Murren von uns gehen? Er war die ganze Zeit so freundlich. Sie sagen immer,Mama, ich sei eigensinnig; wenigstens eigenntzig bin ich nicht.

    Madame Sommer.Ich bitte dich, Lucie, verkenne nicht, was ich dir sage. Deine Offenheit ehr ich, wie deinen gutenMut und deine Freigebigkeit; aber es sind nur Tugenden, wo sie hingehren.

    Lucie.

  • 4Mama, das rtchen gefllt mir wirklich. Und das Haus da drben ist wohl der Dame, der ichknftig Gesellschaft leisten soll?

    Madame Sommer.Mich freut's, wenn der Ort deiner Bestimmung dir angenehm ist.

    Lucie.Stille mag's sein, das merk' ich schon. Ist's doch wie Sonntag auf dem groen Platze! Aber diegndige Frau hat einen schnen Garten und soll eine gute Frau sein; wir wollen sehen, wie wirzurechtkommen. Was sehen Sie sich um, Mama?

    Madame Sommer.La mich, Lucie! Glckliches Mdchen, das durch nichts erinnert wird! Ach damals war'sanders! Mir ist nichts schmerzlicher, als in ein Posthaus zu treten.

    Lucie.Wo fnden Sie auch nicht Stoff, sich zu qulen?

    Madame Sommer.Und wo nicht Ursache dazu? Meine Liebe, wie ganz anders war's damals, da dein Vater noch mitmir reiste: da wir die schnste Zeit unsers Lebens in freier Welt genossen; die ersten Jahreunserer Ehe! Damals hatte alles den Reiz der Neuheit fr mich. Und in seinem Arm vor sotausend Gegenstnden vorberzueilen; da jede Kleinigkeit mir interessant ward, durch seinenGeist, durch seine Liebe!

    Lucie.Ich mag auch wohl gerne reisen.

    Madame Sommer.Und wenn wir denn nach einem heien Tag, nach ausgestandenen Fatalitten, schlimmen Wegim Winter, wenn wir eintraten in manche noch schlechtere Herberge, wie diese ist, und denGenu der einfachsten Bequemlichkeit zusammen fhlten, auf der hlzernen Bank zusammensaen, unsern Eierkuchen und abgesottene Kartoffeln zusammen aen Damals war's anders!

    Lucie.Es ist nun einmal Zeit, ihn zu vergessen.

    Madame Sommer.Weit du, was das heit: Vergessen! Gutes Mdchen, du hast, Gott sei Dank! noch nichtsverloren, das nicht zu ersetzen gewesen wre. Seit dem Augenblick, da ich gewi ward, er habemich verlassen, ist alle Freude meines Lebens dahin. Mich ergriff eine Verzweifelung. Ichmangelte mir selbst; ein Gott mangelte mir. Ich wei mich des Zustands kaum zu erinnern.

    Lucie.Auch ich wei nichts mehr, als da ich auf Ihrem Bette sa und weinte, weil Sie weinten. Es warin der grnen Stube, auf dem kleinen Bette. Die Stube hat mir am wehsten getan, da wir dasHaus verkaufen muten.

    Madame Sommer.Du warst sieben Jahre alt, und konntest nicht fhlen, was du verlorst.

    Annchen, mit der Suppe. Die Postmeisterin. Karl.

  • 5Annchen.Hier ist die Suppe fr Madame.

    Madame Sommer.Ich danke, meine Liebe! Ist das Ihr Tchterchen?

    Postmeisterin.Meine Stieftochter, Madame! aber da sie so brav ist, ersetzt sie mir den Mangel an eigenenKindern.

    Madame Sommer.Sie sind in Trauer?

    Postmeisterin.Fr meinen Mann, den ich vor drei Monaten verlor. Wir haben nicht gar drei Jahre zusammengelebt.

    Madame Sommer.Sie scheinen doch ziemlich getrstet.

    Postmeisterin.O Madame! Unsereins hat so wenig Zeit zu weinen als leider zu beten. Das geht Sonntage undWerkeltage. Wenn der Pfarrer nicht manchmal auf den Text kommt, oder man ein Sterbeliedsingen hrt. Karl, ein paar Servietten! deck hier am Ende auf.

    Lucie.Wem ist das Haus da drben?

    Postmeisterin.Unserer Frau Baronesse. Eine allerliebste Frau.

    Madame Sommer.Mich freut's, da ich von einer Nachbarin besttigen hre, was man uns in einer weiten Fernebeteuert hat. Meine Tochter wird knftig bei ihr bleiben und ihr Gesellschaft leisten.

    Postmeisterin.Dazu wnsche ich Ihnen Glck, Mamsell.

    Lucie.Ich wnsche, da sie mir gefallen mge.

    Postmeisterin.Sie mten einen sonderbaren Geschmack haben, wenn Ihnen der Umgang mit der gndgen Fraunicht gefiele.

    Lucie.Desto besser! Denn wenn ich mich einmal nach jemanden richten soll, so mu Herz und Willedabei sein; sonst geht's nicht.

    Postmeisterin.Nun! nun! wir reden bald wieder davon, und Sie sollen sagen, ob ich wahr gesprochen habe. Werum unsre gndige Frau lebt, ist glcklich; wird meine Tochter ein wenig grer, so soll sie ihr

  • 6wenigstens einige Jahre dienen: es kommt dem Mdchen auf sein ganzes Leben zugute.

    Annchen.Wenn Sie sie nur sehn! Sie ist so lieb! so lieb! Sie glauben nicht, wie sie auf Sie wartet. Sie hatmich auch recht lieb. Wollen Sie denn nicht zu ihr gehn? Ich will Sie begleiten.

    Lucie.Ich mu mich erst zurecht machen, und will auch noch essen.

    Annchen.So darf ich doch hinber, Mamachen? Ich will der gndigen Frau sagen, da die Mamsellgekommen ist.

    Postmeisterin.Geh nur!

    Madame Sommer.Und sag ihr, Kleine, wir wollten gleich nach Tisch aufwarten.Annchen ab.

    Postmeisterin.Mein Mdchen hngt auerordentlich an ihr. Auch ist sie die beste Seele von der Welt, und ihreganze Freude ist mit Kindern. Sie lehrt sie allerlei Arbeiten machen und singen. Sie lt sich vonBauersmdchen aufwarten, bis sie ein Geschick haben, hernach sucht sie eine gute Kondition frsie; und so vertreibt sie sich die Zeit, seit ihr Gemahl weg ist. Es ist unbegreiflich, wie sie sounglcklich sein kann, und dabei so freundlich, so gut.

    Madame Sommer.Ist sie nicht Witwe?

    Postmeisterin.Das wei Gott! Ihr Herr ist vor drei Jahren weg, und hrt und sieht man nichts von ihm. Und siehat ihn geliebt ber alles. Mein Mann konnte nie fertig werden, wenn er anfing, von ihnen zuerzhlen. Und noch! Ich sag's selbst, es gibt so kein Herz auf der Welt mehr. Alle Jahre den Tag,da sie ihn zum letzten Mal sah, lt sie keine Seele zu sich, schliet sich ein, und auch sonst,wenn sie von ihm red't, geht's einem durch die Seele.

    Madame Sommer.Die Unglckliche!

    Postmeisterin.Es lt sich von der Sache viel reden.

    Madame Sommer.Wie meinen Sie?

    Postmeisterin.Man sagt's nicht gern.

    Madame Sommer.Ich bitte Sie!

    Postmeisterin.

  • 7Wenn Sie mich nicht verraten wollen, kann ich's Ihnen wohl vertrauen. Es sind nun ber die achtJahre, da sie hierher kamen. Sie kauften das Rittergut; niemand kannte sie; man hie sie dengndigen Herrn und die gndige Frau, und hielt ihn fr einen Offizier, der in fremdenKriegsdiensten reich geworden war und sich nun zur Ruhe setzen wollte. Sie war damalsblutjung, nicht lter als sechzehn Jahr, und schn wie ein Engel.

    Lucie.Da wr sie jetzt nicht ber vierundzwanzig?

    Postmeisterin.Sie hat fr ihr Alter Betrbnis genug erfahren. Sie hatte ein Kind; es starb ihr bald; im Garten istsein Grab, nur von Rasen, und seit der Herr weg ist, hat sie eine Einsiedelei dabei angelegt undihr Grab dazu bestellen lassen. Mein Mann seliger war bei Jahren und nicht leicht zu rhren; aberer erzhlte nichts lieber als von der Glckseligkeit der beiden Leute, solang sie hier zusammenlebten. Man war ein ganz anderer Mensch, sagte er, nur zuzusehn, wie sie sich liebten.

    Madame Sommer.Mein Herz bewegt sich nach ihr.

    Postmeisterin.Aber wie's geht. Man sagte, der Herr htte kuriose Principia gehabt; wenigstens kam er nicht indie Kirche; und die Leute, die keine Religion haben, haben keinen Gott und halten sich an keineOrdnung. Auf einmal hie es: Der gndige Herr ist fort. Er war verreist und kam eben nichtwieder.

    Madame Sommer vor sich.Ein Bild meines ganzen Schicksals!

    Postmeisterin.Da waren alle Muler davon voll. Eben zur Zeit, da ich als eine junge Frau hierher zog, aufMichael sind's eben drei Jahre. Und da wut jedes was anders, sogar zischelte man einander indie Ohren, sie seien niemals getraut gewesen; aber verraten Sie mich nicht. Er soll wohl einvornehmer Herr sein, soll sie entfhrt haben, und was man alles sagt. Ja, wenn ein jungesMdchen so einen Schritt tut, sie hat ihr Leben lang dran abzuben.

    Annchen kommt.

    Annchen.Die gndige Frau lt Sie sehr bitten, doch gleich hinberzukommen; sie will Sie nur einenAugenblick sprechen, nur sehen.

    Lucie.Es schickt sich nicht in diesen Kleidern.

    Postmeisterin.Gehn Sie nur, ich geb Ihnen mein Wort, da Sie darauf nicht achtet.

    Lucie.Will Sie mich begleiten, Kleine?

    Annchen.Von Herzen gern!

  • 8Madame Sommer.Lucie, ein Wort!Die Postmeisterin entfernt sich.Da du nichts verrtst! nicht unsern Stand, nicht unser Schicksal. Begegne ihr ehrerbietig.

    Lucie.Lassen Sie mich nur! Mein Vater war ein Kaufmann, ist nach Amerika, ist tot; und dadurch sindunsere Umstnde Lassen Sie mich nur; ich hab das Mrchen ja schon oft genug erzhlt.Laut.Wollten Sie nicht ein bichen ruhen? Sie haben's not. Die Frau Wirtin weist Ihnen wohl einZimmerchen mit einem Bett an.

    Postmeisterin.Ich hab eben ein hbsches, stilles Zimmerchen im Garten.Zu Lucien.Ich wnsche, da Ihnen die gndige Frau gefallen mge.Lucie mit Annchen ab.

    Madame Sommer.Meine Tochter ist noch ein bichen obenaus.

    Postmeisterin.Das tut die Jugend. Werden sich schon legen, die stolzen Wellen.

    Madame Sommer.Desto schlimmer.

    Postmeisterin.Kommen Sie, Madame, wenn's gefllig ist.

    Beide ab.Man hrt einen Postillion.

    Fernando, in Offizierstracht. Ein Bedienter.

    Bedienter.Soll ich gleich wieder einspannen und Ihre Sachen aufpacken lassen?

    Fernando.Du sollst's hereinbringen, sag ich dir; herein. Wir gehen nicht weiter, hrst du.

    Bedienter.Nicht weiter? Sie sagten ja

    Fernando.Ich sage, la dir ein Zimmer anweisen und bring meine Sachen dorthin.Bedientet ab.

    Fernando, ans Fenster tretend.So seh ich dich wieder? Himmlischer Anblick! So seh ich dich wieder? Den Schauplatz allmeiner Glckseligkeit! Wie still das ganze Haus ist! Kein Fenster offen! Die Galerie wie de,auf der wir so oft zusammen saen! Merk dir's, Fernando, das klsterliche Ansehn ihrerWohnung, wie schmeichelt es deinen Hoffnungen! Und sollte, in ihrer Einsamkeit, Fernando ihrGedanke, ihre Beschftigung sein? Und hat er's um sie verdient? O! mir ist, als wenn ich nach

  • 9einem langen, kalten, freudelosen Todesschlaf ins Leben wieder erwachte; so neu, so bedeutendist mir alles. Die Bume, der Brunnen, noch alles, alles! So lief das Wasser aus eben den Rhren,wenn ich, ach, wie tausendmal! mit ihr gedankenvoll aus unserm Fenster schaute, und jedes, insich gekehrt, still dem Rinnen des Wassers zusah! Sein Gerusch ist mir Melodie,rckerinnernde Melodie. Und sie? Sie wird sein, wie sie war. Ja, Stella, du hast dich nichtverndert; das sagt mir mein Herz. Wie's dir entgegenschlgt! Aber ich will nicht, ich darf nicht!Ich mu mich erst erholen, mu mich erst berzeugen, da ich wirklich hier bin, da mich keinTraum tuscht, der mich so oft schlafend und wachend aus den fernsten Gegenden hierhergefhrt hat. Stella! Stella! Ich komme! fhlst du nicht meine Nherung? in deinen Armen alleszu vergessen! Und wenn du um mich schwebst, teurer Schatten meines unglcklichen Weibes,vergib mir, verla mich! Du bist dahin; so la mich dich vergessen, in den Armen des Engelsalles vergessen, meine Schicksale, allen Verlust, meine Schmerzen, und meine Reue Ich bin ihrso nah und so ferne Und in einem Augenblick Ich kann nicht, ich kann nicht! Ich mu micherholen, oder ich ersticke zu ihren Fen.

    Postmeisterin kommt.

    Postmeisterin.Verlangen der gndige Herr zu speisen?

    Fernando.Sind Sie versehen?

    Postmeisterin.O ja! wir warten nur auf ein Frauenzimmer, das hinber zur gndigen Frau ist.

    Fernando.Wie geht's Ihrer gndigen Frau?

    Postmeisterin.Kennen Sie sie?

    Fernando.Vor Jahren war ich wohl manchmal da. Was macht ihr Gemahl?

    Postmeisterin.Wei Gott. Er ist in die weite Welt.

    Fernando.Fort?

    Postmeisterin.Freilich! Verlt die liebe Seele! Gott verzeih's ihm!

    Fernando.Sie wird sich schon zu trsten wissen.

    Postmeisterin.Meinen Sie doch? Da mssen Sie sie wenig kennen. Sie lebt wie eine Nonne, so eingezogen, dieZeit ich sie kenne. Fast kein Fremdes, kein Besuch aus der Nachbarschaft kommt zu ihr. Sie lebtmit ihren Leuten, hat die Kinder des Orts alle an sich und ist, ungeachtet ihres innernSchmerzens, immer freundlich, immer angenehm.

  • 10

    Fernando.Ich will sie doch besuchen.

    Postmeisterin.Das tun Sie. Manchmal lt sie uns invitieren, die Frau Amtmnnin, die Frau Pfarrerin und mich,und diskuriert mit uns von allerlei. Freilich hten wir uns, sie an den gndigen Herrn zu erinnern.Ein einzigmal geschah's. Gott wei, wie's uns wurde, da sie anfing, von ihm zu reden, ihn zupreisen, zu weinen. Gndiger Herr, wir haben alle geweint wie die Kinder, und uns fast nichterholen knnen.

    Fernando vor sich.Das hast du um sie verdient! Laut.Ist meinem Bedienten ein Zimmer angewiesen?

    Postmeisterin.Eine Treppe hoch. Karl, zeig dem gndigen Herrn das Zimmer!Fernando mit dem Jungen ab.

    Lucie, Annchen kommen.

    Postmeisterin.Nun, wie ist's?

    Lucie.Ein liebes Weibchen, mit der ich mich vertragen werde. Sie haben nicht zuviel von ihr gesagt.Sie wollt mich nicht lassen. Ich mute ihr heilig versprechen, gleich nach Tisch mit meinerMutter und dem Gepck zu kommen.

    Postmeisterin.Das dacht ich wohl! Ist's jetzt gefllig zu essen? Noch ein schner langer Offizier ist angefahren,wenn Sie den nicht frchten.

    Lucie.Nicht im geringsten. Mit Soldaten hab ich lieber zu tun als mit andern. Sie verstellen sichwenigstens nicht, da man die Guten und Bsen gleich das erste Mal kennt. Schlft meineMutter?

    Postmeisterin.Ich wei nicht.

    Lucie.Ich mu doch nach ihr sehn.Ab.

    Postmeisterin.Karl! Da ist wieder das Salzfa vergessen. Heit das geschwenkt? Sieh nur die Glser! Ich solltdir sie am Kopf entzwei schmeien, wenn du so viel wert wrst, als sie kosten!

    Fernando kommt.

    Postmeisterin.Das Frauenzimmer ist wieder da. Sie wird gleich zu Tisch kommen.

  • 11

    Fernando.Wer ist sie?

    Postmeisterin.Ich kenn sie nicht. Sie scheint von gutem Stande, aber ohne Vermgen; sie wird knftig dergndgen Frau zur Gesellschaft sein.

    Fernando.Sie ist jung?

    Postmeisterin.Sehr jung; und schnippisch. Ihre Mutter ist auch droben.

    Lucie kommt.

    Lucie.Ihre Dienerin!

    Fernando.Ich bin glcklich, eine so schne Tischgesellschaft zu finden.Lucie neigt sich.

    Postmeisterin.Hierher, Mamsell! Und Sie belieben hierher!

    Fernando.Wir haben nicht die Ehre von Ihnen, Frau Postmeisterin?

    Postmeisterin.Wenn ich einmal ruhe, ruht alles.Ab.

    Fernando.Also ein Tte--tte!

    Lucie.Den Tisch dazwischen, wie ich's wohl leiden kann.

    Fernando.Sie haben sich entschlossen, der Frau Baronesse knftig Gesellschaft zu leisten?

    Lucie.Ich mu wohl!

    Fernando.Mich dnkt, Ihnen sollt' es nicht fehlen, einen Gesellschafter zu finden, der noch unterhaltenderwre als die Frau Baronesse.

    Lucie.Mir ist nicht drum zu tun.

    Fernando.

  • 12

    Auf Ihr ehrlich Gesicht?

    Lucie.Mein Herr, Sie sind wie alle Mnner, merk ich!

    Fernando.Das heit?

    Lucie.Auf den Punkt sehr arrogant. Ihr Herren dnkt euch unentbehrlich; und ich wei nicht, ich bindoch gro geworden ohne Mnner.

    Fernando.Sie haben keinen Vater mehr?

    Lucie.Ich erinnere mich kaum, da ich einen hatte. Ich war jung, da er uns verlie, eine Reise nachAmerika zu tun, und sein Schiff ist untergegangen, hren wir.

    Fernando.Und Sie scheinen so gleichgltig dabei?

    Lucie.Wie knnt ich anders? Er hat mir wenig zuliebe getan; und ob ich's ihm gleich verzeihe, da eruns verlassen hat denn was geht dem Menschen ber seine Freiheit? , so mcht ich doch nichtmeine Mutter sein, die vor Kummer stirbt.

    Fernando.Und Sie sind so ohne Hlfe, ohne Schutz?

    Lucie.Was braucht's das? Unser Vermgen ist alle Tage kleiner worden; dafr auch ich alle Tagegrer; und mir ist's nicht bange, meine Mutter zu ernhren.

    Fernando.Mich erstaunt Ihr Mut!

    Lucie.O, mein Herr, der gibt sich. Wenn man so oft unterzugehen frchtet und sich immer wiedergerettet sieht, das gibt ein Zutrauen!

    Fernando.Davon Sie Ihrer lieben Mutter nichts mitteilen knnen?

    Lucie.Leider ist sie, die verliert, nicht ich. Ich dank's meinem Vater, da er mich auf die Welt gesetzthat, denn ich lebe gern und vergngt; aber sie die alle Hoffnung des Lebens auf ihn gesetzt,ihm den Flor ihrer Jugend aufgeopfert hatte, und nun verlassen, auf einmal verlassen Dasmu was Entsetzliches sein, sich verlassen zu fhlen! Ich habe noch nichts verloren; ich kannnichts davon reden. Sie scheinen nachdenkend!

    Fernando.Ja, meine Liebe, wer lebt, verliert;

  • 13

    aufstehendaber er gewinnt auch. Und so erhalt Ihnen Gott Ihren Mut!Er nimmt ihre Hand.Sie haben mich erstaunen machen. O, mein Kind, wie glcklich! Ich bin auch in der Welt garviel, gar oft von meinen Hoffnungen Freuden Es ist doch immer Und

    Lucie.Wie meinen Sie?

    Fernando.Alles Gute! die besten, wrmsten Wnsche fr Ihr Glck!Ab.

    Lucie.Das ist ein wunderbarer Mensch! Er scheint aber gut zu sein.

  • 14

    Zweiter AktStella. Ein Bedienter.

    Stella.Geh hinber, geschwind hinber! Sag ihr, ich erwarte sie.

    Bedienter.Sie versprach, gleich zu kommen.

    Stella.Du siehst ja, sie kommt nicht. Ich hab das Mdchen recht lieb. Geh! Und ihre Mutter soll jamitkommen!Bedienter ab.

    Stella.Ich kann sie kaum erwarten. Was das fr ein Wnschen, ein Hoffen ist, bis so ein neues Kleidankommt! Stella! du bist ein Kind. Und warum soll ich nicht lieben? Ich brauche viel, viel, umdies Herz auszufllen! Viel? Arme Stella? Viel? Sonst, da er dich noch liebte, noch indeinem Schoe lag, fllte sein Blick deine ganze Seele; und o Gott im Himmel! dein Ratschluist unerforschlich. Wenn ich von seinen Kssen meine Augen zu dir hinauf wendete, mein Herzan dem seinen glhte, und ich mit bebenden Lippen seine groe Seele in mich trank, und ichdann mit Wonnetrnen zu dir hinaufsah, und aus vollem Herzen zu dir sprach: La uns glcklich,Vater! du hast uns so glcklich gemacht! Es war dein Wille nicht Sie fllt einen Augenblick in Nachdenken, fahrt dann schnell auf und drckt ihre Hnde ansHerz.Nein, Fernando, nein, das war kein Vorwurf!

    Madame Sommer, Lucie kommen.

    Stella.Ich habe sie! Liebes Mdchen, du bist nun die Meine. Madame, ich danke Ihnen fr dasZutrauen, mit dem Sie mir den Schatz in die Hnde liefern. Das kleine Trotzkpfchen, die gutefreie Seele. O, ich hab dir's schon abgelernt, Lucie.

    Madame Sommer.Sie fhlen, was ich Ihnen bringe und lasse.

    Stella nach einer Pause, in der sie Madame Sommer angesehen hat.Verzeihen Sie! Man hat mir Ihre Geschichte berichtet, ich wei, da ich Personen von guterFamilie vor mir habe; aber Ihre Gegenwart berrascht mich. Ich fhle im ersten AnblickVertrauen und Ehrfurcht gegen Sie.

    Madame Sommer.Gndige Frau

    Stella.Nichts davon. Was mein Herz gesteht, bekennt mein Mund gern. Ich hre, Sie sind nicht wohl;wie ist's Ihnen? Setzen Sie sich!

    Madame Sommer.Doch, gndige Frau! Diese Reise in den Frhlingstagen, die abwechselnden Gegenstnde unddiese reine, segensvolle Luft, die sich schon so oft fr mich mit neuer Erquickung gefllt hat, das

  • 15

    wirkte alles auf mich so gut, so freundlich, da selbst die Erinnerung abgeschiedener Freudenmir ein angenehmes Gefhl wurde, ich einen Widerschein der goldenen Zeiten der Jugend undLiebe in meiner Seele aufdmmern sah.

    Stella.Ja die Tage! die ersten Tage der Liebe! Nein, du bist nicht zum Himmel zurckgekehrt, goldneZeit! du umgibst noch jedes Herz in den Momenten, da sich die Blte der Liebe erschliet.

    Madame Sommer, ihre Hnde fassend.Wie gro! Wie lieb!

    Stella.Ihr Angesicht glnzt wie das Angesicht eines Engels, Ihre Wangen frben sich!

    Madame Sommer.Ach und mein Herz! Wie geht es auf! wie schwillt's vor Ihnen!

    Stella.Sie haben geliebt! O Gott sei Dank! Ein Geschpf, das mich versteht! das Mitleiden mit mirhaben kann! das nicht kalt zu meinen Schmerzen dreinblickt! Wir knnen ja doch einmalnichts dafr, da wir so sind! Was hab ich nicht alles getan! Was nicht alles versucht! Ja, washalf's? Es wollte das just das und keine Welt, und sonst nichts in der Welt Ach! derGeliebte ist berall, und alles ist fr den Geliebten.

    Madame Sommer.Sie tragen den Himmel im Herzen.

    Stella.Eh ich mich's verseh, wieder sein Bild! So richtete er sich auf, in der und jener Gesellschaft,und sah sich nach mir um So kam er dort bers Feld her gesprengt, und warf sich an derGartentr in meinen Arm. Dahinaus sah ich ihn fahren, dahinaus ach, und er warwiedergekommen war seiner Wartenden wiedergekommen Kehr ich mit meinen Gedankenin das Gerusch der Welt er ist da! Wenn ich so in der Loge sa und gewi war, wo er auchsteckte, ich mochte ihn sehen oder nicht, da er jede meiner Bewegungen bemerkte und liebte,mein Aufstehen, mein Niedersitzen! Ich fhlte, da das Schtteln meines Federbusches ihn mehranzog als all die blinkenden Augen ringsum, da alle Musik nur Melodie zu dem ewigen Liedeseines Herzens war: Stella! Stella! Wie lieb du mir bist!"

    Lucie.Kann man denn einander so lieb haben?

    Stella.Du fragst, Kleine? Da kann ich dir nicht antworten Aber mit was unterhalt ich euch! Kleinigkeiten! wichtige Kleinigkeiten Wahrlich, man ist doch ein groes Kind, und es isteinem so wohl dabei Eben wie die Kinder sich hinter ihr Schrzchen verstecken und rufenPiep! da man sie suchen soll! Wie ganz fllt das unser Herz, wenn wir, beleidigt, denGegenstand unsrer Liebe zu verlassen bei uns sehr eifrig festsetzen; mit welchen Verzerrungenvon Seelenstrke treten wir wieder in seine Gegenwart! wie bt sich das in unserm Busen aufund ab! und wie platzt es zuletzt wieder, auf Einen Blick, Einen Hndedruck, zusammen.

    Madame Sommer.Wie glcklich! Sie leben doch noch ganz in dem Gefhl der jngsten, reinsten Menschheit.

  • 16

    Stella.Ein Jahrtausend von Trnen und Schmerzen vermchten die Seligkeit nicht aufzuwiegen derersten Blicke, des Zitterns, Stammelns, des Nahens, Weichens des Vergessens sein selbst denersten flchtigen, feurigen Ku, und die erste, ruhigatmende Umarmung Madame! Sieversinken, meine Teure! Wo sind Sie?

    Madame Sommer.Mnner! Mnner!

    Stella.Sie machen uns glcklich und elend! Mit welchen Ahndungen von Seligkeit erfllen sie unserHerz! Welche neue, unbekannte Gefhle und Hoffnungen schwellen unsere Seele, wenn ihrestrmende Leidenschaft sich jeder unserer Nerven mitteilt. Wie oft hat alles an mir gezittert undgeklungen, wenn er in unbndigen Trnen die Leiden einer Welt an meinem Busen hinstrmte!Ich bat ihn um Gottes willen, sich zu schonen! mich! Vergebens Bis ins innerste Markfachte er mir die Flammen, die ihn durchwhlten. Und so ward das Mdchen vom Kopf bis zuden Sohlen ganz Herz, ganz Gefhl. Und wo ist denn nun der Himmelsstrich fr dies Geschpf,um drin zu atmen, um Nahrung drunter zu finden?

    Madame Sommer.Wir glauben den Mnnern! In den Augenblicken der Leidenschaft betrgen sie sich selbst warum sollten wir nicht betrogen werden?

    Stella.Madame! Da fhrt mir ein Gedanke durch den Kopf Wir wollen einander das sein, was sie unshtten werden sollen! Wir wollen zusammen bleiben! Ihre Hand! Von diesem Augenblick anla ich Sie nicht!

    Lucie.Das wird nicht angehn!

    Stella.Warum, Lucie?

    Madame Sommer.Meine Tochter fhlt

    Stella.Doch keine Wohltat in diesem Vorschlag! Fhlen Sie, welche Wohltat Sie mir tun, wenn Siebleiben! O ich darf nicht allein sein! Liebe, ich hab alles getan, ich hab mir Federvieh und Rehund Hunde angeschafft; ich lehre kleine Mdchen stricken und knpfen, nur um nicht allein zusein, nur um was auer mir zu sehen, das lebt und zunimmt. Und dann doch, wenn mir's glckt,wenn eine gute Gottheit mir an einem heitern Frhlingsmorgen den Schmerz von der Seeleweggehoben zu haben scheint; wenn ich ruhig erwache, und die liebe Sonne auf meinenblhenden Bumen leuchtet, und ich mich ttig, munter fhle zu den Geschften des Tages: dannist mir's wohl, dann treib ich eine Zeitlang herum, verrichte und ordne, und fhre meine Leutean, und in der Freiheit meines Herzens dank ich laut auf zum Himmel fr die glcklichenStunden.

    Madame Sommer.Ach ja, gndige Frau, ich fhl's! Geschftigkeit und Wohlttigkeit sind eine Gabe des Himmels,ein Ersatz fr unglcklichliebende Herzen.

  • 17

    Stella.Ersatz? Entschdigung wohl, nicht Ersatz Etwas anstatt des Verlornen, nicht das Verlorneselbst mehr Verlorne Liebe! wo ist da Ersatz fr? O wenn ich manchmal von Gedanken inGedanken sinke, freundliche Trume der Vergangenheit vor meine Seele bringe, hoffnungsvolleZukunft ahnde, und so in des Mondes Dmmerung meinen Garten auf und ab walle, dann mich'sauf einmal ergreift! ergreift, da ich allein bin, vergebens nach allen vier Winden meine Armeausstrecke, den Zauber der Liebe vergebens mit einem Drang, einer Flle ausspreche, da ichmeine, ich mte den Mond herunterziehen und ich allein bin, keine Stimme mir aus demGebsch antwortet, und die Sterne kalt und freundlich ber meine Qual herabblinken! Und dann,auf einmal das Grab meines Kindes zu meinen Fen.

    Madame Sommer.Sie hatten ein Kind?

    Stella.Ja, meine Beste! O Gott, du hattest mir diese Seligkeit auch nur zu kosten gegeben, um mir einenbittern Kelch auf mein ganzes Leben zu bereiten. Wenn so ein Bauerkind auf demSpaziergange barfu mir entgegenluft, und mit den groen unschuldigen Augen mir eineKuhand reicht, es durchdringt mir Mark und Gebeine! So gro, denk ich, wr meine Mina! Ichheb es ngstlich liebend in die Hhe, k es hundertmal; mein Herz ist zerrissen, die Trnenstrzen aus meinen Augen, und ich fliehe!

    Lucie.Sie haben doch auch viel Beschwerlichkeit weniger.

    Stella lchelt und klopft ihr die Achseln.Wie ich nur noch empfinden kann! wie die schrecklichen Augenblicke mich nicht gettet haben! Es lag vor mir! abgepflckt die Knospe! und ich stand versteinert im innersten Busen ohneSchmerz ohne Bewutsein ich stand! Da nahm die Wrterin das Kind auf, drckte es anihr Herz, und rief auf einmal: Es lebt! Ich fiel auf sie, ihr um den Hals, mit tausend Trnen aufdas Kind ihr zu Fen Ach, und sie hatte sich betrogen! Tot lag es da, und ich neben ihm inwtender, grlicher Verzweiflung.Sie wirft sich in einen Sessel.

    Madame Sommer.Wenden Sie Ihre Gedanken von den traurigen Szenen.

    Stella.Nein! Wohl, sehr wohl ist mir's, da mein Herz sich wieder ffnen, da ich das alleslosschwtzen kann, was mich so drngt! Ja, wenn ich euch einmal anfange, von ihm zuerzhlen, der mir alles war! der Ihr sollt sein Portrt sehn! sein Portrt O, mich dnktimmer, die Gestalt des Menschen ist der beste Text zu allem, was sich ber ihn empfinden undsagen lt.

    Lucie.Ich bin neugierig.

    Stella erffnet ihr Kabinett und fhrt sie hinein.Hier, meine Lieben, hier!

    Madame Sommer.Gott!

  • 18

    Stella.So! So! Und doch nicht den tausendsten Teil, wie er war. Diese Stirn, diese schwarze Augen,diese braune Locken, dieser Ernst Aber ach, er hat nicht ausdrcken knnen die Liebe, dieFreundlichkeit, wenn seine Seele sich ergo! O mein Herz, das fhlst du allein!

    Lucie.Madame, ich erstaune!

    Stella.Es ist ein Mann!

    Lucie.Ich mu Ihnen sagen, heut a ich drben mit einem Offizier im Posthause, der diesem Herrngleicht O er ist es selbst! ich will mein Leben wetten.

    Stella.Heute? Du betrgst dich! Du betrgst mich!

    Lucie.Heute! Nur war jener lter, brauner verbrannt von der Sonne. Er ist's! Er ist's!

    Stella zieht die Schelle.Lucie, mein Herz zerspringt! Ich will hinber!

    Lucie.Es wird sich nicht schicken.

    Stella.Schicken? O mein Herz!

    Bedienter kommt.

    Stella.Wilhelm, hinber ins Posthaus! hinber! Ein Offizier ist drben, der soll der ist Lucie, sag'sihm Er soll herberkommen.

    Lucie.Kannte Er den gndigen Herrn?

    Bedienter.Wie mich selbst.

    Lucie.So geh Er ins Posthaus; es ist ein Offizier drben, der ihm auerordentlich gleicht. Seh Er, ob ichmich betrge. Ich schwre, er ist's.

    Stella.Sag ihm, er soll kommen, kommen! geschwind! geschwind! Wr das berstanden! Htt ichihn in diesen, in Du betrgst dich! Es ist unmglich. Lat mich, ihr Lieben, lat mich allein!Sie schliet das Kabinett hinter sich.

  • 19

    Lucie.Was fehlt Ihnen, meine Mutter? Wie bla!

    Madame Sommer.Das ist der letzte Tag meines Lebens! Das trgt mein Herz nicht! Alles, alles auf einmal.

    Lucie.Groer Gott!

    Madame Sommer.Der Gemahl Das Bild Der Erwartete Geliebte! Das ist mein Gemahl! Es ist deinVater!

    Lucie.Mutter! beste Mutter!

    Madame Sommer.Und der ist hier! wird in ihre Arme sinken, in wenig Minuten! Und wir? Lucie, wir mssenfort!

    Lucie.Wohin Sie wollen.

    Madame Sommer.Gleich!

    Lucie.Kommen Sie in den Garten. Ich will ins Posthaus. Wenn nur der Wagen noch nicht fort ist, soknnen wir ohne Abschied in der Stille inzwischen sie, berauscht von Glck

    Madame Sommer.In aller Wonne des Wiedersehens ihn umfassend Ihn! Und ich in dem Augenblick, da ich ihnwieder finde auf ewig! auf ewig!

    Fernando, Bedienter kommen.

    Bedienter.Hierher! Kennen Sie ihr Kabinett nicht mehr? Sie ist auer sich! Ach! da Sie wieder da sind!

    Fernando vorbei, ber sie hinsehend.

    Madame Sommer.Er ist's! Er ist's! Ich bin verloren!

  • 20

    Dritter AktStella in aller Freude hineintretend mit Fernando.

    Stella zu den Wnden.Er ist wieder da! Seht ihr ihn? Er ist wieder da!Vor das Gemlde einer Venus tretend.Siehst du ihn, Gttin? Er ist wieder da! Wie oft bin ich Trin auf und ab gelaufen, hier, und habegeweint, geklagt vor dir. Er ist wieder da! Ich traue meinen Sinnen nicht. Gttin! ich habe dichso oft gesehen, und er war nicht da Nun bist du da, und er ist da! Lieber! Lieber! Du warstlange weg! Aber du bist da!Ihm um den Hals fallend.Du bist da! Ich will nichts fhlen, nichts hren, nichts wissen, als da du da bist!

    Fernando.Stella! meine Stella!An ihrem Halse.Gott im Himmel, du gibst mir meine Trnen wieder!

    Stella.O du Einziger!

    Fernando.Stella! la mich wieder deinen lieben Atem trinken, deinen Atem, gegen den mir alleHimmelsluft leer, unerquicklich war!

    Stella.Lieber!

    Fernando.Hauche in diesen ausgetrockneten, verstrmten, zerstrten Busen wieder neue Liebe, neueLebenswonne, aus der Flle deines Herzens!Er hngt an ihrem Munde.

    Stella.Bester!

    Fernando.Erquickung! Erquickung! Hier, wo du atmest, schwebt alles in genglichem, jungem Leben.Lieb und bleibende Treue wrden hier den ausgedorrten Vagabunden fesseln.

    Stella.Schwrmer!

    Fernando.Du fhlst nicht, was Himmelstau dem Drstenden ist, der aus der den, sandigen Welt an deinenBusen zurckkehrt.

    Stella.Und die Wonne des Armen? Fernando! sein verirrtes, verlornes, einziges Schfchen wieder ansein Herz zu drcken?

    Fernando zu ihren Fen.

  • 21

    Meine Stella!

    Stella.Auf, Bester! Steh auf! Ich kann dich nicht knieen sehen.

    Fernando.La das! Lieg ich doch immer vor dir auf den Knieen; beugt sich doch immer mein Herz vor dir,unendliche Liebe und Gte!

    Stella.Ich habe dich wieder! Ich kenne mich nicht, ich verstehe mich nicht! Im Grunde, was tut's?

    Fernando.Mir ist's wieder wie in den ersten Augenblicken unsrer Freuden. Ich hab dich in meinen Armen,ich sauge die Gewiheit deiner Liebe auf deinen Lippen, und taumle, und frage mich staunend,ob ich wache oder trume.

    Stella.Nun, Fernando, wie ich spre, gescheiter bist du nicht geworden.

    Fernando.Da sei Gott fr! Aber diese Augenblicke von Wonne in deinen Armen machen mich wiedergut, wieder fromm. Ich kann beten, Stella; denn ich bin glcklich.

    Stella.Gott verzeih dir's, da du so ein Bsewicht, und so gut bist Gott verzeih dir's, der dich sogemacht hat so flatterhaft und so treu! Wenn ich den Ton deiner Stimme hre, so mein ichdoch gleich wieder, das wre Fernando, der nichts in der Welt liebte als mich!

    Fernando.Und ich, wenn ich in dein blaues, ses Aug dringe, und drin mich mit Forschen verliere, somein ich, die ganze Zeit meines Wegseins htte kein ander Bild drin gewohnet als das meine.

    Stella.Du irrst nicht.

    Fernando.Nicht?

    Stella.Ich wrde dir's bekennen! Gestand ich dir nicht in den ersten Tagen meiner vollen Liebe zu diralle kleine Leidenschaften, die je mein Herz gerhrt hatten? Und ward ich dir darum nichtlieber?

    Fernando.Du Engel!

    Stella.Was siehst du mich so an? Nicht wahr, ich bin lter worden? Nicht wahr, das Elend hat die Bltevon meinen Wangen gestreift?

    Fernando.Rose! meine se Blume! Stella! Was schttelst du den Kopf?

  • 22

    Stella. Da man euch so lieb haben kann! Da man euch den Kummer nicht anrechnet, den ihr unsverursachet!

    Fernando, ihre Locken streichelnd.Ob du wohl graue Haare davon gekriegt hast? Es ist dein Glck, da sie so blond ohne das sind Zwar ausgefallen scheinen dir keine zu sein.Er zieht ihr den Kamm aus den Haaren, und sie rollen tief herunter.

    Stella.Mutwille!

    Fernando, seine Arme drein wickelnd.Rinaldo wieder in den alten Ketten!

    Bedienter kommt.

    Bedienter.Gndige Frau!

    Stella.Was hast du? Du machst ein verdrielich, ein kaltes Gesicht; du weit, die Gesichter sind meinTod, wenn ich vergngt bin.

    Bedienter.Und doch, gndige Frau Die zwei Fremden wollen fort.

    Stella.Fort? Ach!

    Bedienter.Wie ich sage. Ich sah die Tochter ins Posthaus gehn, wiederkommen, zur Mutter reden. Daerkundigt ich mich drben: es hie, sie htten Extrapost bestellt, weil der Postwagen hinunterschon fort ist. Ich redete mit ihnen; sie bat mich, die Mutter, in Trnen, ich sollte ihnen ihreKleider heimlich hinberschaffen, und der gndigen Frau tausend Segen wnschen; sie knntennicht bleiben.

    Fernando.Es ist die Frau, die heute mit ihrer Tochter angekommen ist?

    Stella.Ich wollte die Tochter in meine Dienste nehmen und die Mutter dazu behalten. O da sie mirjetzt diese Verwirrung machen, Fernando!

    Fernando.Was mag ihnen sein?

    Stella.Gott wei! Ich kann, ich mag nichts wissen. Verlieren mcht ich sie nicht gern Hab ich dochdich, Fernando! Ich wrde zugrunde gehn in diesen Augenblicken! Rede mit ihnen, Fernando. Eben jetzt! jetzt! Mache, da die Mutter herber kommt, Heinrich!Der Bediente geht ab.

  • 23

    Sprich mit ihr: sie soll Freiheit haben. Fernando, ich will ins Boskett! Komm nach! Kommnach! Ihr Nachtigallen, ihr empfangt ihn noch!

    Fernando.Liebste Liebe!

    Stella, an ihm hangend.Und du kommst doch bald?

    Fernando.Gleich! Gleich!Stella ab.

    Fernando allein.Engel des Himmels! Wie vor ihrer Gegenwart alles heiter wird, alles frei! Fernando, kennst dudich noch selbst? Alles, was diesen Busen bedrngt, es ist weg; jede Sorge, jedes ngstlicheZurckerinnern, was war und was sein wird! Kommt ihr schon wieder? und doch, wenn ichdich ansehe, deine Hand halte, Stella! flieht alles, verlischt jedes andre Bild in meiner Seele!

    Der Verwalter kommt.

    Verwalter, ihm die Hnde kssend.Sie sind wieder da?

    Fernando, die Hand wegziehend.Ich bin's.

    Verwalter.Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! O gndiger Herr!

    Fernando.Bist du glcklich?

    Verwalter.Meine Frau lebt, ich habe zwei Kinder Und Sie kommen wieder!

    Fernando.Wie habt ihr gewirtschaftet?

    Verwalter.Da ich gleich bereit bin, Rechenschaft abzulegen Sie sollen erstaunen, wie wir das Gutverbessert haben. Darf ich denn fragen, wie es Ihnen ergangen ist?

    Fernando.Stille! Soll ich dir alles sagen? Du verdienst's, alter Mitschuldiger meiner Torheiten.

    Verwalter.Gott sei nur Dank, da Sie nicht Zigeunerhauptmann waren; ich htte auf ein Wort von Ihnengesengt und gebrennt.

    Fernando.Du sollst's hren!

  • 24

    Verwalter.Ihre Gemahlin? Ihre Tochter?

    Fernando.Ich habe sie nicht gefunden. Ich traute mich selbst nicht in die Stadt; allein aus sichernNachrichten wei ich, da sie sich einem Kaufmann, einem falschen Freunde vertraut hat, der ihrdie Kapitalien, die ich ihr zurcklie, unter dem Versprechen grerer Prozente ablockte und siedarum betrog. Unter dem Vorwande, sich aufs Land zu begeben, hat sie sich aus der Gegendentfernt und verloren, und bringt wahrscheinlicher Weise durch eigene und ihrer TochterHandarbeit ein kmmerliches Leben durch. Du weit, sie hatte Mut und Charakter genug, soetwas zu unternehmen.

    Verwalter.Und Sie sind nun wieder hier! Verzeihn wir's Ihnen, da Sie solange ausgeblieben.

    Fernando.Ich bin weit herumgekommen.

    Verwalter.Wre mir's nicht zu Hause mit meiner Frau und zwei Kindern so wohl, beneidete ich Sie um denWeg, den Sie wieder durch die Welt versucht haben. Werden Sie uns nun bleiben?

    Fernando.Will's Gott!

    Verwalter.Es ist doch am Ende nichts anders und nichts Bessers.

    Fernando.Ja wer die alten Zeiten vergessen knnte!

    Verwalter.Die uns bei mancher Freude manche Not brachten. Ich erinnere mich noch an alles genau: wiewir Ccilien so liebenswrdig fanden, uns ihr aufdrangen, unsere jugendliche Freiheit nichtgeschwind genug loswerden konnten.

    Fernando.Es war doch eine schne, glckliche Zeit!

    Verwalter.Wie sie uns ein munteres, lebhaftes Tchterchen brachte, aber zugleich von ihrer Munterkeit,von ihrem Reiz manches verlor.

    Fernando.Verschone mich mit dieser Lebensgeschichte.

    Verwalter.Wie wir hie und da, und da und dort uns umsahn, wie wir endlich diesen Engel trafen, wie nichtmehr von Kommen und Gehen die Rede war, sondern wir uns entschlieen muten, entweder dieeine oder die andere unglcklich zu machen; wie wir es endlich so bequem fanden, da sich ebeneine Gelegenheit zeigte, die Gter zu verkaufen, wie wir mit manchem Verlust unsdavonmachten, den Engel raubten, und das schne, mit sich selbst und der Welt unbekannteKind hierher verbannten.

  • 25

    Fernando.Wie es scheint, bist du noch immer so lehrreich und geschwtzig wie vor alters.

    Verwalter.Hatte ich nicht Gelegenheit, was zu lernen? War ich nicht der Vertraute Ihres Gewissens? AlsSie auch von hier, ich wei nicht, ob so ganz aus reinem Verlangen, Ihre Gemahlin und IhreTochter wiederzufinden, oder auch mit aus einer heimlichen Unruhe, sich wieder wegsehnten,und wie ich Ihnen von mehr als einer Seite behlflich sein mute

    Fernando.Soweit fr diesmal.

    Verwalter.Bleiben Sie nur, dann ist alles gut.Ab.

    Bedienter kommt.

    Bedienter.Madame Sommer!

    Fernando.Bring sie herein.Bedienter ab.

    Fernando alleinDies Weib macht mich schwermtig. Da nichts ganz, nichts rein in der Welt ist! Diese Frau! Ihrer Tochter Mut hat mich zerstrt; was wird ihr Schmerz tun?

    Madame Sommer tritt auf.

    Fernando vor sich.O Gott! und auch ihre Gestalt mu mich an mein Vergehen erinnern! Herz! Unser Herz! o,wenn's in dir liegt, so zu fhlen und so zu handeln, warum hast du nicht auch Kraft, dir dasGeschehene zu verzeihen? Ein Schatten der Gestalt meiner Frau! O wo seh ich den nicht!Laut.Madame!

    Madame Sommer.Was befehlen Sie, mein Herr?

    Fernando.Ich wnschte, da Sie meiner Stella Gesellschaft leisten wollten und mir. Setzen Sie sich!

    Madame Sommer.Die Gegenwart des Elenden ist dem Glcklichen zur Last, und ach! der Glckliche dem Elendennoch mehr.

    Fernando.Ich begreife Sie nicht. Knnen Sie Stella verkannt haben? sie, die ganz Liebe, ganz Gottheit ist?

    Madame Sommer.

  • 26

    Mein Herr! ich wnschte, heimlich zu reisen! Lassen Sie mich Ich mu fort. Glauben Sie, daich Grnde habe! Aber ich bitte, lassen Sie mich!

    Fernando vor sich.Welche Stimme! Welche Gestalt!Laut.Madame!Er wendet sich ab. Gott, es ist meine Frau! Laut.Verzeihen Sie!Eilend ab.

    Madame Sommer allein.Er erkennt mich! Ich danke dir, Gott, da du in diesen Augenblicken meinem Herzen so, vielStrke gegeben hast! Bin ich's? die Zerschlagene! die Zerrissene! die in der bedeutendenStunde so ruhig, so mutig ist? Guter, ewiger Vorsorger, du nimmst unserm Herzen doch nichts,was du ihm nicht aufbewahrtest, bis zur Stunde, wo es dessen am meisten bedarf.

    Fernando kommt zurck.

    Fernando vor sich.Sollte sie mich kennen? Laut.Ich bitte Sie, Madame, ich beschwre Sie, erffnen Sie mir Ihr Herz!

    Madame Sommer.Ich mte Ihnen mein Schicksal erzhlen; und wie sollten Sie zu Klagen und Trauer gestimmtsein, an einem Tage, da Ihnen alle Freuden des Lebens wiedergegeben sind, da Sie alle Freudendes Lebens der wrdigsten weiblichen Seele wiedergegeben haben! Nein, mein Herr! entlassenSie mich!

    Fernando.Ich bitte Sie!

    Madame Sommer.Wie gern erspart ich's Ihnen und mir! Die Erinnerung der ersten, glcklichen Tage meinesLebens macht mir tdliche Schmerzen.

    Fernando.Sie sind nicht immer unglcklich gewesen?

    Madame Sommer.Sonst wrd ich's jetzt in dem Grade nicht sein.Nach einer Pause, mit erleichterter Brust.Die Tage meiner Jugend waren leicht und froh. Ich wei nicht, was die Mnner an mich fesselte;eine groe Anzahl wnschte mir gefllig zu sein. Fr wenige fhlte ich Freundschaft, Neigung;doch keiner war, mit dem ich geglaubt htte mein Leben zubringen zu knnen. Und so vergingendie glcklichen Tage der rosenfarbenen Zerstreuungen, wo so ein Tag dem andern freundlich dieHand bietet. Und doch fehlte mir etwas. Wenn ich tiefer ins Leben sah, und Freud und Leidahndete, die des Menschen warten, da wnscht ich mir einen Gatten, dessen Hand mich durchdie Welt begleitete, der fr die Liebe, die ihm mein jugendliches Herz weihen konnte, im Altermein Freund, mein Beschtzer mir statt meiner Eltern geworden wre, die ich um seinetwillen

  • 27

    verlie.

    Fernando.Und nun?

    Madame Sommer.Ach ich sah den Mann! Ich sah ihn, auf den ich in den ersten Tagen unsrer Bekanntschaft allmeine Hoffnungen niederlegte! Die Lebhaftigkeit seines Geistes schien mit solch einer Treue desHerzens verbunden zu sein, da sich ihm das meinige gar bald ffnete, da ich ihm meineFreundschaft und ach, wie schnell darauf, meine Liebe gab. Gott im Himmel, wenn sein Hauptan meinem Busen ruhte, wie schien er dir fr die Sttte zu danken, die du ihm in meinen Armenbereitet hattest! Wie floh er aus dem Wirbel der Geschfte und Zerstreuungen wieder zu mir, undwie untersttzt ich mich in trben Stunden an seiner Brust!

    Fernando.Was konnte diese liebe Verbindung stren?

    Madame Sommer.Nichts ist bleibend Ach, er liebte mich! liebte mich so gewi als ich ihn. Es war eine Zeit, da ernichts kannte, nichts wute, als mich glcklich zu sehen, mich glcklich zu machen. Es war, ach!die leichteste Zeit des Lebens, die ersten Jahre einer Verbindung, wo manchmal mehr einbichen Unmut, ein bichen Langeweile uns peinigen, als da es wirklich bel wren. Ach, erbegleitete mich den leidlichen Weg, um mich in einer den, frchterlichen Wste allein zulassen.

    Fernando, immer verwirrter.Und wie? Seine Gesinnungen, sein Herz?

    Madame Sommer.Knnen wir wissen, was in dem Busen der Mnner schlgt? Ich merkte nicht, da ihm nachund nach das alles ward wie soll ich's nennen? nicht gleichgltiger! das darf ich mir nichtsagen. Er liebte mich immer, immer! Aber er brauchte mehr als meine Liebe. Ich hatte mit seinenWnschen zu teilen, vielleicht mit einer Nebenbuhlerin; ich verbarg ihm meine Vorwrfe nicht,und zuletzt

    Fernando.Er konnte ?

    Madame Sommer.Er verlie mich. Das Gefhl meines Elends hat keinen Namen! All meine Hoffnungen in demAugenblick zugrunde! in dem Augenblick, da ich die Frchte der aufgeopferten Blteeinzuernten gedachte verlassen! verlassen! Alle Sttzen des menschlichen Herzens: Liebe,Zutrauen, Ehre, Stand, tglich wachsendes Vermgen, Aussicht ber eine zahlreiche,wohlversorgte Nachkommenschaft, alles strzte vor mir zusammen, und ich und dasberbliebene unglckliche Pfand unsrer Liebe Ein toter Kummer folgte auf die wtendenSchmerzen, und das ausgeweinte, durchverzweifelte Herz sank in Ermattung hin. DieUnglcksflle, die das Vermgen einer armen Verlassenen ergriffen, achtete ich nicht, fhlte ichnicht, bis ich zuletzt

    Fernando.Der Schuldige!

    Madame Sommer mit zurckgehaltener Wehmut.

  • 28

    Er ist's nicht! Ich bedaure den Mann, der sich an ein Mdchen hngt.

    Fernando.Madame!

    Madame Sommer, gelinde spottend, ihre Rhrung zu verbergen.Nein, gewi! Ich seh ihn als einen Gefangenen an. Sie sagen ja auch immer, es sei so. Er wirdaus seiner Welt in die unsere herbergezogen, mit der er im Grunde nichts gemein hat. Er betrgtsich eine Zeitlang, und weh uns, wenn ihm die Augen aufgehn! Ich nun gar konnte ihm zuletztnichts sein als eine redliche Hausfrau, die zwar mit dem festesten Bestreben an ihm hing, ihmgefllig, fr ihn sorgsam zu sein; die dem Wohl ihres Hauses, ihres Kindes all ihre Tagewidmete, und freilich sich mit so viel Kleinigkeiten abgeben mute, da ihr Herz und Kopf oftwste ward, da sie keine unterhaltende Gesellschafterin war, da er mit der Lebhaftigkeit seinesGeistes meinen Umgang notwendig schal finden mute. Er ist nicht schuldig!

    Fernando zu ihren Fen.Ich bin's!

    Madame Sommer mit einem Strom von Trnen an seinem Hals.Mein!

    Fernando.Ccilie! mein Weib!

    Ccilie, von ihm sich abwendend.Nicht mein Du verlssest mich, mein Herz! Wieder an seinem Hals.Fernando! wer du auch seist la diese Trnen einer Elenden an deinem Busen flieen Haltemich diesen Augenblick aufrecht, und dann verla mich auf ewig! Es ist nicht dein Weib! Stoe mich nicht von dir!

    Fernando.Gott! Ccilie, deine Trnen an meinen Wangen das Zittern deines Herzens an dem meinigen! Schone mich! schone mich!

    Ccilie.Ich will nichts, Fernando! Nur diesen Augenblick! Gnne meinem Herzen diese Ergieung,es wird frei werden, stark! Du sollst mich loswerden

    Fernando.Eh soll mein Leben zerreien, eh ich dich lasse!

    Ccilie.Ich werde dich wiedersehn, aber nicht auf dieser Erde! Du gehrst einer andern, der ich dichnicht rauben kann ffne, ffne mir den Himmel! Einen Blick in jene selige Ferne, in jenesewige Bleiben Allein, allein ist's Trost in diesem frchterlichen Augenblicke.

    Fernando, sie bei der Hand fassend, ansehend, sie umarmend.Nichts, nichts in der Welt soll mich von dir trennen. Ich habe dich wiedergefunden.

    Ccilie.Gefunden, was du nicht suchtest!

  • 29

    Fernando.La! la! Ja, ich habe dich gesucht; dich, meine Verlassene, meine Teure! Ich fand sogar inden Armen des Engels hier keine Ruhe, keine Freuden; alles erinnerte mich an dich, an deineTochter, an meine Lucie. Gtiger Himmel! wieviel Freude! Sollte das liebenswrdige Geschpfmeine Tochter sein? Ich habe dich aufgesucht berall. Drei Jahre zieh ich herum. An dem Ortunsers Aufenthalts fand ich, ach! unsere Wohnung verndert, in fremden Hnden, und dietraurige Geschichte des Verlusts deines Vermgens. Deine Entweichung zerri mir das Herz; ichkonnte keine Spur von dir finden, und meiner selbst und des Lebens berdrssig, steckt ich michin diese Kleider, in fremde Dienste, half die sterbende Freiheit der edeln Korsen unterdrcken;und nun siehst du mich hier, nach einer langen und wunderbaren Verirrung wieder an deinemBusen, mein teuerstes, mein bestes Weib!

    Lucie tritt auf.

    Fernando.O meine Tochter!

    Lucie.Lieber, bester Vater! wenn Sie mein Vater wieder sind!

    Fernando.Immer und ewig!

    Ccilie.Und Stella?

    Fernando.Hier gilt's schnell sein. Die Unglckliche! Warum, Lucie, diesen Morgen, warum konnten wiruns nicht erkennen? Mein Herz schlug mir; du weit, wie gerhrt ich dich verlie! Warum?Warum? Wir htte uns das alles erspart! Stella! wir htten ihr diese Schmerzen erspart Dochwir wollen fort. Ich will ihr sagen ihr bestndet darauf, euch zu entfernen, wolltet sie mi euremAbschied nicht beschweren, wolltet fort. Und du Lucie, geschwind hinber; la eine Chaise zudreien anspannen. Meine Sachen soll der Bediente zu den eurigen packen. Bleib noch hben,beste, teuerste Frau! Und du, meine Tochter, wenn alles bestellt ist, komm herber; und verweiltim Gartensaal, wartet auf mich. Ich will mich von ihr losmachen, sagen, ich wollte euch hinberbegleiten, sorgen, da ihr wohl fortkmt, und das Postgeld fr euch bezahlen. Arme Seele, ichbetrge dich mit deiner Gte! Wir wollen fort!

    Ccilie.Fort? Nur ein vernnftig Wort!

    Fernando.Fort! La sein! Ja, meine Lieben, wir wollen fort!Ccilie und Lucie ab.

    Fernando allein.Fort? Wohin? Wohin? Ein Dolchstich wrde allen diesen Schmerzen den Weg ffnen, undmich in die dumpfe Fhllosigkeit strzen, um die ich jetzt alles dahingbe! Bist du da,Elender? Erinnere dich der vollglcklichen Tage, da du in starker Gengsamkeit gegen denArmen standst, der des Lebens Brde abwerfen wollte; wie du dich fhltest in jenen glcklichenTagen, und nun! Ja, die Glcklichen! die Glcklichen! Eine Stunde frher diese Entdeckung,und ich war geborgen; ich htte sie nicht wieder gesehn, sie mich nicht; ich htte mich berredenknnen: sie hat dich diese vier Jahre her vergessen, verschmerzt ihr Leiden. Aber nun? Wie soll

  • 30

    ich vor ihr erscheinen, was ihr sagen? O meine Schuld, meine Schuld wird schwer in diesenAugenblicken ber mir! Verlassen, die beiden lieben Geschpfe! Und ich, in dem Augenblick,da ich sie wieder finde, verlassen von mir selbst! elend! O meine Brust!

  • 31

    Vierter AktEinsiedelei in Stellas Garten

    Stella allein.

    Stella.Du blhst schn, schner als sonst, liebe, liebe Sttte der gehofften ewigen Ruhe Aber dulockst mich nicht mehr mir schaudert vor dir khle lockre Erde, mir schaudert vor dir Ach wie oft, in Stunden der Einbildung, hllt ich schon Haupt und Brust dahingegeben in denMantel des Todes, und stand gelassen an deiner Tiefe, und schritt hinunter, und verbarg meinjammervolles Herz unter deine lebendige Decke. Da solltest du, Verwesung, wie ein liebes Kind,diese berfllte, drngende Brust aussaugen, und mein ganzes Dasein in einen freundlichenTraum auflsen Und nun! Sonne des Himmels, du scheinst herein es ist so licht, so offenum mich her, und ich freue mich des! Er ist wieder da! und in einem Wink steht rings ummich die Schpfung lebevoll und ich bin ganz Leben und neues, wrmeres, glhenderesLeben will ich von seinen Lippen trinken! Zu ihm bei ihm mit ihm in bleibender Kraftwohnen! Fernando! Er kommt! Horch! Nein, noch nicht! Hier soll er mich finden, hieran meinem Rasenaltar, unter meinen Rosenzweigen! Diese Knspchen will ich ihm brechen Hier! Hier! Und dann fhr ich ihn in diese Laube. Wohl, wohl war's, da ich sie doch, so engsie ist, fr zwei eingerichtet habe Hier lag sonst mein Buch, stand mein Schreibzeug WegBuch und Schreibzeug! Km er nur! Gleich verlassen! Hab ich ihn denn wieder? Ist erda?

    Fernando kommt.

    Stella.Wo bleibst du, mein Bester? Wo bist du? Ich bin lang, lang allein!ngstlich.Was hast du?

    Fernando.Die Weiber haben mich verstimmt! Die Alte ist eine brave Frau; sie will aber nicht bleiben,will keine Ursache sagen, sie will fort. La sie, Stella.

    Stella.Wenn sie nicht zu bewegen ist, ich will sie nicht wider Willen Und, Fernando, ich brauchteGesellschaft und jetzt an seinem Halsjetzt, Fernando! Ich habe dich ja!

    Fernando.Beruhige dich!

    Stella.La mich weinen! Ich wollte, der Tag wre vorbei! Noch zittern mir alle Gebeine! Freude! Alles unerwartet auf einmal! Dich, Fernando! Und kaum! kaum! Ich werde vergehen in diesemallen!

    Fernando vor sich.Ich Elender! Sie verlassen?Laut.

  • 32

    La mich, Stella!

    Stella.Es ist deine Stimme, deine liebende Stimme! Stella! Stella! Du weit, wie gern ich diesenNamen aussprechen hrte: Stella! Es spricht ihn niemand aus wie du. Ganz die Seele der Liebein dem Klang! Wie lebhaft ist mir noch die Erinnerung des Tags, da ich dich ihn zuerstaussprechen hrte, da all mein Glck in dir begann!

    Fernando.Glck?

    Stella.Ich glaube, du fngst an zu rechnen; rechnest die trben Stunden, die ich mir ber dich gemachthabe. La, Fernando! La! O! seit dem Augenblick, da ich dich zum ersten Mal sah, wie wardalles so ganz anders in meiner Seele! Weit du den Nachmittag im Garten, bei meinem Onkel?Wie du zu uns hereintratst? Wir saen unter den groen Kastanienbumen hinter dem Lusthaus!

    Fernando vor sich.Sie wird mir das Herz zerreien! Laut.Ich wei noch, meine Stella!

    Stella.Wie du zu uns tratst? Ich wei nicht, ob du bemerktest, da du im ersten Augenblick meineAufmerksamkeit gefesselt hattest? Ich wenigstens merkte bald, da deine Augen mich suchten.Ach, Fernando! da brachte mein Onkel die Musik, du nahmst deine Violine, und wie du spieltest,lagen meine Augen sorglos auf dir; ich sphte jeden Zug in deinem Gesicht, und in einerunvermuteten Pause schlugst du die Augen auf auf mich! sie begegneten den meinigen! Wieich errtete, wie ich wegsah! Du hast es bemerkt, Fernando; denn von der Zeit an fhlt ich wohl,da du fter ber dem Blatt wegsahst, oft zur ungelegenen Zeit, aus dem Takt kamst, da meinOnkel sich zertrat. Jeder Fehlstrich, Fernando, ging mir durch die Seele Es war die sesteKonfusion, die ich in meinem Leben gefhlt habe. Um alles Gold htt ich dich nicht wieder gradansehen knnen. Ich machte mir Luft und ging

    Fernando.Bis auf den kleinsten Umstand! Vor sich.Unglckliches Gedchtnis!

    Stella.Ich erstaune oft selbst: wie ich dich liebe, wie ich jeden Augenblick bei dir mich ganz vergesse;doch alles vor mir noch zu haben, so lebhaft, als wr's heute! Ja, wie oft hab ich mir's aucherzhlt, wie oft, Fernando! Wie ihr mich suchtet, wie du an der Hand meiner Freundin, die duvor mir kennen lerntest, durchs Boskett streiftest, und sie rief: Stella! und du riefst: Stella!Stella! Ich hatte dich kaum reden gehrt, und erkannte deine Stimme; und wie ihr auf michtraft, und du meine Hand nahmst! Wer war konfuser, ich oder du? Eins half dem andern Undvon dem Augenblick an Meine gute Sara sagte mir's wohl, gleich selbigen Abend Es ist alleseingetroffen und welche Seligkeit in deinen Armen! Wenn meine Sara meine Freuden sehenknnte! Es war ein gutes Geschpf; sie weinte viel um mich, da ich so krank, so liebeskrank war.Ich htte sie gern mitgenommen, da ich um deinetwillen alles verlie.

    Fernando.

  • 33

    Alles verlie!

    Stella.Fllt dir das so auf? Ist's denn nicht wahr? Alles verlie! Oder kannst du in Stellas Munde so waszum Vorwurf mideuten? Um deinetwillen hab ich lange nicht genug getan.

    Fernando.Freilich! Deinen Onkel, der dich als Vater liebte, der dich auf den Hnden trug, dessen Willedein Wille war, das war nicht viel? Das Vermgen, die Gter, die alle dein waren, dein wordenwren, das war nichts? Den Ort, wo du von Jugend auf gelebt, dich gefreut hattest deineGespielen

    Stella.Und das alles, Fernando, ohne dich? Was war mir's vor deiner Liebe? Aber da, als die in meinerSeele aufging, da hatt ich erst Fu in der Welt gefat. Zwar mu ich dir gestehn, da ichmanchmal in einsamen Stunden dachte: Warum konnt ich das nicht alles mit ihm genieen?Warum muten wir fliehen? Warum nicht im Besitz von dem allen bleiben? Htte ihm meinOnkel meine Hand verweigert? Nein! Und warum fliehen? O ich habe fr dich wiederEntschuldigungen genug gefunden! fr dich! da hat mir's nie gemangelt! Und wenn's Grillewre, sagte ich wie ihr denn eine Menge Grillen habt , wenn's Grille wre, das Mdchen soheimlich als Beute fr sich zu haben! Und wenn's Stolz wre, das Mdchen so allein ohneZugabe zu haben. Du kannst denken, da mein Stolz nicht wenig dabei interessiert war, sich dasBeste glauben zu machen; und so kamst du nun glcklich durch.

    Fernando.Ich vergehe!

    Annchen kommt.

    Annchen.Verzeihen Sie, gndige Frau! Wo bleiben Sie, Herr Hauptmann? Alles ist aufgepackt, und nunfehlt's an Ihnen! Die Mamsell hat schon ein Laufens, ein Befehlens heut verfhrt, da esunleidlich war; und nun bleiben Sie aus!

    Stella.Geh, Fernando, bring sie hinber; zahl das Postgeld fr sie, aber sei gleich wieder da.

    Annchen.Fahren Sie denn nicht mit? Die Mamsell hat eine Chaise zu dreien bestellt, Ihr Bedienter hat jaaufgepackt!

    Stella.Fernando, das ist ein Irrtum!

    Fernando.Was wei das Kind?

    Annchen.Was ich wei? Freilich sieht's kurios aus, da der Herr Hauptmann mit dem Frauenzimmer fortwill, von der gndigen Frau; seit sie bei Tisch Bekanntschaft mit Ihnen gemacht hat. Das warwohl ein zrtlicher Abschied, als Sie ihr zur gesegneten Mahlzeit die Hand drckten?

    Stella verlegen.

  • 34

    Fernando!

    Fernando.Es ist ein Kind!

    Annchen.Glauben Sie's nicht, gndige Frau! es ist alles aufgepackt; der Herr geht mit.

    Fernando.Wohin? Wohin?

    Stella.Verla uns, Annchen!Annchen ab.Rei mich aus der entsetzlichen Verlegenheit! Ich frchte nichts, und doch ngstet mich dasKindergeschwtz. Du bist bewegt! Fernando! Ich bin deine Stella!

    Fernando, sich umwendend und sie bei der Hand fassend.Du bist meine Stella!

    Stella.Du erschreckst mich, Fernando! du siehst wild.

    Fernando.Stella! ich bin ein Bsewicht, und feig; und vermag vor dir nichts. Fliehen! Hab das Herznicht, dir den Dolch in die Brust zu stoen, und will dich heimlich vergiften, ermorden! Stella!

    Stella.Um Gottes willen!

    Fernando mit Wut und Zittern.Und nur nicht sehn ihr Elend, nicht hren ihre Verzweiflung! Fliehen!

    Stella.Ich halt's nicht aus!Sie will sinken und hlt sich an ihn.

    Fernando.Stella, die ich in meinen Armen fasse! Stella! die du mir alles bist! Stella! Kalt.Ich verlasse dich!

    Stella, verwirrt lchelnd.Mich!

    Fernando mit Zhneknirschen.Dich! mit dem Weibe, das du gesehen hast! mit dem Mdchen!

    Stella.Es wird so Nacht!

    Fernando.Und dieses Weib ist meine Frau!

  • 35

    Stella sieht ihn starr an und lt die Arme sinken.

    Fernando.Und das Mdchen ist meine Tochter! Stella!Er bemerkt erst, da sie in Ohnmacht gefallen ist.Stella!Er bringt sie auf seinen Sitz.Stella! Hlfe! Hlfe!

    Ccilie, Lucie kommen.

    Fernando.Seht! seht den Engel! Er ist dahin! Seht! Hlfe!

    Sie bemhen sich um sie.

    Lucie.Sie erholt sich.

    Fernando, stumm sie ansehend.Durch dich! Durch dich!Ab.

    Stella.Wer? Wer? Aufstehend.Wo ist er?Sie sinkt zurck, sieht die an, die sich um sie bemhen.Dank euch! Dank! Wer seid ihr?

    Ccilie.Beruhigen Sie sich! Wir sind's.

    Stella.Ihr? Seid ihr nicht fort? Seid ihr ? Gott! wer sagte mir's? Wer bist du? Bist du ?Ccilie bei den Hnden fassend.Nein! ich halt's nicht aus!

    Ccilie.Beste! Liebste! Ich schlie dich Engel an mein Herz.

    Stella.Sag mir es liegt tief in meiner Seele Sag mir bist du

    Ccilie.Ich bin ich bin sein Weib!

    Stella, aufspringend, sich die Augen zuhaltend.Und ich? Sie geht verwirrt auf und ab.

    Ccilie.

  • 36

    Kommen Sie in Ihr Zimmer!

    Stella.Woran erinnerst du mich? Was ist mein? Schrecklich! Schrecklich! Sind das meine Bume, dieich pflanzte, die ich erzog? Warum in dem Augenblick mir alles so fremd wird? Verstoen! Verloren! Verloren auf ewig! Fernando! Fernando!

    Ccilie.Geh, Lucie, such deinen Vater.

    Stella.Um Gottes Barmherzigkeit! Halt! Weg! La ihn nicht kommen! Entfern dich! Vater! Gatte!

    Ccilie.Se Liebe!

    Stella.Du liebst mich? Du drckst mich an deine Brust? Nein! Nein La mich! Versto mich!An ihrem Halse.Noch einen Augenblick! Es wird bald aus mit mir sein! Mein Herz! Mein Herz!

    Lucie.Sie mssen ruhen!

    Stella.Ich ertrag euern Anblick nicht! Euer Leben hab ich vergiftet, euch geraubt euer Alles Ihr imElend; und ich welche Seligkeit in seinen Armen!Sie wirft sich auf die Kniee.Knnt ihr mir vergeben?

    Ccilie.La! La!Sie bemhen sich, sie aufzuheben.

    Stella.Hier will ich liegen, flehn, jammern, zu Gott und euch: Vergebung! Vergebung! Sie springt auf. Vergebung? Trost gebt mir! Trost! Ich bin nicht schuldig! Du gabst mir ihn, heiliger Gottim Himmel! ich hielt ihn fest, wie die liebste Gabe aus deiner Hand La mich! Mein Herzzerreit!

    Ccilie.Unschuldige! Liebe!

    Stella an ihrem Halse.Ich lese in deinen Augen, auf deiner Lippe Worte des Himmels. Halt mich! Trag mich! Ich gehezugrunde! Sie vergibt mir! Sie fhlt mein Elend!

    Ccilie.Schwester! meine Schwester! erhole dich! nur einen Augenblick erhole dich! Glaube, da, der inunser Herz diese Gefhle legte, die uns oft so elend machen, auch Trost und Hlfe dafr bereitenkann.

  • 37

    Stella.An deinem Hals la mich sterben!

    Ccilie.Kommen Sie!

    Stella nach einer Pause, wild wegfahrend.Lat mich alle! Sieh, es drngt sich eine Welt voll Verwirrung und Qual in meine Seele, und flltsie ganz mit unsglichen Schmerzen Es ist unmglich unmglich! So auf einmal! Ist nichtzu fassen, nicht zu tragen! Sie steht eine Weile niedersehend still, in sich gekehrt, sieht dann auf, erblickt die beiden, fhrtmit einem Schrei zusammen und entflieht.

    Ccilie.Geh ihr nach, Lucie! Beobachte sie!Lucie ab.Sieh herab auf deine Kinder, und ihre Verwirrung, ihr Elend! Leidend lernt ich viel. Strkemich! Und kann der Knoten gelst werden, heiliger Gott im Himmel! zerrei ihn nicht.

  • 38

    Fnfter AktStellas Kabinett. Im Mondschein

    Stella.Sie hat Fernandos Portrt und ist im Begriff, es von dem Blendrahmen loszumachen.

    Stella.Flle der Nacht, umgib mich! fasse mich! leite mich! ich wei nicht, wohin ich trete! Ichmu! ich will hinaus in die weite Welt! Wohin? Ach wohin? Verbannt aus deiner Schpfung!Wo du, heiliger Mond, auf den Wipfeln meiner Bume dmmerst; wo du mit furchtbar liebenSchatten das Grab meiner holden Mina umgibst, soll ich nicht mehr wandeln? Von dem Ort, woalle Schtze meines Lebens, alle selige Erinnerung aufbewahrt sind? Und du, worber ich sooft mit Andacht und Trnen gewohnt habe, Sttte meines Grabes! die ich mir weihte; wo umheralle Wehmut, alle Wonne meines Lebens dmmert; wo ich noch abgeschieden umzuschwebenund die Vergangenheit allschmachtend zu genieen hoffte, von dir auch verbannt sein? Verbannt sein! Du bist stumpf! Gott sei Dank! dein Gehirn ist verwstet; du kannst ihn nichtfassen, den Gedanken: Verbannt sein! Du wrdest wahnsinnig werden! Nun! O mir istschwindlig! Leb wohl! Lebt wohl? Nimmer wiedersehen? Es ist ein dumpfer Totenblick indem Gefhl! Nicht wiedersehn ? Fort! Stella!Sie ergreift das Portrt.Und dich sollt ich zurcklassen?Sie nimmt ein Messer und fngt an, die Ngel loszubrechen.O da ich ohne Gedanken wre! da ich in dumpfem Schlaf, da ich in hinreienden Trnenmein Leben hingbe! Das ist und wird sein: du bist elend! Das Gemlde nach dem Monde wendend.Ha, Fernando! da du zu mir tratst und mein Herz dir entgegensprang, fhltest du nicht dasVertrauen auf deine Treue, deine Gte? Fhltest du nicht, welch Heiligtum sich dir erffnete,als sich mein Herz gegen dich aufschlo? Und du bebtest nicht vor mir zurck? Versankstnicht? Entflohst nicht? Du konntest meine Unschuld, mein Glck, mein Leben so zumZeitvertreib pflcken, und zerpflcken, und am Wege gedankenlos hinstreuen? Edler! Ha,Edler! Meine Jugend! meine goldnen Tage! Und du trgst die tiefe Tcke im Herzen! Dein Weib! deine Tochter! Und mir war's frei in der Seele, rein wie ein Frhlingsmorgen! Alles, alles Eine Hoffnung! Wo bist du, Stella? Das Portrt anschauend.So gro! so schmeichelnd! Der Blick war's, der mich ins Verderben ri! Ich hasse dich!Weg! wende dich weg! So dmmernd! so lieb! Nein! Nein! Verderber! Mich? Mich? Du? Mich? Sie zuckt mit dem Messer nach dem Gemlde.Fernando! Sie wendet sich ab, das Messer fllt, sie strzt mit einem Ausbruch von Trnen vor den Stuhlnieder.Liebster! Liebster! Vergebens! Vergebens!

    Bedienter kommt.

    Bedienter.Gndige Frau! wie Sie befahlen, die Pferde sind an der hintern Gartentr. Ihre Wsche istaufgepackt. Vergessen Sie nicht Geld!

    Stella.Das Gemlde!

  • 39

    Bedienter nimmt das Messer auf und schneidet das Gemlde von dem Rahmen und rollt's.Hier ist Geld.

    Bedienter.Aber warum?

    Stella, einen Moment stillstehend, auf- und umherblickend.Komm!Ab.

    SaalFernando.

    Fernando.La mich! La mich! Sieh! da fat's mich wieder mit all der schrecklichen Verworrenheit! Sokalt, so gra liegt alles vor mir als wr die Welt nichts ich htte drin nichts verschuldet Und sie! Ha! bin ich nicht elender als ihr? Was habt ihr an mich zu fordern? Was ist nun desSinnens Ende? Hier! und hier! Von einem Ende zum andern! durchgedacht! und wiederdurchgedacht! und immer qulender! immer schrecklicher! Sich die Stirn haltend.Wo's zuletzt widerstt! Nirgends vor, nicht hinter sich! Nirgends Rat und Hlfe! Und diesezwei, diese drei besten weiblichen Geschpfe der Erde? elend durch mich elend ohne mich! Ach, noch elender mit mir! Wenn ich klagen knnte, knnte verzweifeln, knnt um Vergebungbitten knnt in stumpfer Hoffnung nur eine Stunde hinbringen zu ihren Fen liegen, und inteilnehmendem Elend Seligkeit genieen! Wo sind sie? Stella! du liegst auf deinemAngesichte, blickst sterbend nach dem Himmel, und chzest: Was hab ich Blume verschuldet,da mich dein Grimm so niederknickt? Was hatte ich Arme verschuldet, da du diesenBsewicht zu mir fhrtest?" Ccilie! Mein Weib! o mein Weib! Elend! Elend! tiefes Elend! Welche Seligkeiten vereinigen sich, um mich elend zu machen! Gatte! Vater! Geliebter! Die besten, edelsten weiblichen Geschpfe Dein! Dein? Kannst du das fassen, die dreifache,unsgliche Wonne? Und nur die ist's, die dich so ergreift, die dich zerreit! Jede fordert michganz Und ich? Hier ist's zu! tief! unergrndlich! Sie wird elend sein! Stella! bist elend! Was hab ich dir geraubt? Das Bewutsein deiner selbst, dein junges Leben! Stella! Und ichbin so kalt!Er nimmt eine Pistole vom Tisch.Doch, auf alle Flle! Er ladet.

    Ccilie kommt.

    Ccilie.Mein Bester! wie ist uns?Sie sieht die Pistolen.Das sieht ja reisefertig aus!

    Fernando legt sie nieder.

    Ccilie.Mein Freund! Du scheinst mir gelassener. Kann man ein Wort mit dir reden?

    Fernando.Was willst du, Ccilie? Was willst du, mein Weib?

  • 40

    Ccilie.Nenne mich nicht so, bis ich ausgeredet habe. Wir sind nun wohl sehr verworren; sollte das nichtzu lsen sein? Ich hab viel gelitten, und drum nichts von gewaltsamen Entschlssen. Vernimmstdu mich, Fernando?

    Fernando.Ich hre!

    Ccilie.Nimm's zu Herzen! Ich bin nur ein Weib, ein kummervolles, klagendes Weib; aber Entschlu istin meiner Seele. Fernando ich bin entschlossen ich verlasse dich!

    Fernando spottend.Kurz und gut?

    Ccilie.Meinst du, man msse hinter der Tr Abschied nehmen, um zu verlassen, was man liebt?

    Fernando.Ccilie!

    Ccilie.Ich werfe dir nichts vor, und glaube nicht, da ich dir so viel aufopfere. Bisher beklagte ichdeinen Verlust; ich hrmte mich ab ber das, was ich nicht ndern konnte. Ich finde dich wieder,deine Gegenwart flt mir neues Leben, neue Kraft ein. Fernando, ich fhle, da meine Liebe zudir nicht eigenntzig ist, nicht die Leidenschaft einer Liebhaberin, die alles dahingbe, denerflehten Gegenstand zu besitzen. Fernando! mein Herz ist warm, und voll fr dich; es ist dasGefhl einer Gattin, die, aus Liebe, selbst ihre Liebe hinzugeben vermag.

    Fernando.Nimmer! Nimmer!

    Ccilie.Du fhrst auf?

    Fernando.Du marterst mich!

    Ccilie.Du sollst glcklich sein! Ich habe meine Tochter und einen Freund an dir. Wir wollenscheiden, ohne getrennt zu sein. Ich will entfernt von dir leben und ein Zeuge deines Glcksbleiben. Deine Vertraute will ich sein; du sollst Freude und Kummer in meinen Busen ausgieen.Deine Briefe sollen mein einziges Leben sein, und die meinen sollen dir als ein lieber Besucherscheinen Und so bleibst du mein, bist nicht mit Stella verbannt in einen Winkel der Erde,wir lieben uns, nehmen teil an einander! Und so, Fernando, gib mir deine Hand drauf.

    Fernando.Als Scherz wr's zu grausam; als Ernst ist's unbegreiflich! Wie's nun will, Beste! Der kalteSinn lst den Knoten nicht. Was du sagst, klingt schn, schmeckt s. Wer nicht fhlte, dadarunter weit mehr verborgen liegt; da du dich selbst betrgst, indem du die marterndstenGefhle mit einem blendenden eingebildeten Troste schweigen machst. Nein, Ccilie! MeinWeib, nein! Du bist mein ich bleibe dein Was sollen hier Worte? Was soll ich die Warumsdir vortragen? Die Warums sind soviel Lgen. Ich bleibe dein, oder

  • 41

    Ccilie.Nun denn! Und Stella?

    Fernando fhrt auf und geht wild auf und ab.

    Ccilie.Wer betrgt sich? Wer betubt seine Qualen durch einen kalten, ungefhlten, ungedachten,vergnglichen Trost? Ja, ihr Mnner kennt euch.

    Fernando.berhebe dich nicht deiner Gelassenheit! Stella! Sie ist elend! Sie wird ihr Leben fern von mirund dir ausjammern. La sie! La mich!

    Ccilie.Wohl, glaube ich, wrde ihrem Herzen die Einsamkeit tun; wohl ihrer Zrtlichkeit, uns wiedervereinigt zu wissen. Jetzo macht sie sich bittere Vorwrfe. Sie wrde mich immer frunglcklicher halten, wenn ich dich verlie, als ich wre; denn sie berechnet mich nach sich. Siewrde nicht ruhig leben, nicht lieben knnen, der Engel! wenn sie fhlte, da ihr Glck Raubwre. Es ist ihr besser

    Fernando.La sie fliehen! La sie in ein Kloster!

    Ccilie.Wenn ich nun aber wieder so denke: warum soll sie denn eingemauert sein? Was hat sieverschuldet, um eben die blhendsten Jahre, die Jahre der Flle, der reifenden Hoffnunghinzutrauern, verzweifelnd am Abgrund hinzujammern? geschieden sein von ihrer lieben Welt! von dem, den sie so glhend liebt? von dem, der sie Nicht wahr, du liebst sie, Fernando?

    Fernando.Ha! was soll das? Bist du ein bser Geist, in Gestalt meines Weibs? Was kehrst du mein Herzum und um? Was zerreiest du das zerrissene? Bin ich nicht zerstrt, zerrttet genug? Verlamich! berla mich meinem Schicksal! und Gott erbarme sich euer!Er wirft sich in einen Sessel.

    Ccilie tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand.Es war einmal ein Graf

    Fernando will aufspringen, sie hlt ihn.

    Ccilie.Ein deutscher Graf. Den trieb ein Gefhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin, von seinenGtern, nach dem Gelobten Lande

    Fernando.Ha!

    Ccilie.Er war ein Biedermann; er liebte sein Weib, nahm Abschied von ihr, empfahl ihr seinHauswesen, umarmte sie, und zog. Er zog durch viele Lnder, kriegte, und ward gefangen.Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter; sie lste seine Fesseln, sie flohen. Siegeleitete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs Der liebe Waffentrger! Mit Sieg

  • 42

    bekrnt ging's nun zur Rckreise zu seinem edeln Weibe! Und sein Mdchen? Er fhlteMenschheit! er glaubte an Menschheit, und nahm sie mit. Sieh da, die wackre Hausfrau, dieihrem Gemahl entgegeneilt, sieht all ihre Treue, all ihr Vertrauen, ihre Hoffnungen belohnt, ihnwieder in ihren Armen. Und dann daneben seine Ritter, mit stolzer Ehre von ihren Rossen sichauf den vaterlndischen Boden schwingend; seine Knechte, abladend die Beute, sie zu ihrenFen legend; und sie schon in ihrem Sinn das all in ihren Schrnken aufbewahrend, schon ihrSchlo mit auszierend, ihre Freunde mit beschenkend Edles, teures Weib, der grte Schatzist noch zurck!" Wer ist's, die dort verschleiert mit dem Gefolge naht? Sanft steigt sie vomPferde Hier!" rief der Graf, sie beider Hand fassend, sie seiner Frau entgegenfhrend hier! sieh das alles und sie! nimm's aus ihren Hnden nimm mich aus ihren Hnden wieder!Sie hat die Ketten von meinem Halse geschlossen, sie hat den Winden befohlen, sie hat micherworben hat mir gedient, mein gewartet! Was bin ich ihr schuldig! Da hast du sie! BelohnSie."Fernando liegt schluchzend mit den Armen bern Tisch gebreitet.An ihrem Halse rief das treue Weib, in tausend Trnen rief sie: Nimm alles, was ich dir gebenkann! Nimm die Hlfte des, der ganz dein gehrt Nimm ihn ganz! La mir ihn ganz! Jede sollihn haben, ohne der andern was zu rauben Und", rief Sie an seinem Halse, zu seinen Fen,wir sind dein!" Sie faten seine Hnde, hingen an ihm Und Gott im Himmel freute sichder Liebe, und sein heiliger Statthalter sprach seinen Segen dazu. Und ihr Glck und ihre Liebefate selig Eine Wohnung, Ein Bett, und Ein Grab.

    Ab hier gibt es zwei alternative Fassungen. Die frhere im Anschluss, die sptere auf dernchsten Seite.

    Fernando.Gott im Himmel, der du uns Engel sendest in der Not, schenk uns die Kraft, diese gewaltigenErscheinungen zu ertragen! Mein Weib!

    Er fllt wieder zusammen.

    Ccilie erffnet die Tre des Kabinetts und ruft:Stella!

    Stella, ihr um den Hals fallend.Gott! Gott!

    Fernando springt auf in der Bewegung zu fliehen.

    Ccilie fat ihn.Stella! nimm die Hlfte des, der ganz dein ist du hast ihn gerettet von ihm selbst gerettet dugibst mir ihn wieder!

    Fernando.Stella!Er neigt sich zu ihr.

    Stella.Ich fa es nicht!

    Ccilie.Du fhlst's.

  • 43

    Stella an seinem Hals.Ich darf?

    Ccilie.Dankst du mir's, da ich dich Flchtling zurckhielt?

    Stella an ihrem Hals.O du!

    Fernando, beide umarmend.Mein! Mein!

    Stella, seine Hand fassend, an ihm hangend.Ich bin dein!

    Ccilie, seine Hand fassend, an seinem Hals.Wir sind dein!

  • 44

    Sptere Fassung mit neuem Titel:

    Stella. Ein Trauerspiel.Und einem neuen Schluss.

    Fernando.Gott im Himmel! Welch ein Strahl von Hoffnung dringt herein!

    Ccilie.Sie ist da! Sie ist unser!Nach der Kabinettstre.Stella!

    Fernando.La sie, la mich!Im Begriff wegzugehen.

    Ccilie.Bleib! Hre mich!

    Fernando.Der Worte sind schon genug. Was werden kann, wird werden. La mich! In diesem Augenblickbin ich nicht vorbereitet, vor euch beiden zu stehen.Ab.

    Ccilie, hernach Lucie, hernach Stella.

    Ccilie.Der Unglckliche! Immer so einsilbig, immer dem freundlichen, vermittelnden Wortwiderstrebend, und sie, ebenso! Es mu mir doch gelingen.Nach der Tre.Stella! Hre mich, Stella!

    Lucie.Ruf ihr nicht! Sie ruht, von einem schweren Leiden ruht sie einen Augenblick. Sie leidet sehr;ich frchte, meine Mutter, mit Willen; ich frchte, sie stirbt.

    Ccilie.Was sagst du?

    Lucie.Es war nicht Arzenei, frcht ich, was sie nahm.

    Ccilie.Und ich htte vergebens gehofft? O, da du dich tuschtest! Frchterlich Frchterlich!

    Stella an der Tre.Wer ruft mich? Warum weckt ihr mich? Welche Zeit ist es? Warum so frhe?

    Lucie.Es ist nicht frhe, es ist Abend.

    Stella.

  • 45

    Ganz recht, ganz wohl, Abend fr mich.

    Ccilie.Und so tuschtest du uns!

    Stella.Wer tuschte dich? Du.

    Ccilie.Ich brachte dich zurck, ich hoffte.

    Stella.Fr mich ist kein Bleibens.

    Ccilie.Ach htte ich dich ziehen lassen, reisen, eilen, ans Ende der Welt!

    Stella.Ich bin am Ende.

    Ccilie zu Lucien, die indessen ngstlich hin und wider gelaufen ist.Was zauderst du? Eile, rufe um Hlfe!

    Stella, die Lucien anfat.Nein, verweile.Sie lehnt sich auf beide, und sie kommen weiter hervor.An eurem Arm dachte ich durchs Leben zu gehen; so fhrt mich zum Grabe.Sie fhren sie langsam hervor und lassen sie auf der rechten Seite auf einen Sessel nieder.

    Ccilie.Fort, Lucie! fort! Hlfe! Hlfe!Lucie ab.

    Stella, Ccilie, hernach Fernando, hernach Lucie.

    Stella.Mir ist geholfen!

    Ccilie.Wie anders glaubt ich! Wie anders hofft ich!

    Stella.Du Gute, Duldende, Hoffende!

    Ccilie.Welch entsetzliches Schicksal!

    Stella.Tiefe Wunden schlgt das Schicksal, aber oft heilbare. Wunden, die das Herz dem Herzenschlgt, das Herz sich selber, die sind unheilbar, und so la mich sterben.

    Fernando tritt ein.bereilte sich Lucie, oder ist die Botschaft wahr? La sie nicht wahr sein, oder ich fluche deiner

  • 46

    Gromut, Ccilie, deiner Langmut.

    Ccilie.Mir wirft mein Herz nichts vor. Guter Wille ist hher als aller Erfolg. Eile nach Rettung, sie lebtnoch, sie gehrt uns noch.

    Stella, die aufblickt und Fernandos Hand fat.Willkommen! La mir deine Hand,zu Ccilienund du die deine. Alles um Liebe, war die Losung meines Lebens. Alles um Liebe, und so nunauch den Tod. In den seligsten Augenblicken schwiegen wir und verstanden uns,sucht die Hnde beider Gatten zusammenzubringenund nun lat mich schweigen und ruhen.Sie fllt auf ihren rechten Arm, der ber den Tisch gelehnt ist.

    Fernando.Ja wir wollen schweigen, Stella, und ruhen.Er geht langsam nach dem Tische linker Hand.

    Ccilie in ungeduldiger Bewegung.Lucie kommt nicht, niemand kommt. Ist denn das Haus, ist denn die Nachbarschaft eine Wste?Fasse dich, Fernando, sie lebt noch. Hunderte sind vom Todeslager aufgestanden, aus dem Grabesind sie wieder aufgestiegen. Fernando, sie lebt noch. Und wenn uns alles verlt, und hier keinArzt ist, keine Arzenei, so ist doch einer im Himmel, der uns hrt.Auf den Knieen, in der Nhe von Stella.Hre mich! Erhre mich, Gott! Erhalte sie uns, la sie nicht sterben!

    Fernando hat mit der linken Hand ein Pistol ergriffen und geht langsam ab.

    Ccilie wie vorher, Stellas linke Hand fassend.Ja sie lebt noch; ihre Hand, ihre liebe Hand ist noch warm. Ich lasse dich nicht, ich fasse dich mitder ganzen Gewalt des Glaubens und der Liebe. Nein, es ist kein Wahn! Eifriges Gebet iststrker denn irdische Hlfe.Aufstehend und sich umkehrend.Er ist hinweg, der Stumme, Hoffungslose. Wohin? O, da er nicht den Schritt wagt, wohin seinganzes sturmvolles Leben sich hindrngte. Zu ihm!Indem sie fort will, wendet sie sich nach Stella.Und diese la ich hlflos hier. Groer Gott! und so stehe ich, im frchterlichsten Augenblick,zwischen zweien, die ich nicht trennen und nicht vereinigen kann.Es fllt in der Ferne ein Schu.

    Ccilie.Gott!Will dem Schall nach.

    Stella, sich mhsam aufrichtend.Was war das? Ccilie, du stehst so ferne, komm nher, verla mich nicht. Es ist mir so bange. Omeine Angst! Ich sehe Blut flieen. Ist's denn mein Blut? Es ist nicht mein Blut. Ich bin nichtverwundet, aber todkrank Es ist doch mein Blut.

    Lucie kommt.Hlfe, Mutter, Hlfe! Ich renne nach Hlfe, nach dem Arzte, sprenge Boten fort; aber ach! sollich dir sagen, ganz anderer Hlfe bedarf's. Mein Vater fllt durch, seine eigene Hand, er liegt im

  • 47

    Blute.Ccilie will fort, Lucie hlt sie.Nicht dahin, meine Mutter, der Anblick ist hlflos, und erregt Verzweiflung.

    Stella, die halb aufgerichtet aufmerksam zugehrt hat, fat Cciliens Hand.So wre es geworden?Sich aufrichtend und an Ccilien und Lucien lehnend.Kommt, ich fhle mich wieder stark, kommt zu ihm. Dort lat mich sterben.

    Ccilie.Du wankst, deine Kniee tragen dich nicht. Wir tragen dich nicht. Auch mir ist das Mark aus denGebeinen.

    Stella sinkt an den Sessel nieder.Am Ziele denn. So gehe du hin, zu dem, dem du angehrst. Nimm seinen letzten Seufzer, seinletztes Rcheln auf. Er ist dein Gatte. Du zauderst? Ich bitte, ich beschwre dich. Dein Bleibenmacht mich unruhig.Mit Bewegung, doch schwach.Bedenke, er ist allein, und gehe!

    Ccilie mit Heftigkeit ab.

    Lucie.Ich verlasse dich nicht, ich bleibe bei dir.

    Stella.Nein, Lucie! Wenn du mir wohl willst, so eile. Fort! fort! la mich ruhen! Die Flgel der Liebesind gelhmt, sie tragen mich nicht zu ihm hin. Du bist frisch und gesund. Die Pflicht sei ttig,wo die Liebe verstummt. Fort zu dem, dem du angehrst. Er ist dein Vater. Weit du, was dasheit? Fort! wenn du mich liebst, wenn du mich beruhigen willst.

    Lucie entfernt sich langsam.

    Stella sinkend.Und ich sterbe allein.

    Johann Wolfgang GoetheStellaEin Schauspiel fr LiebendePersonen

    Erster AktIm Posthause

    Zweiter AktDritter AktVierter AktEinsiedelei in Stellas Garten

    Fnfter AktStellas Kabinett. Im MondscheinSaal

    Stella. Ein Trauerspiel.