Goodman 1984.pdf
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»In welchem Sinn genau gibt es viele Welten? Was unterscheidet echtevon unechten Welten? Woraus bestehen sie? Wie werden sie erzeugt?Welche Rolle spieien Symbole bel der Erzeugung? Und wie ist dasErschaffen von Welten auf das Erkennen bezogen?« Diese Fragenuntersucht Nelson Goodman m semem Buch Ways of Worldmaking,das auf eme Vorlesungsreihe an der Umversität Stanford zurückgeht. Erbegmnt seine Untersuchung mIt einem expliziten Hinweis auf Casslrer,von dem er die Idee des Erzeugens von Welten mit Symbolen übernimmt: »Cassirer sucht (nach einer Einheit aller Weltversionen) aufdem Wege emer transkulturellen Erforschung der Entwicklung vonMythos, Religion, Sprache, Kunst und Wissenschaft. Mem Weg hingegen ISt der emer analytischen Erforschung von Typen und Funktionenvon Symbolen und Symbolsystemen. Weder im emen noch im anderenFall sollte man ein emdeutIges Resultat erwarten; Universen von Weiten, ebenso wie die Welten selbst, können auf viele Weisen erbautwerden.« Die Welten, mit denen Goodman sich befaßt, sind wirklicheWelten: »Es sollte klar sem, daß hier nicht von Jenen möglichen Weltendie Rede ISt, die viele meiner Zeitgenossen, besonders in der Nähe vonDisneyland, so emsig erzeugen und mampulieren. Wir sprechen nichtvon vielen möglichen Alternativen zu emer einzigen Wirklichen Welt,sondern von emer Vielheit Wirklicher Welten.«Wetsen der Welterzeugung ISt zugleich eme systematisch orientierteAnwendung des theoretischen Hauptwerks von Goodman, The Structure of Äppearance, und eme Erweiterung dieser Anwendung Im Vergleich zu Languages of Art. Zu den Welten der Wissenschaft und derKunst treten die Welten der Wahrnehmung, Wahrnehmungspsychologie, Literaturkritik und des Alltagslebens hmzu. Dabei distanziertGoodman Sich nicht nur von den Verfechtern einer»Theorie möglicherWelten«, sondern auch von vielen gängigen Lehrmeinungen über denStatus und die Funktion von Tatsachen m der Philosophie und Wissenschaftstheorie: »Nur wemge der üblichen philosophischen Etikettenpassen auf ein Buch, das mit dem Rationalismus ebenso auf Knegsfußsteht wie mit dem Empirismus, mit dem Matenalismus ebenso wie mitdem Idealismus und dem Dualismus, mit dem Essentialismus ebensowie mit dem Existentialismus, mIt dem Mechamsmus und Vitalismus,Mystizismus und SZientismus sowie mit den meisten übngen überhitzten Doktrinen. Was dabei herauskommt, läßt sich vielleicht am bestenals radikaler RelatiVismus unter strengen Einschränkungen bezeichnen,der auf eine Art Irrealismus hinausläuft.«Nelson Goodman ISt Professor (Emeritus) für Philosophie an derHarvard Umversity. Von seinen Büchern liegen imSuhrkamp Verlagaußerdem vor: Tatsache, Fiktwn, Voraussage (stw 732); Vom Denkenund anderen Dingen; (zusammen mIt Catherine Z. Elgin) Revtswnen.Philosophte und andere Künste und Wissenschaften.
Nelson GoodmanWeisen der
WelterzeugungÜbersetzt von Max Looser
Suhrkamp
Titel der Onginalausgabe:Ways 0/ Worldmaking
Hackett Publishmg Company, Indianapolis, CambridgeCopyright © 1978 by Nelson Goodman Für K.S. G.,
die mtt Wasserfarben Welten erzeugt
Die Deutsche Bibliothek - CIP-EinheitsaufnahmeGoodman, Nelson:
Weisen der Welterzeugung / Nelson Goodman. Übers. vonMax Looser. - 4. Aufl. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1998
(Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 863)Einheitssacht. : Ways of worldmaking <dt.>
ISBN 3-518-28463-0NE:GT
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 863Erste Auflage 1990
© dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1984Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Alle Rechte vorbehalten, msbesondere dasdes öffentlichen Vortrags, der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehensowie der Übersetzung, auch emzelner Teile.Satz und Druck: WagnerGmbH, Nördlingen
Printed in GermanyUmschlag nach Entwürfen von
Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
4 5 6 7 8 - 00 99 98
Inhalt
Vorwort
I. Wörter, Werke, Welten1. Fragen2. Versionen und Sichtweisen3. Wie fest soll das Fundament sein?4. Weisen der Welterzeugung .5. Schwierigkeiten mit der Wahrheit6. Relative Realität7. Bemerkungen über Erkenntnis
lI. Der Status des Stils1. Einwendungen2. Stil und Sujei:3. Stil und Gefühl4. Stil und Struktur5. Stil und Signatur .6. Die Signifikanz des Stils
III. Probleme des Zitlerens1. Das sprachliche Zitat2. Das bildliche Zitat3. Das musikalische Zitat4. Das Zitat aus anderen Systemen5. Das Zitat aus anderen Medien6. Überlegung
IV. Wann Ist Kunst?1. Remheit in der Kunst2. Ein Dilemma3. Proben
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13141820
3 1
3436
38
3943475°54
59656971
7475
Vo Ein Rätsel bei der Wahrnehmung1. Sehen jenseits des Seins 92
2. Erzeugte Bewegung 933· Gestalt und Größe 954· Folgen und Fragen 100
5· Farbe 1°56. Das Rätsel 1°7
V VI. Dze Erfindung von TatsachenI. Wirklichkeit und Künstlichkeit II42. Mittel und Stoff ..... II73· Einige antike Welten 121
4· Reduktion und Konstruktion 1245· Fakten aus Fiktionen ... 126
lvII. Über die Richtlgkezt der Wiedergabe1. Welten im Widerstreit2. Konvention und Inhalt3. Tests und Wahrheit 0
4. Wahrheitsfähigkeit und Gültigkeit5. Richtige Darstellung6. Die gute Probe7. Nachprüfung der Richtigkeit
N amenregzsterSachregzster
171173
Vorwort
Das vorliegende Buch folgt keinem geraden Weg von Anfangbis Ende. Es geht auf die Jagd, und dabei stört es manchmaldenselben Waschbär auf verschiedenen Bäumen oder verschiedene Waschbären auf demselben Baum auf - undmanchmal auch etwas, was dann am Ende gar kein Waschbärauf keinem Baum ist. Mehr als einmal bocktes vor demselbenHindernis und geht dann anderen Spuren nach. Oft trinkt esaus denselben Flüssen und stolpert durch eine unbarmherzigeLandschaft. Und es zählt nicht die Beute, sondern das, wasauf dem untersuchten Gelände erkundet worden ist.Zum dritten Mal in meinem Leben ist die Arbeit an einemBuch durch die Einladung zu einer Vorlesungsreihe angespornt worden. Gastvorlesungen an der Universität Londonführten zu Fact, Fictwn, and Forecast. Aus den John-LockeVorlesungen an der Universität Oxford wurden Languages ofArt. Und die ersten Immanuel-Kant-Vorlesungen an derStanford University lieferten den Anstoß zum vorliegendenBuch sowie die Grundlage seiner letzten vier Kapitel, auchwenn das Schlußkapitel zum größten Teil neu geschriebenwurde. Das erste Kapitel wurde anläßlich des hundertstenGeburtstags von Ernst Cassirer an der Universität Hamburgvorgetragen; und die ersten vier Kapitel sind als getrennteAufsätze erschIenen.Die Liste derjenigen, die mitgeholfen haben, ist wie gewöhnlich unmöglich lang; erwähnen kann ich lediglich die StanfordUniversity und ihr Philosophy Department, besondersPatrick Suppes, meine Kollegen Israel Scheffler, W. Vo Quineund Hilary Putnam, sowie meine Mitarbeiter am ProjektZero, Paul Kolers und Vernon Howard.Da die sieben Kapitel im Laufe von etwa sieben Jahrengeschrieben und umgeschrieben wurden und häufig eherVariationen über dasselbe Thema sind als die aufeinanderfolgenden Schritte eines Arguments, sind Wiederholungen
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unvermeidlich und, wie ich hoffe, verzeihlich. Meine Erfahrung mit Studenten und Kommentatoren hat mich lllchtdavon überzeugt, daß Wiederholungen unnötig sind.Unstimmigkeiten sind zwar weniger verzeihlich, aber hoffentlich auch seltener. Offenkundige Unzulänglichkeitendienen der Bequemlichkeit von Kritikern.Nur wenige der üblichen philosophischen Etiketten passenauf ein Buch, das mit dem Rationalismus ebenso auf Kriegsfuß steht wie mit dem Empirismus, mit dem Materialismusebenso wie mit dem Idealismus und dem Dualismus, mit demEssentialismus ebenso wie mit dem Existentialismus, mitMechanismus und Vitalismus, Mystizismus und Szientismussowie mit den meisten übrigen überhitzten Doktrinen. Wasdabei herauskommt, läßt sich vielleicht am besten als radikaler Relativismus unter strengen Einschränkungen bezeichnen, der auf eme Art Irrealismus hmausläuft.Gleichwohl glaube ich, daß dieses Buch zur Hauptströmungder modernen Philosophie gehört, die damit begann, daßKant die Struktur der Welt durch die StrUktur des Geistesersetzte, in deren Fortführung C. 1. Lewis die Struktur derBegriffe an die Stelle der Struktur des Geistes treten ließ, unddie nun schließlich dahin gekommen ist, die Struktur derBegriffe durch die Strukturen der verschiedenen Symbolsysterne der Wissenschaften, der Philosophie, der Künste, derWahrnehmung und der alltäglichen Rede zu ersetzen. DieBewegung verläuft von der einen und einzigen Wahrheit undeiner fertig vorgefundenen Welt zum Erzeugungsprozeßeiner Vielfalt von richtigen und sogar konfligierenden Versionen oder Weiten.
Nelson GoodmanHarvard UnivefSlty
Im Buch werden durchgängig die folgenden Abkürzungenverwendet:
SA The Structure ofAppearance (1951), Dordrecht 3 1977.FFF Fact, Fictwn, and Forecast (1954), Indianapolis und
Cambndge 31973; deutsch: Tatsache, Fiktwn, Voraussage,übersetzt von Hermann Vetter, Frankfurt/M. 1975·
LA Languages of Art (1968), Indianapolis und ~ambridge
1976; deutsch: Sprachen der Kunst, übersetzt von JürgenSchlaeger, Frankfurt/M. 1973·
pp Problems and ProJects, Indianapolis und New York
1972 .
Die ersten vier Kapitel wurden gesondert veröffentlicht als:
»Words, Works, Worlds«, in: Erkenntms 9 (1975);»The Status of Style«, in: Crttical Inquzry I (1975);»Some Questions concerning Quotation«, in: TheMonist
58 (1974);»When is Art?«, in: The Arts and Cogmtwn, herausgege-ben von David Perkins und Barbara Leondar, Baltimore
1977·
IWörter, Werke, Welten
I. Fragen
Zahllose Welten, durch Gebrauch von Symbolen aus demNichts erzeugt - so könnte ein Satiriker einige Hauptthemenim Werk Ernst Cassirers zusammenfassen. Diese Themen die Vielheit von Welten, die Scheinhaftigkeit des >Gegebenen<,die schöpferische Kraft des Verstehens, die Verschiedenartigkeit und die schöpferische Kraftvon Symbolen-sindwesentliche Bestandteile auth meines Denkens. Doch vergesse ichmanchmal, wie beredt sie von Cassirer' vorgetragen wurden;zum Teil vergesse ich es vielleicht deshalb, weil seine Betonungdes Mythos, sein Interesse an der vergleichenden Untersuchung von Kulturen und seine Rede vom menschlichenGeist irrtümlicherweise mit heutigen Neigungen zu einemmystischen Obskurantismus, einem antiintellektuellen Intuitionismus oder einem antiwissenschaftlichen Humanismus inVerbindung gebracht wird. In Wirklichkeit sind diese Einstellungen Cassirer ebenso fremd wie meiner eigenen skeptischen,analytischen und konstruktivistischen Orientierung.Es ist im folgenden weniger meine Absicht, bestimmte Thesen zu verteidigen, die Cassirer und ich teilen, als einenstrengen Blick auf einige Fragen zu richten, die sie aufwerfen.In welchem Sinn genau gibt es viele Welten? Was unterscheidet echte von unechten Welten? Woraus bestehen sie? Wiewerden sie erzeugt? Welche Rolle spielen Symbole bei derErzeugung? Und wie ist das Erschaffen von Welten auf dasErkennen bezogen? Diesen Fragen muß man sich auch dannstellen, wenn vollständige und endgültige Antworten noch inweiter Ferne liegen.
, Zum Belsplei In Ernst Cassirer, Sprache und Mythos, Hamburg '925 (Studien derBibliothek Warburg 6); wieder abgedruckt m: Ernst Cass!rer, Wesen und Wirkung desSymbolbegriffs, Oxford'956 und Darmstadt '956, S. 71-'58.
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rrilj 2. Versionen und Sichtwezsen
Wie William James' zweideutiger Titel, A Pluralisttc Untverse, andeutet, neigt der Streit zwischen Monismus undPluralismus dazu, sich bei näherer Betrachtung zu verflüchtigen. Wenn es nur eIne Welt gibt, umfaßt sie eine Vielfaltkontrastierender Aspekte; wenn es viele Welten gibt, ist ihreZusammenfassung eIne. Die eine Welt kann als viele oder dievielen können als eine aufgefaßt werden; ob eine oder viele,das hängt von der Auffassungsweise ab!Wamm betont Cassirer dann die Vielfalt von Welten? Inw.elchem wIchtigen und oft vernachlässigten Sinn gibt es vieleWelten? Es sollte klar sein, daß hier nicht von jenen möglichen Welten die Rede 1st, die viele meiner Zeitgenossen,besonders in der Nähe von Disneyland, so emsig erzeugenund manipulieren. Wir sprechen nicht von vielen möglichenAlternativen zu einer einzigen wirklichen Welt, sondern voneiner Vielheit wirklicher Welten. Wie solche Termini wie>real<, >unreal<, >fiktiv< und >möglich< zu interpretieren sind,Ist darm die nächste Frage.Betrachten wir zunächst die Aussagen »Die Sonne bewegt;ich Immer« und »Die Sonne bewegt sich nie«, die zwar beidegleich wahr sind, sich aber dennoch widerstreIten. Sollen wiralso sagen, daß sie verschIedene Welten beschreiben und daßes In der Tat so viele verschiedene Welten gibt, wie es solchewechselseItig sich ausschließende Wahrheiten gibt? Wir neigen eher dazu, die beiden Wortreihen nicht als vollständigeAussagen mit eigenen Wahrheitswerten, sondern als Ellipsenfür Aussagen etwa der folgenden Art zu betrachten: »ImBezugsrahmen A bewegt die Sonne sich immer«, und »ImBezugsrahmen B bewegt die Sonne sich nie« - Aussagen, diebeide von derselben Welt wahr sein können.Bezugsrahmen freilich scheinen weniger zum Beschriebenenals zum Beschreibungssystem zu gehören: Jede der beidenAussagen bezieht das Beschriebene auf ein solches System.2 vgl. aber dazu unten, Kap. VII, I.
Wenn ich nach der Welt frage, kann man mir als Antwortanbieten, wie sIe innerhalb eines oder mehrerer Bezugsrahmen beschaffen ist; wenp.lch aber darauf beharre, daß mirgesagt werde, wie sie'~ßerhalb' aller Bezugmihrnensei;was Ikann man mir dann sagen? Wir SInd bei allem, was beschrie- rben wird, auf Beschreibungsweisenbeschränkt. lIU$,eJ.'Um- ,ver~uIll besteht sozusagen aus diesen Weisenür;a nicht aus 'einer Welt oder aus Welten.Nun stellen diese alternativen Bewegungsbeschreibungen, dasie alle in nahezu gleichen Ausdrücken formuliert und routinemäßig ineinander übersetzbar sind, nur ein geringfügigesund eher blasses Beispiel für die Verschiedenheit von Weltauffassungen dar. .§,t:J1LVIel auffälliger ist dieg~oße Vielfaltvon VerSIOnen ,und Si~htWei~enm.cieneinzelIlen.Wissens'C1iäfien; in den Werken verschiedener Maler und Schriftsteller SOWIe in unseren Wahrnehmungen,. die geprägt sind vonMalerei und Literatur, von den jeweiligen Umständen undunseren eigenen Einsichten, Interessen und vergangenenErlebnissen. Selbst wenn man alle illUSOrIschen, falschen oderzweifelhaften Versionen beiseite läßt, bleiben die übriggebliebenen immer noch disparat. Wir haben hier keine geordnete Menge von Bezugsrahmen, keine fertigen Regeln, umPhysik, BiologIe und Psychologie ineinander zu transformieren, und schon gar keInen Weg, um eine von ihnen In VanGoghs Sichtweise oder Van Goghs Sicht in diejenige Canalettos zu transformieren. Diejenigen Versionen, die Abbildungen und nicht Beschreibungen sind, haben keinen Wahrheitswert im buchstäblichen Sinne und lassen sich nicht durchKonjunktion verknüpfen. Der Unterschied zwischen einembloßen Nebeneinanderstellen und der Konjunktion zweierAussagen hat kein eInsichtiges Analogon bei zwei Bildernoder bei eInem Bild und einer Aussage. Natürlich lassen sichdie scharf kontrastierenden Welt-Versionen relativieren: jedeist in einem gegebenen System richtig - für eine gegebeneWissenschaft, einen bestimmten Künstler, einen bestimmtenWahrnehmenden oder eine gegebene Situation. Auch hier
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wenden wir uns vom Beschreiben oder Abbilden »der Welt«ab und der Rede von Beschreibungen und Abbildungen zu,müssen aber jetzt sogar auf den Trost einer wechselseitigenÜbersetzbarkelt oder einer klaren Organisation der verschiedenen Systeme verzichten, um die es geht.Unterscheidet sich aber eine richtige von einer falschen Version nicht einfach darin, daß sie auf die Welt zutrifft, so daßRichtigkeit selbst von einer Welt abhängt und sie impliziert?Bessersollten wir sagen, daß »die Welt« von der Ris:htigke,itJ1bhäqgt. Wir können eine Vers[on nicht dadurch prüfen, daß.;rr sie mit einer unbeschriebenen, mcht abgebildeten undnicht wahrgenommenen Welt verglelche~, sondern nurdurch andere Mittel, die ich später erörtern werde. Auchwenn wir sagen können, die richtigen Versionen bestimmenheiße, »etwas über die Welt zu erfahren« - wobei dann unterstellt ist, »die Welt« sei das, was alle richtigen Versionenbeschreiben -, so gewinnen wir doch unsere Erfahrungenüber die Welt nur im Rahmen richtiger Versionen von ihr;und wenn man auch die zugrunde liegende Welt jenseitsdieser Versionen gegenüber denen, die daran hängen, nichtabzustreiten braucht, ist diese Welt vielleicht doch eine ganzund gar verlorene. Vielleicht scheint es uns gelegentlich nützlich, eine RelatIon zu definieren, die Versionen so zu Bündelnzusammenfaßt, daß Jedes davon eine Welt konstituiert unddie emzelnen Glieder des Bündels Versionen jener Welt sind;doch für viele Zwecke lassen sich richtige Weltbeschreibungen, Weltabbildungen und Weltwahrnehmungen, also die»Weisen, wie die Welt ist« oder eben die Versionen, alsunsere Welten behandeln)Da kaum zu bestreiten ist, daß es viele verschiedene WeltVer-sionen gibt und die Frage, ob und wieviele Welten-ansich es gibt, praktisch leer ist - in welchem nicht-trivialt:nSinn gibt es dann viele Welten, wie Cassirer und ähnlichdenkende Pluralisten betonen? ,!~~ glaube, genau in dem
3 Vgl. Nelson Goodman, »The Way the World is« (1960), m: PP, S. 24-32, undRichard ROrIy, »The World Weil Lost«, m:]oumal ofPhilosophy 69 (1972), S.649-665.
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Sinnedlaß viele verschiedeneWelt-Yersionen unabhängigvonemander von Thteresse undWichtigkelt.~lnc!,. ohne. cla.ß"hrdabeiimrhindesteri zu fordern oder vorauszu~etzenhätten:sie ließen SICh alle auf ein:emzlge, grundlegen~eFe~uzleren. Der Pluralist, alles andere alsantIwissenschaftlich gesonnen, akzeptIert die Wissenschaften in ihrem ganzen Umfang.Sein typischer Gegner ist der monopolistische Materialistoder Physikalist, der behauptet, ein einziges System, nämlichdie Physik, sei vorrangig und allumfassend, weshalb Jedeandere Version letztlich auf diese reduziert und andernfallsals falsch oder bedeutungslos verworfen werden müsse.Wenn alle richtigen VersIOnen Irgendwie auf eine und nureine. reduziert werden könnten, dann ließe sich diese eine miteinigem Anschein von Plausibilität4 als die einzige Wahrheitüber die einzige Welt betrachten. Es spricht jedoch sehrwemg für eine solche Reduzierbarkelt; schon eme solcheThese ist nebulös, da die Physik selbst fragmentarisch ist,Wandlungen unterliegt und die Art der anvisierten Reduktion und ihre Folgen unklar sind. (Wie geht man zum Beispielvor, um die Weltansicht von Constable oder ]oyce auf diePhysik zu reduzieren?) Ich bin sicherlich der letzte, der KonstruktIon und Reduktion unterschätzte. 5 Eine Reduktion voneinem System auf ein anderes kann einen echten Beitrag zumVerständnis der Wechselbeziehungen zwischen Welt-Versionen leisten: doch Reduktion in einem einigermaßen strengenSinn ist selten, fast immer partiell und, wenn. überhaupt,selten eindeutig. Vollständige Reduzierbarkeit einzig auf diePhysik oder eine andere EinzelversIOn zu verlangen, heißt auffast alle anderen VersIOnen zu verzichten. Daß der Pluralistauch Versionen akzeptiert, die von der Physik abweichen,bedeutet keme Aufweichung, sondern die Anerkennung, daßzwar andere, aber nicht weniger anspruchsvolle Maßstäbe alsin den Wissenschaften dann angemessen sind, wenn es um die4 Doch nicht mit großer Plausibilität, da kem einzelner Typus der ReduzierbarkeItallen Zwecken dient.5 Vgi. Nelson Goodman, »The RevlSIon of Philosophy« (1956), m: PP, S. 5-23, sowIeSA.
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Einschätzung dessen geht, was in perzeptiven, bildlichenoder literansehen Versionen übermittelt wird.Solange gegensätzliche rIchtige Versionen, die nIcht alle aufeine einzige reduzierbar sind, zugelassen werden, ist EinheitnIcht m emem ambivalenten oder neutralen Etwas unterhalbdieser Versionen zu suchen, sondern in emer sie alle umfassenden Organisation. Casslrersucht danach auf dem Wegeemer transkulturellen Erforschung der Entwicklung vonMythos, Religion, Sprache, Kunst und Wissenschaft. MeinWe.~ hingegen. ISt. der einer analytischen Erforschung;~nTypen und Funktionen von Symbolenund Symbolsystemen.Weder Im einen noch im anderen Fall sollte man ein eindeutiges Resultat erwarten; Universen von Welten, ebenso wieWelten selbst, können auf viele Welsen erbaut werden.
]. Wie fest soll das Fundament sem?
Der nicht-kantische Gedanke einer Vielzahl von Welten isteng verwandt mit dem kantischen Gedanken, daß der Begriffeines reinen Inhalts leer sei. Der eine spricht uns die eine,einzige Welt ab, der andere den gemeinsamen Stoff, aus deinWelten erzeugt werden. Zusammengen'ommen stellen sichdiese Thesen unserem intuitiven Verlangen nach emem uner"schütterlichen Fundament entgegen und setzen uns derGefahr aus, dem Wuchern unserer eigenen unkontrolliertenPhantasien zu erliegen.Der durchschlagende Einwand gegen eine Wahrnehmungohne Begriff, gegen das rein Gegebene, gegen die absoluteUnmittelbarkeit, das unschuldige Auge, Substanz als Substrat, Ist so umfassend und häufig vorgebracht worden - vonBerkeley, Kant, Cassirer, Gombrich6
, Bruner7 und Vielen6 In Art and IllusIOn argumentiert Ernst H. Gombrich an vielen Stellen gegen denGedanken vom »unschuldigen Auge«. (Ernst H. Gombnch, Art and IllusIon [1960];deutsch: Kunst und IllusIOn. Zur PsychologIe der bildlichen Darstellung, übersetzt vonLisbeth Gombnch, Köln 1967; Stuttgart 1978. Siehe das Stichwort "Auge, Unschulddes« Im RegISter.)7 Siehe die Essays In Jerome S. Bruner, Beyond the InformatIOn Given, herausgegebenvon Jeremy M. Anglin, New York 1973, Kap. I [im folgenden zitiert als BI].
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anderen -, daß er hier nIcht Wiederholt werden muß. DieRede von emem unstrukturierten Inhalt, begriffslos Gegebenen oder eigenschaftslosen Substrat wIderlegt sich selbst;denn Rede gibt Strukturen vor, bildet Begriffe, schreibtEigenschaften zu. Zwar ist Begreifen ohne Wahrnehmungleer, aber Wahrnehmung ohne Begreifen blind (völlig wirkungslos). Prädikate, Bilder, andere Etiketten, Schemataüberleben auch ohne Anwendung, doch Inhalt ohne Formverflüchtigt sich. Wir können zwar Wörter ohne eine Welthaben, aber keine Welt ohne Wörter oder andere Symbole.Die vielen Stoffe, aus denen man Welten erzeugt - Materie,Energie, Wellen, Phänomene -, werden zusammen mit denWelten erzeugt. Aber erzeugtworaus? Jedenfalls nicht ausnichts, sondern aus anderen Welten. Das uns bekannte Welte;zeugen geht stets von bereits vorhandenen Wehen aus; dasErschaffen ist ein Umschaffen. Anthropologie und Entwicklungspsychologie können zwar die Sozial- und Individualgeschichte solcher Weltschöpfungen erforschen, doch dieSuche nach einem allumfassenden oder notwendigen Anfangsollte man doch lieber der Theologie überlassen.8 Me.ii1 Interesse richtet Sich vielmehr auf die Prozesse, die helm Aufbau-elnei)X1elt a~safideren Welten rmSpielsmd;N;~hd~~didälscneHoffnung aufelile-feste Grundlage verschwunden und die Welt ersetzt ist durch Welten, die nichtsals Versionen sind, nachdem Substanz sich in Funktion aufgelöst und das Gegebene als ein Genommenes erkanntwurde, stehen wir nun vor den Fragen, wie Welten erzeugt,getestet und erkannt werden.
8 Vgl. SA, S. 127-145; und "Sense and Certainty« (1952) SOWie "The EplStemologicalArgument« (1967) In: PP, S. 60-75. Wir könnten die Konstruktion einer Geschichte dersukzessiven EntWIcklung von Welten so auffassen, daß an ihr die Anwendung von soetwas wie einem kantiamschen reguiativen PrinZip beteiligt ist, weshalb die Suche nacheiner ersten Weit ebenso fehlgeleitet wäre WIe die Suche nach einem ersten Zeitmoment.
4. Weisen der Welterzeugung
Ohne mich zu vermessen, die Götter und andere Weltenschöpfer belehren oder einen umfassenden und systematischen Überblick versuchen zu wollen, möchte ich einige derProzesse illustrieren und kommentieren, die bei der Welterzeugung eine Rolle spielen. In Wirklichkeit beschäftige ichmich mehr mit bestimmten Beziehungen zwischen Welten alsdamit, wie oder warum einzelne Welten aus anderen erzeugtwerden.
a) Komposition und DekompositionBei der Welterzeugung besteht vieles, aber keineswegs allesaus Zerlegung und Zusammenfügung, häufig aus beidemzugleich: einerseits der Aufteilung von Ganzem in 'feile undder Unterteilung von Arten in Unterarten, der Analyse vonKomplexen in charakteristische Bestandteile sowie darin,Unterscheidungen zutreffen; andererseits aus der Zusammensetzung von Ganzheiten und Arten aus 'feilen, Gliedernund Unterklassen, aus der Kombination von Merkmalen zuKomplexen und dem Herstellen von Verbindungen. SolcheKomposition und Dekomposition wird normalerweise vollzogen, gestützt oder gefestigt durch die Verwendung vonEtiketten: Namen, Prädikaten, Gesten, Bildern usw. So werden zum Beispiel zeitlich verschiedene Ereignisse unter einemEigennamen zusammengebracht oder so identifiziert, daß sie>ein Objekt< oder >eine Person< konstituieren; oder Schneewird in den Termini des Eskimo-Vokabulars in mehrere verschiedene Materialien gesondert. Die metaphorische Übertragung - wenn zum Beispiel Geschmacksprädikate aufKlänge angewandt werden - kann eine doppelte Reorganisation bewirken, mdem sie sowohl den neuen Anwendungsbereich umsortiert als ihn auch zu dem alten in Beziehung setzt(LA, II).Identifikation beruht auf der Einteilung in Entitäten undArten. Die Antwort auf die Frage »Dasselbe oder nicht das-
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selbe?« muß immer lauten: »Dasselbe Was?«9 VerschiedeneSo-und-sos können dasselbe Das-und-das sein: das, woraufwir verbal oder auf irgendeine andere Weise zeigen oderhinweisen, können zwar verschiedene Ereignisse, aber dasselbe Objekt sein; verschiedene Städte, aber derselbe Staat;verschiedene Mitglieder, aber derselbe Klub; oder verschiedene Klubs, aber dieselben Mitglieder; verschiedene Spielgelegenheiten, aber dasselbe Ballspiel. Der >Ball im Spiel< eineseinzelnen Spiels kann aus zeitlichen Abschnitten von einemDutzend oder mehr Bällen zusammengesetzt sein. Der Psychologe, der das Kind zur Konstanzbeurteilung auffordert,wenn der Inhalt eines Gefäßes in ein anderes Gefä:ß umgeschüttet wird, muß sorgfältig darauf achten, um welche Konstanz es geht - Konstanz des Volumens, der Tiefe, der Formoder der Materialart des Gefäßes usw. IO Identität oder Konstanz in einer Welt ist Identität hinsichtlich dessen, was esinnerhalb dieser Welt, so wie sie organisiert ist, gibt.Kunterbunte Entitäten, die sich wechselseitig in komplizierten Mustern überschneiden, können derselben Welt angehören. Wir erzeugen nicht jedesmal eine neue Welt, wenn wirdie Dinge auf eine andere Weise zerlegen oder zusammensetzen; Welten können sich jedoch darin unterschetden,daßnicht alles, was zur einen gehört, auch zur andern gehört. DieWelt des Eskimos, der den umfassenden Begriff >Schnee<nicht gebildet hat, unterscheidet sich nicht nur von der Weltdes Samoaners, sondern auch von der Welt des Neu-Engländers, der die Unterscheidungen des Eskimos nicht erfaßt hat.In anderen Fällen ist der Unterschied zwischen Welten eineFolge theoretischer, nicht praktischer Bedürfnisse. Eine Weltmit Punkten als Elementen kann nicht die WhiteheadscheWelt sein, die Punkte als bestimmte Klassen verschachtelterVolumina oder als bestimmte Paare sich schneidender Gera-
9 Dies erfordert keine Modifikation der Leibmz-Fonnel für Identltät, wie gelegentlichangenommen wird, sondern erinnert uns iediglich daran, daß die Antwort auf die Frage»Ist dies dasselbe Wie Jenes?« davon abhängen kann, ob das »dies« und das »jenes« In derFrage Bezug nehmen auf Ding, Ereigms, Farbe oder Art usw.10 Siehe BI, S. 331-340.
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den oder als bestimmte Tripel sich schneidender Ebenen auffaßt. Daß die Punkte unserer Alltagswelt In jeder dieser Weisen ebenso gut definiert werden können, bedeutet nicht, daßein Punkt in Jeder beliebigen Welt mit einem Satz von Volumina und einem Geradenpaar und einem Ebenentripel identifiziert werden kann, denn sie alle unterscheiden sich voneinander. Die Welt eines Systems, das die kleinsten konkretenPhänomene als atomare auffaßt, kann wiederum nicht Qualitäten als atomare Bestandteile dieser Konkreta zulassen. I'
Wiederholung ist ebenso wie Identifikation relativ zu Organisation. Eine Welt kann eine widerspenstige Heterogenitätaufweisen oder unerträglich monot~n sein, Je nachdem, wieEreignisse In Arten einsortiert werden. Ob das heutige Expenment das gestrige wiederholt oder nicht, wie verschieden diebeiden Ereignisse auch Immer sein mögen, hängt davon ab,ob sie eIne gemeinsame Hypothese testen. Sir George Thomson schreibt:
.Etwas wird immer anders sein (...) Wenn man sagt, man Wiederholeem Experiment, so heißt dies, daß man alle diejenigen Merkmaleeines Expenments wlederhoit, die eme Theorie als relevantbestimmt. Mit anderen Worten, man wiederholt das Experiment alsem Beispiel der Theorie. Il
Ebenso sind zwei Musikaufführungen, die sich voneinanderdrastisch unterscheiden, gleichwohl Aufführungen desselbenWerks, wenn sie mit derselben Partitur übereinstimmen. DasNotationssystem unterscheidet konstitutive vonkontingenten Merkmalen und greift damit die Aufführungsarten heraus, die als Werke zählen (LA, III,4-IV,2). Und die Dinge>gehen in derselben Welse weiter<, je nachdem, was als dieselbe Welse betrachtet wird; >Jetzt kann ich weiter<'J, imSinne Wittgensteins, wenn Ich ein vertrautes Muster oder eine" Siehe dazu auch SA, S. 3-22, '32-'35, '42 -'45.'2 Sir George Thomson, »Some Thoughts on Scientific Method" (1963), m: BostonStudies zn the Philosophy ofSaence 2 ('965), S. 85.I, Die Diskussion darüber, was dies bedeutet; erstreckt sich über viele Paragraphen,etwa von § '42 an, m LudWIg Wittgenstem, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt/Mo '960, hier S. 357. Ich will damIt nicht sagen, daß die von m,r gegebene AntwortdieJemge Wittgensteins 1st.
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nicht zu stark abweichende Variante eines solchen gefundenhabe, die paßt und über die gegebenen Fälle hinausgeht.Induktion erfordert, daß einige Klassen unter Ausschlußanderer als relevante Arten aufgefaßt werden. Nur so zeigenzum Beispiel unsere Beobachtungen von Smaragden eineRegelmäßigkeit und bestätigen, daß alle Smaragde grün undnicht glau sind (>glau< heißt: vor einem bestimmten Zeitpunktgeprüft und grün, oder nicht so geprüft und blau - FFF, In,4). Die Einförmigkeit der Natur, über die wir staunen, oderdie Unzuverlässigkeit, die wir beklagen, gehört zu einerWeh, die wir uns selbst geschaffen haben.In diesen letzten Fällen unterscheiden sich Welten In denrelevanten Arten, die sie umfassen. Aus zwei Gründen sageich >relevant< und nicht >natürlich<: erstens ist der Terminus>natürlich< nicht dazu geeignet, sowohl biologische Speziesals auch so künstliche Arten wie musikalische Werke, psychologische Experimente und Maschinentypen zu umfassen;und zweitens deutet >natürlich< auf eine absolute kategonaleoder psychologische Priorität hin;wohIngegen die fraglichenArten eher solche sind, die aus Gewohnheit oder Traditionvertraut oder für einen neuen Zweck erdacht worden sind.
b) GewichtungObwohl wir sagen können, daß in den diskutierten FälleneInige relevante Arten 14 der einen Welt in einer anderen Weltfehlen, sollten wir vielleicht besser sagen, daß die beidenWelten genau die gleichen Klassen enthalten, die Jedochunterschiedlich In relevante und irrelevante Arten eingeteiltsind. Einige relevante Arten der einen Welt fehlen nicht etwain der anderen, sondern kommen darin als irrelevante vor;manchmal unterscheiden sich Welten nicht so sehr im Hinblick auf die Entitäten, die sie umfassen, als vielmehr in derBetonung oder im Akzent, und diese Unterschiede sind nichtweniger folgerichtig. Ebenso wie man keine Silbe betont,
14 Ich spreche hIer zwanglos von Arten. Zu den Weisen der Nominalislerung soichenRedens SIehe SA, lI, und PP., IV.
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!'I'I,
wenn man alle betont, faßt man keine Klasse als relevant auf,wenn man allen Relevanz zuspricht. In einer Welt könnenzwar viele Arten unterschiedlichen Zwecken dienen; konfligierende Zwecke können jedoch - ebenso wie konfligierendeAuffassungen davon, welche Arten einem gegebenen Zweckdienen - unversöhnliche Akzentsetzungen und gegensätzliche Welten zur Folge haben. Glau kann nicht 1n derselbenWelt wie grün eine für die Induktion relevante Art sein, denndies würde einige (richtige oder falsche) Entscheidungen ausschließen, die das induktive Schließen ausmachen.Einige der auffälligsten Kontraste in der Betonung zeIgen sichin den Künsten. Viele Unterschiede zwischen Bildern vonDaumier, Ingres, Michelangelo und Rouault betreffen denAkzent, der auf verschiedene Aspekte gelegt wird. Natürlichist das, was als Betonung zählt, eine Abweichung von demrelativen Vorrang, den wir den jeweiligen Merkmalen in derWelt, wie wir sie gewöhnlich sehen, einräumen. Mit wechselnden Interessen und neuen Einsichten ändert sich die visuelle Gewichtung von Merkmalen des Volumens, der. Linie,der Haltung oder des Lichts, und die Welt auf dem Stand vongestern erscheint seltsam verkehrt - die realistische Kalenderlandschaft von gestern wird zu einer abstoßenden Karikatur.Diese Betonungsunterschiede laufen auch auf einen Unterschied in den als relevant erachteten Arten hinaus. Verschiedene Darstellungen des gleichen Sujets können dieses alsogemäß verschiedenen kategorialen Schemata anordnen.Ebenso wie ein grüner Smaragd und ein glauer, auch wenn esderselbe ist, gehören ein Chrzstus von Piero della Francescaund einer von Rembrandt zu Welten, die in verschiedeneArten eingeteilt smd.Für Kunstwerke 1st es jedoch charakteristisch, relevanteArten eher zu illustrieren als zu benennen oder zu beschreiben. Selbst dort, wo die Anwendungsbereiche - die beschriebenen oder abgebildeten Dinge - zusammenfallen, könnendie exemplifizierten oder ausgedrückten Merkmale oder
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Arten sehr verschieden sein. Eine Strichzeichnung von weichdrapiertem Tuch kann rhythmische Linienmuster exemplifizieren; und ein Gedicht, in dem kein einziges Wort für Traurigkeit vorkommt und keine einzige traurige Person erwähntwird, kann in seiner Sprachqualität traurig sein und in prägnanter Weise Trauer ausdrücken. Der Unterschied zwischen Sagen und Darstellen einerseits und Zeigen oder Exemplifizieren andererseits zeigt sich noch deutlicher im Fall derabstrakten Malerei, der Musik und des Tanzes, die zwarkeinen Stoff haben, gleichwohl aber Formen und Gefühlemanifestieren, das heißt exemplifizieren oder ausdrücken.Obwohl Exemplifikation und Ausdruck m eine Richtungverlaufen, die der der Denotation genau entgegengesetzt IStd. h. vom Symbol aus zu emem seiner buchstäblichen odermetaphorischen Merkmale (statt zu etwas, worauf das Symbol zutrifft) -, sind sie darum nicht weniger symbolischeBezugnahmefunktionen und Instrumente der Welterzeugung. 15
Betonung oder Gewichtung ist nicht immer binär wie dasSortieren in relevante und Irrelevante Arten oder in wichtigeoder unwichtige Merkmale. Einstufungen nach Relevanz,Wichtigkeit, Nützlichkeit oder Wert ergeben häufig eherHierarchIen statt Dichotomien. Solche Gewichtungen sindauch Beispiele für einen besonderen Typus des Ordnens.
c) OrdnenWelten, die sich hinsichtlich ihrer Entitäten oder m der Betonung nicht unterscheiden, können doch verschieden geordnet sein; zum Beispiel unterscheiden sich die Welten unterschIedlicher konstruktiVIstischer Systeme hmsichtlich ihrerAbleltungsordnung. So wie außerhalb eines Bezugsrahmensnichts m Ruhe oder in Bewegung ist, ist außerhalb einesKonstruktionssystems nichtsemfach oder in der Ableitungvorrangig. Im Unterschied zur Bewegung ist Ableitung
I j Zu ExemplifikatIOn und Ausdruck ais Referenzrelatlonen sIehe LA, II, Z"3, und11,9·
jedoch kaum von unmittelbar praktischem Interesse; deshalbführen wIr in unsere Alltagswelt nur selten eine Ableitungsbasis ein, auch wenn wir uns fast immer auf einen Bezugsrahmen festlegen, zumindest zeitweise. Ich sagte schon, daß derUnterschied zwischen einer Welt, die Punkte als Paare vonGeraden versteht, und einer Welt, die Geraden als aus Punkten zusammengesetzt denkt, darin liegt, daß nur die letztere,nicht aber die erstere nichtlineare, in Geraden enthalteneElemente als EntItäten zuläßt. Umgekehrt können wIr jedochsagen, daß sich diese Welten in ihrer derivativen Ordnungvon Geraden und Punkten von der nicht-derivativ geordneten Welt des Alltagsdiskurses unterscheiden.Ordnungen eines anderen Typs durchdringen die Wahrnehmung und das· praktische Erkennen. Die konventionelleAnordnung der Farbhelligkeit folgt der linearen Zunahmeder physikalischen Lichtintensität, doch die konventionelleAnordnung der Farbtöne biegt die gerade Linie der zunehmenden Wellenlänge in einen Kreis um. Ordnung schließtebensosehr Periodizität wie Nachbarschaft ein; die konventionelle Anordnung der Töne erfolgt nach Tonhöhe undOktave. Ordnungen ändern sich mit den Umständen undZielsetzungen. Ebenso wie sich Gestalten je nach verschiedenen Geometrien in ihrem Wesen verändern, richten sich auchwahrgenommene Strukturen nach verschiedenen Ordnun~
gen; die nach einer Zwölftonskala wahrgenommenen Mustersll1d völlig verschieden von denen, die nach der traditionellenAchttonskala wahrgenommen werden, und Rhythmen sindabhängig von der Einteilung in Takte.Eine völlig neue Ordnung wiederum ganz anderer Art ergibtSIch, wenn man aus der Informationsfolge, die das Abtastenell1er Bildvorlage liefert, wieder ein stehendes Bild aufbautoder wenn man aus zeitlich, räumlich und qualitativ heterogenen Beobachtungen und anderen Informationsbestandteilen ein ell1heitliches und umfassendes Bild eines Gegenstandes oder emer Stadt konstruiert. ~6 Manche Schnelleser stellen16 Siehe j(evyn Lynch, The Image ofthe City, Cambridge, Mass. 1960.
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die normale Wortfolge wieder her, nachdem sie erst die linkeBuchseite von oben nach unten und dann die rechte Seitevon unten nach oben mehrfach fixiert haben. 17 Und dieräumliche Ordnung auf einer Landkarte oder auf einer Partitur wird in eine zeitliche Abfolge einer Reise oder· einerAufführung übersetzt.Außerdem beruht auch alles Messen auf Ordnung. In derTat können wir nur aufgrund geeigneter Anordnungen undGruppierungen mit großen Materialmengen perzeptiv oderkognitiv umgehen. Gombrich erörtert die Dezimaleinteilung der historischen Zeit in Jahrzehnte, Jahrhunderte undJahrtausende.'8 Die Tageszeit wird in vierundzwanzig Stunden unterteilt, Jede davon in sechzig Minuten zu Je sechzigSekunden. Was man über diese Organisationsmodi auchimmer sagen kann, sie werden jedenfalls nicht >in der Weltvorgefunden<, sondern in eme Welt emgebaut. Ebenso wiedas Zusammensetzen, Zerlegen und Gewichten von Ganzheiten und Arten hat auch das Ordnen teil am Welterzeugen.
d) Tilgung und ErgänzungZum Erzeugen einer Welt aus einer anderen gehört gewöhnlich auch ein umfangreiches Weglassen und Auffüllen - tatsächlich muß einiges von dem alten Material weggeschnittenund neues hinzugefügt werden. Unsere Fähigkeit, Dinge zuübersehen, ist praktisch unbegrenzt, und was wir tatsächlichaufnehmen, besteht gewöhnlich aus bedeutungsvollen Fragmenten und Hinweisen, die einer beträchtlichen Ergänzungbedürfen. Davon machen Künstler oft geschickt Gebrauch:eine Lithographie von Giacometti st~llt einen gehendenMann durchaus vollständig dar, obwohl sie nur Kopf,Hände und Füße in genau den richtigen Haltungen und Stellungen auf einer weißen Papierfläche skizziert; und eine17 Siehe E. L1ewellyn Thomas, "Eye Movements in Speed Reading«, m: Speed Readmg: Practtces and Procedures, Newark 1962, S. 104-114.18 Ernst H. Gombnch, "Zelt, Zahl und Zeichen«, Vortrag bel der Cassirer-Feler inHamburg '974.
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Zeichnung von Katharine Sturgis bringt einen Hockeyspielerin Aktion durch eme einzige energische Linie zum Ausdruck.Daß wir finden, was wir zu finden vorbereitet sind (nämlichwas wir suchen oder was unsere Erwartungen energisch enttäuscht), und daß WIr meist blind sind für das, was unsereBestrebungen weder fördert noch behindert, das sindGemeinplätze des Alltagslebens, die im psychologischenLabor hinreichend bestätigt wurden. '9 Bei der mühsamenErfahrung des Korrekturlesens und bei der angenehmerenErfahrung, einem gewandten Zauberer zuzuschauen, vermissen wir unweigerlich etwas, das da 1st, und sehen etwas, dasnicht da ist. Das Gedächtnis redigiert noch rücksichtsloser.So kann eine Person, die zwei Sprachen gleich gut beherrscht,sich zwar an eine gelernte Liste von Wörtern erinnern, abervergessen haben, in welcher Sprache sie aufgeschriebenwaren!OSogar in den Bereich dessen, was wir tatsächlich wahrnehmenund erinnern, greifen wir ein und schließen alles als Täuschung oder als vernachlässigbar aus, was sich der Architektur der Welt, die wir bauen, nicht einfügen läßt.Der Wissenschaftler verfährt nicht weniger drastisch, wenner die meisten Dinge und Ereignisse, die in unserer Alltagswelt vorkommen, ausrangiert oder einem Reinigungsprozeßunterwirft, während er andererseits jede Menge Ergänzungenvornimmt, um Kurvenverläufe zu vervollständigen, diedurch verstreute Daten angedeutet werden, und auf dürftigerBeobachtungsbasis komplizierte Strukturen errichtet. Sosucht er eine Welt zu bauen, die mit den Begriffen übereinstimmt, die er gewählt hat, und den universellen Gesetzengehorcht, die er vorgegeben hat.Die Ersetzung eines sogenannten analogen Systems durch einsogenanntes digitales, nämlich durch Gliederung in einzelne
'9 Siehe Neison Goodrnan, »On Perceptual Readiness« (1957),10: BI, S. 7"42.20 Siehe Paul Koters, »Bilinguals and Information Processmg«, m: Saentific Amencan218 (1968), S. 76"86.
Schritte, schließt Tilgungen ein. So bedeutet zum Beispiel dieVerwendung eines Digitalthermometers mit Zehntelgrademteilung, daß zwischen 90 und 90,1 Grad kerne Temperaturerfaßt wird. Eine ähnliche Tilgung tritt bei der musikalischenStandardnotation auf, die keine Tonhöhe zwischen c und cisund keine Tondauer zwischen einem Vierundsechzigstel undeinem Hundertachtundzwanzigstel berücksichtigt. Andererseits werden Ergänzungen vorgenommen, wenn zum Beispiel ein analoges Instrument ein digitales ersetzt, um dieAnwesenheit von Personal zu registrieren, Geldmengenzuwächse anzuzeigen - oder wenn ein Geigenspieler nach demNotentext spielt.Vielleicht die spektakulärsten Fälle von Ergänzung findensich bei der Bewegungswahrnehmung. Bewegung in der Weltder Wahrnehmung ist manchmal das Resultat einer verwikkelten und überschießenden Umsetzung der physischenReize. Psychologen kennen schon seit langem das sogenannte,Phi-Phänomen<: wenn unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen zwei Lichtflecke in kurzem räumlichen Abstand undrascher zeitlicher Folge zum Aufleuchten gebracht werden,sieht der Betrachter normalerweise einen Lichtfleck, der sichkontinuierlich auf einem Weg von der ersten zur zweitenPosition hin bewegt. Das ist an sich schon bemerkenswertgenug, da die Bewegungsnchtung natürlich nicht vor demzweiten Aufleuchten bestimmt gewesen sein kann; aber dieWahrnehmung hat sogar noch größere kreative Kraft. PaulKolers hat vor einiger Zeit gezeigt2I
, daß dann, wenn der ersteReizfleck kreisförmig und der zweite quadratisch ist, dergesehene Fleck sich glatt vom Kreis in das Quadrat verwandelt. Auch Transformationen zwischen zwei- und dreidimensionalen Formen werden häufig mühelos vollzogen. Undwenn zwischen die beiden Reizfleckeeine Lichtschrankegestellt wird, umgeht der Fleck die Schranke sogar. Warumdiese Ergänzungen gerade so auftreten, ist ein faszinierendesThema für Spekulationen (siehe unten, V).21 Paul Kolers, Aspects of MotIOn PerceptlOn, Oxford 1972, S. 47 ff.
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e) DeformationEinige Veränderungen schließlich sind Umgestaltungen oderDeformationen, die sich Je nach Gesichtspunkt entweder alsKorrekturen oder ais Verzerrungen betrachten lassen. DerPhysiker zieht die einfachste grobe Kurve, die zu allen seinenDaten paßt. Die Gesichtswahrnehmung verlängert eineLime, die mit nach znnen gerichteten Pfeilen endet, währendsie eine physikalisch gleiche Linie mit nach außen gerichtetenPfeilenden verkürzt [Müller-Lyer oder Pfeiltäuschung A.d. Ü.], und sie neigt dazu, eine kleinere und wertvollereMünze im Verhältnis zu einer größeren und wenigerwertvolien zu vergrößern. 22 Karikaturisten überschreiten häufig denPunkt, an dem das Überpointierte in tatsächliche Verzerrungübergeht. Picasso beginnt mit Velazquez' Las Menznas,Brahms mit einem Thema von Haydn; beide zaubern darausVariationen hervor, die sich als Offenbarungen erweisen.
Dies sind aiso Weisen, in denen Welten erzeugt werden. Ichsage nicht: dies sind die Weisen. Meine Klassifikation beansprucht nicht, umfassend, klar abgegrenzt oder verbindlichzu sein. Die illustrierten Prozesse treten nicht nur häufig inKombination miteinander auf, sondern die gewählten Beispieie passen häufig auch gieich gut unter mehr ais eineRubrik. Zum Beispiel lassen sich einige Veränderungenjeweils entweder als Neugewichtung, Neuordnung oderNeugestaltung oder als alles drei betrachten, und emige Tilgungen smd zugieich Fälle unterschiedlicher Komposition.Ich wollte iediglich auf die Vielfalt von Prozessen hinweisen,die wir ständig gebrauchen. Zwar ließe sich sicherlich einestraffere Systematisierung entwickeln, aber keine kann endgüitig sein; denn - Wie schon gesagt ~ eine einzige Welt allerWelten gibt es ebensowenig wie eine einzige Welt.
22- Siehe Neison Goodman, »Vaiue anrl Need as Organizing Facts in Perceptloo«(1947), in: BI, S. 43-56.
5· SchWtertgketten mtt der Wahrhett
Bei all· dieser Freiheit zu unterteilen und zu verbinden, zubetonen, zu ordnen, wegzuiassen, zu ergänzen und auszufüllen oder gar zu verzerren: Welches sind die Ziele, und woliegen die Grenzen? Welche Kntenen entscheiden, ob dieSchöpfung einer Welt erfoigreich ist?Sofern eme VerSlOn sprachlicher Natur ist und aus Aussagenbesteht, kann Wahrheit relevant sein. Wahrheit kann jedochnicht durch Übereinstimmung mit >der Welt< definiert odergeprüft werden. Denn nicht nur ist in verschiedenen WeltenVerschiedenes wahr, sondern darüber hinaus ist bekanntermaßen unklar, was Übereinstimmung einer Welt-Version miteiner davon unabhängigen Weh sein soll. Vielmehr Wird eineVerSlOn - grob gesagt, ohne damit die Pilatus-Frage oder dieTarski-Frage beantworten zu wollen - dann für wahr gehalten> wenn sie keinen hartnäckigen Überzeugungen widerspricht und keine ihrer eigenen Vorschriften verletzt. Zu denÜberzeugungen, die zu einer bestimmten Zeit stabil sind,können langlebige Vorstellungen über Gesetze der Logiksowie kurzlebige Überlegungen zu jüngeren.Beobachtungengehören sowie andere Überzeugungen und Vorurteile, dieunterschiedlich tief verwurzelt sind. Zu den Vorschriftenkönnen beispielsweise Entscheidungen zwischen alternativenBezugsrahmen, Gewichtungen und Abieitungsbasen gehören. Die Lime zwischen Überzeugungen und Vorschriften istjedoch weder trennscharf noch beständig. Überzeugungensind in Begriffe gefaßt, die von Vorschriften geprägt sind.Wenn Boyle seine Daten zugunsten einer glatten Kurve verwirft, die sie am Ende gerade alle verfehlt, dann können wirentweder sagen, Voiumen und Druck in der Beobachtungse~en andere Eigenschaften als Volumen und Druck in derTheorie, oder über Druck und Volumen m den beiden Welten der Beobachtung und der Theorie sei Verschiedeneswahr. Selbst die unerschütterlichste Überzeugung kann mitder Zeit Alternativen zulassen; »Die Erde steht still" hat sich
aus einem Dogma in einen Satz verwandelt, dessen Wahrheitvon eIner Vorschrift abhängt.Die Wahrheit ist alles andere als eme erhabene und gestrengeHerrin; sie 1st eine gefügige und gehorsame Dienerin. DerWissenschaftler, der anmmmt, er Widme sich ausschließlichder Suche nach Wahrheit, täuscht sich selbst. Er kümmertsich nicht um triviale Wahrheiten, die er endlos herunteriei~
ern könnte; und m den facettenreichen und regellosen Resultaten von Beobachtungen achtet er nur auf Andeutungenübergreifender Strukturen und signifikanter Verallgemeinerungen. Er sucht nach System, Einfachheit, Reichweite, undwenn er in diesen Punkten befriedigt ist, schneidert er dieWahrheit so zurecht, daß sie paßt (PP: VII, 6~8). DieGesetze, die er aufstellt, verordnet er ebensosehr, wie er sieentdeckt, und die Strukturen, die er umreißt, entwirft erebensosehr; wie er sie herausarbeitet.Überdies erstreckt Wahrheit sich allein auf das Gesagte undbuchstäbliche Wahrheit allein auf das buchstäblich Gesagte.Wir haben jedoch gesehen, daß Welten nicht nur aus demerzeugt werden, was buchstäblich gesagt wird, sondern auchaus dem, was metaphorisch gesagt wird; ja sogar nicht nur ausdem, was entweder buchstäblich oder metaphorisch gesagtwird, sondern auch aus dem, was exemplifiziert und ausgedrückt wird: nicht nur sagend, auch zeigend kann man Welten erschaffen. In einer wissenschaftlichen Abhandlung zähltdie buchstäbliche Wahrheit am meisten, doch in einemGedicht oder in einem Roman kann metaphorische oder allegonsche Wahrheit wichtiger sein, da auch eine buchstäblichfalsche Aussage metaphorisch wahr sein (LA, 11, 2; 11, 5) undneue Verbindungen und Unterscheidungen markieren odererzeugen, Betonungen verändern, Ausschlüsse und Ergänzungen bewirken kann. Und ob im buchstäblichen odermetaphorischen Sinne wahr oder falsch; Aussagen könnenzeigen, was sie nicht sagen, können als präzise buchstäblicheoder metaphorische Beispiele unerwähnter Merkmale undGefühle wirken. In Vachel Lindsays The Conga zum Beispiel
wird der pulsierende Rhythmus der Trommeln eher eindringlich gezeigt als beschneben.Keine Rolle spielt Wahrheit schließlich m nicht-verbalen VersIOnen sowie in verbalen Versionen ohne Aussagen. Verwirrung droht, wenn wir von Bildern oder Prädikaten sagen, sieseien >wahr von< dem, was sie abbilden oder worauf siezutreffen; sie haben keinen Wahrheitswert und können einigeDinge darstellen oder denotieren und andere nicht, währendeme Aussage einen Wahrheitswert hat und, wenn überhauptvon etwas, von allem wahr ist. 2
) Ein nicht-darstellendes Bild,etwa ein Mondrian, sagt nichts, denotiert mchts, bildet nichtsab und 1St weder wahr noch falsch, doch zeigt es sehr viel.Gleichwohl ist Zeigen oder Exemplifizieren ebenso wie dasDenotieren eine Referenzfunktion j und Bilder werden untenganz ähnlichen Gesichtspunkten erwogen wie die Begriffeund Prädikate einer Theorie: auf ihre Relevanz und die Aufschlüsse hin, die sie geben; auf ihre Kraft und ihre Angemessenhelt - kurz, ihre Richttgkeit. Statt von Bildern zu sagen,sie seien wahr oder falsch, sollten wir vielleicht besser vonTheorien sagen, sie seien richtig oder unrichtig; denn daß dieGesetze einer Theorie wahr sind, ISt lediglich ein besonderesMerkmal, dessen Bedeutung, wie wir gesehen haben, oft
23 Zum Beispiel: '2 + 2 = 4" ist wahr von allem [true ofeverything], msofern fÜrjedesxgilt, daß x so ISt, daß 2 + 2 = 4. Eine Aussage S ist normalerweise mcht wahr über [trueabout] x in einem der Sinne von »über« [»about«], Wie sIe m .About« (PP, S. 246-272)defi!liert werden; .doch die ,Definition von »abaut« hä~gt wesentlich von Aussage~
merkmalen ab, die für Bilder keme angemessenen Analoga haben. Siehe dazu auch:Joseph Ullian und Neison Goodman, »Truth about Jones«, m:Journal ofPhilosophy 74(1977), S. 3'7-338, SOWie Kap. VII, 5 unten.rUm die Unterscheidungen Goodmans ZWIschen »true of«:; »true m«; »true for« und»true abaut« belzubehaiten-vgL dazu auch die Anm. 2 in VII, 1 unten-, wurde »(to be)true of. mcht, wie z.B. Ernst Tugendhat m semen Vorlesungen zur Einführung zn diesprachanalytlSche Philosophie, Frankfurt/M. 1976, S. 504, schreibt, mit »zutreffen auf«übersetzt, sondern mit »wahr (sein) von« j auch entgegen dem Eintrag m MuretSanders) wo »to be true of« ebenfalls mit ))zutreffen auf« übersetzt Wird. Ein weitererGrund für diese Entscheidung ist, daß Goodman das Wort "to apply to« 1m Sinne von"zutreffen auf. verwendet (vgL FFF, II, 3: »predicates merely denote the things Iheyapply to«). Die Unterscheidung zwischen "wahr (sein) von« und "zutreffen auf« betrifftüberdies emen Unterschied i!l der Denotationskonzeption zwischen Qume und Goodman; vgl. Williard V.O. Qume, Word and Obiect, § 19, Anm. I; deutsch: Wort undGegenstand, übersetzt von J. Schuhe in Zusammenarbeit mit D. Birnbacher, Stuttgart1980, S. 164 -A.d. Ü.]
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hinter solchen Eigenschaften wIe Triftigkelt, Bündigkeit,ReichweIte, Informationsgehalt und der organisIerendenKraft des gesamten Systems zurücksteht.»Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit« - dies wäre also eine verkehrte und lähmende Politik fürjeden Welterzeuger. Die ganze Wahrheit wäre zu viel; sIe istzu umfangreIch, zu veränderlich und zu sehr durch Trivialesbelastet. Nichts als die Wahrheit wäre zu wenig, denn einigerIchtige Versionen sind nicht wahr - sie sind entweder falschoder weder wahr noch falsch -; und selbst bei wahren Versionen kann Richtigkeit wIchtiger sein.
6. Relative Realität
Sollten wir nun nach all dieser verrückten Weltvermehrungnicht zum Normalzustand zurückkehren? Sollten wir nichtaufhören, von richtigen Versionen zu sprechen, als ob jedeihre eigene Welt hätte oder wäre, und sollten wir nicht alle alsVersionen von ein und derselben, neutralen, zugrundeliegenden Welt anerkennen? Die so wiedergefundene Welt ist, wiefrüher bemerkt,eine Welt ohne Arten, ohne Ordnung, ohneBewegung, ohne Ruhe und ohne Struktur - eme Welt, füroder gegen die zu kämpfen sich nicht lohnt.Wir könnten jedoch als reale Welt die Welt einer der alternativen richtigen Versionen (oder Gruppen von Versionen, diedurch irgendein Prmzip der Reduzierbarkeit oder Übersetzbarkeit zusammengehalten werden) nehmen und alle übrigenals Versionen Jener seiben Welt ansehen, die sich von derStandardversion auf erklärbare Weise unterscheiden. DerPhysiker hält seine Welt für die reale, indem er die Tilgungen,Ergänzungen, Unregelmäßigkeiten und Betonungen andererVersionen der UnvollkommenheIt der Wahrnehmung, denDringlichkeiten der Praxis oder der dichterischen Freiheitzuschreibt. Der Phänomenalist betrachtet die Wahrnehmungswelt als fundamental, die Beschneidungen, Abstrak-
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tionen, Vereinfachungen und Verzerrungen anderer Versionen hingegen als Ergebms von wissenschaftlichen, praktischen oder künstlerischen Interessen. Für den Mann auf derStraße welchen die meIsten Versionen der Wissenschaft, derKunst und der Wahrnehmung auf mancherlei Weise von dervertrauten und dienstbaren Welt ab, die er aus Fragmentender wissenschaftlichen und künstlerischen Überlieferung undaus seinem eigenen Überlebenskampf zusammengebastelthat. Am häufigsten wird in der Tat diese Welt für real gehalten; denn Realität in einer Welt ist - wie der Realismus einesBildes - größtenteils eine Sache der Gewohnheit.Ironischerweise wird also unsere Leidenschaft für eine Weltzu verschiedenen Zeiten und für verschiedene Zwecke aufvzele. verschiedene Welsen befriedigt. Nicht nur .Bewegung,AbleItung, Gewichtung und Ordnung sind relativ, sondernauch Realität. Daß es viele richtige Versionen und wirklicheWelten gibt, verwischt nicht die Unterscheidung zwischenrichtigen und falschen Welten, heißt nicht anzuerkennen, daßes bloß mögliche Welten gebe, die falschen Versionen entsprächen, und impliziert nicht, da~ alle richtigen Alternativen für jeden Zweck gleich gut oder überhaupt für irgendeinen Zweck geeignet wären. Vermutlich wird nicht einmaleine Fliege eine ihrer Flügelspitzen für emen festen Punkthalten. Moleküle oder Konkreta werden wir wohl kaum alsElemente unseres Alltagslebens kennenlernen, und ebensowenig verbinden wIr Tomaten, Triaden, Terzette, Teppiche,Tyrannen und Tornados zu einer einzigen Art; der Physikerwird keine von ihnen zu seinen Elementarteilchen zählen; derMaler, der in derselben Welse sieht wie der Mann auf derStraße, wird eher Popularität gewinnen als künstlerischenErfolg haben. Und derselbe Philosoph, der hier metaphilosophisch über eine Vielzahl von Welten nachdenkt, findet, daßbeim Aufbau philosophIscher Systeme nur solche Versionen seinen Zwecken genügen, die den Ansprüchen eineshartnäckigen und deflatorischen Nominalismus standhalten.
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Die Bereitschaft, alternative Welten anzuerkennen, kannzwar befreiend sein und Hinweise auf neue Forschungswegegeben, aber wem alle Welten gleich willkommen sind, wirdkeine erbauen. Die bloße Anerkennung der vielen verfügbaren Bezugsrahmen liefert uns keine Karte der Himmelsbewegungenj die Einsicht, daß alternative Grundlagen wählbarsind, bnngt keine wissenschaftliche Theorie und kein philosophisches System hervor; das Bewußtsein von verschiede
.. nen Sehweisen malt keine Bilder. Ein großzügiger Geist istkein Ersatz für harte Arbeit.
7. Bemerkungen über Erkenntms
Was ich bisher sagte, wirkt sich auch auf das Wesen derErkenntnis aus. Demnach kann das Erkennen lllcht ausschließlich und auch nicht einmal primär eine Sache derBestimmung dessen sem, was wahr ist. Eine Entdeckungmachen bedeutet häufig nicht etwa, daß man zu emer Proposition gelangt, die vorgebracht und verteidigt wird, sonderngleicht eher dem Fund eines passenden Teils, das sich in emPuzzle einfügen läßt. Erkennen zielt oft auf etwas anderes alsauf eme wahre oder überhaupt auf eine Überzeugung. Wirschärfen unseren Blick oder erweitern unsere Einsicht,ändern aber nicht unsere Überzeugung, wenn wir in einernabgebildeten Wald ein Gesicht finden, von dem wir bereitswußten, daß es dort war, oder wenn wir stilistische Unterschiede zwischen Werken wahrzunehmen lernen, die bereitsvon Malern, Komponisten oder Schriftstellern klassifiziertwurden, oder wenn wir ein Bild, ein Konzert oder eineAbhandlung studieren, bis wir Merkmale und Strukturensehen, hören oder erfassen, die WIr vorher nicht auszumachenvermochten. Ein solcher Erkenntniszuwachs erfolgt nicht in
24 Ich spleie hier auf den Aufsatz von CharIes S. Peiree an: »The Fixation of Belief«(1877), in: ders., Co/leeted Papers, herausgegeben von CharIes Hartshorne und PauiWeiss, Cambridge, Mass. 1934, '1960, Bd. 5, S. 223-247; deutsch: »Die Festiegung
der Bildung oder Festigung von Überzeugungen'4,sondernin emem Fortschritt des Verstehens!5Wenn Welten zudem ebensosehr geschaffen wie gefundenwerden, dann ist auch das Erkennen ebensosehr ein Neuschaffen wie em Berichten. Alle Prozesse der Welterzeugung,die ich erörtert habe, sind Teil des Erkennens. Bewegungwahrzunehmen besteht, wie WIr gesehen haben, häufig darin,SIe hervorzubringen. Zur Entdeckung von Gesetzen gehörtes, sie zu entwerfen. Das Erkennen von Strukturen besteht inhohem Maße darin, sie zu erfinden und aufzuprägen. Begreifen und Schöpfen gehen Hand in Hand.Ich werde in den Kaplteln VI und VII auf viele der hierberührten Fragen eingehen. Jetzt möchte ich zwei sehr vielspeZIellere Themen betrachten: im KapItel 11 eine Feinkategonslerung, die für die Künste besonders kennzeichnend ist;und 1m Kapitel III soll an einern Beispiel die Veränderungeines Begriffs in den Versionen verschiedener Systeme undMedien verfolgt werden.
einer Überzeugung«, übersetzt von Gerd Wartenberg, m: CharIes S. Peiree, Schriften 1.Zur Entstehung des PragmatISmus. Mit emer Einführung herausgegeben VOn Kart-OttoApei, Frankfurt/M. 1967, S. 293-325.25 Zum Wesen und zur Bedeutung des Verstehens im weiteren Sinn siehe MichaelPoianYl, Personal Knowledge, Chleago 1960.
IIDer Status des Stils
I. Einwendungen
Sujet ist offensichtlich das, was gesagt wird; ~nd.wze. esgesagt wird, ist Stil. Etwas weniger offensichtlIch ist,. daßdiese Formulierung voller Fehler steckt. Architektur, mchtgegenständliche Malerei und der Großteil der Musik habenkein SUJet. Ihr Stil kann nicht sein, wie sie etwas sagen, dasie nichts buchstäblich sagen; sie tun' etwas anderes, Siebedeuten auf andere Weisen. Obwohl die meisten literarischen Werke etwas sagen, tun sie gewöhnlich noch anderes;und einige der Weisen, wie sie dieses andere tun, sm~
Aspekte des Stils. Überdies kann das Was eines Tuns Te.ildes Wie eines anderen sein. Das heißt, selbst dort, wo dieeinzige in Frage stehende Funktion das Sagen ist, werdenwir erkennen müssen, daß einige augenfällige Charaktenstika des Stils eher Merkmale der Sache als der Weise desSagens sind. In mehr als einer HinSicht ist das Sujet am Stilbeteiligt. Aus diesem und aus anderen Gründen kann iC~
mich mcht der gängigen Meinung' anschließen, der Stilwerde vom Künstler zwischen Alternativen bewußtgewählt. Und ich glaube, wir werde~ a~ch anzuerkenne,nhaben daß nicht alle Unterschiede, die die Art des Schreibens, 'MaIens, Komponierens oder Aufführens betreffen,
stilistische Unterschiede sind.Schwierigkeiten habe ich jedoch nicht mit d~r Praxis ~e~
Kritiker und Kunsthistoriker, sondern mit ihren Defmi
, Z.B. schreibt Stephen Ullmann, Style zn the Freneh Novel, Cambridge ~957, S. 6:»Eine Frage des Stils kann es erst geben, wenn der Sprecher ode.~ der Schreibende dieMöglichkeit hat, zwischen ahernallven Ausdrucksfprmen zu w~hlen. Dem gesa';'tenStilproblem liegt der Begriff der Synonymie m semem weItesten Smn zugrunde.« DieserPassus wird zustimmend Zitiert von Ernst H. Gombnch, »Style«, m: InternatwnalEncyclopedia of the Soezal Saenees 15, S. ~5~'
tionen und Theorien des Stils, die jener Praxis so häufigwiderstreiten. 2
2. Stil und Sujet
Gewiß, wenn etwas gesagt wird, so sind einige Aspekte derWeise, wie es gesagt wird, Sache des Stils. Soweit es um diedeskriptive, narrative oder darstellende Funktion von Literatur geht, sind Variationen im Stil Variationen dessen, wiediese Funktion von Texten erfüllt wird. Die Form ändertsich, während der Inhalt gleich bleibt - aber selbst bei diesemDiktum gibt es Schwierigkeiten. Graham Hough schreibt:», .. je mehr wir darüber nachdenken, um so zweifelhafterwird es, inwieweit wir von verschiedenen Weisen des Sagenssprechen können; ist nicht jede andere Weise des Sagens imGrunde das Sagen von etwas anderem?«3 Und in jüngererZeitversucht E. D. Hirsch, jr., Synonymie zu verteidigen und zudefinieren, indem er von der Prämisse ausgeht, Stil und Stilistik hingen davon ab, daß es alternative Weisen gibt, genaudasselbe zu sagen.4
Synonymie ist em verdächtiger Begriff, und in einer meinereigenen Untersuchungen weise ich darauf hin, daß keine zweiTermini genau dieselbe Bedeutung haben. 5 Um Stil vomInhalt zu unterscheiden, ist es jedoch nicht erforderlich, daßgenau dasselbe auf verschiedene Weisen gesagt werden kann,sondern nur, daß das Gesagte unabhängig von der Weise des2 Nützliche HinweIse zu diesem Kapitel gaben Howard Gardner, Vernan Howard,David Perkons, Sheldon Sacks und Paoio ValeslO.3 So schreibt Graham Hough m semem ausgezeichneten und nützlichen Buch Style andStylistles, London 1969, S. 4. Ich bin ebenso skeptisch wie er, daß der Begriff derSynonymie Sich mit der TransformallonslingUlstik retten ließe.4 E.D. Hirsch, Jr., »Stylisllcs and Synonymlty«, m: CrtttCal Inquiry 1 (März 1975),S·559-579·5 Nelson Goodman, »On Likeness of Meaning« (1949), In: PP, S. 231-238. DieseBestreItung der Synonymie war zwar keineswegs die erste, aber I. ging SIe weiter alsfrühere, weil sie zeigte, daß selbst bei einer Analyse, die nur von den Extensionen vonTermmi abhängt, beliebige zwei Begriffe SIch m der Bedeutung unterscheiden, und 2.gab sie ein Kriterium zur komparativen Bedeutungsglelchheit an und lieferte damit eineGrundlage für die Unterscheidung von Stil und Inhalt.
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Sagens variieren kann. Es ist ziemlich klar, daß es häufig sehrverschiedene Weisen gibt, fast dieselben Dinge zu sagen.Umgekehrt, und das ist oft noch bedeutsamer, können sehrverschiedene Dinge auf fast die gleiche Welse gesagt werdennatürlich nicht vom selben Text, sondern von Texten, diebestimmte Eigenschaften gemeinsam haben, welche einen Stilausmachen. Viele Werke über viele Dinge können im selbenStil geschrieben sein; und Stildiskussionen werden oft ohneRücksicht auf das SUjet geführt. Stile des Sagens - wie die desMaiens, Komponierens oder Aufführens - lassen sich oftohne Rücksicht auf die SUjets vergleichen und gegenüberstellen, häufig ohne Rücksicht daray-f, ob überhaupt ein Sujetvorliegt. Auch ohne Synonymie fallen Stil und Sujet nichtzusammen. 6
Bisher sind unsere Ergebnisse negativ und fast gleich null. StilIst nicht gleich SUJet; und dort, wo es kein SUjet gibt, läßt sichder Stil nicht einl)1al dadurch bestimmen, daß er nicht dasSujet ist. Selbst dies ist eine riskante Aussage. Denn manchmal Ist der Stil eine Sache des Sujets. Ich meine damit nichtnur, daß das SUjet den Stil beemflussen kann, sondern daßmanche Unterschiede im Stil ausschließlich aus Unterschieden indem bestehen, was gesagt wird. Nehmen wir an, dereine Historiker schreibe Geschichte unter dem GeSichtspunkt militänscher Konflikte, ein anderer unter demGesichtspunkt sozialer Veränderungen; oder nehmen wir an,der eine Biograph betone die öffentliche Laufbahn, derandere das persönliche Leben. Die Unterschiede zwischenden beiden historischen Darstellungen einer gewissen Epocheoder zwischen den Biographien einer bestimmten Personliegen hier nicht im Charakter der Prosa, sondern in dem, wasgesagt wird. Gleichwohl bestehen zwischen ihnen Unter-6 »SuJet« I»sub]ec!« I ist zweideutig dann, ob es SICh auf das Thema \top,,) bezieht oderauf das, was über ein Thema gesagt wird; und emige Bemerkungen weiter untenbetreffen die BeZIehungen ZWISchen den beiden. Für die Zwecke des vorliegendenKapitcis zählen Jedoch Unterschiede ZWISchen Thema, SUJet, Stoff, Inhalt und dem, wasgesagt, benannt, beschrieben oder abgebildet Wild, gewöhnlich weniger ais die gemeinsamen Unterschiede gegenüber anderen Merkmaien. die weiter, unten diskutiertwerden.
schiede. im literarischen Stil, nicht weniger deutlich ausgeprägt als Unterschiede des Wortlauts. Ich habe zwar mitAbsicht Beispiele der beschreibenden oder darstellendenLiteratur gewählt, doch kann auch der Stil eines DichterswenIgstens zum Teil darin bestehen, was er sagt: ob er sichauf das Zerbrechliche und Transzendente oder auf das Kraftvolle und Dauerhafte, auf sinnliche Qualitäten oder abstrakteIdeen konzentriert, und so weiter.An dieser Stelle kündigt sich die Gefahr einer Paradoxie an.Wenn das, was gesagt wird, manchmal ein Aspekt des Stils,und wenn Stil eine Weise des Sagens dessen ist, was gesagtwird, könnte ein taktloser Logiker auf die unangenehmeFolge hmweisen, daß dann das, was gesagt wird, gelegentlichem Aspekt der Weise des Sagens dessen, was gesagt wird, isteme Formulierung mit dem zweideutigen Ruch eines selbstwidersprüchlichen Gememplatzes.Die Abhilfe sieht auf den ersten Blick noch seltsamer aus.Statt eine Welse des Sagens dessen, was gesagt wird, kann das,was gesagt wird, eine Weise sein, über etwas anderes zusprechen; zum Beispiel sind das Schreiben über RenaissanceSchlachten und das Schreiben über Renaissance-Kunst nichtverschiedene Weisen, über Schlachten und Künste zu schreiben, sondern verschiedene Weisen, über die Renaissance zuschreiben. Verschiedene Dinge zu sagen - das kann heißen,auf verschiedene Weise über etwas Umfassenderes zu redendas beides umfaßt. Stilfragen sind also nicht nur dann i~Spiel, wenn ein Prosatext Wörter romanischen Ursprungssolchen germanIscher Herkunft vorzieht, sondern auchdann, wenn über Schlachten oder eher über die Künstegeschrieben wird. Um das anzuerkennen, braucht man nichtvon dem Prinzip abzurücken, daß Stil zu den Weisen desSagens gehört. Damit geben wir Jedoch genau das preis, wasdas Entscheidende Jenes Pnnzips zu sein schien: der Kontrastzwischen Weisen des Sagens und dem, was gesagt wird; zwis~hen Stil und Sujet. Wenn sowohl die Verpackung als auchdie Inhalte Sache des Stils sind, was ist es dann nIcht?
Schauen wir aber noch einmal und genauer hin, so stellen wirfest, daß Unterschiede im Stil, die von Unterschieden imSUjet abhängen, sich nicht bloß daraus ergeben, daßVerschiedenes gesagt wird. Wenn der militärisch orientierte Historiker über zwei verschiedene Perioden schreibt, kann sein Stilderselbe bleiben, auch wenn das, was er sagt, sehr verschieden ist - zummdest s,o verschieden wie das, was er und derkunstorientierte Historiker über eine bestimmte Epocheschreiben. Zu sagen, Stil sei eine Sache des Sujets, ist somitungenau und irreführend. Vielmehr zählen nur ezmge Merkmale des Gesagten zu den Aspekten des Stils; nur gewissecharakteristische Unterschiede in dem, was gesagt wird,machen Unterschiede Im Stil aus.Ebenso machen natürlich nur ganz bestimmte, nicht beliebigeEigenschaften des Wortlauts Stilmerkmale aus. Daß zweiTexte aus sehr verschiedenen Wörtern bestehen, machtnochkeinen Unterschied im Stil aus. Als Stilmerkmale zahlen hierEigenschaften wie das Überwiegen bestimmter Wortarten,die Satzstruktur und die Verwendung von Alliteration und
Reim.Wir hätten uns also über die Schwierigkeit, die Form vomInhalt zu unterscheiden, keine Gedanken machen müssen7
;
denn sofern diese Unterscheidung überhaupt klar zu treffenist, verläuft sie nicht entlang der Grenze zwischen dem, wasStil ist und was nicht, sondern quer dazu., Stil umfaßt gewissecharakteristische Züge sowohl dessen, was gesagt wird, alsauch der Art, wie es gesagt wird: Merkmale sowohl des Sujetsals auch des Wortlauts, des Inhalts und der Form. Die Unterscheidung zwischen stilistischen und nicht-stilistischenMerkmalen muß auf einer anderen Grundlage getroffen
werden.
7 Dies gilt ebenso aus der Sicht von Kapitel VII, 2,
3. Stil und Gefühl
Haben wir aus irgendeinem Zufall bei unseren bisherigenBemühungen gerade das Wesen des Stils verfehlt? Manchesagen, der Stil beginne dort, wo Tatsachen aufhören undGefühle anfangen; Stil sei eine Sache des »Affektiven undExpressiven«8 im Gegensatz zu den logischen, intellektuellenund kognitiven Aspekten der Kunst; sowohl das, was gesagtwird [das Sujet], als auch das, was etwas sagt [die Wörter],habe mit Stil überhaupt erst dann etwas zu tun, wenn es amAusdruck von EmotIOnen beteiligt sei. Zwei Berichte übereinen Spaziergang im Regen, die verschiedene Worte gebrauchen und verschiedene Vorfälle beschreiben, können Im gleichen Stil geschrieben sein; und dennoch handelt es Sich umverschiedene Stile, wenn der eine mürrisch und der andereheiter ist. Stil im allgemeinen besteht nach dieser Auffassungaus solchen und noch sehr Viel subtileren Gefühlsqualitäten,die zum Ausdruck gebracht werden.Als Unterscheidungskriterium zwischen stilistischen undnicht-stilistischen Merkmalen hat dieser Vorschlag offensichtliche Grenzen. Nach jeder plausiblen Scheidung vonEigenschaften in emotionale und kognitive sind einige Stileigenschaften emotional und einige nicht. Strenger oder lokkerer Aufbau, Knappheit oder Wortreichtum, einfaches oderblumiges Vokabular können Bewunderung oder Abneigungzwar erwecken, aber kaum ausdrücken, und sie sind sicherlich selbst" keine emotionalen Eigenschaften. peshalb wird>Emotion< in diesem Kontext durch den vageren Ausdruck>Gefühl< ersetzt; und von Jeder offensichtlich nicht-emotionalen Stileigenschaft wird angenommen, sie vermittle einganz besonderes Gefühl. Lange Perioden fühlen sich andersan als locker gereihte Sätze; wir können den Unterschiedzwischen Wörtern romanischer und germanischer Herkunftfühlen. Überdies werden wir dieser Gefühlsqualitäten oft
8 Zum Beispiel c. BaBy; vgl. die DarJegung semer AnSicht m Graharn Hough, Styleand StylistzC5, a.a.O., besonders S. 23.
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-----------------------,I
Kathanne Sturgis, Zeichnung aus emerHockey-Sene. Tusche.
früher gewahr, als wir die zugrunde liegenden faktischenEigenschaften feststellen, so wie wir häufig einen Schmerzfühlen, bevor wir die Wunde wahrnehmen. Und gerade dieseGefühle, nicht die Vehikel, die sie transportieren, gelten alsStilaspekte. So lautet die Behauptung.In dieser Fassung wird die These bis zur Auflösung verdünnt.Nicht nur die erwähnten Merkmale eines Texts, sondern auchjedes andere Merkmal scheint in irgendeinem Sinne seinebesonderen Gefühlsqualitäten zu haben - sogar jedes einzelneWort und jede Wortfolge. Daß wir solche Eigenschaftenfühlen können, scheint kaum mehr zu bedeuten, als daß wirsie ohne Zerlegung in ihre einzelnen Züge wahrnehmen können, so wie wir ein Gesicht erkennen; aber dies gilt sicherlichvon den meisten Eigenschaften und ist deshalb zur Abgren~zung von Stil nutzlos. Macht man also die Theorie weit genug, so wird sie zu weit, als daß sie funktionieren könnte.Überdies geht die Definition von Stil im Sinne von ausgedrückten Gefühlen darin fehl, daß sie nicht nur strukturelle
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AntOlliO PollalUolo, Schlacht der nackten Männer.Radierung. Cleveland Museum of Art.
Merkmale übersieht, die weder Gefühle sind noch ausgedrückt werden, sondern auch Merkmale, die zwar ausgedrückt werden, aber keine Gefühle sind. Auch wenn sowohldie Zeichnung von K. Sturgis als auch die Radierung vonPollaiuolo (vgl. die Illustrationen) Männer in körperlichemKampf darstellen, drückt die Sturgis-Zeichnung blitzschnelleAktion, die von Pollaiuolo dagegen balancierte Kraft aus.9
Eine Lithographie von Daumier kann Schwere ausdrücken,eine Vivaldi-Passage visuelle oder kinästhetische Muster vonSchlittschuhläufern und der Ulysses von Joyce ein unendliches Kreisen der Zeit.Stil ist somit weder auf das Ausgedrückte noch auf Gefühlebeschränkt. Gleichwohl ist Ausdruck in vielen Werken einezumindest ebenso wichtige Funktion wie das Sagen; und wasein Werk ausdrückt, ist häufig ein wichtiger Bestandteil seines Stils. Die Unterschiede zwischen sardonischer, sentimen~taler, wilder und sinnlicher Schreibweise sind stilistische.9 Beide Werke drücken natürlich noch vleies mehr aus.
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Emotionen, Gefühie und andere im Sagen ausgedrückteEigenschaften gehören zur Weise des Sagens; was ausgedrückt wird, ist em Aspekt dessen, wie das Gesagte gesagtwIrd, und kann ebenso WIe in der Musik und in der abstrakten Malerei ein Stilaspekt sein, selbst wenn nichts gesagtwird.All dies 1st zwar kiar genug und dennoch kiarerweise nichtgenug. Denn da Ausdruck eine Funktion von Kunstwerken1st, müssen Ausdrucksweisen ebenso berücksichtigt werdenwie Weisen des Sagens. Und so wie Unterschiede im Ausgedrückten ais Unterschiede im Stil des Sagens zählen können,können Unterschiede im Gesagten ais Unterschiede im Stildes Ausdrucks zählen. Düsterkeit kann typisch sein für dieWelse, wie ein Schriftsteller Vorgänge in der Naturbeschreibt; immer wiederkehrendes Regenwetter kanntypisch sem für seine Weise, das Düstere auszudrücken.Was gesagt wird, wie es gesagt wird, was ausgedrückt wirdund WIe - alles dies hängt eng zusammen und gehört zumStil.
4. Stil und Struktur
Daß Merkmale des Gesagten und des Ausgedrückten berückSIchtigt werden müssen, mindert keineswegs die zentraleWichtigkeit von Satzstruktur, rhythmischem Muster,Gebrauch der Iteration und Antithesis usw. Und wie man inder Prosa an bestimmten Eigenheiten des Vokabulars (Wörter latemischer oder angdsächsischer Herkunft, akademischeoder allt~gliche Begriffe) und in der Malerei an der Farbesehen kann, sind keineswegs alle Merkmale des Stils, diekeme Eigenschaften des Gesagten oder Ausgedrückten sind,,formal< oder ,struktural<, wenn man den Sinn dieser Wörternicht überdehnt.Wir sind versucht, alle soiche Eigenschaften ais mtrinsischeoder innere Eigenschaften zu klassifizieren, die zu emem Text
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oder einem Bild selbst gehören, ihnen eigentümlich oderinhärent smd. Der Grund dafür 1St, daß sie zu Eigenschaftenetwa eines Sujets oder eines Gefühls im Gegensatz stehen, aufdie ein Text oder ein Bild durch Denotation (Beschreibung,Darstellung, usw.) oder Ausdruck Bezug mmmt. Philosophen haben jedoch SchwierigkeIten, wenn sie zwischen inneren und äußeren Eigenschaften eme klare Lime zu ZIehenversuchen. Schließlich ist das, was ein Text sagt oder ausdrückt, eine Eigenschaft des Texts und nicht von etwas anderem; andererseits sind die Eigenschaften, die ein Text besitzt,vom Text verschieden und mcht in ihm enthalten, sondernbringen ihn mlt anderen Texten in Beziehung, die dieseEigenschaften teilen.Läßt sich diese Kiasse nicht ausschließlich formaier und mchteindeutig mtrinsischer Merkmale vielleicht eher definierendurch die Differenz ZWIschen dem, was ein Werk tut, unddem, was es ist?Wenn man behauptet, die Erde sei rund, oderwenn man DüsternIS ausdrückt, tut man etwas; wenn etwaskonzis geschrieben oder freI gemalt 1st, 1st es ganz emfach so.Ich fürchte jedoch, daß auch dieses Kriterium nicht ganzfunktioniert. Erstens ist die von emem Gedicht oder voneinem Bild ausgedrückte Düsternis memer AnSIcht nach ihmeigentümlich, wenn es sich auch um ein metaphorisches undnicht um ein buchstäbliches >Eigentum< handeit; das heißt,das Bild oder das Gedicht, welches DüsternIS ausdrückt, 1st
(metaphorisch) düster. IO ZweItens denke ich, daß die sogenannten intrinsischen Stilmerkmale niemals bloß einem Werkeigentümlich sind, sondern daß SIe zu jenen eigentümlichenEigenschaften gehören, die manifestiert, gezeigt, exemplifiZlert werden - ebenso wie die Stoffprobe des SchneidersFarbe, Textur und Webart exemplifiziert, während Gestait10 Selbst wenn eine metaphonsche Aussage falsch 1m wörtlichen Sinne sein kannunterscheidet. s~ch die metaphor~s~he Wahrheit, von der metaphorischen Faischhei~ebenso WIe dIe buchstäbliche Wahrheit von der buchstäblichen Falschheit. Diese undandere J?inge- die mitder Metapher, Denotation, Exemplifikation, Ausdruck und mitSymbollSlerung oder Bezugnahme Im allgememen zu tun haben -, die zwar wesentlichsind, ~ber _im vorliegenden Kapitel nur kurz zllsammengefaßt werden könrie-~, werdenausführlicher erläutert m LA, II.
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oder Größe des Musters dabei außer acht bleiben. Ausdrükken und ExemplifizIeren sind somIt beide eine Sache des Seinswie des Tuns, des Besitzes von Eigenschaften und der Bezugnahme aufsie. Dies ergibt in der Tat eInen Hinweis auf dieUnterscheidung, die wir zu machen versuchten: die hier inFrage stehenden Merkmale, ob struktural oder nicht-struktural, SInd alles Eigenschaften, die von einem Werk buchstäblich exemplifiziert werden.Exemplifikation 1St zwar eine der häufigsten und wichtigstenFunktionen von Kunstwerken, wird aber kaum beachtet undverstanden. Nicht nur manche Schwierigkeiten mit dem Stil,sondern auch vIele fruchtlose Debatten über den Symbolcharakter der Kunst wären vermeidbar, wenn man nicht jeneLektionen mißachtete, die leIcht an alltäglichen Verwendungsweisen der Relation >eine-Probe-sein-von ...< gelerntwerden können: daß nämlich der bloße Besitz einer Eigenschaft noch keine Exemplifikation ist; daß zur Exemplifikation die Bezugnahm.e dessen, was besitzt, auf die besesseneEigenschaft gehört; mithin, daß Exemplifikation, obwohloffenkundig verschieden von Denotation (oder Beschreibungoder Darstellung), gleichwohl eIne Art des Bezugnehmens1St.Faßt man das Bisherige zusammen, so kann ein Stilmerkmalein Merkmal des Gesagten, des Exemplifizierten oder desAusgedrückten sein. Goya und EI Greco unterscheIden sichbezeIchnenderweise in allen drei Hinsichten: in Stoff, ZeIchnung und Gefühl. Eigenschaften jeder dieser Arten könnenauch dazu dienen, eine oder mehrere dieser drei Funktionenzu erfüllen. Zum Beispiel können die Formen, die von denDraperien auf einem Bild exemplifiziert werden, eine Artsein, ein Kleid darzustellen, aber auch ein Weg, Körperlichkeit oder Erregung oder Würde auszudrücken; der Faltenwurf kann »sich kräuseln, er kann wirbeln, wogen oder fließen, und er kann dem Auge Halt gebieten mIt Gebilden ausBuckeln und Höhlungen, fast wie ein Felsen, den die Wellenmodelliert haben«, er kann zu einem »Mittel harmonischer
Bestimmtheit« werden. II In anderen Fällen können Ausdrucksunterschiede - etwa im Charakter des auferstandenenChristus auf Mantegnas Stich und auf Piero della FrancescasGemälde - verschiedene Weisen sein, das gleiche SUjet zuschildern. Überdies können Eigenarten des Gesagten Weisendes Sagens oder Ausdrückens sein: Whitmans Wahl derDetails ist sowohl ein Aspekt seiner Art, Menschen zubeschreiben, als auch seiner Weise, Lebenskraft zu preisen;und die verschiedenen Sujets, die Verrneer, van der Heyden,de Heem und van Everdingen wählten, sind sowohl verschiedene Weisen, das Leben im 17. Jahrhundert zu schildern, alsauch verschiedene Weisen, dessen Häuslichkeit auszudrükken. Manchmal dienen Eigenschaften des Exemplifizierten,etwa Farbzusammenstellungen, dazu, etwas anderes, etwaein räumliches Muster, Zu exemplifizieren; man denke zumBeispiel an die verschiedenfarbigen Drucke nach derselbenSiebdruckvorlage von Josef Albers und neuerdings vonPatrick Heron. Und eine gegebene Struktur wie die Sonettform läßt sich natürlich in Gedichten exemplifizieren, dieganz verschiedene Sujets haben, so daß Merkmale eines Stoffsjeweils als bestimmte Exemplifikation eIner Form dienenkönnen.Wir brauchen hier jedoch nicht alle Variationsmöglichkeitendurchzugehen oder uns über einzelne Beispiele zu streiten.Mein Ziel war es nicht, den Stilmerkmalen ein elaboriertesund starres· Klassifikationsschema überzuwerfen, sondernvielmehr die Theorie des Stils von den verzerrenden Zwängender herrschenden Lehrmeinung zu befreien - von den irreführenden Gegensätzen zwischen Stil und Sujet, Form undInhalt, Was und Wie, intrinsisch und extrinsisch. Weit entfernt von der Behauptung, die skIzzierte Dreiertaxonomie seiobligatorisch oder die bestmögliche oder völlig adäquat,bestehe ich vielmehr darauf, bestimmte Stilaspekte ausdrücklich anzuerkennen, die von Kritikern zwar oft betrachtet, vonder traditionellen Theorie jedoch unterschlagen werden. DasI I Die Zitate stammen von Kenneth Clark, Piera della Francesca, London '1969, S. 14.
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beantwortet zwar nicht die Frage, was im allgemeinen stilistische Merkmale von anderen unterscheidet, sondern unterstreicht sie nur. Die Eigenschaften eines literarischen Stils oder eines Bild~ oder Musikstils - zu identifizieren ist wichtiger, als sie weiter nach Welsen des Sagens, Exemplifizlerensund Ausdrückens zu klassifizieren.
5. Stil und Signatur
Obwohl Stil zwar Merkmale der verschiedenen beschriebenen Sorten umfaßt, sind solche Eigenschaften doch nichtimmer Stiletgenschaften. Weist ein Werk einen bestimmtenStil auf, so sind nicht alle Aspekte von SUJet, Form undGefühl des Werks Elemente jenes Stils.Erstens zählt eine Eigenschaft - sei es der Aussage, die dasWerk macht, der Struktur, die es aufweist, oder des Gefühls,das es vermittelt - nur dann als stilistische, wenn sie es ehermit diesem als mit jenem anderen Künstler, eher mIt dieser alsmit jener anderen Zeit, Region oder Schule in Verbindungbringt. Ein Stil ist ein komplexes Charakteristikum, das als soetwas wie eine individuelle Signatur oder als Gruppensignatur dient - das ein Werk als einen Resnais, Whistler oderBorodin ausweist, den frühen vom späten Corot unterscheidet, Barock vom Rokoko, Baoule von Pahoin. Weiterhinkönnen wir von einem Werk des einen Autors sagen, es sei imStil eines anderen geschaffen, oder von· einer .. Passage, sieweise den Stil anderer Passagen desselben Werks oder einesanderen Werks auf. Im allgemeinen aber helfen· Stileigenschaften, die Fragen zu beantworten: Wer? Wann? Wo? EinMerkmal; das an sich keinen Hinweischarakter hat, kann inVerbindung mit anderen zur Einordnung eines Werkes dienen; eine Eigenschaft, die vielen Werken gemeinsam ist, kannbei einigen ein Stilelernent, bei anderen dagegen stilistischirrelevant sein; manche Eigenschaften sind vielleicht nur inder Regel, aber nicht durchgängig Merkmale eines bestimm-
ten Stils; und manche können stilistisch bedeutsam sein, nichtweil sie immer oder auch nur oft in Werken eines besttmmtenAutors oder einer bestimmten Periode erscheinen, sondernweil sie in anderen Werken nie oder fast nie erscheinen. Dieelementaren StileIgenschaften lassen sich nicht in einemunveränderlichen Katalog zusammenstellen; und normalerweise lernen wir einen Stil zu erfassen, ohne daß wir ihn inseine Merkmalsbestandteilezerlegen könnten. Ob wir ihnerfaßt haben, zeigt sich in der Sicherheit und Sensibilitätunserer Werkzuordnung.Zweitens ist nicht einmal jede Eigenschaft, die den Schöpfer,die Zeit oder die Herkunft eines Werks zu bestimmen hilft,eine Stileigenschaft. Das Etikett auf einem Bild, der Eintrag ineinem Werkkatalog, ein Brief des Komponisten oder einAusgrabungsbericht können ein Werk plazieren helfen; dochdaß es so etikettiert, dokumentiert oder ausgegraben wurde,ist keine Sache des Stils. Ebensowenig sind es die chemischenEigenschaften von Pigmenten, die ein Gemälde identifizierenhelfen. Selbst wenn ein Werk von Thomas Eakins oder Benjamin Franklin signiert ist, so ist das eine identifizierendeEigenschaft, aber keine des Stils. Obwohl ein Stil im metaphorischen Sinn eine Signatur iSt, ist eine buchstäblicheSignatur kein Stilmerkmal.Warum können solche Eigenschaften, obwohl sie eindeutigfür das Wer-Wann-Wo relevant sind, nicht als stilistischegelten? Kurz gesagt deshalb nicht, weil sie nicht Eigenschaften der Symbolfunktion des Werkes sind. Hingegen sind sotypische Stilqualitäten wie die Konzentration auf ein Setting,einen bestimmten Rahmen, auf eine besondere Ausarbeitunggerundeter Formen oder auf eine subtile Gefühlsqualität bitterer Süße Aspekte dessen, was das Gedicht, das Bild, dieKlaviersonate sagt, exemplifiziert oder ausdrückt. Stil hatausschließlich mit den Symbolfunktionen eines Werks alssolchem zu tun. I2 Früher sahen wir, daß beliebige, und jetzt
12 Und nur als soichem; nicht etwa rmt der Symbolfunktlon emes Gedichts als Bot-schaft in einem militärischen Code. .
sehen wir, daß ausschließlich Aspekte von Symbolfunktionen m einen Stil eingehen können.Somit liegen uns also die Umrisse einer Definition des Stilsvor. Im Grunde besteht Stil aus jenen Merkmalen der Symbolfunktionen eines Werks, die für Autor, Zeit, Ort oderSchule charakteristisch sind. Auch wenn diese Definitionnicht besonders neu zu sein scheint, darf ihre Abweichungvon einigen vorherrschenden Ansichten doch nicht übersehen werden. Dieser Definition zufolge ist Stil nicht ausschließlich eine Sache des Wie, im Gegensatz zum Was;hängt weder von synonymen Alternativen noch von derbewußten Wahl zwischen Alternativen ab und umfaßt ausschließlich, aber nicht alle Aspekte dessen, wie und was einWerk symbolisiert.Ich habe durchweg vom Stil von Kunstwerken gesprochen.Muß aber Stil, wie er hier gefaßt wird, auf Werkebeschränkt bleiben, oder könnte der Terminus »Werb inunserer Definition ebensogut durch »Objekt« oder»Etwas« ersetzt werden? Im Gegensatz zu einigen anderenDefinitionen beruht die unsrige nicht auf den Intentioneneines Künstlers. Was zählt, sind symbolisierte Eigenschaften, gleichviel, ob der Künstler sie wählte oder nicht oderob er sich ihrer auch nur bewußt ist; und außer Kunstwerken symbolisieren auch viele andere Dinge. Sofern die fraglichen Eigenschaften für einen Autor oder Schöpfer charakteristisch sind, betrifft Stil in der Tat nur Artefakte, es seidenn, auch die Person könne als »Schöpfer« gelten, die einob]et trouve als Kunst präsentiert. Natürliche Objekte undEreignisse können jedoch in anderer Weise als Symbolefungieren, und Eigenschaften dessen, was sie symbolisieren, können für die Zeit oder den Ort des Ursprungs oderVorkommens charakteristisch sein. Ein Mandalay-Sonnenaufgang ist vielleicht nicht bloß ein Sonnenaufgang in Mandalay, sondern ein Sonnenaufgang, der eine Ur-Plötzlichkeit ausdrückt - ein Sonnenaufgang im Mandalay-Stil.Gleichwohl ist es im gegenwärtigen Kontext vielleicht bes-
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ser, wenn wir >Stil< auf literarische Werke, Aufführungen undWerke der bildenden Kunst beschranken. 13
Einige Stilmerkmale sind zwar auffälliger und aufschlußreicher als andere; aber die Grenze zwischen trivialen Stilmerkmalen und Eigenarten wie den früher zitierten, die gar keinestilistischen sind, ist selten klar gezogen worden. Denkenwir nur an eine so pedantische statistische Eigenschaft derRomane eines bestimmten Autors wie etwa aie, daß jeweilsdas zweite Wort in seinen Sätzen überdurchschnittlich oftmit einem Konsonanten beginnt. Ist der Unterschied zwischen diesem und einem wichtigen, echten Stilmerkmal einkategorialer oder nur ein relativer? Die Eigenschaft ist zwareine statistische, aber das sind auch viele eindeutig stilistische Eigenschaften wie Reimfrequenz oder Alliteration.Diese Eigenschaft ist nur mit hohem Aufwand bestimmbar;doch einige der signifikantesten Stileigenschaften sind sosubtil, daß sie nur mit großer Mühe entdeckt werden können. Daß der Ad-hoc-Charakter dieser Eigenschaft schließlich doch zu sehr ins Auge springt, als daß sie interessantsein könnte, ist ein gradueller Unterschied; ebenso wie Verallgemeinerungen in der Wissenschaft um so mehr Ad-hocCharakter an sich haben, je ärmer und schwächer ihre Verbindungen mit dem theoretischen Hintergrund sind, so sindStileigenschaften um so mehr Ad-hoc-Eigenschaften, Je seltener und schwächer ihre Verbindungen mit dem Netz anderer Stilbegriffe sind.Bislang grenzt also nichts diese absurde Eigenschaft von eindeutigen Stileigenschaften ab. Gleichwohl deckt unsere Stildefinition hier einen kategorialen Unterschied auf. Obwohlunsere Eigenschaft den betreffenden Romanen tatsächlichangehört und sie sogar als solche des betreffenden Autorsidentifiziert, wird sie von den Werken als solchen wohl kaum
13 Obwohl meine BeIspiele im vorliegenden Kapitel Werke sind, trifft das, was ich überStile sage, ebenso auf Aufführungen zu. Die oft mißbrauchte Frage »Was ISt Kunst?«- d.h. Wie (oder besser: wann) sich Irgendetwas als ein gutes oder schlechtes KunstwerkqualifiZiert - und verwandte Fragen hinSichtlich des obJet trouve und der Concept Artwerden unten Im KapItel IV nochmals untersucht.
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auf irgendeine Weise exemplifiziert oder symbolisiert. Daringleicht sie der Größe und derGestalt des erwähnten Stoffmusters, das nicht als Probe dieser Eigenschaften, sondern alseine Probe von Farbe und Gewebe dient. Da unsere Eigenschaftvon den Romanen nicht symbolisiert wird, genügt sieunserer Stildefinition nicht. Im Gegensatz selbst zu denfremdartigsten oder den .unbedeutendsten Stileigenschaftenist Sle überhaupt keine solche.AUch wenn nun klar genug ist, was von der Stoffprobe desSchneiders exemplifiziert wird oder nicht, bleibt freilich oftnur schwer zu bestimmen, welche Eigenschaften genau voneinem Kunstwerk oder einer Aufführung exemplifiziert werden. Die in der Definition getroffene Unterscheidung wirdmanchmal wohl schwer anwendbar sein. Ebenso haben wirhäufig Mühe zu sagen, was genau ein Werk sagt oder ausdrückt. Daß wir Schwierigkeiten haben, eine Bestimmung zutreffen, impliziert,da.ß es etwas zu bestimmen gibt: daß dasWerk tatsächlich dies und jenes sagt oder nicht sagt, einegegebene Eigenschaft exemplifiziert (oder ausdrückt) odernicht. Ob eine Eigenschaft eine Stileigenschaft ist, hängtebenso wie die Aussage eines Werks weder von der Schwierigkeit des Bestlmmens noch von der Wichtigkeit des Exemplifizierten oder des Gesagten ab.
6. Die Signifikanz des Stils
Natürlich ist die Stilistik nur ein schmaler Bereich der Kritik.Zur Kunstkritik kann die Erörterung nicht nur von historischen, biographischen, psychologischen und soziologischenFaktoren, sondern von beliebigen Eigenschaften der untersuchten Werke gehören. Die Stilistik hingegen beschränkt
. sich auf Merkmale dessen, was und wie Werke symbolisieren,und im weiteren auf diejelllgen Merkmale, die für einenbestimmten Autor, eine Zeit, eine Region oder Schule cha-rakteristisch sind. .
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Bedeutet dies, daß Stilbegriffe bloße Instrumente für denLiteratur- oder Kunsthistoriker sind, Hilfsmittel für denKonservator, Kunstwerke ihrer Herkunft entsprechend zu
. sortieren? Sind Stile ebenso wie Katalogemtragungen undAusgrabungsberichte einfach Arch1vierungshilfen, oderhaben sie ästhetische Signifikanz? Gehört die Stilistik einfachzur Maschinene der Gelehrsamkeit, oder betrifft sie dieWerke als Kunst?So formuliert, ist die Frage irreführend. Sie unterstellt, daßZuschreibung nicht zur Ästhetik gehört, daß die >bloße<Identifikation von Künstler, Zeit, Ort oder Schule ästhetischirrelevant ist, daß das Geschäft der Kritik mit der Sache derGesch1chte lllchts zu tun hat (und umgekehrt). Das ist falsch.Wie 1ch an anderer Stelle argumentiert habe (LA, III, I und2), prägt das Wissen über die Herkunft emes Werkes, selbstwenn es durch chemische Analyse oder andere, rein naturwissenschaftliche Mittel gewonnen wurde, die Weise, in derdas Werk zu betrachten, zu hören oder zu lesen 1st, und esliefert der Suche danach, in welcher lllcht-offenkundigenWeise das Werk von anderen Werken abweicht oder ihnenähnlich 1st, eine feste Grundlage. Tatsächlich muß man, umperzeptiv einen Stil herauszufinden, gewöhnlich von bereitsidentifizierten Werken ausgehen, die für einen Künstler odereine Schule stehen. Zuschreibungen, wie immer sie auchdur·chgeführt werden, tragen somit zum Verstehen vonKunstwerken bei.Die Frage, um die es hier wirklich geht, ist eine andere: obstilistische Eigenschaften irgendeme direktere ästhetischeSignifikanz haben als lllcht-stilistische Eigenschaften, die beider Zuschreibung helfen. Die Antwort ist in dem bereitsGesagten enthalten. Die Einordnung eines Werks ist selbstästhetisch slgnifikant, msofern sie die Entdeckung von Qualitäten, wie der des Stils, fördert. Daß Stil per defimtwnem füreinen Autor, eme Zeit, eme Region oder Schule charakteristisch ist, reduziert ihn nicht auf em Hilfsmittel bei derZuschreibung; v1elmehr ist die Zuschreibung, was die Ästhe-
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tik betrifft, selbst nur eine Vorarbeit, ein Hilfsmittel oder einNebenprodukt der Stilwahrnehmung. Geschichte und Kritikunterscheiden sich nicht dann, daß sie getrennte Gegenstandsbereiche hätten oder Aufgaben nachgingen, die in keiner Beziehung zueinander stünden, sondern darin, daß ihreZwecke und Mittel in reziprokem Verhältnis stehen. Wo derHistoriker seine Stilkenntnis dazu verwendet, um ein Bild aiseines von Rembrandt oder ein Gedicht ais eines von Hopkinszu identifizieren, verwendet der Kritiker die Identifikationder Urheberschaft ais Schritt, um die für Rembrandt oder fürHopkins charakteristischen Eigenschaften des Werkes her-auszuarbeiten. /Warum aber sollte der Stil wichttger sein ais irgendeine andereQualität, die - wenn man nur lange genug sucht - für dieWerke einer Zufallsauswahl als charakteristisch erkannt werden könnte? Zum Teil aus demselben Grund, aus dem Adhoc-Stileigenschaften nicht viei geiten: Mangel an interessanten Querverbindungen mit dem stets sich weiter entwickelnden Geflecht anderer Merkmale, die an der Organisationunserer ästhetischen Erfahrung beteiligt sind; und zum Teildeshalb, weil sich unsere suchende Wahrnehmung, soiangesie die Eigenschaften des Werkes nicht mit projizierbarenFaktoren wie Urheberschaft oder Schule in Korrelation setzenkann, nicht intensivieren, verfeinern oder durch Überprüfung an weiteren Fällen erweitern iäßt.'4 Das ist keineswegsunverträglich mit der vertrauten Tatsache, daß interessanteQualitäten gelegentlich durch das bloße Nebeneinanderstelien von Werken in einer Anthologie, in: einer Ausstellung,einer Sammiung, einem Konzert oder sogar im Durcheinander eines Lagerraums aufgedeckt werden.Der Stil Haydns, Hardys oder Holbeins kündet sich demzufälligen Hörer, Leser oder Museumsbesucher nicht vonselbst an, und er Wird auch durch eine anschließende expliziteBeiehrung kaum erkennbar. Stile sind normaierweise nurdem wissenden Auge oder Ohr zugänglich, der darauf abge14 Siehe dazu auch unten KapItel VI!, 6 und 7.
stimmten Sensibilität, dem gebildeten und fragenden Geist.Dies ist nicht erstaunlich und auch keine Eigentümlichkeitvon Stilen. Kein Charakteristikum von irgendetwas ist sozentrai oder so ZWingend auffällig, daß es selbst bei genauerund wiederholter Nachprüfung nicht übersehen werdenkönnte. Was wir herausfinden oder was uns auszumachengelingt,ist in starkem Maße abhängig davon, wie und was wirsuchen. Wie früher bemerkt, kann es uns mißlingen, dasGesicht in einem Vexierbild zu sehen. Form und Gefühlkönnen uns entgehen, wenn wir uns auf das Gesagte konzentrieren, oder die Aussage kann uns entgehen, während wir aufReim und Rhythmus achten. Wenn wir in zwei Sprachengieich gut zu Hause sind, werden wir kaum beachten undschnell vergessen, welche der gehörten oder geiesenen Wortein welcher Sprache gesprochen oder geschrieben waren. DerAufbau des Ganzen kann zugunsten der Einzelheiten übersehen werden, oder er kann die Aufmerksamkeit von diesenablenken. Die Wahrnehmung einer Struktur, die nicht mitder Struktur des Suchens zusammenpaßt, bereitet oft großeSchwierigkeiten.Dennoch regt der Stil, je kompliZierter und schwieriger er zuerfassen ist, das Suchen um so stärker an und belohnt denErfolg durch Aufklärung. Ein offenkundiger, an einemäußerlichen Schnörkel leicht zu identifizierender Stil wird mitRecht ais bioße Manieriertheit verurteilt. Ein kompiexer undsubtiler Stil widersetzt sich ebenso wie eine präzise Metapherder Reduktion auf eine buchstäbliche Formulierung.Gewöhnlich nehmen wir den Stil oder die Traurigkeit einesBildes oder Gedichts wahr, ohne derartige Eigenschaften inElemente zerlegen oder notwendige und hinreichende Bedingungen dafür angeben zu können. Gerade aus diesem Grunderweitert eine solche Wahrnehmung, wenn sie uns gelingt,die Dimensionen unseres Werkverstehens. Je weniger uns einStil zugänglich ist und je mehr wir uns ihm anverwandeinmüssen, desto größere Einsicht gewmnen wir, und um sobesser werden wir imstande sem, Entdeckungen zu machen.
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Stilerkennung ist ein wesentlicher Aspekt des Verstehens vonKunstwerken und den Wehen, die sie präsentieren.
IIII
Probleme des Zitierens
1. Das spracbliche Zitat
In den letzten Jahren hat man sich, besonders in sprachphilosophischen Erörterungen, die vor der Verwechslung vonGebrauch und Erwähnung warnten, eingehender mit demdirekten Zitat beschäftigt und vielleicht noch mehr um einerichtige Deutung des indirekten Zitierens bemüht. Man hatsich dabei aber ausschließlich auf das sprachliche Zitat oderdas Zitieren mit Wörtern beschränkt. Wie steht es aber mitanderen Arten des Zitierens? Wenn eine Wortkette eineandere Wortkette zitieren kann, kann dann einBild ein Bildzitieren oder kann eine Symphonie eine Symphonie zitieren?Und wenn ich deine Worte zitieren kann, kann ich dann auchdeine Gesten zitieren, oder kann ich sie nur nachahmen oderbeschreiben?Bevor wir solche Fragen über das nicht-sprachliche Zitatuntersuchen, tun wir vielleicht gut daran, einen Überblicküber das zu geben, was wir vom sprachlichen Zitat wissen.Beginnen wir mit dem folgenden Satz:
AI. Dreiecke haben drei Seiten.
Die Wahrheit dieses Satzes soll hier keine Rolle spielen, dochhabe ich mit Absicht eine tempusfreie Aussage gewählt - eineAussage, deren sämtliche Repliken [replicas] denselbenWahrheitswert haben -, so daß wir zwischen den verschiedenen Repliken nicht zu. unterscheiden brauchen.Indem wir AI in Anführungszeichen setzen, erzeugen wireinen Namen, der AI direkt zitiert:
A2. »Dreiecke haben drei Seiten.«
Zu beachten ist, daß A2 im Gegensatz zu AI eben keinSatz, sondern ein Name Ist. Natürlich könnten wir AI
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benennen oder beschreiben, ohne AI zu zitieren, zum Beispiel durch
AJ. Ausdruck AI.
Oder wir könnten AI durch Einfügen des Präfixes "daß«indirekt zitieren:
A4. daß Dreiecke drei Seiten haben.[that triangles have three sides]
A2 benennt und enthält nun zugleich AI; AJ benennt zwar,enthält aber AI nicht. Wie steht es mitA4?Zufällig ist AI darin enthalten [wenn auch im Deutschen ineiner anderen Wortfolge]; aber es gibt auch Ausdrücke, indenen AI indirekt zitiert ist, ohne dann enthalten zu sein,beispielsweise:
A5. daß dreiwinklige Polygone drei gerade Grenzlinienhaben;
oderA5', que les triangles ont trois bords.
Aber benennt A4 oder A5 nun AI? Kemeswegs; A4 und A5sind vielmehr Prädikate, die auf AI und alle seine Paraphrasen' zutreffen. A4 zum Beispiel ist elliptisch für "Ausdruck,der besagt, daß Dreiecke drei Seiten haben«,Zusammengefaßt:
A2 benennt und enthält zugleich AIAJ benennt, aber enthält nicht AIA4 enthält [wenn auch in veränderter Wortfolge], aber
benennt nicht AIA5 enthält nicht und benennt nicht AI.
Das heißt, em direktes Zitat eines Satzes benennt und enthältihn zugleich; ein indirektes Zitat benennt ihn nicht und muß• Bel der Behandlung des mdirekten Zitats übernehme Ich die VorgehenswelSe und dieTermmologle von Israel Scheffler. Siehe semen Aulsatz ..An Inscnpllonal Approach toIndirect Quotation«, 10: AnalySIs '4 (1954). S. 83-9°, sowIe »Inscnptionalism andIndirectQuotallon«, in: AnalySIs '9 (1958), S. 12-18.
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ihn nicht enthalten. Der Symmetrie halber können wir auchfesthalten, daß ein Ausdruck natürlich AI enthalten kann,ohne ihn weder direkt noch indirekt zu zitieren, zum Beispiel:
A6. Dreiecke haben keine drei Seiten, so daß zwei beliebigeSeiten parallel sind.
Betrachten wir die Zusammenfassung, so werden wir unswohl etwas wundern, weshalb sowohl A2 als auch A5 alsFormen des Zitierens betrachtet werden, AJ und A6 hingegen nicht. Für das direkte Zitat ist beides notwendig,Benennen und Enthalten.> Zumindest eine dieser Bedingungen wird von AJ und A6 erfüllt, aber keine der beidenvon A 5. Gleichwohl verbinden wir A5 mit A2, indem wirbel beiden von Zitaten sprechen. Gibt es dafür einen gutenGrund?Die Erklärung ist vielleicht die, daß sowohl A2 als auch A5auf AI Bezug nehmen - genauer: AI denotieren - und daßbeide eine Paraphrase von AI enthalten, da natürlich jederAusdruck eine Paraphrase seiner selbst ist. Offenbar gibt eszwei notwendige Bedingungen für das - direkte oder indirekte - Zitat: (a) das Enthalten einer Paraphrase dessen,was zitiert wird, und (b) die Bezugnahme auf das, waszitiert wird, und zwar entweder durch Benennung oderdurch Prädikation. Nach dieser Darlegung erhält das indirekte Zitat semen Namen nicht durch Gebrauchserweiterung von "Zitat« über das direkte oder eigentliche Zitathinaus, sondern das direkte Zitat wird zum Spezialfall desindirekten. Diese vereinheitlichende I;ormulierung sollteuns jedoch einen wichtigen Unterschied nicht vergessen lassen. Direktes Zitieren verlangt, daß zwischen dem Zitiertenund dem im Zitat Enthaltenen die Relation der syntaktischen Identität oder, wenn wir das Zitierte als Äußerungoder Insknption und nicht als generellen Typ auffassen, die
2 Ich sage meht, daß dies hinreIchende Bedingungen smd; wie wir später sehen werden,sind Sie es In dieser Formulierung tatsächlich nicht.
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Relation der syntaktischen Replikation, also Gleichheit derBuchstabenfolge, besteht.3 Indirektes Zitieren andererseItsverlangt semantische Paraphrase, bei der zwischen demZitierten und dem im Zitat Enthaltenen eine Äquivalenz derBezugnahme oder der Bedeutung besteht.Nebenbei bemerkt: während ein Name (zum Beispiel »Pegasus«) fiktiv sein und nichts benennen, ein Prädikat leer seinund auf nichts zutreffen kann, können die Namen und Prädikate, die Zitate sind, nicht fiktiv oder leer sein. Ein Name, derein direktes Zitat ist, kann nicht fiktiv sein, da er enthält, waser benennt; und em Prädikat, das ein indirektes Zitat ist, kannnicht leer sem, da es eine der Paraphrasen enthält, auf die eszutrifft.Was zitiert wird, braucht natürlich kein Satz zu sein. Zitierenläßt sich auch ein Wort, eine Silbe, ein Buchstabe, ja sogar einInterpunktionszeichen. Parallelen zU AI - A] sind zum Beispiel folgende :
BI. BaumB2. »Baum«B]. Ausdruck BI.
Doch was ist die Parallele zu A4? Da A4 ein Prädikat ist, dasauf alle Paraphrasen von AI zutrifft, brauchen wir hier einPrädikat, das auf alle Paraphrasen von »(ist ein) Baum«zutrifft. Parallelen zu A4 - A6 sind:
B4. Baum-TerminusB5. Terminus für große HolzpflanzenB5'. mot pour les arbresB6. Ein Baum ist kein Gedicht.
Wenn das Zitierte ein Buchstabe oder eine Unsinnssilbe undkein Wort ist, sind die Parallelen zu AI - A] wiederumoffenkundig:
CI. b3 Zu Äußerungen, Insknptionen und Repliken siehe SA, XI, , und 2. Zum allgemeinenBegriff der Selbigke't des Buchstabierens SIehe LA, IV, 2.
C2. »b«Cl. Ausdruck CI;
doch sind wir in Verlegenheit, wenn wir eine Parallele zu A4finden wollen. Vorgeschlagen werden manchmal Prädikatewie »(ist ein) be« oder »der zweite Buchstabe des Alphabets«,die auf alle Einzelfälle des Buchstabens »b« zutreffen. Einzelfälle oder Repliken. eines Buchstabens sind jedoch keineParaphrasen von ihm; denn wie wir gesehen haben, ist dieRelation der Paraphrase eine semantische Relation, die aufBezugnahme oder Bedeutung beruht. Eine Paraphrase einesTerminus trifft auf das zu, worauf der Terminus zutrifft; eineParaphrase eines Satzes wiederholt, was der Satz sagt. Dochein Buchstabe, der kein Wort oder Satz ist, nimmt auf nichtsBezug, hat keine Bedeutung und daher auch keine Paraphrasen. Somit gibt es hier keine Parallelen zu A4 - A5'. AlsParallele zu A6 wird jedes Wort genügen, das den Buchstabenenthält, zum Beispiel:
C6. ab.
Anders· ist die Situation interessanterweise bei »Pegasus«,obwohl dieses Wort ebenso wie der Buchstabe »b« nichtsdenotiert. Parallelen zu AI - A] sind:
DI. PegasusD2.»Pegasus«D] . 'Ausdruck DI;
gibt es aber wie bei »Baum« eine Parallele zu A4, oder gibt eskeine, wie bei »b«? Wenn»Baum-Terminus« lediglich meint:»Ausdruck mit der gleichen Extension wie >Baum«<, dann istder Begriff einer Paraphrase für »Pegasus« ebenso überflüssigWle der Begriff emer Paraphrase für »b«. Doch »Pegasus« istim Unterschied zu »b« ein Wort, das der Kategorie derNamen angehört, und wenn man es mit anderen Wörtern wie»Bild« oder »Beschreibung« zusammensetzt, erhält manAusdrücke, deren Extension nicht null ist. Die Extensionen
solcher zusammengesetzter Termini sind sekundäre Extensionen4 von "Pegasus«oJetzt haben wir eine Parallele zu A4 und B4 in
D4. »Pegasus-Terminus«,
die auf alle Paraphrasen von »Pegasus« zutrifft, wobei eineParaphrase eInes Terminus nicht nur die primäre, sondernauch die erforderlichen5 sekundären Extensionen jenes Terminus bewahrt. Kurz, »Pegasus« kann paraphrasiert werden,weil er zwar keine primäre, wohl aber sekundäre Extensionenhat - einfach gesagt, weil er nicht bedeutungslos ist. Entspre-chende Parallelen zu A5 - A6 sind: .
D5 . Bellerophons-Flügelpferd-TerminusD5 i 0 mot pour le cheval aile de BellerophonD6 0 Flügel von Pegasus.
Bislang haben wir ausschließlich das verbale oder sprachlicheZitat diskutiert und dabei für solche Zitate - direkte oderindirekte - zwei notwendige Bedingungen gefunden:
(a) das Enthalten(sein) des Zitierten oder einer Replik oderParaphrase des Zitierten, und
(b) die Bezugnahme auf das Zitierte - durch Benennungoder Prädikation des Zitierten.
Wir müssen festhalten, daß diese Bedingungen nicht hInreichend sind. Der Terminus
E. Der zweite Buchstabe des Alphabets
denotiert und enthält zwar, zitiert aber sicherlich nicht denBuchstaben, den er beschreibt. Wir müssen somit für dasdirekte Zitieren etwa folgende Bedingung hinzunehmen:
(c) Die Ersetzung des denotierten und enthaltenen Aus-drucks durch irgendeinen anderen Ausdruck der Sprache
4 Zum Begriff der sekundären Extensionen siehe meme Aufsätze. »On Likeness ofMeaning« ([949) und »On Some Differences about Meaning« (1953), m: PP, V, z und3'5 Die Bewahrung aller sekundären Extensionen wäre eine zu starke Forderung; siehedie in der Anm. 4 oben zitierten Aufsätze.
ergibt eInen Ausdruck, der den ersetzenden Ausdruckdenotiert.
Offensichtlich genügt die Ersetzung dessen, was in Anführungszeichen steht, dieser Bedingung, doch die Einfügungeines anderen Buchstabens (oder Worts usw.) anstelle desbeschriebenen Buchstabens in der obigen Beschreibunggenügt nicht; das übliche Resultat wird ein Unsinn wie derfolgende sein:
F, Der zweite Tuchstate des Alphatets.
2. Das bildliche Zitat
Wann haben wir es mit Zitaten in nicht-verbalen Systemen zutun? Beginnen wir mit Abbildungen und dem direkten Zitat.Wann zitiert ein Bild ein anderes direkt?Sicherlich stellt das bloße Enthaltensein eines Bilds in einemanderen ebensowenig ein Zitat dar wie das Enthaltenseineines Ausdrucks in einem anderen, wie in A6, B6 usw. EinDoppelporträt zitiert nicht die enthaltenen Porträts; ein Seestück zitiert nicht das Bild eines Schiffes auf ihm.Ebensowenig stellt die Bezugnahme auf ein Bild durch einanderes ein Zitat dar. Nehmen wir an, auf einem Gemälde ineiner Museumsgalerie werde nur der Rand von RembrandtsNachtwache gezeigt, oder die Nachtwache werde so gezeigt,daß die Köpfe von Betrachtern Teile davon verdecken. DiesesGemälde ist ein Bild der Nachtwache, es bezieht sich auf dieNachtwache, aber zitiert sie nicht - weil es sie nicht enthält.Ein Bild zitiert ein anderes nur dann direkt, wenn es sowohldarauf Bezug nimmt als auch es enthält. Welches sind aber dieMittel, mit denen ein Bild auf ein anderes Bezug nimmt, dases enthält? Mit anderen Worten, was ist das bildliehe Analogon von Anführungszeichen?Eins ist wohl klar: Wie man einen Ausdruck in Anführungszeichen setzt, um ihn direkt zu zitieren, so kann man ein Bild
direkt zitieren, indem man es mit dem Bild eines Rahmensumgibt; und es gibt weitere Mittel mit gleicher Wirkung,etwa indem es auf einer Staffelei befindlich oder an der Wandhängend gemalt wird. Nun stehen wir Jedoch vor emer eIgentümlichen Schwierigkeit. Wenn ich ein Bild malen will, dasdie Nachtwache direkt zitiert, kann ich wohl kaum dieNachtwache selbst in mein Bild einsetzen und einen Rahmendarum herum malen. Impliziert die Bedingung des Enthaltenseins, daß ein Bild nur das zitieren kann, was sich tatsächlich in ihm befindet? Dies wäre sicherlich eine zu strengeForderung.Blicken wir nochmals auf AI und A2 zurück. Wir stelltenfest, A2 enthält AI dann, wenn wir sie als Universalien oderTypen auffassen; wenn wir sie aber als einzelne Inskriptionenauffassen, sollten wir eher sagen, A2 (oder Jede Replik davon)enthalte eine Replik von AI. Die Inskrtptton A2 oben enthältnicht die Inskription AI,. sondern vielmehr eine Replik dieserInskription.Das Problem im Fall der Gemälde ist jedoch dies, daß sie (imGegensatz zu Ausdrücken) dem angehören, was ich ein smguläres Symbolsystem nenne, ein System einmaliger Symbole.6 Jedes Gemälde ist einmalig; im technischen Sinn vonReplik gibt es keine Repliken von Bildern, so wie es Replikenvon Wörtern gibt. Wir dürfen nicht vergessen, daß Repliksein und Kopie-sein zwei ganz verschiedene Angelegenheitensind; Repliken können sich drastisch unterscheiden, solangesie nur genauso buchstabiert werden. Da es für Malen undZeichnen kein Alphabet gibt und kein Notiltlonskriteriumfür die Selbigkeit der Buchstabenfolge, hat das direktesprachliche Zitat kein exaktes Analogon in der Malerei.Eine Photographie hmgegen ist nicht einmalig. PhotographIsche Bilder gehören zu einem multiplen Symbolsystem, dessen Bilder mehrfach vorhanden sem können. Die Relationzwischen den vielen Abzügen eines Negativs ist in gewissem
6 Zu SIngulären, multiplen, autographischen und a/lographischen SymbolsystemenSIehe LA, II1, 3 und 4.
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Ausmaß vergleichbar mit der Relation zwischen den vielenRepliken eines Worts; doch sind die beiden Relationen nichtgleich. Im ersten Fall haben wir ein autographisches Symbolsystem und im zweiten ein allographisches; d. h., die RelationZWischen den Abzügen besteht darin, daß sie vom selbenNegativ hergestellt wurden, während die Relation zwischenden Inskriptionen darin besteht, daß sie auf dieselbe Weisebuchstabiert werden. Dennoch könnte man die >VervielfäItigung< von Abzügen als em wenn auch gewiß nicht exaktesAnalogon zur Wiederholung von Inskriptionen akzeptieren,weil es sich beidesmal um multiple Symbolsysteme handelt,also Systeme, deren Symbole mehrfach vorkommen können.Eine Photographie kann dann tatsächlich ein Duplikat einerzweiten Photographie enthalten; und von der ersten Photographie, wenn sie zudem auf die zweite dadurch Bezugnimmt, daß sie sie in einem Rahmen befindlich zeigt usw.,könnte man dann sagen, daß sie die zweite direkt zitiert.Wenn wir uns wieder Gemälden und Zeichnungen zuwenden, können wir es dann rechtfertigen, die Analogie nochweiter auszudehnen, indem wir den Begriff der »Kopie«anstelle von ,>Vervielfältigung« oder »Replik« gebrauchen?Dies würde freilich die Analogie fast überdehnen, da, wie wirgesehen haben, das Kopieren als Relation in einem autographischen System singulärer Symbole sich drastisch unterscheidet von der Bildung von Repliken als Relation in einemallographischen multiplen Symbolsystem. Sobald wir eineAnalogie auszudehnen beginnen, ist es allerdings ziemlichwillkürlich, wo wir aufhören. Ich möchte hier allenfalls soviel sagen: Was wir als direktes Bildzitat ansehen, wird davonabhängen, was wir als adäquates Analogon zur Replikbildungerachten wollen, wie es im Bereich desZitierens mit Wörternmöglich ist.Wie steht es mit dem indirekten bildlichen Zitat? Können wirein bildliches Analogon zu einem Prädikat finden, das auf alleParaphrasen eines Bildes zutrifft? Die hier geforderte Allgemeinheit bereitet keine Schwierigkeiten. Es kann sein, daß ein
Bild nicht auf ein bestimmtes Bild Bezug nimmt, sondern aufviele Bilder; es mag ein Bild nicht von der Nachtwache,sondern von Gruppenbildern im allgemeinen oder von Rembrandt-Bildern im allgemeinen sein7, usw. Vielleicht könntenwir auch bildliche Kopte irgendwie so auslegen, daß sie zuParaphrase genügend analog ist. Doch dann stehen wir vorder schwierigen Frage: Wenn ein gemaiter Rahmen ein bildliches Analogon zu Anführungsstrichen ist, was ist dann einbildliches Analogon zum »daß« (oder zum »-Terminus«) desindirekten Zitats? Man könnte vermutlich antworten, daß dieUnterscheidung zwischen direktem und indirektemZitat beiBildern nicht so scharf ist wie in der Sprache und daß emgemaiter Rahmen als Analogon sowohl zu den Anführungszeichen als auch zum »daß« fungieren kann, wobei allenfallsder Kontext bestimmt, weiches der Fall ist. Die deutscheSprache könnte ohne weiteres ein gleichermaßen zweideutiges Mittel enthalten wie etwa
{=}
so daß
Hans sagte {Dreiecke haben drei Seiten}
neutral wäre im Hinblick darauf, ob Hans diese bestimmtenWörter oder bloß irgendeine ihrer Paraphrasen äußerte.Sofern der Kontext die Zweideutigkeit nicht dahin auflöst,daß der betreffende Fall als ein direktes Zitat zu interpretierenist, kommt eine soiche Äußerung am Ende einem indirektenZitat gleich. Bis zu einem gewissen Grad ist allerdings auchdas »daß« des Deutschen durch den Kontext beeinflußbarund kann die Kraft von Anführungszeichen haben, z. B. indem Satz:
Hans sagte in ebendiesen Worten, daß Dreiecke drei Seitenhaben.
7· Zu allgememen Darstellungen siehe LA, I, 5, und meine Antwort an Monroe Beardsiey m:Erkenntms 12 (1978), S. 169-173.
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3. Das musikalische Zitat8
Die Probleme beim musikalischen Zitat liegen ganz anders.Beschränken wir uns hier auf Musik, die, ob traditionell odernicht, in der traditionellen Notation partituriert ist. DieNotation definiert den Replik-Charakter: zwei Aufführungen der gleichen Partitur, Wie immer sie sich sonst auchunterscheiden mögen, zählen als Repliken voneinander.Somit gibt es keine Schwierigkeit damit, daß ein musikalisches Ereignis eine Replik eines anderen enthäit.Das Problem liegt hier vielmehr in der Bezugnahme. Ebensowenig wie in der Sprache konstitUiert das bloße Enthaltenseindas Zitat; doch was macht in der Musik die Differenz auszwischen dem bloßen Enthaltensein der Replik einer Passageund der Bezugnahme auf diese Passage? Mit anderen Worten,was ist in der Musik das Analogon zu den Anführungszeichen? So wie die Dinge liegen, scheint die Antwort zu lauten:»Nichts«. Merkwürdigerweise bereitet von den zwei Bedingungen des Zitierens bei Bildern die Forderung des Enthaltenseins und in der Musik die Bedingung der BezugnahmeSchwierigkeiten.Daß die Musik kein Analogon zu den Anführungszeichenbesitzt, scheint jedoch eher zufällig zu sein. Nichts steht derEinführung von Schriftzeichen in die musikalische Notationim Wege, die als Anführungszeichen fungieren könnten;sogar gewöhnliche Anführungszeichen ließen sich verwenden.9 Wenn diese Zeichen nicht gespielt werden - d. h. wennsie keine Klangentsprechungen [sound-compliants] haben -,ist die Analogie zur Sprache sehr eng. Anführungszeichen inder Sprache werden ja nicht ausgesprochen; sie kommen zwarin der Schrift, nicht aber im Sprechen vor. Im gesprochenenDeutsch unterscheiden wir nicht zwischen
(a) Hans sagte, Dreiecke haben drei Seiten
8 Bel diesem Thema profitierte Ich von mehreren DiskUSSIOnen mit Vernon Howard.9 Es wurde mir zwar gesagt, daß eimge Komponisten Anführungszeichen genau indieser Welse gebraucht haben, aber Ich kann keine BeISpiele anführen.
und
(b) Hans sagte: ,>Dreiecke haben drei Seiten.«
Was wir sagen oder hören, kann eine Äußerung entweder von
(a) sein, die elliptisch ist für
(c) Hans sagte, daß Dreiecke drei Seiten haben,
oder von (b). Während wir den Zweifel in der einen Richtungauflösen können, mdem wir em »daß« einfügen - das ImGegensatz zu Anführungszeichen ausgesprochen wird.-,können wir den Zweifel m der anderen Richtung - so, wie dasDeutsche nun einmal ist - nicht auflösen. Freilich könneneinige Anzeichen des Kontexts und der Betonung sowie Pausen helfen; wenn zum Beispiel im obigen Fall »sagte« betontwird und eine merkliche Pause folgt, ist das direkte Zitat klarangezeigt. Und solche Anzeichen können, wenn sie h.mreichend standardisiert sind, ein auditives Mittel für das direkteZitieren m der Sprache oder m der Musik bilden. .Vielleicht ist der Grund, warum wir in der musikalischenNotation tatsächlich keine stummen Anführungszeichenhaben, obwohl wir sie leicht haben könnten, der, daß in derMusik der Klang das Endprodukt ist. Im Deutschen hingegenist das Geschriebene kein bloßes Mittel für das, was gesagtwird sondern von zumindest gleicher> eigenständiger Wichtigk:it; die Tatsache, daß einige geschriebene Dinge nichtausgesprochen werden, macht sie nicht überflüssig. .Was könnte nun beim indirekten Zitat in der Musik dasAnalogon zur Paraphrase sem? Paraphrase von ist, wiegesagt, eine semantische Relation; und die M~sik hat meistkeme Denotation. Ein Terminus wird von emem anderenparaphrasiert, der die gleiche primäre Extension un~: inAbhängigkeit vom Diskurs, einige der gleichen sekundarenExtensionen hat. Musik aber, die keine ExtenSIOn hat, kannebensowenig paraphrasiert werden wie ein Buchstabe odereine Unsinnssilbe. Der an dieser Stelle unvermeidliche Vorschlag, daß doch Transposition oder Variatton musikalische
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Analoga zur Paraphrase seien, ist offensichtlich falsch. Dennmusikalische Transposition und Variation sind syntaktischeund keine semantischen Relationen. Sie beruhen auf Bezie~
hungen zwischen Noten und Mustern selbst und nicht aufirgend etwas, das diese denotieren. lo
Wo Musik deskriptiv ist, wo sie denotiert, nimmt die Paraphrase Bedeutung an. Doch für das indirekte Zitat, welchesein Analogon zu einem Prädikat erfordert, das auf alle Paraphrasen einer gegebenen Passage zutrifft, brauchen wiraußerdem ein musikalisches Analogon zum sprachlichen»daß« oder zum »-Terminus«. Da diese beiden Zeichen imGegensatz zu Anführungszeichen klanglich artikuliert werden, würde die bloße Addition eines klanglich nicht artikulierten Zeichens zur musikalischen Notation hier nicht ganzausreichen. Das indirekte Zitat in der Musik kann, wennüberhaupt, nur mit Klangzeichen gebildet werden, genau wiein der gesprochenen Sprache, wenn das »daß« unterdrücktwird.
4. Das Zitat aus anderen Systemen
Daß das Zitierte und das Zitierende manchmal verschiedenenSystemen angehören, wurde bereits illustriert. Die Prädikatedes indirekten Zitats umfassen ganz offensichtlich nicht nurParaphrasen im Deutschen, sondern ebenso in anderen Sprachen. Nur so könnte eine Aussage wie
Jean sagte, daß Dreiecke drei Seiten haben
wahr sein, wenn Jean französisch sprach.Überdies kann ein Ausdruck jeder beliebigen Sprache direkt
10 Vernon Howard hat dazu emen interessanten Vorschlag gemacht: Wenn wir voneiner Paraphrase verlangen, daß sie die Bezugnahme überhaupt bewahrt - sei es durchExemplifikatIOn oder durch DenotatIon -, dann ließe sich musikalische VanatwnvielleIcht in dem Sinne ais Paraphrase verstehen, daß sie die Bezugnahme durch ExemplifikatIon bewahrt. Siehe dazu seinen Aufsatz .On Musical Quotation«, m: TheMomst 58 (1974), S. 307-3,8.
im Deutschen zitiert werden, indem er in Anführungszeichengesetzt wird. Ein fremdsprachiger Ausdruck verbindet sichmit den ihn umgebenden Anführungszeichen zu einem deutschen Terminus - einem deutschen Namen des zitierten Ausdrucks. Wie Alonzo Church betont harr', wird ein Satz wie
Jean a dit »Les triangles ont trois bords«
ins Deutsche richtig übersetzt mit
Jean sagte: »Les triangles ont trois bords«,
und mcht mit
Jean sagte: »Dreiecke haben drei Seiten«,
womit fälschlich benchtet wird, Jean habe einen deutschenSatz geäußert.Natürlich wird bei der Übersetzung eines französischenRomans ins Deutsch<: sowohl der Dialog als auch das übrigeins Deutsche übertragen. Dieser eher literarische als buchstäbliche Gebrauch von Anführungszeichen führt zu einemZwischending zwischen direktem und indirektem Zitat. ImGegensatz zum wörtlichen direkten Zitat enthält hier dasZitierende das Zitierte nicht; aber ilJ1 Gegensatz zum indirekten Zitat darf das Enthaltene· nicht bloß eine Paraphrase,sondern muß eine Übersetzung des Zitierten sein - und Übersetzen ist eine engere Relation als Paraphrasieren.Betrachten wir das bildliche Analogon zu dieser loseren >literarischen< Art des Zitierens. Nehmen wir an, ein nach westlichen Standardkonventionen der Perspektive ausgeführtesBild zeige einen Japanischen Druck, der an der Wand hängt.Der im Bild enthaltene Druck wird, wie es für das Zitat imengeren Sinne erforderlich ist, entsprechend den östlichenKonventionen gezeichnet. Das Analogon zur deutschenÜbersetzung dessen, was in einem französischen Roman inAnführungszeichen steht, würde hier darin bestehen, den
11 Siehe Alonzo Church, »On Carnap's AnalySIS of Statements of Assertion andBelief«, In: AnalySIS /0 ('950)' 5.97-99.
japamschen Druck in die westliche Perspektive zu übersetzen! Die AnalogIe für die Musik liegt auf der Hand.Wenn Wörter aus Irgendeiner anderen Sprache im Deutschen zitiert werden können, können dann Symbole ausmchtsprachlichen Systemen ebenfalls im Deutschen ZItiertwerden? Unter den oben diskutierten Vorbehalten gegenüber der MöglichkeIt, daß überhaupt ein Bild ein andereszitiert, verbindet sich ein Bild (wie ein fremdsprachigesWort) mit den es umgebenden AnführungszeIchen in ememdeutschen Text zu einem deutschen Terminus. Wenn hmgegen Bilder (oder fremdsprachIge Wörter) ohne Anführungszeichen vorkommen, handelt es sich mcht mehr um emendeutschen Text, sondern um einen aus verschiedenen Systemen gemischten Text.Da Paraphrasen in beliebigen Sprachen formuliert sein können, besteht überdies kaum ein Hindernis, auch nichtsprachliche Paraphrasen zuzulassen. Wenn wir einmal (entgegen VII, 5; siehe unten) annehmen, daß Bilder Aussagenmachen, dann läßt sich in
Hans behauptete, daß die Wolken voller Engel sind
das Prädikat, das mit »daß« beginnt, so auslegen, daß esebensogut auf Bild- wie auf Wortparaphrasen von
die Wolken sind voller Engel
zutrifft. Hans mag Wörter auf deutsch oder türkisch geäußert oder er kann ein Bild gemalt haben. Oft allerdingsbeschränkt der Kontext die Anwendung des Prädikats, zumBeispiel auf sprachliche Paraphrasen, wenn »behauptete«ersetzt wird durch »sagte«, oder auf Bildparaphrasen, wenn»behauptete« durch »brachte in Malfarben zum Ausdruck«ersetzt wird.Ebenso wie Bilder somit direkt 'oder indirekt in SpracheZItiert werden können, können sprachliche Ausdrücke vonBildern zitiert werden. Ein bekanntes Beispiel ist einSpruch, den man auf einem Bild eines viktorianischen Zim-
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mers sieht. Der gemalte Rahmen verbindet sich mit den enthaltenen Wörtern, etwa
Horne, Sweet Horne,
zu einem bildlichen, nicht zu einem sprachlichen Zitat. Mankönnte dann, im Wechsel zwischen Bild- und Sprachsystemen, das Bildzitat des englischen Spruchs auf englisch ZItieren und dann das resultierende sprachliche Zitat auf einemBild zitIeren, usw.Kurz gesagt, em visuelles System, welches Mittel besitzt,seine eigenen Symbole zu zitieren, verfügt normalerweIseauch über Mittel, andere visuelle Symbole zu zitieren.
5. Das Zitat aus anderen Medien
Zwar bleibt ein deutscher Text, der ein Bild oder fremdspra~chige Wörter zItiert, deutsch, und ein Bild, das Wörterzitiert, bleibt ein Bild, aber wie könnte ein Bild Klang zitierenoder Klang em Bild? OffensIchtlich kann Klang in einem Bildoder ein Bild m Klang nur dann enthalten sein, wenn derBegriff des EnthaItens über jede sachlich begründete Grenzehinaus ausgedehnt wird.Nun fällt Jedoch sofort auf, daß gesprochenes Deutsch ohneweiteres im Schreiben und geschriebenes Deutsch im Sprechen zitiert wIrd. Über die Kluft zwischen Visuellem undAkustischem, die scheinbar zu groß ist, um beim Zitieren (wodas Enthaltensein eine Rolle spielt) überbrückt werden zukönnen, setzt sich alltägliche Rede spielend hinweg.Die Erklärung liegt darin, daß zv:.ischen Inskriptionen undÄußerungen eines Ausdrucks weitgehende Entsprechungbesteht. Denn es ist ja so, daß Äußerungen und Inskriptioneneines Ausdrucks den gleichen Status haben, weil beide Einzelvorkommnisse desselben Ausdrucks sind: Beide lassensich als Repliken vonemander betrachten. Repliken mögensich im Aussehen, im Klang oder sogar im Medium unter-
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scheiden (LA, IV, 7), solange nur die Buchstabenfolge dieselbe ist. Eben deshalb kann ich im Schreiben zitieren, wasHans sagte, oder beim Sprechen ZItieren, was er schrieb. Imallgemeinen besteht Jedoch zwischen auditiven Symbolenund Bildsymbolen keine eindeutige Beziehung dieser Art.Die Analogie, die der Sprache in dieser Hinsicht am nächstenkommt, findet sich in der Musik. Obwohl die Beziehungzwischen einer Partitur und ihrer Aufführung eine semantische Beziehung zwischen Symbol und Erfüllung und keinesyntaktische Beziehung zwischen Repliken in verschiedenenMedien 1st, handelt es sich um eine ebenso bestimmte Beziehung wie diejenige zwischen einem geschriebenen und einemgesprochenen Wort. Also können wir genauso, wie wir RedeimSchreiben zitieren, indem wir das geschriebene Korrelat inAnführungszeichen setzen, musikalischen Klang auf demPapier dadurch zitieren, daß wir die geschriebenen Noten inAnführungszeichen setzen, Und ein Bild, das ein Partiturblatt zeigt, zitiert in diesem Sinne auch die in Klänge umgesetzte Musik. Und wenn Hans sagt, »Es ging so«, und dannden Anfang von Beethovens Fünfter summt, könnte man vonihm sagen, daß er tatsächlich sowohl die Partitur als auch denKlang zitiert.
6. Überlegung
Die Frage vom Ende des ersten Absatzes, ob man Gestenzitieren könne, überlasse ich dem Nachdenken des Lesers.Mein Ziel m diesem KapItel war nicht, exakte Analogien zumsprachlichen Zitat in nicht-sprachlichen Systemen zu findenoder ihnen aufzuzwingen. Für solche exakten Analogienbestand keine Hoffnung und kein Bedürfnis. Vielmehr habeich eine vergleIchende Untersuchung des Zitats und seinernächsten Analoga unternommen. Da es sich dabei um For~
men der Kombination und Konstruktion von Symbolen handelt, gehören sie zu den Instrumenten, mit denen man Weitenerzeugt.
IVWann ist Kunst?
I. Reinheit tn der Kunst
Wenn Versuche, die Frage »Was ist Kunst?« zu beantworten,meist mit Enttäuschung und Verwirrung enden, dann istvielleicht - wie so oft in der Philosophie - die Frage falschgestellt.Vielleicht können wir das Problem neu fassen, indem wireinige Ergebnisse aus der Symboltheorie nutzbar machen,und damit etwas zur Klärung so strittiger Fragen beitragenwie der nach der Rolle des Symbolischen In der Kunst,nach dem Kunststatus des obJet trouve oder der ConceptArt?Bemerkenswert ist die .Ansicht über das Verhältnis vonSymbol und Kunstwerk, wie sie in einem Vorfall zumAusdrltck kommt, von dem Mary McCarthy sarkastischberichtet:
Als ich vor sieben Jahren an einem fortschrittlichen College unterrichtete, hatte ich in einer meiner Klassen eine gutaussehende Schülerin, die Schriftstellerin für Kurzgeschichten werden wollte. Siestudierte zwar nicht bei mir, wußte aber, daß ich gelegentlich Kurzgeschichten schrieb, und emes Tages kam sie atemlos und erhitzt inder Halle auf mich zu, um mir zu sagen, daß sie eben eine Kurzgeschichte geschrieben hatte, über die ihr Lehrer für Literatur, em Mr.Converse, schrecklich begeistert war. "Er hält sie für wunderbar«,sagte sie, "und er Wird mir helfen, sie zur Veröffentlichung fertigzustellen.<.Ich fragte, worüber die Geschichte gehe. Das Mädchen war ein eheremfaches Ding, das Kleider und Rendezvous liebte. Ihre Antworthatte einen mißbilligenden Ton. Es ging umem Mädchen (sie selbst)und em paar Matrosen, die sie Im Zug getroffen hatte. Doch dannhelterte Sich ihr Gesicht, das verstört aussah, für einen Augenblickauf.
»Mr. Converse wird sie mit mir durchgehen, und wir werden dieSymbole emsetzen.«'
Heute WIrd man dem strahlenden Kunststudenten vermutlicheher raten, und zwar mit derselben Spitzfindigkeit, die Symbole wegzulassen; doch die zugrunde liegende Annahme istdie gleiche: daß .sx.~1?~le,.2JL~als2~ei~1!K':!1..=9.sierAblenkungen, dem Werk selbst äußerlich sind. Eine ver-
-wandte' Allslclit-sche"Tnt"SiCh"in unser"em Ve~dnis dessenzu spiegeln, was wir als symbolische Kunst bezeichnen:Zunächst denken wir dabei an Werke wie Boschs Garten derLüste oder an Goyas Caprichos, an Wandteppiche mit Fabeltieren, an Dalis weiche Uhren und dann vielleicht an religiöseGemälde; je geheimnisvoller, desto besser. Bemerkenswertist dabei weniger die Verbindung des Symbolischen mit demEsoterischen oder Unirdischen als der Umstand, daß Werkedeshalb als symbolisch klassifiziert werden, weil sie Symbolezum Gegenstand haben - das heißt, weil sie Symbole abbilden- und nicht etwa deshalb, weil sie selbst Symbole sind. Alsnicht-symbolische Kunst bleiben dadurch nicht nur Werkeübrig, die nichts abbilden, sondern auch Porträts, Stillebenund Landschaften, auf denen die Sujets ganz direkt, ohneverborgene Anspielungen wiedergegeben werden und nichtselbst als Symbole dastehen.Wenn wir andererseits die nicht-symbolischen Werke als>Kunst ohne Symbole< klassifizieren, beschränken wir uns aufWerke ohne Sujets, zum Beispiel auf rein abstrakte, dekorative oder formalistische Gemälde, auf Gebäude oder musikalische Kompositionen. Werke, die etwas darstellen, gleichgültig was und wie prosaisch auch immer, werden ausgeschlossen; denn Darstellen heißt sicherlich Bezug nehmen,stehen für, symbolisieren. Jedes darstellende Werk ist einSymbol; und Kunst ohne SymbQle 1st oo~biänkLä:iifIGinstohne.~~l~t~··-···-----~
Daß darstellende Werke nach dem einen Sprachgebrauch
, Mary McCarthy, »Settling the Colonel's Hash«, in: Harper's MagaZine, 1954; wieder abgedruckt in: dies., On the Contrary, New York 1961, S. 225.
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symbolisch sind und nach ein_ern anderen nicht-symbolisch,macht wenig aus, soiange wir die beIdenGebrauchsweisennicht verwechseln. Wa~ledoch bei vielen heutigen Künstlern und Kritikern eine g~-o1fe--Rorre-spiert;--ist eö-en-dles,d~ß .sle-aas-l(ünsTwerk-als--sölc~eK-vorianert1- ••• abk;ppelnwollen, was immer es symbolisIert oder worauF-es irgendwie Bezllg nimmt. lchiriöditehier (fiiKernsaize eiiiessol~he;; P;og;~~~~, das heute viel Zustimmung findet, odereiner entsprechenden Politik oder Sicht der Dinge vortragen, und zwar in Anführungszeichen, weil ich zum Nachdenken anregen und meine Meinung vorerst zurückhaltenwill:
Was em Bild symbolisiert, ISt ihm äußerlich und gehört nicht zumBild als emem Kunstwerk. Sein SUJet, sofern es eines hat, dieBezüge, ob schwer deutbar oder offenkundig, die es mittels Symbolen aus emem mehr oder weniger gut bekannten Vokabular herstellt, haben nichts mit semer ästhetischen oder künstlerischenBedeutung oder semem. künstlerischen Charakter zu tun. Alles,worauf em Bild sich beZieht oder wofür es in irgendemer Welse(offen o'der msgeheim) steht, ist ihm äußerlich. Was wirklichzählt, ISt nicht eme dieser BeZiehungen zu etwas anderem, nichtdas, was das Bild symbolisiert, sondern was es an sich selbst IStwas seine eigenen intnnSISchen Qualitäten sind. Außerdem werden wir um so stärker von semen eigenen Eigenschaften abgelenkt, Je mehr das Bild die Aufmerksamkeit auf das lenkt, was essymbolisiert. Deshalb ist jegliche Symbolisierung durch ein Bildnicht nur irreievant, sondern sogar störend. Wirklich reine Kunstvermeldet alle Symbolisierung, beZieht Sich auf nichts und ISt nurals das zu nehmen, was sie ist, nur aus dem ihr innewohnendenCharakter und nicht aus dem zu verstehen, was mit ihr durch emeso äußerliche Reiatlon wie die der SymbolisIerung verknüpftISt.
Ein solches Manifest hat es in sich. Der Rat, sich auf dasIntrinsische statt auf das Extrinsische zu konzentrieren, dieBetonung,. daß ein Kunstwerk das ist, was es ist, und nIchtdas, was es symbolisiert, und die Folgerung, daß reineKunst sich aller äußeren Bezugnahmen entledigt, all dies
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klingt solide und logisch gedacht und verspricht, die Kunstaus dem erstickenden Dickicht von Interpretation und Kommentar zu befreien.
2. Ein Dilemma
Wir stehen hier jedoch vor einem Dilemma. Wenn wir dieseDoktrin des Formalisten oder Puristen akzeptieren, scheinenwir zu behaupten, daß der Inhalt von Werken wie Der Gartender Lüste und den Caprzehos nicht wirklich WIchtig ist undbesser übergangen würde. Wenn wir die Doktrin ablehnen,scheinen wir die Ansicht zu vertreten, was zähle, sei nichtbloß das, was ein Werk ist, sondern eine Menge Dinge, die esnicht ist. Im einen Fall erwecken wir den Eindruck, als wollten wir aus vielen großen Werken die Gehirnsubstanz herausoperieren; im anderen Fall scheinen wir die Unreinheit in derKunst dadurch zu legitimieren, daß wir auf etwas ihr Äußerliches Gewicht legen.Um aus diesem Dilemma herauszukommen, sollten wir glaube ich - anerkennen, daß die puristische Position völligrichtig und völlig falsch zugleich ist. Doch wie kann das sein?Einigen wir uns zunächst darauf, daß das, was nicht dazugehört, nicht dazugehört. Ist aber das, was ein Symbol symbolisiert, ihm immer äußerlich? Sicherlich nicht bei allen Artenvon Symbolen. Betrachten wir die folgenden:
(a) »diese Reihe von Wörtern«, ein Symbol, das für sichselbst steht;
(b) »Wort«, ein Symbol, das neben anderen Wörtern auchauf sich selbst zutrifft;
(e) »kurz«, em Symbol, das auf sich selbst, auf einige andereWörter und auf viele andere Dinge zutrifft; und
(d) »dreisilbig~<, ein Symbol, das drei Silben hat.
Offensichtlich liegt das, was einige Symbole symbolisieren,nicht völlig außerhalb von ihnen. Natürlich sind dies Spezial-
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fälle, und die Analoga bei Bildern - d. h. Bilder, die Bildervon sich selbst sind oder die sich in dem, was sie abbilden,selbst mit einschließen ~, läßt man vielleicht am besten ganzaußer acht, da sie zu selten und zu idiosynkratisch sind, umirgendwie ins Gewicht zu fallen. Einigen wir uns also für denAugenblick darauf, daß das, was ein Werk darstellt - abgesehen von wenigen Fällen wie diesen - ihm äußerlich ist undnicht zu ihm gehört.Bedeutet dies. daß jedes Werk, das nichts darstellt, den Forderungen des Puristen genügt? Keineswegs. Erstens stelleneinige sicherlich symbolische Werke wie Bos~emäldevon unheimlichen Monstren oder der WandteppIch mit demEinhorn nichts dar; denn es gibt ja nirgends solche Monstrenoder Dämonen oder Einhörner, außer auf solchen Bildernoder in sprachlichen Beschreibungen. Die Behauptung, derWandteppich >stellt ein Einhorn dar<, läuft nur auf dieBehauptung hinaus, daß .er das Bild eines Einhorns ist undnicht, daß es irgendem Tier oder überhaupt etwas gebe, das erschildert. 2 Auch wenn es also nichts gibt, was sie darstellen,befriedigen diese Werke den Puristen kaum. Vielleicht ist diesaber auch nur eine weitere philosophische Spitzfindigkeit;und ich möchte auf diesem Punkt nicht zu sehr insistieren.Räumen wir ein, daß solche Bilder, auch wenn sie nichtsdarstellen, ihrem Charakter nach darstellend, somit symbolisch und also nicht ,rein< sind. Trotzdem müssen wir hierfesthalten, daß ihr Charakter einer Darstellung keine Darstellung von etwas außerhalb ihrer einschließt, so daß der Einwand des Puristen gegen sie nicht auf diesem Grund beruhenkann..Seine These wird auf die eine oder andere Weise zumodifizieren sein und dabei eine gewisse Einbuße an Einfachheit und Kraft hinnehmen müssen.Z~s sind nicht nur darstellende Werke symbolisch. Einabstraktes Gemälde, das nIchts darstellt und überhaupt nIchtdarstellend ist, kann ein Gefühl, eine andere Qualität oder
2 Siehe im weiteren Ndson Goodman, »On Likeness of Meaning« ([949) und »OnSome Differences about Meanmg« (1953), m: PP, S. 221-238, SOWIe LA, 1,5.
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eine Emotion oder Idee; ausdrücken und somit symbolisieren. Gerade weil Ausdruck eme Art ist, etwas zu symbolisieren, was nicht im Bilde enthalten ist, was nIcht empfindet, fühlt oder denkt, lehnt der Purist den abstraktenExpressionismus ebenso ab wie gegenständliche Malerei.Damit ein Werk ein Fall von >reiner< Kunst, von symbolfreier Kunst ist, darf es dieser Auffassung zufolge wederetwas darstellen noch etwas ausdrücken, und ebensowenigdarf es darstellend oder expressiv sem. Doch reicht das aus?Zugegeben: ein solches Werk steht nicht für etwas ihmÄußerliches; alle Eigenschaften, die es hat, sind seine eigenen Eigenschaften. Doch wenn wir die Sache so ausdrükken, dann smd natürlich alle Eigenschaften, die em Bildoder sonst etwas hat - selbst eme Eigenschaft wie die, eineexistierende Person darzustellen - Eigenschaften des Bildesund nicht etwa Eigenschaften von etwas ihm Äußerlichen.Die vorhersehbare Antwort lautet, daß es bel den vielenEigenschaften, die ein Werk haben mag, darauf ankomme,zwischen den inneren oder intrinsischen und den äußerlichen oder extrinsischen zu unterscheiden; daß zwar alle tatsächlich seine Eigenschaften sind, einige davon jedoch dasBild offensichtlich mit anderen Dingen in Beziehung setzen; und daß ein nicht-darstellendes, nicht-expressivesWerk bloß interne Eigenschaften hat.Doch das funktIOnIert offensichtlich nicht; denn nach jederauch nur annähernd plausiblen Klassifikation von Eigenschaften m innere und äußere hat jedes Bild, wie auch Jedesandere Ding, Eigenschaften beider Arten. Daß ein Bild sichim Metropolitan Museum befindet, daß es in Duluthgemalt wurde, daß es jünger als Methusalem ist, WIrd mansicherlich kaum als innere Eigenschaft bezeichnen. Wennwir Darstellung und Ausdruck beseitigen, bleibt uns nicht
3 Bewegung zum BeispIel kann ebensogut w,e Gemütsbewegung in emem Schwarzweißbild ausgedrückt werden; SIehe beISp'elSWeISe die Bilder in 11, 4 oben. Siehe dazuauch die DiskUSSIOn über Ausdruck, m LA, 11, 9.
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etwas übrig, was frei wäre von solchen äußeren und nichtdazugehörenden Eigenschaften.Überdies ist die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Eigenschaften bekanntlich selbst verworren. Vermutlichmüssen die Farben und Gestalten auf einem Bild als innereEigenschaften betrachtet werden. Doch wenn eine äußereEigenschaft eme solche ist, die das Bild oder Objekt auf etwasanderes bezieht, dann müssen Farben und Gestalten offensichtlich als äußere Eigenschaften aufgefaßt werden, denn esist nicht nur so, daß andere Gegenstände dieselbe Farbe undGestalt haben können, sondern auch so, daß Farbe undGestalt eines Gegenstandes ihn auf andere Objekte gleicheroder verschiedener Farbe und Gestalt beziehen.Manchmal werden die Termini ,intern< und ,intrinSIsch<zugunsten von ,formal< fallengelassen. Das Formale kannjedoch in diesem Kontext nicht allein eine Sache der Gestaltsein. Es muß Farbe mit einschließen, und wenn Farbe, wasnoch? Textur? Größe? Material? Freilich können wir nachBelieben Eigenschaften aufzählen, die formal heißen sollen;aber das ,nach Belieben< bedeutet, die These preiszugeben.Die logische Grundlage, die Rechtfertigung verflüchtigt sich.Man kann dann nicht mehr behaupten, nicht-formale Eigenschaften seien solche und nur solche, die das Bild mit etwasaußerhalb seiner in Beziehung setzen. Somit stehen wirimmer noch vor der Frage, welches Prinzzp, wenn überhaupt,involviert 1St - vor der Frage also, wie die Eigenschaften, diein einem nicht-darstellenden, .nicht-expressiven Gemäldewichtig sind, vom Rest unterschieden werden.Ich glaube, daß es eine Antwort auf die Frage gibt; aber umuns ihr zu nähern, werden wir das ganze hochtönende Geredeüber Kunst und Philosophie preisgeben und uns ganz unsanftauf nüchternen Boden begeben müssen.
J)L,'f~e]. Proben C
Betrachten wir nochmals ein gewöhnliches Stoffmuster imMusterbuch emes Schneiders oder Polsterers. Es wird wohlkaum ein Kunstwerk sein oder irgendetwas abbilden oderausdrücken. Es 1St einfach eine Probe - eine einfache Probe.Wovon aber ist es eine Probe? Von der Oberfläche, Farbe,Webart, Stärke und BeschaffenheIt der Faser ... ; die ganzePointe dieser Probe, so sind wir zu sagen versucht, ist die, daßsie von einem Stoffballen abgeschnitten wurde und genaudieselben Eigenschaften hat wie der Rest des Materials. Dochdies wäre übereilt. .Lassen Sie mich zwei Geschichten erzählen - oder vielmehreine Geschichte, die aus zwei Teilen besteht. Frau MaryTricias [em Wortspiel mit meretrzcious, vOn lat. meretrix:A.d. Ü.] studierte ein solches Musterbuch, traf ihre Wahlund bestellte in ihrem bevorzugten Stoffladen genügendMaterial für ihre Polsterstühle und das Sofa - wobei siebetonte, es müsse genau so sein wie die Probe. Als das Paketeintraf, öffnete sie es begierig und war entsetzt, als einigeHundert Stücke von 6x 10 cm mIt Zickzackrand, genau wiedas Muster, zu Boden flatterten. Als sie im Geschäft anriefund laut protestierte, antwortete der Besitzer gekränkt undmißmutig: »Aber, Frau TricIas, Sie sagten doch, das Matenalmüsse genau so sein WIe die Probe. Als es gestern aus derFabrik kam, habe ich meine Verkäuferinnen die halbe Nachthier behalten, damit sie es so zuschneiden, daß es der Probeentspricht.« _Dieser Vorfall war einige Monate später schon beinahe vergessen, als Frau Tricias, nachdem sie die Stücke zusammengenäht und ihre Möbel damit überzogen hatte, SIch entschloß,eine Party zu geben. Sie ging in ihre Bäckerei, wählte unterden Kuchen, die zur Auswahl standen, einen SchokoladenNapfkuchen und bestellte davon soviel, daß es für fünfzigPersonen reichen sollte; Lieferung zweI Wochen später. Alsdie ersten Gäste eintrafen, fuhr ein Lastwagen mit einem
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einzigen riesigen Kuchen vor. Die Dame, die die Bäckereileitete, war über die Beschwerde völlig ratlos: »Aber, FrauTncias, Sie haben ja keine Ahnung, welche Schwierigkeitenwir damit hatten. Mein Mann führt das Stoffgeschäft, und erhat mich ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß IhreBestellung in einem Stück sein müsse.«DIe Moral dieser Geschichte ist nicht einfach: >Wie man'smacht, ist es falsch<, sondern daß eine Probe eine Probe nurvon einigen ihrer Eigenschaften, nicht aber von anderen ist.Das Stoffmuster ist eme Probe der Beschaffenheit, der Farbeusw., nicht aber der Größe oder der Form. Der Napfkuchenist zwar eine Probe der Farbe, Beschaffenheit, Größe undGestalt, aber nicht von allen seinen Eigenschaften. Frau TiiClas hätte sich sogar noch lauter beschwert, wenn das bei ihrabgelieferte Backwerk bereits zwei Wochen alt gewesen wäre.,... genau wie die Probe. Läßt sich nun allgemein sagen, vonwelchen Eigenschaften eine Probe eine Probe ist? Nicht vonallen ihren Eigenschaften, denn dann wäre die Probe eineProbe von nichts als von ihr selbst. Auch nicht von ihrer>formalen< oder >internen<, ja überhaupt nicht von irgendeinerbestimmten, spezifizierbaren Menge von Eigenschaften. Fürwelche Art Eigenschaft die Probe ein Muster ist, ist von Fallzu Fall verschieden: der Napfkuchen ist eine Probe der Größeund der Gestalt, nicht aber das Stoffmuster; ein ProbestückErz kann ein Beispiel dafür sein, was zu einer bestimmtenZeit an emem bestimmtenOrt abgebaut wurde. Zudem variieren die als Probe ausgewählten Eigenschaften sehr stark mitdem Kontext und den Umständen. Obwohl das Stoffmusternormalerweise eine Probe seiner Oberflächenstruktur istusw., nicht aber seiner Gestalt oder Größe, fungiert es dann,wenn ich es als Antwort auf die Frage»Was ist eine Probe desPolsterers?« vorzeige, nicht als Probe des Materials, sondernals Probe der Probe des Polsterers, so daß ihre Größe undGestalt nun zu den Eigenschaften gehören, von denen sie eineProbe ist.Der Punkt ist also der, daß eine. Probe eine Probe nur von
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einigen ihrer Eigenschaften ist - oder daß die Probe dieseexemplifizzert -, und daß die Eigenschaften, zu denen siediese Exemplifikationsbeziehung4 hat, sich mit den Umständen ändern und daß sich diese Eigenschaften nicht andersspezifizieren lassen als durch die Angabe, für welche Eigenschaften, unter gegebenen Umständen, die Probe ein Beispielist. >Eine Probe von etwas sein< oder >etwas exemplifizieren<ist ungefähr wie die Beziehung >ein Freund sein<: meineFreunde werden nicht durch irgendeine einzelne, feststellbare Eigenschaft oder Menge von Eigenschaften näher charakterisiert, sondern nur dadurch, daß sie eine Zeitlang m derBeziehung der Freundschaft zu mir stehen.Was das für Folgen für unser Problem mit dem Kunstwerkhat, wird jetzt vielleicht deutlich. Die Eigenschaften, die aufeinem puristischen Gemälde zählen, sind diejenigen, die dasBild manifestiert, die es auswählt, auf die es sich konzentriert,die es zur Schau stellt und in unserem Bewußtsein hervorhebt- die es vorzeigt -, kurz: jene Eigenschaften, die es nicht bloßbesitzt, sondern exemplifiziert, für die es als Probe steht.Wenn ich damit recht habe, symbolisiert auch das puristischste Gemälde des Puristen. Es exemplifiziert einige seinerEigenschaften. Doch exemplifizieren ist sicherlich symbolisieren, denn Exemplifikation ist nicht weniger als Darstellungoder Ausdruck eine Form des Bezugnehmens. Ein Kunstwerk, so frei von Darstellung und Ausdruck es auch sein mag,ist immer noch ein Symbol, selbst wenn das, was es symbolisiert, keine Dinge, Menschen oder Gefühle sind, sondernbestimmte Muster der Gestalt, der Farbe und der Textur, diees vorzeIgt.Wie steht es nun mit der Proklamation des Puristen, von derich zu Beginn nicht ganz ernsthaft sagte, sie sei völlig richtigund völlig falsch zugleich? Sie ist völlig richtig, wenn siebesagt, daß das, was äußerlich ist, äußerlich ist; wenn siedarauf hinweist, daß das, was ein Bild darstellt, häufig kaumvon Belang ist; wenn sie behauptet, daß für ein Kunstwerk4 Zur weiteren DiskUSSIOn über Exemplifikation SIehe LA, II, 3-4.
weder Darstellung noch Ausdruck erforderlich ist; und wennsie idie Wichtigkeit der sogenannten intrinsischen, innerenoder >formalen< Eigenschaften betont. Die Aussage ist Jedochvöllig falsch, wenn sIe voraussetzt, daß Darstellung und Ausdruck die emzigen Symbolfunktionen sind, die von Gemälden erfüllt werden können; wenn'sie unterstellt, daß das, wasein Symbol symbolisiert, immer außerhalb von ihm liegt, undwenn sie darauf besteht, daß auf einem Gemälde allein derBesItz und nicht die Exemplifikation gewisser Eigenschaftenzählt.Wer also nach emer Kunst ohne Symbol Ausschau hält, wirdkeme finden - sofern alle die Welsen berücksichtigt werden,indenen Kunstwerke symbolisieren. Kunst ohne Darstellungoder ohne Ausdruck oder ohne Exemplifikation - ja; Kunstohne alle drei - nein.Der Hinweis, daß puristische Kunst einfach darin besteht,gewisse Symbolisleruqgsarten zu vermeiden, bedeutet nicht,sie zu verurteilen, sondern lediglich den Trugschluß in denüblichen Manifesten aufzudecken, die puristische Kunstunter Ausschluß aller anderen Arten propagieren. Ich willmich hier gar nicht über die Jeweiligen Vorzüge der verschiedenen Typen, Schulen oder Weisen des Maiens streiten.Wichtiger scheint mir folgendes zu sein: wenn wir erkennen,daß auch die puristische Malerei Symbolfunktionen erfüllt,erhalten wir einen Schlüssel zu dem ewigen Problem, wannwir es mit einem Kunstwerk zu tun haben und wann nicht.Die Literatur zur Ästhetik ist gespickt mit verzweifelten Ver~
suchen, die Frage "Was ist Kunst?« zu beantworten. DieseFrage, oftmals hoffnungslos mit der Frage "Was ist guteKunst?« verquickt, spitzt sich zu im Fall des obJet trouvewenn ein auf der Straße aufgelesener Stein in einem Museumausgestellt wird -, und sie wird noch weiter verschärft durchdie Werbung für sogenannte Environment- und Konzeptkunst. Ist der verbogene Automobilkotflügel in einer Kunstgalerie ein Kunstwerk? Wie steht es mit etwas, das nichteinmal ein Objekt ist und auch nicht in einer Galerie oder in
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einem Museum ausgestellt wird - zum Beispiel dem Ausgraben und Wiederauffüllen eines Lochs im Central Park, wie esvon Oldenburg vorgeschrieben wurde? Wenn dies Kunstwerke sind, sind dann alle Steine auf der Straße und alleObjekte und Vorkommmsse Kunstwerke? Wenn nicht, wasunterscheidet ein Kunstwerk von etwas, das keines ist? Daßein Künstler es Kunstwerk nennt? Daß es in einem Museumoder in einer Galerie ausgestellt wird? Keine dieser Antworten wIrkt überzeugend.Wie ich zu Beginn schon sagte, liegt ein Teil der Schwierigkeitdarin, daß die falsche Frage gestellt wird - weil man nichterkennt, daß ein Ding zu bestimmten Zeiten als Kunstwerkfungieren kann und zu anderen nicht. Im Zweifelsfall ist diewirkliche Frage nicht: "Welche Objekte sind (permanent)Kunstwerke?«, sondern: "Wann ist ein Objekt ein Kunstwerk?« - oder kürzer, wie in meiner Kapitelüberschrift,"Wann ist Kunst?«Meine Antwort lautet: ebenso wie ein Opjekt zu gewissenZeiten und unter gewissen Umständen ein Symbol sein kann- zum BeispIel eine Probe -, so kann es sein, daß ein Objektzu gewissen Zeiten em Kunstwerk ist und zu anderen mcht.Tatsächlich wird ein Objekt gerade kraft dessen, daß es mgewisser Weise als Symbol fungiert, und solange es so fungiert, zum Kunstwerk. Der Stein ist normalerweise keinKunstwerk, während er auf der Straße liegt, aber er kanneines sein, wenn er in einem Kunstmuseum ausgestellt wird.Auf. der Straße erfüllt er gewöhnlich keine Symbolfunktion.Im Kunstmuseum exemplifiZIert er einige seiner Eigenschaften - zum Beispiel Eigenschaften der Gestalt, der Farbe, derOberflächenstruktur. Das Ausgraben und Wiederauffülleneines Lochs fungiert als Werk, sofern es als exemplifizierendes Symbol. unsere Aufmerksamkeit erregt. Andererseitskann ein Gemälde von Rembrandt aufhören, als Kunstwerkzu fungieren, wenn es als Ersatz für eine zerbrochene Fensterscheibe oder als Decke gebraucht wird.Auf die eine oder andere Weise als Symbol zu fungieren, ist
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freilich nicht gleichbedeutend damit, als Kunstwerk zu fungieren. Wenn unser Stück Stoff als Probe dient, dann wird esnicht dadurch und für die Zeit, in der es als Probe dient, zumKunstwerk. Dinge fungieren nur dann als Kunstwerke, wennihre Symbolfunktion gewisse Merkmale aufweist. UnserStein in einem Geologiemuseum übernimmt eine Symbolfunktion, er steht nämlich als Beispiel für die Gesteine einesbestimmten Erdzeitalters, einer bestimmten Herkunft oderZusammensetzung, aber er fungiert nicht als Kunstwerk.Die Frage, welches genau die Charakteristika sind, die definieren oder anzeigen, ob etwas als Symbol fungiert - wovones abhängt, ob es als Kunstwerk fungiert -, verlangt nacheiner sorgfältigen Untersuchung im Lichte einer allgemeinenSymboltheone, Das ist mehr, als ich hier unternehmen kann;aber ich wage den vorläufigen Gedanken, daß es fünf Symptome des Ästhetischen gibt5: (I) syntaktische Dichte, bei dergewisse minimale Differenzen zur Unterscheidung von Symbolen dienen - zum Bdspiel ein skalenloses Quecksilberthermometer im Gegensatz zu einem elektronischen Instrumentmit Digitalanzeige; (2) semantische Dichte, .bei der Symbolefür Dinge bereitstehen, die sich nur durch gewisse minimaleDifferenzen voneinander unterscheiden - zum Beispiel nichtnur das bereits erwähnte skalenlose Thermometer, sondernauch gewöhnliches Deutsch, auch wenn es nicht syntaktischdicht ist; (3) relative Fülle, bei der vergleichsweise vieleAspekte eines Symbols signifikant sind - zum Beispiel die auseiner einzigen Linie bestehende Zeichnung eines Berges vonHokusai, bei der jede Eigenart der Gestalt, Linie, Dicke usw.zählt, im Gegensatz etwa zu der gleichen Linie als Kurve dertäglichen Börsenindexwerte, bei der allein die Höhe der Linieüber der Basis zählt; (4) Exemplifikation, bei der ein Symbol,ob es denotiert oder nicht, dadurch symbolisiert, daß es alsProbe von Eigenschaften dient, die es buchstäblich oder me-
5 Siehe LA, VI, 5 und die früheren Abschmtte, auf die dort angespielt Wird. Das fünfteSymptom der Liste wurde als Ergebnis yon Gesprächen mit den Professoren PaulHernadi und Alan Nagel von der Universität Iowa hinzugefügt.
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taphorisch besitzt; und schließlich (5) multiple und komplexeBezugnahme, bei der ein Symbol mehrere zusammenhängende und aufeinander einwirkende Bezugnahmefunktionenerfüllt, einige direkte und einige durch andere Symbole vermittelte.6
Mit diesen Symptomen läßt sich das Ästhetische nicht definieren und schon gar nicht vollständig beschreiben oder feiern. Die An- oder Abwesenheit eines oder mehrerer vonihnen qualifiziert oder disqualifiziert noch nichts in ästhetischer Hinsicht; ebensowenig kann am Ausmaß, in dem dieseMerkmale präsent sind, abgelesen werden, in welchem Maßeein Objekt oder ein Erlebnis ästhetisch ist.! Symptome sindschließlich nur Hinweise; der Patient kann die Symptomeohne die Krankheit oder die Krankheit ohne die Symptomehaben. Und selbst wenn man diese fünf Symptome auch nurals annahernde Kriterien des Ästhetischen verstehen wolltedisjunktiv als notwendige, konjunktiv (als Syndrom) als hinreichende Bedingungen -, wäre es möglicherweise erforderlich, diese vagen und unbeständigen Grenzen in gewissemUmfang neu zu ziehen. Außerdem ist festzuhalten, daß dieseEigenschaften die Aufmerksamkeit tendenziell auf das Symbol lenken, statt (zumindest auch) auf das, worauf es Bezugmmmt. Wo wir nie genau bestimmen können, genau welchesSymbol eines Systems wir vor uns haben oder ob wir es beieiner zweiten Gelegenheit mit demselben zu tun haben; wodas Bezugsobjekt so ungreifbar ist, daß es unendliche Sorgfaltverlangt, ihm ein Symbol richtig und treffend anzupassen; woeher mehr als weniger Merkmale des Symbols zählen, wo dasSymbol ein Einzelfall von Eigenschaften ist, die es symbolisiert und wo es viele, in gegenseitiger Beziehung stehende,
6 Dies schließt gewöhnliche Mehrdeutigkeit aus, bet der em Termmus zwet oder mehrganz unabhängige Denotationen zu ganz verschiedenen Zeiten und in ganz verschiede
nen Kontexten hat.7 Daß etwa die Lyrik, die mcht syntaktisch dicht 1St, m germgerem Maße oder mitgenngerer Wahrschemlichkett Kunst wäre als die Maleret, die alle vter Symptomeaufweist, foigt daraus also keineswe~s. ~anche ästhetischen Sy"?bole welsen. wemg.erSymptome dieser Liste auf als manche mcht-ästhetlschen Symbole. Dies Wird manchmal mißverstanden.
einfache und komplexe Bezugnahmefunktionen erfüllenkann - dort können wir nicht einfach nur durch das Symbolhindurch auf das blicken, worauf es sich bezieht, wie dannetwa, wenn wir Verkehrsampeln gehorchen oder wissenschaftliche Texte lesen, sondern müssen wie beim Betrachtenvon Gemälden oder bei der Lektüre von Gedichten ständigauf das Symbol selbst achten. Betont man also die Undurchsichtigkeit des Kunstwerks, seinen Primat gegenüber dem,worauf es sich bezieht, so bedeutet das mitnichten, seinesymbolischen Funktionen zu leugnen oder zu mißachten,sondern stützt sich dabei vielmehr gerade auf gewisse Eigenetümlichkeiten, die das Werk als ein Symbol charakterisieren.8
Auch ganz abgesehen von einer Spezifikation der Charakteristika, die die ästhetische Symbolisierung von anderen unterscheiden, scheint· es mir also klar zu sein, daß man eineAntwort auf die Frage »Wann ist Kunst?« nur geben kann,wenn man symbolische Funktionen ins Auge faßt. Vielleichtist die Aussage, ein Objekt sei dann und nur dann Kunst,wenn es als Kunst fungiere, eine Übertreibung oder eineelliptische Redeweise. Das Gemälde von Rembrandt bleibtein J\unstwerk, ebenso wie es ein Gemälde bleibt, auch wennes lediglich als Decke benutzt wird; und der Stein von derStraße wird nicht im strengen Sinn dadurch Kunst, daß er alsKunst fungiert. 9 Ebenso bleibt ein Stuhl ein Stuhl, auch wennnie auf ihm gesessen wird, und eme Packkiste bleibt einePackkiste, auch wenn sie nie gebraucht wird, außer zumDaraufsitzen. Zu sagen, was Kunst tut, heißt nicht zu sagen,was Kunst ist; doch gebe ich zu bedenken, ob uns nicht
8 Dies 1St eine andere Version des Diktums, daß der Purist völlig recht und völligunrecht habe.9· Genauso wie das, was nicht rot 1st, zu bestimmten Zeiten fot aussehen oder rotgena?nt we~den kann, kann das, was mcht Kunst 1st; zu gewIssen Zeiten als KunstfungIeren oder Kunst genannt werden. Daß em Objekt zu einer bestimmten Zeit alsKunst fungiert, daß es zu dieser Zeit den Status von Kunst hat und daß es zu demZellpunkt Kunst 1st, kann Jedesmal als die gleIche Behauptung aufgefaßt werden solange wIr keme der Behauptungen so auffassen, als schreibe sie dem Objekt irgendeIneo stabilen Status zu.
ersteres eigentlich wirklich interessiert. Die weitere Frage,wie sich eine stabile Eigenschaft in Begriffen einer temporären Funktion - das Was in Begriffen des Wann - definierenläßt, stellt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Kunst,sondern ganz allgemein und ist bei der Definition von Stühlendieselbe wie bei der Definition von Kunstobjekten. Die stereotypen und unzulänglichen Antworten, die daraufhin vorgeführt werden, sind ebenfalls fast die gleichen: ob ein ObjektKunst ist - oder ob es ein Stuhl ist -, hängt von der Absicht aboder davon, ob es manchmal oder gewöhnlich oder immeroder ausschließlich als solches fungiert. Weil dies alles dazutendiert, speziellere und. signifikantere Fragen hinsichtlichder Kunst zu verdunkeln, habe ich meine Aufmerksamkeitvon dem, was Kunst ist, dem zugewandt, was Kunst tut.Wie ich betonte, ISt es ein auffallendes Merkmal der Symbolisierung, daß sie kommen und gehen kann. Ein Objekt kannzu verschiedenen Zeiten verschiedene Dinge symbolisieren,zu anderen Zeiten gar mchts. Ein lebloses Objekt oder einreiner Gebrauchsgegenstand kann vielleicht einmal als Kunstfungieren, und ein Kunstwerk kann VIelleicht einmal als lebloses Objekt oder als remer Gebrauchsgegenstand fungieren.Vielleicht ist es weniger so, daß die Kunst lang und das Lebenkurz ist, als vielmehr so, daß beide vergänglich sind.Die Auswirkungen, die diese Untersuchung über das Wesenvon Kunstwerken auf das Gesamtunternehmen des vorliegenden Buches hat, sollten nunmehr einigermaßen klargeworden sem. Wie ein Objekt oder Ereignis als Werk fungiert, erklärt, wie das, was so fungiert, durch bestimmt(Modi der Bezugnahme zu einer Sicht - und zur Schöpfungeiner Welt beitragen kann.
VEin Rätsel bei der Wahrnehmung
I. Sehen Jensetts des Sems
Gelegentlich kommt es vor, daß mich Jemand ziemlichgereizt fragt: »Können Sie denn nicht sehen, was vor Ihnenist?« Nun, Ja und nein. Ich sehe Menschen, Stühle, PapIereund Bücher vor mir, ebenso sehe ich Farben, Gestalten undMuster vor mir. Aber sehe ich die Moleküle, die Elektronenund das infrarote Licht, die ebenfalls vor mir sind? Und seheich diesen Bundesstaat oder die Vereinigten Staaten oder dasUniversum? Tatsächlich sehe ich von diesen letzten umfassenden Einheiten nur Teile, aber dann sehe Ich auch nur Teilevon den Menschen, den Stühlen usw. Und wenn ich ein Buchsehe und es ist ein Haufen Moleküle, sehe ich dann nichteinen Haufen Moleküle? Kann ich aber andererseits emenHaufen Moleküle sehen, ohne ein einzelnes von ihnen zusehen? Wenn man nicht sagen kann, ich sehe einen HaufenMoleküle, weil »ein Haufen Moleküle« eine raffinierte Weiseder Beschreibung dessen ist, was ich sehe, zu der man mchteinfach durch Hinsehen gelangt, wie könnte man dann vonmir sagen, daß ich einen Magnet sehe_oder einen giftigen Pilz?Nehmen wir an, es fragt jemand, ob ich den Fußballtrainer inmemer Vorlesung gesehen habe und Ich sage "Nein«. Unddoch war er unter den Zuhörern, und ich habe mit SicherheItjeden einzelnen gesehen. Obwohl ich ihn gesehen habe, sageich, daß ich ihn nicht gesehen habe, weil ich nicht wußte, daßder Mann rechts außen am Ende der achten Reihe der Fußballtrainer war.Wir laufen bereits Gefahr, uns in einem nur zu bekanntenGewirr von nicht allzu klaren Fragen zu verlieren. Sie werdenerfreut sein zu hören - und ich freue mich noch mehr, ankündigen zu können -, daß ich mich nicht mit Fragen darüberbeschäftigen werde, was wir von dem, was vor uns liegt,
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sehen oder nicht sehen, sondern daß ich einige Fälle behandeln möchte, in denen WIr etwas sehen, das nicht vor unsliegt.
2. Erzeugte Bewegung
Daß wir häufig - und mit beträchtlicher Regelmäßigkeit undVoraussagbarkeit -sehen, was nicht da ist, sollte deutlichgenug sein, wenn wir nur an die optischen Täuschungen, diein der psychologischen Literatur illustriert werden, an dieBeobachtung von Zauberern und ans Korrekturlesen denken.Was ich Jetzt erörtern möchte, weil es einige fesselnde theoretische Probleme stellt, ist das Sehen von Bewegung oderVeränderung, die mcht da ist. Meine Hauptquelle 1st dasBuch Aspects of Motton Perceptton von Paul A. Kolers.'Das einfachste und bekannteste Phänomen der Scheinbewegung tritt dann auf, wenn ein Fleck vor einem kontrastierenden Hintergrund ganz kurz aufleuchtet, gefolgt vom Aufleuchten eines gleichen Flecks nach einer Pause zwischen 10
und 45 Millisekunden und in kurzer Distanz. 2 Bei einer kürzeren Zeitspanne und gleicher Distanz sehen wir die zweiFlecke so, als ob sie gleichzeitig aufleuchteten; bei längererZeitspanne sehen wir die beiden Flecken nacheinander-aufleuchten. Innerhalb der angegebenen ZeItspanne sehen wirJedoch emen emzelnen Fleck, der SIch von der ersten Positionzur zweiten hin bewegt. Nach Kolers war dieses Phänomeneine »bekannte Laboratoriumskuriosität«, als Sigmund Exner es 1875 zum ersten Mal einem methodischen Experimentunterzog; doch mußte es bis zu der Arbeit vonMax Wertheimer im Jahre 1910 auf eine systematischere Untersuchung
• Paul A. KoJers, Aspects of.MottOn PercepttOn, Oxford '972. Dieses Buch, das imfolgenden mit der Abkürzung AMP zitIert wird, ist ein hervorragendes Dokument derexperImentellen und theoretischen PsychologIe. Meme Darstellung davon 1St zwar bloßfragmentanseh, verdankt aber manchen DiskUSSIonen mit Paul Kolers sehr viel.2 Etwa 1.4°. Zu den Grenzen und Abweichungen bei Zeitspannen und Distanz, sowiezu den Einzelheiten der Apparatur und des Verfahrens, siehe AMP, Kap. III.
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warten (AMP, S. r-2). Kolers nimmt an, daß die Verzögerungzum Teil auf den Mangel an geeigneten Apparaten zurückzuführen war, noch mehr aber auf den Widerstand einer»mechanistischen Philosophie, die eine Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen körperlicher Reizung und psychischemErlebnis behauptete. Das Phänomen der Scheinbewegung isteine dramatische Verletzung dieser angenommenen Äquivalenz« (AMP, S. 3). Leider kommt es oft vor, daß dramatischeVerletzungen Dogmen nicht zu erschüttern vermögen.Heute versetzt dieser einfachste und geläufigste Fall vonScheinbewegung memanden mehr \n Erstaunen. Wir erklärensie so Im Vorbeigehen aus der-Annahme, daß ihr eine Art vonneuralem Überspringen, ein retmaler oder kortikaler Kurzschluß zugrunde liegt. In Wirklichkeit stellt diese Scheinbewegung jedoch einige schwierige und signifikante Fragen.Erstens: wie sehr gleicht die Wahrnehmung der Scheinbewegung der Wahrnehmung von realer Bewegung, bei der sichder Fleck tatsächlich von der einen Stelle zur anderen bewegt?Ist es im zweiten Fall so, daß wir den Fleck> statt ihn über denganzen Weg zu verfolgen, an einigen Stellen aufnehmen undden Rest ebenso ergänzen wie dann, wenn kein Fleck denWeg durthl~uft? Sind die >Bewegungsdetektoren<J an derWahrnehmung von Scheinbewegung ebenso beteiligt wie ander Wahrnehmung realer Bewegung? Wenn ja, handelt es sichbei ihnen dann eher um Detektoren der raschen Sukzession?Wenn nein, hängt die sichtbare Bewegung nicht immer vonihnen ab. Zweitens, wieso sind wir im Falle der Schembewegung in der Lage, den Fleck an den Raum-Zeit-Stellen zuergänzen, die auf der Verbindungslinie zwischen dem erstenund zweiten Aufleuchten liegen, bevor das zwezte Aufleuchten erfolgt? Wie wissen wir, welchen Weg wir gehen müssen?Eine verlockende Hypothese, vorgetragen von Waals undRoelofs (AMP, S. 44), besagt, die dazwischenliegende Bewe-
3 Siehe J. Y. Lettvin, H.K. Maturana, W.S. McCulloch und W.H. Pitts,. »What theFrog's Eye Teils the Frog's Br"I\«, in: Proceedings of the Instttute of RadIO Engmeers47, New York 1959, S. 1940-1951. Siehe auch Abschmtq und Anmerkung 7 unten.
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gung werde retrospektiv prodUZIert, sie werde erst nach demzweiten Aufleuchten aufgebaut und dann zeitlich zurückprojiziert.4
In seinem Buch weist Kolers sowohl die Analogie zur Wahrnehmung der realen Bewegung als auch die Hypothese derretrospektiven Konstruktion zurück; doch keine der beidenIdeen ist so unplausibel oder unattraktiv, daß sie ohne weiteres aufgegeben werden könnte. Wir werden die Argumenteund Belege dazu an späterer Stelle zu überprüfen haben.
3. Gestalt und Größe
Kolers begann seine experimentellen Untersuchungen mitder Frage, was geschieht, wenn anstelle von Punkten oderFleck~n Figuren nacheinander zum Aufleuchten gebrachtwerden. Da eine Figur in gewissem Sinne aus vielen Punktenbesteht, sollten wir eigentlich voraussagen können: wenn diegleiche Figur beide Male zum Aufleuchten gebracht wird,wird sie ebenso in Bewegung gesehen wie ein Punkt. Wiesteht es aber, wenn verschiedene Figuren zum Aufleuchtengebracht werden, sagen wir zuerst ein Quadrat und dann einDreieck oder ein Kreis? Oder nehmen wir an, die beidenFiguren seien von gleicher Gestalt, aber von verschiedenerGröße. Von kleinen Unterschieden gleich welcher Art solltenwir erwarten können, daß sie überbrückt werden; aber wiegroß muß ein Unterschied sein, damit der glatte Übergangunterbrochen wird und Ereignisse sich einstellen, die sowohlin der Erscheinung wie physikalisch voneinander getrenntsind? Reicht zum Beispiel der Unterschied zwischen einemkleinen Kreis und einem großen WÜrfel aus,. oder Ist dasschon mehr als genug?Wenn wir die Frage so stellen, nehmen wir an, daß wir bereitsim Besitz des passenden Ähnlichkeitsmaßes sind, mit Hilfedessen wir bestimmen können, bis zu welchen Grenzen die4 Zur weiteren Erörterung dieses Punktes siehe Abschnitt 4 unten.
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Unähnlichkeit gehen darf, damit eine solche gleitende Scheinveränderung auftritt. Aber während wir offensichtlich einÄhnlichkeitsmaß für die Größe besitzen, steht uns durchauskein solches Maß für die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeitverschiedener Gestalten zur Verfügung. Ähnelt ein Kreismehr einer flachen Ellipse, einem regelmäßigen Sechseckoder emer Kugel? Ist em Würfel eher wie ein Quadrat oderwie ein Tetraeder? Ist ein längliches Rechteck mit einerwinzigen abgeschnittenen Ecke eher dem unbeschnittenen Rechteck oder einem regelmäßigen Fünfeck ähnlich? Beliebig viele,gleichermaßen vernünftige Prinzipien ergeben verschiedeneÄhnlichkeitsordnungen für Gestalten.Warum sollten wir dann unsere Betrachtungsweise nichtumkehren und zwei Figuren für um so ähnlicher halten, jeleichter und glatter sie sich ineinander transformieren? Wirblicken hier flüchtig auf die erfreuliche Aussicht, die ich mitKolers zu Beginn seiner experimentellen Untersuchung diskutierte, nämlich ein empirisch fundiertes Maß oder zumindest einen groben Vergleichstest für die psychologische Ähnlichkeit einer wichtigen Art zu finden. Lassen Sie mich alledetaillierteren Benchte über die Experimente durch das Eingeständnis vorwegnehmen, daß sie die erfreuliche Aussichtzunichte machten, als sie zeigten, daß bei fast jedem Unterschied ein gleitender Übergang stattfindet. Um Ähnlichkeitzu messen, ist Scheinveränderung kein sensibles Instrument(AMP, S. 46 ff.).Offensichtlich Ist der Terminus »Scheinbewegung« viel zueng, um Kolers' Forschung gerecht zu werden, die vieleArten der Scheinveränderung untersucht: Veränderungen inbezug auf Position, Gestalt und Größe oder in bezug aufbeliebige zwei dieser Eigenschaften zugleich oder in bezugauf alle drei. Bei einigen Experimenten wurden die nacheinander aufleuchtenden Flecken so gewählt, daß sie sich überlagerten, mit dem Ergebnis, daß die Scheinveränderung auchein Größer- oder Kleinerwerden oder eine Deformation oderauch eine Verbmdung aus Größe~veränderung und Defor-
mation einschloß, ohne daß sich das Ganze von der Stellebewegte. Während man bei Gestaltveränderungen häufigsagen kann, daß sie auch die Bewegung von Teilen umfassen,gilt dies beim Größer- oder Kleinerwerden nicht unbedingt.Darüber hinaus ist selbst der Begriff»Veränderung« zu engfür den Fall, daß man die gleiche Figur, ohne jede Veränderung, mehrmals aufleuchten läßt. Hier wird das zeitlicheIntervall so ausgefüllt, daß sich eine konstante, stabile undunveränderte Figur herstellt. Das zugrunde liegende allgemeine Phänomen, das in allen diesen Fällen wirksam ist,besteht darin, daß unsere Wahrnehmung durch Überbrükkung oder Ergänzung ein einheitliches Ganzes aufbaut, obstillstehend oder beweglich, stabil oder veränderlich.Wie ich schon dargelegt habe, zeigen die Experimente, daßinnerhalb der spezifizierten Zeit- und Distanzgrenzen nacheinander aufleuchtende Gestalten so ergänzt werden, daß siezu einem stehenden oder möglicherweise sich bewegenden,wachsenden oder schrumpfenden oder sich sonstwie verändernden phänomenalen Ganzen verbunden werden, ob nundie beiden Reizfiguren gleich sind oder sich drastisch unterscheiden. Dies funktioniert für ganz verschiedenartiggepaarte ebene und räumliche Figuren, für physikalische Objekte,Buchstaben und. andere Symbole, und zwar so weitgehend,daß eine solche Transformierbarkeit keine brauchbaren Ähnlichkeitsklassen von Gestalten ergibt. Kolers schreibt:»Wenn alle zweidimensionalen [und dreidimensionalen5] Gestalten Elemente derselben Klasse sind, wie man in den vorliegenden Resultaten anscheinend fast sicher zeigen konnte(...), dann ist der Gedanke aussichtslos, man könnte entsprechend den Operationen, die die Wahrnehmung an den Gestalten vollzieht, Klassen von Gestalten bestimmen« (AMP,S. 190). Auch wenn sich die übereinstimmenden Resultatederart häufen, daß sie allmählich ihre Neuigkeit verlieren,dürfen wir gleichwohl nicht übersehen, welcher Einfalls-
5 AngesiChts von Koiers' Resultaten 1st die Beschränkung auf zweidimensionaleGestalten hier überflüssig.
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Figur I
fig theoretisch entscheidenden Fällen über. Zum Beispielwurden m einem Experiment (AMP, S. 82) die beiden ausjeweils vier Figuren bestehenden Gruppen in Figur I nacheinander gezeigt.
Welcher Übergangsweg Wird normalerweise eingeschlagen,wenn auf die erste Gruppe links die zweite Gruppe rechtsdavon zum Aufleuchten gebracht wird? Da bei der Verwendung einzelner Figuren Vierecke und Kreise sich leicht ineinander transformieren, wird hier dann nicht jeder Kreis einViereck und jedes Viereck ein Kreis werden, während dieGruppe sich nach rechts bewegt? Keineswegs. Vielmehrbewegen sich die rechten drei Figuren der ersten Gruppe,ohne ihre Gestalt zu verlieren, als Einheit und werden zu denlinken drei Figuren der rechten Gruppe, während der linkeAußenkreis der ersten Gruppe sich so herumbewegt, daß erzum Rechtsaußenkreis der zweiten Gruppe wird! Bei einemzweiten Experiment, bei dem die rechte Außenfigur derzweiten gezeigten Gruppe durch ein Viereck ersetzt wurde,verwandelte sich der Linksaußenkreis der ersten Gruppe mein Viereck, während er sich zum rechten Ende hinbewegte.Offensichtlich ist das visuelle System unbeirrbar, erfindungsreich und manchmal geradezu ein wenig pervers, wenn es eineWelt nach eigenen Gesichtspunkten aufbaut; die Ergänzungist geschickt, gewandt und häufig raffiniert. Bevor wir weitere entscheidende Experimente betrachten, müssen einigetheoretische Fragen und Konsequenzen genauer überdacht
. werden.
reichtum sich zeigt, wenn die Wahrnehmung in bestimmtenFällen Wege des gleitenden Übergangs improvisiert. Ich sage>improvisieren<, weil die zwischen zwei Figuren eingeschlagenen Wege je nach Umständen, Versuchspersonen und Anlässen beträchtlich variieren können: zum Beispiel wird beimÜbergang von einem Würfel zu einem Quadrat eine Würfelseitenfläche manchmal herausgezogen und manchmal emgedrückt; und die Verwandlung eines Trapezoid in seineUmkehrung wird manchmal durch eine Transformation inder Ebene und manchmal durch eine räumliche Rotationerreicht (AMP, S. 88-91).6 Nebenbei gesagt könnte man sichdie Frage stellen, ob solche Improvisationen nicht in nochhöherem Maße als eingeborene Ideen etwas für den Menschen Charakteristisches sind. Ich habe mich sogar ganz vorlaut gefragt, ob nicht typische Wegverläufe mit bestimmtenFähigkeiten oder anderen psychologischen Eigenschaften sogut korrelieren, daß sie die Basis für ein diagnostisches Verfahren abgeben könnten.Was geschieht aber, wenn zwischen die Orte, an denen diebeiden Gestalten aufleuchten, eine feste Schranke eingeschoben wird? Nehmen wir an, auf einem weißen Feld mit einerschwarzen Längslinie in: der Mitte leuchte ein schwarzerKreis zuerst links von der Linie und dann (innerhalb derangegebenen zeitlichen und räumlichen Grenzen) rechtsdavon auf. Wird die Schembewegung dann völlig verhindertoder nur unterbrochen? Weder das eine noch das andere,berichtet Kolers. Der Kreis bewegt sich nach rechts, kommtvorn um die Schranke herum und fährt dann zur zweitenPosition weiter (AMP, S. 79-80).In allen bisher betrachteten Fällen Wird immer eine einzelneFigur oder ein einzelnes Objekt angeboten. Kolers geht dannzu sehr viel komplexeren, manchmal verblüffenden und häu-
6 Und emesinguläre allgememe Beschreibung kann eine umfangreiche Variation ImVerlauf zulassen. Wenn Kolers hier zum Beispiel von der Rotation der Trapezoide »umihre horizontale Achse durch diedritte DimenSIOn« spncht, ohne weitere Spezifikation,kann die Rotation vermutlich bel verschiedenen Anlässen In verschiedenen Richtungenerfoigen.
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4. Folgen und Fragen
Welche Folgerungen können wir ziehen? Erstens sind dieberichteten Beweise mehr als ausreichend, um jede Kurzschlußtheorie zu eliminieren. Die beiden eben beschriebenenFälle entziehen solchen Erklärungen jede Spur von Plausibilität. Verhielten elektrische Ströme sich so, dann würdenComputer noch schlechter arbeiten, als sie es ohnehin tun.Dennoch schwindet die Vorliebe, psychologische auf elektrische Phänomene zu reduzieren, nur langsam. Wie Kolersschreibt (AMP, S. 180): »Die Kurzschlußtheorie wurde in derWahrnehmungspsychologie häufiger als jede andere widerlegt, dennoch muß sie eine Qualität an sich haben, die sie fürviele Forscher attraktiv macht, denn sie ist immer noch amLeben.« Zweifellos wird irgendeine Version davon bis zumSonnenuntergang überleben..Ebenso hoffnungslos scheitern die von vielen Psychologenunternommenen Versuche, zur Erklärung dieser Phänomenedie Augenbewegungen heranzuziehen (AMP, S. 72 ff.). Inden eben diskutierten Fällen müßten sich die Augen - um dieverschiedenen Bewegungen des Linksaußenkreises der erstenGruppe und der übrigen drei Figuren zu erzeugen - in unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen und in der Mittekreuzen.Und im zweiten Fall müßte ein Auge noch ganz andere,unvorstellbare Akrobatenstückchen vollbringen, um denKreis links außen während der Bewegung in ein Viereck zuverwandeln. Augen, die sich so bewegten, verdienten vieleher beobachtet zu werden als die Figuren. Ebenso aufschlußreich ist ein weiterer Fall (AMP, S. 77)' bei dem dieFiguren in folgender Anordnung aufleuchten: zuerst der inder Mitte liegende Kreis von Figur 2; zweitens alle vierKreise, die in unterschiedlichen Richtungen vom Zentrumentfernt liegen. Der Kreis im Zentrum teilt sich in vier auf, diesich emzeln und gleichzeitig in die vier verschiedenen Eckenfortbewegen. Bewegen Sich nun beide Augen gleichzeitig in
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alle vier Richtungen? Oder bewegen sie sich einzeln, jedes inzwei verschiedene Richtungen?
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Figur 2
Solche Theorien lächerlich zu machen ist leichter, als einebefriedigende zu finden. Ein kognitivistischer Zugang siehtvielversprechender aus. Das visuelle System strebt unter demZwangseiner Anatomie und Physiologie sowie unter demEinfluß dessen, was es früher gesehen und getan hat, nachEinheitlichkeit, Gleichförmigkeit und Kontinuität, wobei esunterwegs jedoch improvisiert. Dieser Vorschlag bleibt weithinter einer Theorie zurück, die die unterschiedlichen Resultate dieser Experimente im einzelnen erklären könnte. Selbstziemlich vorsichtige Verallgemeinerungen als erste Schrittezu umfassenderen Prinzipien scheitern häufig. Zum Beispielkommt es vor, daß sich eine Figur aus der zuerst aufleuchtenden Anordnung zur nächstliegenden Figur der zweitenAnordnung hinbewegt und dabei deren Gestalt annimm~; inanderen Fällen bewegt sie sich zu der nächstliegenden Figurvon glelcher Form, wobei sie eine näherliegende, aber andersgeformte Figur ignoriert (AMP, S. 100-102). Kolers folgert:»Bisher ist keine Theorie der Scheinbewegung vorgetragenworden, die mehr als ein paar Beobachtungen zu erfassenvermag« (AMP, S. 181). Ich vermute, daß unser Sehapparatbeiläufig sein Vergnügen daran hat, unsere Suche nach einerTheorie zu enttäuschen, wenn er eine Welt nach seinem Belie-
ben erzeugt.Etwas mehr läßt sich jedoch zu einigen vorhin gestelltentheoretischen Fragen sagen. Erstens: Sind Wahrnehmungvon Scheinbewegung und Wahrnehmung von realer Bewe-
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gung wesentlich gleich? Für eine bejahende Antwort sprichtso viel, daß, Kolers zufolge, »Gibson einmal bemerkte, es sei,bedauerlich<, daß zwischen echten und scheinbaren Bewegungen eine Unterscheidung getroffen wurde« (AMP,S. 175). Wir wissen, daß wir zum Beispiel beim gewöhnlichen Lesen dem Text fragmentarische Hinweise entnehmenund SIe beträchtlich ergänzen; und wir haben offenbar wenigGrund zu der Annahme, daß im Gegensatz dazu reale Bewegung durch ein kontinuierliches Verfolgen wahrgenommenwird. Wenn dann neben der Bewegung auch noch andereVeränderungen auftreten, erscheint eine ständige Überwachung aller höchst unwahrscheinlich. Insofern bei der Wahrnehmung von realer und scheinbarer Bewegung knappeInformationsreize ergänzt werden, gleichen sie sich tatsächlich. Dennoch sind sie auch sehr verschieden. Erstens wirddort, wo die reale Bewegung vom normalen Weg der Scheinbewegung abweicht, die AbweIchung gewöhnlich bemerkt.Somit Rann die Wahrnehmung realer Bewegung im Gegensatz'zur Wahrnehmung von Scheinbewegung nicht ausschließlich eine Sache der Ergänzung zwischen Extremensein; Irgendwie sind wir auch ohne kontinuierliche Überwachung ständig darauf vorbereitet, signifikante Informationsreize auszuwählen. Kolers stützt sich indessen auf zweiandere Argumente (AMP, S. 35 ff., S. 174ff.). Erstens, daßeine Versuchsperson lernen kann, ziemlich zuverlässig zusagen, ob sie reale oder scheinbare Bewegung wahrgenommen hat. Einen Fleck sich bewegen zu sehen, wenn er sichnicht bewegt, hat eine merklich andere Qualität als einenFleck zu sehen, der sich tatsächlich bewegt. Vielleicht nochschlüssiger ist jedoch Kolers' experimentelle Bestimmung,daß zwar reale Bewegung auf sich kreuzenden Bahnen ohneweiteres wahrgenommen werden kann, daß aber Bahnenscheinbarer Bewegungen sich niemals kreuzen. Wenn zumBeispiel (AMP, S. 77) die obere Reihe von Figur 3
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Figur 3
zuerst aufleuchtet und dann die untere Reihe etwas darunter,bewegt sich Jede der beiden Teilfiguren in der oberen Reiheauf geradem Weg nach unten und verwandelt sich in die
. andere, darunterliegende Gestalt; der Kreis und das Viereckbewegen sich memals diagonal zu den unteren Figuren gleicher Form. Wahrnehmung von realer Bewegung und Wahrnehmung von Scheinbewegung, obwohl in vielen WIchtigenHinsichten gleich, sind doch oft auch sehr verschieden. Dochdie Vermutung, daß sich der Unterschied auf die AktivierungbeZIehungsweise .Nichtaktivierung der >Bewegungsdetektoren< zurückführen lasse, wurde durch den experimentellenNachweis entkräftet, daß das Auge des Frosches auf sukzessive diskrete Reizung In derselben Welse reagiert wie aufkontinuierliche BewegungJDie nächste Frage lautet, wie denn die Ergänzung in derrichtigen Weise vor dem zweiten Aufleuchten beginnenkann. Wie weiß das visuelle System im voraus, ob es nachrechts oder links, nach oben oder unten gehen muß, um damitzu beginnen, ein Viereck In einen Kreis oder in ein Dreieck zutransformieren? Eine plausible Erklärung ist meines Erachtens die, daß scheinbare Bewegung oder Veränderung erstwährend oder nach dem zweiten Aufleuchten konstruiertwird, obwohl sie so gesehen wird, als ob sie vom ersten zumzweiten Aufleuchten verliefe. Gleichgültig, ob die Wahrnehmung des ersten Aufleuchtens nun verzögert, bewahrt odererinnert worden sein mag, nenne ich dies die Theorie der'retrospektiven Konstruktion. Sie besagt, daß die Konstruk-
7 Siehe die DiskUSSIOn von Kolers (AMP, S. [69) über die einschläg[gen Arbeitenverschiedener Forscher, z.B. O.-J. Griisser und Ursula Grüsser-Cornhels, »Neurophys[ology of the Anuran Visuai System«, m: R. L1inas und W. Fecht (Hg.), FrogNeurobioLogy: A Handbook, Berlin - Heidelberg- New York 1976, S. 297-385.
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tion, die so wahrgenommen wird, als trete sie zwischen denbeiden Zeitpunkten auf, zu denen die Figuren aufleuchten,nicht vor dem zweiten Aufleuchten zustande gebracht wird.Auch wenn dies als eine komplexe und sogar etwas phantasievolle Erklärung erscheint, so scheint sie mir doch in hohemMaße mit den komplexen und bemerkenswerten Phänomenen übereinzustimmen, auf die wir gestoßen sind. Außerdemdenke ich, daß eine ganz ähnliche Erklärung für jenen Traumangezeigt ist, der am Ende zu einem wirklichen Geräuschhinführt, das den Träumenden aufweckt. Kolers, der vielleicht weniger schnell bereit ist als ich, dem visuellen Systemeine gewisse Raffiniertheit zu untersteHen, lehnt in seinemBuch die Theorie der retrospektiven Konstruktion fürScheinbewegung und Scheinveränderung ab und betont:"Die Konstruktion wird in der Realzeit ausgeführt« (AMP,S. 184).8 Er schlägt die Erklärung vor, daß die Richtung derErgänzung durch Übung antizipiert werden kann (AMP,S. 196). Da ein Beobachter eine Scheinbewegung gewöhnlichnicht sehr gut wahrnimmt, bevor er nicht einige Probeversuche durchlaufen hat, liefert eine solche Übung vielleicht dieerforderliche Anleitung.Diese Erklärung vermochte mich Jedoch nicht zu überzeugen. Eimge Zeit nach Veröffentlichung des Buches sagte mirKolers, daß er sich inzwischen gegen eine Theorie der retrospektiven Konstruktion weniger sperre. Um die Frage zu8 Ich habe den Gegensatz hier VIelleIcht überzeIchnet. Möglicherweise liegt der emZigeUnterschied in dem, was Koiers und ich ais eme Theorie der retrospektiven Konstruktion ansehen. Koiers', Argument iautet m den Grundzügen so: Da die Wahrnehmungemes ReIZes bis zu emer DntteIsekunde erfordert, während die Pause ZWischen demzweimaligen Aufleuchten ungefähr ein Zehntei davon beträgt, erfoigt der zweIte LichtreIZ, lange bevor der erste wahrgenommen Wird. Der Konstrukuonsprozeß der Scheinbewegung _kann also, ebenso wie es der Wahrnehmungsprozeß der Lichtreize tun muß,begmnen, bevor die Wahrnehmung der aufleuchtenden Gestalten gewonnen Ist. Alsokann die Ergänzung zusammen mit der Wahrnehmung der Lichtreize erreIcht werden,so daß also keine retrospektive Konstruktion am Werk 1St. Der Prozeß der Ergänzungkann Jedoch kaum vor dem zweIten Aufleuchten beginnen. Nun tritt aber m derwahrgenommenen Ordnung die Schembewegung zwischen den beiden gegebenenLichtrelZen auf und verbindet sIe. Die Ausgangssequenz: Aufleuchten. - Aufleuchten,- Ergänzung wird verändert wahrgenommen, nämlich ais die Sequenz: Aufleuchten.Ergänzung - Aufleuchten,. Eine soiche perzeptIve Umordnung betrachte Ich ais retrospekuve KonstruktIon.
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klären, brauchten wir dringend einige simple Experimentalanordnungen. Zum Beispiel könnte man den Fleck bei denProbeläufen immer zuerst im Zentrum des Feldes erscheinenlassen und beim zweiten Aufleuchten dann nach dem Zufallsprinzip in verschiedenen Richtungen vom Zentrum entfernt.Wenn in den Versuchen nach dem Üben die Scheinbewegungleicht und deutlich wahrgenommen wird, dann läßt sich dieerfolgreiche Antizipation der richtigen Bahn der Übungzuschreiben. Erst vor ganz kurzer Zeit haben solche Experimente, die an der Universität Oregon durchgeführt wurden9
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die Übungshypothese schlüssig widerlegt. Es sieht also soaus, als bliebe uns die Wahl zwischen einer Theorie derretrospektiven Konstruktion und dem Glauben ans Hellse
hen offen.Kolers' gründliches und bedeutendes Buch wirft, wie wirgesehen haben, viele Rätselfragen auf, doch ist keine vonihnen das Rätsel bei der Wahrnehmung, auf das wir in derÜberschrift zum vorliegenden Kapitel verwiesen haben.
5. Farbe
Während der Arbeit, von der in Kolers' Buch berichtet wird,drängte ich ihn oft dazu, einer weiteren Frage nachzugehen:Was geschieht, wenn die nacheinander aufleuchtendenAnordnungen sich in der Farbe unterscheiden? Kolersstimmte mir zwar zu, daß dies eine wichtige Frage sei, hattejedoch zu der Zeit, als die Arbeit über Veränderungen inPosition, Gestalt und Größe im Gange war, keine Gelegenheit dazu, die für solche Experimente erforderliche Apparatur zu entwerfen und zu bauen. Deshalb verweist er in seinemBuch auch nur auf die etwas skizzenhafte Arbeit anderer zudieser Frage, z. B. »Squires bestätigt Wertheimers Ergebnis,daß unser visuelles System bei Farbunterschieden einen glei-
9 Siehe J. Beck, Ann Eisner, C. Silverstein, »Position Uncertainty andthe Perceptionof Apparent Movement«, m: Perceptlon and PsychophySlCS 2I (1977), S. 33-38.
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tenden Übergang zustande bringt« (AMP, S. 43). Anscheinend hatte noch niemand untersucht, auf welchem Wegedieser Übergang erfolgt. Diese Frage interessIerte michbesonders aus folgendem Grund : Wenn wir herausfindenkönnten, ob der Weg der Veränderung, etwa von rot zu grün,über mittelgrau verläuft oder über die Spektralfarben orangeund gelb oder sie alle umgeht, dann ergäbe dies vielleicht eineneue experimentelle Basis zur Bestätigung oder Umbildungder gewöhnlichen Farbordnung. 10 Das heißt, wir könnten diezwischen jeweils zwei Farben durchlaufene Bahn als emegerade Lime - den kürzesten Abstand - zwischen ihnen auf~
fassen. Von da aus müßte sich dann rekonstruktiv derbekannte Farbenkörper ergeben, VIelleicht aber auch etwasganz anderes; auf Jeden Fall müßte dabei eine Karte herauskommen, auf der die Farben nach einem bestimmten, wichtigen Ähnlichkeitsknterium eingezeichnet wären.Nach Abschluß seines Buches führte Kolers mit einem seinerMitarbeiter, von Grunau, die vorgeschlagenen Experimentezur Farbveränderung durch und teilte die Ergebnisse in zweiAufsatzen mIt. II Bei diesen Experimenten erschienen dienacheinander aufleuchtenden Figurenkonstellationen in verschiedener Farbe ~ manchmal in Kontrastfarben oder Komplementärfarben, etwa rot und grün, manchmal fast in derselben Farbe, etwa rot und dunkelrosa. Manchmal waren dieaufleuchtenden Figuren in Größe und Gestalt gleich; manchmal war die erste Figur zum Beispiel ein kleines rotesViereck,die zweite dagegen ein großer grüner (oder rosafarbiget)Kreis.
Wie erwartet, stören die Farbunterschiede den gleitenden'
10 Die Standardordnung besteht aus einerVollkugel oder emer Doppeipyramide,wobeI die Farbtöne[Vollfarben] in· der Foige des Spektrums auf dem Äquator angeordnet smd ~nd die Farbintensität mit dem Breitengrad sowie die Reinheit mit der Nähe zurOberfläche variiert. Das Modell hat den Wichtigen Vorzug emes Standards, erhebt aberkemen. absoluten Anspruch, die einzige oder die pnmäre perzeptive Farbordnung zusem. Sie ~lrd zwar allgemei.~ vorausgesetzt, aber nur seitenemer gründlichen theoretischen und expenmentellen Uberprüfung unterzogen. Siehe im weiteren SA, S. 268-276.II SIehe Paul KoJers I v. Grunau, in: Soenee 187 (1975), S. 757-759, und VislOnRese",reh 16 (1976), S. 329-335.
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Scheinübergang bei Ort, Größe und Gestalt keineswegs.Welchen Weg nimmt aber der farbliche Übergang? Durchquert er den Farbenkörper? Verläuft er auf semer Oberfläche? Oder auf einer anderen Bahn? Kolers selbst und vieleandere Psychologen und Nichtpsychologen, unter ihnen:auch der Autor des vorliegenden Buches, stellten überJahrehinweg Vermutungen an. Was vermUten Sie? Keiner von unsriet auch nur annähernd richtig - auch Sie nicht! Der gesundeMenschenverstand, der uns im Lichte der Experimente mitanderen Scheinveränderungen sicherlich sagt, daß die Farbveränderung auf Irgendeinem Weg gleitend verlaufen werde,hat uns hIer noch ärger getäuscht als gewöhnlich. Das tatsächliche Resultat des Experiments nämlich ist schockierend.Bringen wir ein kleines rotes Quadrat zum Aufleuchten undanschließend - mnerhalb der spezifizierten Zeit- undAbstandsgrenzen - einen großen grünen (oder rosafarbigen)Kreis, dann sehen wir das Quadrat, wie es sich gleichmäßigbewegt, SIch transformiert und zum KreIS heranwächst unddabei rot bleibt bts ungefähr zur Mitte des Wegs, wo es stehdann abrupt in grün (oder rosa) verwandelt.Dieses Resultat empfinde ich als eines der aufregendstenunerwarteten Ergebnisse -in der Geschichte der Experimentalpsychologie. Und hIer stoßen wir nun auf jenes Rätsel beider Wahrnehmung, das die Kapitelüberschrift meint.
6. Das Rätsel
Wie kommt es, daß der Farbübergang nicht nur ganz andersfunktioniert als der Übergang bei Ort, Größe oder Gestalt,sondern auch so eigensinnig anders? Selbst wenn der Farbübergang begleitet (und man würde annehmen: beemflußt)wird von einem gleitenden Übergang in jenen anderen Hinsichten - die Farben springen trotzdem. Auch jetzt nochtreten Überbrückungen auf, und Jede Zwischenstelle einerBahn zwischen zwei aufleuchtenden Figuren wird farblich
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ausgefüllt, aber immer in einer der aufleuchtenden Farbenund nie sukzessiv in Zwischentönen.Der erste Gedanke ist vielleicht der: weil Farbe schließlichweder Ort noch Gestalt noch Größe ist, ist die Annahme, diescheinbare Farbveränderung verlaufe parallel zu einer Veränderung in diesen anderen Hinsichten, ohnehin unbegründet.Doch ohne eIne Erklärung dafür, wie eine spezifische Eigentümlichkeit der Farbe für den abrupten Wechsel ausschlaggebend sein könnte, hilft dies kaum weiter; denn Ort, Gestaltund Größe unterscheiden sich schließlich auch erheblich voneinander l >, und trotzdem kommt in allen diesen Hinsichtenein gleitender Übergang vor.Sehen wir uns einmal drei miteinander zusammenhängendeEigenschaften an, die normalerweise, das heißt ganz unabhängig von den besonderen Phänomenen, die wir hierbetrachtet haben, auftreten, wenn sich die Wahrnehmungraum-zeitlicher Gestalten >wirklich< ändert. I}
Erstens kommt die gleitende Veränderung in der Wahrnehmung von Gestalt, Größe und Position eines Objekts, beiverändertem Abstand und Blickwinkel, in der alltäglichenErfahrung überall vor. Wenn ich ein kubisches Objekt sichdrehen sehe, verändert sich seine sichtbare Gestalt allmählich. Während es sich auf mich zu oder von mir weg bewegt,wächst es visuell an oder es schrumpft zusammen. Und wennes sich nach links oder rechts oder auf und ab bewegt, kann esdas Gesichtsfeld durchqueren.Zweitens wird eine solche Wahrnehmungsveränderung häufig dadurch herbeigeführt, daß wir uns selbst oder unsereAugen bewegen oder das Objekt manipulieren. Somit kommteine solche Veränderung nicht nur immer und immer wiederim normalim Verlauf der Ereigmsse vor, sondern wir können
12 Siehe zum Beispiel SA, S. 53ff., 199, 26off.13 Gememt ist die Wahrnehmungsänderung, die die Veränderung des angebotenenReizes begleitet. Dem korreliert nicht Immer auch eine physikalische Veränderung desbeobachteten Gegenstandes. Während ich zum Beispiel um eine Pyramide herumgehe,verändert Sich die wahrgenommene Gestalt entsprechend einer Veränderung des dargebotenen Retzes, während die physikalische Gestalt konstant bleibt.
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sie in vielen Fällen auch herbeiführen und willkürlich durchlaufen. Sie wird sowohl durch Beobachtung als auch durchÜbung gründlich gelernt.DrIttens enthält ein Objekt nur selten unausgefüllte raumzeitliche Lücken. Wir bemühen uns energisch und eInfallsreich, bewußt und automatisch darum, alles Erforderlichebereitzustellen, um getrennte Stücke zu einem· eInzigenObjekt oder Pseudoobjekt zusammenzufügen, wie in denbekannten Fällen von Figur 4.
Figur 4
Solange es uns aber mcht irgendwIe gelingt - perzeptiv,begrifflich oder durch Vermutungen -, die Lücken ZWIschenzwei getrennten Entitäten oder Ereignissen auszufüllen,sträuben wir uns, sie zu eInem einzigen Ding zu kombinieren; und dort, wo wir eine abrupte Veränderung von Gestaltoder Größe ohne Veränderung der Lage beobachten, lesenwir sie typischerweise eher als Ersetzung und nicht als Transformation eines Objekts. Zusammenhang 1st eine Standardforderung, wenn nicht gar eIne ausnahmslose Bedingung für
die Einheit des Objekts.Vergleichen wir nun m allen diesen Punkten unsere Erfahrung mit der Farbe. Erstens ist eme allmähliche Farbveränderunglängst nicht so häufig wie die allmähliche raumzeitlicheVeränderung. Ein gleitender Übergang ZWIschen Farbschattierungen kommt beim zunehmenden oder abnehmendenLicht der Morgen- oder Abenddämmerung oder b~~m Dimmerschalter vor. Andererseits 1st ein gleitender Ubergang
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zwischen Kontrastfarben selten, während abrupte Veränderungen sehr oft vorkommen, nämlich immer dann, wennunsere Augen sich über das Fleckenmuster von Farben bewegen, mit dem wir fast ständig konfrontiert sind.Zweitens können wir einen allmählichen Übergang zwischenverschiedenen Farben nicht so leicht produzzeren, wie wirdies zwischen verschiedenen Positionen, Gestalten oder Größen tun können. Nichts, was der einfachen willkürlichenBewegung von Augen oder Körper, ohne Hilfsapparat, vergleichbar ist, verändert die Farbe gleichmäßig oder in einerregelmäßigen und voraussagbaren Weise.Drittens stellen Farblücken im Gegensatz zu raumzeitlichenLücken kein Hindernis für die Einheit des Objekts dar. Diemeisten gewöhnlichen Dinge, von Menschen bis zu HäusernoderHalstüchern, enthalten scharf abgegrenzte Bereiche kontrastierender Farben; und Farben, die zwischen dem Schwarzund dem Rot eines Schachbretts liegen, brauchen nichtergänzt zu werden, damit wir das Brett als em Objekt auffassen. Alles, was normalerweise erforderlich ist, ist ein Kontrast'zwischen Außenkanten und Hintergrund. 14 Außerdemfassen wir rasche Farbveränderungen unter Blitzlicht als Veränderungen in der wahrgenommenen Farbe desselben Objekts undnicht als Ersetzung durch ein andersfarbiges Objektauf. Und ein Objekt verliert seine Identität nicht, wenn es imHalbschatten vom Sonnenlicht gesprenkelt ist.15
14 Manchmal liefert das Wahrnehmungssystem sogar fehlende Konturteile. Siehe zumBeIspIel mteressante neuere Erörterun~envon John Kennedy, »Attentiori, Brightness.and the Constructlve Eye«, m: M. Henle (Hg.), Viszon andArtifaet, Berlin -Heidelberg- New York 1976, S. 33-47, sowIevon Gaetano Kamzsa, "Contours without Gradientsor Cogmtlve C~ntours?«, m: Italian]oumal o[ Psychology I (1974), S. 93-11 3.15 Da Farbsprunge mIt ObJekt- und FiguridentItät kompatibel sind, können wIr unsfrag~n~ war~m w~r dann ein schw~.rzes Q~adrai~ _das z:weimai vor weißem Hintergrunderschemt, ohne daß SIch Ort, Große und Gestalt änderten, so sehen ais bliebe es diega.nze ZeItspanne über stehen, anstatt daß wir schwarz/dann weiß/dan~schwarzsehen?DIe. Antwort ISt klar: Die Fortdauer des Schwarz (oder emer von Weiß verschiedenenFarbe) ISt für die FigurkontinuItät erf?rderlich. Bei emer weißen Zwischenphase gingedIe Kontur verloren, so daß das zweIfache Aufleuchten des schwarzen Quadrats alsgetrennte Erelgmsse gesehen würde. Farbsprünge, die WIr gewöhnlich ziemlich leIchthmnehmen, können um der Erhaltung. von Kontur und KontinuItät willen ausgefülltwerden.
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Kurz, der gleitende Übergang zwischen raull!.zeitlichenUngleichheiten ist, im Gegensatz zur gleItenden Uberbrükkung von Farbkontrasten, eine ganz banaleAlltagserfahrung;er läßt sich oft willkürlich und wiederhoit herbeiführen undist für den Aufbau der meisten Objekte erforderlich, mItdenen wir in unserer Alltagswelt umgehen. Ich glaube, dieskommt einer Erklärung ziemlich nahe, warum das Wahrnehmungssystem - im Einklang mit seiner Erfahrung, seinerÜbung und seiner Rolle - in den Experimenten von Kolersmit raumzeitlichen Ungleichheiten anders umgeht als mitFarbunterschieden.Können WIr es dabei bewenden lassen? Ist damIt alles erfaßt,was zu den verblüffenden Resultaten der Farbexperimentegehört? Im Gegenteil, ich glaube, daß uns der zentrale undauffallendste Umstand entgangen ist: daß praktzsch Jederklare Fall von vzsueller Bewegungswahrnehmung von einerabrupten Farbveränderung abhängt. . .Stellen wir uns ein massives schwarzes Quadrat vor, das slChvor einem weißen Hintergrund mit mäßiger GeschwindigkeItvon links nach rechts bewegt. lri jedem Moment rückt dielinke Kante des Schwarzen ins Weiß hinüber und verschmilztmit dem Hintergrund, während das an die rechte Kante desSchwarzen angrenzende Weiß in Schwarz übergeht und Teildes Quadrats wird. Es gibt keine wahrnehmbaren raumzeitlichen Lücken zwischen unmIttelbar aufeinanderfolgendenVeränderungen an Jeder Kante - SIe bilden einen kontmuierlichen Prozeß. Doch die dazugehörigen Farbveränderungenselbst smd Sprünge ZWIschen schwarz und weiß - es gibtkemen Durchgang durch dazwischenliegende Grautöne.Dies konstituiert die Bewegungswahrnehmung. Nur so wirddie Kontmuität der Konturen gewahrt; das schwarze Quadrat bleibt durchweg dasselbe schwarze Quadrat (oder transformiert sich in anderen FäEen gleitend in Größe oderGestalt), dessen gesamter Umriß mit dem weißen Hintergrund kontrastiert. Allgemeiner gesagt ist em solches kontinuierliches Springen zwischen den verschiedenen Farben an
I II
den Kanten ein wesentlicher Bestandteil' der Wahrnehmungvon realer Bewegung, ungeachtet der Größe, Gestalt undFarbe des betrachteten Objekts; und dasselbe gilt auch für dieWahrnehmung von Scheinbewegungen, sofern sie der Wahrnehmung von realer Bewegung nahekommt.Da nun unser visuelles System solche Sprünge, die für dieBewegungswahrnehmung unentbehrlich sind, mühelosmacht, und da die Identität des Objekts nicht von einemglatten Farbübergang, sondern vom Kontrast zwischen Konturen und Hintergrund abhängt, erscheinen die Farbsprüngein Kolers' Experimenten als so unvermeidlich, daß wir unsnur darüber wundern können, wie uns eine falsche Analogiean der Nase herumführen und uns überhaupt etwas andereserwarten lassen konnte.Somit verflüchtigt sich zwar unser Rätsel bei der Wahrnehmung' aber die faszinierenden Fakten der Scheinveränderungund das Problem, zu einer allgemeinen Erklärung zu gelangen, bleiben bestehen. Das Rätsel, dessen Geschichte mirfesselnd und demütigend erschemt, ist für unsere Zwecke vongeringerem Interesse als die Phänomene selbst. Halten wirrückblickend fest, daß diese Phänomene ebenso objektiv studiert, experimentell erforscht und diskutiert wurden wiephysikalische Fakten. Die Suche nach den Tatsachen WIrdnicht überflüssig oder der Willkür anheimgestellt, wenn essich um Fakten einer >scheinbaren< statt der >realen< oderphysikalischen Bewegung handelt. >Scheinbar< und >real< sindhIer Bezeichnungen, die heimtückische Vorurteile transportieren und für Fakten sehr unterschiedlicher Art verwendetwerden. Ebenso wie die Bewegung eines Punktes auf einemBildschirm manchmal als Reiz oder im Objekt >nicht da< ist,sind auch die in zeitlichem Abstand aufleuchtenden, unbewegten Figuren manchmal in der Wahrnehmung >mcht da<.Was WIr betrachtet haben, waren einige auffällige Beispieledafür, wie die Wahrnehmung ihre Fakten erzeugt. 16 Dies
16 Weitere verblüffende BeispIele finden SIch m Fällen, m denen unsere WahrnehmungKonturen konstrUIert (SIehe oben Anm. 14) und auch Farben erfindet, was Edwm H.
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führt uns - neben einigen in den Kapiteln II-IV erörtertenMitteln und Wegen, wie man Welten erzeugt - auf die allgemeinere Untersuchung zurück, mit der das erste Kapitel be
gann.
Lang zufoige mcht von emer bestimmten Wellenlänge abhängt, sondern vielmehr von»plötzlichen Energieveränderungen« ; SIehe dazu semen Aufsatz »Üur polar part~ershlpwith the world around us«, m: Harvard Magazme 80 (1978), S. 23-z6, und »TheRetmex Theory of Color ViSIOn«, in: Selentifii: Amerlcan 237 (1977), S. 108-128. ZuweIteren ExperImenten über Bewegungswahrnehmung siehe außerdem E. Sigman und1. Rock. »5troboscoplc Movement based on Perceptual Intelligence«, in: Perceptton 3
(1974), S. 9-28 .
VIDie Erfindung von Tatsachen
I. Wirklichkeit und Künstlichkett
Das vorherige Kapitel begann mit der recht vorwurfsvollenFrage: »Können S{e denn nicht sehen, was vor Ihnen ist?«,und gelangte zu der erhellenden Antwort: »Das kommt darauf an.« Eine von den Sachen, auf die es dabei ankommt, istdie Antwort auf eine andere Frage: »Was ist denn nun vormir ?« Das ist die Frage, mit der Ich hier beginne, und ich mußgestehen, daß die Antwort ebenfalls lautet: »Das kommtdarauf an.« Und eine Sache, auf die es dabei in hohem Maßeankommt, ist die Antwort auf eine weitere Frage: »Wasmachen Sie damit?«
Meine Kapitelüberschrift »Die Erfindung von Tatsachen« hatnicht nur den Vorzug, daß sie ziemlich klar anzeigt, was icherörtern werde, sondern auch den, jene Fundamentalisten zuirritieren, die genau wissen, daß Fakten gefunden und nichtgemacht werden, daß Fakten die eine und einzige reale WeltkonstituIeren und daß Wissen darin besteht, an die Tatsachenzu glauben. Diese Glaubensartikel halten die meisten von unsso sehr gefangen, sie binden und blenden uns so sehr, daß »dieErfindung von Tatsachen« paradox klingt! >Erfindung< hatschließlich auch die Bedeutung von >Falschheit< oder >FiktIon< und steht im Gegensatz zu >Wahrheit< oder >Tatsache<.Natürlich müssen wir Falschheit und Fiktion von Wahrheitund Tatsache unterscheiden; aber ich bin sicher, daß wir diesnicht auf der Basis tun können, daß Fiktionen erfunden undTatsachen gefunden werden.Blicken wir einen Augenblick zurück auf den Fall der sogenannten Scheinbewegung. Die experimentellen Resultate, dieich zusammengefaßt habe, sind nicht.universal; sie sind lediglich typisch. Nicht nur nehmen verschiedene BeobachterBewegung verschieden wahr, sondern einige können schein-
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bare Bewegung überhaupt nicht sehen. Diejenigen, die indiesem Sinne unfähig sind, etwas zu sehen, von dem siewissen, daß es nicht da ist, werden von Kolers als naiveRealisten eingestuft, und er berichtet auch, daß zu ~~nem
unverhältnismäßig großen Prozentsatz Ingenieure und Arztedarunter seien (AMP, S. 160).Wenn jedoch ein Beobachter berichtet, er sehe - obwohl dieZeitabstände und Distanzen so gering sind, daß die meistenanderen Beobachter einen sich bewegenden Fleck sehen zwei getrennte Flecke aufleuchten,' so glaubt er die beidenvielleicht zu sehen. Ebensogut können wir ja auch sagen, wirsähen einen Schwarm von Molekülen, wenn wir auf einenStuhl blicken, oder wir sähen eine kreIsrunde Tischplatte,auch wenn wir sie unter einem schiefen Winkel anblicken. Daein Beobachter bei der Unterscheidung zwischen scheinbarerund realer Bewegung besonderes Geschick erlangen kann,faßt er den Anschein von Bewegung vielleicht als Zeichendafür auf, daß etwas zweimal aufleuchtet, so wie wir die ovaleErscheinung der Tischfläche als Zeichen dafür auffassen, daßsie rund ist; und in beiden Fällen können die Zeichen sotransparent sein oder werden, daß wir durch sie hindurch aufphysikalische EreIgnisse und Objekte blicken. Wenn derBeobachter aufgrund dessen, was er sieht,feststellt, vor ihm.liege das, worüber wir uns einig sind, daß es vor ihm liegt,können wir ihn kaum einer vIsuellen Wahrnehmungstäuschung bezichtigen. Sollten wir statt dessen sagen, er mißverstehe die Anweisung, die vermutlich gerade darin besteht,uns zu sagen, was er sieht? Wie können WIr dann,·ohne dasErgebnis vorweg zu beeinflussen, jene Anweisung so reformulieren, daß ein solches >Mißverständnis< vermieden wird?Ihn zu bitten, keinen Gebrauch von früheren Erfahrungen zumachen und alle Konzeptualisierung zu vermeiden, wird ihnoffensichtlich sprachlos machen; denn um überhaupt zureden, muß er ja Wörter gebrauchen.Wir könnten bestenfalls die Sorte der Termini, das Vokabular, angeben, das er verwenden soll; wir könnten ihm sagen,
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daß er das, was er sieht, in phänomenalen oder Wahrnehmungsausdrücken statt in physikalischen Termmi beschreiben soll. Ob dies nun andere Antworten ergibt oder nicht, eswirft ein völlig anderes Licht auf das, was geschieht. Daß dieInstrumente, die zur Verfertigung der Tatsachen verwendetwerden sollen, spezifiziert werden müssen, macht jede Identifikation des Physikalischen mit dem Realen und des Perzeptiven mit dem bloß Erscheinenden hinfällig. Das Perzeptive1st ebensowenig eine ziemlich verzerrte Version der physikalischen Tatsachen, wie das Physikalische eine höchst artifizielle Version der perzeptiven Tatsachen ist. Wenn wir nunzu sagen versucht sind, >beides sind Versionen derselbenTatsachen<, dann darf dies nicht so aufgefaßt werden, als wäredamit Impliziert, es gebe unabhängige Tatsachen, von denenbeldes Versionen sind, ebensowenig wie die Bedeutungsgleichheit zwischen zwei Termini impliziert, es gebe irgendwelche Entitäten, die Bedeutungen genannt werden. >Tatsache< ist ebenso wie >Bedeutung< ein synkategorematischerAusdruck; denn schließlich sind Tatsachen oder >Fakten<offensichtlich etwas Gemachtes.Der Punkt wird wiederum in klassischer Weise durch unterschiedliche Versionen der physikalischen Bewegung illustriert. Ging die Sonne vor einer Weile unter, oder ging dieErde auf? Dreht sich die Sonne um die Erde oder die Erde umdie Sonne? Heute gehen wir unbekümmert mit etwas um, daseinst eme Frage von Leben oder Tod war, wenn wir sagen, dieAntwort hänge vom Bezugsrahmen ab. Aber auch hier müssen wir, wenn wir sagen, das geozentrische und das heliozentrische System seien verschiedene Versionen >derselbenTatsachen<, nicht fragen, was diese Tatsachen sind, sondernvielmehr, wie solche Wendungen wie >Versionen derselbenTatsachen<, oder >Beschreibungen derselben Welt< zu verstehen sind. Dies ändert sich von Fall zu Fall; 1m vorliegendenFall schreiben die geozentrische und die heliozentrIsche Version, auch wenn sie von denselben Einzelobjekten - Sonne,Mond, Planeten - sprechen, diesen Objekten sehr verschie-
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dene Bewegungen zu. Zwar können wir immer noch sagen,daß die beiden Versionen sich mit denselben Tatsachen befassen, wenn wir damit meinen, daß sie nicht nur von denselbenObjekten sprechen, sondern auch routinemäßig ineinanderübersetzbar sind. So wie Bedeutungen zugunsten bestimmterBeziehungen zwischen Termini verschwinden,soverschwinden Tatsachen zugunstenbestimmter Beziehungen zwischenVersionen. Im vorliegenden Fall ist die Beziehung vergleichsweiseoffenkundig; manchmal ist sie sehr viel weniger greifbar. Zum Beispiel befassen sich die physikalischen und perzeptiven Versionen der Bewegung, über die wir gesprochenhaben, nIcht offenkundig mit genau denselben Objekten, unddie Beziehung, wenn es überhaupt eine gibt, die zu sagenerlaubt daß die beiden Versionen dieselben Tatsachen oder,. ..dieselbe Welt beschreiben, ist nicht die einer einfachen Uber-setzbarkeit der einen in die andere.Die erwähnte physikalische und die perzeptive Weltversionsind bloß zwei aus der großen Vielfalt in den verschiedenenWissenschaften, in den Künsten, in der Wahrnehmung und inder al1tägliche~ Rede. Welten werden erzeugt, indem manmittels Wörtern, Zahlen, Bildern, Klängen oder irgendwelchen anderen Symbolen in irgendeinem Medium solche Versionen erzeugt; und die vergleichende Untersuchung dieserVersionen und Sichtweisen sowie ihrer Erzeugung ist das,was ich eine Kritik der Welterzeugung nenne. Ich begann miteiner solchen Untersuchung im ersten Kapitel und werde nunganz kurz einige Punkte jenes Kapitels zusammenfassen undklären müssen, bevor ich zu weiteren Problemen übergehe,die das Hauptanliegen des vorliegenden Kapitels sind.
2. Mittel und Stoff
Was jch bisher sagte, weist offensichtlich auf einen radikalenRelativismus hIn; doch werden ihm strenge Einschränkungenauferlegt. Die Bereitschaft, zahllose alternative wahre oder
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richtige Weltversionen zu akzeptieren, bedeutet nicht, daßalles erlaubt wäre, daß lange Geschichten ebensogut wärenwie kurze, daß Wahrheiten von Falschheiten nicht mehrunterschieden würden, sondern nur, daß Wahrheit andersgedacht werden muß denn als Korrespondenz mit einer fertigen Welt. Obwohl wir Welten erzeugen, indem wir Versionen erzeugen, erzeugen wir ebensowenig eine Welt, indemwir Symbole nach dem Zufallsprinzip zusammenfügen, wieder Schremer einen Stuhl macht, indem er Holzstücke z~fäl
lig zusammenfügt. Die vielen Welten, die ich zulasse, sindgerade die wirklichen Welten, die durch wahre oder richtigeVersionen erzeugt werden und die diesen Versionen entsprechen. Mögliche oder unmögliche Welten, die angeblich falschen Versionen entsprechen, haben in meiner Philosophiekeinen Platz.
Welche Welten nun genau als wirklich anerkannt werdenmüssen, ist eine ganz andere Frage. Obwohl die Wahl einerphilosophischen Position darauf emen gewissen Einfluß hat,können selbst streng restriktiv scheinende Ansichten zahlloseVerslühen als gleichermaßen richtig anerkennen. Ich werdezum Beispiel gelegentlich gefragt, wie sich mein Relativismusmit meinem Nominalismus vereinbaren lasse. Die Antwortist leicht. Auch wenn ein nominalistisches System nur vonIndividuen spricht und alle Rede von Klassen ausschließt,kann es doch Beliebiges als Individuum auffassen; d. h. dasnommalistlsche Verbot richtet sich zwar gegen die ungezügelte Vermehrung von Entitäten auf irgendeiner einmalgewählten Individuenbasis, läßt aber die Wahl dieser Basisvöllig offen. Der Nominalismus als solcher läßt also eineVielzahl von alternativen Versionen zu, die auf physikalischen Partikeln, phänomenalen Elementen, gewöhnlichenDingen oder überhaupt auf allem beruhen können, was manals Individuum aufzufassen bereit ist.' Nichts hindert hiereinen Nominalisten, aus der Menge der Systeme, die nachnominalistischen Kriterien legitim sind, aus anderen Grün-T Siehe SA, S. 26-28; PP, S. 157- 161.
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den einige Systeme anderen vorzuziehen. Im Gegensatz dazuläßt zum Beispiel der typische Physikalismus, der zwar sehrgroßzügig mIt den platonistlschen Instrumenten umgeht, diefür eine endlose Erzeugung von Entitäten sorgen, nur eineeinzige (wenn auch bislang nicht identifizierte) korrekte Basiszu.Während also die Doktrin des Physikalisten - >Kein Unterschied ohne physikalischen Unterschied< - und die Doktrindes Nominalisten - >Kein Unterschied ohne Unterschied derIndividuen< - gleich klingen, unterscheiden sie sich in dieserHinsicht doch erheblich.2
GleIchwohl stelle Ich diese allgemeine Erörterung des Welterzeugens nicht unter nominalistische Einschränkungen, da icheine gewisse Meinungsvielfalt im Hinblick darauf einräumenmöchte, weIche wirklichen Wehen es gibt) Dies bedeutetkeineswegs, bloß mögliche Welten zuzulassen. Der Platoniker und ich sind uns vielleicht darüber nicht einig, was einewirkliche Welt ausmacht, während wir darin übereinstimmen, alles andere abzulehnen. Wir können uneins darübersein, was wir für wahr halten, während wir uns einig sind, daßdem, was wir für falsch halten, nichts entspricht.Die Formulierung, daß Welten aus Versionen erzeugt werden, wirkt häufig anstößig, sowohl durch ihren implizitenPluralismus als auch durch ihre Sabotage an dem, was ich als>festen Boden unter den Füßen< bezeichnet habe. Lassen Siemich den ganzen Trost anbieten, den ich habe. Auch wennich die Vielfalt von richtigen Weltversionen betone, besteheIch keineswegs darauf, daß es viele Welten gibt - oder überhaupt eine; denn wie ich bereits andeutete, gibt es auf die
2 Auch in anderen HinSlchteo, besonders darin, daß die nommalistische Doktrmverlangt, es müsse für Jeden Unterschied eme konstruktivIstische Deutung auf der BaSISvOn Unterschieden ZWIschen Individuen gegeben werden, während diephysikalistlscheDoktnn wemger expliZIt ISt und häufig nur eme unspezifizierte oder bestenfalls kausaieVerknüpfung ZWIschen physikalischen und anderen Unterschieden erfordert.3. Obwohl SA dem Nommalismus verpflichtet ist, wurde sem Kntenum für konstruktiVIstische DefimtiOnen und sem Maßstab für Einfachheit für Vergleichszwecke so weltgefaßt, daß SIe auch auf platonistische Systeme zutreffen. Andererseits WIrd weder dortnoch hier irgendeine AbweIchung vom ExtenslOnalismus zugestanden.
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Frage, ob zwei Versionen Versionen derselben Welt seien,ebensoviele gute Antworten, wie es gute Interpretationen derWorte >Versionen derselben Welt< gibt. Der MOllIst kannimmer behaupten, daß zwei Versionen nur richtig sein müssen, um als Versionen derselben Welt gezählt zu werden; derPluralist kann immer mit der Frage antworten, wie denn dieWelt unabhängig von allen Versionen aussehen sollte. Diebeste Antwort ist vielleicht diejenige, die Professor WoodyAllen gibt, wenn er schreibt:
Können wir das Ulllversum wirklich ,kennen<? Melll Gott, es Istdoch schon schWierIg genug, sich in Chinatown zurechtzufinden.Der springende Punkt Ist doch: Gibt es da draußen irgendwas? Undwarum? Und warum muß man so einen Lärm darum machen?Schließlich kann es kelllen Zweifel darüber geben, daß das elllzigCharakterIstische der'Wirklichkeit< ihr Mangel an Substanz ist. Dassoll nicht heißen, daß sie kellle Substanz besitzt, sie fehlt ihr bloß.(Die Wirklichkeit, von der Ich hIer spreche, Ist dieselbe, die HobbesbeschrIeb, nur elll bißchen kleiner.)4
Die Botschaft, wenn ich sie recht verstehe, ist einfach die:Scher dich nicht um den Geist; das Wesen ist unwesentlich,und die Matene fällt nicht ins Gewicht [Never mmd mmd,essence tS not essenttal, and matter doesn't matter). Wir kon·zentneren uns besser auf Versionen als auf Welten. Natürlichwollen wir unterscheiden zwischen Versionen, die Bezugnehmen, und solchen, die dies nicht tun, natürlich woIlen wirüber die Dinge und Welten reden - wenn es überhaupt welchegibt -, auf die Bezug genommen wird; aber diese Dinge undWelten und auch der Stoff, aus dem sie gemacht sind - Materie, Antimaterie, Geist, Energie oder was auch immer -,werden selbst zusammen mit den Dingen und Weltengeformt. Tatsachen sind theoriegeladen, wie Norwood Hanson sagt5; sie SInd ebenso theoriegeladen, wie wir von unserenTheorien hoff~n, daß sie tatsachengeladen SInd. Oder mitanderen Worten, Tatsachen SInd kleine Theorien, und wahre
4 Woody Allen. »Meme Philosophie«, 10: Wie du dir;' so ich mIr, München 1978, S.)71.5 Norwood Hanson, Patterns of Discovery, Cambridge 1958, Kap. I und passIm.
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Theonen sind große Tatsachen. Dies bedeutet nicht, ich mußes wiederholen, daß man zu richtigen Theorien zufäIliggelangt oder daß Welten aus dem Nichts aufgebaut werden.Wir beginnen )edesmal mit irgendeiner alten Version oderWelt, über die wir schon verfügen und an die wir auch solange gebunden sind, bis wir die Entschlossenheit und Fertigkeit haben, sie zu einer neuen umzubilden. Zum Teil ist es dieMacht der Gewohnheit, die uns im Griff hält, wenn wir dieTatsachen als widerspenstig empfinden: unsere feste Grundlage ist in der Tat unerschütterlich. Welterzeugung beginntmit eiher Version und endet mit einer anderen.
3. Einige antike Welten
Blicken wir für ein paar Augenblicke auf einige frühe Beispiele von Welterzeugung. Wie ich schon seit langem glaube,haben bereits die Vorsokratiker fast aIle wichtigen Fortschritte und Fehler in der Philosophiegeschichte gemacht.Bevor ich ihre Ansichten zur Illustration einiger Themenheranziehe, die für unsere gegenwärtige Diskussion zentralsind, muß ich Ihnen in sehr gedrängter Form die innereGeschichte jener Periode der Philosopliie erzählen.Diese Philosophen gingen wie die meisten von uns von einerwelt aus, die aus Religion, Aberglauben, Mißtrauen, Hoffnung, angenehmen und unangenehmen Erfahrungen zusammengebraut war. Dann bemerkte Thales, der nach einer Einheit in dem Wirrwarr suchte, wie die Sonne Wasser zog undes auf Flammenhitze brachte, wie die Wolken kondensierten,wie das Wasser wieder herabregnete und zu Erde trockneteund machte, der Legende zufolge, auch mit dem Wasser aufdem Grunde eines Brunnens Bekanntschaft. Die Lösungdämmerte ihm - in der Tat, die Lösung war Lösung: die Welt
ist Wasser.Anaximander wandte jedoch ein: »Wenn Erde, Luft, Feuerund Wasser sich aIle ineinander verwandeln, warum soll man
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dann das Wasser herausgreifen? Was macht es denn von denanderen drei so verschieden? Wir müssen etwas Neutralesfinden, aus dem sie alle gemacht sind.« Deshalb erfand er dasUnbegrenzte und bürdete so der Philosophie mit einemSchlag zwei ihrer größten Lasten auf: Unendlichkeit undSubstanz.
Empedokles schloß das Unbegrenzte als Grenzüberschreitungaus. Wenn es keine Wahl zwischen den Elementen gibt,müssen WIr alle vier nehmen; was zählt, ist ihre Mischung. Ersah, daß das wirkliche Geheimnis des Universums die Verwirrung ist.
Als Heraklit das Ganze nun in Bewegung bringen wollte, riefParmemdes Halt und reduzierte die Philosophie auf die Formel »Es ist«, womit er natürlich meinte, »Es ist nicht«, oder,um_ aus einer kurzen Geschichte eine lange zu machen:»Schaut euch den Schlamassel an, in den wir geraten sind!«Demokrit half uns jedoch geschickt aus der Patsche. Erersetzte das »Es ist« durch ein »Sie Sind«. Der Punkt istnämlich der: Wenn man die Dinge nur fein genug zerteilt,WIrd SIch alles als dasselbe herausstellen. Alle Partikel sindgleich; die Weise, in der sie zusammengesetzt sind, läßt Wasser, Luft, Feuer oder Erde entstehen - oder was auch immer.Qualität wird verdrängt dUrch Quantität und Struktur.Ein Streitpunkt zwischen Thales und seinen NachfolgernWIrkt in der gesamten Philosophiegeschichte nach. Thalesreduzierte alle vier Elemente auf Wasser; Anaximander undEmpedokles wandten dagegen ein, daß die vier ebensogut aufeines der dreI anderen reduziert werden könnten. Bis hierherhaben beide Seiten gleichermaßen recht. Thales' aquazentrisches System ist seinen drei Alternativen gegenüber nichtbesser gerechtfertigt als eine geozentrische Beschreibung desSonnensystems gegenüber ihren offenkundigen Alternativen.Thales' Kritiker irrten jedoch mit der Annahme, daß, dakeines der alternativen Systeme allein recht habe, alle falschseien. Daß wir jedes einzelne von ihnen entbehren könnenbedeutet nicht, daß sie alle entbehrlich wären, sondern nur:
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daß wir die Wahl haben. Der implizite Grund für die Ablehnung der Theorie von Thales war der, daß die Eigenschaften,durch die sich die alternativen Systeme voneinander unterscheiden, die Realität nicht so widerspiegeln können, wie sieist. So insistierte Empedokles darauf, daß jede Ordnungunter den vier Elementen der Wirklichkeit willkürlich aufgeprägt sei. Er übersah jedoch, daß Jede Einteilung in Elementeder Wirklichkeit nicht minder aufgeprägt ist und daß wir,wenn wir alle solche Prägungen verbieten würden, nichtsmehr übrig behielten. Anaximander hatte diese Konsequenzbegriffen und sie auch gezogen; er behandeltedie vier Elemente als abgeleitet von emem neutralen und leeren Unbegrenzten. Der logische Parmenides folgerte: Wenn nur etwasvöllig Neutrales den Welten sämtlicher alternativer Versionen gemeinsam sein kann, dann ist nur dieses real und allesandere bloße Täuschung; aber auch er organisierte diese Realität in einer besonderen Weise: das Es, das ist, ist Eins. Derdamit herausgeforderte De~okrit organisierte die Realitätprompt anders, zerlegte sie in kleine Stücke - und schon sindwir WIeder unterwegs.Hinter dieser Kontroverse darüber, was sich worauf reduzieren lasse, steht die immer wiederkehrende Frage, was einesolche Reduktion eigentlich ausmacht. Daß das Wasser sichin die anderen Elemente verwandelt, wandte Anaximanderein, macht aus ihnen noch nicht einfach Wasser; und ebensowenig, antwortete Empedokles, macht man die Elementenoch nicht zu einer neutralen Substanz, wenn man annimmt,sie seien aus einer neutralen Substanz gemacht.Wir haben es hier mit Vorläufern heutiger Feldzüge zwischenFreunden und Gegnern physikalischer Objekte, Phänomene,Konkreta, Qualitäten, Geist oder Materie zu tun; mit Kampagnen für oder gegen den Verzicht auf etwas davon zugunsten von etwas anderem. Solche Kampagnen entstehen typischerweise, wenn man die Bedingungen und die Bedeutungdessen mißachtet, was ebensosehr Konstruktion wie Reduktion ist.
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4· Reduktion und Konstruktion
Debatten über Kriterien für konstruktivistische Definitionenkonzentrierten sich häufig darauf, ob zwischen Definiensund Definiendum eine intensionale oder bloß eine extensionale Übereinstimmung erforderlich sei. Die Forderung nachabsoluter Synonymie beruhte auf der Überzeugung, dasDefiniens müsse eine Bedeutungserklärung des Definiendums sein. Schwierigkeiten mit dem Begriff der Bedeutungund auch mit der Idee der exakten Bedeutungsgleichheit führten zur Frage, ob extensionale Identität ausreichen würde,aber auch dies erwies sich wiederum als zu streng, dennhäufig sind mehrere Definientia, die nicht koextensiv sind,offensichtlich gleichermaßen zulässig. Zum Beispiel kann einPunkt auf einer Ebene entweder als ein Paar sich schneidender Geraden, als ein ganz anderes Paar oder als eine Mengevon verschachtelten Regionen definiert werden, usw.; dochdie Definientia, die diese disjunkten Extensionen haben, können sicherlich nicht alle mit dem Definiendum koextensivsem.Solche Überlegungen sprechen für ein Kriterium, das imRahmen eines extensionalen Isomorphismus die Erhaltungder Struktur statt der Extension fordert. Da eine Struktur vielen verschiedenen Extensionen gemeinsam sein kann, läßtdies legitime alternative Definientia zu. Der fragliche IsomorphIsmus ist global, d.h. ermuß zwischen der gesamten Menge der Definientia eines Systems und der gesamten Mengeseiner Definienda bestehen, aber er ist nicht symmetrisch:normalerweise beschreibt ein Definiens, wie bei den erwähnten Punktdefinitionen, ausführlicher, worauf es zutrifft, alsdas Definiendum; es leistet also eine Analyse und führt Mittelzur systematischen Integration ein.6
Nach dieser Konzeption behauptet die Definition von Punkten im Rahmen von Geraden oder Mengen nicht, daß Punkte
6. Siehe. daz~ auc~ SA, 1. Unter U~ständen können sogar Kriterien angemessen sein,dIe noch wetter smd als der extensionaie Isomorphismus.
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bloß Geraden oder Mengen seien; und die Ableitungen deranderen.Elemente aus dem Wasser behaupten nicht, daß siebloß Wasser seien. Sofern die Definitionen oder Ableitungenerfolgreich sind, organisieren sie die Punkte und Geradenoder auch die vier Elemente zu einem System. Daß es alternative Systeme gibt, diskreditiert keines von ihnen; denn außerder Leere gibt es keine Alternativen zu alternativen Systemen,zu Organisationen der einen oder anderen Art. Thales hätteseinen Nachfolgern, die sich darüber beklagten, daß er künstliche Ordnungen und Prioritäten eingeführt habe, sehr wohlantworten können, genau dies sei es, was Wissenschaft undPhilosophie machen, und daß wir nach einer vollständigenEliminierung des >Künstlichen< mit leerem Kopf und leerenHänden dastünden.! Indem wir das Wesen und die Signifikanz von Reduktion, Konstruktion, Ableitung oder Systematisierung neu fassen, geben wir unsere vergebliche Suchenach der ursprünglichen Welt auf und gelangen zur Erkenntnis, daß Systeme und Versionen ebenso produktiv wie reproduktiv sind.Einige Prozesse des Welterzeugens - oder der Relation zwischen Welten -, die ich in Kapitel I diskutiert habe, lassen sichan unserem kurzen Abriß des Denkens von Thales zu Allenillustrieren. Das Ordnen: in der Ableitung aller vier Elementeaus einem einzigen; die Ergänzung: in der Einführung desUnbegrenzten; die Tilgung: in der Eliminierung alles übrigen; und die Teilung: in der Aufspaltung des Einen in Atome.Ergänzung und Tilgung lassen sich auch an der Relationzwischen der Welt der Physik und einer vertrauten Wahrnehmungswelt dramatisch veranschaulichen. Zu den anderenerwähnten Prozessen oder Beziehungen gehörten auch dieKomposztion: wenn zum Beispiel Ereignisse zu einem dauerhaften Objekt verbunden werden; die Deformation: wennungleichmäßige Kurven geglättet werden; und die Gewichtung oder Betonung. Die Gewichtung, die zwar weniger oftbeachtet und weniger gut verstanden wird, aber für das Fol7 Siehe auch unten VII, 2 über Konvention und Inhalt.
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gende besonders wichtig ist, muß hier etwas genauer betrachtet werden.
Gelegentlich verändert sich bei der Welterzeugung die Betonung, ohne daß Entitäten hlllzugefügt oder weggelassen würden, und zweI Versionen, die sich hauptsächlich oder garausschließlich III ihrer relativen Gewichtung derselben Entitäten unterscheiden, können auffällige und folgenreiche Differenzen aufweisen. Betrachten wir einmal, um nur ein wichtiges BeispIel zu nennen, wie sehr sich zwei Versionen in demunterscheiden können, was sie als natürliche oder relevanteArten annehmen - d. h. die Arten, welche zur Beschreibung,Erforschung oder Dei der Induktion eine Rolle spielen.Unsere gewohnheitsmäßige Projektion von >grün< und >blau<leugnet zwar nicht, daß >glau< und >brün< Klassen benennen,sie behandelt diese Klassen Jedoch als tnvial.8 Dies umzukehren und >glau< und >brün< statt >blau< und >grün< zu projizieren, hieße eine andere Welt erzeugen und in einer anderenWelt leben. Ein zweites'BeispIel für den Effekt der Gewichtung zeIgt sich in der Differenz zwischen zwei Geschichtender RenaIssance: eine Geschichte, die ohne Ausschluß derSchlachten die Künste hervorhebt, und eine zweite, die ohneAusschluß der Künste die Schlachten hervorhebt (vgl. 11, 2).Diese Stildifferenz .ist eine Gewichtungsdifferenz, die unszwei verschiedene Renaissancewelten gibt.
5. Fakten aus Fiktionen
Bei all dieser Vielfalt konzentriert sich die Aufmerksamkeitnormalerweise auf Versionen, die buchstäblich, denotativund verbal sind. Zwar machen diese einen Teil- wenn auchnach meiner Ansicht keineswegs die Gesamtheit - des wissenschaftlichen und quasi-wissenschaftlichen Welterzeugensaus; aber solche VerslOnen, die aus Wahrnehmungen und
8'Diese lockere platon~stischeRedeweIse sollte ais einfache Redewendung für emenommaltsusche Formulterung Im Rahmen von Prädikaten aufgefaßt werden.
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Bildern bestehen, die mit Mitteln der übertragenen Rede oderder Exemplifikation arbeiten oder nicht-verbale Medien verwenden, bleiben dabei außer acht. Die Welten der Fiktion,Poesie, Malerei, Musik, des Tanzes und der anderen Künstesllld zum größten Teil mit solchen lllcht-buchstäblichen Mitteln wie Metaphern erbaut, mit solchen nicht-denotativenMitteln wie Ausdruck und Exemplifikation und. häufig auchunter Verwendung von Bildern, Tönen, Gesten oder anderenSymbolen aus nicht-sprachlichen Systemen. Um solchesWelterzeugen und solche Versionen geht es mir hier vorallem, denn eine Hauptthese des vorliegenden Buches lautet,daß die Künste als Modi der Entdeckung, Erschaffung undErweiterung des Wissens - im umfassenden Sinne des Verstehensfortschritts - ebenso ernst genommen werden müssenwie die Wissenschaften und daß die Philosophie der Kunstmithin als wesentlicher Bestandteil der Metaphysik undErkenntnistheorie betrachtet werden sollte.Betrachten wir zunächst Versionen, die Sichtweisen oderAbbildungen und keine Beschreibungen sind. In syntaktischer Hinsicht unterscheiden sich Bilder von Wörtern radikal- Bilder bestehen nicht aus Elementen eines Alphabets, diebei aller Verschiedenheit der Handschriften und Quellen[hands and fonts] dieselben bleiben, und verbinden sich nichtmit anderen Bildern odermit Wörtern zu Sätzen. Doch denotieren Bilder und Termini gleichermaßen - passen als Etiketten auf - alles, was si'e darstellen, benennen oder beschreiben.9 Namen und bestimmte Bilder wie Einzel- oder Gruppenporträts denotieren singulär, während Prädikate undbestimmte andere Bilder wie die in einem ornithologischenFührer allgemein denotieren. Deshalb können Bilder ganzähnlich wie Termini Tatsachen erzeugen und präsentieren,also, an der Welterzeugung teilhaben. Tatsächlich ist unseralltägliches sogenanntes Weltbild das vereinte Produkt von9 Zum UnterschIed zwischen sprachlichen und bildlichen Symbolsystemen siehe LA,besonders I, 9 und VI, I. Zur weIteren Erörterung der Denotauon durch Bilder siehememe Kommentare zu einem PapIer von Monroe Beardsley m: Erkenntnzs 12 (1978),S. t69-170.
Beschreibung und Abbildung. Dennoch muß ich wiederholen, daß ich mich hier weder emer Bildtheorie der Sprachenoch einer Sprachtheorie der Bilder verpflichte, denn Bildergehören zu nicht-sprachlichen und Termini zu nicht-bildlichen Symbolsystemen.Einige Abbildungen und Beschreibungen denotieren jedoch1m buchstäblichen Sinn nichts. Gemalte oder geschnebeneSchilderungen von Don Quichotte zum Beispiel denotierenDon Quichotte mcht - der nicht denotiert werden kann, weiles ihn einfach nicht gibt. Nun spielen aber fiktionale Werke inder Literatur und ihre Gegenstücke in anderen Künsten beider Welterzeugung offensichtlich eine prominente Rolle:unsere Welten sind ebensosehr ein Erbe der Wissenschaftler,Biographen und Historiker wie der Romanciers, Dramatikerund Maler. Doch wie können soiche Versionen, da sie dochVersionen von nichts sind, an der Erzeugung wirklicher Welten beteiligt sein? Der unvermeidliche Vorschlag, fiktiveEntitäten und mögliche Wehen als Denotata heranzuziehen,hilft bei dieser Frage selbst denen nicht, die diesen Vorschlagschlucken. Doch sobald die Antwort einmal gesucht wird,findet sie sich rasch.>Don Quichotte< trifft wörtlich genommen auf niemandenzu, bildlich verstanden jedoch auf viele von uns - zum Beispiel auf mich, bei meinen Lanzenangriffen gegen die Windmühlen der gegenwärtigen Linguistik. Auf viele andere trifftder Terminus weder buchstäblich noch metaphorisch zu.Buchstäbliche Falschheit oder buchstäbliches Nichtzutreffenist völlig kompatibel mit metaphorischer Wahrheit, wennauch natürlich kein Garant dafür; und die Grenze zwischenmetaphorischer Wahrheit und metaphorischer Falschheitüberschneidet zwar die Grenze zwischen buchstäblicherWahrheit und buchstäblicher Falschheit, ist jedoch ebensowenig willkürlich. üb eine Person ein Don Quichotte (d.h.donquichottisch) oder ein Don Juan ist, ist eine ebenso echteFrage wie die, ob eme Person paranoid oder schizophren ist,und vermutlich leichter entscheidbar. Und die Anwendung
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des fiktiven Terminus >Don Quichotte< auf wirkliche Menschen, ebenso wie die metaphorische Anwendung des nichtfiktiven Terminus >Napoleon< auf andere Generale und diebuchstäbliche Anwendung eines neu erfundenen Terminuswie >Vitamin< oder >radioaktiv< auf bestimmte Materienbewirkt eine Reorganisation unserer vertrauten Welt, indemsie eme Kategorie herausgreift und als relevant betont, diequer zu den ausgefahrenen Geleisen verläuft. Die Metapherist kein bloß rhetorischer Schmuck, sondern eine Weise, inder wir unsere Termini vielfache Nebenaufgaben erfüllenlassen. 10
üb geschrieben, gemalt oder gespielt, die Fiktion trifft inWahrheit weder auf nichts noch auf durchsichtige möglicheWelten zu, sondern, wenn auch metaphorisch, auf wirklicheWelten. Ungefähr so, wie ich an anderer Stelle argumentierte,daß das bloß MöglicheIl - sofern es überhaupt zulässig ist innerhalb des Wirklichen liegt, könnten wir auch hier, ineinem anderen Kontext, sagen, daß die sogenannten mögli-
10 Zur metaphOrISchen WahrheIt SIehe auch LA, II, 5. Zu BedeutungsbezIehungenzwischen verschiedenen fiktiven Termini wie »Don Quichotte« und »Don Juan« siehePP, S. 221-238, und Israel Schefflers wIchtigen Aufsatz »AmbigUlty: an InscnpuonalApproach«, m: R. Rudner und I. Scheffler (Hg.), Logte and Art. Essays in Honoy ofNelson Goodman, Indianapolis .:md New York 1972, S. 251-272. Zu beachten ist: da-Don QUlchotle« und »Don]uan« - wörtlich verstanden - die gleIche (Null-) ExtenSionhaben, können sie Menschen metaphorisch meht in derselben Weise sortieren wiewörtlich zutreffende Prädikate. Wie läßt SIch dann das metaphonsche Verhalten dieserTermini unter die allgemeine Theone der Metapher subsumieren? In zweI eng zusammenhängenden Weisen. Das metaphOrISche Sortieren kann widerspiegeln: (I) einenUnterschied in der wörtlichen Extension zwischen parallel konstruierten Zusammensetzungen, die die beiden Termml enthalten - zum Beispiel haben "Don QUlchotteTermmus (oder -Bild«) und .Don ]uan-Termmus (oder -Bild)« verschiedene wörtlicheExtenSIOnen. Oder (2) emen Unterschied zwischen Ausdrücken, die diese beidenTermml denotleren und die von ihnen exemplifiziert werden können - zum Beispiel ist»Don Juan« em chronIscher-Verführer-Terminus, »Don Quichotte« hingegen mcht.Kurz, »Don Quichotte~(und »DonJuan« werden von verschiedenen Terminidenouert(z.B. von »Don QUlchotte-Termmus~(und »Don Juan-Terminus«), die auch nochandere TermInI denotleren (z.B. »närrischer Turnierkämpfer« und »chrOnIscher Verführer«),. die wiederum verschIedene Menschen denotieren. Auch wenn dies etwaskompliziert ist, so sind die einzelnen Schritte doch alle emfach, und alles Feilschen mitfiktiven Entitäten wird vermIeden.1 I FFF, II, 4. Ich lasse hier kemeswegs die Schranken fallen, um bloß mögliche Weitenzuzuiassen, sondern weise nur darauf hin, daß SIch die Rede, die scheinbar »übermögliche Dinge« sprIcht, manchmai mit Gewinn in eine Rede über wirkliche Dingereformulieren läßt.
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chen Welten der Fiktion innerhalb von wirklichen Wehenliegen. Die Fiktion openert m wirklichen Wehen sehr ähnlichWIe die Nicht-Fiktion. Cervantes, Bosch und Goya - nIchtwenIger als Boswell, Newton und Darwin - nehmen undzerlegen uns vertraute We1ten, schaffene SIe neu, greifen SIewieder auf, formen sie in bemerkenswerten und manchmalschwer verständlichen, schließlich aber doch erkennbaren d.h.wieder-erkennbaren - Weisen um.Wie steht es aber mIt rein abstrakten Gemälden und anderenWerken, die kein SUjet haben, die auf nichts wörtlich odermetaphorisch zutreffen, denen auch die tolerantesten Philosophen kaum zugestehen würden, daß sie eine Welt, seI eseme mögliche oder eme WIrkliche, abbilden? Im Gegensatzzu Don QUlchotte-Porträts oder Kentauren-Bildern sind solche Werke keine buchstäblichen Etiketten auf leeren Gefäßenoder phantasievolle Etiketten auf vollen; sie sind überhauptkeine Etiketten. Haben sie dann ihren Wert nur in sich, alsdas rein Geistige, ungetrübt durch die Berührung mit irgendeiner Welt? Natürlich nicht; unsere Welten sind durch dieMuster und Gefühle abstrakter Werke nicht wenIger energisch geformt als durch ein wörtlich zu nehmendes Stillebenvon Chardin oder eine allegorische "Geburt der Venus«,Wenn wir eine Stunde in einer Ausstellung abstrakterGemälde verbracht haben, neigt alles dazu, sich in geometrische Flächen aufzuteilen, in Kreisen zu rotieren, sich zuTexturarabesken zu verweben, sich zu einem Schwarzweißzuzuspitzen oder m neuen Farbkonsonanzen und -dissonanzen zu vibrieren. Doch wie kann etwas, das weder imwörtlichen noch im übertragenen Sinne abbildet, beschreibt, deklariert, denotiert oder sonstwie auf etwas zutrifft, unsere eingefahrenen Welten so transformieren?Wir haben früher gesehen, daß das, was nicht denotiert,immer noch durch Exemplifikation und Ausdruck Bezugnehmen kann, und daß nicht-deskriptive, nicht-darstellendeWerk dennoch als Symbole für Eigenschaften fungieren, diesie entweder wörtlich oder metaphorisch besitzen. Indem
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solche Werke als Proben und Muster unsere Aufmerksamkeitauf bestimmte, oft unbeachtete und vernachlässigte, geteilteoder teilbare Formen, Farben oder Gefühle lenken, induzieren sie entsprechend diesen Eigenschaften eine Reorganisa~
tion unserer gewohnten Weh. So teilen sie ehemals relevanteArten auf und kombinieren SIe neu, fügen hinzu und ziehenab, erreichen neue Unterscheidungen und Ve~einigungen,
ordnen Rangfolgen neu. Tatsächlich können Symbole durchExemplifikation und Ausdruck sowie durch Denotation aufirgendeine oder all diese verschiedenen und bereits erwähntenWeisen bei der Welterzeugung eine Rolle spielen.Die Musik wirkt offensichtlich in ähnlicher Weise auf dieSphäre des Hörbaren ein, nimmt aber ebenso teil an derProduktion jeder beliebigen sprachlichen und nicht-sprachlichen visuellen Mischversion, die wir zu einem bestimmtenZeitpunkt für unser ,Weltbild< halten. Denn die Formen undGefühle der Musik sind keineswegs alle auf den Klangbeschränkt; viele Muster und Emotionen, Gestalten, Kontraste, Reime und Rhythmen gibt es im Hörbaren WIe im Sichtbaren, manchmal auch im Tastbaren und im kinästhetischenBereich. Ein Gedicht, ein Gemälde und eine Klaviersonatekönnen buchstäblich und metaphorisch manchmal dieselbenEigenschaften exemplifizieren; jedes dieser Werke kann mithin Wirkungen haben, die sein eigenes Medium transzendieren. Heute, da in den darstellenden Künsten mit der Kombination von Medien experimentiert wird, 1St nichts klarer, alsdaß Musik das Sehen beeinflußt, daß Bilder das Hören beeinflussen, daß beide auf die Tanzbewegung Einfluß nehmenund von dieser beeinflußt werden. Sie alle durchdringen sichbei der Welterzeugung wechselseitig.Exemplifikation und Ausdrucksind freilich nicht ausschließ~lich Funktionen von abstrakten Werken, sondern auch vonvielen desknptiven und darstellenden Werken, seien sie fiktional oder nicht-fiktional. Was ein Porträt oder ein Romanexemplifiziert oder ausdrückt, reorganisiert eine Welt oftdrastischer als das, was das Werk buchstäblich oder figurativ
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sagt oder abbildet; und manchmal dient das Sujet bloß alsVehikel für das Ausgedrückte oder Exemplifizierte. Ob nuneinzeln oder in Kombination, die verschiedenen Symbolisierungsweisen und -mittel sind machtvolle Instrumente. Mitihnen kann ein japanisches Haiku oder ein fünfzeiligesGedicht von Samuel Menashe eine Welt erneuern und umformen; ohne sie blieben Kunstwerke völlig folgenlos, selbstwenn ein Environment-Künstler einen Berg versetzte.Die Hilfsmittel des Künstlers - wörtliche und nicht-wörtliche [metaphorische], sprachliche und nicht-sprachliche,denotative und nicht-denotative Modi der Bezugnahme inzahlreichen Medien - scheinen vielfältiger und eindrucksvoller zu sein als die des Wissenschaftlers. Doch anzunehmen,Wissenschaft sei schlicht und einfach sprachlich, buchstäblich und denotativ, hieße zum Beispiel die häufig verwende7ten Analoginstrumente zu übersehen, etwa die Metapher, diebeim Messen eine Rolle spielt, wenn ein numerisches Schemain einerneuen Sphäre angewandt wird, oder die Rede von>charm<, >strangeness< und Schwarzen Löchern in der heutigen Physik und Astronomie. Selbst wenn das Endproduktder Wissenschaft, im Gegensatz zur Kunst, wörtlich zu verstehende, wortsprachlich oder mathematisch formuliertedenotative Theorie ist, gehen Wissenschaft und Kunst beiihrem Suchen und Aufbauen in ganz ähnlicher Weise vor.Meine Skizze der Tatsachen, die das Erfinden von Tatsachenbetreffen, ist natürlich selbst eine Erfindung; doch wie ichmehr als einmal gewarnt habe, bedeutet die Anerkennungvon vielfachen alternativen Weltversionen nicht den Anfangeiner lazssez-faire-Politik. Maßstäbe zur Unterscheidung vonrichtigen und falschen Versionen werden dadurch eher wichtiger als unwichtiger. Aber welche Maßstäbe? Wenn unversöhnte Alternativen zugelassen werden, so rückt Wahrheit inein anderes Licht. Aber wenn wir unser Blickfeld ausweitenund um Lesarten und Sichtweisen bereichern, die keine Aussagen machen und vielleicht nicht einmal etwas beschreibenoder abbilden, dann wird es erforderlich, ganz andere Maß-
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stäbe als den der Wahrheit in Erwägung zu ziehen. Wahrheitist oft nIcht anwendbar, selten hinreichend und muß manchmal konkurrierenden Kriterien weichen. Diese Dinge möchteich im folgenden Kapitel diskutieren.
VIIÜber die Richtigkeit der Wiedergabe
I. Welten tm Widerstrett
Angesichts der vielen, manchmal unversöhnten und sogarunversöhnlichen Theorien und Beschreibungen, die als zulässige Alternativen anerkannt werden, verlangen unsere Vorstellungen von Wahrheit nach Überprüfung. Und da nachunserer Auffassung das Welter~eugen weit über Theorienund Beschreibungen, über Aussagen, über Sprache, ja selbstüber die Denotation hinausreicht und Versionen und Sichtweisen einschließt, die sowohl inetaphorisch als auch wörtlich, sowohl bildlich und musikalisch als auch sprachlich,sowohl exemplifizierend und ausdrückend als auch beschreIbend und abbildend sind, reicht die Unterscheidung zwischen wahr und falsch längst nicht hin, um den generellenUnterschied zwischen richtigen und falschen Versionen zukennzeichnen. Weicher Maßstab für Richtigkeit ist denn zumBeispiel bei Werken ohne Sujet, die Welten durch Exemplifikation oder Ausdruck präsentieren, das Gegenstück zurWahrheIt? Ich werde mich so heiklen Fragen vorsichtignähern müssen.
In der Überschrift dieses Kapitels sind sowohl >Wiedergabe<als auch >Richtigkeit< ziemlich allgemein aufzufassen. Zur>Wiedergabe< rechne ich nicht nur das, was ein Zeichnermacht, sondern alle die Weisen des Erzeugens und Präsentierens von Welten - in wissenschaftlichen Theorien, Kunstwerken und Versionen aller Art. Ich habe den Terminus gewählt,um jedem Eindruck entgegenzuwirken, daß ich mich mitmoralischer oder ethischer Richtigkeit befassen werde. I Zu>Richtigkeit< rechne ich neben der Wahrheit Maßstäbe derI Jede Behandlung der RichtIgkeIt kann natürlich Aniaß zu SpekulatIonen hinsichtlichder A~wendungauf moralische RichtIgkeit geben; doch dies überlasse ich gerne anderen:. Em ~unkt sollte Jedoch berücksIchtIgt werden: Im vorliegenden Kontext zummdest schheßt dIe RelatIvItät der RichtIgkeit und die Zulässlgkeit von widerstreitenden
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Akzeptierbarkeit, die manchmal Wahrheit, dort wo sie derangemessene Maßstab ist, ergänzen oder sogar mIt ihr konkurrieren, oder die bei nicht-aussageförmigen WiedergabenWahrheit ersetzen.Obwohl mich diese anderen Maßstäbe hier am meisten interessieren, muß ich doch damit beginnen, noch einmal einengenauen Blick auf Wahrheit zu werfen. Die meisten von unshaben vor langer Zeit so fundamentale Grundsätze wie dengelernt, daß Wahrheiten niemals einander wirklich widerstreiten, daß alle wahren Versionen in2 der einen wirklichenWeh wahr sind und daß die vermeintlichen Nichtübereinstimmungen zwischen Wahrheiten eigentlich bloß daraufhinauslaufen, daß verschiedene Bezugsrahmen und Konventionen im Spiel sind. Auch wenn die meisten von uns etwasspäter dazulernten, früher erlernten fundamentalen Grundsätzen zu mißtrauen, so fürchte· ich doch, daß meine obigeBemerkung, es gebe widerstreitende Wahrheiten und eineVielzahl wirklicher Wehen, vielleicht als rein rhetorischübergangen wird. Sie ist jedoch nicht rhetorisch; und selbstauf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, muß ich einigePunkte, die Ich auf diesen Seiten schon oft unterstrichenhabe, noch einmal im Zusammenhang klarlegen. Wir brauchen eine einwandfreie Vergleichgrundlage, wenn wir zumHauptgeschäft dieses Kapitels kommen.Für jeden, der nicht gerade ein ausgesprochener Absolutist1st, stellen alternative und anscheinend widerstreitende Versionen häufig gute und gleiche Ansprüche aufWahrheIt dar.Wir können konfligierende Aussagen kaum in ein und derselben Welt für wahr halten, ohne alle beliebigen Aussagen (daaus jedem Widerspruch alle Aussagen folgen) in derselbenWelt für wahr und damit diese Welt selbst für unmöglichnchtIgen Wiedergaben strenge Maßstäbe zUr Unterscheidung zwischen richtIg undfalsch kemeswegs aus.2 Ich sage, daß eme Aussage wahr 1St In emer (oder für eme) gegebene wirkliche Weit,wenn diese Aussage msofern wahr 1St, als allem diese Weit mBetracht gezogen Wild. Zuden verschi,edenen Redewendungen »wahr von« [»true 0[«] und »wahr über« [»trueabout«] slehe meinen mit Joseph Ullian zusammen verfaßter Aufsatz»Truth AboutJones«, m:Journal of Philosophy 74 (1977), S. 317-338.
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halten. Folglich müssen wir entweder eine von zweianscheinend widerstreitenden Versionen als falsch ablehnen oder siein verschiedenen Welten für wahr halten oder - wenn möglich- einen anderen Weg finden, um sie miteinander zu versöhnen.
In einigen· Fällen lassen sich offensichtlich widerstreitendeWahrheiten dadurch versöhnen, daß man eine Mehrdeutigkeit der einen oder anderen Art beseitigt) Manchmal erscheinen zum Beispiei Sätze nur deshalb inkompatibel, weil sieelliptisch sind, und wenn die zunächst impliziten Einschränkungen ausdrücklich in sie aufgenommen werden, sprechensie unmißverständlich von verschiedenen Dingen oder verschiedenen Teilen von Dingen. Aussagen, die behaupten, daßalle Soldaten mit Pfeil und Bogen ausgerüstet sind und daßkein Soldat so ausgerüstet ist, sind beide wahr - für SoldatenverschIedener Epochen; die Aussagen, der Parthenon seiintakt und er sei zerfallen, sind beide wahr - für verschiedenezeitliche Teile des Gebäudes; und die Aussagen, daß derApfei weiß ist und daß er rot ist, sind beide wahr - fürverschiedene räumliche Teile des Apfels. Sätze, die nichtmiteinander übereinstimmen, vertragen sich besser, wennman sie getrennt hält. In allen diesen Fällen verbinden sich diebeiden Anwendungsbereiche leicht zu einer bekannten Artoder einem Objekt; und die beiden Aussagen sind in verschiedenen Teilen oder Unterklassen derselben Welt wahr.So leicht läßt sich der Frieden Jedoch nicht immer herstellen.Betrachten wir nochmals Beschreibungen von der Bewegung(oder Nichtbewegung) der Erde. Auf den ersten Blick konfligieren die beiden Aussagen
(1) Die Erde steht immer still
(2) Die Erde tanzt die Rolle der Petruschka,
J Zu unterschiedlichen Typen von Mehrdeutigkeit siehe Israel Scheffler, »Arnbigulty:An Inscnpuonai Approach«, m: R. Rudner und I. Scheffler (Hg.), Logic and Art,Indianapolis und New York 1972, S. 251-272; sowie ders., Beyond the Letter. APhi{osophicallnqu.ry znto Ambigu.ty, Vagueness, and Metapher in Language, London1979·
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da die Verneinung der einen jew:eils aus der anderen folgt.Und sie scheinen sich auf dieselbe Erde zu beziehen. Gleichwohl ist jede von ihnen wahr - innerhalb eines entsprechenden Systems.4
Nun wird man uns sicherlich sagen, daß diese letzten vierWorte den Ausweg zeigen: daß auch hier die Aussagen elliptisch sind und sich als völlig miteinander vereinbar zeigen,wenn sie durch explizite Relativierung erweitert werden, sodaß sie beispielsweise lauten:
(3) Im ptolemäischen System steht die Erde immer still(4) In emem bestimmten Strawinsky-Fokine-mäßigen
System tanzt die Erde die Rolle der Petruschka.
Doch dieses Argument funktioniert zu gut. Um zu sehen,warum (3) und (4) keineswegs als vollständigere Formulierungen von (1) und (2) aufgefaßt werden können, nicht einmal als Beispiele vollständigerer Formulierungen, ist zubeachten, daß zwar mindestens eine der konfligierenden Aussagen
(s) Die Könige von Sparta hatten zwei Stimmen(6) Die Könige von Sparta hatten nur eine Stimme
falsch ist, die beiden folgenden jedoch wahr sind:
(7) Herodot zufolge hatten die Könige von Sparta zweIStimmen
(8) Thukydides zufolge hatten die Könige von Sparta nureine Stimme.
Klarerweise sind (7) und (8) im Gegensatz zu (5) und (6) völligneutral hinsichtlich der Anzahl Stimmen, die die Königehatten. Ob jemand eine Aussage macht und ob diese Aussagewahr ist, sind zwei völlig verschiedene Fragen. Ebenso sind4 Ich befasse mich hier mcht mit Kontroversen darüber, ob die Erde In Irgendeinemabsoluten Sinn stillsteht oder Sich m Irgendemer besonderen Welse bewegt. Der Leser,der die Ansicht vertrItt, weder (I) noch (2) oder bloß eine von beiden Aussagen sei wahr,kann sein eigenes Beispiel einsetzen; vielleicht WIrd er zustimmen, daß "Die Erde rotiertim Uhrzeigersinn« und »Die Erde rotiert entgegen dem Uhrzeigersmn« von verschiede~
nen GeSichtspunkten aus beide wahr sind.
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(3) und (4) im Gegensatz zu (I) und (2) völlig neutral hinsichtlieh der Erdbewegung; sie sagen uns nicht, wie oder ob dieErde sich bewegt, solange nicht jedem ein Nebensatz angefügt wird, der behauptet, daß das, was das fragliche Systemsagt, wahr ist: Mit diesem Zusatz jedoch werden (I) und (2)natürlich selbst behauptet, und es ist keine Lösung des Kon~flikts' erreicht. Der scheinbar starke und universelle Kunstgriff der Relativierung auf ein System oder eine Version gehtsomit am Ziel vorbei.Vielleicht können wir aber Sätze wie (I) und (2) durch Relativierung auf bestimmte Bezugspunkte oder -rahmen statt aufSysteme und Versionen versöhnen. Ein einfaches Beispielwird hier besser zu handhaben sein. Die gleichermaßen wahren, aber einander widerstreitenden Sätze über die täglicheBewegung5 von Erde und Sonne
(9) Die Erde rotiert, während die Sonne bewegungslos ist(10) Die Erde ist bewegungslos, während die Sonne um sie
kreist
körinten so interpretiert werden:
(I I) Die Erde rotiert relativ zur Sonne(I2) Die Sonne kreist relativ zur Erde.
In dieser Form sind sie nicht-konfligierende Wahrheiten.Zu beachten ist aber, daß (I1) nicht ganz so wie (9) sagt, daßdie Erde rotiert, und(I2) nicht ganz so wie (10), daß die Erdebewegungslos ist. Daß ein Objekt sich relativ zu einem anderen bewegt, impliziert weder, daß das erste sich bewegt, nochdaß das zweite sich nicht bewegt.6 Tatsächlich laufen, wennfdie entsprechende Formel ist, (I I) und (12) gleichermaßen aufdie eine Aussage hinaus:5 Ich mache hier absichtlich und ohne Folgen eme Übervereinfachung, mdem ,ch Jedeandere Bewegung, wie zum Beispiel die jährliche Umdrehung, außer acht lasse.6 Die Versuchung besteht dann, eine Wendung wie »rdativ zur Sonne« zu ersetzen'durch »die Sonne als feststehend annehmen«. Doch was bedeutet dies? Vielleicht soetwaS wie »die Sonne durch einen festen Punkt auf einem BlattPapier darstellen«. Damit
.wird aber nur gesagt »die Sonne durch einen relanv zum Blatt Papier festen Punktdarstellen«, womit das ursprüngliche Problem wiederkehrt.
(13) Die räumlichen Beziehungen zwischen der Erde und derSonne variieren mit der Zeit entsprechend der Formel
f7i
und diese Aussage schreibt zwar weder der Erde noch derSonne Bewegung oder Ruhe zu, ist aber nicht nur mit (9) und(10) völlig kompatibel, sondern auch mit der Aussage, daß dieErde eine Zeitlang rotiert und dann anhält, während dieSonne sich um sie herum bewegt. Die Versöhnung von (9)und (10) wird hier durch die StreiChung jener Merkmalebewirkt, die für ihre Nicht-Übereinstimmung verantwortlichsmd; (11), (12) und (13) verzichten auf Bewegung in jedemSinn, in welchem wir fragen könnten, ob ein gegebenesObjekt sich bewegt oder nicht oder wie stark es sich bewegt.Bei diesem Stand der Dinge sind wir vielleicht zu sagengeneigt: »Gott sei Dank ist das erledigt; solche Fragen sinddoch offensichtlich ohnehin leer.« Andererseits kommen wirnicht sehr weit, wenn wir - statt sagen zu können, ob oderwie ein gegebenes Objekt sich bewegt - bloß die Veränderungen der relativen Position beschreiben können. Ein Bezugs~
rahmen ist in den meisten Kontexten praktisch unentbehrlich. Ein Astronom kann ebensowenig mit einer neutralenAussage wie (13) arbeiten, wenn er seine Beobachtungendurchführt, wie wir eine Karte zur Orientierung in einerStadt brauchen können, ohne uns selbst darauf zu lokalisieren. Auch wenn sich (9) und (10) nicht in dem unterscheiden,was sie beschreiben, scheint doch immer noch ein erheblicherUnterschied darin zu liegen,wie sie es beschreiben. Undwenn wir uns die Sache noch einmal überlegen, sind wir zusagen versucht, die >leeren< Fragen seien eher >externe< imGegensatz zu >internen< Fragen8
; sie gehörten zur Rede imGegensatz zu den Tatsachen oder zu den Konventionen im7 Für den Augenblick übergehe Ich absichtlich die Relativität zum Beobachter, zumBezugsrahmen oder zur Distanz zwischen Objekten; siehe aber Abschmtt., unten.8 Siehe die Kontroverse zWischen Carnap und Quine m: Paul A. Schilpp (Hg.), ThePhilosophy ofRudolf Carnap, La Salle '963, S. 385-406; S. 91 5-922•
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Gegensatz zum Inhalt. Doch dann wird uns sicherlich derZweifel überfallen, überhaupt etwas auf so notorisch fragwürdige Dichotomien zu stützen. Für den Augenblick wollen wir es jedoch dabei bewenden lassen und einen anderenFall betrachten.
Nehmen wir einmal an, daß unser Diskursuniversum aufeinen quadratischen Aussc.hnitt aus einer Ebene begrenzt ist,wobei die beiden Grenzlinienpaare mit »horizontal" und»vertikal" bezeichnet werden. Wenn wir annehmen, es gebePunkte, was auch immer sie sein mögen, dann stehen zwar diebeiden folgenden Sätze im Widerspruch miteinander:
(14) Jeder Punkt wird durch einevertikale und eine horizontale Gerade erzeugt
(15) Kein Punkt wird durch Geraden oder etwas andereserzeugt9,
doch sind sie in geeigneten Systemen gleichermaßen wahr.Wir wissen, daß die einfache Relativierung auf ein System,wie in (3) und (4), nur eineScheinlösung des Konflikts ist. DieWahrheit der fraglichen Aussage, die von jedem Systemgemacht wird, muß ebenfalls behauptet werden; und wenndie jeweiligen Systeme (14) und (15) so aussagen, wie siedastehen, bleibt der Konflikt erhalten.Können wir (14) und (15) dann vielleicht dadurch versöhnen,daß wir ihre Anwendungsbereiche einschränken? Wenn es inunserem Raum nur Geraden und Kombinationen von Geraden gibt, dann kann (14) wahr sein, nicht aber (15); währenddann, wenn es nur Punkte gibt, (15) wahr sein kann, nichtaber (14). Doch die Schwierigkeit ist die: Wenn es sowohlGeraden als auch Punkte gibt, können (14) und (15) immer
9 Vgi. SA, I. Meine Verwendungsweise mformeller Termmi Wie »erzeugt aus«, »bestehend a.us« , »Kombination aus«, »enthält« 1st 1m vorliegenden Kontext indifferentgegenüber der Frage, ob die TermIOologIe nur Individuen oder auch Klassen zuläßt.Freilich gibt es außer (14) und (Ij) zahllose Alternativen, die mit beiden konfligIeren;Punkte lassen SIch so deuten, daß sIe durch entgegengesetzte Diagonalen oder auslr~endwelc~e~ a.nderen ZW~l oder mehr Linien erzeugt werden, die emen gemeinsamen
.Schnlllpunkt haben, oder lassen SIch auf verschiedene Welsen aus RegIonen konstruIeren.
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noch nicht beide wahr sein, obwohl keiner der beiden Sätzeals derfalsche ausgesondert wird. Wenn (14) und (I 5) alternative Wahrheiten sind, dann sind sie dies innerhalb verschiedener Bereiche. Und diese Bereiche lassen sich nicht zu einemeinzigen verbinden, in dem beide Aussagen wahr sind. 10 Dieser Fall unterscheidet sich somit radikal von jenen Fällen, woscheinbar widersprüchliche Aussagen über die Farbe einesObjekts oder die Ausrüstung von Soldaten sich durchBereichseinschränkung auf verschiedene Teile des. Objektsoder auf verschiedene Soldaten versöhnen lassen; denn (14)und (15) lassen sich nicht ohne weiteres so auslegen, daß sieauf verschiedene Punkte oder auf verschiedene Teile einesPunkts zutreffen. Zusammen besagen sie, daß jeder Punktaus Geraden erzeugt wird und daß kein Punkt aus Geradenerzeugt ist. Obwohl (14) in unserem Beispielraum wahr seinkann, wenn er als aus Geraden bestehend aufgefaßt wird, und(15) in jenem Raum wahr sein kann, wenn er aus Punktenbestehend aufgefaßt wird, können doch in jenem Raum oderin einem Teil jenes Raumes nach wie vor nicht beide wahrsein, solange er als Raum aufgefaßt wird, der sowohl ausPunkten als auch aus Geraden besteht. Wo wir umfassendereSysteme oder Versionen haben, die so konfligieren wie (14)und (15), lassen sich ihre Bereiche daher nur schwer als solcheinnerhalb einer Welt betrachten, sondern besser als zweiverschiedene Wehen, und da die beiden sich einer friedlichenEinigung widersetzen, sogar als Welten im Widerstreit.
10 Ebensowenig können (t4) und die ihr widerstreitende Aussage (nennen wIr SIe»143«), Punkte selen aus ,entgegengesetzten Diago~alen erzeugt, in der Sphäre allerGeraden und aller Kombinationen davon beide wahr sein. Die Sphären für (14) und(14 a) müssen unterschiedlichen Restriktionen unterliegen; zum BeIspiel muß die Sphärefür (14) auf parallel zu den Grenzen verlaufende Limen und die für (.I4a) auf DiagonalenelOgeschränkt sein. Oder alle diese Limen können zwar für beide zugeiassen werden,aber in (14) unter Einschränkung sich kreuzender Limen auf vertikal-hOrizontale.Fälleund in (I4a) aufentgegengesetzte Diagonalen. Nebenbei ist zu beachten, daß »Sphäre«[»realm« ] hier nicht in dem besonderen techmschen Sinn verwendet Wird, Wie er in LA,11, 6 gegeben wurde.
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2. Konvention und Inhalt
Da diese Folgerung vermutlich nicht allenthalben warmbegrüßt wird, wollen wir nach einem Weg suchen, mit demKonflikt zwischen (14) und (I 5) umzugehen, ohne diese Aussagen auf antagonistische Welten zu begrenzen. Unsere früheren Versuche zur Versöhnung durch Relativierung auf einSystem gingen vielleicht gar nicht so sehr in die falsche Richtung, sie waren bloß zu einfach gedacht. Wir müssen nichtnur annehmen, daß die Korrektheit des fraglichen Systemsstillschweigend behauptet wird, sondern genauer untersuchen, was (14) und (I 5) als Aussagen innerhalb dieser Systemesagen.Wenn es, wie ich oben argumentiert habe, das Kriterium fürdie Korrektheit solcher Systeme ist, daß sie eine Gesamtkorrelationaufstellen, die gewissen Bedingungen des extentionalen Isomorphismus genügt, dann lassen sich unsere zweiAussagen ersetzen durch
(16) In dem betreffenden korrekten System korreliert jederPunkt mit einer Kombination aus einer vertikalen undeiner horizontalen Geraden.
(17) In dem (einem anderen) betreffenden korrekten Systemkorreliert kein Punkt mit einer Kombination irgendwelcher anderer Elemente.
Und diese beiden Aussagen smd völlig kompatibel. Sie sagennichts darüber aus, was einen Punkt erzeugt; beide Aussagensprechen nur darüber, woraus jeweils das erzeugt wird, wasmit einem Punkt im betreffenden korrekten System korreliert. Da überdies der Isomorphismus Identität weder garantiert noch ausschließt (obwohl er durch sie garantiert wird),bedeutet (16) keine positive oder negative Festlegung aufetwas anderes als Geraden und Kombinationen aus Geraden;während (17) sich auf nichts festlegt, außer auf Punkte. Somitkönnen diese Aussagen, die- im Gegensatz.zu (14) und (I 5)zusammengenommen nicht behaupten, daß Punkte aus
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Geraden erzeugt und nicht erzeugt werden, beide in einerWelt wahr sein, die sowohl Geraden als auch Punkte enthält,und zwar nur in einer solchen Welt.Offensichtlich haben wir, ebenso wie beim Übergang von (9)und (10) zu (11) und (12), beim Übergang von (14) und (15)zu(16) und (17) etwas verloren. In beiden Fällen haben wireine Versöhnung dadurch bewirkt, daß wir auf die Merkmaleverzichteten, die für die Nicht-Übereinstimmung verantwortlich waren. Dort abstrahierten wir von der Bewegungund begnügten uns mit Variationen der Distanz in Abhängigkeit von der Zeit; hier abstrahierten wir von der Kompositionund begnügten uns mIt der Korrelation. Wir haben dieGegenbehauptungen zu (14) und (15) gestrichen und uns aufneutrale Aussagen zurückgezogen.Vielleicht empfinden wir nur einen geringen Verlust.Ob ein Punkt atomar oder zusammengesetzt ist und, soferner zusammengesetzt ist, woraus, hängt in hohem Maß vonder für ein System angenommenen Basis und den Kompositionsmitteln ab. Ist dies nicht offensichtlich eine Frage derWahl, ebenso wie der Bezugsrahmen bei der Bewegung während der Isomorphismus einer Korrelation, ebenso wiedie Variation der Distanz mit der Zeit, eine Frage der Tatsachen ist? Die meisten von uns reden gelegentlich so, manchmal bevor oder nachdem wir gerade die Unterscheidung ZWIschen Konvention und Inhalt verurteilt oder bestrittenhaben. Wie wollen wir es haben?Wenn die Zusammensetzung von Punkten aus Geraden undvon Geraden aus Punkten eine Frage der Konvention undnicht der Tatsachen ist, dann sind Punkte und Geraden jedenfalls nicht weniger konventionell. Aussagen wie (16) und (17)sind nicht nur neutral hinsichtlich dessen, woraus Punkteoder Geraden oder Regionen gebildet werden, sondern auchneutral hinsichtlich dessen, was Punkte, Geraden und Regionen selber sind. Wenn wir sagen, daß unser Beispielraum eineKombination aus Punkten oder aus Geraden oder aus Regionen ist oder eine Kombination aus Kombinationen aus Punk-
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ten oder aus Geraden oder aus Regionen oder eine Kombination aus allen diesen zusammen oder ein einziger Klumpen,dann geben wir eine von zahllosen alternativen konfligierenden Beschreibungen dessen, was der Raum ist, da keine dieserKombinationen mit einer der übrigen identisch Ist. Und sobrauchen wir die Nicht-Übereinstimmung auch nicht als eineder Tatsachen zu betrachten, sondern können sie als Folgeunterschiedlicher Konventionen über Geraden, Punkte,Regionen und Kombinationsmodi ansehen, die bei der Organisation oder Beschreibung des Raums angewandt wurden.Was ist dann aber die neutrale Tatsache oder das Ding, das indiesen verschiedenen Termini beschrieben wird? Weder derRaum als (a) ein ungeteiltes Ganzes, noch (b) als eine Kombination all dessen, was bei den verschiedenen Beschreibungenverwendet wurde; denn (a) und (b) sind bloß zwei von denvielen Welsen, es zu organisieren. Doch was ist es, das soorganisiert wird? Wenn wir alle Unterschiede zwischen denWeisen, es zu beschreiben, als Schichten der Konventionabstreifen, was bleibt übrig? Die Zwiebel wird geschält bisauf den leeren Kern.Wenn wir unser Blickfeld er~eitern, um nicht nur unserenBeispielraum, sondern das Ganze des Raums und alles übrigemit zu umfassen, vervielfacht sich die Anzahl der gegensätzlichen Versionen enorm, und weitere Versöhnungen werdenmit ähnlichen Mitteln gesucht. Blicken wir zurück auf das unsvertraute Beispiel der Scheinbewegung:
(18) Ein Fleck bewegt sich über den Schirm(19) Kein Fleck bewegt sich so.
Wenn wir annehmen, daß die Bereiche des Reizes und desSehens völlig geschieden sind, lassen sich die Aussagen verträglich machen, indem man sie separiert, ganz ähnlich wie imFall von gegensätzlichen Farbbeschreibungen, die auf verschiedene Teile eines Objekts angewandt werden. Wenn wiraber, wie es üblicher ist, die Reizversion und die visuelleVersion, zu denen die beiden Aussagen jeweils gehören, so
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betrachten, daß sie SIch in verschiedener Weise auf dasselbeTerntorium beziehen, daß sie verschiedene Berichte übereme gemeinsame Welt liefern, dann werden sowohl der gesehene Fleck als auch die ungesehenen ReIze in dieser gemeinsamen Welt fehlen. Außerdem ist die Aussage (13) über dieVeränderung der Distanz in Abhängigkeit von der Zeit zwarneutral hmsichtlich der entgegengesetzten Beschreibungender Erdbewegung in (9) und (10), aber unvereinbar mit Wahrnehml.lngsversionen, die keine solchen physikalischenObjekte wie die Erde zulassen. Physikalische Objekte, Ereignisse und Wahrnehmungsphänomene gehen den Weg derPunkte, Geraden, Regionen und des Raums.Kurz, wenn wir von allen Merkmalen abstrahIeren, die fürdie Uneinigkeit zWIschen Wahrheiten verantwortlich sind,bleibt uns nichts übrig als Versionen ohne Dinge, ohne Tatsachen, ohne Wehen. Wie Heraklit oder Hegel gesagt habenkönnten, scheinen Welten um ihrer Existenz willen vomWiderstreit abhängig zu sein. Wenn wir andererseits zweibeliebige Wahrheiten als nicht-übereinstimmend mit denTatsachen und somit als wahr in verschiedenen Weltenakzeptieren, Ist nicht klar, warum wir andere Konflikte zwischen Wahrheiten als bloße Unterschiede in der Redeweiseabwerten sollten. Die Behauptung zum Beispiel, einanderwiderstreitende Aussagen paßten insofern auf dieselbe Welt,als sie über dieselben Dinge sprechen, würde zwar (9) und(10) emigermaßen zu Aussagen über dieselbe Welt machen,wäre aber in den meisten Fällen wenig hilfreich. Sprechen (14)und (15) zum Beispiel von denselben Punkten? Ist derSchirm, auf dem sich ein Fleck bewegt, derselbe wie der, aufdem sich kein Fleck bewegt? Ist der gesehene Tisch dasselbewie der Haufen Moleküle? Die Antwort auf solche Fragen,die in der philosophischen Literatur ausführlich diskutiertwerden, ist nach meiner Vermutung ein kräftiges]a und einkräftiges Nem. Der Realist wird sich der Folgerung widersetzen, daß es keine Welt gibt; der Idealist wird sich der Folgerung widersetzen, daß alle konfligierenden Versionen ver-
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schiedene Welten beschreiben. Was mich betrifft, so finde ichdiese Ansichten gleichermaßen reizvoll und beklagenswertdenn schließlich ist der Unterschied zwischen ihnen reinkonventionell !In der Praxis freilich ziehen wir die Grenze nach unseremBelieben und ändern sie ebenso häufig, wie es zu unserenZwecken paßt. Auf der Ebene der Theorie flitzen wir zwischen Extremen ebenso vergnügt hin und her wie der Physiker zwischen Teilchentheorie und Feldtheorie. Wenn dieWortschwall-Ansicht alles in nichts aufzulösen droht, beharren wir darauf, daß alle wahren Versionen Weiten beschreiben. Wenn das Recht-auf-Leben-Gefühl Welten zu übervölkern droht, nennen wir alles Gerede. Oder anders gesagt,dem Philosophen geht es ähnlich wie dem Schürzenjäger:entweder sitzt er mit keiner fest oder mit zu vielen.Die Anerkennung einer Vielzahl von Welten oder wahrerVersionen gibt uns nebenbei einen Hinweis auf eine harmloseInterpretation von Notwendigkeit und Möglichkeit. EineAussage ist In einem Universum von Welten oder wahrenVersionen notwendig, wenn sie in allen wahr ist; notwendigfalsch, wenn sie in keiner wahr ist; und kontingent odermöglich, wenn sie in einigen wahr ist. Die Iteration würdeman im Rahmen von Universen von Universen analysieren:eine Aussage ist in einem solchen Superuniversum notwendigerweise notwendig, wenn Sie in allen Teiluniversen notwendig wahr ist. Analoga zu Theoremen eines Modalkalkülsergeben sich daraus leicht. Eine solche Darlegung wirdjedoch einen begierigen Verfechter möglicher Welten ebensowemg zufriedenstellen wie Quellwasser einen Alkoholiker.
3. Tests und Wahrhett
Unsere vorangegangenen Folgerungen, Beobachtungen oderVerdächtigungen wirken sich auf die Behandlung der Wahr-
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heit in mindestens dreierlei Art aus: eine gängige, wenn auchunmformative Formel für die Wahrheit bedarf der Umformung in eine freilich nicht informativere Formel; für dieWahl ZWischen Sätzen und Lesarten gewinnen ander,eGesichtspunkte als die Wahrheit zusätzliches Gewicht; undein hartnäckiges Problem, das das Verhältms zwischen derWahrheit und den Verfahren, Wahrheit zu prüfen, betrifft,läßt sich vielleicht ein wenig weichklopfen.Als erstes und unwichtigstes muß das bekannte Diktum»>Schnee ist weiß< ist wahr dann und nur dann, wenn Schneeweiß ist« revidiert werden zu so etwas wie »>Schnee ist weiß<ist wahr in einer gegebenen Welt dann und nur dann, wennSchnee in dieser Welt weiß ist«, was dann wiederum, wennsich Unterschiede zwischen wahren Versionen von Unterschieden zwischen Welten nicht eindeutig trennen lassen,lediglich darauf hinausläuft: »>Schnee iSt weiß< ist gemäß einerwahren Version dann und nur dann wahr, wenn Schneegemäß dieser Version weiß iSt.«Zweitens: daß Wahrheiten einander widerstreiten, erinnertuns nachdrücklich daran, daß Wahrheit bei der Wahl zwischen Aussagen und Versionen nicht der' einzige Gesichtspunkt sein kann. Wie wir schon früher bemerkten, istWahrheit auch dort, wo es keinen Konflikt gibt, keineswegshinreichend. Manche Wahrheiten sind trivial, unerheblich,unverständlich oder redundant, zu umfassend, zu eng, zulangweilig, zu abwegig, zu kompliziert oder entstammeneiner anderen Version als der in Frage stehenden, wie zumBeispiel dort, wo der Wachsoldat auf den Befehl hin, jedenGefangenen zu erschießen, der sich bewegt, sofort alleerschoß und erklärte, daß sie sich mit hoher Geschwindigkeitum die Elfdachse und um die Sonne bewegten.Außerdem gehen wir typischerweise weder so vor, daß wirerst gewisse Aussagen als wahr auswählen und dann andereAuswahlkriterien auf sie anwenden, noch wählen wir erstgewisse Aussagen als relevant und brauchbar aus und überlegen dann, welche davon wahr sind. Vielmehr beginnen wir
mit dem Ausschluß von Aussagen, die zuerst als entwederfalsch, wenn auch in anderer Hinsicht vielleicht richtig, oderals unrichtig, wenn auch vielleicht als wahr betrachtet wurden, und gehen von da aus weiter. Diese Darlegung leugnetzwar nicht, daß Wahrheit eme notwendige Bedingung ist,entzieht ihr jedoch einen gewissen Vorrang.Freilich ISt Wahrheit ebensowenig eine notwendige wie emehmreichende Überlegung bei der Wahl einer Aussage. Nichtnur kann die Wahl häufig eine Aussage treffen, die der Richtigkeit in anderen Hinsichten näher kommt als der Wahrheit,sondern auch dort, wo die Wahrheit zu pedantisch, zu widerspenstig ist oder mit anderen Prinzipien nicht gut zusammenpaßt, wählen wir vielleicht die am ehesten zu verantwortendeund erhellendste Lüge. Die meisten wissenschaftlichenGesetze sind von dieser Sorte: keine beflissenen Berichte überdetaillierte Daten, sondern alles vereinnahmende ProkrustesVereinfachungen.Einer so respektlosen Ansicht von wissenschaftlichen Gesetzen wird häufig mit der Begründung Widerstand geleistet,daß sie implizit nur Näherungsaussagen seien - daß das »=«in »v = p , t« zum Beispiel nicht als »gleich« zu lesen sei,sondern als »annähernd gleich«, Damit wird die Unverletzlichkeit und der Vorrang der Wahrheit gewahrt. Aber ob wirnun sagen, ein solches Gesetz sei eine Annäherung an dieWahrheit oder eine wahre Annäherung, ist kaum wichtig.Wichtig ist vielmehr, daß die Annäherungen dem vorgezogenwerden, was sich entweder als die Wahrheit oder als dieexaktere Wahrheit betrachten läßt.Bisher habe ich andere Kriterien der Richtigkeit als Ergänzung zur Wahrheit und manchmal sogar als ihre Konkurrenten aufgefaßt. Dienen nun aber einige dieser anderenGesichtspunkte auch oder sogar eher als Wahrheitstests?Schließlich müssen wir ja bei der Beurteilung von WahrheitenTests anwenden; und solche Merkmale wie Nützlichkeit undKohärenz sind hervorragende Kandidaten. Daß wir ohneweiteres handfeste Beispiele nutzloser und verworrener
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Wahrheiten und nützlicher klarer Falschheiten hervorbringen können, zeigt bestenfalls, daß die Tests eher bestätigendals schlüssig sind. Gute Tests brauchen nicht schlüssig zusem; die Anziehung durch einen Magneten ist zwar ein guter,aber kein schlüssiger Test für Eisen. Ebensowenig müssenwir erklären können, warum Nützlichkeit, Kohärenz oderirgendem anderes Merkmal ein Hinweis auf Wahrheit ist. Wirkönnen die Anziehung als Test für Eisen verwenden, ohneden Zusammenhang zwischen der Anziehung und derZusammensetzung von Eisen überhaupt zu kennen; wirbrauchen lediglich die ausreichende Sicherheit, daß es eineeinigermaßen zuverlässige Korrelation zwischen beidemgibt. Und wenn die Anziehung als Test übernommen wird,bevor wie die Zusammensetzung von Eisen kennen, bestehtdie fragliche Korrelation zwischen der Anziehung einerseitsund den Resultaten anderer Tests oder einer vorgängigenKlassifikation von Objekten als Eisen oder Nicht-Eisenandererseits. Etwas ganz ähnliches läßt sich für die Wahrheitsagen. Wenn eine definitive und informative Charakterisierung fehlt, wenden wir verschiedene Tests an, die wir aneinander und an emer groben und partiellen Vorklassifikationvon Aussagen als wahr und falsch prüfen. Wahrheit ist vielleicht wie Intelligenz genau das, was die Tests testen; und diebeste Darlegung dessen, was Wahrheit ist, ist vielleicht eine>operationale< Definition in den Begriffen der Testverfahren,die zu ihrer Prüfung verwendet werden.Philosophen würden jedoch gern eine ebenso definitive Charakterisierung der Wahrheit erreichen wie die wissenschaftliche Definition von Eisen; und einige haben mit beträchtlichem Scharfsinn Argumente für die Identifizierung derWahrheit an dem einen oder anderen zugänglichen Merkmalvorgebracht.Zu den bemerkenswerten unter diesen Bemühungen gehörtdie von den Pragmatisten vorgeschlagene Interpretation derWahrheit im Sinne von Nützlichkeit. Il Die These, daß dieje-I I In diesem und in den unmIttelbar folgenden Abschnitten 1st nichts ais summanscher
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nigen Aussagen wahr sind, die uns erlauben, die Natur vorauszusagen, mit ihr fertigzuwerden oder Sie Zu besiegen, hatkeine gennge Anziehungskraft; doch müssen einige auffälligeDiskrepanzen zwischen Nützlichkeit und Wahrheit wegerklärt werden. Daß Nützlichkeit im Gegensatz zu Wahrheiteine Sache des Grades ist, kann man vielleicht dadurch in denGriff bekommen, daß Nützlichkeit eher für die Messung derNähe zur Wahrheit statt als Wahrheitskriterium selbst aufgefaßt wird. Daß Nützlichkeit im· Gegensatz zu Wahrheitzweckbezogen ist, erschiene vielleicht weniger gravierend,wenn Wahrheit ebenso wie auf den vorangegangenen Seitenals relativ statt als .absolut betrachtet würde. Doch die Relativität im Hinblick auf einen Zweck stimmt nicht schon vonvornherein mit der Relativität im Hinblick auf eme Welt oderVersion zusammen; denn unter alternativen wahren Versionen oder Aussagen können einige für viele Zwecke höchstnützlich sein, andere für fast gar keine und sogar sehr vielweniger nützlich als einige Falschheiten. An dieser Stelle Wirdvielleicht ein Hauptargument vorgebracht werden: daß Sichdie Nützlichkeit für den vorrangigsten Zweck - den desWissenserwerbs - mit Wahrheit identifizieren lasse. Dannaber scheint die pragmatistlsche These im Augenblick ihresSiegs ihre Kraft gerade emzubüßen; denn daß Wahrheitenden Zweck des Erwerbs von Wahrheiten am besten erfüllen,iSt ebenso leer wie emleuchtend.Den Versuchen, Wahrheit als verläßlichen Glauben oder alsGlaubwürdigkeit im Sinne eines kodifizierten Glaubens auszulegen - wobei eine anfängliche Glaubwürdigkeit dann mitBegriffen wie Folgerung, Bestätigung, Wahrscheinlichkeitusw. in Zusammenhang gebracht wird I2
-, steht der offenkundige Einwand entgegen, daß die glaubwürdigsten AussaAbriß, als Karikatur, als Abwehr oder ais hochmütige Abweisung Itgendemerderdiskutierten Ansichten gememt, sondern nur als Ermnerung an einige der dazugehöngen Probleme und Möglichkeiten.12 Glaubwürdigkeit, obwohl nicht identisch mit Verläßlichkeit, Wird hier so aufgefaßt,daß SIe SIch durch Verläßlichkeit explizieren läßt. Wir können zIemlich unSIcher semüber Aussagen, die hoch bestätigt smd, und hartnäckig SIcher über andere, die schlechtbestätigt sind; doch smd Bestätigung und WahrscheinlichkeIt das ErgebnIs von Bemü-
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gen sich oft als falsch und die am wenigsten glaubwürdigensich als wahr erweisen. Glaubwürdigkeit scheint also nichteinmal ein Maß für Wahrheitsnähe zu sein. Vielleicht istdieses Hindernis aber nicht unüberwindlich. Betrachten wirfür einen Moment den Begriff der Permanenz, der hierbedeuten soll: von emem gegebenen Zeitpunkt an für immerbleibend. Obwohl wir für Gegenstände und Materialien niemals Permanenz erweisen können, läßt sich von Dauerhaftigkeit in unterschiedlichem Grade unterhalb der· Permanenzsprechen. Ebenso können Wir, obwohl wir niemals vollständige und permanente Glaubwürdigkeit erreichen können,Stärke und Dauerhaftigkeit von Glaubwürdigkeit in unterschiedlichem Grade unterhalb davon festlegen. Sollen wiralso diese unerreichbare vollständige und permanente Glaubwürdigkeit mit der unerreichbaren Wahrheit identifizieren?Auf den naheliegenden Protest, daß wir auch einen vollständigen und permanenten Glauben an eine Falschheit habenkönnen, daß das vollständig und permanent Glaubwürdigefalsch sein könnte, ist die Antwort vielleicht die: Solange derGlaube oder die Glaubwürdigkeit tatsächlich vollständig undpermanent ist, kann uns jede Abweichung von der Wahrheitvöllig gleichgültig sein. Der Gedanke dabei scheint der zusein: Wenn es eine solche Abweichung wirklich geben sollte,dann um so schlimmer für die Wahrheit; schieben wir sie alsunbrauchbar beiseite, und zwar zugunsten der vollständigenund permanenten Glaubwürdigkeit, die zwar gleichermaßenunerreichbar, aber durch das Erreichbare erklärbar ist,ebenso wie Permanenz mit dem Begriff der Dauerhaftigkeiterklärbar ist. I 3
Noch ehrwürdiger als Nützlichkeit und Glaubwürdigkeit iSt
hungen, Glauben zu kodifiZIeren - und Maßstäbe für Glauben festzuiegen. Siehe dazuauch Neison Goodman, »Sense and Certainty«, PP, S. 60-68; sowie FFF, S. 62-65.'3 In semen WilliamJames-Voriesungen m Harvard (1976),.die Ich nur vom Hörensagen kenne, hat Michael Dummett wohl eme ähnliche POSItiOn eingenommen. VgL ~uch
CharIes S. Pelrce, ~The Fixation of Belief«, in: ders., Collected Papers, Cambndge1934, '196o, Bd. 5, S. 223-247; deutsch: ders., Schriften I. Zur Entstehu.ng des Pragmattsmus, Frankfurt/M. '967, S. 293-J25; vgL Jedoch Israel Schefflers D,skUSSIOn d,esesAufsatzes m semem Buch Four Pragmattsts, London 1974, S. 60-75·
Kohärenz als Definiens von Wahrheit, die zwar verschiedeninterpretiert wird, aber stets Widerspruchsfreiheit erfordert.Auch hier sind die Probleme enorm. Doch der klassische undabschreckende Einwand, daß es für jede kohärente Weltversion gleichermaßen kohärente, aber widerstreitende Versionen gibt, schwächt sich ab, wenn wir gelegentlich bereit sind,zwei konfligierende Versionen als gleichermaßen wahr zuakzeptieren. Und die Schwierigkeit, eine Korrelation zwischen interner Kohärenz und externer Korrespondenz festzulegen, verringert sich, wenn die Unterscheid~ng zwischendem >Internen< und dem >Externen< selbst in Frage steht.Ebenso wie die Unterscheidung zwischen Konvention undInhalt - zwischen dem, was gesagt wird, und dem, wie· esgesagt wird - zusammenbricht, verliert die Korrespondenzzwischen Version und Welt ihre Unabhängigkeit von solchenVersionsmerkmalen wie Kohärenz. Obwohl Kohärenz fürWahrheit nIcht hinreichend ist, scheint sie natürlich, wieimmer man sie definiert, mit unseren Urteilen über anfängliche Glaubwürdigkeit zusammenzuwirken, wenn wir versuchen, die Wahrheit zu bestimmen. 14 Doch zumindest werden- und das ist der dritte der zu Beginn des Abschnitts erwähnten Punkte - Kohärenz und andere sogenannte interne Versionsmerkmale als Wahrheitstests nicht länger disqualifiziert.Schließen wir damit unseren Überblick über das VerhältnISder Wahrheit zu ihren Begleitern und Konkurrenten ab - eineBesichtigung, die ja einiges von einer Achterbahnfahrt hatte.Wir wollen nun einige klare Fälle betrachten, in denen wirdas, was weder wahr noch falsch ist, einigermaßen zuverlässig und konstant auf seine Richtigkeit hin beurteilen.
14 Siehe PP, S. 6o~68.
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4. Wahrhettsfähtgkett und Gültigkett
Zu den explizitesten und klarsten Maßstäben der Richtigkeit,die wir überhaupt haben, gehören die der Gültigkeit einesdeduktiven Arguments; und Gültigkeit ist natürlich vonWahrheit darin verschieden, daß die Prämissen und Folgerungen emes gültigen Arguments falsch sein können. Gültigkeit besteht in der Übereinstimmung mit Schlußregeln - Regeln, welche die Praxis des Deduzierens kodifizieren, indemsie das Annehmen oder Ablehnen bestimmter Schlüsse vorschreiben.'5 Deduktive Gültigkeit - obwohl verschieden vonder Wahrheit - ist von dieser nicht völlig unabhängig, sondern bezieht Aussagen so aufeinander, daß gültiges Schließenaus wahren Prämissen wahre Folgerungen ergibt. Tatsächlichbesteht die pnmäre Funktion gültigen Schließens darin,Wahrheiten mit Wahrheiten in Beziehung zu setzen. Überdies ist Gültigkeit nicht die einzige Anforderung an ein richtiges deduktives Argument. Ein deduktives Argument ist nurdann in einem vollständigeren Sinn richtig, wenn die Prämissen wahr und.die Schlüsse gültig sind. Somit ist die Richtigkeit des deduktiven Arguments, während sie die Gültigkeitmit einschließt, immer noch eng mit Wahrheit verbunden.Betrachten wir nun die induktive Gültigkeit. Auch hier istweder die Wahrheit der Prämissen noch die Wahrheit derFolgerung gefordert; und die induktive Gültigkeit bestehtwie die deduktive in der Übereinstimmung mit Prinzipien,welche eine Praxis kodifizieren. Induktive Gültigkeit istjedoch von der Wahrheit einen Schritt weiter entfernt alsdeduktive Gültigkeit; denn gültiges induktives Schließen auswahren Prämissen braucht keinen wahren Schluß zu ergeben.Auch wenn die induktive Richttgkett ebenso wie die deduk-
15 Zu diesem und anderen Themen, die in diesem Abschnitt zur DiskUSSIOn stehen,SIehe auch FFF, III und IV. Nebenbei bemerkt: obwohl Gültigkeit oben mit Übereinstlmmung mlt.Schlußregeln identifiZiert wurde, Wird sie manchmal auch 10 memeneIgenen Schriften eher mit Richtlgkeit überhaupt identifiziert, die noch die Erfüllungweiterer Bedingungen emschließt.
tIve Richtigkeit sowohl die Wahrheit der Prämissen als auchGültigkeit verlangt, erfordert sie freilich noch etwas mehr. I6
Zunächst muß ein rIchtiges induktives Argument nicht nurauf wahren Prämissen beruhen, sondern auch auf der gesamten verfügbaren echten Evidenz. Ein induktives Argumentaus positiven Einzelfällen einer Hypothese ist nicht richtig,wenn negative Einzelfälle weggelassen werden; alle geprüftenEinzelfälle müssen berücksichtigt werden. Keine entsprechende Anforderung wird an ein deduktives Argumentgestellt, das richtig Ist, wenn es von irgendwelchen wahrenPrämissen ausgeht, so unvoll!;tändig diese auch seinmögen.Gleichwohl ist induktive Richtigkeit durch induktive Gültigkeit plus Einbeziehung aller geprüften Einzelfälle noch nichtvollständig charakterisiert. Wenn alle geprüften Einzelfällevor 1977 geprüft wurden, ist das Argument, daß sämtlicheEinzelfälle vor 1977 geprüft sem werden, immer noch induktiV falsch; und selbst wenn alle geprüften Smaragde glaugewesen sind, ist das induktive Argument zugunsten derH ypeithese, daß alle Smaragde glau sind, immer noch falsch.Induktive Richtigkeit erfordert, daß die Aussagen über Evidenzen und die Hypothesen in Begriffen von ,echten< oder,natürlichen< Arten formuliert sind - oder in meiner Terminologie: unter Verwendung von projizlerbaren Prädikatenwie »grün« und "blau« und nicht von nicht-projizierbarenPrädikaten wie »glau« und »brün«, Ohne eine soiche Einschränkungließen sich Immer richtige induktive Argumentefinden, die zahllose einander widerstreitende Schlüsse ergeben: daß alle Smaragde grün sind, glau sind, grot sind, usw.Insgesamt verlangt induktive Richtigkeit also, daß das Argument von Prämissen ausgeht, die aus allen und nur soichenwahren Berichten von überprüften Einzelfällen bestehen, diein projizierbaren Prädikaten formuliert sind. Die induktive
16 Eine smguläre Aussage, durch Inslantiierung aus emer Hypothese abgeleitet, Ist empO,siuver Einzelfall, wenn sie sich In der Nachprüfung· ais wahr erweist; sie 1st einnegatIver Einzelfall, wenn sie sich dabei ais falsch erweIst.
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Richtigkeit stellt somit erhebliche Zusatzansprüche, auchwenn sie weiterhin die Wahrheit der Prämissen fordert. Undobwohl wir mittels eines induktiven Arguments zur Wahrheit zu gelangen hoffen, garantiert die induktive Richtigkeitim Gegensatz zur deduktiven Richtigkeit Wahrheit nicht. Eindeduktives Argument ist falsch und seine Eolgerungen sindungültig, wenn es aus wahren Prämissen zu einem falschenSchluß gelangt; doch ein induktives Argument, das in jederHinsicht gültig und richtig ist, kann aus wahren Prämissenimmer noch einen falschen Schluß ergeben. Dieser entscheidende Unterschied hat einige verzweifelte und vergeblicheVersuche zur Rechtfertigung der Induktion im Sinne einesNachweises inspiriert, daß die richtige Induktion immer odermeistens wahre Schlüsse ergeben wird. Jede durchführbareRechtfertigung der Induktion hätte eher zu zeigen, daß dieSchlußregeln die induktive Praxis kodifizieren, hätte also einewechselseitige Anpassung zwischen Regeln und Praxis zubewirken und projizierbare Prädikate oder induktiv richtigeKategorien von anderen zu unterscheiden.Dies bringt uns also auf die Frage, was induktiv richtigeKategOrIen sind, und damit zu einer dritten Art von Richtigkeit überhaupt: die Richtigkeit der Kategorisierung. SolcheRichtigkeit ist einen Schritt weiter von der Wahrheit entfernt;denn während die deduktive und die induktive Richtigkeit esimmer noch mit Aussagen zu tun haben, die einen Wahrheitswert besitzen, haftet die Richtigkeit der Kategorisierung anKategorien, Prädikaten oder Kategorien- und Prädikatensystemen, die kemen Wahrheitswert haben.Bei der Frage, was richtige induktive Kategorien von anderenunterscheidet, kann ich hier nur auf den Kern einer vorläufigen Antwort hinweisen, die ich anderswo skizziert habe(FFF, IV). Ein Hauptfaktor der Projizierbarkeit ist Gewohnheit; wenn anderweitig gleich gut qualifizierte Hypotheseneinander widerstreiten, fällt die Entscheidung gewöhnlich aufdie mit den besser verankerten Prädikaten. Offensichtlichmuß es emen Spielraum für den Fortschritt geben, für die
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Einführung neuartiger Organisationen, die neue und wichtige Verbmdungen und Unterscheidungen erzeugen oderberücksichtigen. Trägheit wird modifiziert durch Forschungund Erfindung, die ihrerseits wieder etwas zurückgehaitenwerden durch verankerte allgemeine ,Hintergrund<-Pnnzipien oder Metaprinzipien, USW. 17 Die Formulierung vonRegeln, die auf diesen Faktoren beruhen und am Ende tatsächlich Projizierbarkeit oder richtige induktive Kategorisierung definieren, ist eine schwierige und verwickelte Aufgabe.Kategonen, die induktiv richtig sind, neigen dazu, mit Kategorien zusammenzufallen, die richtig sind für Wissenschaftim allgemeinen; Variationen des Zwecks können jedoch zuVariationen in den relevanten Arten führen.Manchmal erfolgt die Wahl zwischen Versionen, die verschiedene Kategorisierungen verwenden, ähnlich wie dieWahl zwischen Beschreibungen der Bewegung, die verschiedene Bezugsrahmen verwenden, vermutlich vorwiegend ausBequemlichkeit. Schließlich können wir Ja - wenn auch etwasumställdlich - unsere gewöhnlichen induktiven Argumentein »Glä.u«- und »Brün«-Begriffe umformulieren, so wie wirein heliozentrisches in ein geozentrisches System übersetzenkönnen. Wir brauchen »grün« bloß zu ersetzen durch »glau,wenn geprüft vor t und sonst brün« und »blau« durch »brün,wenn geprüft vor t und sonst glau«. Gleichwohl ist der gegenwärtigen Praxis zufolge die Blau-Grün-Kategorisierung richtig und die Glau-Brün-Kategorisierung falsch, wenn es umdie Markierung der Lmien geht, entlang denen wir unsereinduktiven Schlüsse ziehen. Die Strafe für den Gebrauchfalscher Kategorien ist nicht bloß eine Unannehmlichkeit, sowenig wie die Wahl eines falschen Bezugsrahmens durch denWachsoldaten für die ermordeten Gefangenen bloß auf eineUnannehmlichkeit hinauslief. »Schießen Sie, wenn SIe dieFarbe verändern«, hätte ebenso fatal sein können, wenn der
17 Siehe FFF, IV, 3; sowIe »On Kahane's Confusions«, m:]oumal of Philosophy 69(1972), S. 83-84, und mein Kommentar zu einem Aufsatz von Kutschera, in: Erkenntnis12 (1978), S. 282-284.
Wachsoldat abweichende Farbprädikate projizieren würde.Induktion aufgrund nicht-projizierbarer Kategonen ist nichtbloß umständlich, sondern falsch, was auch immer dasErgebnis des induktiven Schlusses sein mag. Die Richtigkeitder Induktion erfordert die Richtigkeit der projizIerten Prädikate, und diese können wiederum mit der Praxis variIeren.Sehr oft klagen Kritiker meiner Schriften darüber, daß ich zuirgendeinem Thema »ohne Argument behaupte., daß ...«,Ein bestimmtes Beispiel, an das ich mich vage erinnere, lautetungefähr so: »Goodman behauptet ohne Argument, Kern derDarstellung sei die Denotation.« Dies veranlaßte mich, darüber nachzudenken, warum ich eine so entscheidende Erklärung ohne Argument abgab. Der Grund dafür ist der, daß soetwas wie ein Argument - in dem Sinne, daß man etwas ausPrämissen erschließt - hier völlig unangebracht wäre. Ineinem solchen Kontext behaupte ich weniger eine Überzeugung und bnnge keme These oder Doktrin vor, sondernschlage eine Kategorisierung oder em Organisationsschemavor und lenke die Aufmerksamkeit au'f eine bestimmte Weise,unsere Netze so auszulegen, daß wir damit möglicherweisesignifikante Ähnlichkeiten und Unterschiede einfangen können. Eine vorgeschlagene Kategorislerung oder ein Systemlassen Sich also nicht damit begründen, sei seien wahr - dennsie haben keine Wahrheitswerte -, sondern müßten sich aufihre Auswirkungen aufs Weitenerzeugen und auf unser Verstehen stützen. Ein Argument würde also darin bestehen, dieAufmerksamkeit auf wichtige Parallelen zwischen bildlicherDarstellung und verbaler Denotation zu lenken, Unklarheiten und Verwirrungen aufzuzeigen, die durch diese Verbindung geklärt werden, und würde darauf hinweisen, wie dieseOrganisation mit anderen Aspekten der Symboltheoriezusammenwirkt. Denn für ein Kategoriensystem brauchtnicht gezeigt zu werden, daß es wahr ist, sondern was esleisten kann. Grob gesagt, was in solchen Fällen erforderlichist, gleicht weniger dem Argumentieren als dem Verkaufen.
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5. Richtige Darstellung
Die Gültigkeit des deduktiven und indukuven Schließens unddie Projizlerbarkelt von Prädikaten smd in unterschiedlichenGraden unabhängig von der Wahrheit, nicht aber von derSprache. Sie alle sind Maßstäbe für Versionen in Worten. Wiesteht es mIt der Richtigkeit nicht-sprachlicher Versionen?Wann ist zum Beispiel eine bildliehe Darstellung korrekt?Zwei bekannteAntworten lauten, eine Darstellung seI in demMaße richtig, wie sie dem ähnelt, was sie abbildet, und eineDarstellung sei richtig, wenn SIe praktisch eine wahre Aussage mache. Beide Antworten sind unbefnedigend.Die Unzulänglichkeiten der ersten Antwort, die sich auf denBegriff der ÄhnlichkeIt stützt, sind in der Literatur'S soumfassend herausgestellt worden, daß hier Jede DetaildiskussIOn überflüssig ist. Die Korrektheit der Darstellung ändertsich wie die Korrektheit der Beschreibung mit dem Systemoder dem Bezugsrahmen; die Frage »Ist das Bild korrekt?«gleicht somit der Frage »Bewegt sich die Erdek Ein inUmkehrperspektive oder sonstwie verzerrter Perspektivegezeichnetes Bild'9 oder eines, das die Farben durch ihreKomplementärfarben ersetzt, kann in emem bestimmtenSystem ebenso korrekt sein wie ein Bild, das wir Im gegenwärtigen westlichen Standardsystem der Darstellung realistisch nennen. Wir müssen uns hier jedoch daran erinnern,daß es zwei verschiedene Verwendungen von >realistisch<gibt. Nach dem häufigeren Gebrauch ist ein Bild in dem Maßerealistisch, wie es im gewohnten Darstellungssystem korrektISt; zum Beispiel ist in der gegenwärtigen westlichen Kulturein Bild von Dürer realistischer als ein Bild von Cezanne.Realistische oder richtige Darsteliung in diesem Sinn erfordert ebenso wie die nchtige Kategorisierung die Einhaltung
18 Zum Belsplei in Ernst H. Gombrich, Art and IllUSIOn, '960; deutsch: Kunst undIllusIOn. Zur PsychologIe der bildlichen Darstellung, Köin 1967, Stuttgart 1978, passim,und in LA, 1.19 Siehe meme Anmerkung »On J.J. Gibson's New Perspect,ve«, in: Leonardo 4(1971), S. 359-360.
von Gebräuchen und neigt zu einer lockeren Korrelation mitgewöhnlichen Ähnlichkeitsurteilen, die ebenso aufGewohnheit beruhen. Andererseits kann eine nach diesemMaßstab unrealistische Darstellung in einem anderen Systemganz korrekt abbilden, ähnlich wie die Erde in einem etwasungewöhnlichen Bezugssystem die Rolle von Petruschkatanzen kann. Und ein >unnatürlicher< Rahmen oder ein>unnatürliches< System kann unter gewissen Umständendadurch richtig werden, daß es in einer anderen Kultur vorherrscht oder für besondere Zwecke Aufnahme findet.Wenn ein Maler oder ein Photograph früher ungeseheneAspekte einer Welt erzeugt oder uns enthüllt, sagt man vonihm manchmal, er habe einen neuen Grad an Realismuserreicht, indem er neue Aspekte der Realität entdeckt unddargestellt habe. Eine solche Darstellung in einem richtigen,uns jedoch fremden System ist Realismus nicht im Sinne derGewohnheit, sondern der Enthüllung. Die beiden Bedeutungen von >realistisch< spiegeln die Faktoren der Trägheitund der Initiative wider, die wir schon bei der Frage derRichtigkeit von Induktion und Kategorisierung im Wider
streit sahen.Die Schwierigkeit mit der anderen Antwort auf die Frage,worin die Richtigkeit einer Darstellung besteht, liegt in folgendem: Die Antwort lautete, eine Darstellung sei richtig,wenn die dem Bild unterstellte Aussage wahr sei. Nunmacht aber ein Bild keine Aussage. Das Bild eines riesigen,gelben, antiken, abgewrackten Wagens ist ebensowenig wiedie Beschreibung »der riesige, gelbe, abgewrackte antikeWagen« an sich auf eine der folgenden Aussagen festge-
legt:
Der riesige gelbe abgewrackte Wagen ist antikDer riesige gelbe antike Wagen ist abgewracktDer gelbe abgewrackte antike Wagen ist riesigDer riesige abgewrackte antike Wagen ist gelb,
oder auf irgendeine andere Aussage. Obwohl Darstellungen
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und Beschreibungen sich in wichtigen Weisen unterscheiden,kann die Korrektheit in beiden Fällen keine Frage der Wahrheit sein.Für Beschreibungen ebenso wie für Aussageversionen kannder Konflikt mit Hilfe der Negation konstruiert werden:»immer rot überall« und »memals rot irgendwo« wIderstreiten einander, »grün« und »rot« hingegen nicht. Und wennzwei Versionen einander widerstreiten und nicht auf irgendeine Art, wIe sie oben beschrIeben wurden, miteinander versöhnt werden können, so handelt es sich, wenn überhaupt umVersionen einer Welt, dann um Versionen verschiedenerWelten.. Wenn wir es jedoch mIt einem Darstellungssystemzu tun haben, wenn es also keine ausdrückliche Form derNegation gibt, was unterscheidet dann zwischen einem Paarrichtiger Bilder von verschiedenen Dingen und einem Paarverschiedener richtiger Bilder desselben Dings? Nehmen wirein Gemälde von Soutine und eine Zeichnung von Utrillo; daseine.zeigt in dickem Impasto und kurvigen Linien eine Fassade mit zwei verzogenen Fenstern, das andere in geradenschwarzen Linien eine Fassade mit einer Tür und fünf Fenstern. Stellen diese beiden nun verschiedene Gebäude oderdasselbe Gebäude in verschiedenen Weisen dar? Wir müssenuns hier daran erinnern, daß wir selbst bei Aussageversionenkeine klare und feste Grenze zwischen dem Was und dem Wiedes Diskurses ziehen konnten. Manchmal sind ein Satz undseine Verneinung zum Beispiel so miteinander vereinbar, daßsie auf verschiedene Teile oder Zeitabschnitte einer Wehzutreffen. Ebenso können zwei bewegliche Modelle, einmaleine im Uhrzeigersinn rotierende Kugel und einmal eine imGegenuhrzeigersinn rotierende, die Erde von verschiedenenStandpunkten aus gleichermaßen korrekt abbilden. DerNachweis, daß zwei Versionen von derselben Welt sind,schließt den Nachweis ein, wie sie zusammenpassen. Und dieFrage über den Soutine und den Utrilloähnelt sehr der Frage,ob ein bestimmter Haufen Moleküle und mein Tisch dasselbeseien.
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Abgesehen von solchen Dingen ist eine Aussage wahr undeine Beschreibung oder eine Darstellung richtig für eine Welt,auf die sie passen. Und eine fiktionale Aussage, sei sie sprachlich oder bildlich, kann, wenn sie metaphorisch konstruiertist, passen und für eine Weh rIchtig sein. Statt zu versuchen,die Richtigkeit von Beschreibungen oder Darstellungen unterden Begriff Wahrheit zu subsumieren, sollten wir nach meiner Meinung lieber die Wahrheit zusammen mit ihnen unterden allgemeinen Begriff der Richtigkeit des Passens subsumieren.2o Damit kommen wir nun, bevor wir weiter untersuchen, worin richtiges Passen besteht und welches seineKriterien sind, zu Versionen, die weder faktenbezogene nochfiktionale Aussagen, Beschreibungen oder Darstellungen
sind.
6. Die gute Probe
Zu den Aspekten, die die Richtigkeit abstrakter Werke derbildenden Kunst oder Musik ausmachen, wird zum Beispielauch Richtigkeit der Komposition gehören. Und hier laufenwir nun Gefahr, daß man uns des Eindringens in den sakrosankten Bereich der Schönheit bezichtigen und uns vorhaltenwird, daß wir uns nicht ausschließlich an solche Formen derRichtigkeit halten, die mit Wahrheit vergleichbar sind. Jederderartige Protest würde eine Haltung verraten, die meinemStandpunkt entgegengesetzt ist, da ich gerade auf Zusammenhang und Einheit, ja auf der Affinität zwischen Kunst, Wissenschaft und Wahrnehmung bestehe, die alle Zweige desWelterzeugens sind. Die Richtigkeit abstrakter Werke odernicht-denotativer Aspekte nicht-abstrakter Werke ist mitWahrheit weder identisch noch ihr völlig fremd; beides sind
20 Lesern der vorstehenden Selten Wird wohl bewußt sein, daß nichts davon entwederdie Behauptung einschließt, daß eine fix und fertige Welt .emfach dali~gt u~~ daraufwartet beschneben oder dargestellt zu werden, oder auf dIe AnSIcht hmauslauft, daßfajsch~ so gut wie richtIge Versionen eme Welt erzeugen, auf die SIe passen. Siehe auch
unten Abschmtt 7·
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Arten eines allgemeineren Begriffs von Richtigkeit. DieBehauptung, .Schönheit oder ästhetische Richtigkeit seiWahrheit, und die gegenteilige Behauptung, sie sei mit Wahrheit unverträglich, scheinen mir gleichermaßen irreführendeParolen zu sein, und die Schönheit erwähne ich hier nur, umSie aus der weiteren Überlegung auszuschließen.Wir haben bereits früher gesehen, daß Werke oder andereSymbole, die nichts wörtlich oder metaphorisch aussagen,beschreiben oder darstellen und auch nicht vorgeben, irgendetwas zu denotieren, Welten durch Exemplifikation präsentieren können. Was konstituiert die Richtigkeit oder Falschheit einer solchen Exemplifikation? Wann ist eine Proberichtig?
Eins ist Jedenfalls klar: Genauso wie ein Prädikat oder einanderes Etikett auf ein bestimmtes Objekt falsch angewandtwerden kann - .zum Beispiel >rot, auf ein grünes Objekt-,kanrLeinGegenstand aus dem Grund eine falsche Probe seinweil er nicht einmal ein Einzelfall des Etiketts ist, weil er di;fragliche Eigenschaft nicht besitzt. Er kann aber auch einEinzelfall eines Prädikats oder einer Eigenschaft sein, ohneeine Probe davon zu sein, wie im Fall des StoHmusters beimSchneider, das ein Einzelfall einer gewissen Größe undGestalt ist, aber keine Probe dieser Eigenschaften 1St, da es autdiese Merkmale keinen Bezug mmmt.Eine weitere Frage lautet somit, ob das, was tatsächlich eineProbe von emem Merkmal2l ist, vielleicht dennoch keinerichtige Probe davon ist. Wir haben festgestellt, daß, obwohlalle geprüften Smaragde glau sind, der mduktive Schluß auf»alle Smaragde sind glau« falsch ist und der Wachsoldat dieGefangenen nicht hätte erschießen dürfen, obwohl sie sichbewegten. Daraus ergibt sich aber keine unmittelbare Antwort, auch wenn sich einige Hinweise entnehmen lassen, wieunsere gegenwärtige Frage anzugehen ist.
21 Da .Eigens~haft« t»property«J gewöhnlich so eng'mlt »Prädikat« zusammenhängt,verwende Ich haufIg den Ausdruck »Merkmal« [»feature«], in der Hoffnung, daß erzurErmnerung daran dienen Wird, daß mcht alle Etiketten sprachlich sind.
r62
/1I- ,.......
Figur 5
In der gewöhnlichen Redeweise unterscheiden wirp zwischen den beiden Möglichkeiten, daß etwas keine Probe voneinem Merkmal ist und daß es zwar eine Probe, aber keinegute, repräsentative [fatr] Probe ist. Ein von einem Stoffballen abgeschnittenes und als Probe verwendetes Stoffmusterist nicht immer eine gute Probe. Es kann zu klein sein, so daßdie Musterung gar nicht sichtbar ist, oder so geschnitten, daßes ein zusammenhängendes Motiv nur stückweise oder inirreführender Lage zeigt. Die fünf m Figur 5 skizziertenProben können alle von demselben Ballen stammen. Jedesenthält die gleiche Materialmenge wie die übrigen, und natürlich enthält keines davon die gesamte Musterung, dievielleicht aus vielen langen Bändern besteht.22 Dennoch istvon den fünfen vielleicht dasjenige rechts unten die einzigerepräsentative Stoffprobe. Warum ist dies so? Was bedeutetes?Bevor wir zu antworten versuchen, wollen wir den etwasanders gelagerten Fall von Stichproben einer Grassamenmischung aus einem bestimmten Behälter betrachten. Wir können jeweils eines von ,zwei Kriterien dafür anwenden, ob eineProbe eine gute, repräsentative Probe der Mischung sei:erstens, ob das Mischungsverhältnis der Probe dasselbe istwie im ganzen Behälter, und zweitens, ob die Stichprobe gut
22 Exemplifizierte Musterungen[patterns] können im emzei~eri starke U~terschie~eaufweisen, wie zum BelSplei zwischen gestreift, mit Nadelstreifen, blau-weiß gestreiftmit fünf Millimeter breiten Streifen, usw. Die Exemplifikation kann somit ebenso Wie
die Denotation mehr oder wemger allgemein sein; doch während die Allgemeinheiteines Prädikats eine Sache des Anwendungsbereichs ist, ist die Allgememheit einerProbe eme Sache des Bereichs von exemplifizierten Merkmalen.
entnommen wurde, ob also der Faßinhalt gut umgerührtwurde und die Teile der Probe nach dem Zufallsprinzip ausverschiedenen Schichten genommen wurden, usw. Obwohldie Grundlage für das erste Kriterium klar ist, sind solcheKriterien In vielen Fällen mcht anwendbar, und wir behelfenuns mit viel wemger leicht zu rechtfertigenden Kriterien wiedem zweiten. Wenn wir den Anteil der verschiedenenSamensorten in dem Behälter kennen, können wir eine gute Stichprobe im ersten Sinn von >gut< entnehmen, indem wir dieAnteile in der Probe gleich halten. Wenn wir jedoch Probenvon Meerwasser oder Trinkwasser entnehmen, können wirnicht wissen - obwohl wir es hoffen -, daß die Proben gutsind im ersten Sinne. Wir verlassen uns auf das, was wir fürein gutes, repräsentatives Verfahren der Stichprobennahmehalten, und stützen darauf die Annahme, daß die Proben dieZusammensetzung des Wassers im Hafen oder im Reservoirexakt widerspiegeln. Was aber bestimmt die Güte oderRepräsentativität derProbennahme?Die Frage - und die Antwort - sollten vertraut klingen. Einein diesem Sinn gute Probe Ist eine, die mit Recht auf dieMusterung, die Mischung oder ein anderes relevantes Merkmal des Ganzen oder weiterer Proben projiziert werdenkann. Solche Repräsentativität oder Projizierbarkeit verlangtund garantiert nicht, daß die PrOjektIon einer Eigenschafttatsächlich mit den Eigenschaften des Ganzen oder weitererStichproben übereinstImmt; sie hängt vielmehr ab von derGeübtheit In der Deutung von Stichproben; und zwar mußman sowohl gut geübt darin sein, an der Probe die Eigenschaften, auf die es ankommt, zu erfassen'), als auch darin zubestimmen, ob die Eigenart projizierbar ist. Gute Übunghängt wiederum davon ab, ob man es gewohnt ist, seineDeutungen aufgrund von Enttäuschungen und Erfindungen
') Die Anforderungen an das Verfahren werden Je nach den Erfordermssen des konkreten Falles variieren: bel den Samenproben muß eher der Anteil der Samentypenausgewählt werden und mcht solche anderen Merkmale WIe die absolute Menge; beimStoffmuster des Schneiders könnte man die fragliche Musterung dadurch konstruieren,dail man. m geregelter Weise etliche SlOffstücke nebeneinanderiegt.
ständig zu reVidieren. Wenn die Ergebnisse von zu Rechtgemachten Projektionen falsch sind, können diese Fehlschläge dem Pech zugeschrieben werden; wenn sie abe.~ vorherrschend oder in der Überzahl sind, können sie eine Anderung dessen erfordern, was eine gute Praxis ausmacht. Eingewisser Einklang zwischen den Proben ist ein Test für gutePraxis und für die Güte der Probe; aber auch ein solcherEinklang hängt stark davon ab,' welche Etiketten oder Artenrelevant und richtig sind. Also ist auch hier, wie bei dergewöhnlichen Induktion, der Umstand, daß neue Etikettenin einem bestehendem System verankert werden, ein Hauptfaktor, der mit darüber entscheidet, was exemplifiziert wird,ob die Probe gut gemacht .wurde, ob das exemplifizierteMerkmal projizierbar ist und was Einklang zwischen verschiedenen Proben ausmacht. Allerdings unterscheidet sichdie Projizierbarkeit, die von Evidenzen ausgeht, von derRepräsentativität einer Probe vor allem darin, daß Evidenzenund Hypothesen Aussagen sind, wäHrend Proben und das,was sie exemplifizieren, nicht-sprachlich sein können. Somitkönnen Proben und die nicht-sprachlichen Etiketten undMerkmale, die durch sie exemplifiziert werden oder die vonihnen aus projizierbar sind, im Unterschied zu Evidenzauss~
gen und Hypothesen, zu Symbolsystemen gehören, dieweder denotativ noch artikuliert sind!4Obwohl ich im Fall des Tuchs und des Samens gewöhnlich sogesprochen habe, als ob die Projektion der Musterung oderder Mischung auf den gesamten Stoffballen, den Behälter_oder das Reservoir erfolgte, ist es doch eher so, daß wir aufandere, gut entnommene Portionen projizieren: auf Samen-packungen, auf die für ein Kleid notwendige Stofflänge oderauf Trinkmengen von Wasser. Und dies ist aus mehrerenGründen beachtenswert. Erstens können solche Portionen,die uns oft in erster Linie interessieren, in der erforderlichenHinsicht vom Ganzen völlig verschieden sein; zum Beispiel
24 Zu gegliederten oder endlich differenzierten Symbolsystemen, im Gegensatz zu
dichten Symbolsystemen, siehe LA, IV.
könnte selbst dann, wenn die Behältermischung 50 zu 50 ist,jede Einzelpackung Samen nur von der einen oder nur vonder anderen Art enthalten. ZweItens ist damit der Einklangzwischen solchen Proben, der bel einem solchen Test nichtbesteht, ein direkterer Test der Probengüte für die normaleProJektion. Und drittens richtet sich unsere Aufmerksamkeitauf die zWIschen Proben erforderliche Art von Einklang: dieStoffmuster brauchen nicht alle gleich zu sein, solange sicha~s ihnen aufgrund einer entsprechenden ZusammensetzungdIeselbe Musterung ergibt; und die Samenpackungen brauchen nicht alle genau die gleiche Mischung, sagen wir 50 zu5°, zu enthalten, sondern müssen nur in emer festgelegtenstatistischen Weise an diesem VerhältnIs (als Mittelwert,DurchschnItt oder Modus) orientiert sein, oder eben so, daßdie logIsche Summe aller entnommenen Proben ungefähr einMischungsverhältnis von 50 zu 50hat.Kunstwerke sind keine Musterstücke von Stoffballen oderBehältern, sondern Proben aus dem Meer. Sie exemplifizieren· buchstäblich oder metaphorisch Formen und Gefühle,Affinitäten und Kontraste, die in emer Welt zu suchen oder insie emzubauen sind. Die Merkmale des Ganzen sind unbestimmt; und die Güte der Probe ist keine Frage dessen, ob derBehälterinhalt gut vermischt oder ob das Wasser an verteiltenOrten entnommen wurde, sondern vielmehr eme Frage derKoordination von Proben. Mit anderen Worten, die RichtigkeIt der KomposItIOn, der Farbe, der Harmonie, also dieRepräsentativität eines Werkes als Probe solcher EigenartenwIrd dur~h das Ausmaß getestet, in dem es uns gelingt,herauszufmden und weiter anzuwenden, was exemplifiziertwIrd. Was als Erfolg zählt, wenn wir Einklang erreichen,hängt davon ab, wir wir angesichts neuer Begegnungen undneuer Vorschläge fortlaufend unsere Gewohnheiten ändernund uns andere projizlerbare Arten aneignen. Der Entwurfeines Mondrian ist richtig, wenn er auf em beim Sehen derWelt wirksames Muster projizierbar ist. Als Degas eine Fraumalte, die nahe am Bildrand sitzt und aus dem Bild schaut,
169
verstieß er zwar gegen traditionelle Kompositionsregeln, botaber anhand eines Beispiels eine neue Weise des Sehens an,eine neue Weise, unsere Erfahrung zu organisieren. Die Richtigkeit der Komposition unterscheidet sich von der Richtigkeit der Darstellung oder der Beschreibung nIcht so sehrihrem Wesen nach oder in den Maßstäben als vielmehr imTypus der Symbolisierung und im Modus der Bezugnahme,die daran beteiligt sind.
7. Nachprüfung der Richtigkett
Kurz gesagt, die Wahrheit von Aussagen und die Richtigkeitvon Beschreibungen, Darstellungen, Exemplifikationen,Ausdrücken - der Komposition, der Zeichnung, der Diktion,des Rhythmus - ist also vor allem eine Sache des Passens:Passen auf das, worauf in der einen oder anderen Weise Bezuggenommen wird, oder Passen auf andere Wiedergaben, aufArten und Weisen der Organisation. Die Unterschiede, die esmacht, eine Version einer Weh oder eine Welt einer Versionanzupassen oder eine Version und eine andere Versionzusammenzupassen oder anderen anzupassen, schwinden,wenn die Rolle der Versionen bei der Erzeugung von Welten,auf die sie passen, berücksichtigt wird und das Erkennen oderVerstehen so gesehen wird, daß es sich über den Erwerbwahrer Überzeugungen hinaus auf die Entdeckung undErfindung des Passens aller Art erstreckt.Verfahren und Tests, die bei der Suche nach richtigen Versionen angewandt werden, reichen vom deduktiven und induktiven Schließen über die Entnahme guter repräsentativer Proben bis zum Einklang zwischen den Proben. Trotz unseresVertrauens in solche Tests scheint es oft unklar, worauf sieihren Anspruch gründen, ein Mittel zur. Bestimmung vonRichtigkeit zu sein. Da wir kaum in der Lage sind, unserVertrauen in das induktive Schließen oder in die Verfahrenzur Entnahme guter Proben zu rechtfertigen, wollen wir uns
167
das Vertrauen einmal selbst daraufhin ansehen, ob sich darausdiese Verfahren irgendwie rechtfertigen lassen. >Grün< statt>glau< als projizierbar zu wählen oder einen Behälter mitSamen umzurühren und zu schütteln, sieht vielleicht ehernach Regentanz aus - einem Ritual· mit einigen gefeiertenErfolgen und einigen übergangenen Fehlschlägen> dassolange in Ehren gehalten wird, bis es zu verhängnisvoll wirdoder zu sehr in Verruf gerät. Eine so sauertöpfische Auffassung verrät jedoch einen enttäuschten Anspruch auf Rechtfertigung, insofern sie nach einem überzeugenden Argumentdafür verlangt, daß em Test oder einVerfahren unsere Chancen, zu nchtigen Schlüssen zu gelangen, sichern oder zumindest verbessern wird. Wir haben im Gegenteil gesehen, daßdie Richtigkeit der Kategorisierung, die bei den meisten anderen Varianten der Richtigkeit eine Rolle spielt, vielmehr eineSache des Zusammenpassens mit einer Praxis ist; daß es ohneOrganisation, ohne Selektion relevanter Arten im Verlaufeiner Tradiuon keine Richtigkeit oder Falschheit der Kategorisierung gibt, keme Gültigkeit oder Ungültigkeit des indukUven Schließens, keine gute oder schlechte Probenentnahmeund keine Gleichförmigkeit oder Ungleichheit zwischen Proben. Die Rechtfertigung solcher Tests mag deshalb vor allemdarin bestehen zu zeigen, nicht daß sie zuverlässig, sonderndaß sie maßgebend smd.
Dennoch sind Testresultate vergänglich, während wir Wahrheit und Richtigkeit für eWig halten. Das Durchlaufen vielerund vielfältiger Tests steigert zwar die Annehmbarkeit, dochwas zu einem Zeitpunkt im höchsten Grade annehmbar ist,kann später unannehmbar sein. Diese Kluft zwischen derRichtigkeit und allen Tests für sie läßt sich, wie ich angedeutethabe, durch die Auslegung von Richtigkeit als höchsterAkzeptabilität überbrücken, ganz ähnlich wie Permanenz alsäußerste Dauerhaftigkeit verstanden werden kann. HöchsteAkzeptabilität, obwohl ebenso unerreichbar, wie die absolute Richtigkeit es wäre, ist somit gleichwohl im Rahmen vonTests und Testergebnissen explizierbar.
168
Ob ein Bild richtig komponiert ist oder ob eine Aussagekorrekt beschreibt, testet man, indem man das Bild und dieAussage sowie das, worauf sie in Irgendeiner Form Bezugnehmen, prüft und nachprüft, und zwar, indem man ausprobiert ob sie auf verschiedene Fälle anwendbar sind oder mit,anderen Gestaltmustern und Sätzen zusammenpassen. Mandenke hier wieder an die von Gombrich25 hervorgehobene,verblüffende Bemerkung von Constable: die Malerei ist eineWissenschaft, deren Experimente die Bilder sind. Freilichkommt es eher selten vor, daß über zunächst ungeprüfteU rteile26 Konsens herrscht oder daß sie miteinander übereinstimmen oder daß sie den Test überhaupt überleben - und dasgilt für Kompositionen wie für Aussagen. Zudem sind dieRichtigkeit der Komposition und die Wahrheit einer Aussagegleichermaßen systemrelativ: eine Komposition. die in Raffaels Welt falsch ist, kann in der Welt von Seurat richtig sein,ganz ähnlich, wie eine Beschreibung der Bewegung der Stewardess, die vom Kontrollturm aus gesehen falsch ist, vomPassagiersitz aus richtig sein kann; und solche Relativitätsollte in beiden Fällen nicht als SubJekuvität mißverstandenwerden. Dem vielgerühmten Anspruch auf Konsens unterWissenschaftlern spotten die fundamentalen Kontroversen,die in fast Jeder Wissenschaft wüten, von der Psychologie biszur Astrophysik. Und die Urteile über den Parthenon oderdas Book of Kells sind kaum schwankender als die Urteileüber das Gravitationsgesetz!7 Ich behaupte nicht, daß Rich-
25 Ernst H. Gombrich, Art and Illuston, a.a.O., S. 33 und passim; deutsch: Kunst undIlluston, a.a.O., S. 53: »Die MalereI Ist eme Wissenschaft, eme Erforschung vonNaturgesetzen und sollte_ als ei~e s~lche betneb~n werden. ~arum ~Iso ka~n man nic~t
auch die LandschaftsmalereI als emen Zweig der Natull'hllosophle ansehen und dIeemzelnen Bilder als wissenschaftliche Expenmente?«26 »Urteil«, so wie es hier gebraucht Wird, muß von der ausschließlichen Verbindungmit Aussagen befrelt werden; es schließt zum BeISpiel die Erfassung des Passens emerKompositlon em sowie die Entscheidungen, die em Billardspieler bel der Ausnchtungsemer Stöße trifft.27 Merkwürdigerweise. werd~n solche ~eobachtungen manc?mal herangezogen, umzu ZeIgen, daß wIssenschaftliche Wahrheitsurteile objektlver smd als Urteile künstien~
scher Richtlgkelt, da Ja die Wissenschaft fortschreite und die Kunst mcht. Der Grunddafür daß zwar frühere Theonen, nicht aber ältere Werke durch jüngere obsoletgema~htwerden, ist memes Erachtens häufig der, daß die früheren Theorien, soweit sie
Namenregistertigkeit in den Künsten wemger subjektiv oder gar genausosubjektiv sei wie Wahrheit in den Wissenschaften, sonderndeute nur an, daß die Linie zwischen künstlerischem undwissenschaftlichem Urteil nicht mit der Linie zwischen subjektiv und objektiv zusammenfällt, und daß jede Annäherungan einen universalen Einklang über irgendetwas Signifikantesdie Ausnahme ist.
Meine Leser könnten an dieser letzteren Überzeugung rütteln, wenn sie meinem etwas gewundenen und ebenso verführerischen wie anstrengenden Gedankengang ihre volleZustimmung gäben.
fehlerfreI smd, m die späteren absorbiert werden und daraus wIeder ableitbar smd,während Kunstwerke, die als Symbole anders fungieren, mcht in andere emgehen oderaus ihnen abgeieitet werden können. Ich kann mich an dieser Stelle mcht auf dieEinzelheiten dieser Erklärung einlassen.
I.t
fiII
I
Allen, Woody 120, 120, 125Anaxlmander 12 I - 123
Bally, C. 43Beardsley, Monroe 68, 127
Beck, J. 105Bruner, Jerome 18,18,28,30
Carnap, RudoH 139Casslrer, Ernst 13-14, 13, 16,
18,27Church, Alonzo 72, 72Clark, Kenneth 49
Demoknt 122,123Dummet, Michael 151
Eisner, Ann 1°5Empedokles 122- 123Exner, Sigmund 93
-Fecht, W. 1°3
Gardner, Howard 39Gibson, J.J. 102,15 8Gombnch, E.H; 18, 18,27,27,38,
158, 169, 169Goodman, Nelson 33, 39, 157Grunau, Michael von 106
Grüsser, O.J. 1°3Grüsser-Cornehls, Ursula 1°3
Hanson, Norwood 120Henle, M. 110
Heraklit 122, 145Hernadi, Paul 88
Hirsch, E.D.Jr. 39>39Hough, Graham 39,39,43Howard, Vernon 9, 39, 69,
7 1
James, William 14
Kahane, Howard 156
Kanizsa, Gaetano 110Kant, Immanuel 10Kennedy, John IlO
Kolers, PauI9,28, 29,29, 93-9.8, 93,98,100-102,1°3-1°4,1°4-1°7,106, I II; 115
Kutschera, F. von 156
Land, Edwm H. 113
Leuvm, Jerome Y. 94, 1°3LewIs, C.1. 10
Uinas, R. 1°3Lynch, Kevm 26
Maturana, H. K. 94McCarthy, Mary 76,77McCulloch, W.S. 94
Nagel,Alan 88
Parmenides 122- I 23PeItce, Charles S.)6, I JI
Perkms, Davld 39Pitts, W.H. 94Polanyl, M. 37PollalUoio, Antonio 45Putnam, Hilary 9
Qume, Willard van Orman 9,
139
Rock, 1. Il3
Roelots, C.O. 94Rorty, Richard 16Ruaner, R. 129
Sacks, Sheldon 39
171
SachregisterScheffer, Israd9,60,71, 129, 1]6,1JI
Sigman, E. II]
Silverstein,C. 1°5Sturgis, Kathanne 27, 44, 45Suppes, Patrick 9
Tarskl, Alfred 3 I
Thales 121-123, 125Thomas, E. Llewellyn 27Thomson, Sir George 22
Tricias, Mary 83-84
Ulliman,Joseph]],1]5Ullman, Stephen]8
ValeslO, PaOiO]9
Waals, H.G. van der 94Wertheimer, Max 93, 105Wittgenstem, Ludwlg 22,22
Abbildungversus Aussage 15,33,159und Beschreibung 15,30,127128,159- 161
Ableitung 25-26,31, 125Abstrakte Kunst 77,80-81,85-87,
130-131Richtigkeit abstrakter KUnst 161162Stil und abstrakte Kunst 38, 45
46,49-50Ähnlichkeit 158
von Farbe 105-106von Gestalt und Größe 95-97, 98
allographisches Symboisystem 67Anaiogmstrumente I F
versus DigItalinstrumente 28-29,88
Angemessenhelt 33Architektur 38Arten 21-25> 2], 126
abstrakte Kunst und Arten 131Metaphern und Arten 129natürliche Arten 154-156, 165168
Ästhetische, dasästhetische Richtigkeit 162fünf Symbole des Ästhetischen88-9 1
Ästhetik 86Ausdruck 24-25, )2, 126, 130-1)2
abstrakte Kunst und A. 80-8 I,
85-86Darstellung und A. 48-49Besitz von Eigenschaften und A.
47-48,47Stil und A. 45-46, 47-49, 51-52, 54
Aussageversus Beschreibung 159versus Bilder 15, 33,159-161
Wahrheit von Aussagen steheWahrheit
Äußerung 61, 62autographisches Symboisystem 67
Bedeutung 39, 116-117, 123-124stehe auch Synonym, Paraphrase
Beschreibungund Abbildung stehe Abbildung
Bewegung stehe scheinbare Bewegung
Bewegungsdetektoren 94, 103Bezugnahme
Arten von Bezugnahme 25, 33,
48, 13°kompiexe Bezugnahme 89-91in der Kunst versus Wissenschaft1)2Bezugnahme von VersIOnen 120Zitat und Bezugnahme 61, 65, 69
Bezugsrahmen 14-15,25>3 I, 36,116,138-139,156
Bilderrealistische Bilder 158Richtigkeit von Bildern158-162versus Worte 126-128Zitate und Bilder 65-68stehe auch Gemäide, Photographie, Da~stellung
DarstellungÄhnlichkeit und Darstellung 158allgememe Darstellung 68versus Beschreibung 159-161,Passen< und Darstellung 161realistische Darstellung 158-160Richtigkeit von Darstellungen
158-161Symbolisierung und Darstellung77-78,79-81,85-86
173
DeduktionGültigkeit von Deduktion 153RichtigkeIt von Deduktion 153
Defimtion sIehe konstruktivistischeDefinition
Denotation
von Bildern und Beschreibungen126-128
versus Exemplifikation und Aus
druck 25, 33, 131-1J2und Stil 45-50und Zitieren 61-65
Dichter 41digItal versus analog
sIehe Analoginstrumente
Eigenschaften 46-47, 81-82,84-86
Einfachheit 32, 119Einförmigkeit der Natur 23Enthalten(-seIn), das
Im Bildlichen 65-66
In anderen Medien 74In der Musik 691m sprachlichen Zitat 59-65In anderen Systemen 72-73
Environmentkunst 86, IJ2Ergänzung 27-29
inder Wahrnehmung 29-30, 93113 passIm
Erkenntms 36-37, 167Etiketten 20, 130
SIehe auch Namen, BeZiehungExemplifikation 24, 32-33,127,
130-1 J2Besitz von Eigenschaften und E.48,162Darstellung und E. 48DenotatIOn und Exemplifikation
25, 33, 16JProben und E. 84-88RichtigkeIt und E. 161-168
Stil und E. 48-49, 52- 54
174
Extensionpnmäre und sekundäre E. 63-64,
64,7°extensIOnale Übereinstimmung
124, 142-146ExtenslOnalismus 119
Falschheit
buchstäbliche und metaphorischeFalscheIt 128versus Erfindung 114
Farbebel abstrakten Gemälden 130-131Anordnung von Farben 26,105
107, 106
scheInbare Veränderung von Far
ben 1°5-1°7Fiktion
und Tatsachen 114-117und deren Rolle bel der Welter
zeugung 128-131, 129
Form und Inhalt 42Formalismus SIehe PUrISmusFülle 88
Gedicht47, 49,51, 13 1- 1J2Gefühle
abstrakte Kunst und Gefühle 130
Musik und Gefühle 13 IStil und Gefühle 43-46
gefundenes Objekt SIehe obJettrouve
Gegebene, das 13, 18-19Geschichtsschreibung 41-42, 126glau 23-24,126,154,156,162,168Glaubwürdigkeit
und WahrheIt 150-152GültigkeIt 153-I 54
Idealismus 145Identität 21,21
extensIOnale Identität 124, 142Identität des Objekts 110-1 13
l
II
Identifikation 20, 22Individuum 118-119, 140
Induktion 23-24, 126induktive Gültigkeit 153-154Kategorislerung und InduktIon
155- 157Proben und Induktion 162,165Rechtfertigung der Induktion
155,168InduktIve Richtigkeit 153, 154
Inhaltund Form 42und KonventIOnen 139-140, 143
146,15 2
innere versus äußereEigenschaften eines Kunstwe'rkes
46-48Interne versus ~xterne Fragen 139das Interne und Externe und
Wahrheitstests 152InsknptIon 61, 62, 66-67, 74Intensionale ÜbereInstimmung 124
Isomorphismus 124, 142-143
Kategorisierung 155-157SIehe auch Arten
Klassen 118, 140
Kohärenz und Wahrheit 152Konstruktivistische DefimtIon,
KrIterien für 124- 125Nominalismus und konstruktiVI
stische Defimtlon 119SIehe auch Punkt
Konvention und Inhalt SIehe Inhalt
Konzept-Kunst (Concept Art) 76,
86Kopien SIehe ReplikenKorrespondenz
und Kohärenz 152und Wahrheit 118
KrItik 54Kunst
Beschaffenheit der Kunst 76-9 I
Kombination von Medien 13 1
symbolische Kunst versus nichtsymbolische Kunst 76-82
Wissenschaft und Kunst 127,161-162siehe auch Malerei, Dichtung,
ete.Kurzschlußtheone 94, 100
Literatur 38-47,passim, 52-54, 128
129
Malereiabstrakte Malerei SIehe abstrakte
KunstGewIchtungvon Merkmalen in
der MalereI 24Richtigkeit von Malerei 166, 169
Stil und Malerei 38, 45-46, 47-52,
passImMaterialismus SIehe Physikalismus
Mehrdeutigkeit 89, 136, IJ6Messen, das 27, 28-29, 132
MetapherKünste und Metaphern 127Reorganisation und Metaphern
20,128-129Wahrheit und Metaphern}2, 47,
47, 128-129, 129Wissenschaft und Metaphern
1}2mögliche Welten 14, 35, I18- I1 9,
129,146Momsmus 14, 120multiples Symbolsystem 66-67, 66
Musik 131, 161Partitur 22Stil und Musik 38, 46Tilgung und Ergänzung In der
Musik 29das musikalische Zitat 69-71
naive Realisten I I 5
175
Namen 127fiktive Namen 62-6h 128-129Zitate und Namen 59-65, passim
Nominalismus 23, 35, II8, Il9, 126
Notation 29, 66, 69, 127Notwendigkeit 146Nützlichkeit und Wahrheit 149-150
ObjektEinheit des Objektes 109Identität des Objektes 20-2 1,92,IIO-I12
Objektivität von Wissenschaftenversus Objektivität von Kunst169-17°
obJet trouve 52, 76, 86optische Täuschungen 93
Paraphrase 61-64bildliche Paraphrase 67-68musikalische Paraphrase 7°-71in anderen Systemen 72-73versus Übersetzung 53
Partitur (musikalische) 22, 69, 75Passen, :das 16 I, 167, 169phänomenale versusphysikalische
Welt II5-II6, 118, 123, 12h 145Phänomenalismus 34Phi-Phänomen< 29, 93-94
Photographie 67Physik
Deformation In der Physik 30Metaphern und Physik IJ2Psychologie und PhysikI 12Reduzierbarkeit und Physik 17,
34Tilgung und Ergänzung in derPhysik 28-29Wahrheit und Physik 3I-J2, 148,169- 170
Physikalismus 17, II9Platonismus II9, Il9, 126
Pluralismus 14- I8
Poesie 127Prädikate 42, 62-63, 71
Proben und Prädikate 162projizlerbare Prädikate 154-156Verankerung von Prädikaten I 55
Proben 47-48,53-54,83-91, 13°-13 Irepräsentative Proben 163- I66
ProjizierbarkeItvon Entwürfen 166eines Prädikates 154-156einer Probe 164-166von stilistischen Merkmalen 56
57Psychologie 3,19,28,93-94,100,
1°7psychologische expenmentelleAnweisungen II4-II6Objektivität und Psychologie112-11 3
Punkt (mathematischer) 21-22,26,
124, 139-14h 140
Realismusrealistische Bilder 35, 15 8und Idealismus 145
Realität 35, I 12, 123Reduktion 17, 34, 122-123, 125Regeln
induktiver Kategorislerung 155
156Schlußregeln/Schlüsse 153- 155
Relatlvlerungauf Bezugsrahmen 138von Realität 35versus Subjektivität 169in bezug auf Systeme oder VersIOnen 137-138, 140-141, 143, 169Im Hinblick auf einen Zweck 150
Relativismus 10, II 7- II 8Replik 59-62, 62, 66-68
versus Duplikat einer Photographie 66-67versus bildliche Kopie 66-68
Repliken aus anderen Medien 74
75Repliken von musikalischen Auf-
führungen 69repräsentative Proben 163-167retrospektive Konstruktion 95, 104"
105, 104Richtigkeit 15-17, 134,134
abstrakter Kunst 161-162als höchste Akzeptabilität 168von Darstellungen 158-161von deduktiven Argumenten 153
'55von induktiven Argumenten I 53-
155von Kategonslerung 155-157der KompoSItIOn 161, 166, 169m der Kunst versus in der Wissenschaft 169-170,Passen< und Richtigkeit 33,161,167, 169Tests für Richtigkeit 167-169versusWahrhelt33-H, 134, 153155,161-162
scheinbare Bewegung 29, 93-94Hypothesen über die Augenbewegung als Erklärung der scheinbaren Bewegung 100scheinbare Bewegung und Bewegungsdetektoren 94, 103schembare Bewegung und ,naiveRealisten< II 5- II 7Hypothesen über den kogmtlvistischen Zugang zur scheinbarenBewegung 101Hypothese der retrospektivenKonstruktion als Erklärung derscheinbaren Bewegung 95, 103
lOh 104Reizversion versus Visuelle Version der schembaren Bewegung
144- 145
scheinbare Bewegung versusWahrnehmung von realer Bewegung 101-103,112, II5- II 7
scheinbare Veränderung von Farben105- 107versus scheinbare Veränderungvon Gestalt und Größe 105, 107
113scheinbare Veränderung von Gestalt und Größe 95-100scheinbare Veränderung von Positionen siehe BewegungswahrnehmungEinfluß von Probeversuchen aufscheinbare Veränderung von Farben 104-105Einfluß einer festen Schranke aufscheinbare Veränderung von Farben 98
Schönheit 162s;mantlsche Dichte 88semantische Relation 61-62, 70-71,
75smguläres Symbolsystem 67Stil 38-58
Defimtlon von Stil 52-54Stil und Gefühl 43-46Stil in der Literatur 38-46,passlm,
53Stil in der Malerei 47-51, passimStilmerkmale 42, 47-50Signifikanz des Stils 54-58SUjet und Stil 38-42SymbolfunktIonen und Stil 51- 54Zuschreibung 50-54, 55-57
Stilistik 39,54-58Strukturen
Erkennen von Strukturen 37, 57
58Subjektivität
Kunst vs. Wissenschaft 169- I70SymboI13,lS,19,25,75,76-81 ,85
91, II7, Il8
177
I'II
Symbolisierungund abstrakte Kunst 80-81, 8586,130
und das Ästhetlsche 88-9 Iund Stil 51-54
Symbolsysteme
Arten vonSymbolsystemen 6667. 66
synkategorematlsche AusdrückeII6
Synonymie 38,39-4°. 124syntaktische Dichte 88, 89syntaktlsche Relation 61-62. 66-67.
71,75Systeme
geozentnsche Systeme versus heliozentnsche Systeme 14, 116117, 122-123und Versionen 137- I41
TatsachenBedeutungen und Tatsachen 116Erfindung von Tatsachen I 14
133und KonventIonen 139, 143-146Tatsachen smd theonegeladen120
Theonen und Tatsachen 120-121Tilgung 27-29Traum
und retrospektive Konstruktion103- 104
ÜbersetzungÜbersetzungen ZWischen Versionen 15,34. II7Zitat und Übersetzung 71-72
Überzeugung 36Unbegrenzte, das 122, 125
Verankerungvon Etiketten 165von Prädikaten 155
Versionen 14-18, H-36, II6-II7,125beschreibende versus erläuternde
Versionen 159-160,Passen. und Versionen 161physikalische versus phänomenale VersIOnen II5-II7, II8-119,
145sprachliche versus mcht-sprachliche Versionen 33"34.127-128,132
Wahrheit und VersIOnen II8,
135widerstreitende Versionen 139146,160
Vorsokratiker 121-125
Wahrheitund deduktive Gültlgkeit 153und Glaubwürdigkeit 151und Kohärenz 152und Korrespondenz JI, II8, 152metaphonsche WahrheIt 32. 47,
47mögliche versus kontmgenteWahrheIt 146operationale Darlegung vonWahrheit 149pragmatische Darlegung vonWahrheit 150-151versus RichtigkeltH, 134-135,
153-155> 167-168und Schönheit 161-162Wahrheitstests 146-152»wahr in« 135»wahr über« 33»wahr von« 33, 135Wahrheitswert 15
WahrnehmungBegriff und Wahrnehmung 18-19Wahrnehmung von (realer) ,Bewegung 28-29, 108Wahrnehmung vO,n (realer) Farb-
veränderung 118Wahrnehmung von (realer) Veränderung in Gestalt und Größe
1°7-108Konzeptionalislerung und Wahr-
nehmung II5Neuordnung m der Wahrnehmung 26von schembarer Veränderung SIe
he scheInbare Veränderung,scheinbare BewegungWahrnehmung von Stil 50- 5I, 5688Tilgung, und Ergänzung in derWahrnehmung 27-29, 92-113,paSSIm
Welsen der WelterzeugungDeformation 30, 125Gewichtung 23-25, 32, 125- 126
KompositIOn und Dekomposi
tlon 20-23, 30 , 125Ordnen 25-27, 125Teilung 125Tilgung und Ergänzung 27-29,125
Weltenmögliche Welten SIehe mögliche
WeltenVersionen und Welten 16-17,
II7- 120Vielfalt von Welten 13- 18 , 34-35,
117,119-120,146widerstreitende Welten 139-146
Welterzeugung 13, 75, 91,113,117Exemplifikation und Ausdruck,Rolle In der Welterzeugung 13 I
und Kombination von Medien
13 1Metaphern, Rolle in der Welter-
zeugung 127-131, 129Welterzeugung ist U mschaffen 19
Widerstreit ZWischen VersIOnen
134-146Wissen 114, 127Wissenschaften
Gesetze der Wissenschaften 22Kunst und Wissenschaften 127,
132, 169- 17°Pluralismus und Wissenschaften
15-18Wahrheit und Wissenschaften 1518
ZitatAnführungszeIchen 59, 65, 69
73,75notwendige Bedingungen für Zi-
tate 61, 64-65bildliche Zitate 65-68direktes versus Indirektes Zitat
59-62,67-68,70-72
aus anderen Medien74-75musikalisches Zitat 69-71sprachliches Zitat 59-65aus anderen Systemen 71-74