„Gott mit dir, du Land der Bayern“ · 1 „Gott mit dir, du Land der Bayern...“ Wie das Lied...

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1 „Gott mit dir, du Land der Bayern...“ Wie das Lied „Für Bayern“ von Öchsner und Kunz zur Bayernhymne wurde Johannes Timmermann Die älteste heute bekannte Fassung des Öchsner-Kunz-Liedes, gewidmet anlässlich der Zwanzigjahrfeier der Bürger-Sänger-Zunft zum Stiftungsfest am 15. Dezember 1860 (Archiv der Bürger-Sänger-Zunft. BSZ) Der Freistaat wird häufig um seine Hymne beneidet. Bayerischer Rundfunk und Bayerisches Fernsehen beenden ihre Programme nach dem Deutschlandlied mit der Bayernhymne, sie erklingt bei Staatsbesuchen, Ordensverleihungen, bei sonstigen staatlichen Festakten und bei Totengedenken; in den Schulen soll sie gelernt werden. Mit ihrer eingängigen Melodie von Konrad Max Kunz 1 und den zwei – ursprünglich drei – einfachen, aber feierlich schönen Textstrophen von Michael Öchsner 2 wird sie in ganz Bayern zu den verschiedensten Anlässen gern gespielt und gesungen. 1 Konrad Max Kunz, geboren 29.4.1812, als Sohn des Stadttürmers zu Schwandorf. 1845 bis zum Tod 3.8.1875 Chordirigent und Direktor der Bühnenmusik in der königlichen Oper (dem Nationaltheater) in München. 2 Michael Öchsner, Sohn eines Münchner Lehrers, geboren 4.2.1816, Lehrer in München, Verfasser von Lesebüchern seit 1852, Begründer und Herausgeber der zwei bekanntesten Lehrerzeitungen „Bayerische Schulzeitung“ (1857) und „Bayerischer Schulfreund“ (1860), gestorben 8.10.1893.

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„Gott mit dir, du Land der Bayern...“Wie das Lied „Für Bayern“ von Öchsner und Kunz zur Bayernhymne wurde

Johannes Timmermann

Die älteste heute bekannte Fassung des Öchsner-Kunz-Liedes, gewidmet anlässlich der Zwanzigjahrfeier der Bürger-Sänger-Zunft zumStiftungsfest am 15. Dezember 1860 (Archiv der Bürger-Sänger-Zunft. BSZ)

Der Freistaat wird häufig um seine Hymne beneidet. Bayerischer Rundfunk und BayerischesFernsehen beenden ihre Programme nach dem Deutschlandlied mit der Bayernhymne, sie erklingtbei Staatsbesuchen, Ordensverleihungen, bei sonstigen staatlichen Festakten und beiTotengedenken; in den Schulen soll sie gelernt werden. Mit ihrer eingängigen Melodie von KonradMax Kunz1 und den zwei – ursprünglich drei – einfachen, aber feierlich schönen Textstrophen vonMichael Öchsner2 wird sie in ganz Bayern zu den verschiedensten Anlässen gern gespielt undgesungen.

1 Konrad Max Kunz, geboren 29.4.1812, als Sohn des Stadttürmers zu Schwandorf. 1845 bis zum Tod 3.8.1875 Chordirigent undDirektor der Bühnenmusik in der königlichen Oper (dem Nationaltheater) in München.2 Michael Öchsner, Sohn eines Münchner Lehrers, geboren 4.2.1816, Lehrer in München, Verfasser von Lesebüchern seit 1852,Begründer und Herausgeber der zwei bekanntesten Lehrerzeitungen „Bayerische Schulzeitung“ (1857) und „Bayerischer Schulfreund“(1860), gestorben 8.10.1893.

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Der Zunftsänger Michael Öchsner (1816–1893) als Lehrer in der MünchnerHeilig-Geist-Schule. Foto im Besitz von Nachfahren Öchsners

Wie ist dieses Lied entstanden und wie ist es zur Hymne geworden?

Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Geschichte des Liedes seit derPrinzregentenzeit gegeben, für die es reichlich gute Quellen gibt. Dann folgt die schwierigereUntersuchung über Entstehung und Verbreitung des Liedes mit Hilfe bisher nicht benützter, zumTeil öffentlich nicht zugänglicher Quellen.

In der Prinzregentenzeit wurde es üblich, bei feierlichen Anlässen neben der Königshymne zurMelodie des britischen „God save the king“ das Öchsner-Lied „Für Bayern“ zu singen, allerdingshäufig auf die Haydn-Melodie des in Deutschland immer populärer werdenden „Deutschland,Deutschland über alles“3. Als Grund für die Wahl dieser Melodie, für die Öchsner das Liedwahrscheinlich überhaupt gedichtet hatte, kann vermutet werden, dass vom Hof des Prinzregentenund von bayerischen Patrioten dem aus Preußen-Deutschland sich verbreitenden „Deutschland,Deutschland über alles“ bewusst ein Bayernlied entgegengesetzt wurde.

3 Das Lied „Für Bayern“ mit der Haydn-Melodie in den beiden Gymnasialliederbüchern: Simon Breu: Deutsches Jugendliederbuch.1. Aufl. Würzburg 1909, und Küffner: Taschenliederbuch für die studierende Jugend. 1. Aufl. Nürnberg 1909; ebenso in: BayerischesBurschenliederbuch. Hg. Verband der Katholischen Burschenvereine Bayerns in Regensburg, 1. Aufl. 1906 (zugelassen fürlandwirtschaftliche Schulen); außerdem im bayerischen Militärliederbuch: Liederschatz für das deutsche Heer. 1. Aufl. München 1892.

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Musikdirektor Konrad Max Kunz, geboren 1812 in Schwandorf,gestorben 1875 in München. Chordirigent der königlichen Oper inMünchen und „Singmeister“ der Münchner Bürger-Sänger-Zunftvon 1855-1863 und von 1866-1867.

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich in den Schulliederbüchern die Kunz-Melodie durch, wobeidie dritte Öchsner-Strophe, die Königsstrophe, getilgt wurde.4 Sie war von Anfang an eineKonzessionsstrophe, war umstritten und wurde schon 1860 in drei verschiedenen Fassungenverbreitet, 1891 noch einmal stark verändert.Dass die Kunz-Melodie sich in der Weimarer Zeit durchsetzte, ist sicher auch mit der neuenRechtsstellung der Haydn-Melodie zu erklären. Zur deutschen Verfassungsfeier am 11. August1922 hatte Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) das „Deutschland über alles“ zur Nationalhymneerklärt (mit besonderem Hinweis auf die dritte Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ undWarnung vor drohendem Missbrauch durch nationalistische Bewegung in Deutschland“).5Während der nationalsozialistischen Zeit verschwand das Bayernlied aus den bayerischenSchulbüchern. Das offizielle Schulbuch „Singkamerad“ begann mit einem Teil „Gott“, mit seriösenchristlichen Liedern aus der deutschen Geschichte seit dem Barock; außerdem wurden zueinzelnen Gauen besondere, durchaus nicht nationalsozialistisch geprägte Anhänge beigegeben.Das Bayernlied entfiel also nicht wegen christlichen Gedankenguts oder einfach, weil es bayerischwar (Brandenburgerlied und Niedersachsenlied wurden im NS-Staat gepflegt), es entfiel vielmehrwegen der starken Betonung bayerischer Eigenständigkeit, und das widersprach demFührerstaatprinzip.Nach 1945 kehrte das zweistrophige Bayernlied des ersten Bayerischen Freistaats in dieSchulbücher zurück. Spätestens 1950/51 wurde von einem für die Musikbuch-Zulassung

4 Am auffälligsten im Liederbuch des Verbandes der Fachlehrer für Musik an den höheren Lehranstalten Bayerns: Heimat undVaterland. In der 8. Aufl. München 1921 sind die Worte aus dem Satz getilgt, aber das „3.“ blieb noch stehen, ebenso wie dieWiederholungszeichen für die 3. Strophe über den Noten.5 Ulrich Ragozat: Die Nationalhymnen der Welt. Freiburg 1982, S. 61.

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zuständigen Beamten im Kultusministerium in der zweiten Strophe „der Gegner“ ersetzt durch „einjeder“ („dass mit Deutschlands Bruderstämmen einig uns ein jeder schau“).6Nachdem die Bundesregierung am 29. April 1952 das Deutschlandlied – ähnlich wie Ebert 1922 –ohne einen bestimmten rechtsförmlichen Akt zur Nationalhymne erklärt hatte7, beschloss derKulturpolitische Ausschuss des Bayerischen Landtags am 11. November 1952 auf Antrag von OttoBezold (FDP), das Kultusministerium aufzufordern, die deutsche Nationalhymne in den Schulenlernen zu lassen, ebenso den Rundfunk, die deutsche Nationalhymne als Sendeschlusszeichen zuverwenden. Dieser Beschluss wurde ergänzt durch die Aufforderungen, auch das Bayernlied inden Schulen lernen zu lassen und im Rundfunk zu verwenden. Landtag und Ministerrat folgtendiesem Beschluss. Der Ministerrat des Kabinetts Ehard (CSU) / Hoegner (SPD) beschloss am 3.März 1953, dass der Öchsner-Text mit der vom Kultusministerium bereits angeordneten Änderungin der zweiten Strophe zu verwenden sei.8Trotz dieses Beschlusses hielten Diskussionen über den Text an. Josef Maria Lutz hatte diebeiden „Deutsch“-Erwähnungen ersetzt durch „Heimaterde“ und „dass vom Alpenland zum Mainejeder Stamm sich fest vertrau und die Herzen freudig eine unser Banner ...“ (statt Öchsners„deutschen Bruderstämmen“, mit denen Einigkeit gefordert wurde).9 Außerdem hatte Lutz eineneue dritte Strophe angefügt, die allerdings weniger Anklang fand (z.B. die Formulierung „froheArbeit“).

Vom Lied zur Hymne

Im Jahr 1963/64 folgte Ministerpräsident Alfons Goppel einer Anregung desLandtagsabgeordneten Joseph Panholzer (Bayernpartei)10 mit der Anordnung, die Kunz-Vertonung bei Staatsempfängen und anderen offiziellen Anlässen in Bayern nach der deutschenNationalhymne spielen zu lassen. Einer Aufforderung des Bundespräsidenten Heinrich Lübke(CDU) vom 12. Mai 1965, das Spielen der Bayernhymne bei Staatsgästen des Bundes zuunterlassen, begegnete Goppel am 18. Mai 1965 mit der Feststellung, dass die Landeshymne aufalter Tradition beruhe, in Bayern Bedeutung gehabt habe, als es die Bundesrepublik noch gar nichtgegeben habe, und mit dem Hinweis auf das bayerische Verständnis von Föderalismus inDeutschland.11

Für Alfons Goppel ging es bei der Auseinandersetzung um die Bayernhymne nicht um einenebensächliche Äußerlichkeit. In einer Rundfunkansprache zum 3. August 1975, als des 100.Todestages von Konrad Max Kunz gedacht wurde, äußerte Goppel seinen persönlichen Stolz alsOberpfälzer, dass auch Kunz Oberpfälzer war. Und dann sprach er die „innige Bitte“ aus, „dassunser Herrgott mit diesem Unterpfand (nämlich der Bayernhymne) mit Bayern sein möge.“ AusDankbarkeit Kunz gegenüber gab er die Anweisung, dass jedes Jahr zum Todestag von Kunz dieVerwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen dessen Grab auf dem alten SüdlichenFriedhof in München unter der von Rudolf Schwanthaler geschaffenen Büste zu schmücken habe.Zur Überraschung vieler Landtagsabgeordneter, die seit Jahren über die zwei Texte desBayernliedes diskutierten, empfahl Goppel in einer Bekanntmachung vom 29. Juli 1966 überStaatsanzeiger und Amtsblatt des Kultusministeriums, den dreistrophigen Lutz-Text zu singen in

6 Der junge Musikant. Liederbuch für die Oberstufe der Volksschulen, erschienen im damals noch staatseigenen BayerischenSchulbuchverlag, München 1951.7 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bd. 5. 1952. Boppard 1989. S. LXVIII bis LXXII wird die Entstehung desKabinettsbeschlusses dargestellt.8 Nachlass Hoegner, der das Vorgehen offensichtlich nachhaltig unterstützte: IfZ ED 120, Bd. 375, Nr. 146. Verordnung des KM überErlernung von Deutschlandlied und Bayernlied vom 2.4.1953: Amtsblatt des KM 1952/53, Nr. 10, S. 159. Der Rundfunk hatte bereits –nachdem er im Januar 1949 in deutsche Hände übergegangen war – das Bayernlied als Sendeschluss verwandt und wesentlich zurVerbreitung beigetragen. Der Direktor Rudolf von Scholtz und der Rundfunkratsvorsitzende Alois Johannes Lippl verstanden sich alsFörderer bayerischer Tradition; der Rundfunk musste nur noch die deutsche Hymne sinnvoll einfügen.9 Joseph Maria Lutz: Ein Wort zur Bayernhymne. In: Bayernspiegel, Januar 1966, S. 4. Dazu: Johannes Timmermann: DieBayernhymne. Vergleich des Textes der Staatshymne („Deutsche Erde“) mit dem Text von Lutz („Heimaterde“). München 2010. Lutzhatte die „Entdeutschung“, wie Kritiker schrieben, des Öchsnertextes vorgenommen entsprechend den Wünschen der damaligenBayernpartei, die in ihrer Versammlung Allerheiligen 1948 beraten hatte, wie man die Entstehung eines Deutschen Bundes nach denVerfassungsbeschlüssen in Herrenchiemsee noch verhindern könne, dabei auch eine Änderung des überall gesungenen Bayernliedesbeschlossen. In Bonn hat die Bayernpartei aber dann 1949 Adenauer mit der CDU unterstützt und 1952 im Landtag auch demÖchsnertext zugestimmt, als der bayerische Landtag einstimmig beschloss, dass das Lied „Gott mit dir, du Land der Bayern“ in Bayernneben der in Bonn beschlossenen deutschen Hymne gebraucht werden solle und in den Schulen zu lernen sei.10 Landtagsprotokoll vom 28.2.1963.11 Über den Briefwechsel u.a. in Christ und Welt, 11.6.1965.

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dem Lied, das seit dieser Bekanntmachung offiziell „Bayernhymne“ hieß. Der unpathetische undfromme Text mit seiner positiven Grundstimmung sagte dem „Landesvater Goppel“ einfach besserzu als der Öchsner-Text.12

Konrad Max Kunz. Aquarellierte Zeichnung von Franz von Pocci (1807–1876).Original im Archiv der Münchner Bürger-Sänger-Zunft.

Allerdings hatte Goppel den Lutz-Text nur empfohlen und damit die Diskussion offen gehalten.Leider entsprach die Form der Auseinandersetzung nicht immer der Sache.13 Goppels Nachfolger,Ministerpräsident Franz Josef Strauß, beendete die Diskussion mit der bis heute geltendenBekanntmachung vom 18. Juli 1980, dass die Anordnung vom 2. April 1953 weiter gelte, also dasBayernlied in der geringfügig abgewandelten zweistrophigen Öchsner-Fassung zu lernen und zusingen sei.Auch Strauß vermied es, für die Bayernhymne ein Gesetz zu schaffen. Von einem solchen Gesetzhatte das Innenministerium schon am 20. März 1964 abgeraten. Die Stärke der Bayernhymneliege darin, dass sie sich mit ihrem hymnenmäßigen Charakter, der bildhaften und einprägsamenSprache in einer weit zurückreichenden Tradition durchgesetzt habe.

Die Suche nach einem bayerischen Nationallied im 19. Jahrhundert

12 KMBl. 1966, Nr. 21, S. 460 f. „Bekanntmachung über die Bayernhymne“. Joseph Maria Lutz schrieb am 9.8.1966 einen Dankbrief anGoppel, dem zu entnehmen ist, dass er von der Entscheidung überrascht war und mit Goppel keinen persönlichen Kontakt gehabthatte. Die Entscheidung Goppels war für ihn „Krönung meiner Lebensarbeit, dass ich meinem bayerischen Vaterlande diesen Dienstleisten durfte.“13 Sogar der CSU-Bayernkurier druckte am 15.11.1974 einen Leserbrief gegen Goppels „Entdeutschung“ der Bayernhymne ab mitpersönlichen gehässigen Bemerkungen.

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Gerade weil immer wieder auf die alte Tradition der Bayernhymne verwiesen wird, diese Traditiongeradezu das Recht ihrer Verwendung als Staatshymne begründet, ist es notwendig, die Fragenach ihrer Entstehung und damit auch nach dem ursprünglichen Sinnzusammenhang ihres Texteszu stellen. Alle, die sich während der letzten Jahrzehnte über die Entstehungsgeschichte äußerten,bezogen sich auf einen Vortrag von Hermann Heimpel, dem aus München stammenden GöttingerProfessor, im Historischen Verein von Oberbayern während der Diskussion um den Lutz-Text.Heimpel warb mit biografischen Erinnerungen und historischen Erläuterungen für den Öchsner-Text. Der Vortrag erschien später als nach wie vor lesenswerter Aufsatz;14 er bedarf aber derErgänzungen, zum Teil auch einiger Korrekturen, da Heimpel wichtige Quellen nicht kannte.

Während des gesamten 19. Jahrhunderts wurde versucht, ein bayerisches Nationallied, eineHymne zu schaffen.15 Nach den Revolutionsjahren 1848–1851 beteiligte sich auch KönigMaximilian II. an der Suche nach einem Nationallied. Maximilian hatte ernsthaft vor, die Bildungdes Volkes zu heben, die unterschiedlichen Teile des Staates zusammenwachsen zu lassen, dieUrsachen für soziale Revolutionen zu beseitigen und einem stark gewordenen Bayern einenangemessenen Platz im Deutschen Bund zu schaffen, der seit Olmütz, seit November 1850, impreußisch-österreichischen Dualismus zerrieben zu werden drohte. Einem bayerischenNationallied – wie überhaupt der Musik und dem Lied – schrieb er dabei eine besonders großeBedeutung zu.16

Am 14. Januar 1852 forderte er mit Handzettel seinen Innenminister Theodor von Zwehl(anschließend 1852 Minister für Kirchen- und Schulangelegenheiten bis zum Tod von Maximilian1864) auf, „ein bayerisches National-Lied, in welchem die alten und neuen Lande Bayerns sichspiegeln“ schaffen zu lassen. Text und Komposition könnten Gegenstand einer Preisaufgabe sein.Im Antwortschreiben vom 4. Februar legte Zwehl dar, wie schwierig die Schaffung undDurchsetzung des von Max geforderten Nationalliedes sei. Er meinte, es müsste Eigentum desVolkes werden, „bei dessen fröhlichen Festen am Rhein, wie an der Donau und dem Maine, in denTälern des bayerischen Hochlandes wie im Fichtelgebirge der vollen Brust aus eigenem Antriebertönen...“ Es müsste im Stande sein, „ein neues mächtiges Band um Bayerns sämtlicheProvinzen zu knüpfen ... im rechten Moment die rechte Saite im Herzen der verschiedenenStämme“ anzuschlagen. Das aber sei eine höchst schwierige Aufgabe für einen Dichter und setzegenaue Kenntnis der patriotischen Gefühle voraus. Als Preisaufgabe sei das ungeeignet, es gebeden Feinden der Monarchie und des Staates nur Anlass zur Gehässigkeit. Jedenfalls dürfe nichtöffentlich zur Schaffung des Nationallieds aufgefordert werden, sondern man müsse sich privat anpatriotische Dichter wenden. Er, Zwehl, werde sogleich mit solchen Männern Kontaktaufnehmen.17 Der König ließ sich allerdings nicht abhalten, auch seinerseits weiterzusuchen, wieseine Aufträge an Franz von Kobell und andere 1852/53 zeigen, nationale Lieder zu dichten, dievon den Soldaten eingeübt und gesungen werden sollten.18

Eine Anzahl der von Robert Münster aufgeführten Nationallied-Entwürfe verdankt ihre EntstehungZwehls Suche nach geeigneten Autoren und Komponisten seit Februar 1852.

Die älteste Fassung des Öchsner-Kunz-Liedes

14 Für Bayern – Schicksale der Bayernhymne. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Bd. 36 (1973), H. 2, S. 680-718. DerBeitrag enthält allerdings schwere Fehler.15 Robert Münster hat in: Bayerische National- und Königshymnen von 1800 bis 1901. In: Festschrift Hans Schneider zum60. Geburtstag. München 1981, S. 173-189, neunzig Hymnenentwürfe zusammengetragen, dabei jedoch zurecht betont, dass es sichnicht um eine vollständige Liste handelt.16 Sein Musiklehrer der Würzburger Prinzenjahre, der Würzburger Professor Josef Fröhlich, hatte dem König am 19.9.1849 in einemausführlichen Gutachten die Bedeutung der Musik und des Liedes für die geistige Hebung des Volkes dargelegt. Es hatte erkennbarstarken Einfluss auf verschiedene innenpolitische Aktivitäten des Königs. HStA III 82/4/354 F.17 BayHStA II MInn 45405. Über die Fortsetzung von Maximilians Bemühungen um eine Hymne für das Königreich, gegen dieBedenken seines Ministers, 1858 bei den 750-Jahrfeiern Münchens: Johannes Timmermann: Das erste Münchner Stadtgründungsfestvor 150 Jahren, 1858: Festprogramm, Festzug und der Kampf um eine Hymne für Bayern. Festschrift für die Feier „850 JahreMünchen“ – München und seine Bürger-Sänger-Zunft, am 9.6.2008 im Künstlerhaus. München 2008. Die vom König gefordertenHymnenentwürfe der berühmtesten Dichter und Komponisten Bayerns fielen beim König durch; der Wettkampf blieb erfolglos. DieFeiern 1858, die wesentlich von Kunz und der Bürger-Sänger-Zunft mitgestaltet worden waren, haben aber sicher auch einen neuenImpuls gegeben zur Schaffung einer Hymne in der Zukunft, die dann 1860 in überzeugender Weise gelang.18 Viele Akten im Kriegsarchiv, u.a. MKr 2714. Das gesamte Projekt scheiterte u.a. am Widerstand des Kriegsministers Lüder. Einekuriose, im Ministerium durchgefallene Sammlung bayerischer Soldatenlieder und vaterländischer Gesänge wurde von Paul ErnstRattelmüller herausgegeben: Dirndl, wo hast dein Schatz, juhe. Rosenheim 1977.

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Wann und durch wen Öchsner von Zwehls bzw. des Königs Suche erfahren hatte, lässt sich nichtmit letzter Sicherheit sagen, aber doch sehr plausibel erklären. Die älteste heute bekannteFassung des Öchsner-Kunz-Liedes liegt – lithografisch verviefältigt – im Archiv der MünchnerBürger-Sänger-Zunft. Das Blatt wurde bei der Zwanzigjahrfeier der Zunft, dem Stiftungsfest am 15.Dezember 1860, verteilt, das Lied der Zunft gewidmet mit der Auflage, dass es jährlich zumStiftungsfest zu singen sei.19

Die Zunft war in diesen Jahren die bedeutendste musikalisch-literarisch-gesellschaftlicheVereinigung bürgerlicher Kreise Münchens. Ihr Musikdirektor war Konrad Max Kunz (der in derZunft einen Chor von über hundert Sängern und ein Orchester dirigierte); Öchsner war, wie vieleandere Lehrer, ein sehr rühriges Mitglied der Zunft seit 1848. Zur Zunft gehörten derKreisschulinspektor für Oberbayern, Unternehmer wie Develey, Pschorr oder Ebenböck, derWeingroßhändler und besondere Kunz-Freund Neuner, neben Handwerkern, einigen Studentenund bekannten Künstlern. Die Drucker und Verleger in der Zunft erleichterten Veröffentlichungen.Öchsner lernte hier Franz Datterer kennen, mit dem er die Bayerische Lehrerzeitung gründete.Zum Königshof bestanden gute Beziehungen, und die Zunft erhielt ehrenvolle Aufgaben, wie dieGestaltung der Hundertjahrfeier der Königlichen Akademie der Wissenschaften 1859.Kontaktmann zum Hof war der Zünftler, der eifrige Dichter Franz Seraph Pfistermeister, einLehrersohn, der als Verwaltungsjurist 1849 Kabinettssekretär des Königs wurde, was er bis 1866blieb. Einem von Heimpel mitgeteilten Brief an Pfistermeister ist zu entnehmen, dass er sichunmittelbar an der Nationallied-Autorensuche beteiligte.Pfistermeister kannte Öchsner von gemeinsamen Auftritten her persönlich, außerdem den ohnehinbekannten Komponisten volksliedhafter Gesänge der Zeit, Konrad Max Kunz.20 Das Wirken derZunft entsprach überhaupt den Vorstellungen des Königs von der Hebung der Volksbildung; dieserKreis mit seinen Dichtern und Komponisten war geradezu prädestiniert für die Schaffung derbayerischen Volkshymne. Man muss davon ausgehen, dass Pfistermeister, der wie kein andererdie Intentionen des Königs in dieser Sache kannte (u.a. weil er die Korrespondenz des Königs mitZwehl führte), in der Zunft Kunz und Öchsner diskrete Hinweise gab.Am 10. November 1855 trug Öchsner in der Zunft sein Gedicht „Wo das Kreuz erglänzt auf derZugspitz Höhn“ vor. Es entsprach dem, was Zwehl von einem heiteren Nationallied forderte. Esließ sich auf die Melodie des Dachsteinliedes singen, das damals die Melodie für vieleHeimatlieder war.21

19 Über die „von Kunz der Zunft gewidmete Volkshymne“ und die Bestimmung, „daß dieselbe bei jedem Stiftungsfeste gesungenwerden solle“: Carl Frhr. v. Gumppenberg: Geschichte der Bürger-Sänger-Zunft in München. Festgabe zum 50. Stiftungsfest. München1890,S. 21.20 Kunz und Pfistermeister hatten als Schüler dasselbe Gymnasium in Amberg besucht. Beide sangen im Gymnasialchor mit.Außerdem hatte der ältere Kunz in diesem Gymnasium ein Orchester mit „türkischer Musik“ aufgebaut und über den Schulkreis hinausöffentlich geleitet. Hierin wirkte Pfistermeister als Instrumentalist mit. Noch der alte Kunz war stolz auf seine Freundschaft mitPfistermeister, der so erfolgreich in Bayern als allmächtiger Sekretär, im Staat des Königs als „Vizekönig“ (wie ihn die Münchner wegenseines großen Einflusses auf Maximilian nannten) wirkte – und später dem Akademischen Gesangverein vorstand und ihn zumAufblühen brachte. Belegt ist gemeinsames Singen der Bayernhymne bei Veranstaltungen von Akademikern und Zünftlern.21 1862 nahm Öchsner das Gedicht auf in die zweite Auflage seines Lesebuchs, das 1852 in erster Auflage erschienen war (imSelbstverlag) und dann bis zur Jahrhundertwende immer wieder neu erschien (zuletzt im Oldenbourg-Verlag).

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Programm zur Verfassungsfeier am 26. Mai 1862 in München mit Abdruckdes Textes von Michael Öchsner

Die zweite in der Zunft vorgetragene Volkshymne, unsere heutige Bayernhymne, hatte einenernsteren Charakter. Sie gibt die Stimmung im Frühjahr 1859 in München wieder. Im April 1859sammelten sich in München österreichische Regimenter zum Aufmarsch in Norditalien. Eineungeheure Bewegung erfasste die Münchner.22 Das Infanterie-Leibregiment betreute dieösterreichischen Truppen, zog aber nicht mit ihnen in den Krieg. Die blutige Niederlage derÖsterreicher bei Solferino wurde von vielen als Schmach für Bayern und Deutschland empfunden,weil den Freunden nicht geholfen worden war. Zugleich beherrschte Angst vor einem Einfall derFranzosen in die bayerische Pfalz, überhaupt vor Zerstörung Bayerns in einem großen Krieg dieGemüter.23 Öchsners Wünsche für Bayern bekommen in diesem Zusammenhang ihr wirklichesGewicht, auch die aus Schuldbewusstsein artikulierte Hoffnung, „dass der Freund da Hilfe finde,wehrhaft uns der Gegner schau!“ Gerade in den späteren Krisenjahren der bayerischenGeschichte, vor allem im Zusammenbruch 1945, wurden diese Wünsche des Liedes „Gott mit dir,du Land der Bayern“ deutlich empfunden wie 1859.Da die Texte der drei Strophen sich ungekünstelt in die Haydn-Melodie fügen, darüber hinausauch die sprachlich-inhaltliche Verwandtschaft zwischen den Texten von Haschka und Öchsnernicht zu übersehen sind („Gott erhalte Franz den Kaiser“ – „Gott erhalte uns den Herrscher“ inÖchsners dritten Strophe), muss davon ausgegangen werden, dass das Bayernlied in Parallele zurösterreichischen Kaiser- und Volkshymne geschrieben worden ist. Während der Anwesenheit derösterreichischen Regimenter in München mit den notwendigen militärischen Zeremonien, begleitetvon Regimentsmusiken, war die Haydn-Musik sicher oft genug in München zu hören.

22 Oskar Bezzel: Geschichte des bayrischen Heeres von 1825 mit 1866. München 1931, S. 206 ff. Franz Illing: Geschichte des königlichbayerischen Infanterie Leibregiments. Berlin 1892, S. 137 ff.23 Konstantin Frantz: Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht. Berlin 1859. Er fing an, über den Untergang Europas imKampf der Weltmächte nachzudenken.

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Sechsstrophiger Prolog von „Meistersinger“ und LandtagsabgeordnetenOskar von Redwitz zum Verfassungsfest am 26. Mai 1862: „Ich will Friedenhaben mit meinem Volke...“

Während Haschkas Text zur Haydn-Musik in allen vier Strophen herrscherzentriert blieb, auch die1854 in Wien verordnete dreistrophige Textneufassung von Johann Gabriel Seidl,24 wandte sichMichael Öchsner dem Volk zu; auch das Land ist nicht einfach Bayern (wie z.B. „Deutschland“ in„Deutschland über alles“), sondern „Land der Bayern“. Trotz der Erwähnung des „Bayernkönigs“ inder dritten Strophe klingt das Lied mit der Bitte aus, dass Gott Volkes Glück erhalten möge unddie Menschen durch reine Sitte und deutsche Treue das Ihre zum Glück beitragen mögen. UndKunz hat dafür eine völlig neue Melodie geschaffen, für die es keine Vorbilder gibt, von der demAlltag entrückten gewaltigen Kaiserhymne gelöst und als einfach-fromme Volkshymne interpretiert.Vielleicht hatten Öchsner und Kunz vor, dem König ihr kleines Werk als Nationallied „Für Bayern“einzureichen, das wurde jedoch durch die Kreisregierung unmöglich gemacht. Öchsner hatte inseiner „Bayerischen Schulzeitung“ mehrere kritische Artikel über Zustände in Schulenveröffentlicht. Er wurde daraufhin mit Entlassung aus dem Schuldienst bedroht und gezwungen,die Redaktion zum Jahresende 1859 niederzulegen.25

Allerdings ließen er und Kunz sich durchaus nicht einschüchtern. Anonym gründete Öchsner mitLentners Hilfe (dem Verleger von Kunz) eine neue Zeitung, den „Bayerischen Schulfreund“. DieKönigsstrophe, die in der ersten Fassung 1859 noch freundlich klang, bekam einen den König fastbedrohenden Ton. Das vom König selbst zur Veröffentlichung freigegebene Königswort, mit dem 24 Die Feier der Vollendung der Wien-Münchner-Eisenbahn am 12.8.1860 im großen Rathaussaal eröffnete die Zunft mit dervierstimmig gesetzten österreichischen National-Hymne mit dem Seidl-Text „Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser, unser Land!“Es wird um Segen für ein glückliches Österreich gebeten und aufgefordert: „Gut und Blut für unsern Kaiser, Gut und Blut fürsVaterland“. Tatsächlich gesungen wurde aber vielfach weiterhin der alte Haschka-Text für den „guten Kaiser Franz“ (z. B. nach demAllgemeinen Deutschen Kommersbuch, Ausgabe 1914, oder dem weit verbreiteten Männergesang-Buch Rütli).25 Heimpel (Anm. 14) berichtete aus dem Personalakt im Münchner Stadtarchiv. Christian Weinlein: Geschichte des bayerischenVolksschullehrervereins. Nürnberg 1911, S. 183 über Öchsner 1859/60 „Das war Martyrium für eine gute Sache!“

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er die Beendigung der Würzburger Bürgermeisterkrise entschied, „Ich will Frieden haben mitmeinem Volke“,26 wurde 1860 in die dritte Strophe eingefügt mit der Erklärung, dass der König dasheilige Recht des Volkes zu wahren habe, mit dem logischen Zusammenhang: Nur wenn erFrieden hält und das heilige Recht des Volkes wahrt, kann ihm gewünscht werden, dass Gott mitihm sei. Das war der den Königen und ihren Monarchisten verhasste Konstitutionalismus, der dieVerfassung über den König stellte.

Neufassung der Königsstrophe

1861 druckte Lentner das Bayernlied bereits in der neuen Textfassung einstimmig, mehrstimmigund für verschiedene Begleitungen, bis zum großen Orchester, und legte im Januar Werbeblättermit Melodie und Text Datteres „Bayerischer Schulzeitung“ und seinem eigenen „BayerischenSchulfreund“ bei. Die Bürger-Sänger-Zunft ließ in eigener Druckerei 1861 noch die Königsstrophein der ersten, der königsfreundlichen Fassung drucken.Gleichzeitig mit der Neufassung der Königsstrophe schlug sich etwas von der deutschennationalen Bewegung nach den Schillerfeiern zum 100. Geburtstag des Dichters am 10. November1859 mit den vielen Tell-Aufführungen („Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern“), in derzweiten Strophe des Bayernliedes nieder. Statt der den Österreichern zugedachten Zeile „dass derFreund da Hilfe finde“, hieß es nun „dass mit Deutschlands Bruderstämmen einig uns der Gegnerschau“. Diese Strophe hatte Bestand bis 1945.Nachdem das Bayernlied zum ersten Mal halböffentlich beim großen Stiftungsfest am 15.Dezember 1860 erprobt worden war, hat die Bürger-Sänger-Zunft bei ihrem nächsten öffentlichenKonzert im großen Pratersaal am 11. Mai 1861 das Lied den Münchnern vorgestellt und den Textverteilen lassen. In den folgenden Jahren wurde es so viel gesungen, und zwar bei wichtigenGelegenheiten, auch spontan, dass es auch in der Münchner Neuesten (heute SüddeutscheZeitung) als neue Hymne der Bayern bezeichnet wurde.Die Verbreitung erfolgte deshalb so rasch, weil einerseits der Lehrerverein 1861 gegründet wordenwar und die in der Bürger-Sänger-Zunft entstandene Bayerische Schulzeitung (der Zünftler,Verleger Datterer war Gründungsmitglied des Bayerischen Lehrervereins) und andererseits dieZunft und ihre Mitglieder in den Jahren 1859 bis 1864 eine ganz ungewöhnliche gesellschaftlicheAktivität entfalteten.1860 schlossen sich die großen Gesangsvereine Münchens zur Münchner Sängergenossenschaftzusammen und Kunz wurde ihr musikalischer Leiter. Zur großen Genossenschaftsfeier am 28.Dezember 1861 sangen Hunderte von Sängern, begleitet von der Zunftkapelle, im neu erbautenSaal des Zacherlkellers (heute Salvatorkeller) zum Jahreswechsel das „Gott mit dir, du Land derBayern.“1861 wurde der Bayerische Sängerbund gegründet, wo Kunz ebenfalls der musikalische Leiterwurde und in der Vorstandschaft zwei Zünftler saßen.Zum 26. Mai 1862 veranstaltete die Bürger-Sänger-Zunft eine für München neuartigeVerfassungsfeier, dreißig Jahre nach den Verfassungsfeiern in Hambach und Gaibach, mit denbekannten politischen Folgen. Der Meistersinger Oskar von Redwitz hatte einen interessantenProlog zum Thema „Ich will Frieden haben mit meinem Volke“ geschrieben. Die Bayernhymnefolgte, später das Frankenapostel-Lied, Luthers Feste Burg und der jüdische Neujahrsgesang. DieFeier klang mit dem Trinklied aus Macbeth heiter-nachdenklich aus.Am 10. Mai 1863 wurde die neue Turnhalle des Münchner Turnvereins von 1860 von der Zunftund anderen Genossenschaftschören mit der neuen Volkshymne eingeweiht (voraus ging dieEinweihung des Schillerdenkmals am Abend zuvor). Am 26. Mai war wieder Verfassungsfeier mitder Volkshymne und den Liedern vom Vorjahr und einer etwas konzilianteren Rede auf den König.Immerhin barg die Feier politische Brisanz genug, dass es bei der Vorbereitung der Feier für 1864zum Eklat kam. Die Mehrheit der Zünftler wollte ein mehr gemütliches Verfassungs-Waldfest inGroßhesselohe, und Kunz verließ daraufhin verärgert die Bürger-Sänger-Zunft. Ein letztesVerfassungsfest fand 1868 – 50 Jahre Verfassung – statt, dann stellte die Zunft diese Feiern ein,weil sie der Einheit der Zunft nicht dienten.27

26 Theodor Henner: Zur Entstehung des Königswortes „Ich will Frieden haben mit meinem Volke“. In: AU 60 (1918), S. 115-121.27 Gumppenberg (Anm. 19), S. 44.

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Am 28. Juli 1863 versammelten sich Schützenvereine und Sängergenossenschaft zum erstenbayerischen Schützenfest auf dem Max-Joseph-Platz vor der Residenz zur Eröffnung des Festesmit der Volkshymne „Gott mit dir“.

Verbreitung der Volkshymne im 19. Jahrhundert

Auch von anderen Orten gibt es Zeugnisse, dass die Volkshymne fester Bestandteil von Feiernwurde, so am 30. August 1863 in Wolfratshausen zur Fahnenweihe bei der dortigen Sängerschaft.In den Archivalien der Münchner Bürger-Sänger-Zunft finden sich noch zwei besonderserwähnenswerte Dokumentationen für das Singen und die Bedeutung der Volkshymne „FürBayern“.Am Sonntag, dem 4. September 1870, als sich in der Stadt die Nachricht von Napoleons III.Kapitulation in Sedan verbreitet hatte, zog die Bürger-Sänger-Zunft zusammen mit andere Chörenund einer großen Volksmenge an die Feldherrnhalle, um unter den Fenstern der Königswohnungden Sieg zu feiern mit der Bitte „Gott mit dir, du Land der Bayern“.

Oberpostmeister Carl Freiherr von Gumppenberg-Pöttmes, 1880 „Meistersinger“der Münchner Bürger-Sänger-Zunft und Verfasser der Chroniken zum40. und 50. Stiftungsfest, berichtet über die „von Kunz der Zunft gewidmeteVolkshymne“ mit der Bestimmung, „daß dieselbe bei jedem Stiftungsfestegesungen werden solle“.

Nach dem Krieg, am 17. Juli 1871, am Tag nach der Parade der bayerischen Truppen vor demKönig und ihrem Oberkommandierenden, dem preußischen Kronprinzen, vereinbarten dieMünchner Sänger eine Nachfeier. Am Spätnachmittag zogen die Chöre und eine unübersehbareMenge Münchner Bürger zum Odeonsplatz. Die Sänger stellten sich auf den Tribünen auf, aufdenen tags zuvor die Offiziellen, der Hofstaat mit den Ministern und Diplomaten, der Siegesparade

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beigewohnt hatten, in der Ludwig II. so schmerzlich die Degradierung des bayerischenHerrschertums empfunden hatte. Diese Nachfeier wurde beherrscht von dem großen Chor desBayernlieds, das Tausende mitsangen. Aber es wurde auch die zu einer Art deutschen Hymnegewordenen „Wacht am Rhein“ stürmisch gefordert und gesungen.Dem bayerischen Nationallied, wie dem Volk und Staat als Ganzem standen viele Jahrzehnte derBewährung bevor, ehe sich der Freistaat konstituieren und mit einigem Stolz auf seine Geschichteschauen konnte, auch auf die Geschichte seiner Hymne.