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Graphentheorie Dr. Theo Overhagen Mathematik Universit¨ at Siegen

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Graphentheorie

Dr. Theo OverhagenMathematik

Universitat Siegen

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I

Literatur

Beutelspacher/Zschiegner: Diskrete Mathematik fur Einsteiger, Springer Spektrum, 2014

Bollobas: Modern Graph Theory, Springer, 1998.

Bondy/Murty: Graph Theory, Springer, 2008.

Busing: Graphen und Netzwerkoptimierung, Spektrum, 2010 (elektron. Ausgabe).

Clark/Holton: Graphentheorie - Grundlagen und Anwendungen, Spektrum, 1994.

Diestel: Graphentheorie, Springer, 2000 (elektron. Ausgabe)

Gritzmann, Brandenberg: Das Geheimnis des kurzesten Weges, Springer, 2005 (elektron.Ausgabe).

Harary: Graphentheorie, Oldenbourg Verlag, 1974.

Hußmann, Lutz-Westphal: Diskrete Mathematik erleben, Springer Spektrum, 2015 (elek-tron. Ausgabe).

Iwanowski, Lang: Diskrete Mathematik mit Grundlagen, Springer, 2014 (elektron. Ausga-be).

Korte, Vygen: Kombinatorische Optimierung, Springer Spektrum, 2012 (elektron. Ausga-be).

Krumke/Noltemeyer: Graphentheoretische Konzepte und Algorithmen, Vieweg & Teubner,2009.

Lovasz, Pelikan, Vesztergombi: Diskrete Mathematik, Springer, 2005 (elektron. Ausgabe).

Matousek, Nesetril: Diskrete Mathematil, Springer, 2007 (elektron. Ausgabe).

Nitzsche: Graphen fur Einsteiger - rund um das Haus vom Nikolaus, Vieweg, 2004.

Schwartz: Einfuhrung in die Graphentheorie. Vorlesung Uni Wurzburg, 2012/13.

Struckmann, Watjen: Mathematik fur Informatiker, Kap.5, Springer, 2016 (elektron. Aus-gabe).

Tittmann: Graphentheorie. Eine anwendungsorientierte Einfuhrung. Fachbuchverlag Leip-zig, Hanser Verlag 2003.

Volkmann: Fundamente der Graphentheorie, Springer, 1996.

Wilson: Introduction to graph theory, Longman, 1996.

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0 Einleitung

Um ohne Navigationsprogramm in einer fremden Stadt die Route zu einer gewunschten Zieladres-se zu bestimmen, benutzt man Stadtplane: Fur die Fahrt mit dem Auto oder anderen indivi-duellen Verkehrsmitteln in einer sehr großen Stadt vielleicht zuerst einen Ubersichtsstraßenplan,in dem nur die Hauptstraßen aufgefuhrt sind, und dann einen detaillierten Umgebungsplan derZieladresse, in der alle Straßen vorkommen. Fur die Fahrt mit offentlichen Verkehrsmitteln sindspezielle Linienplane nutzlich. Und wahrend bei Straßenplanen die geografischen Gegebenhei-ten wie Langen und relative Lage der Straßen abgebildet werden, steht bei Planen fur große U-und/oder S-Bahnnetze die Ubersichtlichkeit im Vordergrund. Dabei beschrankt man sich auf dieDarstellung der Haltestellen als Punkte und der Verkehrsverbindungen zwischen den Haltestellenals (moglicherweise verschieden eingefarbte) Linien zwischen den Punkten.

Bild Berliner S- /U-Bahnnetz, Vergleich Straßen-/OVNP-Netz

Wir nennen ein solches Schema in der Mathematik Graph. Graphen sind also mathematischeModelle, um Straßen-, Computer-, Telefonnetze oder Versorgungsnetze (Gas bzw. Wasser) dar-zustellen. Man kann mit ihnen aber auch elektrische Schaltungen,

1. Schalter 2. Schalter

Erdung

Neutral

Leiter

Lampe

Wechselschaltung

Bindungen der Atome innerhalb chemischer Molekule

H

C

C

H

H

C

O

H

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0. Einleitung 2

oder wirtschaftliche oder soziale Beziehungen beschreiben.

s s s s s s

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s

Ruben Simeon Levi Juda Joseph Benjamin

Jakob Esau

Ismael Simram Joksan Medan Isaak Midian Jesbak Suah

Haran NaharAbraham

Ham JaphethSem

Noah

Kain AbelSeth

Adam

Biblischer Stammbaum

Gemeinsam ist diesen Anwendungen, dass eine Menge von Objekten existiert (die Orte, Com-puter, Atome oder Menschen), die in einer gewissen Beziehung zueinander stehen. Die Objektestellt man einfach durch Punkte und die Beziehungen der Objekte durch Verbindungsstrecken dar.Dabei gehen naturlich die speziellen Eigenschaften der Objekte und der Beziehungen verloren.Trotzdem (oder gerade deshalb) kann man schon viele Eigenschaften des Graphen untersuchenwie z.B.:

• Kann man die Kanten des Graphen so durchlaufen, dass man jeden Punkt (oder jedeVerbindungsstrecke) genau einmal durchlauft?

• Wie viele Verbindungsstrecken braucht man mindestens, um von einem Punkt zu einemanderen zu gelangen?

• Wie viele verschiedene Graphen mit gegebenen Anzahlen von Punkten und Verbindungs-strecken gibt es? Wie viele sind wesentlich verschieden?

• Kann man einen gegebenen Graphen so in die Ebene zeichnen, dass keine zwei Verbin-dungsstrecken sich kreuzen?

• Wie viele Verbindungsstrecken kann man auswahlen, so dass keine zwei dieser Verbindungs-strecken in einem gemeinsamen Punkt enden?

• Wie viele Verbindungsstrecken kann man aus einem zusammenhangenden Graphen entfer-nen, so dass der neue Graph immer noch zusammenhangend ist?

Um anstehende Probleme zu losen, muss man oft spezielle zusatzliche Eigenschaften in den Grapheinbauen:

• Fur die Planung einer Urlaubsreise mochte man den kurzesten Weg zum Zielort bestimmen.Dazu betrachtet man gewichtete Graphen, bei denen die Verbindungsstrecken mit ihrenLangen oder Durchfahrzeiten versehen werden.

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0. Einleitung 3

• Um die Zuverlassigkeit eines Kommunikationsnetzes zu bestimmen, gewichtet man Punkteund/oder Verbindungsstrecken mit den Ausfallwahrscheinlichkeiten.

• Um moglichst konstengunstige Netze herzustellen, betrachtet man in der Planung ein Netzmit allen moglichen Verbindungen, bewertet die Verbindungsstrecken mit ihren Kosten undsucht ein entsprechendes Teilnetz aus.

• In Straßennetzen treten auch Einbahnstraßen auf. Daher ist auch die Betrachtung gerich-teter Graphen sinnvoll, bei denen die Verbindungsstrecken mit einer Richtung versehensind.

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1 Grundbegriffe, Eulersche undHamiltonsche Graphen

1.1 Definitionen

Beispiel 1.1.1 Bei dem ersten graphentheoretisch beschriebenen Problem (Euler 1736), demKonigsberger Bruckenproblem, geht es darum, einen Spaziergang durch die Innenstadt vonKonigsberg so zu planen, dass man am Ende wieder zu Hause ankommt und auf dem Spaziergangjede der 7 Brucken genau einmal uberquert hat.

Offensichtlich ist fur die Betrachtung der Fragestellung nur wichtig, wie die Ufer und Inselndurch Brucken verbunden sind. Reduziert man die Inseln und die durch den Fluss getrenntenFestlandteile auf Punkte und stellt die Brucken durch Verbindungskurven dar, dann erhalt man

✉A

B

C

D

Definition 1.1.2 Sei E eine beliebige nichtleere endliche Menge und K eine weitere endlicheund zu E disjunkte Menge, deren Elemente 1- oder 2-elementige Mengen von E sind. Gibt eseine Abbildung, die jedem k ∈ K ein bzw. zwei Elemente von E zuordnet, dann heißt G = (E,K)(endlicher) (ungerichteter) Graph. Die Elemente von E heißen Ecken oder Knoten unddie Elemente von K Kanten des Graphen.

Bemerkungen 1.1.3

(1) Nach Definition gehoren zu jeder Kante k zwei (nicht notwendig verschiedene) Ecken x

und y. Diese Ecken heißen benachbart oder adjazent und die Kante k inzident mit denEcken x und y. k heißt Verbindungskante von x und y.Die Menge Γ(x) der zu einer Ecke x benachbarten Ecken heißt Nachbarschaftsmenge

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 5

von x.

Wir bezeichnen eine Verbindungskante von x und y im folgenden oft mit xy.

(2) Umgekehrt heißen zwei Kanten mit einer gemeinsamen Ecke benachbart bzw. adjazent.

(3) Kanten, die eine Ecke mit sich selbst verbinden, heißen Schlingen.

(4) Seien x, y Ecken. Gibt es mehrere Kanten mit den Ecken x, y, dann heißen diese Kantenparallel bzw. Mehrfachkanten.

(5) Enthalt K weder Mehrfachkanten noch Schlingen, dann heißt (E,K) schlichter Graph.

Die Bezeichnungen sind nicht einheitlich: Manchmal heißt ein Graph (E,K) mit Mehr-fachkanten und Schlingen Multigraph, und ein schlichter Graph wird einfach als Graphbezeichnet.

(6) Eine Ecke muss in keiner Kante liegen. Solche Ecken heißen isoliert.

(7) Wir stellen Graphen entsprechend dem Konigsberger Bruckenproblem oft durch Zeichnun-gen dar, in denen die Ecken als (dicke) Punkte und die Kanten als entsprechende Ver-bindungslinien dargestellt werden. Kanten konnen sich in der Zeichnung schneiden - dieseSchnittpunkte gelten aber nicht als Ecken.

Beispiele 1.1.4

(1) In dem (schlichten) Graph mit der Eckenmenge E = {e1, e2, e3, e4, e5, e6, } und der Kanten-menge

K = {k1 = e1e2, k2 = e2e3, k3 = e3e4, k4 = e4e5, k5 = e2e5, k6 = e1e4, k7 = e1e5}

sind z.B. die Ecken e1 und e2 und die Kanten k5 und k7 benachbart, die Ecken e2 und e4sowie die Kanten k5 und k6 sind nicht benachbart. e6 ist eine isolierte Ecke. Die Nachbar-schaftsmenge von e1 ist {e2, e4, e5} und die Nachbarschaftsmenge von e6 ist leer.

✉ ✉

e1

e2 e3

e4

e5e6

k1

k2

k3

k4

k5

k6

k7

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 6

(2) Die nachsten Beispiele zeigen einen Graph G1 mit 3 Ecken, 3 parallelen Verbindungskantene1e3 und zwei parallelen Verbindungskanten e2e3 sowie einen Graph G2 mit 3 Ecken, 2parallelen Verbindungskanten e1e2, einer Schlinge e3e3 und zwei parallelen Schlingen e2e2.

s s

s

e1 e2

e3

k1

k2

k3

k4

k5

k6

G1

s s

s

e1 e2

e3

G2

Definition 1.1.5 Sei G = (E,K) ein Graph, x ∈ E eine Ecke.

(a) Die Anzahl der mit x inzidenten Kanten heißt Grad der Ecke. Bezeichnung: gradx.Eine Schlinge wird beim Grad der inzidenten Ecke zweimal gezahlt.Ist gradx gerade, dann heißt die Ecke gerade, sonst ungerade.

(b) Wir bezeichnen den minimalen Eckengrad in G mit δ(G) und den maximalen Eckengradmit ∆(G).

(c) Hat jede Ecke von G denselben Grad m, dann heißt G (m-)regular.

Beispiele und Bemerkungen 1.1.6

(1) Im Graph von Beispiel 1.1.4 (1) ist

grad e1 = grad e2 = grad e4 = grad e5 = 3, grad e3 = 2, grad e6 = 0.

Im Graph G1 von Beispiel 1.1.4 (2) ist

grad e1 = 4, grad e2 = 3, grad e3 = 5.

Im Graph G2 von Beispiel 1.1.4 (2) ist

grad e1 = 3, grad e2 = 7, grad e3 = 4.

(2) Ist G ein schlichter Graph mit Ecke x, dann ist gradx die Anzahl der zu x benachbartenEcken. Sonst ist gradx im allgemeinen großer.

(3) Ist G ein (p − 1)-regularer schlichter Graph mit p Ecken, dann heißt G vollstandigerGraph. Bezeichnung Kp.

Ein vollstandiger Graph G mit p Ecken hat

(p

2

)Kanten.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 7

Um nichtsymmetrische Beziehungen (z.B. Zuneigungen zwischen Menschen, Einbahnstraßen inStraßenkarten oder Produktionsschritte, die vom Abschluss anderer Produktionsschritte abhan-gen,) darzustellen, ist es sinnvoll, Graphen mit orientierten Kanten (mit Richtung) zu betrachten.

Definition 1.1.7 (a) Sei E eine beliebige nichtleere endliche Menge, K eine weitere endlicheund zu E disjunkte Menge. Gibt es eine Abbildung, die jedem k ∈ K ein geordnetes Paar ausE zuordnet, dann heißt G = (E,K) (endlicher) gerichteter Graph (oder Digraph).

(b) Die Elemente von K heißen (gerichtete) Kanten von G. Bezeichnung: −→xx bzw. −→xy.−→xx heißt Schlinge, x heißt Anfangsecke und y Endecke einer Kante −→xy.

(c) Seien x, y Ecken. Gibt es mehrere Kanten mit Anfangsecke x und Endecke y, dann heißendiese Kanten parallel bzw. Mehrfachkanten.Zwei Kanten −→xy und −→yx heißen invers.

(d) G heißt schlicht, wenn G keine Schlingen und fur jedes Eckenpaar x, y mit x 6= y hochstenseine Kante −→xy besitzt.

(e) Der Graph G′ = (E,K ′), der entsteht, wenn man jeder gerichteten Kante von G eineentsprechende nichtgerichtete Kante zuordnet, heißt der dem gerichteten Graph G unter-liegende Graph.Umgekehrt heißt G Orientierung von G′.

(f) Fur eine Ecke e ∈ E heißt die Anzahl der Kanten, die e als Endecke haben, der Ein-gangsgrad grad−(e) von e, die Anzahl der Kanten, die e als Anfangsecke haben, derAusgangsgrad grad+(e) von e, und

grad (e) := grad −(e) + grad+(e)

Grad von e.

Beispiel und Bemerkungen 1.1.8 Folgender Graph G ist ein gerichteter Graph und G′ derzugehorige unterliegende Graph:

G =(E,K) mit E = {e1, e2, e3, e4},

K = {k1 =−−→e1e2, k2 =

−−→e2e2, k3 =−−→e2e3, k4 =

−−→e4e3, k5 =−−→e4e3, k6 =

−−→e4e1, k7 =−−→e1e3, k8 =

−−→e1e4}

✉ ✉

✉ ✉

✲✻✒

e1e2

e4 e3

k1k2

k3

k4

k5

k6 k7k8

G

✉ ✉

✉ ✉

e1e2

e4 e3

G′

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 8

(1) Es gilt

grad −(e1) = 1, grad−(e2) = 2, grad−(e3) = 4, grad −(e4) = 1,

grad +(e1) = 3, grad+(e2) = 2, grad+(e3) = 0, grad +(e4) = 3,

grad (e1) = grad (e2) = grad (e3) = grad (e4) = 4.

(2) Nimmt man in G die Schlinge k2 und eine der Parallelkanten, z.B. k5, heraus, dann entsteht

ein schlichter gerichteter Graph G.

Die gerichteten Kanten k6 und k8 des Graphen G sind invers, also nicht parallel, aberdie induzierten Kanten in dem G unterliegenden Graph G′ sind parallel. G′ ist also nichtschlicht.

(3) Inzident, adjazent und benachbart sind wie bei ungerichteten Graphen definiert. So sindz.B. im Graph G die Ecken e1, e3 bzw. e3, e4 und die Kanten k1,k3 bzw. k1,k7 bzw. k3,k7benachbart, und die Ecken e1 und e2 inzident mit der Kante k1.

Die Betrachtung der Eckengrade kann z.B. bei Fragen nach der Existenz bestimmter Graphenhelfen. Der nachste Satz beantwortet zum Beispiel die Frage, ob es einen (gerichteten) Graphenmit 5 Ecken und den zugehorigen Eckengraden 1, 2, 3, 4, 5 gibt.

Satz 1.1.9 (Handshaking-Lemma) Sei G ein gerichteter Graph mit p Ecken {e1, . . . , ep} undq Kanten. Dann gilt

p∑

i=1

grad −(ei) =

p∑

i=1

grad+(ei) = q,

p∑

i=1

grad (ei) = 2q.

Korollar 1.1.9.1 (a) Hat ein ungerichteter G p Ecken {e1, . . . , ep} und q Kanten, dann giltentsprechend

p∑

i=1

grad (ei) = 2q.

(b) Die Anzahl der ungeraden Ecken eines ungerichteten oder gerichteten Graphen G ist gerade.

(c) Jeder 3-regulare (kubische) ungerichtete Graph hat gerade Eckenzahl.Ist m ∈ IN ungerade, dann hat jeder m-regulare ungerichtete Graph gerade Eckenzahl.

(d) Fur einen ungerichteten Graph G gilt δ(G) ≤2q

p≤ ∆(G).

(e) Ein vollstandiger Graph G mit p Ecken hatp(p− 1)

2Kanten.

1.2 Matrixdarstellungen von Graphen, Isomor-phie

Graphentheoretische Probleme werden fur Graphen mit vielen Ecken und Kanten oft algorith-misch mit Hilfe von Computerprogrammen bearbeitet. Dazu mussen die Beziehungen der Eckenund Kanten entsprechend gespeichert werden. Die beiden folgenden Matrix-Darstellungen sindBeispiele:

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 9

Definition 1.2.1 Sei G ein Graph mit den p Ecken {e1, . . . , ep} und den q Kanten {k1, . . . , kq}.

(a) Ist G ein ungerichteter Graph, dann ist die Adjazenzmatrix von G die (p× p)-Matrix A

mitaij := Anzahl der Kanten mit zugehorigen Ecken ei und ej, 1 ≤ i, j ≤ p.

Ist G ein gerichteter Graph, dann ist die Adjazenzmatrix von G die (p × p)-Matrix A

mit

aij := Anzahl der Kanten mit Anfangsecke ei und Endecke ej , 1 ≤ i, j ≤ p.

(b) Ist G ein schlingenfreier ungerichteter Graph, dann ist die Inzidenzmatrix von G die(p× q)-Matrix B mit

bij :=

1 falls ei Ecke der Kante kj ist,

0 sonst, 1 ≤ i ≤ p, 1 ≤ j ≤ q.

Ist G ein schlingenfreier gerichteter Graph, dann ist die Inzidenzmatrix von G die (p×q)-Matrix B mit

bij :=

1 falls ei Anfangsecke der Kante kj ist,

−1 falls ei Endecke der Kante kj ist,

0 sonst

, 1 ≤ i ≤ p, 1 ≤ j ≤ q.

Beispiele und Bemerkungen 1.2.2

(1) Die Graphen G1 und G2 von Beispiel 1.1.4 (2) haben die Adjazenzmatrizen

A =

0 1 31 0 23 2 0

bzw. A =

0 2 12 4 11 1 2

.

Der Graph von Beispiel 1.1.8 hat die Adjazenzmatrix

A =

0 1 1 10 1 1 00 0 0 01 0 2 0

.

(2) Der Graph G1 von Beispiel 1.1.4 (2) hat die Inzidenzmatrix

I =

1 0 0 1 1 11 1 1 0 0 00 1 1 1 1 1

.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 10

Der Graph von Beispiel 1.1.8 (ohne die Schlinge k2) hat die Inzidenzmatrix

I =

1 ∗ 0 0 0 −1 1 1−1 ∗ 1 0 0 0 0 00 ∗ −1 −1 −1 0 −1 00 ∗ 0 1 1 1 0 −1

.

(3) Die Adjazenzmatrix eines ungerichteten Graphen ist symmetrisch.Der Grad einer Ecke in einem ungerichteten Graph ist gleich der Zeilensumme in der zu-gehorigen Zeile bzw. gleich der Spaltensumme in der zugehorigen Spalte der Adjazenzmatrixund gleich der Anzahl der 1 in der zugehorigen Zeile der Inzidenzmatrix.

(4) Der Ausgangsgrad einer Ecke in einem gerichteten Graph ist gleich der Zeilensumme in derzugehorigen Zeile der Adjazenzmatrix und gleich der Anzahl der 1 in der zugehorigen Zeileder Inzidenzmatrix.Der Eingangsgrad gleich der Spaltensumme in der zugehorigen Spalte der Adjazenzmatrixund gleich der Anzahl der -1 in der zugehorigen Zeile der Inzidenzmatrix.

(5) Fur einen kantengewichteten Graph G = (E,K, c) ohne Parallelkanten mit Kantengewichtcij der Kante e1ej bzw.

−−→eiej definiert man die zugehorige Adjazenzmatrix A durch

aij :=

cij falls eiej ∈ K bzw. −−→eiej ∈ K

0 sonst.

Naturlich kann man jeden Graphen auf verschiedenste Art durch eine Zeichnung darstellen -entscheidend sind die durch die Kanten festgelegten Beziehungen der Ecken untereinander.

Definition 1.2.3 Zwei Graphen G1 = (E1, K1) und G2 = (E2, K2) heißen isomorph, fallses bijektive Abbildungen ϕ : E1 → E2 und Φ : K1 → K2 gibt, die die Nachbarschaftsrelationerhalten, d.h. fur die gilt

k = xy ∈ K1 ⇐⇒ Φ(k) = ϕ(x)ϕ(y) ∈ K2 fur alle x, y ∈ E1 bzw.

k = −→xy ∈ K1 ⇐⇒ Φ(k) =−−−−−−→ϕ(x)ϕ(y) ∈ K2 fur alle x, y ∈ E1.

Beispiele und Bemerkungen 1.2.4

(1) Die folgenden 4 schlichten ungerichteten Graphen sind isomorph.

① ①

① ①

① ①

a1 a2

a3 a4

a5 a6

① ①

b1

b2 b3

b4

b5b6

① ①

① ①

① ①

c1 c2

c3 c4

c5 c6

① ①

① ①

① ①

d1 d2

d3 d4

d5 d6

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 11

(2) Die folgenden zwei schlichten gerichteten Graphen sind isomorph.

s

s

s

s

s✲

✕✯

✍■

a1 a2

a3

a4

a5

G2

s s s

s s❘

✕✇✛

✠b1 b2

b3b4

b5

G2

(3) Naturlich konnen Graphen mit verschiedenen Eckenzahlen oder Kantenzahlen nicht iso-morph sein. Aber wie die beiden folgenden zu den Graphen aus 1.2.4 (1) nicht isomorphenGraphen zeigen, ist das keine hinreichende Bedingung.

① ①

① ①

① ①

e1 e2

e3 e4

e5 e6

① ①

① ①

① ①

f1 f2

f3 f4

f5 f6

Bei dem ersten Graphen ist dies leicht zu erkennen, denn jede Ecke der Graphen aus Beispiel1.2.4 (1) ist zu genau 3 Ecken benachbart, aber e3 ist zu 4 Ecken benachbart und e5 zu 2Ecken.

(4) Eine Funktion, die jedem Graphen einen Wert und isomorphen Graphen denselben Wertzuordnet, heißt Invariante. Eckenzahl und Kantenzahl sind Invarianten.

1.3 r- und bipartite Graphen

Definition 1.3.1 Sei G = (E,K) ein Graph, r ∈ IN, r ≥ 2.

(a) Gibt es eine Zerlegung von E in paarweise disjunkte Mengen E1, . . . , Er, so dass fur jedesi, 1 ≤ i ≤ r, keine zwei Ecken von Ei benachbart sind (d.h. die Endpunkte jeder Kanteliegen in verschiedenen Eckenmengen), dann heißt G r-partit und fur r = 2 bipartit oderpaar.

(b) Ist G r-partit und schlicht, und gilt xy ∈ K fur alle x ∈ Ei, y ∈ Ej mit 1 ≤ i < j ≤ r, dannheißt G vollstandiger r-partiter Graph. Ein vollstandiger bipartiter Graph, bei dem E1

m Ecken und E2 n Ecken enthalt, wird mit Km,n bezeichnet.

Bemerkungen und Beispiele 1.3.2

(1) K1,1 = K2 ist der einzige vollstandige bipartite Graph, der auch vollstandig ist.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 12

(2) G1 ist bipartit, aber nicht vollstandig bipartit. G2, G3 und G4 sind vollstandig bipartit,d.h. es gilt G2 = K1,8, G3 = K3,3, G4 = K2,2. G5 ist 3-partit.

✉ ✉

✉ ✉

G1

✉✉ ✉

✉ ✉

✉ ✉

G2

✉ ✉ ✉

✉ ✉ ✉

G3

✉ ✉

✉ ✉

G4

G5

(3) Ein r-partiter Graph hat keine Schlingen.

(4) Der vollstandige bipartite Graph Km,n hat genau m+ n Ecken und m · n Kanten.

(5) Ein Graph ist genau dann bipartit, wenn alle seine Kreise gerade Lange haben.

1.4 Eulersche GraphenWir wollen das Konigsberger Bruckenproblem losen. Dazu benotigen wir einige weitere Defini-tionen.

Definition 1.4.1 Sei G ein ungerichteter oder gerichteter Graph.

(a) Eine endliche FolgeW = e0k1e1k2e2 . . . knen

von sich abwechselnden Ecken e0, . . . , en und Kanten k1, . . . , kn von G mit ki = ei−1ei bzw.ki =

−−−→ei−1ei heißt Kantenfolge von e0 nach en oder kurz e0-en-Kantenfolge.e0 und en heißen Anfangs- bzw. End-Ecke und die anderen Ecken innere Ecken derKantenfolge. n heißt die Lange der Kantenfolge.Die Kantenfolge heißt geschlossen, wenn e0 = en, und sonst offen.

(b) Sind alle Kanten der Kantenfolge W = e0k1e1k2e2 . . . knen verschieden, dann heißt W

Kantenzug.

(c) Sind alle Ecken der offenen Kantenfolge W = e0k1e1k2e2 . . . knen verschieden, dann heißtW Weg.

(d) Sind alle Ecken e1, e2, . . . , en der geschlossenen Kantenfolge W = elk1e1k2e2 . . . knen ver-schieden, dann heißt W Kreis oder Zyklus.

Beispiele 1.4.2 Wir betrachten den Graph

✉ ✉

e1e2

e3

e4

e5

k1

k2

k3

k4

k5

k6

k7

k8

k9

k10

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 13

(1) W1 = e1k1e2k5e2k6e3k2e1k1e2k8e5

ist eine offene e1-e5-Kantenfolge der Lange 6, aber - da k1 doppelt vorkommt - kein Kan-tenzug und kein Weg.

(2) W2 = e1k1e2k5e2k6e3k2e1k4e4k7e2k8e5

ist ein offener e1-e5-Kantenzug der Lange 7, aber - da die Ecken e1 und e2 mehrfach vor-kommen - kein Weg.

(3) W3 = e1k1e2k5e2k6e3k2e1k1e2k7e4k4e1

ist eine geschlossene Kantenfolge der Lange 7, aber - da k1 doppelt vorkommt - kein Kan-tenzug und kein Kreis.

(4) W4 = e1k1e2k5e2k6e3k2e1k3e3k9e4k4e1

ist ein geschlossener Kantenzug der Lange 7, aber - da die Ecken e1 und e2 mehrfachvorkommen - kein Kreis.

(5) W5 = e1k1e2k8e5k10e3k9e4

ist ein e1-e4-Weg der Lange 4.

(6) W6 = e2k5e2 und W7 = e1k1e2k6e3k9e4k4e1 sind Kreise der Lange 1 bzw. 4.

Bemerkungen 1.4.3

(a) Jeder Weg ist auch ein Kantenzug, und analog ist jeder Kreis ein geschlossener Kantenzug.Die Umkehrung gilt im allgemeinen nicht.

(b) Alle Kreise mit gleicher Eckenzahl sind zueinander isomorph.

Satz 1.4.4 Sei G ein Graph mit Ecken e1, e2. Dann beinhaltet jede e1-e2-Kantenfolge einen e1-e2-Weg, falls e1 6= e2, bzw. einen Kreis durch e1.

Satz 1.4.5 Sei G ein ungerichteter Graph mit δ(G) ≥ 2. Dann gilt:

(a) G enthalt mindestens einen Kreis.

(b) Ist G schlicht, dann enthalt G einen Kreis der Lange mindestens δ(G) + 1.

Definition 1.4.6 Sei G ein ungerichteter Graph mit Ecken e1, e2.

(a) Gibt es eine e1-e2-Kantenfolge in G, dann nennt man e1 und e2 zusammenhangend.

(b) Sind je zwei Ecken von G zusammenhangend, dann heißt G zusammenhangend, undsonst nicht zusammenhangend.

(c) Der Teil-Graph der mit e1 zusammenhangenden Ecken zusammen mit den entsprechendenKanten heißt (die e1 enthaltende) Komponente von G.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 14

Bemerkung 1.4.7”zusammenhangend“ ist eine Aquivalenzrelation auf der Eckenmenge E

und die Ecken einer Aquivalenzklasse zusammen mit den entsprechenden Kanten bilden eineKomponente des Graphen.

Beispiele 1.4.8 Der Graph aus Beispiel 1.1.4 (1) hat 2 Komponenten, die isolierte Ecke 6 undden Rest-Teilgraph.Alle anderen bisherigen Beispiele sind zusammenhangend.

Fur gerichtete Graphen muss man”zusammenhangend“ modifizieren:

Definition 1.4.9 Sei G = (E,K) ein gerichteter Graph.

(a) Seien a, b ∈ E beliebige Ecken. b heißt von a aus erreichbar, wenn es einen gerichtetena-b-Weg gibt.a und b heißen stark zusammenhangend, wenn a von b aus und b von a aus erreichbarist.

(b) G heißt stark zusammenhangend, wenn je zwei verschiedene Ecken stark zusammen-hangend sind.

(c) G heißt schwach zusammenhangend, wenn der unterliegende Graph zusammenhangendist.

Bemerkung 1.4.10”Stark zusammenhangend“ ist eine Aquivalenzrelation aufE. Die Aquivalenz-

klassen heißen starke (Zusammenhangs-) Komponenten von G.

Beispiel 1.4.11 Der folgende gerichtete Graph G ist schwach zusammenhangend, aber nichtstark zusammenhangend. Er hat die 4 starken Komponenten K1, K2, K3, K4.

t

t

t

t

t

t

t

t

t

t

✛✻

❘✛✻

✛e1

e2

e3

e4

e5

e6

e7

e8

e9

e10

G

t

t

❘e2

e3

K1

te6

K2

t

t

t

❯✛e1

e4

e5K3

t

t

t

t

✻✛

❄ ❯

e7 e8

e9e10

K4

Definition 1.4.12 Sei G = (E,K) ein ungerichteter oder gerichteter Graph, (A,B) eine Par-tition von E (d.h. A 6= ∅ 6= B, A ∩ B = ∅, E = A ∪ B). Dann heißt (A,B) Schnitt in G.

Satz 1.4.13 Sei G = (E,K) ein gerichteter Graph mit p Ecken und q Kanten.

(a) G ist stark zusammenhangend genau dann, wenn fur jeden Schnitt (A,B) jede Ecke aus Bvon jeder Ecke aus A erreichbar ist.

(b) G ist schwach zusammenhangend genau dann, wenn es fur jeden Schnitt (A,B) Kantengibt, die A und B verbinden.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 15

(c) Ist G stark zusammenhangend mit mindestens 2 Ecken, dann gilt q ≥ p.

(d) Ist G schwach zusammenhangend mit mindestens 2 Ecken, dann gilt q ≥ p− 1.

(e) Sei G′ eine starke Komponente mit mindestens 2 Ecken, a, b Ecken in G′. Dann enthalt jedegerichtete a-b-Kantenfolge nur Ecken aus G′. Weiter gibt eine geschlossene Kantenfolge,die alle Ecken aus G′ enthalt.

Eine Moglichkeit, in einer Stadt die anfallenden Verkehrsstrome bei gleichbleibender Straßenbrei-te zu ermoglichen, ist Einbahnstraßen einzurichten. Wenn man in einem Straßenplan jede Kreu-zung durch eine Ecke und die Straßen zwischen den Kreuzungen durch nichtgerichtete Kantenreprasentiert, erhalt man einen zusammenhangenden nicht gerichteten Graph G′. Nach Einrich-tung der Einbahnstraßen sollte immer noch jeder Ort erreichbar sein. Die Frage ist also, ob eseine stark zusammenhangende Orientierung G von G′ gibt.

Satz 1.4.14 Ein ungerichteter Graph hat genau dann eine stark zusammenhangende Orientie-rung, wenn er zusammenhangend ist und keine Kanten enthalt, nach deren Entfernung G nichtmehr zusammenhangend ware.

Das Konigsberger Bruckenproblem ist genau dann losbar, wenn es im Graphen von Beispiel 1.1.1einen geschlossenen Kantenzug gibt, der alle Kanten des Graphen enthalt.

Definition 1.4.15 Sei G ein gerichteter oder ungerichteter Graph.Eine geschlossene Kantenfolge, die jede Kante von G mindestens einmal enthalt, heißt Tour.Ein Kantenzug in G, der jede Kante von G genau einmal enthalt, heißt Eulerscher Kanten-zug, ein geschlossener Eulerscher Kantenzug heißt Eulersche Tour und ein Graph mit einerEulerschen Tour heißt Euler-Graph.

Wir betrachteten zuerst gerichtete Graphen.

Satz 1.4.16 Sei G ein schwach zusammenhangender gerichteter Graph.

(a) Hat G mindestens eine Kante, dann gilt: G ist Eulersch genau dann, wenn fur jede Eckeder Eingangsgrad gleich dem Ausgangsgrad ist.

Insbesondere ist der Graph dann stark zusammenhangend.

(b) Hat G mindestens 2 Ecken, dann gilt: G enthalt einen Eulerschen Kantenzug genau dann,wenn es 2 Ecken a und b gibt mit

grad+(a) = grad−(a) + 1, grad−(b) = grad+(b) + 1

und fur alle anderen Ecken der Eingangsgrad gleich dem Ausgangsgrad ist.

(c) G ist genau dann Eulersch, wenn er sich in kantendisjunkte geschlossene gerichtete Kan-tenzuge zerlegen lasst.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 16

Bemerkung 1.4.17 Gilt in einem gerichteten schwach zusammenhangenden Graphen, dass furjede Ecke Eingangs- und Ausgangsgrad gleich sind, dann kann man eine Euler-Tour konstruieren.Der Beweis folgt dem Algorithmus von Hierholzer.

Fur ungerichtete Graphen folgt

Satz 1.4.18 Sei G = (E,K) ein zusammenhangender ungerichteter Graph, e1, e2 ∈ E mit e1 6=e2.

(a) G ist genau dann Eulersch, wenn der Grad jeder Ecke gerade ist.

(b) G hat genau dann einen Eulerschen Kantenzug von e1 nach e2, wenn e1 und e2 die einzigenEcken mit ungeradem Grad sind.

Bemerkungen 1.4.19

(1) Analog zeigt man: Ein zusammenhangender ungerichteter Graph mit 2n ungeraden Eckenenthalt eine Familie von n kantendisjunkten Kantenzugen, die zusammen alle Kanten desGraphen enthalten.

(2) Es gibt also keine Euler-Tour durch Konigsberg.

(3) Mit dem vorigen Satz kann man feststellen, welche ebenen Figuren man zeichnen kann,ohne abzusetzen und ohne eine Linie doppelt zu zeichnen:Kennzeichnet man jeden Schnittpunkt von Linien als Ecke, dann gelingt das genau dann,wenn hochstens 2 Ecken ungeraden Grad haben.Beim Haus des Nikolaus gibt es einen Eulerschen Kantenzug, der Graph ist aber nichtEulersch, wahrend der Graph zu der 2. Zeichnung Eulersch ist.

Haus des Nikolaus:

Satz 1.4.20 Sei G ein zusammenhangender ungerichteter Graph mit mehr als 1 Ecke.

(a) G ist genau dann Eulersch, wenn man G als Vereinigung von kantendisjunkten Kreisendarstellen kann.

(b) G hat eine geschlossene Kantenfolge, in der jede Kante von G genau zweimal vorkommt.

Beispiele 1.4.21

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 17

(1) Fur eine Ausstellung soll dem Publikum ein Weg so vorgegeben werden, dass jedes Aus-stellungsstuck genau einmal betrachtet wird. Die Exponate sind beiderseits eines Gangesplatziert, d.h. jeder Gang soll genau einmal in jeder Richtung durchlaufen werden. Fasstman die Gange als parallele Doppel-Kanten und ihre Kreuzungspunkte als Ecken auf, dannhaben die Ecken offensichtlich geraden Grad und der Graph ist zusammenhangend, d.h. esgibt eine Euler-Tour.

(2) Eine weitere Anwendung ist das Problem des chinesischen Brieftragers, das zuerst ineiner Arbeit des chinesischen Mathematikers Kuan 1962 untersucht wurde:

Bevor ein Brieftrager seine Briefe zustellen kann, muss er sie vom Postamt abholen. Danachtragt er sie in jeder Straße seines Zustellungsbereichs aus, und kehrt am Ende zu seinemPostamt zuruck, um die nicht zustellbaren Briefe abzugeben.

Er mochte naturlich seine Route so wahlen, dass die Gesamtstrecke moglichst kurz wird.

Graphentheoretisch beschreibt man das Problem so:

Jede Straße entspricht einer Kante und die Kreuzungspunkte den Ecken eines Graphen. DenKanten wird die Lange der entsprechenden Straße als Wert zugeordnet. Die Bewertungeiner Tour ist dann die Summe der Werte der Kanten der Tour.

Ist der Graph Eulersch, dann kommt jede Kante genau einmal in einer Eulerschen Tour vor,eine Eulersche Tour hat also einen minimalen Wert (und alle anderen Eulerschen Tourendenselben).

Wenn aber der Graph G nicht Eulersch ist, dann enthalt jede Route einige der Kantenofter als einmal. Eine solche Route in G entspricht aber einer Eulerschen Tour in einemGraphen G′, der aus G entsteht, indem man zu jeder Kante k, die in der Route n-maldurchlaufen wird, n−1 Parallelkanten mit gleichem Wert wie k hinzufugt. Einer optimalenRoute entspricht dann eine Erweiterung, bei der die Summe der Werte der hinzugefugtenKanten minimal ist.

Naturlich ist die Losung des Problems immer noch kompliziert, weil man nicht sofort er-kennen kann, welche Kanten man fur eine minimale Route hinzufugen muss. Hat man abernur zwei Ecken a und b mit ungeradem Grad, dann sucht man einen kurzesten Weg von a

nach b und verdoppelt die zugehorigen Kanten.

1.5 Hamiltonsche GraphenDer irische Mathematiker William Hamilton (1805-1865) erfand ein Puzzle in Form eines Dode-kaeders, dessen Ecken jeweils durch den Namen einer Hauptstadt gekennzeichnet waren. Gesuchtwar eine Rundreise, die jede Hauptstadt genau einmal besucht und wieder beim Startpunktankommt.

Betrachtet man wieder den Graphen, der alle Ecken und Kanten des Dodekaeders enthalt, dannist also ein Weg gesucht, der jede Ecke des Graphen genau einmal enthalt.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 18

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✉ ✉

Definition 1.5.1 Ein Weg in einem Graphen G, der jede Ecke von G enthalt, heißt Hamilton-Weg, ein entsprechender Kreis Hamilton-Kreis.G heißt Hamiltonscher Graph, wenn es einen Hamilton-Kreis in G gibt.

Bemerkungen 1.5.2

(1) Fur eine Euler-Tour wird gefordert, dass es einen geschlossenen Kantenzug gibt, der jedeKante des Graphen genau einmal enthalt. Ersetzt man die Bedingung

”jede Kante ge-

nau einmal“ durch”jede Ecke genau einmal“, dann ergibt sich die Problemstellung des

Hamilton-Graphen.

(2) Die Eigenschaften Eulersch und Hamiltonsch sind unabhangig.

① ①

① ①

Eulersch u. Hamiltonsch

① ①

① ①

nur Hamiltonsch

① ①

① ①

nur Eulersch

① ①

① ①

weder noch

(3) Jeder Hamiltonsche Graph enthalt auch einen Hamilton-Weg. Die Umkehrung gilt nichtallgemein.

(4) Ein Euler-Kantenzug bzw. eine Euler-Tour in einem zusammenhangenden Graphen G

enthalt jede Kante von G genau einmal, und damit auch jede Ecke von G, aber i.a. mehr-mals.Ein Hamilton-Weg bzw. Hamilton-Kreis enthalt jede Ecke von G genau einmal und damiti.a. nicht alle Kanten von G, denn er enthalt (hochstens) zwei Kanten mit gemeinsamerEcke.

(5) Sei G′ ein beliebiger Graph und G der Graph, der entsteht, wenn man bei der Kantenmengevon G Schlingen weglasst und bei Mehrfachkanten zwischen je zwei Ecken alle diese Kantenaußer einer weglasst. Dann ist der schlichte Graph G genau dann Hamiltonsch, wenn G′

ein Hamiltonscher Graph ist. Man kann sich bei der Suche nach Hamilton-Graphen alsoauf schlichte Graphen beschranken.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 19

(6) Sind G und G′ zwei Graphen mit gleicher Eckenmenge, ist die Kantenmenge von G Teil-menge der Kantenmenge von G′ und ist G ein Hamiltonscher Graph, dann auch G′.

Man kann fur jeden Graph einfach feststellen, ob er Eulersch ist, indem man den Grad jederEcke bestimmt. Bisher ist noch keine so einfache notwendige und hinreichende Bedingung dafurgefunden worden, dass ein Graph Hamiltonsch ist.Man kann aber zumindest fur jede Eckenzahl Beispiele von Hamiltonschen Graphen angeben:

Beispiele 1.5.3

(1) Ist G ein Kreis mit p Ecken, d.h. zusammenhangend mit p Kanten, dann ist G Hamiltonsch.

(2) Der vollstandige Graph Kp mit p Ecken ist Hamiltonsch. Er enthalt genau(p− 1)!

2ver-

schiedene Hamilton-Kreise.

Es sei nun G ein beliebiger nicht vollstandiger schlichter Graph mit p Ecken. Fugt man schritt-weise eine Kante zwischen zwei noch nicht direkt verbundenen Ecken dazu, dann erhalt mannach endlich vielen Schritten den zugehorigen vollstandigen und damit Hamiltonschen GraphenKp. Sind nun

G0 := G, G1, . . . , Gn = Kp

die entsprechenden Graphen und war der Ausgangsgraph nicht Hamiltonsch, dann gibt es einn0 ∈ IN mit 1 ≤ n0 ≤ n, so dass Gn0

Hamiltonsch ist, aber Gn0−1 nicht. Damit kommt man zufolgender

Definition 1.5.4 Ein schlichter Graph G heißt maximal nicht-Hamiltonsch, wenn er nichtHamiltonsch ist, aber das Hinzufugen einer beliebigen Kante zwischen zwei in G nicht direktverbundenen Ecken einen Hamiltonschen Graphen erzeugt.

Bemerkung 1.5.5 Zu jedem nicht-Hamiltonschen Graphen gibt es einen Ober-Graphen mitderselben Eckenmenge, der maximal nicht-Hamiltonsch ist.

Satz 1.5.6 (Dirac) Sei G ein schlichter Graph mit p ≥ 3 Ecken und der Grad jeder Ecke ist

mindestensp

2, dann ist G Hamiltonsch.

Bemerkung 1.5.7 Der Satz von Dirac verlangt die Beziehung zwischen minimalem Eckengradδ(G) und Eckenzahl des Graphen. Verlangt man nur, dass δ(G) groß genug ist, dann gilt dieAussage im allgemeinen nicht mehr, denn zu jedem k ∈ IN gibt es einen nicht-HamiltonschenGraphen G mit δ(G) = k.

Aus dem Beweis zu dem vorigen Satz ergibt sich

Satz 1.5.8 Sei G ein schlichter Graph mit p ≥ 3 Ecken und e1 und e2 seien zwei nicht benach-barte Ecken von G mit

grad e1 + grad e2 ≥ p.

Weiter sei G′ der Graph, der aus G durch Hinzufugen der Kante e1e2 entsteht. Dann ist G genaudann Hamiltonsch, wenn G′ Hamiltonsch ist.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 20

Damit liegt folgende Konstruktion nahe:Wir gehen von einem schlichten Graphen G0 mit p ≥ 3 Ecken aus.Gibt es zwei in G0 nicht benachbarte Ecken a1 und b1 mit grad a1 + grad b1 ≥ p, dann verbindetman die beiden Ecken und erhalt einen Graphen G1.Gibt es zwei in G1 nicht benachbarte Ecken a2 und b2, fur die in G1 die Ungleichung grad a2 +grad b2 ≥ p gilt, dann verbindet man wieder diese beiden Ecken und erhalt einen Graphen G2.Die Konstruktion endet nach endlich vielen Schritten mit einem Graphen Gn, namlich spatestensmit dem vollstandigen Graphen Kp. Gn nennen wir Hulle von G0 und bezeichnen ihn mit c(G0).

Beispiele 1.5.9

(1) In folgendem Beispiel ergibt sich als Hulle der vollstandige Graph:

① ①

①①

b1

b2 b3

b4

b5b6

① ❤

❤①

b1

b2 b3

b4

b5b6

❤ ①

❤①

b1

b2 b3

b4

b5b6

❤ ①

①①

b1

b2 b3

b4

b5b6

❤ ①

①❤

b1

b2 b3

b4

b5b6

① ❤

①❤

b1

b2 b3

b4

b5b6

① ①

①❤

b1

b2 b3

b4

b5b6

① ①

①①

b1

b2 b3

b4

b5b6

(2) Fur folgenden Graph G gilt c(G) = G.

① ①

①①

b1

b2 b3

b4

b5

b6b7

Man kann i.a. in einem Graphen verschiedene Paare von Ecken auswahlen, deren Gradsummenicht kleiner als p ist, d.h. man erhalt i.a. aus einem Graphen G durch die vorige Konstruktionverschiedene aufsteigende Folgen von Graphen. Man kann aber zeigen, dass diese Folgen alle mitdemselben Graphen enden, d.h. die Hulle von G ist durch G eindeutig bestimmt.

Satz 1.5.10 Sei G ein schlichter Graph mit p ≥ 3 Ecken.

(a) Die Hulle c(G) ist durch G eindeutig bestimmt.

(b) G ist genau dann Hamiltonsch, wenn seine Hulle Hamiltonsch ist. Ist speziell c(G) derentsprechende vollstandige Graph, dann ist G Hamiltonsch.

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 21

Fur r-partite Graphen gilt

Satz 1.5.11 Sei G = Kp1,p2,...,pr ein vollstandiger r-partiter Graph mit p ≥ 3 Ecken und es gelte

p1 ≤ p2 ≤ . . . ≤ pr. Dann gilt: G ist genau dann Hamiltonsch, wenn

r−1∑

i=1

pi ≥ pr.

Beispiel 1.5.12 Ein Handlungsreisender (Traveling Salesman) hat ein Gebiet mit vielen ver-schiedenen Stadten zu betreuen, von denen bestimmte Paare durch Straßen verbunden sind. Ermuss jede Stadt besuchen. Kann er nun eine Rundreise finden, so dass er jede Stadt genau einmalbesucht und zusatzlich die Gesamtlange der zuruckgelegten Strecke minimal ist?Das

”Traveling Salesman Problem“ hat viele Anwendungen: Routenplanungen fur Verkehrs-

unternehmen, Mullabfuhr, Sozialdienste, Warenverteilung, Einsatz von Maschinen, die mehrereVerarbeitungsvorgange durchfuhren konnen, zwischen denen jeweils Leerzeit entsteht usw.Gesucht ist immer ein Hamiltonscher Kreis in einem bewerteten (gewichteten) Graphen mit mini-maler Lange. Bei Graphen mit wenigen Ecken lasst sich naturlich die Losung durch Betrachtungaller moglichen Kombinationen finden, aber die Eckenzahl vieler Anwendungen uberfordert sehrschnell jeden Computer.Grundsatzlich gibt es zwei Probleme:

(1) Es ist oft schon schwierig zu bestimmen, ob der vorliegende Graph Hamiltonsch ist, daeinfache Charakterisierungen wie bei Eulerschen Graphen fehlen.

(2) Es gibt (derzeit?) keinen allgemeinen einfachen oder gut funktionierenden Algorithmus zuErmittlung eines optimalen Kreises. Man misst den Rechenaufwand eines entsprechendenAlgorithmus (Komplexitat) in Relation zu der Eckenzahl. Es ist nicht bekannt, ob es einenAlgorithmus gibt, bei dem der Rechenzeitaufwand eine polynomiale Funktion der Eckenzahlist, oder ob es nur Algorithmen gibt, deren Rechenzeit exponentiell mit der Eckenzahlwachst.

Gewisse Losungen erhalt man mit Heuristiken, das sind Verfahren, die versuchen, mit Hilfe vonFaustregeln und intelligentem Raten Losungen von Optimierungsproblemen zu finden, aber nichtgarantieren, eine optimale Losung zu finden.Ein Beispiel ist die Nachster-Nachbar-Heuristik:

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1. Grundbegriffe, Eulersche und Hamiltonsche Graphen 22

Nachster-Nachbar-Algorithmus Sei G ein einfacher ungerichteter vollstandiger und kanten-gewichteter Graph mit p ≥ 2 Ecken.

[1 ] Wahle eine beliebige Ecke e1 des Graphen aus. Setze i := 1.

[2 ] Setze e := ei.

[3 ] Wahle unter allen Kanten eu mit einer noch nicht ausgewahlten Ecke u 6∈ {e1, . . . , ei}eine kurzeste aus.

[4 ] Fur i < p− 1 setze i := i+ 1 und ei := u. Gehe zu [2].

[5 ] Verbinde ep und e1.

Beispiel und Bemerkung 1.5.13Der Nachste-Nachbar-Algorithmus findet zwar einen Hamilton-Kreis in einem entsprechenden Graph. Wie das folgende Beispiel zeigt, kann der Wert dieserLosung aber beliebig weit von dem Wert des gesuchten minimalen Hamilton-Kreis abweichen.

✉ ✉

✉✉

c > 4

14

2

3 1

Beginnt man mit der linken unteren Ecke (als e1), dann erhalt man einen Hamilton-Kreis derLange 11. Beginnt man aber mit der linken oberen Ecke, dann ergibt sich ein Hamilton-Kreis derLange 6 + c oder 7 + c.

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23

2 Baume

2.1 Brucken, trennende EckenWir betrachten in diesem Kapitel ungerichtete Graphen.

Beispiel 2.1.1 Der folgende Graph stelle ein Netzwerk aus Telefonleitungen und -Verteiler dar.Fur den Betreiber ist wichtig zu wissen, welche Leitungen oder Verteiler insofern kritisch sind,dass bei ihrem Ausfall das Netz nicht mehr funktionsfahig ist. Der zusammenhangende Graphist dann nach Entfernen einer solchen Kante oder Ecke nicht mehr zusammenhangend.

✈ ✈

✈✈✈

e1 e2

k1

k2

Definition 2.1.2 Sei G = (E,K) ein Graph mit Eckenmenge E und Kantenmenge K.

(a) Ein Graph G′ = (E ′, K ′) mit E ′ ⊂ E und K ′ ⊂ K heißt Teilgraph von G. Gilt E ′ = E,dann heißt G′ spannender Teilgraph von G.

(b) Ist E ′ ⊂ E, dann heißt der (bezuglich der Kantenmenge K von G) maximale TeilgraphG′ = (E ′, K ′) der von E ′ induzierte oder aufgespannte Teilgraph von G.

(c) Ist k ∈ K, e ∈ E, dann bezeichne G − k den maximalen Teilgraph von G, der k nichtenthalt, und G− e den maximalen Teilgraph von G, der e nicht enthalt.Sei eine Kante k′ = uv 6∈ K, u, v ∈ E. dann bezeichnen wir mit G + k′ analog den Graphmit Eckenmenge E und Kantenmenge K ∪ {k′}.

Beispiele 2.1.3

(1) Jeder Graph in Beispiel 1.5.9 (1) ist spannender Teilgraph des nachsten. Jeder schlichteGraph mit 5 Ecken ist nichtspannender Teilgraph des K6.

(2) Im folgenden Graph G mit den Ecken E = {e1, . . . e5} und den Kanten k = e2e5, k′ = e3e5

✉ ✉

✉✉ ✉

e4e5

e1 e2 e3

k

bedeutet

✉ ✉

✉✉ ✉

e4e5

e1 e2 e3

G− k

✉✉ ✉

e4

e1 e2 e3

G− e5

✉ ✉

✉✉ ✉

e4e5

e1 e2 e3

k k′

G+ k′

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2. Baume 24

Definition 2.1.4 Sei G ein Graph, e ∈ E, k ∈ K.

(a) e heißt trennende Ecke, wenn G− e mehr Komponenten hat als G.

(b) k heißt Brucke, wenn G− k mehr Komponenten hat als G.

Der Graph aus Beispiel 2.1.1 hat die trennenden Ecken e1 und e2 und die Brucken k1 und k2.

Bemerkung 2.1.5 Eine Brucke kann keine Schlinge sein.

Satz 2.1.6 Sei G = (E,K) ein zusammenhangender Graph und k eine Kante von G. Dann sindfolgende Aussagen aquivalent:

(a) k ist eine Brucke.

(b) k liegt auf keinem Kreis in G.

(c) Es gibt Ecken a und b von G, a 6= b, so dass k auf jedem a-b-Weg liegt.

(d) Es gibt eine Zerlegung von E in nichtleere Teilmengen E1 und E2, so dass k fur beliebigee1 ∈ E1, e2 ∈ E2 auf jedem e1-e2-Weg liegt.

Bemerkung 2.1.7 Ist k eine Brucke, dann hat G− k genau eine Komponente mehr als G.

Satz 2.1.8 Sei G = (E,K) ein zusammenhangender Graph und e eine Ecke von G. Dann sindfolgende Aussagen aquivalent:

(a) e ist trennende Ecke.

(b) Es gibt Ecken a und b von G mit a 6= e 6= b, a 6= b, so dass e auf jedem a-b-Weg liegt.

(c) Es gibt eine Zerlegung von E \ {e} in nichtleere Teilmengen E1 und E2, so dass e furbeliebige e1 ∈ E1, e2 ∈ E2 auf jedem e1-e2-Weg liegt.

Satz 2.1.9 Sei G ein Graph mit p ≥ 2 Ecken. Dann enthalt G mindestens 2 Ecken, die keinetrennenden Ecken sind.

Satz 2.1.10 Sei G = (E,K) ein zusammenhangender Graph mit mindestens 3 Ecken. Dannsind folgende Aussagen aquivalent:

(a) G hat keine trennenden Ecken.

(b) Je zwei Ecken liegen auf einem gemeinsamen Kreis.

(c) Je eine Ecke und je eine Kante liegen auf einem gemeinsamen Kreis.

(d) Je zwei Kanten liegen auf einem gemeinsamen Kreis.

(e) Sind a, b zwei beliebige Ecken, k eine beliebige Kante. Dann gibt es einen a-b-Weg, der k

enthalt.

(f) Sind a, b, c drei beliebige verschiedene Ecken, dann gibt es einen a-b-Weg, der c enthalt.

(g) Sind a, b, c drei beliebige verschiedene Ecken, dann gibt es einen a-b-Weg, der c nicht enthalt.

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2. Baume 25

2.2 BaumeDefinition 2.2.1 (a) Ein kreisloser Graph heißt Wald.

(b) Ein zusammenhangender Wald heißt Baum.

Bemerkungen 2.2.2

(1) Baume und Walder sind schlichte Graphen.

(2) Die Komponenten eines Waldes sind Baume.

Beispiel 2.2.3 Außer dem letzten Graphen in Bemerkung 1.5.2 (2) war keiner der bisherigenBeispielgraphen ein Wald oder ein Baum.

Der folgende Graph ist ein Wald mit 5 Komponenten, und jede Komponente ist ein Baum.

① ①

① ①

① ①

① ①

Satz 2.2.4 Sei G ein Graph. Dann sind folgende Aussagen aquivalent:

(a) G ist ein Baum.

(b) G hat keine Schlingen und zu je zwei beliebigen verschiedenen Ecken gibt es genau einenverbindenden Weg.

(c) G ist minimal zusammenhangend, d.h. G ist zusammenhangend und jede Kante ist eineBrucke.

(d) G ist maximal kreislos, d.h. G ist kreislos, aber zu je zwei nicht benachbarten Ecken a, b

enthalt G+ ab einen Kreis.

(e) G ist zusammenhangend und hat genau q = p− 1 Kanten.

(f) G ist kreislos und hat genau q = p− 1 Kanten.

Satz 2.2.5 Sei G ein Baum mit p Ecken. Dann gilt:

(a) Gilt p ≥ 2 und ist W ein langster Weg in G. Dann haben die beiden Endecken a und b desWeges Grad 1.

(b) Gilt p ≥ 2, dann gibt es mindestens 2 Ecken in G mit Grad 1.

(c) Gibt es eine Ecke vom Grad n, dann hat G mindestens n Ecken vom Grad 1.

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2. Baume 26

Bemerkungen 2.2.6

(1) Ein Wald mit p Ecken und m Komponenten hat p−m Kanten.

(2) Ein beliebiger zusammenhangender Graph mit p Ecken hat mindestens p− 1 Kanten.

Satz 2.2.7 Ein Graph G ist zusammenhangend genau dann, wenn er einen spannenden Baumenthalt.

Ein Graph hat im allgemeinen mehrere nicht isomorphe spannenden Baume.

Beispiel 2.2.8 Der folgende Graph G hat z.B. die beiden nicht isomorphen spannenden BaumeB1 und B2.

✈ ✈

✈ ✈

✈✈

G B1 B2

Fur den vollstandigen Graphen gilt

Satz 2.2.9 (Cayley) Der vollstandige Graph Kp enthalt pp−2 unterschiedliche (moglicherweisezueinander isomorphe) spannende Baume.

Bemerkung 2.2.10 Betrachtet man nur zueinander nichtisomorphe Baume mit p Ecken, dann

liegt ihre Zahl zwischenpp−2

p!und 4p−1.

Wie kann man Baumen in gerichteten Graphen definieren?Zuerst stellt sich die Frage, ob ein gerichteter Baum stark oder schwach zusammenhangendsein soll, und weiter, ob er nur keine gerichteten einfache Kreise enthalten darf oder auch keineungerichteten einfachen Kreise.Da jeder stark zusammenhangende Graph mit mindestens zwei Knoten nach Definition gerichteteKreise enthalt, ist die Forderung

”stark zusammenhangend“ sinnlos.

Baume in ungerichteten Graphen mit p Ecken und q Kanten sind genau die zusammenhangendenbzw. kreislosen Graphen mit

q = p− 1.

Ein gerichteter, schwach zusammenhangender Graph mit p Ecken und q Kanten, der keine ge-richteten einfachen Kreise enthalt, hat wegen des schwachen Zusammenhangs mindestens p− 1Kanten, q kann aber großer sein. Zum Beispiel hat der folgende gerichtete schwach zusam-menhangende kreislose Graph 4 Ecken und 6 Kanten.

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2. Baume 27

t t

tt

✛❄✠ ❄❘

Um den Zusammenhang zwischen Ecken- und Kantenzahl fur gerichtete Baume beizubehalten,definiert man:

Definition 2.2.11 Ein gerichteter Graph T = (E,K) heißt Baum, wenn der zugeordnete un-gerichtete Graph ein Baum ist.

Baume in gerichteten Graphen sind also schwach zusammenhangend und kreisfrei, d.h. sie ent-halten keine ungerichteten einfachen Kreise. Allerdings ist fur einen Baum T = (E,K) in einemgerichteten Graph nicht gewahrleistet, dass es fur zwei beliebige Ecken e1, e2 einen gerichtetenWeg von e1 nach e2 gibt (s. Graph G1 in Beispiel 2.2.12).

Beispiel 2.2.12

t t

t

✕❑

G1

t t

tt

G2

In manchen Anwendungen ist dies jedoch wichtig. Daher folgende starkere

Definition 2.2.13 (a) Sei G = (E,K) ein gerichteter Graph. Eine Ecke w ∈ E heißt Wurzelvon G, wenn es fur jede beliebige Ecke e 6= w einen gerichteten Weg mit Anfangsecke w

und Endecke e gibt.

(b) Ein gerichteter Baum T = (E,K) mit Wurzel w heißt Wurzelbaum.

Bemerkungen und Beispiele 2.2.14

(1) Der Graph aus Beispiel 1.4.11 hat die einzige Wurzel e6.

(2) Graph G2 aus Beispiel 2.2.12 ist ein Wurzelbaum.

(3) Ein gerichteter Graph mit Wurzel ist schwach zusammenhangend, aber wie man am Gra-phen G1 aus Beispiel 2.2.12 erkennt, besitzt nicht jeder schwach zusammenhangende Grapheine Wurzel.

(4) Ein gerichteter Graph ist stark zusammenhangend genau dann, wenn jede Ecke eine Wurzelist.

Wurzelbaume lassen sich folgendermaßen charakterisieren:

Satz 2.2.15 Es sei T = (E,K) ein gerichteter Graph und w ∈ E. Dann sind aquivalent:

(a) T ist ein Wurzelbaum mit Wurzel w.

(b) T ist ein Baum und es gilt grad−(w) = 0 und grad −(e) = 1 fur alle Ecken e ∈ E, e 6= w.

(c) w ist eine Wurzel in T und es gilt grad −(w) = 0 und grad−(e) ≤ 1 fur alle Ecken e ∈ E,e 6= w.

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2. Baume 28

2.3 Minimale bzw. maximale spannende Baumein bewerteten Graphen

Eine Anzahl p Dorfer soll durch ein Rohrleitungssystem zwischen den jeweiligen Wasserturmenmiteinander verbunden werden. Die Dorfer werden durch Ecken dargestellt, und Rohrleitungen,die gebaut werden konnen, durch Kanten. Naturlich will man moglichst wenige Rohrleitungenbauen, d.h. man sucht einen spannenden Baum mit p − 1 Kanten. Von jeder Rohrleitung sinddie Baukosten bekannt. Wie wurde das (oder ein) kostengunstigstes Leitungssystem aussehen?

Definition 2.3.1 (a) Sei G = (E,K) ein Graph, w : K → IR eine Funktion. Dann heißt(G,w) bewerteter Graph.

(b) Fur jeden Teilgraphen G′ = (E ′, K ′) heißt

w(G′) :=∑

k∈K ′

w(k)

Wert von G′.

(c) Ein spannender Baum B heißt minimaler spannender Baum, falls kein anderer span-nender Baum B′ von G mit geringerem Wert existiert.

Unser Rohrleitungsproblem lauft also daraus hinaus, in einem bewerteten zusammenhangendenGraphen den oder einen spannenden Baum mit minimalem Wert zu finden.

Bemerkungen 2.3.2

(1) Da es in jedem Graphen nur endlich viele spannende Baume gibt, gibt es immer mindestenseinen minimalen spannenden Baum. Im allgemeinen gibt es aber keine eindeutige Losung:Haben in einem Graph alle Kanten gleichen Wert (d.h. ist die Bewertung konstant), dannist jeder spannender Baum minimal.

(2) Ein nicht zusammenhangender Graph zerfallt in endlich viele ZusammenhangskomponentenGi = (Ei, Ki), 1 ≤ i ≤ m. Ist Bi = (Ei, K

i) ein spannender Baum von Gi, 1 ≤ i ≤ m, dannheißt F =

⋃{Bi; 1 ≤ i ≤ m} spannender Wald von G. Das Problem der Suche nach

einem spannenden Wald fur einen nichtzusammenhangenden Graphen lost man durch dieSuche nach einem minimalen spannenden Baum fur jede Zusammenhangskomponente. Wirwerden uns zunachst auf zusammenhangende Graphen beschranken.

(3) Erganzt man einen zusammenhangenden schlichten GraphGmit p Ecken zum vollstandigenGraphKp und ordnet den neuen Kanten den Wert∞ zu, dann ist ein minimaler spannenderBaum von Kp auch minimaler spannender Baum von G.Ist G nicht zusammenhangend, dann erhalt man aus einem minimalen spannenden Baumin Kp nach Weglassen der Kanten mit Wert ∞ einen minimalen spannenden Wald von G.Man kann sich also auf Betrachtung vollstandiger Graphen beschranken.

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2. Baume 29

(4) Eine leichte Abwandlung unserer Fragestellung fuhrt zu einem vollig anderen graphentheo-retischem Problem: Sucht man ein billigstes Leitungsnetz, so dass jede Ecke nach Entfer-nung einer Kante immer noch mit den anderen verbunden ist, dann muss der entsprechendeTeilgraph Kreise enthalten, also mindestens p Kanten haben. Gesucht ist also ein minimalerHamiltonkreis (durch alle Ecken), d.h. eine Losung des Problems des Handlungsreisenden.

Beispiel 2.3.3 Graph mit zwei verschiedenen minimalen spannenden Baumen:

s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

e6

1

2

1

7

2

5

2

6

4

2s

s

s

s

ss

1

1

2

4

2 s

s

s

s

ss

1

1 2

4

2

Wie kann man minimale spannende Baume erkennen? Ein Kriterium gibt

Satz 2.3.4 Sei G = (E,K) ein ungerichteter, gewichteter und zusammenhangender Graph mit pEcken, q Kanten und Kantengewichten w(k) fur alle k ∈ K, und sei T = (E,K ′) ein spannenderBaum. Dann sind aquivalent:

(a) T ist ein minimaler spannender Baum.

(b) Fur jede Kante k ∈ K \ K ′ gilt: In dem (eindeutig bestimmten) Kreis in T + k hat k

maximales Gewicht.

(c) Fur jede Kante k ∈ K ′ gilt: T − k zerfallt in zwei Zusammenhangskomponenten G1 =(E1, K1) und G2 = (E2, K2) und unter allen Kanten k∗ ∈ K \ (K1 ∪K2), die G1 und G2

verbinden (mit je einer Endecke in jeder Komponente), hat k minimales Gewicht.

Der folgende Algorithmus von Kruskal baut aus einem kantenlosen Graphen (E, ∅) (mit allenEcken) den gesuchten Baum auf, indem man einfach bei jedem Schritt die gunstigste geeigneteKante hinzufugt.

S1 Sortiere die Kanten in K aufsteigend nach ihrem Wert, d.h. K = {k1, k2, . . . , kq} mit w(k1) ≤ w(k2) ≤. . . ≤ w(kq). Setze T := (E,K ′ = ∅).

S2 Enthalt K ′ genau p − 1 Kanten, dann ist T = (E,K ′) der gesuchte maximale spannende Baum und derAlgorithmus bricht ab.

S3 Wahle die erste Kante k ∈ K und setze K := K \ {k}.

S4 Liegen die Endecken von k in verschiedenen Komponenten von T , dann setze K ′ := K ′ ∪ {k}. Fahre mitSchritt 2 fort.

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2. Baume 30

Beispiel 2.3.5 Durchfuhrung des Algorithmus fur den Graph aus Beispiel 2.3.3

s

s

s

s

ss

k1 = 1

k3 = 2

k4 = 2

k9 = 8

k10 = 9

k8 = 8

k7 = 6

k5 = 3

k6 = 5

k2 = 1 ergibt:s

s

s

s

ss

s

s

s

s

ss

k1

s

s

s

s

ss

k1

k2 s

s

s

s

ss

k1

k2

k3

s

s

s

s

ss

k1

k2

k3k5

s

s

s

s

ss

k1

k2

k3k5

k7

Satz 2.3.6 Der Algorithmus von Kruskal findet einen minimalen spannenden Baum fur einenzusammenhangenden Graphen G mit p Ecken, q Kanten und nichtnegativer Bewertung.

Folgender Algorithmus ist eine Abwandlung des Algorithmus von Kruskal und beginnt ebenfallsmit dem Graph (E, ∅), d.h. mit p Zusammenhangskomponenten.Bei jedem Schritt wird jeder Komponente eine Kante minimaler Lange zugeordnet, die die Kom-ponente

”verlasst“, d.h. eine Ecke liegt in dieser Komponente, die andere nicht. Danach werden

diese Kanten in den Graph eingefugt, wobei darauf geachtet werden muss, dass kein Kreis ent-steht. Dadurch wird die Anzahl der Komponenten verringert (mindestens halbiert). Der Algo-rithmus bricht ab, wenn der entstandene Graph zusammenhangend ist.

Beispiel 2.3.7Wir betrachten wieder den Graph aus Beispiel 2.3.3 mit einer anderen Bewertung.

s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

e6

k1 = 1

k4 = 2 k5 = 2

k2 = 1

k6 = 2

k8 = 5

k7 = 4

k9 = 6

k3 = 1

k10 = 8s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

e6

s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

e6

k1

k2

k3

s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

e6

k1

k2

k3

k7

k4

Zuordnung im 1. Schritt: k1 → e1, k1 → e2, k2 → e3, k2 → e4, k3 → e5, k3 → e6

Zuordnung im 2. Schritt: k4 → ({e1, e2}, {k1}), k4 → ({e3, e4}, {k2}), k7 → ({e5, e6}, {k3}).

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2. Baume 31

Bei dem folgenden Algorithmus von Prim sucht man, ausgehend von dem Graph ({e1}, ∅) miteiner beliebigen Ecke e1 des Graphen G = (E,K), eine minimale, mit e1 inzidente Kante k1 underhalt den Baum T1 = ({e1, e2}, {k1}).Ausgehend von einem Baum Tj = (Ej , Kj−1) sucht man eine Verbindungskante kj von einer Eckevon Ej und einer Ecke von E \ Ej und setzt Tj+1 := Tj + k.Das Verfahren bricht wieder ab, wenn p− 1 Kanten gefunden wurden.Damit erhalt man folgenden Algorithmus fur den Graphen G = (E,K) mit p Ecken, Bewertungw und e1 ∈ E.

S1 Setze E1 := {e1} und T1 := (E1,K0 = ∅).

S2 Ist i = p, d.h. Ei = E, dann ist Ti = (E,Kp−1) der gesuchte minimale spannende Baum und der Algorith-mus bricht ab.

S3 Wahle eine Kante ki+1 ∈ K \Ki, die Ei und E \ Ei verbindet, mit minimalem Wert w(k) fur alle solcheVerbindungskanten. Die in E \Ei liegende Endecke von ki+1 nennt man ei+1 und setzt Ei+1 := Ei∪{ei+1},Ki := Ki−1 ∪ {ki} und Ti+1 := (Ei+1,Ki).

S4 Fahre mit Schritt 2 fort.

Beispiel 2.3.8 Durchfuhrung des Algorithmus fur folgenden Graph:

s

s

s

s

ss

1

2

1

7

2

5

2

6

4

2 ergibt:s

s

s

s

ss

e1 s

s

s

s

ss

e1

e2

1

s

s

s

s

ss

e1

e2

e3

1

1 s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

1

1 2 s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

1

1 2 2 s

s

s

s

ss

e1

e2

e3 e4

e5

e61

1 2

4

2

Satz 2.3.9 Der Algorithmus von Prim findet einen minimalen spannenden Baum fur einen zu-sammenhangenden Graphen mit p Ecken, q Kanten und nichtnegativer Bewertung w.

Bemerkung 2.3.10 Der Algorithmus von Prim ist i.a. bestmoglich, da zur Bestimmung einesminimalen spannenden Baums jede Kante betrachtet werden muss. Fur Graphen mit wenigenKanten lasst sich der Algorithmus verbessern.

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2. Baume 32

Um einen spannende Wald (d.h. einen Teilgraphen mit moglichst wenigen Kanten) zu finden,dessen Gesamtwert maximal ist, kann man sich wieder auf die Konstruktion eines maximalenspannenden Baums fur jede Komponente beschranken.

Satz 2.3.11 Die Algorithmen von Kruskal und Prim finden einen maximalen spannenden Baumfur einen zusammenhangenden Graphen mit p Ecken, q Kanten und nichtnegativer Bewertungw.

Bemerkung 2.3.12 Die Algorithmen von Prim und Kruskal heißen gierige oder Greedy-Algorithmen. Diese Algorithmen versuchen ein Problem zu losen, indem sie bei jeder Iterationdas tun, was gerade am besten erscheint. Global gesehen muss das nicht zum gewunschten Erfolgfuhren. Mochte man zum Beispiel von einem Berggipfel absteigen, wurde man bei einem Greedy-Algorithmus immer die Richtung des steilsten Abstiegs wahlen. Dabei kann man aber in einerSenke landen, aus der man mit diesem Verfahren nicht mehr herauskommt.