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Leseprobe zu Gratwanderungen Lebenserinnerungen von Wolfgang Gruber (1886-1971) ISBN (Buch): 978-3-446-45514-6 ISBN (E-Book): 978-3-446-45586-3 Weitere Informationen und Bestellungen unter http://www.hanser-fachbuch.de/978-3-446-45514-6 sowie im Buchhandel © Carl Hanser Verlag, München

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Leseprobe zu

Gratwanderungen

Lebenserinnerungen von Wolfgang Gruber (1886-1971)

ISBN (Buch): 978-3-446-45514-6

ISBN (E-Book): 978-3-446-45586-3

Weitere Informationen und Bestellungen unter http://www.hanser-fachbuch.de/978-3-446-45514-6

sowie im Buchhandel

© Carl Hanser Verlag, München

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Vorwort

Es­fällt­schwer,­der­Person­Wolfgang­Grubers­in­wenigen­Worten­ge-recht­zu­werden.­[…]­Man­weiß­gar­nicht,­welche­Talente­man­in­den­Vordergrund­ stellen­ soll.­ Er­ war­ promovierter­ Chemiker­ bei­ der­­Wacker­Chemie­mit­enorm­viel­Erfindergeist;­davon­zeugen­seine­vie-len­Patente­(56­DRP­und­DBP­sowie­30­Auslandspatente­als­Allein-­oder­Miterfinder)­mit­ nicht­ enden­wollenden­ Ideen­ hinsichtlich­ der­ Ver-suchsanordnung­und­Versuchsdurchführung,­mit­enormem­Improvi-sationstalent.­Er­war­Extrembergsteiger­mit­hinreißenden­Schilderun-gen seiner Touren (noch vor dem 1. Weltkrieg bis in den Kaukasus). Er war­ Fotograf:­ Seine­ frühen­ Plattenaufnahmen­ sind­ fabelhaft­ und­­wurden­1990­ in­einer­eigenen­Ausstellung­gezeigt.­Er­war­ein­wun-derbarer­Familienvater­von­fünf­Kindern,­er­hatte­einen­glänzenden­­Humor,­der­auch­in­den­brenzligsten­Situationen­nicht­versagte.­Last­but­not­least­war­er­ein­aufrechter­Mann,­der­sich­durch­keine­Zwänge­verbiegen­ließ.­Nicht­zu­vergessen­ist­auch­seine­Chronologie­der­bei-den Weltkriege.

Dr. Wolfgang Gruber während einer Rast bei einer Bergtour, einer Leidenschaft, die ihn sein Leben lang begleitete

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In diesem Buch soll nun Wolfgang Gruber selbst zu Wort kommen. Die Grundlage­dafür­ sind­seine­Erinnerungen,­die­er­zeit­ seines­Lebens­über­viele­Jahrzehnte­hinweg­bis­zu­seiner­Pensionierung­Ende­1952­akribisch­aufgeschrieben­und­1965,­sechs­ Jahre­vor­seinem­Tod,­zu-sammengefasst zu Papier gebracht hat. Das Ergebnis ist die faszinie-rende Geschichte eines aufrechten, vielseitigen Mannes und liebe-vollen­ Familienvaters,­ der­ sich­ nie­ gescheut­ hat,­ Verantwortung­ zu­übernehmen.­Sei­es­als­treuer­Bergkamerad,­als­Artillerist­im­1.­Welt-krieg,­sei­es­in­der­großen­und­weitschichtigen­Familie,­als­Chefchemi-ker und Werkleiter der noch jungen Wacker Chemie oder als zugezo-gener­Bürger­der­Stadt­Burghausen,­die­der­Familie­Gruber­ebenfalls­viel zu verdanken hat.

Eva Gruber

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Inhalt

Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Einführung zur vorliegenden Buchausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX

1888 – Kindheit in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Der­„Grasshopper“:­Die­neue­Mutter­aus­England­­ . . . . . . . . . . . . . . . .­ 5Das neue Haus in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8„Ni-ar-li­tuh“­–­Die­Reise­nach­England­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Ferien am Mondsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 14

1902 – Jugendjahre: Kremsmünster, München – und die Berge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Zu­viele­Einser:­Vorbereitungsklasse­in­Kremsmünster­­ . . . . . . . . . . . 17Übertritt­auf­das­Gymnasium­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Sommerfrische­in­Parschall­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26Anti-Alkohol-Bewegung­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Umzug­nach­München­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29„Narren­im­Winter­auf­den­Bergen“:­Erste­Schitouren­ . . . . . . . . . . . .­ 32Der­„Dosso“­in­Malcesine­­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 35„Nauf­oder­wir­beide­fallen­runter“­–­Halsbrecherische­

Bergtouren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 37Hausbau­in­der­Prinzenstraße­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 40Das­letzte­Schuljahr­und­58­Gipfel­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 43Eintritt­in­den­Militärdienst:­Reiten­und­Scharfschießen­ . . . . . . . . . .­ 46

1908 – Studium und Bergtouren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Rollmöpse­in­Berlin­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 50Studium­in­München­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 52Vaters­Einfluß­und­die­Gründung­von­„Freiland“­ . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 53„Eßts­was­gscheits,­dann­erfrierts­Euch­nix“­–­­Bergtouren­1909­ . . . .­ 55

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Absturz vom Totenkirchl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 58Der­Eispickel­in­der­Lawine­–­Bergtouren­1910­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Warme­Füße,­keine­Sohlen­–­Blitzeinschlag­in­der­Hütte­ . . . . . . . . . . 69Ein­besonderer­Glücksfall­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 74Eine­wilde­Schlittenfahrt­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Viele­Experimente­–­Assistententätigkeit­in­Würzburg­ . . . . . . . . . . . . 79Schweizer­Berge:­Von­Gletscherspalten­und­­Steinlawinen­ . . . . . . . . . 82„Nächstes­Jahr­fahren­wir­in­den­Kaukasus“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88Beginn­der­Doktorarbeit:­Privatassistent­bei­Adolf­von­Baeyer­ . . . . 92

1912 – Die große Kaukasus-Expedition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Ankunft­in­Rußland­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Pjatigorsk­und­Naltschik­–­Ein­Diener­namens­Ismayl­. . . . . . . . . . . . . 98„Tschu­Tschu“­und­„Brr­Brr“­statt­„Hü“­und­„Hott“­–­

Nach­Bezingi­mit­zwei­Pferden­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 103Besteigung­des­Dychtau:­Der­Gipfel­kommt­und­kommt­nicht­ . . . . . 107Der­„Wanderzirkus­aus­dem­Westen“­hält­Einzug­in­

Bulungu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Wettrennen mit den Russen: Die Erstbesteigung des

Dschailik-Basch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 114„Nitschewo“­–­Ein­Umweg­nach­Urusbiew­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118Das­„Gasthaus­zur­guten­Hoffnung“­auf­dem­Weg­zum­

Elbrus-Gipfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Drei­feine­Damen­in­Swanetien­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 124Ruhmreiche­Rückkehr­nach­Pjatigorsk­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Eindrücke­aus­Moskau­und­Petersburg­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

1913 – Schnee, Eis und Gletscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129Ostern­1913­–­Von­Jungfrauen­und­Mönchen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 130Die Helden vom Marltgrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 135Ferien­in­Malcesine­–­Heilung­mittels­Schaumgebäck­ . . . . . . . . . . . . .­ 140Weihnachtstour­und­Deutsche­Schimeisterschaft­ . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 142Mit Gipsbein in das Doktorexamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 144Rückblick­auf­den­ersten­Lebensabschnitt­­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 146

1914 – Beginn des 1. Weltkriegs und Einberufung . . . . . . . . . . . . 148Unvorstellbare­Begeisterung­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 150Abschied von zu Hause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 151Zwei­Orden­für­Bruder­Otto­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 154

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Kämpfe,­Fronten,­„Wilde­Völker“:­„Ihr­verwendet­doch­auch­ Bayern“­. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 157

Die­Offensive­kommt­zum­Stehen:­Der­Beginn­des­Grabenkriegs­ . . . 160Der Alltag des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 163Allgemeine Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168Als­Ordonnanzoffizier­beim­Stab­des­2.­Infanterie-Regiments­

„Kronprinz“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 173Nervenzermürbender­Krieg­unter­der­Erde­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 175Glänzende­Lösungen­für­Telefonstrippen­und­

Kommunikationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177„Stinkbomben“­in­den­deutschen­Gräben:­

Der Gaskrieg setzt ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 183Erstarrte Fronten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

1915 – Einsatz in den Dolomiten und Balkanfeldzug . . . . . . . . . . 192Ein eisernes Kreuz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 194Der­Kampf­um­die­Sextner­Rotwand­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198Erst­rechts,­dann­links:­Der­nächste­Knöchelbruch­ . . . . . . . . . . . . . . . 201Der­große­Kreuzbergangriff­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202Lazarett­und­Versetzung­–­der­bayerische­Löwe­knurrt­ . . . . . . . . . . .­ 203Der Balkanfeldzug beginnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206„Im­Bewegungskrieg­gibt’s­keine­Ruhe“­–­Vormarsch­im­

Dauerregen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 213Die­Serben­ergeben­sich­–­Ende­des­Feldzugs­und­Rückzug­ . . . . . . . . 220Ein­besonderer­Sprachführer­für­Serbisch­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 224Unverhofftes­Wiedersehen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229Urlaub­zu­Hause­(18.­April­bis­17.­Mai­1916)­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 234

1916 – Zurück an der Westfront . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236Allgemeine Kriegslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 236Eine­ruhige­Front­für­abgekämpfte­Divisionen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 238Quartier­im­Gasthof­„Zum­Heldenkeller“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 242Ein­Ständchen­zum­Abschied­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 245„Lang­hama­gwart,­aba­nacha­hats­pressiert“:­

Der Abmarschbefehl kommt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 249Ein rotes Tuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 251Verhängnisvoller Leichtsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 256Allgemeine Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 259Hinter der Front – Kurse, Filme, Instruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

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Angriffe und Gegenangriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 265Mißerfolge­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271Die­Kampfesweise­des­Sturm-Bataillons­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272Erbitterte Infanteriekämpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 275Erfolg­des­Sturmbataillons­bei­Laffaux-Vauxaillon­ . . . . . . . . . . . . . . . 278Eine­scheußliche­Sauferei­–­und­wieder­ein­eisernes­Kreuz­ . . . . . . . 28112. Juni 1917: Geburtstag mit Musik und Erdbeeren . . . . . . . . . . . . . .­ 284

1917 – Emma Jürgensen tritt in Wolfgang Grubers Leben . . . . . 289Zur­allgemeinen­Lage­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289„Belege­Sperrsitz­I.­Rang­bei­Emma­Jürgensen“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290Ohrenschmerzen­und­Schießübungen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292Urlaub­in­Hadersleben­und­München­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298Ein­„schwarzer­Tag“:­Schlacht­und­Niederlage­bei­Laffaux­­ . . . . . . .­ 301Das Kampfgeschehen an den anderen Fronten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 303Fronteinsätze und Lehrbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 305„Bei­diesen­Verhältnissen­schieße­ich­nicht“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 308Jahres-Übersicht 1917 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 313Zweiter­großer­Angriff­der­Engländer­in­Flandern­ . . . . . . . . . . . . . . .­ 316Die Westfront in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 3171918 – Der Beginn des letzten Kriegsjahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 319Der­Friedensschluß­mit­Rußland­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 325Das­Sturm-Bataillon­7­soll­vor­zur­„Kaiserschlacht“­ . . . . . . . . . . . . . . .­ 326Splitter­in­Arm­und­Bein­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 328Das­Sturm-Bataillon­7­ohne­Wolfgang­Gruber­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 331Als­Inspekteur­der­Infanterie-Geschütz-Batterien­ . . . . . . . . . . . . . . . .­ 333Hindenburg­und­die­gestohlenen­Äpfel­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 336Das­Kriegsende­wirft­seine­Schatten­voraus­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 338Der letzte Angriffsfeldzug der Alliierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 341Österreich kapituliert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 343Der Kaiser dankt ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 344

1918 – Kriegsende und Neuanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346Zurück­in­die­Heimat­–­Weiter,­immer­weiter­ohne­Rast­ . . . . . . . . . .­ 346Die­Proklamation­der­Bayerischen­Republik­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 350Die allgemeine Lage nach dem Waffenstillstand . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 353Eine Räteregierung nach russischem Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 354Empörung­in­Deutschland­. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 355Ein trauriges Weihnachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 358

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Vorstellung­in­Ludwigshafen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 359„Hochzeit­1.­Februar,­Zylinder­55­bereithalten“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 361

1919 – Eintritt in die Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektrochemische Industrie, Burghausen . . . . . . . . . . . . . . . . . 363Die Geschichte der Dr. Alexander Wacker Gesellschaft . . . . . . . . . . . .­ 367Neue Kollegen, neue Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 370Kümmerliche­Arbeitsbedingungen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 371„Auffallend­war,­daß­es­nicht­immer­krachte“­–­

Laboratoriumsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 373Entscheidung­für­Wacker­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 374Häusliches Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 375Kämpfe­in­München­und­ganz­Deutschland­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 377Umzug­in­das­Drexlerhäusl­am­Curaplatz­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 379Trauerbotschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 380Speckpakete­und­Musik­–­Die­Abstimmung­für­Dänemark­ . . . . . . . .­ 386„Unser­Fröschl“­erscheint­–­Lisls­Geburt­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 388„Holt­die­Buben­aus­den­Betten“­–­Burghauser­Veranstaltungen­ . . .­ 390Sektionstour­auf­den­Hochkalter­–­Übernachtung­im­Kuhstall­ . . . . .­ 393Unglück­in­Gosau­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 396Die­Erforschung­der­Schellenberger­Eishöhlen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 39798,7­Millionen­Mark­für­eine­Tour­–­Die­Inflation­setzt­ein­ . . . . . . . .­ 400„Der­liebe­Gott­ist­ein­Trichter“­–­Kindersprüche­ . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 402

1923 bis 1928 – Hausbau und neue Produktionsverfahren . . . . 406„Gretl­erschien­bei­Blitz­und­Donner“­–­Die­Geburt­der­zweiten­

Tochter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 407Der Bau des Gruber-Hauses in Burghausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 409„Es­war­eine­aufregende­Zeit“­–­Politik­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 413Der­Hitlerputsch­in­München­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 415Der Pakt von Locarno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 418Die­Aufnahme­Deutschlands­in­den­Völkerbund­ . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 420Die Dr. Alexander Wacker Gesellschaft in turbulenten Jahren . . . . .­ 423Inbetriebnahme und Bruch des Alzkanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 424Ein­„Himmelfahrtskommando“?­–­Neue­Verfahren­und­ihre­

Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 426Die­gesundheitlichen­Auswirkungen­von­Quecksilber­ . . . . . . . . . . . .­ 430Wacker­1923­bis­1926­–­Personen,­Verfahren­und­Betriebe­ . . . . . . . .­ 431Großproduktion­der­Acetylzellulose,­entwickelt­im­Labor­Gruber­ .­ 436

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Spinnerei­mit­Hindernissen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 440Die­Wacker­Chemie­wächst­und­gedeiht­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 449Wie eine Patentanmeldung vonstatten geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 452

1924 bis 1932 – Familienleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455Eine Menge Ehrenposten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 455„Knabenbringende­Weihnachtszeit“­im­April:­Hans­Jürgen­

wird­geboren­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 459„Sic­transit­gloria­mundi“­–­Die­Wirtschaftskrise­geht­weiter­ . . . . . .­ 464Der Tod des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 468Zwei­Mädchen­und­zwei­Buben:­Wolfgang­kommt­auf­die­Welt­ . . . .­ 475Der zehnte Hochzeitstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 480Schwarzer­Freitag­in­New­York­–­Der­Börsenkrach­und­

seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 484Die Familie ist komplett – Helmuts Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 488„Ich­kann­so­oft­auf­den­Großglockner­steigen,­wie­ich­will“­ . . . . . . .­ 491Konkurse­und­Wahlen­–­die­NSDAP­wird­stärkste­Kraft­ . . . . . . . . . . .­ 496Burghausen bleibt ruhig – Arbeit und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 497

1933 bis 1938 – Arbeit und Leben im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . 503Reichstag­in­Flammen­und­brennende­Bücher­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 503„Solange­der­Herrgott­noch­nicht­abgeschafft­ist­…“­ . . . . . . . . . . . . . .­ 505Wahlerfolg und Ermächtigungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 507Ein gebrauchter Hanomag und ein kleiner Dixi . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 508Neue­Gesetze­und­Austritt­aus­dem­Völkerbund­ . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 511Dr. Wolfgang Gruber: Werkdirektor in Burghausen . . . . . . . . . . . . . . .­ 512Ausschaltung­der­SA­und­Aufbau­eines­Polizeistaats­ . . . . . . . . . . . . . .­ 516Das Berufsleben als Werksdirektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 518Grundstückskauf­am­Chiemsee­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 519Aufrüstung­und­Wehrpflicht­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 521„Ihnen­zur­Ehre,­uns­zum­Nutzen,­tu­ich­Ihnen­die­Schuhe­

putzen“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 523Ein­Ständchen­der­neuen­Werkkapelle­zum­Geburtstag­ . . . . . . . . . . .­ 524„Das­werde­ich­Ihnen­nie­vergessen“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 527Hitler­marschiert­in­die­neutrale­Zone­ein­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 529„Ich­bin­Chemiker­und­will­mich­als­solcher­wieder­

betätigen“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 531Traurige Nachrichten in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 532Erfolg des ersten Vierjahresplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 537

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„How­do­you­do“­–­„Hau­i­di­a“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 539­„Knapp­am­Krieg­vorbei“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 543Jüdische­Wacker-Mitarbeiter­flüchten­vor­dem­randalierenden­

Pöbel­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 546Das­Salzburger­Haus­am­Mönchsberg­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 547Friedensbeteuerungen und Kriegsvorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . .­ 551Abschied von Tante Minka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 553Die­Ruhe­vor­dem­Sturm­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 554

1939 bis 1940 – Der zweite Weltkrieg beginnt . . . . . . . . . . . . . . . . . 556Der Polen-Feldzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 557Vorbereitungen­für­den­West-Feldzug­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 559„Aus­ist­es­mit­dem­Autofahren“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 5601940­–­Das­Jahr­der­Siege­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 563Der Frankreich-Feldzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 565Die Engländer verlassen Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 567Deutsche Truppen in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 569­„Aufhören,­Aufhören“­–­Unerwartete­Gefahr­für­die­

Telefonleitung Hitler-Mussolini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 571„Zur­Ehe­kann­geraten­werden“­–­Die­Heirat­von­

Tochter Lisl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 573Die Luftschlacht um England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 576Italiens­Kriegsbemühungen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 578Drei­mißglückte­Unternehmungen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 579

1941 bis 1942 – Ausweitung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581General­Rommel­fegt­durch­Ägypten­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 581Durcheinander­in­Jugoslawien­–­Der­Balkan-Feldzug­­ . . . . . . . . . . . . .­ 582Die Eroberung Griechenlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 583Fallschirmjäger­über­Kreta­­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 584Seekrieg­gegen­England­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 585Trügerische­schnelle­Erfolge­in­Rußland­­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 586Führungskrise­–­Hitler­reißt­die­Operationsleitung­an­sich­ . . . . . . . .­ 589Vorstoß­auf­Moskau­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 590Autoreifen,­Hühnerzucht­und­Bergtouren­–­In­der­Heimat­geht­

das­Leben­weiter­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 591Japans Eintritt in den Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 596„Der­Kampf­hat­jeglichen­Sinn­verloren“­–­Aussichtslose­Lage­

in­Rußland­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 599

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Schwere­Verluste­in­Libyen­. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601Verzweiflung­im­Kessel­von­Stalingrad­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602Der­frühe­Tod­von­Bruder­Otto­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 604

1943 – Schwere Zeiten: Kriegsverlauf und Todesfälle in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609Weitere­Rückschläge­und­Mussolinis­Sturz­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609Alliierte­Luftlandekräfte­in­Sizilien­1943­­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610Der Kampf um Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611Die­Ostfront­kommt­ins­Wanken­­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 613In­Asien­wendet­sich­das­Blatt­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 614Die­Teheran-Konferenz­mit­Roosevelt,­Churchill­und­Stalin­ . . . . . . .­ 614Der­Tod­von­Großvater­Jürgensen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 615Großmutter­Gruber­stirbt­bei­Gretls­Hochzeit­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619Große­Aufgaben­in­schweren­Zeiten­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621

1944 – Zusammenbruch an allen Fronten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624Zäher­Widerstand­in­Italien­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 624Rußland­–­In­Riesenschritten­zurück­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 625Die Alliierten besetzen Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627Der­U-Boot-Krieg­geht­verloren­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627Vorbereitung der Invasion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628Die Landung in der Normandie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629Attentat auf Hitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 632Der­Rückzug­aus­Frankreich­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 634Katastrophale­Lage­in­Rußland­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 635Die Räumung Griechenlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 637Die Gegenoffensive scheitert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 638Der Luftkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 639Hans­Jürgen­an­der­Ostfront­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 640Von­Bomben,­Verwundungen­und­Jubiläen­–­Ereignisse­in­der­

Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 643Briefe­vom­„verlorenen­Sohn“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 646Hans­Jürgens­Heimkehr­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 650

1945 bis 1947 – Kriegsende und Neubeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653Im­Westen­–­Hitler­läßt­keinen­Rückzug­zu­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 654­„Vollendeter­Irrsinn“:­Der­Beitritt­zum­Volkssturm­wird­

obligatorisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 656

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Täglicher Bombenalarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 658Hans­Jürgen­wird­schwer­verwundet­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 659Der Aufstand im Burghausener Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661

Aufruf­der­„Freiheitsaktion­Bayern“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661Verhaftung­durch­die­SS­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662Die­Hintergründe­des­Aufstands­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 663

2.­Mai­1945­–­Die­Amerikaner­kommen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 664Bedingungslose­Kapitulation­in­Bayern­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667Das Leben unter amerikanischer Besatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668Alliierte­Schikanen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671Die­Aufteilung­Deutschlands­in­vier­Zonen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672Die Geburt des dritten Enkelkinds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 673Entnazifizierung­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 674Bangen­und­Sorgen­1946­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676Der­Schwarzhandel­floriert­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678Viele Feiern zum 60. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679Hans­Jürgen­kommt­nach­Hause­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679Urteile­im­Nürnberger­Prozeß­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681„Alle­Äpfel­furt“­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681Abschied­von­Hans­Jürgen­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 683Das­Leben­geht­weiter­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 684Gedenken­der­Vergangenheit­und­Aufruf­für­die­Zukunft­ . . . . . . . . . 686Erste­Lichtblicke­1947­. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688Chemische Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690Demontagen und Proteststreiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 693Gedenkfeier­für­Hans­Murmann­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 695

1948 bis 1952 – Währungsreform und Wiederaufbau . . . . . . . . . 697Die Währungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698Der Kalte Krieg beginnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699In der Familie normalisiert sich das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700In der Firma und privat – Überall herrscht Geldknappheit . . . . . . . . 702Bruder Bertl stirbt mit 70 Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706Aufschwung­in­der­Wirtschaft­und­im­Werk­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708Wachsen­Erdnüsse­über­oder­unter­der­Erde?­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710Erweiterungen­und­Modernisierung­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 713Der­65.­Geburtstag­und­die­Kündigung­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717Das­letzte­Berufsjahr­1952­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718Auszüge­aus­den­Rundbriefen­an­die­Familie­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719

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Wolfgangs­Amerika-Reise­(6.­September­1951­bis­ 25.­September­1952)­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721

20­000­Kilometer­und­ein­Auto­für­60­Dollar­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 723Rückkehr­in­die­Heimat­per­Leiterwagerl­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .­ 725Mein­letzter­Arbeitstag­nach­33­Jahren­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727Rückblick­ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731

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„Tschu Tschu“ und „Brr Brr“ statt „Hü“ und „Hott“ – Nach Bezingi mit zwei Pferden

Am­ nächsten­ Morgen,­ einem­ herrlichen­ Sommertag,­ nahmen­ wir­gleich ein frisches Bad, da der Weg durch den Bach ging. Es verengte sich­nun­das­Tal­zu­einer­prachtvollen,­wilden­Schlucht.­Hoch­oben­in­den­Fels­gesprengt­führte­zuerst­das­bequeme­Sträßchen,­dann­hinun-ter­zum­schäumenden­Bach.­Bald­jedoch­war­die­Pracht­zu­Ende,­ein­ödes,­ganz­baumloses­Tal­lag­vor­uns.­Am­Nachmittag­erreichten­wir­die­ letzte­Ortschaft­des­Tals,­ das­Tartarendorf­Bezingi.­Männer­und­Kinder­des­Dorfes­strömten­uns­entgegen,­nach­langer­und­feierlicher­Begrüßung­wurden­wir­ins­Quartier­geführt.­Gasthäuser­gab’s­im­Kau-kasus­nicht,­dafür­waren­in­den­größeren­Dörfern­Kanzleien.­Das­war­in­der­Regel­ein­einfacher­Steinbau­mit­ein­bis­zwei­Zimmern,­in­de-nen­ die­ Gerichtsherren­wohnten,­ die­ einmal­ im­ Jahre­ ein­ bis­ zwei­­Wochen­dort­Gericht­ abhielten.­Die­übrige­Zeit­waren­diese­Räume­leer­und­ standen­meist­den­Reisenden­umsonst­ zur­Verfügung.­Wir­wohnten­diesmal­in­einem­hübschen­Bau­mit­Holzveranda.­An­Ruhe­war­aber­vorerst­nicht­zu­denken.­Draußen­und­im­Hause­drängte­sich­alles,­ schwatzte­ und­ schrie,­man­ fragte­ uns­ auf­ Tartarisch,­ wir­ be-deuteten­ ihnen,­daß­wir­nichts­verstünden,­das­hinderte­gar­nichts.­Weiter­und­weiter­fragten­sie,­ lachten,­schrien­und­grinsten.­Kinder­rannten­uns­beim­Fangenspielen­zwischen­die­Füße,­und­im­Fenster­lagen­sie­schichtenweise­und­glotzten­uns­an­wie­Wundertiere.­Wir­versuchten­es­mit­Güte­und­ im­Ernst,­die­Leute­hinauszutreiben,­es­half­nichts,­sofort­waren­sie­wieder­da.­Sie­hoben­uns­die­Füße­in­die­

Reges Treiben auf einem Marktplatz im Kaukasus

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Höhe­und­bestaunten­die­Nagelschuhe,­zeigten­sie­den­Freunden,­so­daß­wir­wie­Störche­gleich­eine­halbe­Stunde­auf­einem­Fuß­stehen­mußten.­Ein­Anderer­untersuchte­den­Stoff­der­Joppen,­die­Rucksäcke­wurden­durchwühlt,­und­ein­Gegenstand­nach­dem­andern­wanderte­von­Hand­ zu­Hand,­ aber­ alles­ kam­wieder­ an­ seinen­ Platz­ zurück.­Während der ganzen Tour kam uns – von einem einzigen Fall abge-sehen­ –­ nichts­ abhanden,­was­ besonders­ hervorzuheben­ ist,­ da­ die­Leute­ beim­Handeln­ einen­ recht­ gern­übers­Ohr­ hauen.­Unser­ Beil­kam­ sogar­haarscharf­ geschliffen­ zurück.­ Es­ ging­nur­von­Hand­ zu­Hand­durchs­Dorf.­Während­dieses­Durcheinanders­wurden­die­Ein-käufe­besorgt,­das­heißt,­unser­Ismayl­verkündete,­daß­wir­einkaufen­wollten,­und­nun­kamen­die­Weiber­und­das­Handeln­ging­ los,­wie­wir­es­ja­schon­kennen­gelernt­hatten.­

Es­kamen­aber­auch­die­Kranken.­Im­Kaukasus­gab­es­für­die­gan-zen­nördlichen­Täler­ –­ungefähr­25­000­Seelen­–­nur­einen­Sanitäts-gehilfen,­der­natürlich­nie­in­die­entlegenen­Täler­hinunterkam.­Alle­wollten­Salben,­Pflaster­und­Wasserln­haben.­Nun­wurden­die­Kran-ken untersucht und befragt. Das ging aus dem Tartarischen ins Rus-sische­und­aus­dem­Russischen­ins­Deutsche­und­den­ganzen­Weg­wie-der­zurück.­Einer­hatte­ sich­einen­Nagel­eingetreten,­andere­hatten­eitrige­Augenentzündungen­und­Ohrenfluß,­einem­andern­war­beim­Tanzen­durch­die­Brust­geschossen­worden.­Vorn­und­hinten­war­ein­Pechpflaster­drauf,­und­er­hatte­große­Schmerzen.­Als­wir­nach­Entfer-nung­des­Pflasters­drückten,­spritzte­vom­und­hinten­der­Eiter­heraus.­

Dann­wurden­wir­zu­einer­Fürstin­gerufen,­die­in­einem­dunklen­Raum­lag­und­über­Schmerzen­im­Bauch­klagte.­Nun­gingen­die­Fra-gen vom Deutschen ins Russische und vom Russischen ins Tartarische und­wieder­zurück.­Allmählich­wurde­uns­klar,­daß­die­Arme­Blind-darmentzündung­hatte.­Wir­empfahlen­Wärme­und­Ruhe,­und­wenn­die­ Schmerzen­nachgelassen­hätten,­Ritt­ nach­Naltschik­und­weiter­nach­Wladikawkas­ins­Krankenhaus.­Die­Patientin­wollte­aber­unbe-dingt­eine­Medizin.­Heute­hat­man­ja­Penicillin­und­Sulfonamide.­Wir­gaben­ihr­etwas­„für­die­Katz“,­das­sind­solche­Mittel,­die­nichts­scha-den,­wenn­sie­auch­nicht­helfen.­Sie­bekam­zwei­Pulver.­Zuerst­mußte­das­eine­aufgelöst­werden,­und­dann­kam­eine­ordentliche­Portion­des­anderen­drauf­und­beides­wurde­gleich­getrunken.­Brauselimonade!­Die­ Arme­ mußte­ natürlich­ fürchterlich­ rülpsen,­ aber­ als­ wir­ nach­vierzehn­Tagen­wiederkamen,­war­sie­ganz­gesund.­Überhaupt­hatte­allen unsere Kur bestens geholfen.

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Am­Abend­waren­wir­beim­Ortsvorsteher­zu­Gast.­Die­Häuser­waren­außerordentlich­ primitiv,­ ein­ oder­ zwei­ Räume.­ Im­ Winter­ waren­auch­die­Tiere­drinnen,­Mensch­und­Tier­wärmten­sich­dann­gegensei-tig.­In­der­Mitte­war­die­Feuerstelle.­Der­Kessel­hing­an­einem­Eisen-haken­über­dem­Feuer.­Brot­wurde­in­flachen­Schalen­gebacken,­die­in­der­glühenden­Asche­lagen­und­mit­Kuhmist­abgedeckt­wurden,­der­allmählich­ auch­ verglomm.­Wir­ erfuhren­ allerlei­ über­ die­ Stellung­der Frau. Im Nordteil des Kaukasus lebten fast nur Mohammedaner. Die­ganze­Arbeit­wurde­von­den­Frauen­und­Kindern­gemacht.­Die­Frauen brachten folglich bei der Verheiratung keine Mitgift mit, son-dern­wurden­im­Gegenteil­dem­Schwiegervater­abgekauft.­Die­Preise­schwankten­ in­ weiten­ Grenzen,­ zwischen­ zwei­ Hammeln­ für­ alte,­häßliche­Mädchen­ und­ hundert­ Hammeln­ (ungefähr­ 700­Mark)­ für­ fesche, kräf tige und arbeitsame.

Zu Gast beim Ortsvorsteher von Bezingi (Kaukasus)

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Nach­zwei­Tagen­ging’s­hinauf­zum­Hochlager.­Ringsum­standen­him-melhochragende­Berge,­ aber­ kein­Blick­ auf­Eis­war­uns­bisher­ ver-gönnt.­Es­war­ein­merkwürdiger­Zug,­der­da­auf­schmalem­Pfad­da-hinzog.­Voraus­ein­Esel,­den­wir­noch­zusätzlich­gemietet­hatten,­mit­einem­Teil­unseres­Gepäcks,­dann­kam­ich­hoch­zu­Roß­auf­unserem­„Kleiderständer“,­ da­ ich­ 40­Grad­ Fieber­ hatte,­ dann­ sieben­ Bergler­ebenfalls­hoch­zu­Roß,­die­sich­uns­angeschlossen­hatten,­dann­Ismayl­mit­ dem­ Karabasch­ und­ schließlich­ die­ armen­ vier­ Fußgänger­mit­­ihren­Rucksäcken,­eingehüllt­ in­ ihre­Burkas,­wie­die­Einheimischen­unsere­ Gummipelerinen­ nannten,­ denn­ es­ regnete­ in­ Strömen.­ So­wand­sich­der­Zug­durch­dick­und­dünn­bald­im­Bachbett­hart­neben­dem­reißenden­Fluss,­bald­auf­dem­steilen­unwegsamen­Schotterhang.­Aus­dem­Mischirgi-Tal­kam­hochangeschwollen­vom­Regen­und­der­Schneeschmelze­der­Mischirgi­herunter­und­versperrte­uns­den­Weg.­Ein­Hinüberkommen­war­ausgeschlossen,­wir­mußten­die­kühle­Nacht­und­das­Abschwellen­des­Gletscherbaches­abwarten.

Am­ nächsten­Morgen­ ging­ es­ angeseilt,­ die­ Tiere­ vorsichtig­ füh-rend,­bis­zu­den­Hüften­im­Wasser­durch­die­kalten­reißenden­Fluten.­Eine­zweifelhafte­Kur,­wenn­man­Fieber­hat.­Bei­der­letzten­saftigen­Bergwiese,­die­den­Pferden­zur­Weide­dienen­sollte,­am­Misses­Kosch­(2550­m)­schlugen­wir­für­zehn­Tage­unser­Zelt­auf.­Kosch­entspricht­unserem­Wort­Alm,­aber­hier­gab’s­nicht­wie­bei­uns­schmucke­Alm-hütten­ und­ freundliche­ Sennerinnen.­ Ein­ rauchgeschwärzter­ Fels-überhang,­Aschenreste­und­eine­Quelle­in­der­Nähe,­das­war­die­ganze­Häuslichkeit­der­Schafhirten.­Leider­waren­sie­noch­nicht­heraufge-zogen,­und­so­gingen­zwei­von­uns­mit­dem­Ismayl­zum­Hammelkauf­wieder­zurück­zum­Mischirgi­Kosch.­Der­Misses­Kosch­war­ein­selten­schönes­Fleckerl­Erde.­Im­üppigen­Gras­standen­Margheriten,­Vergiß-meinnicht,­Glockenblumen,­und­der­Berghang­hinauf­war­über­und­über­ voll­ von­ weißen­ blühenden­ Rhododendronbüschen.­ Jenseits­der­Moräne­wälzte­sich­wie­ein­zu­Eis­erstarrter­Strom­der­Bezingi-­Gletscher­herunter,­und­dahinter­standen­die­eisgepanzerten­Fünftau-sender. Prächtiges Wetter hatte sich eingestellt.

Gleich­am­nächsten­Tag­sollte­ein­Berg­von­5000­Meter,­der­Katu-intau,­in­Angriff­genommen­werden.­Proviant­wurde­hergerichtet­und­dazu­ein­Hammel­geschlachtet,­was­unser­Ismayl­besorgte.­Das­Aus-nehmen­erledigte­unser­Mediziner.­Bei­offenem­Feuer­wurden­dann­die­einzelnen­Stücke­am­Spieß­gebraten­und­immer­wieder­mit­Airan­bestrichen. Vom Hammelkauf bis zum Essen dauerte es gut und gern

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vier­bis­fünf­Stunden.­Deshalb­verwahrten­wir­immer­wieder­einen­Fleischvorrat in einer Gletscherspalte, um nach unseren Touren bald ein­Essen­zu­haben.­Bei­Zeiten­krochen­wir­in­unsere­zwei­Zelte.­Um­0:30­Uhr­rasselte­der­Wecker­ab.­Als­wir­aufgestanden,­Kakao­getrun-ken­hatten­und­gerade­abziehen­wollten,­bemerkte­einer­von­uns,­daß­sein­Rucksack­aufgeschnitten­und­geplündert­worden­war.­Die­Schnee-brillen­und­eine­Kassette­mit­Proviant­fehlten,­außerdem­waren­alle­Sachen­unseres­Dieners­verschwunden.­Sofort­wurden­die­Revolver­geladen,­ich­blieb­an­Ort­und­Stelle,­die­anderen­krochen­leise­auf­dem­Bauch­um­die­Felsblöcke­herum,­hätten­sich­beinahe­gegenseitig­er-schossen­und­kamen­dann­nach­zweistündigem­Indianerspiel­natür-lich­ohne­den­Dieb­wieder­heim­und­schliefen­ruhig­weiter,­nachdem­es­inzwischen­für­den­Katuintau­doch­zu­spät­geworden­war.­Als­Täter­wurde­später­ein­kleiner­Hirtenbube­ermittelt.­Ein­glücklicher­Zufall­bewahrte­uns­vor­größerem­Schaden.­In­dem­Augenblick­nämlich,­als­der Bursche den Rucksack aufschnitt, rasselte der Wecker ab. Das schreckte­ihn­dermaßen,­da­er­es­mit­seinem­Raub­in­Zusammenhang­brachte,­daß­er­schleunigst­die­Flucht­ergriff.

Besteigung des Dychtau: Der Gipfel kommt und kommt nicht

Nachmittags bestiegen Winkler, Lechner und Wandl den Kelbasch, ­einen­ schönen­kleinen­Aussichtsberg,­um­verschiedene­Routen­aus-zutüfteln.­Am­11.­August­rückten­wir­alle­dem­Dychtau­an­den­Leib.­Schwer­ beladen­ mit­ Schlafsack,­ warmen­ Sachen,­ Proviant­ für­ drei­Tage,­ Photokasten­ und­ Spirituskocher­ keuchten­ wir­ bei­ glühender­Hitze­über­eine­steile­Geröllrinne­hinauf,­die­mich­so­zum­Schwitzen­brachte,­daß­ich­von­100­Meter­zu­100­Meter­immer­gesünder­wurde.­An­ einem­ Seitengrat­ angelangt,­ querten­ wir­ auf­ einem­ schmalen­Schichtband­zum­Misses-Gletscher­und­bezogen­bald­darauf­auf­einer­Schutthalde­ in­ Großglocknerhöhe­ unser­ Biwak.­ Die­ größten­ Steine­wurden­entfernt,­der­Platz­ein­wenig­geebnet­und­eine­niedere­Stein-mauer­gegen­Westen­errichtet,­um­ein­Hinunterkollern­zu­verhüten.­Nach­einer­Erbsensuppe­krochen­wir­in­unsere­Säcke.­Anfangs­wach-ten­wir­öfters­auf,­sei­es,­daß­ein­Stein­gar­zu­unverschämt­drückte­oder­ der­ Vollmond­ gar­ zu­ freundlich­ ins­ Gesicht­ schien.­ Später­ ge-wöhnten­wir­uns­ aber­ ganz­an­das­Zigeunerleben.­Morgens­ steckte­

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einer­ von­uns­ seine­Hände­ aus­ dem­Sack,­ zündete­ den­ Spiritus­ an,­kroch­aber­sofort­wieder­unter­die­schützende­Hülle.­Wenn­der­Kakao­dann­brodelte,­wurde­er­den­anderen­im­Bette­serviert.­Das­war­eine­herrliche­Einrichtung,­da­in­der­Frühe­gewöhnlich­ein­frisches­Lüft-chen­blies.­Die­Schlafsäcke­wurden­mit­Steinen­beschwert,­die­Ruck-säcke­geschultert,­und­dann­ging’s­in­die­kalte­Nacht­hinaus.­Ein­etwa­120­Meter­ langes­ Eis-Couloir­ hielt­ uns­ etwas­ auf.­ Um­ 8:30­Uhr­ er-reichten­wir­den­Nordgrat­des­Dychtau­in­einer­Höhe­von­4­300­Meter.­War­das­ein­Blick!­Haltlos­ging­es­jenseits­hinab.­In­schauerlicher­Tiefe­lag­der­zerklüftete­Kischirgi-Gletscher­und­darüber­der­alles­überbie-tende­ stolze­ Kostantau.­ Im­ Süden­ stand­ die­ 10­Kilometer­ lange­ Eis-mauer­der­Bezingi-Riesen­und­ im­Westen­weithin­der­ Firndom­des­Elbrus.­Das­Ganze­ein­überwältigendes­Bild!

Auf­dem­Nordgrat­vollzog­sich­der­weitere­Aufstieg.­Knietiefer,­spä-ter­noch­ tieferer­weicher­Pulverschnee­und­scharfe,­vereiste­Felsen­wechselten­ab,­und­so­sollten­wir­noch­900­Meter­hinauf.­Ein­Gratzahn­nach­dem­anderen­wurde­bezwungen,­immer­glaubte­man,­den­Gipfel­genommen­zu­haben,­aber­er­kam­und­kam­nicht.­Es­wurde­12:00­Uhr,­2:00­Uhr,­ 3:00­Uhr,­ da­ legten­ wir­ unsere­ Rucksäcke­ ab.­ Es­ wurde­4:00­Uhr.­Schon­zwölf­Stunden­unterwegs­und­noch­immer­nicht­am­Ziel.­Ganz­tiefer­Schnee­(manchmal­versanken­wir­bis­zur­Brust),­Spal-ten­und­schließlich­auch­die­ungewohnte­Höhenluft­(bereits­5000­m)­verlangsamten unser Fortkommen mehr und mehr. Da endlich um 5:00­Uhr­abends­erreichten­wir­den­5190­Meter­hohen­Westgipfel.­Auf­den­ um­wenige­Meter­ höheren­Ostgipfel­ verzichteten­wir­ in­ Anbe-tracht­der­späten­Stunde.­Prachtvoll­lagen­Kostantau­und­Schara­mit­ihren­wuchtigen­Eisflanken­vor­uns,­doch­wir­durften­uns­nicht­in­den­Anblick­versenken,­sondern­stürmten­so­rasch­wie­möglich­hinab.

Auf­unseren­Touren­bewegten­wir­uns­immer­in­zwei­getrennten­Partien­mit­stets­anderer­Zusammensetzung.­Die­beweglichere­Zwei-erpartie passierte noch vor voller Dunkelheit die Eisrinne, und so er-reichte­sie­die­Schlafsäcke,­während­die­anderen­in­4300­Meter­Höhe­ein­ zweites­ Biwak­ beziehen­ mußten.­ Gemeinsam­ stiegen­ wir­ am­nächsten­ Tag­ zu­ unseren­ Zelten­ hinab.­ Unterwegs­ begegneten­ wir­­einer­russischen­Partie,­die­auch­auf­den­Dychtau­wollte,­aber­nicht­­hinaufkam,­oder­war­es,­weil­sie­in­uns­Konkurrenten­für­die­Erstbe-steigung­des­Dschailik-Basch­witterten?

Am­nächsten­Tag,­einem­Rasttag,­erschien­der­Ortsvorsteher­von­Bezingi.­In­Vorahnung­unserer­Gefräßigkeit­brachte­er­auf­zwei­Eseln­

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ein paar Kisten mit hartgekochten Eiern mit und unser Naltschiker Brot,­das­vorausgeschickt­worden­war.­Leider­war­dieses­zu­dreivier-tel­so­verschimmelt,­daß­es­nicht­einmal­die­Pferde­fraßen.­Außerdem­brachte­er­aber­auch­die­Nachricht­mit,­daß­Ismayls­Mutter­schwer­erkrankt­war.­Da­ zu­ erwarten­war,­ daß­dieser­von­unserem­Dienst­zurücktreten­wollte,­hatte­der­Ortsvorsteher­gleich­einen­neuen­Die-ner­mitgebracht,­seinen­Neffen­namens­Nasür,­einen­netten,­hilfsbe-reiten­neunzehnjährigen­Burschen,­den­wir­einfach­Nazi­nannten.­In­feierlicher­Form­wurde­der­Vertrag­auf­ihn,­„Nasür,­Bergedler­von­Be-zingi“,­überschrieben.­Natürlich­wurden­auch­die­Pferde­ausgetauscht.­Das­eine­war­eine­Stute­mit­einem­Füllen,­das­lustig­wiehernd­überall­herumsprang.

Am­15.­August­mittags­nahmen­wir­wieder­die­Rucksäcke­auf­und­wanderten­den­langen­Bezingi-Gletscher­hinauf.­Diesmal­wollten­wir­den Gestola anpacken. Ganz oben, am Anfang der Mittelmoräne, leg-ten­wir­platte­Steine­aufs­Eis,­breiteten­die­Schlafsäcke­aus­und­be-gaben­uns­bereits­um­6:00­Uhr­abends­zur­Ruh.­Nach­achtstündigem,­gesegneten­Schlaf­ging’s­bei­Laternenschein­weiter­über­einen­steilen­Lawinenkegel­hinauf,­bis­uns­der­Bergschrund­den­Weg­versperrte.­Er­war­nicht­breit,­aber­der­gegenüberliegende­Rand­war­drei­Meter­überhöht.­Nach­zwei­Stunden­Arbeit­war­das­Hindernis­überwunden,­aber­es­kostete­Arbeit.­Da­eine­Umgehung­nicht­zu­finden­war,­suchte­ich­mir­einen­guten­Stand,­und­nun­stieg­mir­Winkler­als­Leichtester­auf­ den­Kopf,­ nachdem­er­ zur­ Schonung­vorher­die­ Steigeisen­ aus-gezogen­hatte.­ Zwei­Mann­ stützten­die­menschliche­Leiter,­und­der­Fünfte­mußte­auf­herunterkommende­Steine­und­Seraks­achten.­Nun­schlug­Winkler­hoch­droben­ zwei­ Pickelhauen­ein,­ zog­ sich­ an­den­Stielen­hoch,­und­wirklich,­es­glückte.­Nicht­weniger­anstrengend­war­es­nun­für­die­anderen,­am­Seil­hochzuklettern.­Danach­ging­es­ver-hältnismäßig­sicher­auf­einer­vorspringenden­Rippe­hinauf­bis­zu­ih-rem­Ende.­Dann­hieß­es­unterhalb­eines­Hängegletschers­auf­blankes­Eis­in­eine­Mulde­hinüber­zu­traversieren.­Als­Erster­der­Dreierpartie­hieb­ich­in­fieberhafter­Eile­Stufen­ins­spröde,­glattgefegte­Eis.­Über­uns drohte der Abbruch des Hängegletschers, ungefähr 1000 Meter tief­unten­lag­ein­Chaos­zerschellter­Seraks.­Unsere­Eile­war­also­be-greiflich.­In­ständigem­Wechsel­hackten­wir­uns­dann­durch­einen­Eis-abbruch­hinauf.­Heute­würde­man­mit­den­herrlichen­12-Zackern­mit­wesentlich­weniger­Mühe­hinaufspazieren.­Mittags­war­der­Steilhang­überwunden,­ nun­ aber­ begann­ noch­ eine­ mühevollere­ Arbeit.­ Bis­

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zum­Knie­und­zum­Teil­noch­tiefer­versanken­wir­im­Schnee­und­noch­600­Meter!

Um­5:00­Uhr­erreichten­wir­die­sanfte­Mulde­zwischen­Katuintau­und­Gestola.­Nun­hatten­wir­die­Wahl,­den­einen­oder­den­anderen.­Ein­Biwak­ohne­Schlafsack,­diese­ließen­wir­unten­am­Schlafplatz,­war­uns­auf­jeden­Fall­sicher.­Wir­entschlossen­uns­für­den­Gestola,­denn­von­ihm­aus­wollten­wir­einen­neuen­Abstieg­über­den­Lialwer­hinun-ter,­Um­7:30­Uhr­abends,­gerade­als­die­Sonne­hinter­dem­mächtigen­Dom­ des­ Elbrus­ verschwand,­ betraten­ wir­ den­ 4860­Meter­ hohen­­Gipfel­des­Gestola.­Ein­überwältigender­Anblick­war­es,­all­die­eisigen­Spitzen­und­Zacken­in­blutrotem­Schimmer­zu­sehen.­Lange­standen­wir­wie­verzaubert­da­oben.­Doch­auf­einmal­war­die­ganze­Pracht­verschwunden.­Schwere­Wolkenbänke­schoben­sich­herauf.­Ein­eisi-ger­Südweststurm­jagte­uns­hinunter,­aber­die­Dunkelheit­verhinderte­sehr­bald­das­Weiterkommen.­Weit­und­breit­kein­schützender­Vor-sprung,­ keine­windstille­Mulde,­ nichts­ als­ steile­ Eishänge­ und­ glatt­­gescheuerte­ Felsplatten.­Wir­ versuchten,­ eine­ kleine­ Steinmauer­ zu­errichten,­doch­der­Sturm­riß­sie­uns­sofort­nieder.­Wir­kauerten­uns­zähneklappernd­hinter­den­Trümmern­zusammen.­Winkler­ schrieb­in­seinen­Bericht:­„Mir­war­es­wahrhaft­ein­Rätsel,­wie­hier­oben,­in­Gipfelhöhe­des­Mont­Blanc,­ein­Mensch­eine­Nacht­in­diesem­Sturmes-wüten­verbringen­konnte.“­Endlos­schien­die­Nacht,­da­glaubten­wir­einen­ rötlichen­ Schimmer­ zu­ gewahren.­ Ich­ holte­ die­ Uhr­ heraus,­10:00­Uhr!­Erst­zwei­Stunden­überstanden,­also­noch­sechs­bis­sieben­vor­uns!­Die­Lage­war­qualvoll.­Einer­nach­dem­anderen­bekam­von­der­ unnatürlichen­ Stellung­ einen­ Muskelkrampf.­ Dabei­ heulte­ der­Sturm­immer­ärger,­zwei­Batistmäntel­gingen­in­Fetzen.­Kaum­erwar-teten­wir­ das­Morgengrauen,­ so­ rannten­wir­ zähneklappernd,­ aber­frisch­ und­ fröhlich­ trotz­ der­ durchwachten­ Nacht­ zur­ nächsten­Scharte.­Auf­dem­nach­Nordwesten­ziehenden­Grat­ging­es­nun­weiter­über­Firnschneiden­und­Felszacken,­die­wir­ teils­über-­oder­umgin-gen.­ In­ schauerlicher­ Steilheit­ ging­ es­ rechts­ zum­Bezingi-Gletscher­hinunter,­und­auch­links­war­es­nicht­einladender.­Nach­einigen­Stun-den­erreichten­wir­den­4350­Meter­hohen­Lialwer.­Es­war­die­erste­Begehung dieses Grates.

Zum­Abstieg­wählten­wir­eine­steile­Felsrinne­in­der­Nordostflanke,­in­ der­wir­ zeitweise­ abfahren­ konnten.­ Das­war­wohl­ nicht­ die­ si-cherste,­aber­die­schnellste­Art,­hinunterzukommen.­Unten­ein­weiter­Sprung­über­die­Randkluft,­und­dann­waren­wir­geborgen.­In­lustigen­

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Sprüngen­von­Spalte­zu­Spalte­erreichten­wir­bald­unsere­Schlafsäcke,­und­ eine­Weile­ später­ –­ fünfzig­ Stunden­nach­unserem­Aufbruch­ –­konnte­unser­getreuer­Nazi­uns­Totgeglaubte­mit­überschwenglichen­Worten­der­Freude­die­Hände­schütteln.­Nun­hieß­es­Abschied­neh-men­von­dem­wohl­großartigsten­Teil­des­Kaukasus.­Nach­zwei­Tagen­waren­wir­wieder­in­Bezingi­bei­unserem­freundlichen­Ortsvorsteher.­Mit­einigem­Bangen­waren­wir­ins­Dorf­gekommen.­Wie­würden­die­Kranken­uns­Quacksalber­empfangen?­Aber­zu­unserer­Überraschung­und­Freude­waren­alle­gesund­geworden,­selbst­die­Fürstin­mit­ihrem­Brausepulver.­Während­die­Frauen­für­uns­buken,­saßen­wir­mit­dem­Ortsvorsteher­ums­Feuer,­der­uns­von­den­Sitten­und­Gebräuchen­der­Bergtartaren­erzählte,­von­der­Stellung­der­Frauen,­von­dem­Leben­der Hirten und noch vieles mehr.

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1915 – Einsatz in den Dolomiten und Balkanfeldzug

Am­ 5.­Juni­1915­ fuhren­ mein­ Bursch­ Frohnauer­ und­ ich­ über­ den­Brenner nach Brixen zum Generalkommando des Alpenkorps. Hier war­man­sprachlos,­wie­großartig­der­General­ in­München­ funktio-nierte;­kaum­forderte­man­einen­Offizier­an,­so­ist­er­auch­schon­da!­Mein­Vorgänger­wurde­abgelöst,­da­er­nicht­schwindelfrei­war;­nun,­das­war­ich­zum­Glück.­Nach­21:00­Uhr­ging’s­im­Auto­über­Klausen,­Waidbruck,­ wo­ wir­ eine­ Reifenpanne­ hatten,­ und­ weiter­ dem­ rau-schenden­Grödner­Bach­entlang­über­St.­Ulrich­nach­Wolkenstein.­Nur­wenn­man­zehn­Monate­in­Frankreich­lag,­kann­man­sich­das­Glücks-gefühl­vorstellen,­das­mich­packte,­als­ich­durch­diese­überwältigende­Landschaft­mit­den­wilden­Zacken­und­lieblichen­Ortschaften­bei­hel-lem­Vollmondschein­fuhr.­Um­1:00­Uhr­nachts­kamen­wir­in­Wolken-stein­an.­Kein­Mensch­war­mehr­wach;­nicht­einmal­ein­Posten­war­zu­finden!­So­gingen­wir­ins­Grand­Hotel,­fanden­drei­leere­Zimmer­für­Chauffeur, Frohnauer und mich, und schliefen herrlich in Daunen.

Der­nächste­Tag­war­ein­strahlender­Sonntag,­die­Matten­in­herr-lichem­ Grün­ und­ dahinter­ die­ Zacken­ der­ tief­ verschneiten­ Sella-gruppe!­Ich­meldete­mich­beim­Abteilungs-Kommandeur,­der­wieder­ganz­begeistert­war­über­die­Schnelligkeit­des­Generals­in­München.­Ich­wurde­ der­ 8.­Gebirgs-Kanonen-Batterie­ (Geba­8)­ als­Ordonnanz-offizier­ zugeteilt.­ Die­ Batterie­war­ halb­ bayrisch,­ halb­württember-gisch.­Mein­Batterieführer,­Herr­Hauptmann­Günther­Rüdel,­war­ein­ganz besonders lieber Mensch, mit dem ich bis zum Kriegsende in Ver-bindung­ blieb.­ Im­Herbst­ 1915­ kam­ er­ ins­ Kriegsministerium­ nach­Berlin­und­im­2.­Weltkrieg­war­er­der­Oberste­Befehlshaber­der­Flak-formationen.­Den­bayrischen­Zug­führte­Oberleutnant­Germersheim,­den­württembergischen­Oberleutnant­Muff.­ Am­Nachmittag­ ritt­ ich­auf­das­Grödner­Joch,­um­die­Wege­zu­erkunden,­abends­erhielt­ich­den­Befehl,­450­Granaten­über­das­Grödner­Joch­nach­St.­Leonhard­zu­schaffen.­Ich­rief­sofort­den­Standschützenmajor­(Abschnittskomman-deur)­an,­es­war­der­Wirt­der­Regensburgerhütte,­und­bat­ihn,­mir­am­nächsten­Morgen­25­Bauernkarren­zu­schicken.­Am­nächsten­Tag­um­5:30­Uhr­kamen­sieben­Karren;­es­mußte­also­dreimal­gefahren­wer-

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den.­Um­12:00­Uhr­kam­die­erste­Portion­am­Joch­an,­da­der­Weg­durch­die­Batterien­völlig­versperrt­war.­Da­weder­die­Leute­noch­die­Pferde­Gebirgserfahrung­hatten,­flog­ein­Geschütz­und­ein­Wagen­nach­dem­anderen­um­und­schließlich­brach­noch­eine­Deichsel.­Die­Feldküche­ging­völlig­drauf!­Da­es­mir­zu­langweilig­war,­auf­dem­Joch­stunden-lang­zu­warten,­kletterte­ich­mit­Frohnauer­auf­die­Tirschspitzen,­eine­nette­mittelschwere­Kletterei­und­kontrollierte­„von­oben“­den­Trans-port.­Wir­übernachteten­ oben­ auf­ dem­ Joch­ im­Wirtshaus,­ das­ von­Kriegsvolk­gesteckt­voll­war.

Am nächsten Tag lieferte ich meine Munition bei einem Haupt-mann­ in­ Kolfuschg­ ab­ und­ ritt­ frohgemut­ in­ unsere­ Unterkunft­ in­St.­Leonhard.­Nun­begann­mit­Macht­das­Geschützexerzieren­und­Ka-rabinerschießen,­denn­wer­wußte,­wie­bald­wir­schon­eingesetzt­wür-den.­Am­10.­Juni­ erkundete­ ich­Wege;­ unter­ anderem­über­Rittberg­nach­St.­Vigil­ im­Rautal­ zur­Feststellung,­wie­weit­ sie­ für­Gebirgsge-schütze­fahrbar­wären.­Oben­ließen­wir­die­Pferde­grasen,­doch­bald­nahmen­ diese­ Biester­ die­ Gelegenheit­ wahr,­ durchzubrennen.­ Nun­begann­eine­tolle­Jagd;­ich­glaube­so­geschnauft­habe­ich­mein­Lebtag­nicht, als ich mit Bergschuhen ungefähr 200 Meter mit den Pferden um­die­Wette­lief!­Bald­sahen­wir­ein,­daß­unsere­großen­Wagen­für­den­Gebirgsdienst­völlig­ungeeignet­waren­und­so­besorgten­wir­uns­zweirädrige­Karretten­von­den­Bauern.­Am­19.­Juni­nahm­mich­der­Regimentskommandeur­vom­Infanterie-Leib-Regiment,­Oberst­Franz­von­Epp­(der­spätere­Reichsstatthalter­von­Bayern),­im­Auto­als­artil-leristischen­ Berater­ auf­ Erkundungsfahrt­ mit.­ Der­ Weg­ führte­ uns­über­Toblach,­ Innichen­und­Sillian­nach­Kartitsch­ im­Lesachtal,­wo­Auffangstellungen­ausgesucht­wurden­für­den­Fall­eines­italienischen­Vorstoßes­ins­Pustertal.

In­ Innichen­orientierte­uns­der­österreichische­Divisions-General­Goinger­ über­ die­ Lage­ in­ seinem­ Abschnitt,­ die­ wenig­ ermutigend­war;­es­standen­ihm­für­eine­Front­von­20­Kilometer­nur­drei­Stand-schützen-Kompanien­zur­Verfügung.­Da­war­es­kein­Wunder,­daß­wir­Deutsche­von­der­ganzen­Bevölkerung­als­ „Retter“­mit­hellem­Jubel­begrüßt­wurden.­Nach­der­Besprechung­suchte­ich­noch­Geschützstel-lungen­aus­und­dann­ging’s­mit­60­bis­80­km/h­Geschwindigkeit­(da-mals­enorm­schnell)­wieder­heim.­Auffallend­war,­wie­arm­die­Bevöl-kerung­war­im­Vergleich­mit­unserer­im­Reich,­und­damals­besonders.­Es­gab­schon­lange­nur­mehr­ganz­bitteres­Maisbrot.­An­uns­wurden­sie­ leider­auch­nicht­reich,­denn­das­Quartiergeld­für­einen­Offizier­

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betrug­52­Heller,­für­einen­Mann­2­Heller,­für­ein­Pferd­3­Heller­und­einen­Wagen­0,05­Heller­pro­Tag­(100­Heller­=­1­Krone­=­60­Pfennig).

Am­20.­Juni­unternahm­ich­eine­interessante­Nacht-­und­Orientie-rungs-Übung­mit­ dem­Batterie-Trupp.­ Zwei­ Tage­ später­ gab­ es­ eine­große­Übung­mit­der­ganzen­Batterie,­wobei­die­Geschütze­zerlegt­und­auf­Pferde­verladen­wurden.­Und­am­24.­eine­gemeinsame­Übung­mit­der­Infanterie­(Leib-Regiment),­die­von­4:00­Uhr­früh­bis­spät­abends­dauerte­und­außerordentlich­lehrreich­war.­Vor­allem­zeigte­sie­uns,­daß­eine­Geba­für­eine­eilige­Verfolgung­auf­Gebirgspfaden­unbrauch-bar­ist,­da­sie­viel­zu­langsam­vorwärtskommt­und­durch­Wegverbes-serungen­enorm­aufgehalten­wäre.­Zwei­Pferde­stürzten­uns­ungefähr­40­Meter­ ab,­ ohne­ sich­merkwürdigerweise­ nennenswert­ zu­ verlet-zen. Am 21. Juni erhielt ich die Nachricht von der Verleihung des Eiser-nen­ Kreuzes­ II.­Klasse.­ In­ der­ Urkunde­ vom­ 2.­Infanterie­ Regiment­hieß­es:­ „…­und­zwar­ für­ schneidiges­Verhalten­bei­Erkundung­der­feindlichen­Stellung­und­tatkräftige­Führung­des­Fernsprechtrupps­…“.

Ein eisernes Kreuz

Am­26.­Juni­sollte­endlich­das­erste­Scharfschießen­auf­dem­Wolfsgru-benberg­ stattfinden;­ am­ Vorabend­ richteten­ wir­ uns­ eben­ für­ das­­Biwak­ein,­als­ein­Meldereiter­schweißtriefend­mit­der­Nachricht­kam:­„Batterie­ rückt­ sofort­ab,­um­bei­Sexten­ in­Stellung­zu­gehen!“­Also­schienen die Italiener nun endlich loszumarschieren, nachdem sie be-reits­am­23.­Mai­den­Österreichern­den­Krieg­erklärt­hatten.­Wir­Deut-sche­befanden­uns­in­einer­ganz­merkwürdigen­Lage,­denn­zwischen­uns­und­den­Italienern­bestand­kein­offizieller­Kriegszustand.­Es­war­also­fraglich,­ob­wir­bei­einer­Gefangennahme­als­Kombattanten­gal-ten.­ Eine­weitere­ Schwierigkeit­ bestand­ darin,­ daß­ das­ Alpenkorps­Mützen­hatte,­die­den­italienischen­sehr­ähnlich­sahen.­Um­Verwechs-lungen­zu­vermeiden,­nähten­wir­uns­weiße­Flecken­hinten­auf­die­Mützen;­bei­Rückkehr­von­Patrouillen­drehten­wir­die­Mützen­natür-lich um.

Abends­ um­ 21:00­Uhr­ kamen­wir­ nach­ Percha­ zurück­ und­mar-schierten­am­nächsten­Tag­um­5:00­Uhr­über­Niederndorf­nach­Sex-ten.­Inzwischen­war­ich­mit­dem­Major­im­Auto­vorausgefahren­um­Batterie-Stellungen­zu­erkunden.­Der­württembergische­Zug­(zwei­Ge-schütze)­wurde­ ganz­ versteckt­ an­ einen­Waldrand­ gestellt,­ und­der­

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bayrische­auf­die­wundervolle­Rotwandwiese­(2000­Meter­hoch),­die­über­und­über­mit­Trollblumen,­Braunellen,­Enzian­und­Alpenrosen­übersät­war;­dabei­hatte­man­einen­herrlichen­Rundblick­auf­die­Drei-schusterspitze,­Rotwand­und­Trabanten.­Später,­als­uns­die­Italiener­auf­der­Wiese­entdeckten,­stellten­wir­die­Geschütze­an­den­äußersten­Rand­einer­Felswand,­die­zum­Fischleintal­abbrach­und­waren­damit­praktisch­nicht­zu­fassen.­Kurzschüsse­gingen­in­den­Vorderhang­und­Weitschüsse­flogen­über­uns­ins­Tal.­So­schön­die­Stellung­war,­so­war­sie­ doch­ etwas­ heikel,­ da­wir­ vor­ der­Hauptstellung­ lagen­und­nur­­wenig­Infanterie­vor­uns­im­Talgrund­hatten.­Als­Beobachtungsstelle­suchte­ich­eine­Felsnase­(2300­m)­von­der­man­einen­herrlichen­Über-blick­hatte;­als­ich­sie­meinem­Batteriechef­Herrn­Hauptmann­Rüdel­vom­Tal­aus­zeigte,­erklärte­er,­da­werde­er­nie­hinauf­können.­Unter­meiner­Führung­ging’s­ganz­gut;­und­einmal­oben,­blieb­er­tagelang­droben,­so­begeistert­war­er­von­diesem­Fleckerl­Erde.­Abends­mel-dete­ich­mich­bei­dem­österreichischen­Artillerie-Kommandeur,­dem­die­Batterie­unterstand.­Etwas­ungewohnt­für­uns­war­das­„Duzen“­in­der­österreichischen­Armee­–­„Du,­Herr­Oberst“.­In­Sexten­wohnte­ich­im­ Haus­ von­ Sepp­ Innerkofler,­ dem­ bekannten­ Bergführer,­ einem­prächtigen Menschen, mit dem ich später eine feine Patrouille machte.

Am­27.­Juni­um­4:30­Uhr­stieg­ ich­mit­österreichischen­Zivilarbei-tern­ (Bosniaken)­zur­Rotwandwiese­an,­um­einen­vom­Feind­unein-gesehenen­Weg­vom­Fischleintal­zu­den­Geschützen­festzulegen.­Auf­diese­Weise­ konnte­man­dann­bis­ zur­ Stellung­ reiten,­was­ sehr­ an-genehm­war­und­ von­dort­ zu­ Fuß­ zur­Beobachtungsstelle­ oder­ auf­Patrouille­weiter­gehen.­Übernachtet­habe­ ich­ immer­ in­Sexten.­Als­ich,­wie­ ich­es­ immer­tat,­zwei­Stufen­überspringend­die­Treppe­hi-nunter­lief,­sagte­Innerkofler­zum­Frohnauer,­der­bei­ihm­in­der­Stube­saß:­„Dös­is­a­richtiger­Bergsteiger,­dös­hört­ma­glei.“

Am­28.­Juni­stieg­ich­wieder­zur­Beobachtungsstelle­und­erkundete­von­dort­die­vordersten­Infanterieposten;­dann­lief­ ich­wieder­nach­Sexten­und­stieg­um­17:00­Uhr­mit­zehn­Mann­und­Telefongerät­Kabel­legend­zur­Beobachtungsstelle­und­weiter­zum­Vorposten,­so­daß­wir­nun­Verbindung­von­Bad­Moos­über­Batterie,­Beobachtungsstelle­bis­zum­Vorposten­hatten.­Um­3:30­Uhr­in­der­Früh­kehrten­wir­zurück.­Eine­gehörige­Arbeit­mit­netter­Kletterei.­Die­armen­Kerle­waren­teil-weise­ so­müd,­ daß­ sie­mir­ unterwegs­ einschliefen­ (eine­ Kabelrolle­hatte­20­Kilogramm).­Am­nächsten­Tag­um­6:00­Uhr­früh­stieg­ich­mit­meinem­Hauptmann­wieder­zur­Beobachtungsstelle,­da­die­Telefon-

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leitung­nicht­richtig­funktionierte.­Meine­Telefonisten­waren­zu­müde.­Wir,­wie­auch­andere­Formationen,­hatten­viele­Herzkranke,­auch­bei­den­Pferden.­Sie­alle­gingen­viel­zu­schnell.­Mein­Reitpferd,­ein­schö-ner,­kräftiger­Rappe,­war­manchmal­voll­Blut­von­aufgesprungenen­Adern.­Am­Nachmittag­schoß­sich­ein­Zug­auf­verschiedene­Ziele­ein.­Die­Geschoßwirkung­war­nicht­sehr­groß.­Vor­allem­aber­war­die­Ge-schoßgeschwindigkeit­ so­ gering,­ daß­der­Abschußknall­ vor­ den­Ge-schossen­ankam,­so­daß­der­Gegner­Zeit­hatte,­in­Deckung­zu­gehen.­Bei­den­italienischen­Geschützen­war­dies­zum­Glück­ebenso.

Am­30.­Juni­machte­ich­eine­denkwürdige­Erkundung­mit­Sepp­In-nerkofler.­Zweck­war,­heraus­zu­bekommen,­wo­italienische­Batterien­standen­und­wie­viel­ Infanterie­ im­Gebiet­der­Arzalm­ lag.­Da­unter­Umständen­ein­Überfall­beabsichtigt­war,­bestand­die­Patrouille­aus­einem­ österreichischen­ Oberleutnant­ mit­ neun­ Mann,­ einem­ Leut-nant­und­drei­Mann­vom­Infanterie-Leib-Regiment,­dem­Innerkofler­und mir. Nach eingehenden Beobachtungen vom Elfer Nordgrat auf das­Büllele-Joch,­den­Paternkofel­etc.­biwakierten­wir­auf­der­Ander-ten-Alm.­Am­nächsten­Tag­stiegen­wir­durch­die­Eisrinne­zur­Sentinel-la-Scharte.­Da­wir­nicht­wußten,­ob­sie­besetzt­war­(von­Süden­ist­sie­viel­leichter),­kletterte­Innerkofler­seitlich­in­die­Wände­und­legte­sich­mit­seinem­Zielfernrohrgewehr­auf­die­Lauer,­falls­ein­„Katzlmacher“­seinen­Kopf­vorstrecken­sollte.­Sie­war­aber­nicht­besetzt.­Ein­Zettel­meldete­uns­die­heroische­Tat,­daß­im­Mai­eine­italienische­Patrouille­oben­war.

Von­der­Scharte­hatten­wir­einen­herrlichen­Blick­auf­Padola­und­die­ganze­Umrahmung­der­Arzalm.­Ungefähr­800­Meter­von­uns­ent-deckten­wir­ ein­ Zelt.­ Als­Morgengruß­ schickten­wir­ unseren­ lieben­Bundesgenossen­eine­blaue­Bohne­ins­Zelt,­worauf­fünf­Kerln­wie­aus­der Pistole geschossen heraussausten und hinter einem Felsblock ver-schwanden.­Wir­dachten­schon­daran,­die­Burschen­einzufangen,­da­kam­aus­dem­Tal­eine­Ablösung­von­50­Mann­und­ebenso­viele­aus­der­Umgebung.­Da­war­natürlich­nichts­zu­machen.­Da­sich­die­Italiener­ruhig­verhielten,­setzten­wir­zu­viert­unsere­Erkundung­fort;­die­übri-gen­blieben­auf­der­Scharte,­um­unsern­Rückzug­zu­decken.­Wir­vier­traversierten­auf­den­Bändern­der­Elfer­Ostwand,­bis­wir­hinter­die­italienischen­ Stellungen­ sehen­ konnten,­ und­ fertigten­ Skizzen­ an.­Kaum­hatten­wir­den­Rückweg­angetreten,­ging­ein­Schnellfeuer­auf­uns­los,­daß­es­nur­so­zischte­und­surrte.­Zum­Glück­schossen­sie­nur­mit­Gewehren;­eine­Batterie­stand­offenbar­nicht­zur­Verfügung,­sonst­

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wäre­ es­uns­ schlecht­ gegangen.­Die­Unseren­ auf­ der­ Scharte­ gaben­ganze­ Salven­ auf­ die­ Italiener­ ab,­ worauf­ sich­ diese­ für­ Momente­duckten.­Diese­Pausen­benützten­wir,­um­mit­affenartiger­Geschwin-digkeit­zum­nächsten­Riß­zu­klettern,­oder­wir­legten­uns­platt­auf­die­Bänder.­Die­Schüsse­und­Steine­prasselten­nur­so­um­uns.­Bald­sprang­der­eine­auf,­dann­der­andere;­20­bis­30­Minuten­dauerte­diese­Jagd.­Zum­Schluß­mußten­wir­noch­ein­ungefähr­150­Meter­breites­offenes­Schneefeld­ im­Laufschritt­queren!­Die­Zunge­hing­uns­heraus,­ aber­dann­waren­wir­ alle­ vier­ wohlbehalten­ bei­ den­ Unseren.­ Ein­ paar­fröhliche­Jodler­kündeten­den­Wälschen,­daß­sie­nichts­getroffen­hat-ten.­Um­11:30­Uhr­ging’s­vergnügt­heim.­Eines­hatten­wir­erkannt:­Un-sere­ Batterie­ und­ Beobachtungsstelle­mußten­ unbedingt­ Infanterie-­Schutz­ bekommen,­ da­ sie­ in­ ein­ bis­ zwei­ Stunden­ auf­ keineswegs­schwieriger­Route­zu­erreichen­waren.­Abends­gab’s­in­Sexten­Forel-len­und­eine­fröhliche­Feier.

Der­2.­Juli­war­endlich­einmal­ein­Rasttag.­Das­ganze­militärische­Leben­spielte­sich­in­dem­Gasthaus­zur­Post­in­Sexten­ab,­in­dem­alle­Offiziere­aßen,­der­österreichische­Oberst­sein­Büro­hatte­und­in­dem­die­Telefonzentrale­untergebracht­war.­Als­mir­der­Oberst­eines­Tages­freudestrahlend erzählte, er bekomme jetzt eine deutsche Lang rohr-Batterie,­mit­der­er­nach­Santo­Stefano­hinüberschießen­könne,­teilte­ich­ keineswegs­ seine­ Freude.­ Ich­ wußte­ ja­ vom­ Stellungskrieg­ in­Frankreich,­ daß­ solche­ Schießereien­ immer­ auf­ Gegenseitigkeit­ be-ruhten.­Ich­prophezeite­ihm,­es­würde­sicher­nicht­lange­dauern,­bis­Sexten­beschossen­würde;­ aber­ er­ glaubte­ es­mir­nicht.­Der­ in­Bad­Moos­ stehende­österreichische­30,5­cm-Mörser­konnte­nicht­ so­weit­schießen.­Anfang­August­–­ich­lag­damals­im­Roten­Kreuz­Lazarett­in­München­–­war­es­dann­ so­weit.­Die­ Italiener­hatten­auch­ schwere­Geschütze­aufgefahren;­wie­der­Zufall­es­will,­ging­der­erste­Schuß­in­das­Gasthaus­zur­Post.­Die­treue­Kathi,­die­Kellnerin,­war­tot,­die­Tele-fonzentrale­war­zerstört,­und­bald­brannte­ganz­Sexten­ab.­Ein­Jam-mer!­Natürlich­war­gar­nichts­vorbereitet,­so­daß­das­Telefon­tagelang­nicht­funktionierte­–­echt­österreichisch.

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Der Kampf um die Sextner Rotwand

Am­3.­Juli­führte­ich­eine­Patrouille­auf­die­Sextner­Rotwand­(2966­m),­um­die­Leute­vom­Leib-Regiment,­die­unsern­Schutz­übernehmen­soll-ten,­über­die­Lage­zu­orientieren­und­ihnen­die­Kletterrouten­zu­zei-gen.­Damals­sah­ich­so­recht,­wie­gut­es­war,­daß­ich­so­viele­große­Bergtouren­gemacht­hatte.­Stellen,­die­mir­leicht­vorkamen,­boten­den­anderen­ernste­Schwierigkeiten.­Am­4.­Juli­erkundete­ich­eine­Batte-rie-Stellung­auf­dem­Seikofel,­um­eventuell­ein­italienisches­Lager­be-schießen­ zu­ können.­ Am­Nachmittag­ durcheilte­ Sexten­ die­ Trauer-kunde­von­dem­Tod­des­braven­Sepp­Innerkofler­auf­dem­Paternkofel.

Sechs­Wochen­nach­der­Kriegserklärung­hatten­die­Italiener­end-lich den Einbau ihrer Artillerie beendet und legten los, mit Kalibern von­der­Gebirgsspritze­bis­zu­28­cm-Mörsern.­Am­5.­Juli­bekamen­wir,­das­heißt­unser­württembergischer­Zug,­die­ersten­schweren­Brocken­zu­spüren.­Sieben­Schuß­setzten­sie­zwischen­und­um­die­Geschütze­herum,­jedoch­ohne­Schaden­anzurichten.­Die­Mannschaft­trat­natür-lich­ab,­so­daß­auch­niemand­verletzt­wurde.­Wir­sahen­von­der­Beob-achtungsstelle­dieses­schauerlich­schöne­Schauspiel­an,­wie­bei­jedem­Schuß­Erde,­Steine,­Balken­und­Baumstämme­in­die­Luft­flogen.­Wir­waren­in­ernstester­Sorge­um­unsere­Leute­und­Geschütze.­Da­das­Te-lefon­gestört­war,­eilte­ich­nach­der­Beschießung­im­Eiltempo­hinun-ter­und­freute­mich,­wie­genau­die­Wälschen­ihre­Schüsse­neben die Kanonen­setzten.­Selbstverständlich­zogen­wir­sofort­aus­und­bauten­eine­neue­Stellung­auf­der­Rotwandwiese,­wo­nun­alle­vier­Geschütze­standen.­Mit­schweren­Brandgranaten­schossen­die­Gegner­auf­unsere­Infanteriestellungen­im­Hochwald;­dann­loderten­jedes­Mal­mächtige­Tannen­wie­riesige­Fackeln­gegen­den­Himmel.­Allmählich­wurde­es­immer­unruhiger;­dauernd­rollte­der­Donner­der­Geschütze,­der­sich­vielfach­an­den­Felswänden­brach.­Wenn­die­ schweren­Festungsge-schütze­am­Innergsell­schossen,­gab’s­achtfaches­Echo­und­lange­nach­dem­Schuß­rollte­es­noch­dumpf­weiter.

Fast­ täglich­hatten­wir­Hochgewitter,­aber­wenn­der­Herrgott­zu­donnern­anfing,­dann­stellten­wir­Menschlein­unseres­ein;­er­konnte­es­ halt­ doch­ noch­ viel­ besser.­ Der­ österreichische­ Bergführer­ und­ich­wechselten­täglich­mit­unseren­Patrouillen­ab.­Auf­diesen­mitge-hen­zu­dürfen,­war­das­höchste­Glück­unserer­Kanoniere;­beziehungs-weise­nicht­mitgenommen­zu­werden,­die­schwerste­Strafe.­Allmäh-lich­sprangen­wir­von­Fels­zu­Fels­und­fuhren­auf­steilen­Schneehängen­

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ab­wie­ junge­ Gemsen.­ Oft­ sagten­wir:­ Von­ uns­ aus­ kann­ der­ Krieg­noch­ lange­dauern!­Um­die­ italienische­Artillerie­besser­bekämpfen­zu­können,­erkundete­ ich­am­13.­Juli­eine­Geschützstellung­auf­dem­Rotwand-Nordgrat­ (2671­m),­ von­ der­man­ sowohl­ auf­ das­ Drei-Zin-nen-Plateau­ wie­ auf­ den­ Kreuzbergsattel­ schießen­ konnte.­ Abends­noch­stellte­ich­den­Antrag­bei­dem­österreichischen­Artillerie-Kom-mandeur.

Am­15.­führte­ich­eine­Patrouille­auf­den­Elfer­Nordgrat,­die­Sen-tinella-Scharte­und­Rotwand-Scharte­aus,­um­mich­über­die­momen-tane­ Lage­ zu­ vergewissern.­ Zur­ Batterie­ zurückgekehrt,­ erfuhr­ ich,­daß­unser­Antrag,­da­zu­gefährlich,­abgelehnt­worden­war.­Am­nächs-ten­ Tag­ lief­ ich­ gleich­ nach­ Sexten­ hinunter,­ um­ unseren­Wunsch­doch­noch­durchzudrücken.­Tatsächlich­gelang­es­mir,­die­Erlaubnis­zu­bekommen­und­mehr­noch,­ ich­bekam­ sofort­ 85­Bosniaken­ zum­Wegbau­ sowie­ ein­ Maschinengewehr­ und­ 21­Mann­ zur­ Besetzung­der­Sentinella-Scharte,­unter­der­der­Geschütztransport­durchführen­sollte.­Am­17.­Juli­begannen­wir­mit­dem­Wegbau­zur­Anderten-Alm­und­ der­ Anlage­ eines­ Felsensteiges­ vom­ Schneefeld­ zum­ Rotwand-­Nordgrat.­ Noch­ in­ der­ gleichen­ Nacht­ (17./18.)­ brachen­ wir­ um­2:00­Uhr­mit­einem­Geschütz­von­der­Rotwandwiese­auf.­Da­der­Weg­vom­Feind­einzusehen­war,­mußten­wir­bei­Nacht­losziehen.­Es­reg-nete­und­stockfinster­war’s;­kein­Wunder,­daß­die­Pferde­stolperten­und­ stürzten.­ Zwei­ mußten­ wir­ mit­ gebrochenem­ Genick­ im­ Glet-scherbach liegen lassen.

Mit­Tagesgrauen­erreichten­wir­das­Schneefeld.­Nun­wurde­das­Ge-schütz,­das­bisher­zerlegt­von­Pferden­getragen­wurde,­zusammenge-setzt­und­auf­einen­Schlitten­verladen.­Völlig­durchnäßt­und­zitternd­vor Kälte standen die Leute herum und schauten mit besorgten Bli-cken­hinauf,­als­ich­ihnen­zeigte,­wo­das­Geschütz­hinauf­sollte.­Zum­Glück­ kam­ allmählich­ die­ Sonne­ durch.­ Eine­ schwere­ Eisenstange­wurde­in­den­Schnee­gestoßen­und­mit­Hilfe­eines­Flaschenzuges­zo-gen­nun­20­bis­25­Mann­den­Schlitten­über­das­steile­Schneefeld­hoch.­An­der­steilsten­und­engsten­Stelle­löste­sich­plötzlich­hoch­über­uns­eine­Steinlawine­und­stürzte­durch­das­Couloir­auf­uns­zu.­Die­Stein-brocken­sausten­nur­so­zwischen­uns­durch,­aber­wunderbarerweise­gab’s­ nur­ einen­ Leichtverwundeten.­ Am­ Felsensteig­ angekommen­(11:00­Uhr,­ca.­2500­m)­ legten­wir­das­Geschütz­wieder­auseinander­und­ transportierten­ die­ einzelnen­ Teile,­ von­ denen­ das­ schwerste­110­Kilogramm­wog,­auf­Tragen­weiter­(je­zwei­Mann).­An­der­heikels-

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ten­Stelle,­einer­Traverse­an­einer­Felswand,­mußten­15­Leute­wegen­Schwindels­zurückgeschickt­werden.­Da­mir­die­Geschichte­zu­riskant­war,­trugen­der­österreichische­Bergführer­und­ich­die­einzelnen­Stü-cke­über­dieses­unangenehme­Wegstück­hinüber;­wäre­nämlich­ein­einziges­Stück­hinuntergeflogen,­wäre­das­ganze­Geschütz­unbrauch-bar­gewesen.­Dann­folgten­leichtere­Stellen­über­Schnee­und­Geröll.­An­einer­kleinen­Klamm­wurden­die­Teile­ungefähr­fünf­Meter­abge-seilt.­Um­17:00­Uhr­stand­das­Geschütz­auf­seinem­Platz­(ca.­2700­m).­In­fünfzehn­Stunden­hatten­wir­es­geschafft;­fürwahr­eine­Glanzleis-tung.

Geschütztransport zur Sentinella-Scharte an der Sextner-Rotwand (1915)

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Während der Nacht trugen unsere braven Leute Granaten herauf. Je-der­trug­vier­Stück,­zwei­in­den­Hosentaschen­und­zwei­in­den­Rock-schößen.­Um­4:00­Uhr­früh­legte­ich­noch­eine­Telefonleitung­und­um­6:30­Uhr­flogen­die­ersten­Granaten­in­die­italienischen­Unterstände­am­Büllele-Plateau.­Wie­die­Wespen­sausten­die­Wälschen­heraus­und­wußten­gar­nicht,­woher­sie­beschossen­wurden,­denn­sie­suchten­De-ckung­gegen­den­Toblinger­Riedl­(Norden)­statt­gegen­Osten.­Am­Nach-mittag­ drehten­ wir­ unsere­ Kanone­ um­ 180­Grad­ und­ schossen­ auf­ italienische Kolonnen, die zum Kreuzbergsattel hinauffuhren. Auch diese­waren­höchst­erstaunt,­plötzlich­Feuer­zu­bekommen.

Erst rechts, dann links: Der nächste Knöchelbruch

Am­20.­machte­ich­Rasttag,­schon­wegen­meiner­Finger,­die­durch­das­scharfe­Gestein­aufgerissen­waren­und­eiterten.­Am­21.­stieg­ich­wie-der­hinauf­zur­Stellung­und­legte­einen­Rückzugsweg­für­das­Geschütz­fest,­für­den­Fall­einer­Besetzung­der­Sentinella-Scharte­durch­die­Ita-liener.­Abseilblöcke­wurden­mit­roter­Farbe­markiert­und­wenn­nötig,­wurde­mit­Hammer­und­Meißel­nachgeholfen.­Am­nächsten­Tag,­dem­27.­Juli,­erkundete­ich­eine­Stellung­für­ein­zweites­Geschütz.­Beim­Ab-stieg­von­der­Beobachtungsstelle­über­eine­steile­Wiese,­knickte­plötz-lich­der­linke­Fuß­um,­wohl­infolge­Übermüdung,­es­knackte­und­der­Knöchel­war­ gebrochen!­Acht­Leiber­ trugen­und­ schleiften­mich­ in­zwei­Stunden­ins­Tal,­wo­bereits­das­Sanitätsauto­stand.­Abends­lag­ich­bereits­nach­einer­wilden­Fahrt­im­Lazarett­in­Bruneck.

Nun­war­die­schöne­Zeit­ in­den­Dolomiten­und­vorerst­auch­der­Krieg­für­mich­vorbei.­

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Schreibmaschinentext
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1919 – Eintritt in die Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektrochemische Industrie,

Burghausen

Zu­ Hause­ angekommen,­ erzählte­ Vater,­ kaum­ sei­ ich­ abgefahren,­habe Direktor Hess der Firma Dr. Wacker Gesellschaft angerufen, jetzt hätte­er­einen­Posten­ für­mich.­ Ich­war­ganz­ traurig­und­ärgerlich,­denn­ich­wäre­natürlich­viel­lieber­im­Land­geblieben!­Vater­meinte,­ich­solle­auf­alle­Fälle­zu­Hess­gehen,­man­wüßte­nie,­für­was­etwas­gut ist.

So­begab­ich­mich­in­die­Karlstraße­10­ins­Büro­der­Dr.­Alexander­Wacker­ Gesellschaft.­ Als­ Dir.­ Hess­ hörte,­ daß­ ich­ in­ Ludwigshafen­noch­nicht­anfangen­könne,­schlug­er­mir­vor,­so­lange­bei­Wacker­zu­arbeiten,­bis­die­Einreiseerlaubnis­vorliege.­Da­ich­mich­an­die­BASF­gebunden hatte, frug ich dort an, ob sie mit dem Vorschlag von Dir. Hess einverstanden­wären.­ Als­ die­ telegrafische­ Zusage­ kam,­wurde­ der­1. März als Arbeitsbeginn bei Wacker vereinbart. Auf Wunsch von Emma­bat­ich­um­Verwendung­in­Burghausen.­Zu­Haus­stellte­Mutter­die­Emma­natürlich­gleich­an,­wie­sie­dies­meisterhaft­verstand,­das­Geländer­ des­ Stiegenhauses,­ die­ Bilder­ etc.­ abzustauben,­ und­ sich­auch­sonst­nützlich­zu­machen.­Da­diese­Tätigkeit­Emma­nicht­ son-derlich­anregte,­zog­sie­es­vor,­wieder­Collegs­auf­der­Uni­zu­besuchen.­Die­Freundinnen­waren­natürlich­sehr­überrascht­und­meinten,­die­Ehe­sei­bereits­in­die­Brüche­gegangen.

Trotz­aller­erdenklicher­Pflege­starb­am­13.­Februar­das­kleine­Her-männchen­von­Otto­und­Elsie­mit­fünf­Jahren­an­Leukämie.­Es­war­ein­selten­lieber­Kerl,­unvergesslich­blieb­mir­das­überglückliche­Gesichtl,­als er einmal bei einem Karussell auf einem Pferd sitzen durfte, so als ob’s­die­höchste­Seligkeit­auf­Erden­wäre.­Die­strahlenden­Augen­und­der­blonde­Schopf­waren­einfach­entzückend.­Arm,­so­früh­sterben­zu­müssen!

Am 27. Februar reisten Emma und ich mit all unseren Habseligkei-ten nach Burghausen und stiegen im Hotel zur Post ab. Wie die meis-ten­Bayern­hatten­wir­vorher­nie­etwas­von­Burghausen,­dem­alten,­verschlafenem­Salzachstädtchen­gehört.­Als­wir­mit­unseren­Koffern­vom­alten­Bahnhof­stadteinwärts­pilgerten­–­Fuhrwerk­gab’s­keins­–

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und­die­vielen­Türme­der­Burg­sahen,­waren­wir­trotz­des­unfreund-lichen Wetters ganz begeistert.

Burghausen im Jahr 1928

In­Burghausen­war­ganz­große­Wohnungsnot.­Durch­die­im­Krieg­er-richtete­Fabrik­und­den­Bau­des­Alzkanals­waren­sehr­viele­Leute­her-gezogen.­Auf­ dem­Magistrat­ vertröstete­man­mich­ auf­ einige­ Jahre.­Schließlich­meinte­der­Beamte,­ich­könnte­es­bei­der­Augentalerin­pro-bieren.­Die­Augentalerin­war­eine­dicke­alte­Frau­mit­einem­riesigen­Kropf.­ Sie­ hatte­ eben­ ihren­ Mietern­ gekündigt,­ da­ diese­ auf­ ihren­Mahagonitisch­ nicht­ aufpaßten,­ und­ nun­ wolle­ sie­ niemand­ mehr­nehmen.­ Eine­ halbe­ Stunde­ bearbeiteten­ wir­ sie­ und­ versicherten,­wir­hätten­zu­Haus­auch­schöne­Möbel­und­könnten­mit­solchen­gut­umgehen,­da­gab­sie­uns­„die­Wohnung“.­Nun,­überwältigend­groß-artig­war­sie­nicht;­eine­Wohnküche­und­ein­winziges­Kammerl,­das­war­alles.­Die­Türe­war­so­niedrig,­daß­man­sich­bücken­mußte,­aber­wir­waren­glückselig­und­die­Lage­mit­dem­Blick­auf­die­Stadt­und­die­ Salzach­ war­ einfach­ entzückend.­ Die­ kleine­ Wohnküche­ hatte­­einen­Meter­dicke­Mauern,­war­also­gut­ zu­heizen,­was­damals­gar­

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nicht­hoch­genug­zu­schätzen­war.­Der­Boden­war­schräg,­so­daß­sich­alle heruntergefallenen Gegenstände in einem Eck vereinten. Herd, Schreib­tisch­ (ein­kleines­Tischerl­auf­einem­kleinen­Podest),­ Speise-schrank­ und­ Esszimmertisch­waren­ von­ der­Mitte­ des­ Raumes­mit­dem Arm erreichbar, man sparte also Wege. Man brauchte keinen We-cker,­denn­die­Dachln­in­den­Turmnischen­machten­in­der­Früh­einen­solchen­Radau,­daß­ein­Verschlafen­nicht­zu­befürchten­war.­Wir­fühl-ten­uns­sehr­behaglich­und­glücklich­in­diesem­Turmstüberl.

Das Ehepaar Gruber 1919 im „Augentalerturm“ auf der Burghauser Burg

Einmal,­ als­ ein­ Gewitter­ im­Anzug­war,­ suchte­ ich­ Emma­mit­ dem­Feldstecher­ auf­ dem­ Stadtplatz­ und­warf­ ihr,­ als­ sie­ den­ Burgberg­ heraufkam, kurz vor dem Platzregen den Regenschirm hinunter. In der­ersten­Nacht­heulte­ein­furchtbarer­Sturm,­wie­wir­meinten.­Ich­schaute­beim­Fenster­hinaus,­doch­es­rührte­sich­kein­Zweiglein.­Nun­horchte­ich­beim­Stiegenhaus,­da­hörte­ich­bekannte­Töne­–­die­alte­Augentalerin­sang­das­„Kropflied“.­Die­Arme­konnte­schon­seit­Jahren­in­keinem­Bett­mehr­schlafen.­Nacht­für­Nacht­saß­sie­in­einem­Lehn-stuhl im Flur, um Luft zu bekommen. Meine Emma hatte die Alte

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gleich­ins­Herz­geschlossen­und­gab­ihr­allerlei­gute­Ratschläge.­Unter­anderem­brachte­sie­ihr­das­Brotbacken­bei,­wobei­sie­sich­zunächst­einmal­in­die­Hände­spuckte,­weil­es­sonst­nicht­glücke.­Sie­war­über-haupt­ eine­ „Unschuld“­ vom­ Lande.­ Ihre­ fünf­ Kinder­ hatte­ sie­ von­ebenso vielen Männern, nur die Ehe mit ihrem angetrauten Mann blieb kinderlos.

Groß­waren­meine­ Erwartungen,­ als­ ich­ am­ 1.­März­1919­ in­ das­Werk­hinaus­radelte,­das­zweieinhalb­Kilometer­entfernt­hinter­einen­Wald­versteckt­lag.­Zwischen­dem­Glöcklhofer­Gasthof­und­dem­Werk­standen­damals­nur­fünf­Häuser!

Das Werk Burghausen der Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektro-chemische Industrie 1920

Mit­meinem­–­vorerst­ interimsweisen­–­Eintritt­ in­die­Dr.­Alexander­Wacker­Gesellschaft­für­elektrochemische­Industrie­begann­der­dritte­Lebensabschnitt.­Wenn­er­auch­nicht­so­turbulent­und­gefahrvoll­war­wie­ der­ zweite,­ so­ ließ­ er­ an­An-­ und­Aufregungen,­ an­ Vielfalt­ der­­Aufgaben,­an­Verantwortungsfülle,­an­Freud­und­Leid­im­Beruf­und­in­der­Familie­nichts­zu­wünschen­übrig.

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Die Geschichte der Dr. Alexander Wacker Gesellschaft

Zunächst­ein­Blick­die­Geschichte­der­Gesellschaft­und­ihres­Gründers,­des Geheimen Kommerzienrates Dr. phil. h. c. und Dr. jur. h. c. Alexan-der­Ritter­von­Wacker.­Alexander­wurde­acht­Monate­nach­dem­Tod­seines­Vaters,­am­29.­Mai­1846­in­Heidelberg­geboren.­Nach­der­Mit-telschule machte er eine kaufmännische Lehre durch und betätigte sich­als­Kaufmann­in­der­Textilbranche.­1875­übernahm­er­die­Füh-rung einer Werkzeug-, Maschinen- und Gasmotorenfabrik, die er nach kurzer­Zeit­hochbrachte.

1877­lernte­er­Sigmund­Schuckert­kennen,­der­seit­1875­Dynamos­für­Beleuchtungs-­und­Kraftübertragungszwecke­in­einer­verhältnis-mäßig­kleinen­Werkstätte­anfertigte.­1879­übernahm­Wacker­die­Ge-neralvertretung­von­Siegmund­Schuckert­für­Nord-­und­Mitteldeutsch-land.­Auf­Drängen­von­Schuckert­trat­er­1883­als­Teilhaber­der­offenen­Handelsgesellschaft­in­Nürnberg­ein.­1883­erstellte­die­Firma­Schuckert­die­ elektrische­ Industriebahn­ bei­ Steinbeis­ &­ Co.­ in­ Brannenburg.­­Einige­Jahre­später­fuhr­die­erste­elektrische­Straßenbahn­zwischen­Schwabing­und­Ungererbad­in­München.­1885­wurde­die­Herstellung­von­Parabolspiegeln­für­elektrische­Scheinwerfer­aufgenommen.­Bei­der­nun­einsetzenden­stürmischen­Entwicklung­der­Elektro-Industrie­erwies­sich­Alexander­Wacker­als­hervorragender­Finanzmann.­1887­wurden­die­Elektrizitätswerke­in­Lübeck­und­im­Freihafen­Hamburg­erstellt,­denen­Jahr­für­Jahr­weitere­Werke­folgten.

1892­trat­Sigmund­Schuckert­wegen­einer­Nervenerkrankung­von­der­Geschäftsleitung­zurück,­die­nun­Alexander­Wacker­allein­besor-gen­mußte.1893­wurde­er­Generaldirekter­der­Elektrizitäts­AG­vorm.­Schuckert­&­Co­ (EAG).­Von­1890­ ab­ lieferte­ Schuckert­ große­Gleich-strommaschinen­für­die­elektrochemische­Industrie­nach­Griesheim,­später­nach­Bitterfeld­und­nach­Spanien.

In Voraussicht der Bedeutung der Elektro-Chemie schuf Alexander Wacker­1896­ein­elektrochemisches­Laboratorium­ in­Nürnberg,­das­sich­ sehr­ intensiv­ mit­ der­ Herstellung­ von­ Calciumcarbid­ befaßte.­Auf­Grund­dieser­Arbeiten­konnte­die­Schuckert-Gesellschaft­die­Lie-ferung­ der­ Einrichtungen­ der­ drei­ größten,­ damals­ projektierten­­Karbidfabriken­übernehmen­und­bis­1899­in­Betrieb­setzen­(1.­Werk:­Gampel im Wallis der Lonza AG, 2. Werk: Jajce der Bosnischen Elektri-zitäts­AG­ (Elektrobosna),­3.­Werk:­Hafslund­ in­Norwegen).­Der­Kon-sum­an­Karbid­folgte­aber­nicht­so­rasch­dem­Anwachsen­der­Produk-

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tion­der­entstandenen­Werke­und­so­häuften­sich­gewaltige­Vorräte­an.­Man­hatte­mit­einer­ganz­großen­Verbreitung­der­Acetylenbeleuch-tung­namentlich­auf­dem­Lande­gerechnet,­doch­verschiedene­schwere­Unglücksfälle,­ aber­ auch­ das­ Aufkommen­ des­ elektrischen­ Lichtes­stellten sich dem entgegen.

Es­ folgten­ Jahre­ schwerer­ Sorgen­ für­die­ junge­Karbid-Industrie.­Die­Schuckert­AG­mußte­auch­finanziell­den­Fabriken,­deren­Einrich-tung sie geliefert hatte, helfen. Die Werke gingen nach und nach ganz in­ihren­Besitz­über.­Da­aber­der­Betrieb­auf­einem­so­fern­liegenden­Gebiet­ wie­ die­ Karbiderzeugung­ der­ Schuckert-Gesellschaft­ nicht­wünschenswert­erschien,­wurden­diese­Engagements­von­Alexander­Wacker­und­Herrn­Maffei­übernommen.

Alexander Wacker schied 1902 als Generaldirektor aus der EAG vorm.­Schuckert­&­Co­aus,­um­in­den­Aufsichtsrat­dieser­Gesellschaft­einzutreten.­Er­widmete­sich­nun­mit­Dr.­Koller­und­Herrn­Rosenbaum­(Wien)­ausschließlich­den­elektrochemischen­Werken­und­brachte­sie­zu­einer­ganz­großen­Blüte.

Die ELH Gruppe (Elektrobosna – Lonza – Hafslund), kurz Wacker- Konzern­ genannt,­ eroberte­ sich­ eine­Weltstellung.­ Sie­ arbeitete­ vor­dem­ 1.­Weltkrieg­mit­ 120­000­PS.­ Durch­ Zukauf­ kamen­ zur­ Elektro-bosna­das­Karbidwerk­Lechbruck,­1904­Matrei­am­Brenner­und­Töll­bei­ Meran­ (Ferrosilizium).­ 1908­ baute­ sie­ in­ Brückl­ (Kärnten)­ eine­Chlor-Alkali-Elektrolyse­nach­dem­Billiter-Siemens-Verfahren.

Aus­ dem­ elektrotechnischen­ Laboratorium­ der­ Schuckert-Gesell-schaft­ging­1902­das­Consortium­für­elektrochemische­Industrie­GmbH­hervor,­das­als­Zentrallaboratorium­der­ELH-Gruppe­eine­Reihe­neuer­Verfahren­ausarbeitete;­u.­a.­das­direkte­Aceton-Verfahren­aus­Essig-säure.

Der langjährige Wunsch Wackers, auch in Deutschland ein elektro-chemisches­Unternehmen­zu­erstellen,­wobei­an­Lechbruck­gedacht­war,­ließ­sich­nicht­ermöglichen,­da­der­bayerische­Staat­die­Wasser-kraft­(Lech)­nicht­freigab,­sondern­ihn­an­die­untere­Alz­verwies,­wo­1913­mit­den­Vorarbeiten­begonnen­wurde.­Knapp­vor­dem­Kriegsaus-bruch­waren­diese­beendet.

Alexander­Wacker­gründete­1914­die­Dr.­Alexander­Wacker­Gesell-schaft­für­elektrochemische­Industrie­als­Kommanditgesellschaft,­die­1920­in­eine­GmbH­übergeführt­wurde­und­an­der­sich­1921­die­Farb-werke­vorm.­Meister­Lucius­und­Brüning­ (Hoechst)­ beteiligten.­Der­Krieg­verhinderte­zunächst­den­Bau­des­Werkes.­Erst­als­Aceton­für­

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die­Herstellung­von­Isopren­beziehungsweise­von­Hartgummi­für­die­Unterseeboote­dringend­benötigt­wurde,­begann­der­Bau,­dann­aller-dings­mit­höchster­Eile.­Der­Wald­wurde­gerodet­und­im­April­1916­begann man mit dem Aushub. Mitte Januar 1917, also nach achtein-halb­Monaten,­rollte­der­erste­Waggon­Aceton­bereits­aus­dem­Werk!­Fürwahr­ eine­ Glanzleistung,­ wenn­man­ bedenkt,­ was­ hierfür­ alles­­nötig­war.

Es­ mußten­ erstellt­ werden:­ Eine­ Karbidvergasung­ (das­ Karbid­kam­aus­Tschechnitz­in­Schlesien),­ein­Acetaldehyd-Betrieb,­ein­Es­sig-säure-­Betrieb,­ein­Aceton-Betrieb,­eine­Luftverflüssigungsanlage,­eine­Quecksilber-Elektrolyse,­ ein­ Kesselhaus­ für­ die­ Dampferzeugung,­Brun­nen­und­Pumpwerke­für­die­Wasserversorgung,­eine­60­Kilome-ter­lange­Leitung­vom­Saalachwerk­für­die­Stromversorgung,­außer-dem­verschiedene­Werkstätten­für­Schlosser,­Elektriker­und­Bauhand-werker.­Wenn­man­noch­bedenkt,­daß­es­Krieg­war,­es­an­Menschen­und­Material­ fehlte,­ das­ Essen­ rationiert­ und­ die­ Unterkünfte­ sehr­­behelfsmäßig­waren,­dann­kann­man­die­Leistung­der­Männer,­ die­dieses­Bravourstückl­vollbrachten,­nur­bewundern.

Acetylenanlage und Acetylen-Gasometer im Bau 1916

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Natürlich­mußte­vieles­nur­behelfsmäßig­erstellt­werden,­auch­die­Ar-beitsweise­war­wenig­rationell,­es­kam­in­erster­Linie­darauf­an,­rasch­Aceton­herzuschaffen­–­gleichgültig,­um­welchen­Preis.­Zum­Glück­wa-ren­die­Pläne­für­die­Werkanlage­schon­vor­dem­Krieg­ausgearbeitet­worden,­sonst­hätte­man­nicht­sofort,­als­der­Ruf­erging,­mit­dem­Bau­anfangen­können.

Als die ersten Nachrichten von Waffenstillstandsverhandlungen ein-trafen,­wurde­ der­Aceton-Betrieb­wegen­Unwirtschaftlichkeit­ sofort­stillgelegt.­Aber­auch­die­anderen­Betriebe­arbeiteten­wenig­rationell.

Neue Kollegen, neue Aufgaben

Dies­war­nun­die­Lage,­als­ich­hier­ins­Werk­eintrat.­Am­1.­März­1919­radelte­ich­also,­wie­bereits­erwähnt,­ins­Werk,­Der­Empfang­durch­die­Sekretärin­ Fräulein­ Elstner­ und­ den­ Werkleiter­ Dr.­Pierstorff­ war­­außerordentlich­freundlich.­Zunächst­erkundigte­er­sich­nach­meiner­Unterkunft­und­besprach­die­Essensfragen,­dann­ließ­er­Emma­bestel-len,­ sie­ sei­ zu­ den­ regelmäßigen­ Lesenachmittagen­ bei­ seiner­ Frau­herzlich­eingeladen.­Schließlich­ließ­er­den­Dr.­Kaufler­kommen,­­einen­freundlichen­Wiener,­der­mich­in­das­Labor­hinter­führte­und­mit­mir­meine­künftigen­Arbeitsgebiete­besprach.­Vier­Probleme­wurden­ins­Auge­gefaßt:­Die­Verbesserung­des­Acetaldehyd-Verfahrens,­die­Reini-gung­des­Acetylens,­die­Herstellung­von­Äthylen­und­die­Oxydation­von­Acetylen­und­Äthylen­zu­wertvollen­Produkten.

Zunächst­einige­Worte­über­die­Organisation­der­Gesellschaft­und­die­Verhältnisse­im­Werk­im­Frühjahr­1919.­Die­Leitung­in­München­hatten die Herren Direktoren Johannes Hess (technischer Direktor) und­Wolfgang­Freyer­(kaufmännischer­Direktor),­denen­als­Mitarbei-ter­die­Herren­Oberingenieur­Hiller,­Wolff,­Abt­zur­Seite­standen,­der­Chef-Chemiker­Dr.­Kaufler­war­bis­ 1.­Mai­ in­Burghausen.­Werkleiter­in­ Burghausen­war­Dr.­Pierstorff.­ Die­ Abteilungen­ führten:­ Schürch­(Architektur);­Ob.-Ing.­Dorn­(Bau);­Dipl.-Ing.­Kallas­(Werkstatt);­Kaufm.­Ruckdäschel­ (Karbid­ und­ Elektrik).­ Chemiker­ waren­ Dr.­Pierstorff,­Dr.­Galitzenstein,­Dipl.-Ing.­Suchy,­letztere­kamen­um­die­gleiche­Zeit­wie­ich­nach­Burghausen.­Ich­war­also­Chemiker­Nr.­4­und­bekam­am­1.­Mai­das­Hauptlaboratorium­(Abteilung­R)­–­in­Ludwigshafen­wäre­ich­vielleicht­Chemiker­Nr.­400­geworden.

Alle oben genannten Herrn hatten sich schon vorher im „Wacker-

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Konzern“­ bestens­ bewährt.­ Dir.­ Hess­ war­ Leiter­ des­ Werkes­ Lech-bruck,­Hiller­leitete­das­Werk­Töll­bei­Meran,­Dr.­Pierstorff­die­Werke­in­Matrei­ am­Brenner­ und­ Jajce­ in­Dalmatien,­ Dr.­Kaufler­ kam­von­Brückl­in­Kärnten,­Dr.­Galitzenstein­vom­Consortium­in­Nürnberg­und­Suchy­von­der­Elektrobosna.

Jetzt­nach­dem­Krieg­galt­es,­das­Werk,­wie­es­ seinerzeit­geplant­war,­ auf­ eine­ gesunde­Basis­ zu­ stellen,­ die­Grundstoffe­Karbid­und­Chlor­selbst­zu­erzeugen­und­die­Betriebe­wirtschaftlich­zu­gestalten.­Die durch den Krieg behinderte Erstellung der Wasserkraftanlage mußte­ durchgeführt­ werden.­ Um­ dieses­ große­ Programm­ sicher-zustellen,­ veräußerte­ Alexander­ von­Wacker­ seine­ österreichischen­Werke­und­verband­sich­mit­dem­Deutschen­Reich­(1921)­für­den­Aus-bau­der­Wasserkraft­unter­der­Firma­„Alzwerke­AG“.­Die­Hälfte­der­Alzkraft­wurde­ auf­ fünfzehn­ Jahre­ dem­Reich­ abgetreten­und­ 1956­von­der­Firma­abgelöst.­ Im­Dezember­1922­kam­das­Alzwerk­ in­Be-trieb. Im April 1922 starb Geheimrat von Wacker im Alter von 76 Jah-ren, also ein halbes Jahr vor der Inbetriebsetzung – somit erlebte er die­Krönung­seines­Werkes­leider­nicht­mehr.

Kümmerliche Arbeitsbedingungen

Meine­Aufgabe­war­ es,­ neue­ und­ bessere­ Verfahren­ auszuarbeiten,­aber­die­Arbeitsbedingungen­waren­zunächst­mehr­als­kümmerlich.­Für­das­ganze­Werk­standen­zwei­kleine­Laboratorien,­Anbauten­an­die­ Quecksilberelektrolyse,­ zur­ Verfügung.­ Im­ Labor­I­ wurden­ die­Analysen­ für­ sämtliche­ Betriebe­ ausgeführt.­ Es­ waren­ dies­ damals­Acetaldehyd,­Essigsäure,­Aceton,­Kesselhaus­ (Wasser-­und­Kohle-Un-tersuchungen),­Sauerstoffbetrieb­(Luftanalysen),­etc.­Die­jungen­Che-miker­von­heute­würden­sehr­die­Nase­rümpfen,­wenn­sie­mit­so­pri-mitiven­ Mitteln­ und­ so­ beengt­ arbeiten­ müßten.­ Im­ Labor­ I­ stand­den­Leuten­eine­Tischbreite­von­80­bis­100­Zentimeter­zur­Verfügung.­In­ einer­Kammer­ saß­ der­Glasbläser­ zwischen­Kolben,­ Röhren­und­Chemikalien;­nebenbei­hatte­er­die­Materialausgabe,­was­sehr­störend­war,­ namentlich,­ wenn­ er­ größere­ Stücke­ zu­ blasen­ hatte.­ Daß­ er­manchmal­in­Wut­kam­und­die­Laboranten­beutelte,­daß­ihnen­Hören­und­ Sehen­ verging,­ wenn­ sie­ zu­ viel­ zerbrachen,­ konnte­man­ ihm­nicht­übelnehmen.­Als­Heizquelle­stand­ihm­nur­Acetylen­zur­Verfü-gung,­das­entsetzlich­rußte.

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Mein Forschungslabor II bekam erst einen Abzug, als den Leuten und mir­bei­den­Arbeiten­mit­Quecksilber­die­Zähne­wackelten.­Die­bei-den­Wägezimmer­waren­zugleich­Umkleide,­Aufenthalts-­und­Speise-räume.­Apparate­ –­ außer­denen,­ die­der­Glasbläser­und­die­ Schlos-serei­herstellten­–­gab­es­nicht.­Die­elektrischen­Widerstände­wickel-ten­ wir­ uns­ selbst,­ da­ die­ Abteilung­ G­ (Elektrowerkstatt)­ mit­ der­Auswechslung­der­kriegsmäßig­verlegten­Leitungen­(Eisen,­Zink,­Alu-minium) zu viel zu tun hatte.

Im­April­jeden­Jahres­zogen­mit­großem­Geschrei­die­Schwalben­im­Labor­II­ein,­nisteten­eben­in­den­Lampenrosetten­und­sorgten­für­die­Verbesserung­der­Ausbeuten.­Zu­Maria­Geburt­zogen­sie­wieder­fort;­dann stieg die alte Frau Niederhammer auf einer Leiter hinauf und putzte­den­Dreck­weg.­Wohin­kamen­diese­schönen­Zeiten!

Das­Schlimmste­war­die­Heizung.­Sie­war­an­die­6-atü-Dampflei-tung­angeschlossen.­Man­konnte­nur­zwischen­Braten­und­Erfrieren­wählen.­Es­war­entsetzlich.­An­Büchern­waren­nur­ein­paar­Lehrbü-cher,­die­Dr.­Kaufler­aus­München­und­ich­von­zu­Hause­mitbrachten,­vorhanden.­Das­wichtigste­Buch­war­das­„Acetylen“­von­Vogel,­das­alle­bisher­(1910)­auf­diesem­Gebiet­veröffentlichten­Arbeiten­und­Patente­enthielt.­Dieser­Zustand­dauerte­allerdings­nicht­lange,­dank­der­groß-zügigen­ Bewilligungen­ der­ Firma.­ Wir­ bekamen­ den­ Beilstein,­ das­Centralblatt und die Chemischen Berichte.

Die­Arbeitszeiten­waren­Montag­bis­Freitag­8:00­bis­12:00­und­13:00­bis­ 17:00­Uhr,­ Samstag­ 8:00­ bis­ 13:00­Uhr­ (45­ Stunden).­ Das­Mittag-essen­nahm­ich­in­der­schlechten­Jahreszeit­wie­die­meisten­Angestell-ten­in­der­Kantine­ein.­1919­zählte­die­Firma­ungefähr­75­Angestellte.­Im­Sommer­legten­wir­uns­mit­unseren­Butterbroten­in­den­Wald,­der­gleich­beim­Labor­begann.­Als­Nachspeise­suchten­wir­uns­Erdbeeren.­Um­17:00­Uhr­war­Arbeitsschluss,­ so­weit­ die­Betriebe­nicht­ durch-gingen.­Omnibusse­gab­es­damals­hoch­nicht.­Meist­zu­Fuß,­denn­für­die­Räder­fehlten­zunächst­die­Reifen,­strömte­ein­Zug­wild­aussehen-der Männer in recht heruntergekommener Kleidung aus dem Fabrik-tor heraus (ca. 1000 Angestellte und Arbeiter).

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„Auffallend war, daß es nicht immer krachte“ – Laboratoriumsversuche

Am 1. März nahm ich also meine Tätigkeit im Laboratorium mit der Regner­Gretl,­einer­angelernten­Laborantin,­auf.­Außerdem­stand­mir­noch­eine­halbe­Putzfrau,­die­bereits­erwähnte­Frau­Niederhammer­zur­Verfügung.­Die­andere­Hälfte­gehörte­der­Abteilung­O­(Dr.­Galit-zenstein).­ Von­ den­ zuvor­ erwähnten­Aufgaben­wählte­ ich­ zunächst­die­ Hydrierung­ von­ Acetylen­ zu­ Äthylen,­ Diese­ gelang­ nach­ dem­Traubschen­ Verfahren­mit­ Chromolösung­ in­ einem­ Gloverturm­ bei­Zimmertemperatur­recht­befriedigend­–­heute­würde­man­den­umge-kehrten­Weg­gehen,­da­Äthylen­sehr­billig­zu­haben­ist.­Weniger­schön­war,­daß­man­entsprechend­der­Theorie­je­Mol­Acetylen­(26­Gramm)­zwei­Mol­Chromosulfat­(296­Gramm)­benötigt,­also­über­das­10-fache­an­Gewicht.­Die­Frage­war­also,­ein­wirtschaftlicheres­Verfahren­zu­finden.­Auch­die­Oxydation­der­beiden­Gase­C2H2­(Acetylen)­und­C2H4 (Ethylen)­ war­ nicht­ ohne­ weiteres­ zu­ lösen­ und­ so­ wurden­ diese­­Arbeiten­ im­Oktober­wegen­betriebswichtigeren­Problemen­zurück-gestellt.

Vor­ der­ Inangriffnahme­ der­ Oxydationsversuche­ wurden­ selbst-verständlich­ die­ Explosionsgrenzen­ sehr­ sorgfältig­ geprüft.­ Bei­ der­Herstellung­von­Acetaldehyd­(Hydrol)­verwendete­man­Quecksilber-verbindungen­als­Katalysator,­die­verhältnismäßig­rasch­zu­unwirk-samem­Quecksilbermetall­Hg­reduziert­wurde.­Hierfür­machte­man­die­ Verunreinigungen­ im­ Acetylen-Gas,­ vor­ allem­ H2S­ (Schwefel-wasserstoff)­und­PH3­(Phosphin)­verantwortlich.­Versuche­mit­gerei-nigtem Gas bestätigten diese Vermutung. Nun gab es schon die ver-schiedensten Reinigungsverfahren, zum Beispiel Erhitzen des Gases, Oxydation,­Fällen­mit­Kupfersalzlösungen­etc.,­aber­sie­mußten­ein-fach­ und­ billig­ sein.­ Die­ Reinigung­ mit­ Kupferchlorür-Lösung­ und­Salzsäure­ ergab­ günstige­ Resultate,­ und­ die­ Regeneration­ mittelst­Chlor­oder­Sauerstoff­ging­glatt,­aber­die­Überrechnung­der­benötig-ten­Apparatur­für­die­Reinigung­von­2000­m3­pro­Stunde­ergab­solche­Reaktionsräume­und­Flüssigkeitsmengen,­daß­dieses­Verfahren­aus-schied.­Oxydation­mit­Chromsäure­und­Reinigung­mit­starker­Schwe-felsäure­kamen­wegen­der­hohen­Chemikalienkosten­nicht­in­Frage.­So­mußte­weiter­gesucht­werden.

Schließlich­wurde­der­Stier­bei­den­Hörnern­gepackt­und­die­Rei-nigung­mit­Chlor­versucht.­Es­war­dies­ein­riskantes­Unterfangen,­da­

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nach­Literaturangaben­bei­der­Vereinigung­von­Chlor­und­Acetylen­schwere­Explosionen­beobachtet­worden­waren.­Auffallend­war­nur,­daß­es­nicht­immer­krachte.­Durch­Versuche­stellten­wir­nun­fest,­daß­es­nur­dann­zu­Explosionen­kommt,­wenn­Sauerstoff­zugegen­ist.­Es­genügen­allerdings­schon­sehr­kleine­Mengen­in­der­Größenordnung­von 0,1 Prozent. Die Versuchsapparatur bestand aus einem mit Elek-troden­ausgestattetem­Rohr,­das­mit­Kochsalzlösung­gefüllt­war­und­durch das C2H2­strich.­Die­Dosierung­des­Chlors,­das­durch­die­Zerset-zung­ des­ NaCl­ entstand,­ erfolgte­ durch­ Regelung­ der­ Strommenge;­später­gingen­wir­auf­Chlorwasser­über,­das­für­den­Betrieb­einfacher­und­ungefährlicher­zu­handhaben­war.­Selbstverständlich­wurde­jeg-licher­Sauerstoff­ferngehalten.­Einiges­Kopfzerbrechen­bereitete­das­Niederschlagen­von­HCl-Nebeln,­doch­auch­diese­Schwierigkeit­konnte­durch­Temperatureinstellung­gelöst­werden.

In­ Sommer­ 1920­ stand­ bereits­ eine­ Versuchsapparatur­ für­ sechs­bis­sieben­Kubikmeter­pro­Stunde­in­der­Nähe­der­Tetra-Anlage.­Die­Laborversuche­ konnten­ voll­ bestätigt­ werden,­ und­ so­ entwarf­ die­technische­ Abteilung­ (Ob.-lng.­ Dorn)­ den­ Bau­ einer­ Großanlage­ für­2000 Kubikmeter pro Stunde.­Diese­wurde­im­Herbst­1921­in­Betrieb­genommen. Auf dieses Verfahren erhielt die Firma Dr. Alexander Wa-cker­ ihr­ erstes­ Deutsches­ Reichspatent­ (DRP-Nr.­346311­ „Verfahren­zur­Reinigung­des­Acetylens“).­Es­lief­ab­2.­Juni­1920.­Später­übernahm­die­IG­dieses­Verfahren­für­eine­Anzahl­ihrer­Werke,­die­auch­heute­noch danach arbeiten. Neben der Reinigung liefen im Labor Versuche, den­giftigen­Hg-Katalysator­durch­ungiftige­zu­ersetzen,­beziehungs-weise­die­Oxydation­des­Hg­zu­HgO­(Quecksilberoxyd)­in­einem­Ne-benkessel­durchzuführen.

Entscheidung für Wacker

Anfang­April­meinte­Dir.­Hess,­ ich­müsse­mich­nun­wohl­ bald­ ent-scheiden,­ob­ich­zur­großen­BASF­nach­Ludwigshafen­gehen,­oder­bei­der­kleinen­Wacker­Gesellschaft­bleiben­wolle,­da­ ich­allmählich­zu­viel­sehe.­Da­mir­meine­Arbeit­in­Burghausen­gefiel,­das­Betriebsklima­ein­besonders­gutes­war­und­die­Chancen,­hier­vorwärts­zu­kommen,­günstig­erschienen,­ganz­abgesehen­von­der­herrlichen­Gegend­und­der­Nähe­des­Gebirges,­wäre­ich­brennend­gerne­in­Burghausen­ge-blieben,­aber­ich­war­ja­an­die­BASF­gebunden.­Ich­war­folglich­den­

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Franzosen­außerordentlich­dankbar,­als­sie­mir­auf­die­Anfrage­der­BASF­immer­noch­die­Einreise­verweigerten.­Ich­glaubte,­nun­mit­gu-tem­Gewissen­den­Ludwigshafenern­abschreiben­zu­können,­ zumal­ich von dort kein Gehalt bezog. Die Arbeitsbedingungen im Labor der BASF­wären­sicher­viel­großartiger­und­bequemer­gewesen,­aber­ge-rade­ das­ Aufbauen­ und­ das­ „Sich­ behelfen“­ hatte­ besondere­ Reize­und­nie­hätte­ich­ein­so­vielseitiges­Arbeitsfeld­bekommen­wie­hier.­Tausenderlei Fragen aller Art (anorganisch, organisch, auf techni-schem­ und­ textilem­ Gebiet)­ wurden­ an­ mich­ herangetragen.­ Auch­hätte­ich­nie­eine­so­schöne­Heimat­für­die­Familie­bekommen.­Den­Entschluss, bei Wacker zu bleiben, habe ich nie bereut. Allerdings tru-gen­ mir­ die­ Ludwigshafener­ meine­ Kündigung­ noch­ lange­ nach;­gerne hätten sie alle­Privatassistenten­von­Adolf­von­Baeyer­als­Mit-arbeiter gehabt.

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Schreibmaschinentext
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Dr. Wolfgang Gruber 1963

Dr. Wolfgang Gruber (1886–1971) war von 1919 bis 1952 für die Wacker Gesellschaft, heute Wacker Chemie AG, Burghausen, tätig. Von 1934 bis 1936 war er Werkleiter des Werks Burghausen. 1936 über-nahm Dr. Gruber die Leitung aller chemischen Betriebe. Am 1. März 1943 erhielt er die Position des Chefchemikers. In dieser Funktion ar-beitete er bis zu seiner Pensionierung 1952.