Grauzone - Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß
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grauzone
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß
Magazin der Wissenschaftsjournalisten an der Hochschule Darmstadt 2012
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 3
editorial
Grauzone – das ist nicht einfach schwarz oder weiß,
nicht gut oder böse. Das Gleiche gilt für die Wissenschaft: Neue Erfindungen und Tech-
nologien brauchen Rahmenbedingungen, damit sie nicht missbraucht werden. Doch
wer schafft diese Rahmenbedingungen? Muss ein Wissenschaftler während seiner For-
schungsarbeit schon über mögliche Folgen seiner Ergebnisse nachdenken? Trägt er
überhaupt eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft oder ist seine Forschung un-
abhängig davon?
Verantwortung in der Wissenschaft – das klingt erst einmal abstrakt, trocken und
irgendwie anstrengend. Auf den zweiten Blick ergeben sich viele spannende Themen-
felder, von der Militärforschung bis zu Tierversuchen. Diesen zweiten Blick haben die
Studierenden des Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt ein Semester
lang riskiert.
Warum gibt es für bestimmte Krankheiten keine Medikamente? Was hat die Wissen-
schaft mit Zusatzstoffen im Tabak zu tun? Und wer trägt eigentlich die Verantwortung
für die Forschungsergebnisse, die zum Bau der Atombombe führten? Wie bringen wir
Wissenschaft ans Kind und wie funktionieren Medikamente für Kinder?
Unsere Autoren recherchieren, hinterfragen und zeigen verschiedene Aspekte der
Verantwortung in wissenschaftlichen Disziplinen auf.
Projektpartner ist die »Vereinigung deutscher Wissenschaftler«, die nicht nur den
Druck finanzierten, sondern sich auch unseren Fragen stellten: Im Gespräch mit Ulrich
Bartosch und Reiner Braun geht es um Themen wie Nachhaltigkeit und den Sinn und
Unsinn von Forschungsgeldern.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre,
Christina Ress, Tabea Osthues
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 3
inhalt
6 Verkehrte Welt Bilderstrecke
Wir verschwenden hemmungslos, was
Andere zum Überleben brauchen.
12 Ein lebenslanger Prozess Verantwortungsentwicklung
Wie wir lernen, zu unseren Handlungen
zu stehen und ihre Folgen abzuschätzen.
16 Wissenschaft macht Spaß Kinder als Forscher
Lernen Kinder durch Experimente Na-
turwissenschaften kennen und verstehen?
20 Studieren geht über probieren Forschung an Kindern
Passende Medikamente für Kinder sind
rar. Klinische Studien können das ändern.
Einige Bedenken bleiben dennoch.
24 »Sie lieben es, mich zu hassen« Interview: Zusatzstoffe in Zigaretten
Martina Pötschke-Langer über ihren jah-
relangen Kampf gegen die Tabakindustrie.
28 Eine Hand wäscht die andere? Politikberatung
Wie Wissenschaftler politische Entschei-
dungen beeinflussen. Oder auch nicht.
32 Es lebe die Geldverschwendung Kommentar: Geld und Forschung
Grundlagenforschung und wirtschaftliche
Interessen lassen sich nicht vereinbaren.
34 Gewissen verbindet Interview: Lobbyarbeit
Bei unserem Geldgeber nachgebohrt:
Reiner Braun und Ulrich Bartosch von der
Vereinigung Deutscher Wissenschaftler
im Gespräch.
38 Der radioaktive Elfenbeinturm Kernkraftforschung im Konflikt
Fortschritt als Ziel, Zerstörung das Ergeb-
nis. Wie aus einer vielversprechenden
Strahlung die Atombombe wurde.
40 Kompromisse nach dem GAU Interview: Arbeit einer Ethikkommission
Volker Hauff über teils chaotische Diskus-
sionen beim Atommoratorium.
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42 Forschung im Badezimmer Glosse: Pseudowissenschaft
Faltenfreie Zukunft – von Märchen und
Wundern der Kosmetikindustrie.
44 Neutral gibt es nicht Tierversuche
Wieso trotz aller Alternativen immer noch
an Tieren geforscht wird.
46 Fabelwesen aus dem Labor Pro und Contra: Chimären
Brauchen wir Mischwesen für die For-
schung oder gehen wir damit zu weit?
50 Heilung nicht von Interesse Pharmaforschung
Seltene Krankheiten betreffen
wenige Menschen – zu wenige für
die Pharmaindustrie.
54 Wer haftet für das Wetter? Launische Natur
Regen, Hagel, Sturm: Wenn Festivals
tödlich enden, ist es schwer, den
Schuldigen zu finden.
60 Im Labor an der Front Militärforschung
Darf an deutschen Hochschulen für den
Krieg geforscht werden?
64 Wissen aus dem Untergrund? Kurzinterviews: Wofür sie forschen
Warum jede Wissenschaftsdisziplin
verantwortlich für ihre Ergebnisse ist.
68 Hype ohne Zukunft Elektromobilität
Strom statt Benzin. Was verlockend klingt,
scheitert an einem wichtigen Roh-
stoff: Lithium.
70 Wer fährt denn hier? Autonomes Fahren
Wenn PKWs sich selbst lenken, ist unklar,
wer bei einem Unfall haften muss.
63 Editorial
73 Impressum
74 Letzte Seite
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6 GRAUZONE
Wir verfüttern Essen an Tiere und füllen Lebens-mittel in unsere Tanks. Da läuft etwas falsch.
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6 GRAUZONE
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 7Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 7
8 GRAUZONE
37 Millionen Tonnen Getreide werden pro Jahr in Deutschland geerntet. Für die Produktion von Bioethanol wurden 2010 über 1,3 Millionen Tonnen Getreide verwendet – knapp 4 Prozent.
2,6 Kilogramm Getreide benötigt man, um 1 Liter Bioethanol herzustellen. An der Tankstelle kauft man dann E10: 10 Prozent Biotreibstoff, 90 Prozent Benzin. 10 Liter E10 enthalten 1 Liter Bioethanol.
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 9
900 Gramm Getreide reichen, um einen Menschen einen Tag lang zu ernähren. Mit dem Getreide, aus dem in Deutschland Bioethanol hergestellt wird, könnten 4 Millionen Menschen ein Jahr lang leben.
10 Liter Treibstoff reichen im Durchschnitt für 150 Kilometer. Das entspricht der Strecke von Magdeburg nach Berlin – oder dem, was eine kleine Familie täglich an Getreide benötigt, um zu überleben.
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747 Millionen Tiere werden jährlich in Deutschland geschlachtet. Davon sind 3,5 Millionen Rinder, 59 Millionen Schweine und 618 Millionen Hühner. Durchschnittlich 1094 Tiere isst jeder Deutsche in seinem Leben.
Um ein Kilo Rindfleisch herzustellen, braucht man 15.000 Liter Wasser und 10 Kilogramm Getreide. Ein Burger mit Pommes und Salat benötigt eine Anbaufläche von 3,61 Quadratmetern, Nudeln mit Tomatensauce dagegen nur 0,46 Quadratmeter.
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Auf weltweit 2,6 Millionen Hektar Landflächen wird Soja als Futtermittel für den Import nach Deutschland angebaut, vor allem in armen Ländern. Ein Gebiet fast so groß wie Brandenburg.
Die Viehwirtschaft ist für fast ein Fünftel der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. 12 Kilogramm Rindfleisch essen wir pro Kopf und pro Jahr – das entspricht einem Kohlendioxidausstoß von rund 430 Kilogramm. Etwa so viel wie ein Flug von Berlin nach Mallorca.
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12 GRAUZONE
VERantwoRtungsEntwicklung
Welche Entwicklungs-stufen muss ein Kind nehmen, um später zu einem verantwor-tungsvollen Erwach-senen heranzureifen? Und welche Rolle spielen dabei die Eltern und die Kultur?
Verantwortung – ein lebenslanger Prozess
Ein elf Monate altes Baby teilt geübt eine Frucht mit einer Machete (rechts). Was
bei uns undenkbar wäre, ist bei dem Volk der Efe im Kongo völlig normal. Verantwortlicher
Umgang mit Werkzeug entwickelt sich auf der Welt unterschiedlich schnell. ©
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 13
»Vorsicht, ein Auto!«, ruft der
fünfjährige Tim aufgeregt und
zieht seinen kleinen Bruder
Lukas von der Straße weg. Tim hätte viel
lieber weiter geschaukelt, anstatt seinem
zweijährigen Geschwister hinterher zu
rennen. Doch wo war nur seine Mutter?
Ohne Erwachsenen in Sicht hatte sich Tim
plötzlich für seinen kleinen Bruder verant-
wortlich gefühlt und musste eingreifen.
Situationen wie diese beobachten wir
immer wieder. Denn schon sehr kleine
Kinder übernehmen spontan Verantwor-
tung, wenn gerade kein Erwachsener in
der Nähe ist, der sie ihnen abnimmt.
Damit Kinder wie Tim aber zu verant-
wortungsbewussten Erwachsenen heran-
reifen, müssen sie zunächst viele Entwick-
lungsschritte meistern.
»Die Verantwortungsentwicklung fängt
damit an, dass die Kinder sich selbst als
Ursprung ihrer Handlung erleben«, erklärt
die Entwicklungspsychologin Hellgard
Rauh von der Universität Potsdam. »Und
dies beginnt in ersten Ansätzen schon in
einem Alter um die vier bis fünf Monate.«
Noch können die Babys allerdings nicht
zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung
unterscheiden. Eltern kennen dieses Phä-
nomen. Wenn beim Kinderarzt ein Baby
anfängt zu schreien, stimmen die ande-
ren mit ein. Solche spontanen Reaktionen
auf die Gefühlszustände anderer sind die
frühsten Formen der Empathie, also der
Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen. Sie
macht Verantwortung erst möglich.
Mit acht bis zehn Monaten wird den
Babys bewusst, dass sie selbst jemand an-
deres sind als ihr Gegenüber. Etwa ein Jahr
später erkennen sich die Kleinen dann im
Spiegel und bezeichnen sich kurz darauf
mit »Ich«. Doch nicht nur das: Zunehmend © D
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14 GRAUZONE
können Kleinkinder auch die Wünsche,
Absichten und Gefühle ihres Gegenübers
erahnen. Durch diesen Perspektivwechsel
gelingt es ihnen, die Bedürfnisse eines an-
deren Menschen immer besser zu erken-
nen. Sie erreichen eine höhere Stufe der
Empathie und begreifen, welche Auswir-
kungen die eigenen Handlungen auf ihre
Mitmenschen haben. Anfangs können das
so einfache Beobachtungen sein wie: Wenn
ich die Tasse meiner Schwester kaputt ma-
che, ist sie traurig.
In diesem Alter beginnen die Kleinen
auch, andere aktiv zu trösten. Wenn sie
ein weinendes oder trauriges Krabbelkind
sehen, gehen sie zu ihm und versuchen es
beispielsweise mit Keksen aufzuheitern.
Mit zwei bis drei Jahren reift schließ-
lich der Wunsch zu helfen. Dies hat sowohl
mit der emotionalen als auch der kogni-
tiven Entwicklung zu tun. Jetzt können
Kleinkinder auch schon komplexere zwi-
schenmenschliche Gefühle nachempfin-
den. Sie wissen dann, wie es sich anfühlt,
enttäuscht oder betrogen zu werden. Be-
obachten sie eine Handlung, werden ihre
Spiegelneuronen im Gehirn aktiv. Sie sind
bei uns Menschen besonders ausgeprägt
und befähigen uns dazu, Handlungen
eines Gegenübers gedanklich fast wie ei-
gene nachzuvollziehen und mitzuerleben.
Zudem bilden die Kinder vorgreifende
Vorstellungen von dem Handlungsziel
des anderen. Unterläuft diesem ein Fehler,
fühlen sie sich daher motiviert zu helfen
und so gemeinsam zum Ziel zu gelangen.
Entwicklungspsychologen nennen die-
sen Komplex aus Mitgefühl und Hilfsbe-
reitschaft »prosoziales Verhalten«. Er ent-
wickelt und verfeinert sich während der
ganzen Vorschulzeit.
AllEs EinE FrAgE dEr ZEitDoch selbst wenn Kinder Empathie zeigen
können und sich als Ursprung einer Hand-
lung erkennen, fehlt ihnen noch ein ent-
scheidender Schritt, um wirklich verant-
wortlich handeln zu können: Das Gefühl für
die Zeit. Ohne Zeitgefühl ist es unmöglich,
die langfristigen Folgen von Handlungen
abzuschätzen. »Kinder gehen mit Zeitwör-
tern wie ,heute‘ und ,morgen‘ schon sehr
früh um«, sagt Elfriede Billmann-Mahecha,
Psychologin an der Universität Hannover.
»Sie können auch kurze Zeiträume wie
‚noch zweimal schlafen’ überblicken, aber
ein richtiger Zeitbegriff bildet sich erst im
Grundschulalter aus.«
Doch wie alt muss ein Kind sein, um
alleine auf ein kleineres Kind aufpassen
zu können? »Dafür muss es verstehen,
was das jüngere Kind kann, was es gerade
fühlt, welche Motivation es hat und wie es
voraussichtlich gleich handeln wird«, fasst
Hellgard Rauh zusammen. Das sei so kom-
plex, dass sich diese Kompetenz vermut-
lich erst in der späteren Grundschulzeit
mit zehn bis zwölf Jahren herausbilde.
Was universell klingt, gilt keineswegs
für alle Kinder auf der Welt. Wie stark sich
die Verantwortungsentwicklung bei Kin-
dern kulturell unterscheidet, weiß Psycho-
login Barbara Rogoff von der University of
California in Santa Cruz. Sie hat erforscht,
wie sich Menschen in unterschiedlichen
Kulturen entwickeln. »In einigen Gesell-
schaften, wie beispielsweise der Maya in
Guatemala, sind Kinder schon zwischen
drei und fünf Jahren in der Lage, unter
Aufsicht auf ihre kleineren Geschwister
aufzupassen. Die bevorzugten Aufpasser
sind zwischen acht und zehn Jahre alt.«
Diese Verantwortung beruhe vermutlich
auf vielen kulturellen Merkmalen. Die Ma-
ya-Kinder haben unter anderem ständig
kleinere Kinder um sich und sehen, wie
andere auf sie aufpassen. Sie haben die
Chance, sich um sie zu sorgen und haben
Erwachsene in der Nähe, für den Fall, dass
es Probleme gibt. Weiterhin werden sie be-
stärkt, reif und verantwortlich zu sein.
Was können also Eltern hierzulande
tun, um Kindern ein gesundes Verhältnis
zur Verantwortung beizubringen?
Die Entwicklungspsychologinnen El-
friede Billmann-Mahecha und Hellgard
Rauh sind sich einig: Haustiere sind eine
gute Möglichkeit zum üben. Nur sollten
die Eltern nicht erwarten, dass das Kind die
Verantwortung komplett übernehme, gibt
Billmann-Mahecha zu bedenken. »Kleine
Kinder sind noch sehr auf sich selbst be-
zogen, sie würden die Katze am liebsten
füttern, wenn es ihnen gerade Spaß macht.
Das längerfristige Denken ist in dem Alter
eben noch schwierig.« Hier zeigt sich wie
wichtig ein ausgebildetes Zeitgefühl ist:
Erst am Ende der Grundschulzeit könne
ein Kind überblicken, was es bedeutet, über
Jahre hinweg für ein Tier zu sorgen.
Neben Haustieren trainiere auch der
Blumendienst in der Schule oder kleinere
Aufgaben im Haushalt das Verantwor-
trösten will gelernt sein. Mitgefühl ist elementar, um ein verantwortungsvoller Erwachsener zu werden.©
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 15
tungsbewusstsein. Man müsse aber unbe-
dingt am Ball bleiben, insbesondere wenn
es dem Kind gerade keinen Spaß mache.
Denn auch der Erziehungsstil beein-
flusst das spätere Verantwortungsbewusst-
sein. »Es hat sich herausgestellt, dass für
die Entwicklung, auch für die moralische,
der autoritative Erziehungsstil der Beste
ist«, sagt Psychologin Billmann-Mahecha.
Dieser verlangt den Eltern besonders viel
ab. Denn ‚autoritativ’ bedeutet, dass sie
klare Grenzen setzen, diese begründen
und sich gleichzeitig dem Kind emotional
zuwenden, es achten und wertschätzen.
»Längerfristige Studien aus den USA ha-
ben gezeigt, dass Kinder, die so erzogen
wurden, im Jugendalter ein deutlich stär-
keres Verantwortungsbewusstsein als an-
dere Jugendliche haben, die autoritär oder
im Laissez-faire-Stil erzogen wurden«, so
Billmann-Mahecha.
Müssen Kinder schon zu früh zu viel
Verantwortung übernehmen, kann das
schädlich sein. »Angenommen, ein Kind
wird mit einem Bruder oder einer Schwe-
ster tagsüber kurz alleine gelassen. Wenn
sich das Geschwisterkind verletzt, ist das
furchtbar für dieses Kind, da es sich ver-
antwortlich fühlt«, erklärt Hellgard Rauh.
Noch tragischer ist es, wenn ein Eltern-
teil schwer erkrankt oder sogar stirbt und
ein Kind sich nun um seine kleineren Ge-
schwister kümmern muss. »Diese Kinder
verlieren mit der massiven Verantwortung
ihre Kindheit und werden zu kleinen Er-
wachsenen«, sagt Rauh.
Auch Kinder mit einer normalen Ent-
wicklung brauchen Jahre, bis sie schließ-
lich voll verantwortlich sind. »Ich denke,
dass man im dritten Lebensjahrzehnt als
voll verantwortlich gelten kann. Ohne zu
sagen, dass sich das nicht weiter entwickeln
kann«, sagt die Psychologin Billmann-Ma-
hecha. So ist es auch kein Zufall, dass wir
vor Gericht ab 21 Jahren für unsere Taten
zur vollen Verantwortung gezogen werden
können. Denn kognitiv sind wir erst in die-
sem Alter komplett ausgebildet. »Die Mo-
ral hingegen kann sich weit bis ins Erwach-
senenalter noch höher entwickeln«, fügt
Billmann-Mahecha hinzu. Verantwortung
ist ein lebenslanger Prozess. <<
Ina Hübener
VerantwortungslosManche Menschen sind schlicht nicht zur Verantwortung fähig. Geistig Behinderte können sich beispielsweise meist extrem gut in andere Menschen hineinversetzen, haben aber starke kognitive Defizite. Einige sind teilweise so sehr eingeschränkt, dass ihnen etwa das für Verantwortung so wichtige Zeitempfinden fehlt.
Nur Kognition ohne Emotion reicht hingegen auch nicht, wie man am Beispiel von Psychopathen sehen kann. Obwohl sie in der Regel sehr intelligent sind, führt die schwere Persönlichkeitsstörung dazu, dass Betroffene keine Empathie oder Schuld empfinden können. Und dadurch auch kein schlechtes Gewissen verspüren, wenn sie verantwortungslos handeln. Selbst wenn sie kriminell werden, nehmen sie das oft mit einem Lächeln hin. Schuld daran sind Fehlfunktionen bestimmter Bereiche des Gehirns. Meist sind die vordere Inselregion, die Amygdala, der orbitofrontale Cortex oder der vordere cinguläre Cortex die Ursache. Sie alle haben ihre speziellen Aufga-ben. Die vordere Inselregion spielt eine Rolle bei der Empathie. Ohne die Amygdala, auch Mandelkern genannt, werden wir furchtlos. Eine Schädigung des cingulären Cor-tex lässt uns emotional abstumpfen.
Werden bei gesunden Menschen diese Regionen des Gehirns verletzt, kommt es zu dramatischen Persönlichkeitsveränderungen. Neurologen kennen dieses Phänomen spätestens seit dem klassischen Fall des amerikanischen Schienenarbeiters Phineas Gage. Bei einer Explosion im Jahr 1848 bohrte sich eine Eisenstange durch sein Gehirn und verletzte dabei den orbitofrontalen Cortex – einen Hirnteil, der mit der Regulation emotionaler Prozesse in Verbindung gebracht wird. Er überlebte. Doch ein Teil seiner Persönlichkeit starb bei dem Unfall. Aus dem verantwortungsbewussten Mitarbeiter wurde ein unzuverlässiger, kindischer und impulsiver Mensch.
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16 GRAUZONE
Wissenschaft für Kinder
Viele Kindergärten und Schulen bieten naturwissenschaftliche Kurse fürs Kind an. Geht es dabei nur um den Spaß an der Sache oder um mehr?
Wissenschaft macht Spaß
Metin wird erklärt wie sich Luft verhält, wenn sie sich erwärmt oder abkühlt. Im Kindergarten Son-nenschein experimentieren die 4- und 5-jährigen Kinder einmal in der Woche. ©
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 17
Konzentriert und gespannt schau-
en vier Augenpaare dabei zu, wie
Merle eine Trinkflasche mit einem
über die Öffnung gezogenen Luftballon in
eine Kanne mit eiskaltem Wasser drückt.
Der Experimentierraum ist vom letzten
Flohmarkt noch ein wenig zugestellt.
Die vier Kinder im Alter von vier bis
fünf Jahren sitzen zusammen an einem
niedrigen Tisch. Staunend beobachten
die Kinder, wie der weiße Luftballon sich
zusammenzieht, als würde man die Luft
rauslassen. »Was passiert mit unserer Luft,
wenn sie kalt ist?«, fragt die Kindergärtne-
rin Marjan Mehdizadeh, die den Versuch
leitet. »Die Luft ist schwer geworden und
geht nach unten in die Flasche.«
So wie in der Experimentiergruppe im
Kindergarten »Sonnenschein« im hes-
sischen Langen werden viele Kinder spie-
lerisch an das Thema Naturwissenschaften
herangeführt. In Kursen und Experimen-
tierstunden rund um Physik und Chemie,
soll das Interesse der Kinder schon früh
angeregt werden. Dazu gehören Projekte
in den Kernfächern Mathematik, Informa-
tik, Naturwissenschaften und Technik den
so genannten MINT-Projekten.
Zahlreiche Bücher und Experimen-
tierkästen sollen die Lust am Lernen und
Entdecken fördern. Aber kann man Kinder
jeden Alters einfach an den Experimentier-
tisch setzen? »Das hängt sehr vom Alter
ab. Das Kind soll die Deutung des Experi-
ments verstehen. Dazu muss man denken
können«, sagt Gisela Lück, Professorin für
Didaktik der Chemie an der Universität
Bielefeld. Ein Kind könne das etwa ab dem
fünften Lebensjahr.
Das Projekt im Kindergarten »Sonnen-
schein« lässt die Kinder staunen. Nach-
dem sie erfahren haben, wie sich kalte Luft
verhält, lernen sie, was mit warmer Luft
passiert. Marjan Mehdizadeh steckt die
Flasche mit dem Luftballon in eine Kan-
ne mit dampfendem Wasser. Die Kinder
beobachten, was passiert: »Der Luftballon
hat sich aufgeblasen!« Frau Medizahdeh
erklärt, warum: »Die Luft wird heiß und
leicht, und dadurch kommt sie nach oben.
Deswegen dehnt sich der Luftballon aus.«
Danach malen die Kinder den Versuch
mit Buntstiften nach. Olivia hat aufmerk-
sam beobachtet, was da gerade passiert
ist. Sie erklärt ihrer Freundin, dass sie eine
Kanne mit blauem, also kaltem Wasser
und eine mit rotem, heißem Wasser malen
muss: »Du musst eins rot machen, nicht
zweimal blau.«
Marjan Mehdizadeh betreut die Experi-
mentiergruppe schon seit anderthalb Jah-
ren. Sie meint, dass die Kinder in den letz-
ten Jahren wesentlich wacher geworden
sind und man ihnen mehr zutrauen kann.
»Kinder wollen gefördert werden, und das
geht auch durch Experimente. Die Expe-
rimente sollen das Interesse wecken. Kin-
der sollen sich mit selbstverständlichen
Sachen auseinandersetzen, deren Hinter-
gründe sie nicht kennen.«
IntereSSe WecKenAber was sollen Kinder aus naturwissen-
schaftlichen Projekten mitnehmen? Soll
das Experimentieren nur Spaß machen,
oder sollten sich Kinder auch schon mit
der Verantwortung der Wissenschaft be-
schäftigen? Und wenn ja, mit welcher Art
Verantwortung? Beim Experimentieren
muss man beispielsweise sparsam und
vorsichtig mit den Materialien und Stoffen
umgehen. Man muss aufpassen, dass man
sich und die anderen nicht verletzt, und
dass alle Kinder gleich oft an die Reihe
Ausprobieren erlaubt! riccardo gießt Wasser über die zuvor zerkleinerten Lavendelblüten (links). Seine teamkollegen aus der Forscherwerkstatt besprechen gemeinsam, wie der Versuch am besten durchzuführen ist (rechts).
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18 GRAUZONE
kommen. Diese Arten der Verantwortung
lernen die Kinder ganz nebenbei mit, sagt
Gisela Lück. »Dies wird dem Kind auch
schon früh zugetraut. Nur dem, dem ich
etwas zutraue, kann ich auch Verantwor-
tung übergeben. Das wird auch gemacht,
nur eben ohne zu sagen: Du hast auch spä-
ter mal eine Verantwortung.«
Die Politik macht schon seit Jahren da-
rauf aufmerksam, dass es in den nächsten
Jahren zu einem Fachkräftemangel kom-
men wird. Dass nun vermehrt Experimen-
tierkurse angeboten werden, hat auch da-
mit zu tun. »Es wird auch gesellschaftlich
mitgetragen«, sagt Petra Bonnet, Leiterin
des Büros für Kommunikationsberatung
in Stuttgart. »Das würde ich nicht unter-
schätzen, wie viel da aus der Bildungspo-
litik, Unternehmen und Berufsverbänden
gefordert wird.«
»Im Kindergarten steht Verantwortung
in Physik und Chemie nicht im Vorder-
grund, sondern Freude am Experimentie-
ren und ohne Angst an Physik und Chemie
heran gehen«, sagt Lück. Allerdings darf
man nicht erwarten, dass Kinder am Ende
eines Kurses eine physikalische Formel
aufzeichnen können. Das müssen sie auch
gar nicht, meint Bonnet: »Wenn den Kin-
dern der direkte Bezug dazu fehlt, bringt
das gar nichts.«
Es ist wichtiger zu sehen, was Wissen-
schaft alles kann, meint Piotr Kowina vom
GSI Helmholtzzentrum für Schwerionen-
forschung in Darmstadt. Er hat Erfahrung
darin, seine Forschung auch für Kinder
interessant darzustellen. Zum Beispiel im
Rahmen der Kinderuni Darmstadt. Hier
möchte nicht nur Kowina, sondern auch
verschiedene Institute, Organisationen
oder Unternehmen mit Vorträgen das
kindliche Interesse an Wissenschaft för-
dern. »Kinder sollen Interesse an der Wis-
senschaft bekommen und lernen, was sie
eigentlich bedeutet und womit sich For-
scher beschäftigen«, meint Kowina.
»Häufig wissen sie nicht wirklich, was
Wissenschaftler eigentlich tun. Das kann
problematisch werden, wenn sie sich wäh-
rend der Pubertät in der Schule plötzlich
mit Naturwissenschaften konfrontiert se-
hen.« In dieser Lebensphase sei nämlich so
ziemlich alles interessanter, als chemische
Formeln zu ermitteln.
VerAntWortung geben In der Pestalozzi-Grundschule in Lampert-
heim wird daher schon früh das Interesse
der Kinder geweckt. Lavendelduft erfüllt
die Forscherwerkstatt, in der elf Kinder aus
der zweiten Klasse experimentieren. Das
Klassenzimmer ist vollgestellt mit unzähli-
gen Experimentierkästen, Reagenzgläsern,
Mörsern, Pipetten und Mikroskopen. In der
Experimente-AG können sich die Kinder
selbstständig aus bis zu 50 Versuchen ei-
nen aussuchen und bearbeiten. Eine Grup-
pe von vier Jungen stellt heute Lavendel-
parfüm her. Die vier haben sich eine Kiste
mit Materialien und Versuchserklärung aus
dem Regal geholt. Emilio liest vor, was jetzt
noch besorgt werden muss: »Wir brauchen
einen Kaffeefilter. Nee, nicht den, einen
größeren!« Es wird laut in dem sonst eher
ruhigen Raum. Die Jungen zerkleinern die
getrockneten Lavendelblüten im Mörser.
Wer nicht stampft, darf später das Blüten-
Wasser-Konzentrat filtern und in Fläsch-
chen abfüllen. Das alles klären sie eigenver-
antwortlich, ohne die Hilfe ihrer Lehrerin.
Am Ende der Stunde erklärt Jan seinen
Mitschülern, wie seine Gruppe das Parfüm
hergestellt hat. »Erst hat es wie Cola aus-
gesehen und gar nicht gerochen. Es war
schon schwer, weil wir so stampfen mus-
sten, aber es hat Spaß gemacht.« Die Leh-
rerin ist sich sicher: »In den nächsten zwei
Wochen ist der Versuch ausgebucht.«
Verantwortung muss für Kinder noch
keine Rolle spielen. »Man kann nicht über
die großen Dinge reden, über das Ozon-
loch. Wir wollen ihnen ja nicht das Leid der
Welt näher bringen«, sagt Gisela Lück.
In der Forscherwerkstatt wird deutlich,
dass Kinder beim Experimentieren ei-
genverantwortlich arbeiten können. »Die
Projekte sind nicht darauf ausgelegt, dass
die Kinder frühzeitiger lernen«, sagt Petra
Bonnet. »Vielmehr gehe es darum, den
Kindern zu verdeutlichen, dass Wissen-
schaft Teil ihres Alltages ist. Wenn Kinder
Wissenschaft und Technik erst mal ver-
standen haben, dann gehen sie viel offener
damit um.« <<
Caroline Hentschel
Mia (links) und olivia (rechts) malen das eben beobachtete experiment. Dadurch spielen sie den Versuch gedanklich nochmal durch.
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BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAGMarkgrafenstraße 12–14 • 10969 Berlin • Tel. 030 / 841770-0 • Fax 030 / 841770-21E-Mail: [email protected]
BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG
www.bwv-verlag.de
Stephan Albrecht, Hans-Joachim Bieber, Reiner Braun, Peter Croll, Henner Ehringhaus, Maria Finckh, Hartmut Graßl, Ernst Ulrich von Weizsäcker (Hrsg.)
Wissenschaft – Verantwortung – Frieden: 50 Jahre VDWWie es sich für einen Rückblick gehört, beschreiben Zeitzeugen und die Archive auswertende und Zeit-zeugen befragende Wissenschaftler, wie sich die VDW in fünf Jahrzehnten wandelte, welche Erfolge sie feiern konnte und wie viel versandete. Aber auch wie VDW’ler als Berater von Regierungen, Par-lamenten und den Vereinten Nationen Einfluss nehmen konnten. Mitglieder der VDW sind sicherlich Beschleuniger für eine wachsende Weltinnenpolitik gewesen. Einige haben übergreifend für mehrere globale Probleme nicht nur wissenschaftliche Durchbrüche erzielt, sondern auch politische Teillösungen mit erarbeitet. 2009, 615 S., 14 Abb., geb. m. SU, UVP 30,– €, 978-3-8305-1704-7eBook PDF 69,– €, 978-3-8305-2509-7
Stephan Albrecht, Hans-Joachim Bieber, Reiner Braun, Peter Croll, Henner Ehringhaus, Maria Finckh, Hartmut Graßl,
Ernst Ulrich von Weizsäcker (Hrsg.)
Wissenschaft – Verantwortung – Frieden:
50 Jahre VDW
BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG
BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG
Dieter Deiseroth, Annegret Falter (Hrsg.)
Whistleblowerim nuklear-industriellen Komplex
Preisverleihung 2011
Rainer Moormann
Dieter Deiseroth, Annegret Falter (Hrsg.)
Whistleblowing im nuklear-industriellen KomplexPreisverleihung 2011 – Dr. Rainer MoormannHochtemperatur-Reaktoren werden von interessierten Kreisen in der Fachwelt, in der Wirtschaft und in der Politik bis heute dafür gerühmt, dass sie „inhärent sicher“ seien: Bei ihnen bestehe nicht das Risiko einer Kernschmelze. Nukleare Katastrophen seien also nicht zu befürchten. Mit diesem Argument wird seit längerem der Export des Reaktortyps auch in Länder mit niedrigeren Sicherheitsstandards betrie-ben. Dr. Moormann ist in seinen Untersuchungen demgegenüber zu dem Schluss gelangt, dass mit der Kugelhaufen-HTR-Technologie andere, nicht minder bedrohliche Störfallmöglichkeiten und Risiken mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt verbunden sind. Seine Hinweise begründen zudem den Verdacht, dass wesentliche Umstände und Folgen eines Störfalls 1978 im Reaktor Jülich bisher verschleiert worden sind.2011, 122 S., 11 Abb., kart., 12,80 €, 978-3-8305-3021-3Kombipaket Print & E-Book-PDF: 19,– €, 978-3-8305-2731-2
Dieter Deiseroth, Annegret Falter (Hrsg.)
Whistleblower in der SteuerfahndungPreisverleihung 2009 – Rudolf Schmenger, Frank WehrheimRudolf Schmenger ist nicht „paranoid-querulatorisch“. Er hat nur mehr Zivilcourage als andere. Er war als Steuerfahnder am Finanzplatz Frankfurt am Main mit Ermittlungsverfahren gegen Großbanken befasst. Er wurde 2006 gegen seinen Willen von seinem Dienstherrn in den Ruhestand versetzt. Die Zwangspensionierung erfolgte auf der Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens. Schmenger setzte sich zur Wehr. Ein Berufsgericht verurteilte den Gutachter unlängst wegen vorsätzlicher, grober Verlet-zung fachlicher Standards. Auch das hessische Finanzministerium handelte rechtswidrig. Es versäum-te die eigenständige Prüfung des Gutachtens. Wie Schmenger ging es noch drei Fahndern derselben Abteilung. Zehn weitere KollegInnen, darunter Frank Wehrheim, wurden versetzt oder zu Tätigkeiten abgeordnet, die nicht ihrer Qualifikation als Steuerfahnder entsprachen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie begründete Einwände gegen eine Verwaltungsanordnung vorgebracht hatten, die sie ihrer Ansicht nach in ihren Ermittlungen gegen Großanleger in Luxemburg und Liechtenstein behinderte. In der Folge sahen sie sich Mobbing, Schikanen und Disziplinierungsmaßnahmen ausgesetzt. – Es steht hier auch das Beamten- und Dienstrecht in der Kritik.2010, 149 S., 17 Abb., kart., 14,80 €, 978-3-8305-1756-6
BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG
Dieter Deiseroth, Annegret Falter (Hrsg.)
Whistleblower in der SteuerfahndungPreisverleihung 2009
Rudolf Schmenger Frank Wehrheim
Whistleblowerpreis 2003 – Den Whistleblower-Preis 2003 erhielt der Amerikaner Daniel Ellsberg – für sein Lebenswerk.2004, 65 S., kart., 9,80 €, 978-3-8305-0973-8Whistleblower in Gentechnik und Rüstungsforschung – Preisverleihung 2005: Theodore A. Postol / Arpad Pusztai2006, 158 S., 12 Abb., kart., dt./engl., 17,90 €, 978-3-8305-1262-2Whistleblower in Altenpfl ege und Infektionsforschung – Preisverleihung 2007: Brigitte Heinisch / Liv BodeeBook PDF 2007, 80 S., 17 Abb., kart., 9,80 €, 978-3-8305-1455-8
Unbenannt-1 1 08.02.2012 21:01:37 Uhr
20 GRAUZONE
Klinische Forschung an Kindern
In Deutschland sind zu wenige Medikamente an Kindern getestet und für sie zugelassen. Bei der Behandlung tappen die Ärzte daher oft im Dunkeln. Um Medikamente optimal auf sie abzu-stimmen, sind klinische Studien an Kindern notwendig. Doch Forschung an Minderjährigen ist ein sensibles Thema. Sie können nicht selbst einwilligen und sind dennoch gewissen Risiken und Belastungen ausgesetzt. Außerdem ist da noch die Angst, Kinder könnten als Versuchskaninchen missbraucht werden.
Studieren geht über probieren
Die dreijährige Leonie ist krank. Sie
kommt ins Krankenhaus und die
Diagnose ist schnell klar. Wäre Le-
onie erwachsen, hätte der Arzt das pas-
sende Medikament für sie. Doch für Kin-
der ihres Alters hat er kein zugelassenes
Arzneimittel. Also bekommt Leonie ein
Medikament, das nur an Erwachsenen ge-
prüft und für diese zugelassen wurde.
Das ist in Deutschland keine Seltenheit.
Bis zu 70 Prozent der Medikamente, die
Kinder in stationärer Behandlung erhalten,
sind nicht für sie zugelassen. Auf Neugebo-
renenstationen sind es teilweise mehr als
90 Prozent. Ambulant ist etwa jeder sech-
ste Wirkstoff nicht für diese Altersgruppe
bestimmt. Die Zahlen schwanken je nach
Art und Häufigkeit der Erkrankung.
Obwohl es kein passendes Medika-
ment gibt, ist Nichtbehandeln keine Op-
tion. Auch in Leonies Fall nicht. Der Arzt
entscheidet sich für ein Medikament, mit
dem er bei Erwachsenen gute Erfahrungen
gemacht hat. Doch wie soll er es dosieren?
Wäre Leonie erwachsen, wäre auch das kein
Problem. Dann ließe sich die Menge, die sie
braucht, anhand ihres Körpergewichts be-
rechnen. Doch Kinder sind keine kleinen
Erwachsenen. Ihr Stoffwechsel und Kör-
perbau verändert sich im Laufe der Kind-
heit und Jugend erheblich. Die notwendige
Dosis in den einzelnen Entwicklungspha-
sen schwankt dabei stark (s. Grafik). Ein
Neugeborenes braucht beispielsweise eine
viel geringere Dosis als man aufgrund des
Körpergewichts annehmen würde. Säug-
linge und Kleinkinder hingegen brauchen
oftmals eine überraschend hohe Menge,
damit das Medikament wirkt.
Also muss der Arzt festlegen, welche
Menge des Medikaments Leonie bekommt.
Ob er diese Dosis errechnet, schätzt oder
rät, macht keinen Unterschied. Denn wis-
»Off-label« und »unlicensed«
Beim »off-label«-Gebrauch werden Medikamente außerhalb ihres Zulassungsbe-reichs angewendet. Kinder bekommen häufig Medikamente, die aufgrund ihres Al-ters »off-label« sind. Entweder ist das Arzneimittel für eine andere Altersgruppe (z.B. 18-50 Jahre) zugelassen oder Angaben zum Alter fehlen. Auch wenn der Arzt die Do-sierung oder die Darreichungsform ändert, um die Behandlung dem Kind anzupas-sen, spricht man von »off-label«-Gebrauch.
Im Krankenhaus-Alltag kommen auch »unlicensed«-Medikamente zum Einsatz. Sie wurden nicht klinisch getestet und besitzen daher keine Produktlizenz. Die nicht zugelassenen Medikamente werden beispielsweise importiert oder in der Klinikapo-theke hergestellt.
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 21
Arzneimittel in Hülle und Fülle. Ein kranker Erwachsener hat selten das Problem, dass es für ihn keine Medikamente gibt. Doch Kinder stehen häufig mit leeren Händen da.
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sen kann er sie ohne eine klinische Studie
nicht. Der deutsche Ethikrat fordert daher
»angesichts der Risiken ungetesteter Me-
dikamente« kontrollierte Arzneimittelfor-
schung an Kindern. Solche Studien seien
die Voraussetzung für eine wirksame und
sichere Behandlung. In ihnen wird nicht nur
die richtige Dosis ermittelt. Auch eventuell
unentdeckte Nebenwirkungen bei Kindern
werden in einer Studie erkennbar.
Ein unwägbarEs rEstrisikoDoch weil Forschung an Minderjährigen
oft heikel ist, gelten strenge Regeln. Jede
geplante Studie muss im Voraus von einer
Ethikkommission geprüft und genehmigt
werden. Sie kontrolliert, ob die Forschung
ethisch vertretbar und im Sinne der Kin-
der ist. Damit die Kommission grünes
Licht gibt, müssen sowohl das Risiko, als
auch die Belastung für das Kind minimal
sein. Das Risiko lässt sich relativ gut abwä-
gen, da fast alle Medikamente vorher an
Erwachsenen getestet wurden. Allerdings
kommt es vor, dass bei Kindern andere Ne-
benwirkungen auftreten. So bleibt in jeder
Studie ein unwägbares Restrisiko.
Im Kommentar des Arzneimittelge-
setzes sind Fallbeispiele aus der Praxis be-
schrieben. Sie sollen verdeutlichen, wann
die Belastung für das Kind minimal und
somit ethisch vertretbar ist. Als Entschei-
dungshilfe für die Ethikkommissionen
genügt das Dr. Claudia Wiesemann und
anderen Kritikern allerdings nicht. »Selbst
diese Beispiele enthalten einen Interpre-
tationsspielraum«, sagt die Direktorin des
Instituts für Ethik und Geschichte der Me-
dizin an der Universitätsmedizin Göttin-
gen. »Auch wenn sich in den letzten Jah-
ren vieles verbessert hat, wir haben noch
immer zu wenig Vergleichsgrößen und
Austausch der Ethikkommissionen unter-
einander.« Eine Grauzone, in der im Ein-
zelfall entschieden wird, werde es immer
geben. Doch laut Wiesemann fehlt eine
klare Grenze zu dem, was »grundsätzlich
indiskutabel« ist.
Ist die Studie genehmigt, beginnt die
Suche nach Teilnehmern. Normalerwei-
se muss ein potentieller Proband vor-
her vom Arzt umfangreich über Ablauf,
Risiken und Ziele der Studie informiert
werden. Wenn er ohne äußeren Zwang
einwilligt, steht seiner Teilnahme nichts
mehr im Wege. Bei Kindern gestaltet sich
das schwierig. Gerade für die Kleinen ist es
fast unmöglich das Wesen und Ausmaß ei-
ner Studie zu verstehen. Jugendliche wie-
derum dürfen aus rechtlichen Gründen
nicht einwilligen. Das können letztlich
nur die Eltern. Doch auch das Kind hat
ein Mitspracherecht. »Schulkinder und
Jugendliche müssen zustimmen«, erklärt
Dr. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinder-
und Jugendklinik Erlangen. »Die Eltern
willigen ein, doch wenn das Kind nicht
teilnehmen möchte, nehmen wir es nicht
in die Studie auf.« Über das Gespräch mit
22 GRAUZONE
dem Arzt hinaus erhält es einen auf sein
Alter und den Entwicklungsstand abge-
stimmten Informationsbogen. So werden
auch die jungen Teilnehmer aufgeklärt.
Wie sehr diese Informationen ins De-
tail gehen, hängt vom Alter und Entwick-
lungsstand des Kindes ab. Die dreijährige
Leonie wird das Behandlungskonzept und
den Sinn der Studie auch bei noch so kind-
gerechter Erklärung nicht richtig erfassen.
Wie geht der Arzt also mit sehr kleinen Kin-
dern um? »Indem man sich lieb mit dem
Kind beschäftigt«, sagt Dr. Andreas Kulo-
zik. Der Direktor der Pädiatrischen Onko-
logie in Heidelberg möchte, dass auch die
Kleinen merken: »Hier ist jemand, der will
mir Gutes.« Mit diesem Vertrauensverhält-
nis nehme das Kind auch unangenehme
Behandlungsschritte hin. Standardisier-
bar ist der Umgang mit den Kindern für
Kulozik nicht. »Ich schaue mir immer die
Situation und das konkrete Kind an und
beziehe es, je nach dem persönlichen Ent-
wicklungsstand, mit ein.«
studiE statt HEilvErsucHIn vielen Studien geht es auch um eine
kindgerechte Darreichungsform des Arz-
neimittels. Was bei Erwachsenen völlig
normal ist, kann Ärzte bei Kindern vor
Probleme stellen. Kleinkinder können die
zu großen Tabletten oftmals nicht herun-
terschlucken. Oder der Saft hat so einen
bitteren Geschmack, dass Babys sich wei-
gern ihn zu trinken. Bei der klinischen Prü-
fung hingegen können die Ärzte die opti-
male Form – Zäpfchen, Tablette, Spritze,
Saft – für die Altersgruppe der Patienten
herausfinden.
Ärzte, die Studien mit Kindern durch-
führen wollen, brauchen eine besondere
Qualifikation. Im Arzneimittelgesetz ist
festgelegt, dass sie sich mit dem kind-
lichen Krankheitsbild und dem Umgang
mit minderjährigen Patienten auskennen
müssen. Ein Mediziner, der nicht auf Kin-
der spezialisiert ist, kommt also nicht in
Frage. Die jungen Studienteilnehmer sol-
len bestmöglich betreut werden.
Zusammenfassend sieht Dr. Wolfgang
Rascher zwei Möglichkeiten, Kindern Me-
dikamente zu geben: »Eine ist, dass wir mit
einigen Kindern eine gute Studie machen.
Die Ethikkommission und das Bundesin-
stitut für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte müssen zustimmen. Der Patient ist
versichert und der Arzt muss alles proto-
kollieren. Er muss jede eventuelle Neben-
wirkung melden und sich ständig rechtfer-
tigen. Das ist eine Studie.«
Bei der anderen Möglichkeit, so Rascher,
probiere jeder X-beliebige Doktor ein Me-
dikament aus. In einem »Heilversuch«
könne er die Dosis raten und brauche sich
nicht dafür zu rechtfertigen. Wenn dem
Kind dann etwas passiert, »haben die El-
tern Pech gehabt«. Für Rascher ist klar:
»Das macht das Kind zum Versuchskanin-
chen, nicht die Studie!« <<
Franziska Bernsdorf
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Gruppennützige Forschung
Es gibt Studien, die keinen Eigennut-zen für den Teilnehmer haben. Statt-dessen nützen sie Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden. Diese gruppennützige Forschung ist nur bei minimalem Risiko und minima-ler Belastung des Probanden erlaubt. Bei Kindern ist sie umstritten. Häu-fig werden gruppennützige Studien durchgeführt, um Normalwerte bei gesunden Minderjährigen zu ermit-teln. Die technischen Verfahren (z.B. zur Diagnostik) entwickeln sich stän-dig weiter. Ohne die Werte gesunder Kinder, kann der Arzt krankhafte Ab-weichungen mit neuen Methoden nicht erkennen.
Kleine Körper – niedrige Medikamentendosis? So einfach ist es leider nicht. Beim Erwach-senwerden wächst zwar das Körpervolumen (schwarz). Doch die passende Dosis (blau) hängt vom Stoffwechsel ab und der variiert in den verschiedenen Entwicklungsphasen stark.
NEU: WELTINNENPOLITISCHE COLLOQUIEN
Ulrich Bartosch; Gerd Litfin; Reiner Braun;Götz Neuneck (Hrsg.)Verantwortung von Wissenschaft und Forschungin einer globalisierten WeltForschen – Erkennen – HandelnDie Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) und dieVereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) diskutier-ten 2009 über Fragen von Sicherheit und Nachrüstung,Umwelt und Nachhaltigkeit, Wissenschaft und Verantwor-tung, Bildung und Wissenschaft.Der Band enthält die Beiträge von Stephan Albrecht, Ger-hard Barkleit, Nina Buchmann, Christopher Coenen, Ja-yantha Dhanapala, Christian Forstner, Klaudius Gansczyk,Hartmut Grassl, Manfred Hampe, Hans R. Herren, Frankvon Hippel, Martin Ka-linowski, Konrad Kleinknecht, Ke-vin Knobloch, Wolfgang Liebert, Klaus Mayer, Heidi Mey-er, Wolfgang Neef, Götz Neuneck, Frank Schilling, JürgenSchneider, Jack Steinberger, Ernst Ulrich von Weizsäcker,Manuela Welzel-Breuer, Albert Zeyer.
400 S., 24,90 €, br., ISBN 978-3-643-11285-9
Ulrich Bartosch; Klaudius Gansczyk (Hrsg.)Weltinnenpolitik für das 21. JahrhundertCarl-Friedrich von Weizsäcker verpflichtetZu Ehren des am 28. April 2007 verstorbenen Physikers,Philosophen und Friedensforschers Carl Friedrich vonWeizsäcker, der 1963 den Begriff „Weltinnenpolitik“ in dieöffentliche Diskussion einbrachte und sich Jahrzehnte langin Verantwortung für Frieden mit friedlichen Mitteln, glo-bale Gerechtigkeit und Bewahrung der Natur engagiert hat,tragen zu diesem Themengeflecht im vorliegenden Buchnamhafte Autoren ihre Sicht auf das 21. Jahrhundert vor:zu Weltwirtschaft, Weltpolitk, Weltethos und Interkulturel-ler Philosophie in Anbetracht planetarischer Bedrohungendurch Klimawandel, Armut, Kriege u.a.m.376 S., 29,90 €, br., ISBN 978-3-8258-0808-2
Ulrich Bartosch; Jochen Wagner (Hrsg..)WeltinnenpolitikHandeln auf Wegen in der Gefahr. Carl FriedrichWeizsäcker zum 85. Geburtstag. Neuauflage„Überfällige Weltinnenpolitik. Ein politisches und kompe-tentes Gegengewicht zur wirtschaftlichen Globalisierungfehlt bislang“, überschrieb die Süddeutsche Zeitung ih-ren Bericht zur internationalen Tagung 1997 anlässlichdes 85. Geburtstages von Carl Friedrich von Weizsäckerin der Evangelischen Akademie Tutzing. Mit dem „Den-ker der Weltinnenpolitik“ (Die Zeit) trafen Experten ausWissenschaft und Politik zusammen und diskutierten überChancen und Gefahren im Zeitalter der Globalisierung.11 Jahre nach der großen Tutzinger Tagung zur Weltinnen-politik erfährt die Dokumentation der dortigen Vorträgeeine Neuauflage.Am 28. April 2007 ist der große deutsche Physiker, Frie-densforscher und Philosoph im 95. Lebensjahr gestorben.Mit dem vorliegenden Buch sind jene Texte wieder verfüg-bar, die das direkte Gespräch mit Weizsäcker dokumen-tieren und seine eigenen Beiträge lebendig werden lassen.Sie unterstreichen die bleibende Gültigkeit und sichtbareFortentwicklung einer weltinnenpolitischen Sichtweise undZielsetzung.Mit Beiträgen von Ulrich Bartosch, Chris Brown, SeyomBrown, Jost Delbrück, Hans Peter Dürr, Friedemann Grei-ner, Ingomar Hauchler, Peter Hennicke, Knut Ipsen, HansJoas, Hans Küng, Dieter S. Lutz, Hermann von Loewe-nich, Klaus M. Meyer-Abich, Michael Müller, Franz JosefRadermacher, Eugeen Verhellen, Jochen Wagner, CarlChristian von Weizsäcker, Carl Friedrich von Weizsäckerund Ernst Ulrich von Weizsäcker.288 S., 24,90 €, br., ISBN 978-3-8258-1475-5
Stephan Albrecht; Ulrich Bartosch;Reiner Braun (Hrsg.)Zur Verantwortung der Wissenschaft – CarlFriedrich von Weizsäcker zu EhrenBeiträge des 1. Hamburger Carl Friedrich vonWeizsäcker-ForumsVom 21. bis 22. September 2007 fand an der Univer-sität Hamburg das 1. Hamburger Carl Friedrich vonWeizsäcker-Forum statt. Es wurde getragen von der Verei-nigung Deutscher Wissenschaftler gemeinsam mit der Uni-versität Hamburg, dem Philosophischen Seminar, dem CarlFriedrich von Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaftund Friedensforschung und dem Institut für Friedensfor-schung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.In kritischer Würdigung der Lebensleistung, in dankbarerErinnerung an seine Verdienste für die veranstaltenden In-stitutionen und mit dem Wunsch seine Denkansätze für dieaktuellen Fragestellungen fruchtbar zu nutzen, wurde einDiskussionsrahmen geschaffen, der künftig regelmäßig inHamburg realisiert wird. Das Buch dokumentiert Beiträgedes ersten Forums. Ergänzend wurde ein Vortrag und einStreitgespräch aufgenommen, die zum 91. Geburtstag CarlFriedrich von Weizsäckers an der Katholischen Universi-tät Eichstätt-Ingolstadt entstanden sind. Ein bewegendesZeitdokument beschliesst den Band. Die Predigt zur Trau-erfeier in Starnberg im Rahmen der Beisetzung von CarlFriedrich von Weizsäcker eröffnet – voller Zuneigung – diepersönliche, private Sicht des Schwiegersohnes KonradRaiser auf das Leben und auf das Sterben des großen Ge-lehrten.192 S., 19,90 €, br., ISBN 978-3-8258-1769-5
Beachten Sie den FachkatalogPolitikwissenschaft
unter:http://www.lit-verlag.de/kataloge
Beachten Sie den FachkatalogPhilosophie
unter:http://www.lit-verlag.de/kataloge
LIT Verlag Berlin – Münster – Wien – Zürich – LondonAuslieferung: D: LIT Verlag Fresnostr. 2, D-48159 Münster, Mail: [email protected]
A: Medienlogistik Pichler-ÖBZ GmbH & Co KG, Mail: [email protected] CH: B + M Buch- und Medienvertriebs AG, Mail: [email protected]
Unbenannt-2 1 08.02.2012 21:08:16 Uhr
24 GRAUZONE
interview
Die Übeltäter heißen Menthol, Zucker oder Vanille: Zusatzstoffe, die heute in fast jeder Zigarette enthalten sind. Forscher entwickelten die Zusätze, um die Attraktivität von Zigaretten zu erhöhen, sagt Martina Pötsch-ke-Langer. Wir sprachen mit der Leiterin der Stabsstelle für Krebsprävention am Deutschen Krebs forschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg über ihren jahrelangen Kampf mit der Tabakindustrie und die Verantwortung von Wissenschaftlern für die Nikotinsucht.
»Sie lieben es, mich zu hassen«
Frau Pötschke-Langer, Sie arbeiten
seit etwa 15 Jahren in der Krebspräventi-
on und haben sich mit den Gefahren von
Zusatzstoffen beschäftigt. Warum haben
Sie Ihre Karriere so eng mit dem Thema
Tabak verbunden?
Pötschke-Langer: Während meines Medi-
zinstudiums habe ich auch in der Abtei-
lung für Lungenkrebspatienten gearbeitet.
Dort musste ich das unendliche Elend der
Menschen erleben, die jämmerlich ver-
starben. Die Konfrontation mit der medi-
zinischen Wirklichkeit war eine Sache. Die
andere war meine Arbeit in der Gefäßam-
bulanz. Meine damaligen Patienten waren
zu fast 60 Prozent Raucher. Sie wären von
Gefäßerkrankungen verschont geblieben,
wenn sie nicht geraucht hätten. Der müh-
same Prozess, den chronisch Kranken das
Rauchen abzugewöhnen, hat mich dann
dazu bewogen.
Sie haben also aufgrund Ihres Ver-
antwortungsgefühls gehandelt?
Pötschke-Langer: Ich habe die Verantwor-
tung gesehen, weil sich damals keine In-
stitution in Deutschland ernsthaft darum
bemüht hat: In vielen Ländern, wie etwa
Skandinavien oder Großbritannien, gab es
in den 1990ern Fortschritte in Bezug auf
Tabakprävention und Rauchentwöhnung,
nur nicht in Deutschland. Es war unglaub-
lich! Wir haben deshalb entschieden, dass
es so nicht weiter gehen kann.
Wie ging es weiter?
Pötschke-Langer: Ich hatte damals am
Deutschen Krebsforschungszentrum ei-
nen fantastischen Chef: Professor Harald
zur Hausen, der 2008 den Medizin-Nobel-
preis erhielt. Er gab mir 1997 die einmalige
Gelegenheit, eine eigene Abteilung aufzu-
bauen.
Kommen wir zu den Zusatzstoffen.
Erhöhen sie die Suchtgefahr von Zigaret-
ten?
Pötschke-Langer: Zusatzstoffe erhöhen
die Sucht indirekt, indem sie die Attrakti-
vität von Tabakprodukten massiv erhöhen
und diese leichter rauchbar machen. 85
Prozent aller Raucher fangen vor dem 18.
Lebensjahr an. Diesen Jugendlichen wird
der Rauchbeginn durch Zusatzstoffe be-
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 25
sonders leicht gemacht. Das Fatale an den
Zusätzen ist, dass sie bereits Kindern und
Jugendlichen eine tiefe Inhalation ermög-
lichen, weil der bittere, unangenehme Ta-
bakgeschmack verdeckt wird.
Ein wichtiger Zusatzstoff ist Men-
thol. Warum?
Pötschke-Langer: Menthol wird eigentlich
therapeutisch eingesetzt, da es kühlend
und schmerzlindernd wirkt. Es schließt
aber auch die Atemwege auf, wodurch man
sehr tief inhalieren kann. Bei Zigaretten
führt es dazu, dass der Tabakrauch mit sei-
nen krebserzeugenden Substanzen länger
in der Lunge bleiben kann. Inzwischen ist
Menthol in fast jeder Zigarette vorhanden,
obwohl es dort nicht hin gehört.
Oh, blauer Dunst!In der Glut einer Zigarette herrschen 600 bis 900°C. Bei diesen Tempe-raturen kann aus dem ansonsten harmlosen Zusatzstoff Zucker Acrylamid und Acrolein werden – zwei krebserregende Substanzen.
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26 GRAUZONE
Können Sie das näher erläutern?
Pötschke-Langer: Wenn der Zusatz in den
Zigaretten eine Mischung aus Menthol,
Vanille und Zuckerarten ist, dann macht
diese Mischung das Rauchen so leicht und
angenehm wie nur möglich. Heute sind
Zigaretten dazu geeignet, den Kinder- und
Jugendmarkt zu erobern.
Die Tabakindustrie setzt die Zusatz-
stoffe ganz bewusst ein, und diese werden
von Forschern gezielt entwickelt?
Pötschke-Langer: Das ist richtig. Wir haben
Paradebeispiele aus den Tabakindustriedo-
kumenten, die in den 1990er Jahren wegen
der Haftungsprozesse in den USA [Anm.
d. Red.: Schadensersatzprozesse mehre-
rer US-Staaten gegen die Tabakindustrie]
ins Internet gestellt werden mussten. In
diesen Prozessen wurde herausgearbeitet,
dass die ganze Palette der Zusatzstoffe im
Wesentlichen dazu dient, Neueinsteiger
anzusprechen und zu gewinnen, sowie die
bereits bestehenden Raucher in der Ab-
hängigkeit zu halten.
Können Sie ein Zitat nennen?
Pötschke-Langer: Gerne. Zu Menthol
schrieb die Tabakindustrie intern bereits
in den 1970ern: »Unser Labor hat die
komplexen Interaktionen zwischen Niko-
tin- und Menthol-Freisetzung aufgedeckt.
Diese Beobachtung wird der Produkt-Ge-
schmacks-Entwicklung helfen, optimale
Mentholprodukte zu konstruieren.« Die
Beteiligten wissen über die Wirkung also
ganz genau Bescheid.
Heute gibt es Zigaretten, auf denen
steht: »ohne Zusatzstoffe«. Was kann man
davon halten?
Pötschke-Langer: Gar nichts! Ganz provo-
kant gesagt habe ich Zweifel, dass sie keine
Zusatzstoffe enthalten: Die meisten sind
leicht zu rauchen und unterscheiden sich
kaum von den anderen Zigaretten. Es ist zu
vermuten, dass die Zusatzstoffe nicht im
Tabak, sondern im Filter oder in der Hülle
untergebracht werden.
Sind Ihnen Fälle von Wissenschaft-
lern bekannt, die direkt von der Tabakin-
dustrie finanziert wurden?
Pötschke-Langer: Das ist ein trauriges Kapi-
tel in der Geschichte der Wissenschaft, das
insbesondere die deutsche Wissenschaft
betrifft. Wir haben dazu Beispiele, die wir
auf die Website gestellt haben [Anm.d.Red.:
www.dkfz.de/de/tabakkontrolle]. Und es
wird bis heute noch geforscht.
Können Sie einen konkreten Fall
nennen?
Pötschke-Langer: Können ja. Aber ich
möchte an dieser Stelle keinen Einzelfall
herausgreifen.
Wie sieht die Forschung zu Tabak in
Deutschland aus?
Pötschke-Langer: Es gibt keinen Risiko-
faktor, der so gut erforscht ist wie das
Tabakrauchen. In den medizinischen Da-
tenbanken finden Sie 40.000 bis 50.000
Publikationen zu gesundheitlichen Folgen
des Rauchens und zur Sucht durch Tabak-
produkte. Was die Gesundheitsgefährdung
angeht, sind alle Daten auf dem Tisch.
Jährlich sterben 650.000 Menschen in
Europa an den Folgen des Rauchens. Wa-
rum gibt es bis heute kein Verbot von Zu-
satzstoffen in Deutschland?
Pötschke-Langer: Das kann man ganz
klar beantworten. Die Tabaklobby hat
eine immense Stärke, insbesondere in
Deutschland. Und sie hat es bisher durch
geschicktes Lobbying geschafft, eine Pro-
duktregulation zu verhindern.
Sie sitzen seit 1992 im Steuerungs-
gremium des »Aktionsbündnisses
Nichtrauchen« und seit 2000 im Steue-
rungsgremium des »Wissenschaftlichen
Aktionsbündnisses Tabakentwöhnung«.
Was genau machen Sie dort?
Das Ende einer »Kippe« – zerdrückt im Aschenbe-cher. Voll gefüllt entfaltet der Ascher sogar eine gewisse Ästethik. Im Filter gut erkennbar: die braunen Rückstände. Gesundheitskosten durch das Rauchen in Europa: 1 Prozent des Bruttoin-landprodukts, schätzt die WHO.
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 27
Die Wissenschaftler der Tabakindustrie werden exorbitant gut bezahlt. Es ist ihre Entscheidung, für wen sie arbeiten und von wem sie das Geld nehmen. Denn sie wissen ganz genau, was sie dort tun. Es ist die Frage: Ist Ethik für mich ein Stellenwert?
»
«
Pötschke-Langer: Wir stimmen uns mit
anderen angesehenen Organisationen
ab, wie etwa der Deutschen Krebshil-
fe oder der Deutschen Gesellschaft für
Kardiologie.
Sehen Sie Interessenskonflikte
zwischen Ihrem Engagement und Ihrer
wissenschaftlichen Arbeit?
Pötschke-Langer: Ich kann keine erken-
nen. Wenn es Interessenskonflikte gäbe,
dann würde ich an einer solchen Initiati-
ve nicht mitwirken.
Haben Sie Probleme mit der Tabak-
industrie bekommen?
Pötschke-Langer: Mit der Tabakindustrie
nicht, aber natürlich mit ihren Lobby-
isten. Sie lieben es, mich zu hassen und
in den entsprechenden Blogs meine Ar-
beit anzugreifen. So bekomme ich Hass-
Mails und Beschimpfungen im Internet.
Bisweilen ist das keineswegs spaßig.
Welche Verantwortung haben For-
scher, die für die Tabakindustrie ar-
beiten?
Pötschke-Langer: Die Wissenschaftler
der Tabakindustrie werden exorbitant
gut bezahlt. Es ist ihre Entscheidung, für
wen sie arbeiten und von wem sie das
Geld nehmen. Denn sie wissen ganz ge-
nau, was sie dort tun. Es ist die Frage: Ist
Ethik für mich ein Stellenwert oder kann
ich mich darüber hinweg setzen?
Wie viele Forscher arbeiten heute
an neuen Zusatz- oder Inhaltsstoffen
für die Tabakindustrie?
Pötschke-Langer: Weltweit sind es Tau-
sende von hervorragenden Forschern.
Das kann sich die Tabakindustrie auch
leisten, bei jährlich mehreren Milliar-
den Gewinn in Deutschland.
Zum Schluss eine persönliche Fra-
ge. Haben Sie selbst jemals geraucht?
Pötschke-Langer (lacht): Ja, am Ende
meines Medizinstudiums habe ich
mich in einer Lerngruppe auf die groß-
en Examensprüfungen vorbereitet. Die
Begleitmusik dazu waren schwarzer Tee
– zwei, drei Kannen pro Tag – und Ziga-
retten. Aber kaum hatten wir das Exa-
men in der Tasche, haben wir von diesen
Lastern gelassen. Seit dem kann ich Zi-
garetten nicht mehr ertragen – genau so
wie den schwarzen Tee von damals. <<
Michael Greiner
Rauchen ist ein Spitzengeschäft – für die Tabak-industrie. In Deutschland setzt sie jährlich rund 12 Milliarden Euro um. Manche Marken werben mit dem Versprechen: »ohne Zusätze«.
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28 GRAUZONE
Polit ikberatung
Der Staat fördert einen Teil der Forschung. Die Erkenntnisse der Wissenschaft können politische Entscheidungen stützen. Wie Experten die deutsche Regierung beraten und inwieweit sie Einfluss auf Entscheidungs-prozesse haben.
Eine Hand wäscht die andere?
Der Hessische Landtag in Wiesbaden: Hier treffen sich Politiker und Forscher. Gemeinsam suchen sie nach Lösungsansätzen für gesell-schaftliche Probleme.
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 29
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Stippvisite im Robert-Koch-Insitut in Berlin. Die Forschungseinrichtung ist Teil des Bundesministeriums für Gesundheit und berät die Politik vor allem in biologischen und medizinischen Fragen. Der 11.11.2011 im CDU-Sitzungssaal
des Hessischen Landtages. Hier
wird nicht etwa die Fastnachts-
kampagne 2012 eröffnet, sondern die Sit-
zung der Enquete-Kommission »Migration
und Integration in Hessen«. Pünktlichkeit
scheint nicht oberste Priorität zu sein. Fünf
Minuten verspätet begrüßt der Vorsitzen-
de Jürgen Banzer (CDU) die Anwesenden
und eine viertel Stunde später kommen
auch die letzten Teilnehmer an. Gerade
referiert Rauf Ceylan, Migrations- und
Religionssoziologe an der Universität Os-
nabrück, über die Situation der Migranten
in Deutschland und gibt den Politikern
eine Handlungsempfehlung: »Es ist wich-
tig, den islamischen Religionsunterricht
flächendeckend einzuführen.« Nach ihm
tragen noch vier weitere Experten vor. Die
Abgeordneten stellen eine Menge Fragen,
unter anderem nach empirischen Befun-
den. Sie verlangen immer wieder nach
Handlungsvorschlägen. Viereinhalb Stun-
den dauert der Dialog zwischen wissen-
schaftlichen Beratern und Abgeordneten.
Zwar macht in diesem Fall die Haltung
einiger Mitglieder – tief im Stuhl hängend,
mit dem Handy spielend, sogar dösend –
nicht den Eindruck, aber in einer Enquete-
Kommission haben die Wissenschaftler die
Aufmerksamkeit der Politik. Somit können
sie Einfluss auf den Schlussbericht neh-
men. Bei der Enquete sind Sachverständi-
ge wie Unternehmer oder Wissenschaftler
unter den ständigen Mitgliedern. Diese
nehmen an jeder Sitzung teil und erarbei-
ten gemeinsam mit den Abgeordneten die
Lösungsansätze.
ExPERTEn GEBEn EMPFEHLunGEnDie Enquete-Kommission ist eine von vie-
len wissenschaftlichen Beratungsmöglich-
keiten und wird vom Bundes- oder Land-
tag in Auftrag gegeben.
Sie gewinnt mittels Expertenanhö-
rungen, Arbeitsunterlagen und For-
schungsaufträgen Informationen zu
einem Thema und sucht nach Lösungsan-
sätzen zu gesellschaftlichen Problemen.
Die Kommission erarbeitet einen Schluss-
bericht und gibt ihn als Empfehlung an
das Parlament.
Ad-hoc-Kommissionen sind nicht wie
die Enquete im Bundes- oder Landtag, son-
dern in der Bundes- oder Landesregierung
angesiedelt. Der zuständige Minister oder
die Bundeskanzlerin setzt sie ein, um sich
externen Rat zu bestimmten Problemstel-
lungen einzuholen. Der politische Auftrag-
geber wählt die Mitglieder frei aus. Diese
Kommissionen sind für eine bestimmte
Zeit eingesetzt und erarbeiten ebenfalls
einen Schlussbericht, jedoch in der Regel
mit Handlungsempfehlungen für die Re-
gierung.
Der Einfluss eines Schlussberichtes auf
die Politik unterscheidet sich von Kom-
mission zu Kommission. Denn letztlich
entscheidet die Regierung, was sie damit
macht. Und diese, meint Ulf Riebesell,
nimmt Beratungen sowieso nur an, wenn
sie es in ihrer Strategie gebrauchen kann.
Riebesell ist Gutachter für den nächsten
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30 GRAUZONE
Bericht des Weltklimarats und forscht als
Ozeanograph am Leibniz-Institut für Mee-
reswissenschaften. Doch als Politikberater
sehe er sich nicht: »Ein Wissenschaftler
braucht nicht zu glauben, dass er die Po-
litiker zum Handeln bringen kann«, sagt
Riebesell. Für ihn seien die Bürger die trei-
bende Kraft. Deshalb sehe er seine Verant-
wortung darin, der Gesellschaft korrekte
Informationen zu vermitteln und zu ihrem
Wohle zu handeln: »Das Entscheidende ist,
was die Gesellschaft mit den Erkenntnis-
sen macht. Die Politik wird erst auf die Äu-
ßerung der Gesellschaft reagieren. Siehe
Fukushima.« Riebesell warnte als einer der
Ersten vor der Ozeanversauerung als Folge
des Klimawandels, doch »geschehen ist
noch lange nichts«, sagt der Forscher.
PoLITIK BRAucHT WISSEnScHAFTTrotz alldem ist gerade die Klimapolitik
abhängig von der Expertise der Forscher.
»Zum Klimawandel gab es in den 1980ern
zwei Enqueten. Vor allem die Erste galt als
sehr einflussreich für die weitere diskursi-
ve Struktur des Politikfeldes«, sagt Thurid
Hustedt, Verwaltungswissenschaftlerin
der Potsdamer Universität. Sie bestätigt,
dass der Einfluss eines Abschlussberichts
immer schwer nachzuvollziehen ist. Er
werde zwar in jedem Fall in Ausschüssen
und Plenen diskutiert. Das heiße aber
nicht, dass er in einen Entscheidungs-
prozess mit eingehe. Dennoch weiß sie:
»Die Grundtendenz ist, dass Politik wis-
senschaftsabhängiger wird. Die gute poli-
tische Entscheidung soll sowohl auf einer
Wertentscheidung, wie auch nach bestem
Wissen getroffen sein.«
Da laut Hustedt der Beratene viel we-
niger als der Berater weiß, müsse Letzte-
rer sich entsprechend verhalten und den
Sachverhalt angemessen und sorgfältig
vorbringen. Die Verantwortung habe er
gegenüber den Gremien, seiner eigenen
Disziplin und dem Beratenen.
Laut Hustedt geben Wissenschaftler
ihre Fakten nicht nur wieder, sondern in-
terpretieren sie auch in ihrem sozialen
Zusammenhang. Deshalb hängt ihrer Mei-
nung nach verantwortliches Handeln der
Berater davon ab, »wie sie ihre Ergebnisse
kommunizieren, auf Streitigkeiten auf-
merksam machen, mehrere Meinungen
präsentieren, und ob sie deutlich machen,
wenn Erkenntnisse vage sind«. Die Ver-
waltungswissenschaftlerin hat bereits ge-
meinsam mit Kollegen ein Gutachten für
das europäische Parlament geschrieben:
»Man fragt sich, wird das so verstanden,
wie wir es meinen? Und was passiert mit
den Sachen, die wir hier aufschreiben?«
Kommunikationsschwierigkeiten sind laut
Hustedt ein Problem der Politikberatung.
Denn nicht immer werde das, was der Wis-
senschaftler für eindeutige Sprache halte,
in der Politik auch so verstanden.
Universitäten können die Politik durch
Gutachten beraten. Ein Gutachten steht
in der Regel in Verbindung mit einer Auf-
tragsforschung. Dafür gibt es offizielle
Ausschreibungen. Die Forscher bewerben
sich mit einem Vorschlag, wie sie an das
Problem herangehen würden und was es
kosten würde. Auch außeruniversitäre Ein-
richtungen, wie die Helmholtz-Gemein-
schaft, beraten mittels Publikationen und
Auftragsforschung die Politik.
»Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein
Gutachten komplett von einem Minister
gelesen wird. Dafür sind Mitarbeiter da,
die dann kanalisieren und mitteilen was
darin steht«, sagt Hustedt. Inwiefern das
Gutachten in einzelne Fragestellungen
eingehe, könne davon abhängen, wie das
zuständige Referat es aufnehme und wei-
terkommuniziere.
Auch Ressortforschungseinrichtungen
(RFE) forschen im Auftrag der Regierung.
30 GRAUZONE
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 31
thematisch vorbestimmt, aber die Wissen-
schaftler könnten ihre Methoden frei wäh-
len und ihre Ergebnisse unabhängig inter-
pretieren. Auch auf die Veröffentlichungen
habe das Ministerium keinen Einfluss.
Dauerhaft eingerichtete Beratungs-
gremien, wie der Ethikrat und der Sach-
verständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, be-
raten die Politik fortwährend. Letzterer,
auch die fünf Wirtschaftsweisen genannt,
gibt jährlich einen Bericht an die Regie-
rung. Es gibt rund 300 Beiräte und Sach-
verständigenräte dieser Art, wie die Zeit-
schrift Aus Politik und Zeitgeschichte in
ihrer 19. Ausgabe berichtet. Ihnen gehören
ausgewiesene Fachleute an, die entweder
einem Bundesministerium, einer Bundes-
behörde oder einer Einrichtung der Bun-
desverwaltung zugeordnet werden.
Thurid Hustedt bestätigt, dass die Poli-
tikberatung ein kompliziertes System mit
vielen Beteiligten ist. Im Prinzip könne je-
der Experte sowie jede wissenschaftliche
Einrichtung in entsprechenden Umstän-
den zur Politikberatung beitragen. Doch
die Einflussmöglichkeit eines Wissen-
schaftlers hänge vom Arbeitsfeld, der Art
der Beratung und den Interessen der Po-
litik ab: »Nach Auffassung vieler Wissen-
schaftler verlangen Politiker immer kon-
krete Empfehlungen, die sie dann nicht
umsetzen«, sagt Hustedt.
Aber wie gelangen Wissenschaftler auf
den Radarschirm der Politikberatung? Für
Gutachten können sie sich bewerben. Aber
zu Kommissionen werden sie eingeladen.
Dazu muss der Wissenschaftler laut Gisela
Färber eine bestimmte Reputation haben
und bereits als Experte bekannt sein, etwa
über Publikationen oder Präsenz in den
Medien.
Färber ist Professorin für wirtschaft-
liche Staatswissenschaften an der Deut-
schen Hochschule für Verwaltungswissen-
schaften in Speyer und saß selbst schon
in Kommissionen. Färber meint, auch
weitere Wissenschaftler hätten die Chance
sich bekannt zu machen. »Die Ministerial-
verwaltung besucht Tagungen. Da habe ich
schon sehr oft erlebt, dass jemand, der gut
ist, neue Ideen und innovative Fragestel-
lungen unterbringen kann.« <<
Michèle Lauer
Die 39 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft
der RFE sind Behörden im Geschäftsbe-
reich der einzelnen Fachministerien, also
den Ressorts. Das Bundesministerium für
Gesundheit hat allein fünf verschiedene
RFEs, darunter auch das Robert-Koch-Insti-
tut in Berlin.
Sie erarbeiten wissenschaftliche Grund-
lagen, die als Entscheidungshilfe für das
Ministerium dienen. Dieses kann direkt
auf das Wissen zugreifen und eine kurzfri-
stige Stellungnahme verlangen. Um dem
gerecht zu werden, arbeiten die Einrich-
tungen an Vorlaufsforschungen. Dabei for-
schen sie im Auftrag des Ministeriums auf
Gebieten, die aktuell keiner Beratung be-
dürfen, aber in der Zukunft schnell einen
Handlungsvorschlag verlangen könnten.
Das Robert-Koch-Institut forscht bei-
spielsweise zur Abwehr bioterroristischer
Waffen. Für den Fall einer Epidemie hält
es Wissen zu Human- und Tierseuchen
bereit. »In einer Krisensituation wird eine
Ressortforschungseinrichtung von einem
auf den anderen Tag aktiviert«, sagt Hu-
stedt. Kontinuierliches Bearbeiten und
Beobachten langfristiger Fragestellungen
gehören ebenfalls zu den Aufgaben einer
RFE.
FREIHEIT DER FoRScHERAber wie unabhängig sind Forschungsein-
richtungen, wenn sie an das Ministerium
angebunden sind? Die Arbeitsgemein-
schaft der RFE erklärt dazu in ihrem Po-
sitionspapier: Die Ressortforschung sei
ob Biologie, Kernenergie, Medizin oder Sozialwissenschaften – Experten aus allen wissenschaftlichen Bereichen haben die Möglichkeit, Politiker zu beraten.
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 31
32 GRAUZONE
Kommentar
Milliardengrab oder Hoffnung der Menschheit: Je nach Forschungsprojekt und Befragtem gehen die Meinungen zur Grundlagenforschung weit auseinander. Doch wer von ihr kurzfristig verwertbare Ergebnisse verlangt, gefährdet den Fortschritt.
Ein Hoch auf die Geldverschwendung
In turnhallengroßen Maschinen Pro-
tonen auf Anti-Protonen schießen, Frö-
sche zählen im bolivianischen Urwald,
oder die Frage, warum Wortspiele nicht
für alle Menschen gleich lustig sind – das
alles ist Grundlagenforschung. Der ame-
rikanische Physiker und Wissenschafts-
theoretiker Alvin M. Weinberg beschrieb
die Grundlagenforschung einmal als For-
schung, »die durch keinerlei Begründung
gerechtfertigt werden kann, mit Ausnah-
me der Tatsache, dass sie die menschliche
Neugier befriedigt«. Diese Begründung er-
scheint auf den ersten Blick recht dürftig.
In Zeiten, in denen die großen Probleme
der Menschheit – Armut, Hunger, Unge-
rechtigkeit – und selbst die alltäglicheren
Probleme der Industriegesellschaften
nicht annähernd gelöst sind, muss es fast
zynisch erscheinen, für solche Forschung
Geld auszugeben. Sollte man das Geld
nicht besser nutzen, um anwendungsori-
entiert zu forschen?
Wer die Entwicklung der Forschungs-
förderung in Deutschland betrachtet,
kann zu dem Schluss kommen, dass die
Regierung und ihre Berater aus Wirtschaft
und Forschung genau dieses Ziel verfol-
gen. So rief die Bundesregierung schon
2006 eine »High-Tech Strategie« aus, um
»die wichtigsten Akteure des Innovations-
geschehens hinter einer gemeinsamen
Idee« zu versammeln. Die Stärkung des
»Wissenschaftsstandorts« Deutschland
liegt der Bundesregierung am Herzen:
Steuergelder fließen in eine »Exzellenzini-
tiative«, und der »Pakt für Forschung und
Innovation« soll »Qualität, Effizienz und
Leistungsfähigkeit in Forschung und Leh-
re« verbessern. Auch die Universitäten ver-
ändern sich. Die Bologna-Reform verkürzt
das Studium und schafft Vergleichbarkeit
zwischen den europäischen Universitäts-
abschlüssen. Alle diese Maßnahmen sollen
Wissenschaft dynamischer, zielorientierter
und produktiver machen. Eigentlich klingt
das ja sehr vielversprechend. Und doch
hört man immer wieder Kritik an dieser
Entwicklung.
Kein praKtischer nutzen?»Allenthalben – ob in Kultur, Politik, Wis-
senschaft und Forschung, im Gesund-
heitswesen und selbst im gesamten Be-
reich der Bildung – scheinen offenbar
vergleichbare Anforderungen zu bestehen
wie für Unternehmen der Wirtschaft«,
fasst etwa Eberhard von Kuenheim, lange
Jahre Vorstandsvorsitzender der BMW AG,
die Entwicklung zusammen. Die Art, wie
Wissenschaft betrieben wird, verändert
sich, und die Probleme, die daraus entste-
hen, werden immer offensichtlicher.
AusgAben für forschungund entwicklung in deutschlAnd
Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt etwa 2,4 Billionen Euro.*
Die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung belaufen sich auf insgesamt 204,1 Milliarden Euro. Das entspricht 8,4 Prozent des BIP. Mehr als zwei Drittel dieser Summe – rund 155 Milliarden Euro – fließen in die Lehre an Schulen und Hochschulen.
Für Forschung und Entwicklung bleiben rund 61,5 Milliarden, die sich aus staatlichen und privatwirtschaftlichen Investitionen zusammensetzen. Die Wirtschaft trägt mit 43 Milliarden Euro etwa zwei Drittel der Ge-samtsumme bei, Tendenz steigend. Der Staat, also Bund und Länder, finanziert den Rest von etwa 18,5 Milliarden Euro.
Zum Vergleich: Der Verteidigungsetat Deutschlands lag 2008 bei 25,7 Milliarden Euro, die staatliche Kulturförderung betrug rund 9 Milliarden Euro.
*Falls nicht anders angegeben, beziehen sich alle Zahlen auf 2007 .
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 33
Der »Joint european torus« ist die weltweit größte Fusionsforschungsanlage. Der nachfolgereaktor »iter« ist aufgrund der hohen Bau- und unterhaltskosten umstritten.
Glaubt man dem Nobelpreisträger Her-
bert Kroemer, ist die Ausrichtung der For-
schung an der Wirtschaft langfristig schäd-
lich für unsere Gesellschaft. »Der Druck, die
Forschung auf vorhersagbare Anwendungen
zu konzentrieren, verzögert den Fortschritt,
statt ihn zu beschleunigen«, so Kroemer
in einer Rede vor der Uni Jena. Kroemer
erhielt den Nobelpreis für Physik für seine
Forschungsarbeit zu Halbleiterlasern in den
späten 1950er Jahren. Seinem Forschungs-
feld rechnete man ursprünglich keinerlei
praktischen Nutzen zu. Heute, rund 60 Jah-
re später, sind Halbleiterlaser aus unserem
Alltag nicht mehr wegzudenken. CDs und
DVDs, optische Datenübertragung in Glas-
faserkabeln und leuchtende LEDs: Das al-
les sind Entwicklungen, die ohne Kroemers
Grundlagenforschung nicht möglich wären.
Solche späten Erfolge kann man in der Ge-
schichte der Forschung häufiger finden.
Die wirtschaftliche Verwertbarkeit von
Forschungsergebnissen zum einzigen
Maßstab »guter Forschung« zu machen,
setzt nicht nur ganze Wissenschaftszweige,
wie zum Beispiel die meisten Geisteswis-
senschaften, einem gefährlichen Zwang
zur Rechtfertigung ihrer Forschungsziele
aus. Er führt auch dazu, dass langfristige
Forschungsprojekte fast unmöglich wer-
den. Ein gutes Beispiel ist hier die Kernfu-
sion. Sie wird seit rund 40 Jahren erforscht,
lange Zeit »ohne belastbare Aussicht auf
Erfolg«, so die Vereinigung Deutscher
Wissenschaftler (s.a. S. 36). In den letzten
Jahren werden die Stimmen, die einen
Ausstieg aus der Erforschung der Kernfu-
sion fordern, wieder lauter. Doch allein
das Potential dieser Technologie, die die
gesamte Menschheit nachhaltig mit sau-
berer Energie versorgen könnte, rechtferti-
gt in meinen Augen auch weitere 40 Jahre
Forschung. Selbst wenn sie ergebnislos
bleiben sollten.
Wenn wir wirklich verantwortlich mit
unseren begrenzten Ressourcen umgehen
wollen, müssen wir uns von der Fixierung
auf die finanziellen Kosten und den unmit-
telbaren wirtschaftlichen Nutzen von For-
schung lösen. Die Grundlagenforschung –
die keinem anderen Zweck dient als unsere
Neugier zu befriedigen – hat in der Vergan-
genheit bewiesen, dass sie das Verständ-
nis von uns selbst und dem Universum,
in dem wir leben, radikal verändern kann.
Die anwendungsnahe Forschung hat sicher
auch ihren Wert für die Gesellschaft und
bereichert unseren Alltag. Doch: »Die ent-
scheidenden Anwendungen jeder hinrei-
chend neuen und innovativen Technologie
waren immer Anwendungen, die von der
Technologie selbst erst erschaffen wurden«,
um nochmals Herbert Kroemer zu zitieren.
Wirklich bahnbrechende Entwicklungen
brauchen Zeit und viel Spielraum für Kre-
ativität. Wenn wir also im Sinne unserer
Nachkommen verantwortlich handeln wol-
len, müssen wir mehr »sinnlose« Forschung
wagen – was auch immer es kosten mag. <<
Thorsten Schwetje
34 GRAUZONE
interview
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler macht Lobbyarbeit für die Verantwortung
Gewissen verbindet
Im August 1945 gingen zwei Atombom-
ben auf Japan nieder. Das angerichtete
Leid und die Verwüstung zeigten, was
technische Entwicklungen – die auf wis-
senschaftlichen Erkenntnissen beruhen
– anrichten können. Als sich im Kalten
Krieg eine weitere nukleare Katastrophe
anbahnte, zogen Carl Friedrich von Weiz-
säcker und 17 weitere Atomwissenschaftler
Konsequenzen. 1957 schlossen sie sich zur
Göttinger 18 zusammen und stellten sich
öffentlich gegen die atomare Bewaffnung.
Aus dieser Gruppe entwickelte sich die
»Vereinigung deutscher Wissenschaftler«
(VDW), die sich bis heute für mehr Verant-
wortung in der Wissenschaft engagiert.
Aber was heißt das eigentlich genau? Und
hat diese Art der Lobbyarbeit Zukunft?
Wir haben uns mit dem Vorstandsvorsit-
zenden Ulrich Bartosch (der das Gespräch
wegen eines Folgetermins leider etwas frü-
her verlassen musste) und dem Geschäfts-
führer Reiner Braun getroffen.
»Wir sind nicht nur für das verant-
wortlich was wir tun, sondern auch für
das, was wir widerspruchslos hinnehmen.«
Worte von Linus Pauling, einem berühmten
US-amerikanischen Wissenschaftler, dem
1963 der Friedensnobelpreis verliehen
wurde. Wo sehen Sie zurzeit Handlungs-
bedarf? Wo nehmen Wissenschaftler und
Gesellschaft Missstände hin?
Braun: Es muss eine gründlichere Technik-
folgenabschätzung her. Ein Beispiel ist die
Nanotechnologie. Hier brauchen wir einen
stärkeren gesellschaftlichen Diskurs, das
gleiche gilt für die Gentechnik. Muss das
Kind erst in den Brunnen fallen, bevor wir
merken, dass wir einen falschen Weg ge-
gangen sind? Auch die Rüstungsforschung
ist nach wie vor ein großes Thema. Rü-
stungsforschung ist meiner Ansicht nach
Forschung zum Töten.
Das heißt, die VDW besteht aus über-
zeugten Pazifisten?
Braun: Die Gegnerschaft zur Rüstungsfor-
schung muss nicht unbedingt Pazifismus
»Über eines muss man sich im Klaren sein: Eine gewissenhafte Entscheidung kann für den eigenen Erfolg oder Nicht-Erfolg, für die Anstellung oder Nicht-Anstellung ausschlag-gebend sein.«
Ulrich Bartosch
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 35
Gewissen verbindet sein. Allerdings setzen wir uns dafür ein,
dass der Krieg durch Konventionen abge-
schafft wird, ebenso wie das schon für Fol-
ter und Sklaverei geschah.
Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Sie
dazu gebracht hat, sich mit dem Thema
Verantwortung in der Wissenschaft zu be-
schäftigen?
Braun: Ja, das war 1983. Damals habe ich
den Kongress »Naturwissenschaftler war-
nen vor neuen Atomwaffen« vorbereitet.
Der gerade von Ihnen zitierte Linus Pau-
ling war einer der Sprecher. In einer Pause
saßen wir zusammen und hielten einen
Mittagsplausch, nebenher aß er seine Vita-
mintabletten.
Dazu muss man wissen: Linus Pau-
ling war ein überzeugter Vertreter der
These, dass Vitamine als Nahrungsergän-
zungsmittel der Schlüssel zu einem län-
geren und gesünderen Leben sind. Heute
ist das sehr umstritten.
Braun: Genau. Jedenfalls erzählte er mir,
wie unverantwortlich er es fände, dass die
Rüstungsforschung an amerikanischen
Universitäten eine so große Rolle spiele.
Daraus hat sich eine Diskussion über Ver-
antwortung entwickelt, die mich sehr ge-
prägt hat.
Herr Bartosch, um welche Verant-
wortung geht es der VDW genau?
Bartosch: Es geht um Verantwortung in
zweierlei Hinsicht. Zum einen hat der
Wissenschaftler selbst die Verantwortung,
über die Folgen seines Tuns nachzuden-
ken. Zum anderen hat die Wissenschaftsge-
meinde die Aufgabe, sich für mehr Verant-
wortung in der Wissenschaft einzusetzen.
Hat sich diese Verantwortung in den
letzten Jahrzehnten verändert?
Braun: Sie hat sich ausgeweitet. Früher war
die VDW absolut physiklastig. Heute steht
die Wissenschaftsverantwortung in einem
viel breiteren Spektrum. Zugespitzt gesagt
gibt es keine Wissenschaftsdisziplin, die
sich nicht mit gesellschaftlicher und wis-
senschaftlicher Verantwortung beschäfti-
gen muss.
Bartosch: Und heute ist es unsere Aufgabe
als Vereinigung, ein allgemeiner Pool zu
sein. Aus allen Fachrichtungen treffen sich
Wissenschaftler und arbeiten an Themen,
für die sie an anderer Stelle nicht so leicht
Unterstützung bekommen.
Die vielfältige wissenschaftliche Ar-
beit der VDW ist möglich, da sie aus rund
400 Mitgliedern besteht, wovon zwei Drit-
tel Wissenschaftler sind. Sogar sein müs-
sen, das schreibt die VDW vor. Was ist mit
dem restlichen Drittel?
Bartosch: Das sind wissenschaftlich gebil-
dete und interessierte Persönlichkeiten.
Wir brauchen auch Mitglieder aus der öf-
fentlichen Verwaltung oder aus Unterneh-
men, damit wir besser mit Politik und Ge-
sellschaft zusammen arbeiten können.
Und wie werden die Mitglieder der
VDW ausgewählt?
Bartosch: Man kann einen Mitgliedsantrag
stellen, braucht dann aber Bürgen, die be-
reits in der VDW sind. Oder ein Mitglied der
VDW schlägt jemanden vor. Die Anfragen
werden dann vom Vorstand geprüft.
Es gibt also keine anonymen Anträ-
ge. Warum ist das so?
Bartosch: Das kontrollierte Aufnahmever-
fahren gewährleistet die Unabhängigkeit
der VDW von Parteilichkeiten und Ideo-
logien. In unserem Verein sollen sich die
Mitglieder dem Thema Verantwortung
unabhängig widmen können.
Zurzeit bearbeiten Sie neue Mit-
gliedsanträge. Bei Ihrem Gespräch vorhin
haben wir aufgeschnappt: »Kapitalisten
nehmen wir nicht auf.« Statement?
Braun: Nein, da ging es um einen ganz
anderen Punkt. Es ging um die ethische
Debatte über Rüstungskonzerne. In der
»Man sollte unsere Position nicht über-schätzen. Die Politik macht nicht einfach das, was wir möchten, nimmt aber Anre-gungen der VDW auf. Diese Ratgeberrolle wollen wir weiter spie-len.«
Reiner Braun
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36 GRAUZONE
Rüstungsindustrie gibt es viele Wissen-
schaftler und Ingenieure. Es würde die
VDW vor einige Probleme stellen, wenn
davon jemand beantragen würde, Mitglied
der VDW zu werden.
Bartosch: Die Bemerkung zum Kapitalis-
mus war ein Spaß. Aber im Ernst: Ich sehe
das nicht so dramatisch. Es wäre für mich
kein Problem jemanden in unseren Reihen
zu haben, der an dieser Stelle eine andere
Position vertritt. Überhaupt nicht. Wissen-
schaft lebt doch von der Kontroverse und
vom Streit, oder?
Ohne Frage. Gibt es denn in man-
chen Wissenschaftsdisziplinen eine größe-
re Verantwortung als in anderen?
Braun: Ganz provokativ: nein!
Nehmen wir das Beispiel der Fusi-
onsforschung. Wenn zwei Atomkerne ver-
schmelzen, entsteht enorm viel Energie.
Die könnte man nutzen, gäbe es dafür
eine entsprechende Technik. Nun schrei-
ben Sie in Ihrem Positionspapier »Für eine
verantwortbare und zukunftsorientierte
Forschungspolitik in Deutschland« (2010),
dass Fusionsforschung zu stark gefördert
wird und dafür zu wenige Ergebnisse lie-
fert. (s.auch S.33) Daraus schließen wir,
dass Ihrer Meinung nach diese Forschung
weniger wichtig ist.
Braun: Ich würde das anders diskutieren.
Wenn wir für Forschung nur begrenzte
Mittel haben, dann müssen wir überlegen,
wohin die Gelder fließen. Angesichts der
Herausforderungen, vor denen die Welt
steht, müssen Forschungsschwerpunkte
gesetzt werden. Vergessen wir nicht, wir le-
ben mit und in der Zivilisationskrise.
Also keine Entscheidung zwischen
wichtig und unwichtig, sondern zwischen
nachhaltig und nicht nachhaltig?
Bartosch: Genau. Die Frage ist, welche
Forschung eine Generation in 60 Jahren
unterstützen würde, wenn sie heute ent-
scheiden könnte. Von den Exportgewinnen
der nächsten zehn Jahre werden sie nicht
profitieren, aber die Klimafolgen werden
sie tragen müssen. Es geht nicht darum,
ob die Theologie weniger wichtig ist als die
Kernphysik, oder die Pädagogik weniger
folgenreich als die Elektrotechnik. Es geht
darum, absehbare Folgen zu erkennen und
mit Mitteln der Wissenschaft etwas dage-
gen zu tun.
Kann der Forscher denn selbst die
Folgen, die seine Forschung möglicherwei-
se hat, beeinflussen?
Bartosch: Der Wissenschaftler kann sich
die Frage stellen: »Welche Forschungser-
gebnisse publiziere ich und welche nicht?«
Und er kann sagen: »Ich will an einer be-
stimmten Forschung nicht mitwirken, also
mache ich es auch nicht.«
Ist das nicht ein Verlust an Wissen,
wenn man sagt, man wirkt bei einer be-
stimmten Forschung nicht mit?
Bartosch: Es ist auf jeden Fall eine Ein-
schränkung. Außerdem muss man sich
darüber im Klaren sein, dass so eine Ent-
scheidungen auch den eigenen Erfolg oder
Nicht-Erfolg, die eigene Anstellung oder
Nicht-Anstellung beeinflusst.
Die VDW unterstützt solche Entschei-
dungen mit dem »Whistleblower-Preis«.
Whistleblower, das sind Leute, die mit
Missständen innerhalb ihrer Unternehmen
oder Institutionen an die Öffentlichkeit
gehen – ungeachtet der Konsequenzen.
Glauben Sie, dass diese Auszeichnung An-
dere ermutigt, das Selbe zu tun?
Braun: Dieser Preis hat Symbolcharakter,
bewirkt allein jedoch nicht viel. Damit
Whistle-Blowing allgemein anerkannt
wird, muss es ein Gesetz wie in den USA
geben. Dieses fordert die Menschen dazu
auf, gewissenhaft zu arbeiten und zu han-
deln, ohne bestraft zu werden. Dafür set-
zen wir uns ein.
Seit sechs Jahren kämpfen Sie schon
für dieses Gesetz. Wie groß ist die Chance,
dass es umgesetzt wird?
Braun: Bei der letzten Anhörung im Bun-
destag waren sich alle Parteien einig, dass
es so ein Gesetz geben muss. Ich bin mir
nicht sicher, ob es diese Regierung noch
beschließen wird, die nächste ganz be-
stimmt.
Die VDW in der Politik: Wie schätzen
Sie Ihren Stellenwert ein?
Braun: Die Politik macht nicht einfach das,
was wir möchten, nimmt aber Anregungen
der VDW auf. Diese Ratgeberrolle wollen wir
weiter spielen. Man soll seine eigene Positi-
on nicht überschätzen.
Im Leitbild der VDW steht, dass sie
überparteilich ist. Können Sie das so un-
terschreiben, oder sehen Sie Tendenzen zu
der einen oder anderen Partei?
»In der Rüstungsin-dustrie gibt es viele Wissenschaftler und Ingenieure. Es würde uns vor einige Probleme stellen, wenn von ihnen jemand beantra-gen würde, Mitglied der VDW zu werden. Rüstungsforschung ist meiner Ansicht nach Forschung zum Töten.«
Reiner Braun
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 37
Braun: Überparteilich heißt in diesem Fal-
le, dass wir mit allen im Diskurs sind. Die
NPD nehme ich aus, das ist für mich keine
Partei, sondern eine verfassungswidrige
Organisation. Natürlich gibt es Parteien,
die die Mitglieder eher wählen als andere.
Hat die Tendenz, dass Mitglieder be-
stimmten Parteien zuneigen, Einfluss auf
die Schwerpunktsetzung der VDW?
Braun: Das würde ich nun absolut anders
herum sehen. Wir beeinflussen eher die
Themenstellungen der Parteien! Der Kli-
maberater der Bundesregierung, Hans Joa-
chim Schellnhuber, ist beispielsweise Mit-
glied der VDW und berät Frau Merkel.
Sie machen also Lobbyarbeit für eine
nachhaltige Wissenschaft.
Braun: So kann man es zusammenfassen.
Sie fordern eine demokratische Wis-
senschaftspolitik. Warum ist das wichtig?
Braun: Ein Beispiel ist der Umgang mit der
Klimaveränderung. Wie man dagegen vor-
geht, kann nicht über die Köpfe der Bürger
hinweg entschieden werden. Da hilft kein
Elfenbeinturm Wissenschaft. Das heißt, es
muss eine enge Kommunikation und Zu-
sammenarbeit zwischen Wissenschaftlern
und Normalbürgern her.
Wie könnte so eine enge Zusammen-
arbeit aussehen?
Braun: Wissenschaftler können zum Bei-
spiel den Bürgerinitiativen helfen. Das
geht nur, wenn die Anregungen aus diesen
Initiativen auch ernst genommen werden.
Der Streit um das Atommülllager in Gor-
leben ist ein Beispiel. Die Bevölkerung vor
Ort weiß gut Bescheid. Wenn diese Men-
schen mit der Wissenschaft zusammen-
kommen, was teilweise geschieht, dann
können daraus Oppositionen gegen ge-
fährliche Projekte entstehen.
Aber wie könnte man die wissen-
schaftlichen Informationen verständlich
an den Mann bringen?
Braun: Ich würde dafür kein Patentrezept
entwickeln. Es würde mich freuen, wenn
das Bildungsniveau in diesem Land so
hoch wäre, dass alle ein kleines Interesse
an Wissenschaftsthemen hätten.
Aber das ist nicht so?
Braun: Zurzeit nicht, nein. Dazu brauchen
wir ein Bildungssystem, das diese Neu-
gierde schürt. Eines, das Schülern und
Studenten die Wissenschaft nur vorknallt,
wird niemals Interesse wecken können.
Die VDW fordert und fordert…
Braun: Ich würde sagen, wir fordern nicht,
wir machen Vorschläge.
Liest man Ihr Leitbild, sind Ihre For-
derungen aber nicht zu übersehen. Wo
handelt die VDW konkret?
Braun: Handeln können Wissenschaftler in
ihrem Umfeld, in Universitäten und For-
schungsinstituten. Die 400 Mitglieder der
VDW sind natürlich nicht der Machtfaktor,
der die Gesellschaft verändert. Da sind wir
realistisch. Aber Veränderungen vollzie-
hen sich. Kernkraft ist eines unserer zen-
tralen Themen. Hätte man mir vor einem
Jahr gesagt, dass Deutschland 2011 den
Ausstieg aus der Atomenergie beschließt,
ich hätte ihn einen Spinner genannt!
Nun haben Sie immer wieder Pro-
jekte zu bestimmten Themengebieten,
zum Beispiel die Fachtagung »Zukunft
der Ernährung« (2011). Dafür braucht man
Geld. Wie finanziert sich die VDW?
Braun: Die VDW hat drei Finanzgrundla-
gen. Mitgliedsbeiträge, Spenden von Mit-
gliedern und Gelder von Stiftungen. Von
der »Deutschen Bundesstiftung Umwelt«
haben wir für das Projekt »Zukunft der
Ernährung« 125 000 Euro bekommen, ein
sehr hoher Betrag für unsere Verhältnisse.
Sie nehmen also auch Geld von ex-
ternen Quellen an. Würden Sie jede Spende
annehmen?
Braun: Wir nehmen Spenden an, solange
sie nicht anrüchig sind.
Was wäre eine anrüchige Spende?
Braun: Wenn ein Rüstungsunterneh-
men uns Geld anbieten würde. Das wi-
derspräche völlig den ethischen Grundla-
gen der VDW.
Aber ein Rüstungsunternehmen
würde auf diese Idee wohl auch nicht kom-
men. Eine letzte Frage, Herr Braun: Wie
setzen Sie persönlich die Verantwortung
in Ihrer Arbeit um?
Braun: Ich werbe dafür, dass der Frage nach
Verantwortung mehr Bedeutung beige-
messen wird – überall. Ich gehe keinem
Streit darüber aus dem Weg. Und ich bemü-
he mich, dass auch dort, wo es nicht offen-
sichtlich ist, die Frage nach Verantwortung
der Wissenschaft gestellt wird. <<
Das Gespräch führten Katrin Collmar
und Ann-Kathrin Braun.
»Es geht nicht darum, ob die Theologie we-niger wichtig ist als die Kernphysik. Es geht darum, absehbare Fol-gen zu erkennen und mit Mitteln der Wis-senschaft etwas dage-gen zu tun. Die Frage ist: Welche Forschung würde eine Generation in 60 Jahren unterstüt-zen?«
Ulrich Bartosch
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34-37_VDW_Interview_red4.indd 37 08.02.2012 21:43:57 Uhr
38 GRAUZONE
Geschichte der radioaktivität
Atomphysiker zwischen Fortschritt und Rechtfertigung
Der radioaktive Elfenbeinturm
»Mehr Gutes als Böses«Marie und Pierre Curie forschten zu Be-
ginn des 19. Jahrhunderts nach bisher
unbekannten radioaktiven Elementen
und konnten schließlich zwei neue ent-
decken: Radium und Polonium. Sie er-
lebten die schädigende Wirkung der Ra-
dioaktivität an der eigenen Haut: Durch
ständigen Kontakt mit den Proben erlitt
Marie Curie Strahlenverbrennungen an
den Händen.
Für ihre Entdeckungen wird ihnen 1903
zusammen mit Henri Becquerel, Maries
Doktorvater, der Nobelpreis verliehen.
In seiner Rede zur Nobelpreisverleihung
äußerte Pierre Curie jedoch nicht nur Dan-
kesworte, sondern auch erste Bedenken:
»Es ist nicht auszuschließen, dass Ra-
dium in den Händen von Verbrechern zu
einer großen Gefahr werden kann, und so
darf man wohl die Frage aufwerfen, ob es
für den Menschen vorteilhaft ist, Nutzen
daraus zu ziehen, oder ob er mit diesen Er-
kenntnissen Schaden anrichtet … Dennoch
gehöre ich zu jenen, die mit Nobel glauben,
dass neue Entdeckungen der Menschheit
mehr Gutes als Böses bringen.«
»Mitmörder an der Menschheit«Albert Einstein war überzeugter Pazifist.
Doch als er zur Zeit des Zweiten Weltkriegs
erfuhr, dass Deutschland angeblich an ei-
ner Atombombe forschte, schrieb er einen
Brief an den damaligen amerikanischen
Präsidenten Roosevelt, in dem er auf diese
Gefahr aus Deutschland hinwies.
Zudem schlug er vor, »…dass ein stän-
diger Kontakt zwischen der Regierung und
der Gruppe von Physikern in Amerika her-
gestellt wird, die an dem Zustandekommen
der Kettenreaktion arbeiten…«, die für den
Bau einer Atombombe notwendig war. Ein-
stein hoffte, dass Amerika mit einer eige-
nen Atombombe den Krieg schnell genug
beenden könnte, bevor Deutschland eigene
Atomwaffen entwickelte.
Als später die Bomben auf Hiroshima
und Nagasaki fielen, bereute er diesen
Schritt schwer.
Auch ohne Einsteins Brief hätte Ame-
rika die Forschung an den Atombomben
aufgenommen. Doch für den Einsatz der
Waffen in Hiroshima und Nagasaki gab
er sich die Schuld und nannte sich selbst
»Mitmörder an der Menschheit«.
Hiroshima und Nagasaki – hunderttausend Menschen starben, als Amerika im Zweiten Weltkrieg Atombomben über Japan abwarf. Diese Tragödie erschütterte nicht nur das politische Weltklima, sondern auch die Wissenschaft.
Forscher versuchten, möglichst ungestört vom politischen Tagesgeschehen ihrer Arbeit nachzugehen. Doch der Elfenbeinturm der radioaktiven Wissenschaft zerbrach für viele von ihnen. So schockiert die Wissenschaftsgemeinde auch war, einige von ihnen hatten auch geahnt, wohin ihre Forschungen führen könnten – und dennoch weiter experimen-tiert. Die folgenden Beispiele zeigen, in welchem Konflikt Atomphysiker während und nach ihrer Forschung standen.
Pierre Curie
Albert Einstein
Marie Curie
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 39
»Sie dürfen nicht uns Wissenschaftler verantwortlich machen«Lise Meitner, eine jüdische Kernphysike-
rin, forschte zusammen mit Otto Hahn
an dem Zerfall radioaktiver Stoffe, bis die
Schreckensherrschaft der Nazis sie zur
Ausreise zwang. Später führten ihre und
Hahns Erkenntnisse zum Bau der Atom-
bombe durch die Amerikaner.
Als Lise Meitner damit konfrontiert
wurde, wies sie alle Schuld von sich:
»Ich muss betonen, dass ich selbst nichts
mit den Arbeiten zu tun habe, die todbrin-
gende Waffen in die Welt gesetzt haben. Sie
dürfen nicht uns Wissenschaftler verant-
wortlich machen, was Kriegstechniker da-
mit getan haben«.
»Dann bring ich mich um!«Otto Hahn arbeitete zur Zeit des Zweiten
Weltkriegs am Uranprojekt des Heereswaf-
fenamtes mit. Ziel des Projekt war es, die
Kernspaltung technisch nutzbar zu ma-
chen, beispielsweise für Kernreaktoren.
Aber Hahn weigerte sich, diesen tech-
nischen Fortschritt zu unterstützen. Laut
Carl Friedrich von Weizsäcker soll Hahn
gesagt haben: »Wenn aus meiner Entde-
ckung eine Atombombe für Hitler hervor-
geht, bring ich mich um«.
Als die Atombomben in Japan niedergin-
gen, fühlte er sich dafür verantwortlich.
Ein Teil von ihm war aber auch erleichtert.
In sein Tagesbuch schrieb er im Oktober
1945: »Mein erster Gedanke: Ein Glück, dass
wir [Anm. d. Red.: die Deutschen] damit
nicht angefangen haben«.
»Durch Sorgfalt Gefahren vermeiden«Werner Heisenberg war einer der füh-
renden Atomphysiker in Deutschland.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich
vor allem für die Stromversorgung durch
Kernreaktoren ein.
Heisenberg war sich offenbar der Ge-
fahren bewusst, die ein solcher Reaktor
mit sich bringt. Für ihn war das jedoch ein
sicherheitstechnisches Problem, das lös-
bar war: »Die Gefahren durch radioaktive
Stoffe sind also zweifellos vorhanden, aber
sie gehören zu den am leichtesten mess-
baren und daher auch durch Sorgfalt ver-
meidbaren Gefahren«.
»Deutschland braucht sie«Klaus Traube leitete in den 1970er Jahren
den Bau eines Atomreaktors in Kalkar. Als
das Bundesamt für Verfassungsschutz zu
Unrecht vermutete, dass Traube Kontakt
zu Terroristen suchte, verwanzten sie seine
Wohnung und wandten sich auch an sei-
nen Arbeitgeber. Traube wurde daraufhin
gekündigt, woraufhin er sich zu einem der
härtesten Atomkritiker Deutschlands wan-
delte. Doch erste Zweifel waren ihm bereits
während seiner Arbeitszeit gekommen.
Immer wieder erlebte er, wie unvorsichtig
Arbeiter in Atomkraftwerken arbeiten. Da-
bei sieht Traube noch heute nicht nur die
Gefahren menschlichen Versagens:
»Ein katastrophaler Atomunfall [kann]
nicht nur, wie in Tschernobyl, unbeabsich-
tigt ausgelöst werden, sondern eher noch
durch terroristische oder kriegerische An-
griffe auf ein Atomkraftwerk. Vor allem
aber schafft die Nutzung von Atomkraft-
werken eine Infrastruktur, die als Grundla-
ge für die Atombombe dienen kann.«
Dennoch ist er Atomkraftwerken nicht
vollends abgeneigt. Im März 2011 äußert
er gegenüber der FAZ: »Ich bin nicht gegen
die Technik, ein dicht bevölkertes Land wie
Deutschland braucht sie.« <<
Julia Reuther
Werner Heisenberg
Otto Hahn
Lise Meitner
40 GRAUZONE
INTERVIEW
Katastrophen wie der atomare GAU von Fukushima lassen den Ruf nach mehr politischer Verantwortung laut werden. Handeln ist angesagt. Im Frühjahr 2011 richtete die Bundesregierung deshalb ihre Energiepolitik neu aus und bildete dazu Ethikkommission »Sichere Energieversorgung«. Volker Hauff war eines der Mitglieder und erklärt, wie man für ein hochideologisches Thema Kompro misse findet.
Kompromisse für Kompromisslose
Wann haben Sie erfahren, dass Sie in
dem von Bundeskanzlerin Angela Merkel
einberufenen Gremium mitwirken sollen?
Hauff: Das war sehr kurzfristig. Unmit-
telbar nach dem Unfall von Fukushima
hat die Bundesregierung beschlossen, die
Kommission einzurichten. Mich hat der
Chef des Bundeskanzleramtes angerufen
und gefragt, ob ich bereit wäre bei der
Kommission mitzuarbeiten.
Von 17 Mitgliedern gab es drei Ver-
treter der Kirche. Inwiefern waren diese
für die Leistung der Gruppe relevant?
Hauff: Sie waren sehr relevant. Vor allem
Herr Glück [Anm.d.Red.: Präsident des Zen-
tralkomitees der deutschen Katholiken]
war eine große Bereicherung für die Dis-
kussion in der Kommission. Er hat sich auf
den Prozess des Nachdenkens eingelassen
und nicht gleich gesagt, so und so muss es
sein.
Nun kamen Sie als Gruppe erstmals
zusammen und sollten innerhalb von zwei
Monaten eine Empfehlung abgeben. War
zumindest organisatorisch schon klar,
wie man die nächsten Wochen vorgehen
wollte?
Hauff: Nein, überhaupt nichts war klar:
Welchen Rhythmus die Sitzungen haben
oder ob man Arbeitsgruppen bildet – nichts
war klar. Wir haben zunächst in einer cha-
otischen Situation zusammen diskutieren
müssen, was wir eigentlich tatsächlich ma-
chen. Das war am Anfang verwirrend für
alle. So etwas muss man aber ertragen und
aushalten können, wenn man in solch eine
Kommission geht.
Wie war der weitere Ablauf?
Hauff: Wir sind am Ende der zwei Monate
insgesamt dreimal in Klausur gegangen. In
der Regel haben wir uns am Freitag Nach-
mittag oder Abend getroffen und dann bis
Sonntag getagt. Das heißt: drei Tage lang
zurückgezogen, an einem Ort, an dem wir
ungestört arbeiten konnten. Wo der Einzel-
ne nicht abends noch schnell verschwin-
den oder etwas anderes machen kann. In
der Zeit haben wir sehr konzentriert und
teilweise bis in die Nacht hinein diskutiert.
Dazwischen haben wir regelmäßige Sit-
zungen abgehalten.
Wie viele Standpunkte kamen im
Gremium zusammen? Oder war man
grundsätzlich einer Meinung und hat ge-
prüft, was möglich ist?
Hauff: Es gab eine Reihe von Leuten, die
Kernenergie kategorisch ablehnten. Auf
der anderen Seite gab es die, die gesagt
haben: »Das ist richtig, das ist gefährlich,
aber es gibt bei jeder Technologie Gefähr-
dungen und Risiken. Bei der Kernenergie
ist das nicht prinzipiell anders.« Nach
langer Diskussion gelang uns die Aussa-
ge: Diesen Widerspruch können wir in der
Kommission nicht auflösen. Die Frage ist,
wie wir damit umgehen. Das war einer der
wichtigsten Punkte in unseren Beratungen.
Wir konnten uns, trotz unterschiedlicher
Grundpositionen, auf der Ebene, was jetzt
zu tun ist, wieder finden.
Wie kann ich mir den Diskurs im
Gremium vorstellen?
Hauff: In wachsendem Maße war es eine
Diskussion entlang von Texten. Manchmal
war es auch eine freie Diskussion: Wenn
die Einzelnen gesagt haben, warum sie in
der Kommission mitarbeiten und welche
Grundposition sie zu den einzelnen The-
men haben. Da hatte man zunächst den
Eindruck: »Um Gottes willen, wie soll da-
raus ein vernünftiger Bericht entstehen?«.
Aber langsam bekam der eine Struktur.
Wie konnte man sich auf eine ein-
stimmige Empfehlung einigen?
Hauff: Jeweils nach den Sitzungen der
Ethikkommission wurde ein Text dazu
verschickt, auf den die Mitglieder dann
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 41
Der deutsche Politiker Dr. Volker Hauff war viele Jahre Mitglied des Deut-schen Bundestages (1969-1989). Er ist gelernter Volkswirt, SPD-Mann und war in verschiedenen Bereichen tätig. Unter anderen war er parlamentarischer Staatssekretär (1972-1978), Bundesminister für Bildung und Forschung (1978-1980) und Oberbürgermeister von Frankfurt am Main (1989-1991). Das Thema Nachhaltigkeit hat ihn am längsten beschäftigt. Neun Jahre amtierte er als Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung und wurde 2010 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Die von ihm entwickelten Handlungsstrategien zur nachhaltigen Entwicklung fanden in der Ethikkom-mission »Sichere Energieversorgung« Anwendung. Vom 4. April bis 28. Mai 2011 erarbeiteten die Mitglieder eine Empfehlung für die zukünftige Energiepolitik Deutschlands. Der Abschlussbericht schlägt vor, aus der Kernenergie innerhalb eines Jahrzehntes auszusteigen. Dazu entwickelte die Kommission politische Leitlinien. Eine sieht vor, einen unabhängigen Parlamentarischen Beauftragten im Deutschen Bundestag einzusetzen, der die Energiewende organisiert und kontrolliert. Bisher wurde dieser Vorschlag von der Bundesregierung jedoch noch nicht berücksichtigt.
reagierten. Anschließend wurde der Text
noch einmal überarbeitet. Das war der
Ausgangspunkt für neue Beratungen.
Wenn über etwas besonders intensiv nach-
gedacht wurde, haben wir in der Zwischen-
zeit zusammen telefoniert. Wir hatten kein
formalisiertes Verfahren. Wenn der Bedarf
da ist, muss man da sein und Zeit haben.
Hinter Entscheidungen stehen im-
mer Interessen verschiedener Personen.
Wurden einige Interessen weniger berück-
sichtigt als andere?
Hauff: Wenn man gemeinsam berichtet,
muss jeder Abstriche machen. Und jeder
hat Abstriche gemacht. Es ist kein Geheim-
nis, dass es Herrn Hambrecht von der BASF
sehr schwer gefallen ist, den Bericht zu ak-
zeptieren. Andere fanden eher, dass der
Bericht ganz gut war, dass man nur redak-
tionelle Änderungen vornehmen müsste.
Dazu würde ich mich zum Beispiel selbst
zählen. Ich war mit dem Ergebnis sehr zu-
frieden.
Wenn Sie diese Zeit mit drei Worten
beschreiben müssten, welche wären es?
Hauff: Lehrreich, inhaltsschwer und er-
folgreich. <<
Jeannine Schadel
Wir sind in Klausur gegangen und haben tagelang bis in die Nacht hinein diskutiert.
» «©
Jean
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adel
42 GRAUZONE
glosse
Wie uns die Kosmetikindustrie eine faltenfreie Welt vorgaukelt und warum wir gerne zuhören.
Neueste Forschung: Jetzt in Ihrem Badezimmer!
DRAMATISCHE ERgEbnISSE, SofoRT! Zwanzig Jahre jünger
aussehen in nur wenigen Tagen! So kreischt die Creme aus dem
Regal der Apotheke, der Parfümerie oder dem Drogeriemarkt.
Die Parfümerie meines Vertrauens verlasse ich nie ohne ein
Pröbchen. Dieses Mal säuselt die Verkäuferin etwas von »wun-
derbar strahlende Haut durch neueste Erkenntnisse aus der
Stammzellenforschung« in mein Ohr.
Wissenschaft in der Parfümerie: Hier jagt eine Innovation die
nächste. Das Unmögliche scheint möglich. Mich beschleicht der
Verdacht: So viel »Neues« und »Bahnbrechendes« kann es doch
gar nicht geben. Aber zum Glück sind die »neuesten Erkennt-
nisse« wissenschaftlich bestätigt, geprüft, kontrolliert – sicher.
Mit Wissenschaftlichkeit werben, das wirkt seriös und ver-
trauenswürdig. Bei Clinique ist der Name Programm: Gegründet
von einem Hautarzt, tragen die Angestellten im Verkauf weiße
Kittel und führen Hautanalysen durch. »Götter in Weiß« gibt es
also nicht nur in der Klinik.
Was steckt hinter der Werbung? Seriöse Forschung oder eine
geschickte Marketingkampagne? Ein Wissenschaftler, der be-
geistert von seiner neuen Entdeckung gegen Falten schwärmt,
ist mir noch nicht begegnet. Auch keiner, der davon erzählt, wie
eine Creme die Stammzellen der Haut anregt – das klingt beein-
druckend. Vielleicht kann man damit auch unsterblich werden?
Studien? Wirksamkeitstests? Ich bin neugierig: Einseitige
Zusammenfassungen, deren Inhalt sich auf »Kauf mich!« be-
schränkt, habe ich genug. Ich suche eine vollständige »Wirk-
samkeitsstudie«, will wissen: Wer hat getestet? Wer bezahlt die
Tests? Und wie genau laufen sie ab?
Meine Recherche macht einsam: Gesprächig wird bei diesen
Fragen keiner. Auch Verbraucher bekommen zum Beispiel bei
Estée Lauder lediglich etwas wie »die Studien sind Firmeneigen-
tum« zu hören. Von der Auswahl der Probanden bis hin zum
Anlegen einer Kontrollgruppe – das ganze Studiendesign bleibt
meist unveröffentlicht.
Studien werden oft in firmeneigenen Instituten durchge-
führt. Das ist zum Beispiel bei Beiersdorf der Fall: Im »Hautfor-
schungszentrum« führt der Konzern laut eigener Internetseite
jährlich rund 1.500 Studien durch.
Eine weitere Möglichkeit ist es, die Studie in fremde Hände
zu geben: Man beauftragt ein »unabhängiges Forschungsinsti-
tut«. Unabhängig – selbstverständlich, und auf die Bedürfnisse
des Kunden zugeschnitten. Auf den Webseiten vieler solcher
Institute wirbt man mit »Dienstleistungen vom Studiendesign
bis hin zur statistischen Auswertung«. Dieses Zitat findet sich
auf der Webseite des Auftragsforschungsinstituts Proderm. Re-
ferenzen verrät Proderm, die sich unter anderem auf Kosmetik
spezialisiert haben, leider nicht.
Langsam dämmert es mir: Das Studiendesign ist der Schlüs-
sel zum Erfolg. Es gibt unzählige Wege, eine Studie zu manipu-
lieren. Was nicht passt, wird passend gemacht – das funktioniert
tatsächlich.
Auch Experten wie Prof. Martina Kerscher, Dermatologin und
Kosmetik-Forscherin, schreibt in ihrem Buch »Dermatokosme-
tik« vom »Mangel unabhängiger, vergleichender, doppelblinder
Studien«.
Um mit einer besonderen Wirkung werben zu dürfen, muss
diese mit Datenmaterial belegt werden. Der Bundesgerichtshof
stellte dazu 2010 fest, dass eine »einzige durchgeführte Studie
zur Absicherung von Werbeaussagen reichen kann«. Anders als
zum Beispiel bei Arzneimittelherstellern muss keine wissen-
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 43
schaftliche Diskussion unabhängiger Experten die Studiener-
gebnisse absichern.
Aber was kann eine Creme überhaupt bewirken?
Sie besteht aus Wasser, Fett und einem Stoff, der die beiden
zusammenhält. Aber keine Sorge: Man kann diesem Gemisch
»Wirkstoffe« zusetzen – Kollagen zum Beispiel.
Kollagenproteine können allerdings nicht in die Haut ein-
dringen und deren »Kollagenvorrat« auffüllen. Sie bilden einen
dünnen Film auf der Hautoberfläche aus. Dieser, schreibt Mar-
tina Kerscher, ziehe sich beim Trocknen leicht zusammen und
straffe so vorübergehend feine Fältchen. Der Effekt hält solange,
bis man sich die Creme aus dem Gesicht wäscht.
Keine Creme lässt tiefe Falten verschwinden. Durch die
Feuchtigkeitsanreicherung werden kleine Falten vorüberge-
hend geglättet. Das bestätigt auch Stiftung Warentest: Beim Test
verschiedener Anti-Aging-Produkte (3/2007) ist die Feuchtig-
keitsanreicherung bei allen Produkten mindestens »gut«, die
Faltenreduzierung bei der Mehrheit der Produkte befriedigend
bis ausreichend. Selbst die beste Creme brachte nur minimale
Erfolge – so könne man eine Falte von 0,15 Millimeter auf 0,12
Millimeter Tiefe reduzieren. Das entspricht 20 Prozent – klingt
super, ist für das bloße Auge aber kaum sichtbar.
Glaubt der Verbraucher, was er liest? Wahrscheinlich nicht.
Aber die Mischung aus Hoffnung und Zweifel beim Blick auf die
Falten im Gesicht, gepaart mit einem Quäntchen Wissenschaft-
lichkeit lässt uns auch dem nächsten Wunder-Tiegelchen noch
eine Chance geben. Vielleicht funktioniert es dieses Mal.
Die säuselnde Stimme meiner Parfümerieverkäuferin möch-
te ich jedenfalls nicht missen. Und wenn das nächste Töpfchen
seinen Platz in meinem Badezimmer gefunden hat, glaube ich
gerne wieder an das Wissenschaftswunderland. <<
Christina Ress
2010 wurden in Deutschland circa 12,8 Milliarden Euro für Körperpflegemittel ausgegeben. Von schönen Tiegeln und Tübchen lassen sich Verbraucher gerne blenden. Aber hält der Inhalt auch, was die schöne Verpackung verspricht?
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hris
tina
Ress
Bremen, Universitätsgelände. Dut-
zende von Tierschützern halten Pla-
kate hoch. Abgedruckt ist ein blu-
tender Makak. Der Kopf des Affen ist mit
mehreren Schrauben fixiert. Die Plaka-
taufschrift lautet: »Tierversuche abschaf-
fen.« Im Mittelpunkt des Protests steht der
Initiator der abgebildeten Tierversuche,
Professor Andreas Kreiter, Neurologe an
der Universität Bremen.
Neben Kreiter gibt es viele Forscher
in Deutschland, die sich immer wieder
für ihre Versuche an Tieren rechtfertigen
müssen, obwohl laut einer Befragung des
Instituts für Tierschutz und Tierverhalten
in Berlin im Jahr 2008 »Tierversuche in
Tierversuche
Kaum ein wissenschaftliches Thema ist so umstritten wie Versuche an Tieren. Der gesellschaftliche Druck ist hoch. Forscher stehen dabei in der öffentlichen Kritik. Doch in welcher Verantwortung sehen sie sich selbst?
Neutral gibt es nicht
vielen Bereichen der Medizin und Wissen-
schaft von der Bevölkerungsmehrheit als
unverzichtbar, aber ethisch nicht unpro-
blematisch eingeschätzt« werden.
In Kreiters Fall geht es um die Forschung
an Affen. Die Kontroverse um ihn gibt es
seit mehreren Jahren. Spätestens nach sei-
nem Beginn in Bremen im Jahr 1997 blieb
Kreiter im Gespräch.
Im Jahr 2010 hatte die Bremer Gesund-
heitsbehörde, die Kreiters Versuche zum
Schutz der Tiere prüft, seinen letzten An-
trag auf Verlängerung aus ethischen Grün-
den abgelehnt. Als Begründung nannte die
Behörde unter anderem einen Wertewan-
del in der Gesellschaft. Doch Kreiter klagte
und bekam im November 2011 teilweise
recht. Neue Versuche darf er nicht anmel-
den. Doch seine laufenden Tests, die sich
mit den Gehirnfunktionen von Affen be-
schäftigen, darf er fortführen. Tierschützer
gingen auf die Barrikaden. Kreiter wurde
öffentlich als »Affenfolterer« dargestellt.
Auch als seine persönlichen Daten wie Te-
lefonnummer und Adresse in der Bremer
Innenstadt aushingen, ließ sich der For-
scher nicht beirren. Kreiter glaubt an den
Nutzen seiner Forschung.
Dieses Problem kennt auch Cornelia
Exner, Tierschutzbeauftragte der Philips-
Universität in Marburg. »Eine Meinung
zu Tierversuchen hat jeder. Entweder man
ist dafür oder dagegen, ob man von dem
Thema Ahnung hat, ist dabei egal. Neutral
gibt es nicht.« Die gelernte Tierärztin hält
Tierversuche für notwendig.
Bei ihrer Arbeit prüft sie Anträge für
geplante Experimente von Forschenden
der Universität Marburg. Dabei steht
Exner der jeweiligen Forschergruppe be-
ratend zur Seite. »Es gibt unterschiedliche
Komponenten, die ich bei der Prüfung be-
rücksichtigen muss. Ist das richtige Tier
ausgewählt und ist der Versuch optimal
organisiert, um die Belastung so gering
wie möglich zu halten? Außerdem muss
vor der Antragstellung geklärt werden, ob
es eine geeignete Alternative gibt.«
Viele Versuche konnten schon durch
Methoden ersetzt werden, die ohne Tiere
auskommen. Ihre persönliche Verantwor-
tung sieht Exner deswegen in der Bera-
tung von Experimentierenden und in der
Öffentlichkeitsarbeit. »Gerade wegen der
heftigen Kritik ist es sehr wichtig, transpa-
rent zu bleiben und aufzuklären.« Umge-
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tolia
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44 GRAUZONE
muss man sich im Klaren darüber sein,
was man tut: Ich töte ein Tier.« In Deutsch-
land dürfen Wirbeltiere, wie Ratten, nur
betäubt getötet werden oder »unter der
Vermeidung von Schmerzen«. Der Genick-
bruch ist dabei auch hierzulande gängige
Praxis.
Aktuell arbeitet Knapp an der Verhal-
tensweise von Bienen, die laut Knapp kein
Schmerzempfinden haben. Sie merken
bloß, dass etwas nicht stimmt. »Was für
ein Interesse sollte ich auch daran haben,
ein Tier zu quälen? Mal ganz davon abgese-
hen, dass es meine Ergebnisse verfälschen
würde.« Durch Angst, Stress und Schmer-
zen verhalten sich Tiere nicht mehr nor-
mal, die Resultate würden unbrauchbar.
»Natürlich können inzwischen auch
viele Untersuchungen an Zellkulturen
gemacht werden. Die Zellen werden aber
speziell verändert.« Sie wachsen immer
weiter und sterben nicht, wie menschliche
Zellen ab. Die Daten aus diesen Versuchen
seien somit ein gutes Indiz, wie ein Me-
dikament auf den menschlichen Körper
wirken könnte. »Diese Ergebnisse sind zu
unsicher und können den Tierversuch des-
wegen nicht ersetzen.«
Corina Gericke von Ȁrzte gegen Ter-
versuche« vertritt eine entgegengesetz-
te Meinung: »Tierversuche verursachen
Schmerzen, sind qualvoll und vollkom-
men unnütze.« Die Tierschutzbewegung
sagt, dass die Daten aus so genannten Tier-
modellen nicht auf den Menschen über-
tragbar seien. Ein Tiermodell beschreibt
bei Versuchen den Organismus von Tieren
als Ganzes, mit all seinen komplexen Stoff-
wechselvorgängen. »Studien an Männern
sind unbrauchbar, wenn es um die Wir-
kung eines Medikaments bei Frauen oder
Kindern geht. Wie soll ich dann bitte mit
einer Maus vergleichbar sein?«
setzt hat sie das nicht nur in ihrem Beruf
als Tierschutzbeauftragte, sondern auch in
der Senatskommission für tierexperimen-
telle Forschung der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft (DFG). Diese Kommission
beschäftigt sich mit der Überarbeitung der
EU-Richtlinie für Tierrechte. Zudem wird
in diesem ständigen Forum mit Experten
aus verschiedenen wissenschaftlichen Dis-
ziplinen über aktuelle Probleme der tier-
experimentellen Forschung und des Tier-
schutzes diskutiert.
»Eine wirkliche Veränderung bringt das
auch nicht«, sagt Corina Gericke, Tierärztin
und zweite Vorsitzende von Ȁrzte gegen
Tierversuche«, zu der Senatskommission
der DFG. Sie vertritt den Standpunkt, dass
nur die Abschaffung von Tierversuchen
die geeignete Maßnahme sei. Diskussi-
onen für eine bessere Arbeit mit Tieren
stellten nur einen Aufschub dar.
Gericke begründet diese Forderung da-
mit, dass es genügend Alternativen gebe,
die nicht zur Anwendung kommen. »Bei
Tierversuchen kann man nicht von Ver-
antwortung sprechen. Es ist einfach unver-
antwortlich, einer Ratte ein Stück Draht in
den Kopf zu schieben, um einen Schlagan-
fall zu simulieren. Das läuft bei Menschen
alles viel komplexer ab. Dafür ist immer
mehr als nur ein auslösender Faktor ver-
antwortlich.« Solche Bilder zu rechtferti-
gen und verständlich zu machen, fällt Wis-
senschaftlern oft schwer.
StreSS, angSt und Schmerzen»Ich arbeite bei meinen Versuchen mit
Tieren«, sagt Stephanie Knapp ganz offen.
Sie macht ihren Master in Neurologie an
der Goethe-Universität in Frankfurt am
Main. »Wenn man sich als Wissenschaftler
entschließt, keine Tierversuche durchzu-
führen, wird man schon komisch ange-
guckt. Aber diese Entscheidung muss jeder
für sich selbst treffen«, sagt die 22-Jährige.
Jeder Forscher, der Tierversuche durch-
führe, brauche eine klare Haltung dazu.
Erste Erfahrungen machte Knapp in ihrem
Auslandssemester in einem chinesischen
Labor. »Dort sollte ich einer Ratte das Ge-
nick brechen, um anschließend ihre Or-
gane zu untersuchen. An diesem Punkt
Cornelia Exner ist sich dieses Vorwurfes
bewusst. Ein Modell könne nur versuchen,
die Realität so gut wie möglich abzubil-
den. »Ein Stoff kann in der Leber zwar eine
gewünschte Wirkung besitzen, aber von
den Leberzellen gleichzeitig so verändert
werden, dass die entstandene Verbindung
schädigend auf das zentrale Nervensystem
wirkt.« Dieses komplexe Zusammenspiel
kann in einem Reagenzglas noch nicht
nachgestellt werden, um, wie in diesem
Beispiel die Gesundheitsrisiken für den
Menschen abzuschätzen.
Die Experimente von Andreas Kreiter
laufen in Bremen inzwischen seit 14 Jahren.
Die lange Dauer der Versuchsreihe ist für
die meisten Kritiker das Hauptargument,
dass seine Forschung keine brauchbaren
Ergebnisse liefert. Dagegen erwidert Exner:
»Für einen Ingenieur sind zehn Jahre lang.
In unserem Bereich ist das nichts. Vor 60
Jahren begann die Arbeit an Diabetes mit
einem Zufallsfund. Erst jetzt kommen wir
langsam dahin, Therapien für Betroffene
weiter zu entwickeln.« <<
Carolin Albrand
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Im Jahr 2010 wurden allein in deutschland 442.448 ratten in tierversuchen „verbraucht“. der nutzen dieser Versuche ist besonders tier-schützern nicht ersichtlich.
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 45
46 GRAUZONE
Pro & Contra
Schon im antiken Griechenland waren Mensch-Tier-Mischwesen in Sagen und Mythen bekannt. Jetzt nehmen Chimären wirklich Gestalt an, zumindest im Reagenzglas. Zu Forschungszwecken werden in tierische Eizellen fremde Zellkerne eingepflanzt oder ausgewachsenen Versuchstieren mensch-liche Zellen implantiert. Wissenschaftler wollen damit Volkskrankheiten wie Alzheimer oder Demenz erforschen. Kritiker befürchten, dass die Artengrenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt. Auch der deutsche Ethikrat brachte eine Stellungnahme zum Thema Mensch- Tier-Mischwesen heraus und versuchte eine Empfehlung zu dieser Problematik abzu - geben. Er kam in einigen Punkten zu keinem einstimmigen Urteil. Das Thema ist heiß umkämpft und auch unsere Autoren sind sich nicht einig. Bevor Sie in die Debatte ein - steigen, hier erst einmal ein paar Grundbegriffe.
Fabelwesen aus dem Labor
© M
arie
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Ngu
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 47
ChimäreEin Lebewesen, das in seinem Orga-
nismus über Zellen verfügt, die einen
fremden Satz Gene, kurz Genom,
enthalten. Nimmt man es mit dieser
Definition genau, ist jeder Mensch, der
eine Organ- oder Knochenmarkspende
bekommen hat, eine Chimäre. Neben
seinen eigenen Genen verfügt er näm-
lich jetzt auch noch über ein zweites
Genom aus dem Transplantat.
Transgene TiereTiere, denen man Erbmaterial einer
anderen Tierart einpflanzt. Dazu
wird fremde DNA in eine ungeteilte,
befruchtete Eizelle gegeben. Das neue
Genmaterial wird in diesem Stadi-
um noch in die DNA eingebaut. Bei
jeder weiteren Zellteilung werden die
eingebauten Gene an die Tochterzelle
weitergegeben.
HirnchimärenArtfremde Zellen werden in das Gehirn
von Versuchstieren eingepflanzt. Die
eingesetzten Zellen sollen sich dann
in dem fremden Gehirn eines zum
Beispiel an Parkinson Erkrankten in-
tegrieren und mitarbeiten. Parkinson
stört die Hormonproduktion von Ge-
hirnzellen. Die Stammzellen sollen die
Produktion wieder anregen. Außerdem
können Hirnchimären dabei helfen,
die einzelnen Stadien von Gehirner-
krankungen zu erforschen.
HybrideEin Nachkomme von zwei Tieren
oder auch Pflanzen unterschiedlicher
Art, der in allen Zellen die gleichen
Erbanlagen hat. Das bekannteste ist
das Maultier, das durch Paarung von
Esel und Pferd entsteht und Gene
von beiden Tierarten besitzt. Hybride
können keine Nachkommen zeugen,
weil sie eine ungerade Anzahl von
Chromosomen haben. Im Labor er-
zeugte Hybride sind zum Beispiel die
Produkte klassischer Kreuzungen wie
etwa Triticale, ein Hybrid aus Roggen
und Weizen.
ZybrideKurzform für »zytoplastischer Hybrid«.
Man bringt einen fremden Zellkern in
eine Eizelle ein, deren Zellkern vorher
entnommen wurde. Anschließend
wird die Zelle durch einen elektrischen
Impuls dazu angeregt, sich zu tei-
len. Daraus wächst ein Embryo, dem
Stammzellen für die Forschung ent-
nommen werden können. Er dient nur
der Forschung und wird nach wenigen
Tagen, genauer 32 Zellteilungen, wieder
zerstört.
© A
dria
n W
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48 GRAUZONE
PROÄngste hintenanstellenBei der Forschung mit Chimären geht es nicht
um das Erschaffen von Monstern. Speziell in
der Humangenetik versucht man vielmehr
Menschen zu helfen und Krankheiten zu
heilen. Kritiker befürchten jedoch, dass bei der
Erzeugung von Chimären Wesen entstehen,
die nicht mehr klar als Mensch oder Tier zu
identifizieren sind. Insbesondere in Deutsch-
land gibt es Bedenken, dass diese veränderten
Wesen menschliche Züge entwickeln könnten.
Die Angst vor einem solchen Horrorszenario
ist allerdings kein Argument, solange keine
Belege vorliegen. Laut Dr. Michael Bader vom
Berliner Max-Delbrück-Center für Molekular-
medizin ist beispielsweise die Transplantation
von menschlichen Nervenzellen in erwachsene
Organismen völlig unbedenklich. Eine »Um-
programmierung« des tierischen Gehirns sei
nach Abschluss der Entwicklung eines Fötus
ausgeschlossen.
Eine weitere Tatsache: Nach Zahlen der
Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind etwa
1,2 Millionen Menschen in Deutschland an
Demenz bereits erkrankt und 2050 dürften es
sogar 2,6 Millionen sein. Angesichts dieser dra-
matischen Entwicklung steht die Wissenschaft
in der Verantwortung, neue Therapie-Wege
zu finden. Im Moment bietet die medikamen-
töse Behandlung nur eine Bekämpfung der
Symptome von Alzheimer. Da dieser Um-
stand auch damit zusammenhängt, dass man
degenerative Gehirnerkrankungen noch nicht
umfassend in ihrer Entstehung erforschen
kann, ist die Forschung mit Hirnchimären
umso wichtiger.
Erst durch eine ausreichende Grundlagen-
forschung kann ein neuer Forschungsansatz
sein ganzes Potenzial offenbaren. Deswe-
gen wäre es unvernünftig und kurzsichtig,
Stammzellen- und Chimärenforschung von
vornherein zu verteufeln. Allein die theore-
tische Aussicht darauf, eine Volkskrankheit wie
Alzheimer in einigen Jahren heilen zu können,
sollte Grund genug dafür sein, die Ängste
davor hintenanzustellen.
An erster Stelle sollte und muss das Wohl
des Menschen stehen. Dies ist die wichtigste
ethische Prämisse, die die Forschung zu achten
hat. <<
Adrian Wagner
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 49
CONTRAErnüchternde ErgebnisseDie Artengrenze zwischen Mensch und Tier ist bedroht. Um eine moralische Richtlinie
vorzugeben, veröffentlichte der Ethikrat im
September 2011 eine Stellungnahme zum
Umgang mit Mensch-Tier-Mischwesen in
der Forschung. Darin spricht er sich für eine
Modernisierung und eine Erweiterung des
Embryonenschutzgesetzes aus. Laut Kritikern
wird nicht beachtet, dass die Versuche nur
einer nicht zielführenden Grundlagenfor-
schung dienen: »Die Ergebnisse sind nicht
brauchbar und sind für die Tiere oft mit vie-
len Folgekrankheiten verbunden, wie Krebs
und anderen körperlichen Belastungen«, so
Thomas Schröder, Bundesgeschäftsführer des
Deutschen Tierschutzbundes. Welche Rechte
hat eine Chimäre? Und wohin führt uns ins-
besondere die Forschung an Hirnchimären?
Vor allem im letzten Punkt steht man vor
zwei Problemen: Erstens ist bis heute unklar,
ob sich die in Tierversuchen (siehe Artikel
S. 44) gewonnenen Erkenntnisse auf den
Menschen übertragen lassen. Nur weil ein
Medikament im Gehirn eines Affen positive
Effekte erzielt, heißt das noch nicht, dass es
auch Menschen helfen wird – auch wenn
der Affe als naher Verwandter des Menschen
gilt. Zweitens ist es schwierig abzuschätzen,
welche menschlichen Wesenszüge ein Affe
bekommen könnte, wenn ihm menschliches
Hirngewebe implantiert wird.
Bereits 2008 wurden gesunde Stamm-
zellen in Gehirne von Parkinsonkranken
eingesetzt, damit sie die Arbeit der erkrank-
ten Zellen übernehmen. Das Ergebnis war
ernüchternd: Die gesunden Zellen wurden
auch infiziert. Der Ethikrat hält die Erzeugung
von Hirnchimären für »ethisch statthaft«,
zumindest solange der medizinische Nutzen
für den Menschen »hochrangig« ist.
Unterm Strich muss man jedoch fest
halten: Der Nutzen von Tierversuchen in
der Chimärenforschung ist bis heute nicht
zu erkennen. Sicher ist nur, dass sich die
Gesellschaft in den nächsten Jahren weiter
mit diesem Thema auseinandersetzen muss.
Bleibt nur zu hoffen, dass wir uns nicht
irgendwann erneut die Frage stellen müssen:
Was ist ein Menschenaffe? <<
Florian Henge© A
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50 GRAUZONE
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Seltene Krankheiten betreffen wenige Menschen– zu wenige für die Pharmaindustrie. Dement - sprechend hält sich ihr Forschungsinteresse in Grenzen. Doch haben diese Unternehmen nicht auch eine Verantwortung für eine kleine Gruppe von Betroffenen?
Heilung nicht von Interesse
50 GRAUZONE
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 51
Heilung nicht von Interesse
Investitionen müssen sich für Pharmaunter-nehmen lohnen. Deshalb wird mehr Geld in die Erforschung der Volkskrankheiten gesteckt als in seltene Erkrankungen.
GRAUZONE 51
© K
arin
Jähn
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52 GRAUZONE
Es ist neun Uhr abends in Berlin-
Spandau. Heute hat es wieder länger
gedauert. Diesmal waren zwei Gu-
tenachtgeschichten nötig. Die Eltern der
fünfjährigen Anna beobachten aufmerk-
sam, wie sich ihr kleiner Brustkorb regel-
mäßig auf und ab bewegt. Sie wirkt zu-
frieden. Die Eltern angespannt. Der Atem
ihrer Tochter ist zwar deutlich zu hören,
doch die Eltern haben nur einen Gedan-
ken: »Hoffentlich nicht diese Nacht«.
Denn Atemaussetzer sind bei Anna keine
Ausnahme. Sie leidet an der seltene Spei-
cherkrankheit Mukopolysaccharidose,
kurz MPS-Typ-II.
Seltene Erkrankungen sind gar nicht
so selten. Anna ist eine von rund vier Mil-
lionen Betroffenen in Deutschland, die
an einer »orphan disease« leidet. Offiziell
gilt man als Opfer dieser »Waisenkrank-
heiten«, wenn weniger als fünf von 10.000
Menschen das gleiche Krankheitsbild auf-
weisen. Von den weltweit über 30.000 be-
kannten Krankheiten gehören laut Schät-
zungen der Allianz Chronischer Seltener
Erkrankungen mehr als 6.000 zu den
Waisenkrankheiten. Sie heißen so, weil sie
als vernachlässigte Krankheiten gelten. In
der Regel sind sie durch Fehler im Erbgut
verursacht. Allerdings können sie in den
unterschiedlichsten Krankheitsbildern
zum Vorschein kommen. Kein Arzt der
Welt kann jede dieser Krankheiten überbli-
cken und erkennen. Genau darin liegt das
Problem. Rania von der Ropp von Achse
e. V., einem Dachverband für seltene Er-
krankungen erklärt: »Bis die Betroffenen
wissen an welcher Krankheit sie leiden,
können Jahre vergehen. Manche erfahren
es sogar niemals.«
Anna hatte Glück im Unglück. Nach
endlos vielen Arztbesuchen und Überwei-
sungen zu Spezialisten erkannte ein Arzt,
was bei ihr nicht stimmte: Annas Körper
speichert so genannte Mukopolysaccha-
ride fehlerhaft ein. Das sind lange Ketten
aus Zuckermolekülen, die das Bindegewe-
be bilden. Normalerweise werden diese
regelmäßig abgebaut und erneuert. Um
sie zu spalten, braucht der Körper ein be-
stimmtes Enzym. Genau dieses entschei-
dende Enzym fehlt bei MPS-Typ-II-Betrof-
fenen. Dadurch können sich immer mehr
»alte« Mukopolysaccharide ablagern und
dauerhaft im Körper ansammeln. Je mehr
Zuckermoleküle gespeichert werden, desto
häufiger kommt es zu gefährlichen Sym-
ptomen: vergrößerte Organe, Atemausset-
zer, Flüssigkeitsstau im Gehirn.
Doch selbst wenn eine zutreffende
Diagnose erfolgt, hält das Hoffnungsge-
fühl meistens nicht lange an. Denn eine
Therapie für Waisenkrankheiten gibt es
nur selten. Laut Angaben des Verbandes
forschender Pharmaunternehmen (VFA)
sind momentan gerade einmal 59 Medika-
mente als »Orphan Drugs« in der EU zuge-
lassen.
Für Annas Eltern ist der Gedanke un-
vorstellbar, dass sie in der Apotheke keine
passende Medizin für ihr Mädchen kaufen
können. Doch warum gibt es diese Medika-
mente nicht?
Pharmaunternehmen sind marktorien-
tiert. Fehlt die Kaufkraft, dann lohnt sich
das Geschäft einfach nicht. Ein Beispiel:
In der EU gibt es nur zirka 1.000 MPS-Typ-
II-Erkrankte. Hinderlich sind ebenfalls die
hohen Entwicklungskosten für Orphan-
Arzneimittel. Diese liegen nach Angaben
von Jan Hempker, dem Pressesprecher des
Pharmakonzerns Sanofi Aventis, im obe-
ren dreistelligen Millionenbereich.
»Pharmaunternehmen sind keine ka-
ritativen Einrichtungen. Ihre Motivation
ist Gewinn. Wenn ein Pharmachef mehr
an seltenen Erkrankungen forschen wür-
de, wäre er schnell seinen Job los, da die
Gewinne ausblieben«, sagt Peter Sawicki,
ehemaliger Leiter des Institutes für Quali-
tät und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits-
wesen (IQWiG). Zudem weist er darauf hin,
dass Pharmaunternehmen in Aktiengesell-
schaften organisiert seien. Diese würden
nur mit schwarzen Zahlen funktionieren.
Ein weiteres Hindernis ist die Erfor-
schung von Medikamenten für Waisen-
krankheiten. Durch die kleinen Proban-
den-Gruppen müssen die Studien anders
geplant und durchgeführt werden als für
gewöhnliche Medikamente. Dabei existie-
ren einige gesetzliche und finanzielle Vor-
teile für die Forschung an Orphan Drugs.
So gibt es seit 1990 eine »EU-Verordnung
über Arzneimittel für seltene Leiden«.
Hierbei bekommen forschende Unterneh-
men zehnjährige Exklusivrechte ab der
Marktzulassung des Medikamentes sowie
eine beschleunigte Bearbeitung des Zulas-
sungsantrages zugesprochen. Zusätzlich
können sie die Hälfte der Zulassungskosten
sparen. Ebenfalls berät die Zulassungsstel-
le der Europäischen Arzneimittelagentur
(EMA) kostenlos bei der Vorbereitung und
Planung der Studien.
ForschunG Für Das ImaGEEinen weiteren Anreiz schaffte das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) im Jahr 2003. Seitdem fördert es
den Aufbau von krankheitsspezifischen
Netzwerken für seltene Erkrankungen.
Daraus sind 16 Verbünde entstanden. Seit
2009 werden sie jährlich mit acht Milli-
onen Euro gefördert. Auffällig an den 16
Verbünden ist, dass zwar zahlreiche Uni-
versitätskliniken beteiligt sind, allerdings
kein einziges Pharmaunternehmen. Oft
Pharmaunternehmen sind keine karitativen Einrichtungen. Ihre Motivation ist Gewinn. Wenn ein Pharmachef mehr an seltenen Erkrankungen forschen würde, wäre er schnell seinen Job los, da die Gewinne ausblieben.
»«
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 53
überlassen diese lieber den Universitäten
und kleinen Biotechnologiebetrieben die
Forschung und auch das Risiko, mit dem
Wirkstoff zu scheitern. François Houÿez,
der bei der Europäischen Organisation
für seltene Krankheiten arbeitet, kritisier-
te in einem Spiegel-Artikel: »Die großen
Pharmaunternehmen treten meist erst
bei der Marktzulassung in Erscheinung.«
Sie erwerben erst die Lizenzen der Medika-
mente, wenn diese den Orphan-Drug-Sta-
tus bekommen haben und für den Markt
zugelassen sind. Dabei muss das Rad nicht
immer neu erfunden werden. In manchen
Fällen reicht es auch aus, einen Wirkstoff
zu nehmen, der ursprünglich einmal für
ein häufiges Leiden entwickelt wurde.
Beispielsweise wird der Wirkstoff Sildena-
fil aus der Viagra-Tablette von dem Phar-
maunternehmen Pfizer für die seltene
Krankheit Lungenhochdruck eingesetzt.
Es bleibt nur noch eine Frage offen: Ha-
ben die geschaffenen Anreize auch den
erhofften Nutzen erbracht? Betrachten wir
doch einmal die gesamte Angebotspalette
der großen Pharmaunternehmen. Etwa
das Sortiment der Bayer Schering Pharma
AG. Dieses besteht aus zirka 140 Medika-
menten. Davon sind gerade einmal zwei
Mittel Arzneien mit dem Orphan-Drug-
Status: Das Krebsmedikament Nexavar
und Ventavis, das gegen Lungenhochdruck
eingesetzt wird.
Ähnlich ist das auch bei Sanofi Aventis,
dem drittgrößten Pharmaunternehmen
weltweit. Es hat die beiden Orphan Drugs:
Fasturtec und Rilutek im Sortiment. Erste-
res wird gegen das bei Chemotherapien
auftretende Tumorlysesyndrom einge-
setzt. Bei diesem zerfallen große Tumore
in ihre Einzelteile. Dieser Zustand ist le-
bensbedrohlich. Als wir fragten, warum
Fasturtec in der EU nicht als Orphan Drug
zugelassen ist, wies Pressesprecher Jan
Hempker daraufhin, dass es in den USA
einen Orphan-Drug-Status besäße.
Außerdem sei die betreffende Indikati-
on auch in Europa nicht häufig. Im Klartext
bedeutet das: In den USA ist ein Markt für
dieses Arzneimittel vorhanden. Dazu Pe-
ter Sawicki: »Wenn ein Pharmakonzern an
Arzneimitteln für seltene Leiden forscht,
dann entweder nur wegen seines Images,
oder weil es sich in einem anderen Land
vielleicht lohnt.«
Es gibt jedoch auch Betroffene des Tu-
morlysesyndroms in der EU. Diese müssen
Fasturtec teilweise selbst bezahlen, da es
keinen Europäischen Orphan-Drug-Status
besitzt und es eine Alternative zu Fastur-
tec gibt: den Wirkstoff Allopurinol. Da es
eine Behandlungsalternative gibt, können
die Krankenkassen eine Kostenerstattung
in Frage stellen. Doch damit scheint sich
der Konzern offensichtlich nicht weiter
zu beschäftigen. Obwohl die Kosten von
Fasturtec beträchtlich sind. Eine belgische
Analyse kam vor einiger Zeit zu dem Er-
gebnis, dass die Behandlung mit Rasbu-
ricase, dem Wirkstoff von Fasturtec, bei
Erwachsenen durchschnittlich 32.000 bis
41.000 Euro pro gewonnenem Lebensjahr
kostet.
Des Weiteren ließ der Pharmakonzern
verlauten: »Sanofi Aventis ist mittlerweile
auf dem Gebiet der Orphan Drugs außeror-
dentlich stark vertreten. Denn seit 2011 ge-
hört das US-Unternehmen „Genzyme“ zu
uns.« Dieses Biotechnologieunternehmen
ist momentan führend in dem Bereich der
seltenen Erkrankungen. Den Konzern hat
Sanofi Aventis allerdings nicht aus Groß-
herzigkeit gekauft. Wie bei vielen ande-
ren Pharma-Riesen auch, laufen 2013 von
einigen Kassenschlagern des Konzerns
die Patente aus. Nach Berichten des Han-
delsblattes stehen die Unternehmen unter
dem Druck, dass andere Hersteller dann
günstigere Nachahmer-Produkte auf den
Markt bringen.
Die Anteilseigner der Pharmaindustrie
haben dennoch keinen allzu großen Grund
zur Sorge. Zumindest nicht mehr seit No-
vember 2010, als das Arzneimittelneuord-
nungsgesetz (AMNOG) beschlossen wurde.
Es besagt, dass Hersteller künftig einen
Zusatznutzen für alle neuen Arzneimittel
nachweisen müssen. Die Orphan Drugs
werden aus der Regelung ausgeklammert.
Denn ihr Nutzen soll durch die Zulassung
schon ausreichend belegt sein. Es sei denn,
der Umsatz des Wirkstoffes läge über 50
Millionen Euro jährlich.
GratwanDErunGKritiker sehen in dieser Ausnahmerege-
lung jedoch einige Schlupflöcher für die
Pharmaindustrie. So können die Pharma-
hersteller die Orphan Drugs als Umweg
nutzen, um ihre Mittel schneller auf den
Markt zu bringen. Dabei zerlegen sie eine
Krankheit in möglichst viele kleine Unter-
gruppen. Anschließend beantragen sie ein-
zeln den Orphan-Drug-Status. Im Klartext
heißt das: Menschen mit einer Waisen-
krankheit wird die Nutzenbewertung ihrer
Arzneien vorenthalten. Beispielsweise gibt
es für ein und dieselbe Waisenkrankheit
sechs verschiedene Medikamente. Drei da-
von haben den Orphan-Drug-Status, drei
nicht. Es bleibt unklar, welches Arzneimit-
tel den Patienten am besten hilft.
Pharmaunternehmen halten sich an
die Gesetze. Rechtlich gesehen machen sie
nichts falsch. Doch wer sonst soll die Me-
dikamente produzieren, wenn nicht die
Pharmaindustrie? Wieso haben Patienten
mit seltenen Erkrankungen nicht die glei-
che Möglichkeit für eine Therapie wie Pati-
enten, die an einer Volkskrankheit leiden?
Für Annas Waisenkrankheit gibt es mitt-
lerweile eine Enzymersatztherapie. Das Me-
dikament Elaprase kann lindern, aber nicht
heilen. Verhindert wird lediglich, dass sich
die Organe des Mädchens weiter vergrö-
ßern. Das Mittel kommt jedoch nicht über
die Blut-Hirn-Schranke in ihr Gehirn. Die
Ablagerungen im Nervengewebe finden da-
her weiter statt. Das bedeutet, dass der gei-
stige Abbau weiter zunimmt.
Kürzlich haben Forscher an der Univer-
sität Bonn einen Weg gefunden, die Schran-
ke zu überwinden. Vielleicht ist es doch die
Hochschul-Forschung, die Anna das Leben
retten kann. <<
© K
arin
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54 GRAUZONE54 hautnah
NaturkatastropheN
Regen, Sturm und Gewitter können viel Zerstö-rung anrichten. Allein in Deutschland kam es im Jahr 2010 zu 1,5 Milliarden Euro Sachschaden, den die deutschen Hausrat- und Wohngebäude-versicherer begleichen mussten.
54 GRAUZONE
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 55hautnah 55
Werden wir nass, weil es entgegen der Wettervorhersage regnet und der Regenschirm daheim liegt, ist das ärgerlich. Aber niemand würde die Meteorologen dafür zur Verantwor-tung ziehen. Ganz anders sieht das aus, wenn – wie 2011 in Bel-gien geschehen – ein Unwetter über einem Festival wütet und dabei Menschen ums Leben kommen.
Wer haftet für das Wetter?
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 55
56 GRAUZONE
Von den Bäumen stürzen Äste herab,
es regnet in Strömen und mitten
durch das Unwetter rennen Men-
schen auf der Suche nach Schutz. Das Getöse
des Sturms übertönt ihre Hilferufe. Andere
sind im sicheren Zelt angekommen. Sicher?
Plötzlich kracht ein Baum durch das Dach,
Panik bricht aus, Chaos entsteht.
Was klingt wie Szenen eines Blockbu-
sters sind Ausschnitte aus Amateurvideos.
Gedreht beim Pukkelpop-Festival bei Has-
selt in Belgien, das im Sommer 2011 trau-
rige Berühmtheit erlangt. Am 18. August,
dem ersten Festivaltag, kommt es zu einem
Unwetter über dem Festivalgelände. Zelte,
Videowände und Metallkonstruktionen
stürzen ein, fünf Menschen kommen da-
bei ums Leben, Dutzende werden verletzt.
Nach dem ersten Schock geht es um die
Frage, wer verantwortlich für das Unglück
ist. War das Unwetter überhaupt vorherzu-
sehen? Hat der Veranstalter leichtsinnig
gehandelt und Menschenleben aufs Spiel
gesetzt?
KoMMuniKAtion iSt AllESAuch in Deutschland kommt es 2002 zu
einem ähnlichen Zwist. Im Juli wütet in
Berlin ein schweres Unwetter, bei dem
zwei Kinder in einem Jugendzeltlager
tödlich verletzt werden. Sofort geht es
um die Frage: Wer ist verantwortlich? Es
kommt zu Schuldzuweisungen. »Der Wet-
terdienst konnte jedoch beweisen, dass
rechtzeitig gewarnt wurde«, sagt Diplom-
Meteorologe Gerhard Lux, Pressesprecher
des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Lei-
der würden Warnungen ab und zu nicht
ernst genug genommen – oder aber die
Entscheidungen der Katastrophenschutz-
dienste benötige zu viel Zeit.
Denn die Verständigung und Zusam-
menarbeit von Behörden wie Feuerwehr,
Polizei und Technisches Hilfswerk (THW)
kann der DWD nicht beeinflussen. Dass die
Wetterdaten bis zu ihnen gelangen, aller-
dings schon. Dafür gibt es ein breit gefä-
chertes Informationssystem. Die Zentrale
in Offenbach am Main arbeitet nach einem
Drei-Säulen-Modell. »Dabei werden zeit-
gleich alle Daten an drei Gruppen weiter-
geleitet: Medien, Privatpersonen und ört-
liche Behörden«, erklärt Lux. Elementare
Medien seien vor allem Radiostationen,
TV-Sender und Online-Nachrichtenagen-
turen. Ȇberall dort sind im Bedarfsfall
unsere aktuellen Lageberichte wichtig, um
die darin enthaltenen Wetterwarnungen
schnell verbreiten zu können.«
Veranstalter können zusätzlich ein
Abonnement über einen bestimmten Zeit-
raum abschließen, um weitere, für sie re-
levante Daten zu erhalten. Jasper Barend-
regt, Leiter der Festivalabteilung bei FKP
Scorpio, einem der führenden Konzert-
veranstalter Deutschlands, weiß: »Veran-
stalter verlassen sich auf den DWD, da nur
dessen Warnungen rechtlich verbindlich
sind.« Auch die örtlichen Behörden, mit
denen zusammengearbeitet wird, würden
nur den offiziellen Angaben vertrauen.
Doch die reine Informationsbeschaffung
ist nur der Anfang. Die nachgehende Kom-
munikation zwischen den verschiedenen
Ämtern muss funktionieren. Es ist durch-
aus möglich, dass jede Stelle für sich exzel-
lente Arbeit leistet, Ergebnisse dann aber
nicht richtig weitergeleitet werden. Oft
seien auch die Landräte dafür verantwort-
lich, den Notstand auszurufen, sagt Lux.
»Sind diese dann am Wochenende ein-
mal nicht erreichbar, wenn die Unwetter-
warnung kommt, gerät das System schon
zu Beginn ins Stocken.« Der DWD könne
niemanden zwingen, Meldungen durchzu-
geben, sagt Lux. »Genauso wenig können
wir den Veranstalter zwingen, das Festi-
valgelände zu räumen«, erklärt er weiter.
Denn der Wetterdienst ist eine Anstalt des
öffentlichen Rechts, zu dessen Aufgaben
es gehört, das Wetter zu beobachten und
vor Unwettern zu warnen. An die War-
nungen halten muss man sich allerdings
nicht. Laut Lux endet die Verantwortung
des DWD in dem Moment, in dem die Info
übergeben wird.
DiE AbläufE SinD ERpRobtNachfragen können Veranstalter natürlich
jederzeit. Das weiß auch Barendregt: »Wenn
gewünscht, steht beim DWD rund um die
Uhr ein Ansprechpartner für uns bereit.«
Zusätzlich würden sie sich durch eigene
Windmessgeräte auf den Bühnen des Festi-
vals absichern. »Kommt es dann tatsächlich
zu einer brenzligen Situation, sprechen wir
uns mit dem Krisenmanagementteam ab.
Das besteht aus Verantwortlichen des Festi-
vals sowie den örtlichen Behörden.« Dabei
werde das weitere Vorgehen nach festge-
legten Protokollen geplant, sagt er.
Das war im August 2011, am letzten Fe-
stivaltag des Area4 in Nordrhein-Westfalen
der Fall: Eine Sturmwarnung kommt auf.
Das Krisenmanagementteam wird zusam-
mengetrommelt. Es besteht aus Verant-
wortlichen des Festivals sowie den örtlichen
Behörden und steht in ständiger Alarmbe-
reitschaft. In aller Schnelle wägen sie das
Für und Wider eines Festivalabbruches ab
und entscheiden sich für eine Unterbre-
chung. »Wir haben eine Sturmwarnung.
Bitte geht alle zurück in eure Zelte und Au-
tos«, ist als vorgefertigte Botschaft auf den
riesigen Videoleinwänden zu lesen. Ohne
Panik ziehen sich die Besucher zurück, um
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat Standard-Kommnikationspartner (weiße pfeile). bei festivals vernetzt er sich zudem mit dem feuerwehr-informationssystem (feWiS), Veranstalter und behörden.
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58 GRAUZONE
zwei Stunden später über das Festivalradio
die Entwarnung zu hören: Das Unwetter ist
vorbei, der Headliner tritt auf. Tatsächlich
kommen 12.000 der ursprünglich 15.000
Gäste wieder – das Area4 findet einen gelun-
genen Abschluss. »Das war unglaublich. Wir
haben meiner Meinung nach die richtigen
Entscheidungen getroffen und konnten das
Gelände räumen, ohne Panik zu verbreiten.
Und wir haben das Festival nach dem Un-
wetter sogar wieder gestartet. Besser hätte
es nicht laufen können«, schwärmt Barend-
regt. Wäre es zu keiner Einigung im Krisen-
managementteam gekommen, hätte der
Chef des Teams eine Entscheidung gefällt,
so sei die Regel. Diese Rolle übernimmt im-
mer jemand Erfahrenes von den örtlichen
Behörden.
»Sturmwarnungen gibt es im Laufe des
Festivalsommers viele«, erzählt Barend-
regt. »Tatsächlich unternehmen muss
man jedoch nur selten etwas.« Pro Jahr or-
ganisiert FKP Scorpio nach eigenen Anga-
ben um die 125 Festivals, die jeweils mehr
als 5.000 Besucher zählen. 2011 musste
nur eines davon – das Area4 – unterbro-
chen werden. Eine andere Veranstaltung
an der Ostsee wurde wegen Hochwassers
abgesagt. Die Zusammenarbeit mit den
Behörden vor Ort sei laut Barendregt bis-
her immer gut gelaufen. »Die Feuerwehr
kann sich zusätzlich über das Feuerwehr-
informationssystem (FeWIS) informieren,
wo genau das potentielle Unwetter auftre-
ten wird.« Das Portal wird vom DWD extra
für die Leitstellen der einzelnen Landkreise
bereitgestellt.
Die Veranstalter haben die Möglichkeit,
sich gegen Gebühr über Wahrscheinlich-
keiten beraten zu lassen. Sie können dann
selbst entscheiden, ob sie das Risiko ein-
gehen und trotz hoher Sturmwahrschein-
lichkeit ihre Zelte aufbauen. »Da das Wet-
ter ein physikalisch chaotisches System ist,
kann man sich eben nie zu 100 Prozent si-
cher sein, dass ein Ereignis wie Regen oder
Sturm wirklich eintritt«, erklärt Lux die
Arbeit mit Prozentzahlen.
Doch Vorhersagen mit Wahrscheinlich-
keiten können wie ein Buch mit sieben
Siegeln sein. Kann man denn davon aus-
gehen, dass Veranstalter mit solchen Infor-
mationen umgehen können?
Barendregt verweist auf die Behörden
vor Ort, die nach oftmals vielen Jahren der
Zusammenarbeit darin geübt seien. »Das
ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass
wir unsere Festivals Jahr für Jahr am selben
Ort veranstalten«, sagt er. Die Zusammen-
arbeit werde von Mal zu Mal besser, man
stelle sich aufeinander ein. Außerdem sei
die Deutung der Werte einfach. »Eine An-
gabe in Prozent zum Unwetterrisiko ist
leicht zu verstehen«, ist Barendregt über-
zeugt. Schwieriger sei die anschließende
Entscheidung, das Festival zu räumen oder
auch abzusagen.
DiE fRAGE nAcH DER ScHulDSollte sich das Wetter verschlechtern,
müssen sich Veranstalter an gewisse
Vorschriften halten. Der Leiter der Festi-
valabteilung kennt die Richtlinien: »Bei
Windstärke sechs müssen Videoleinwände
abmontiert, bei Windstärke acht die Zelte
geräumt werden«, erzählt Barendregt. Geht
trotz all dieser Regeln und Vorkehrungen
etwas schief, ist man versichert. Allerdings
musste die Veranstalterhaftpflichtversi-
cherung von FKP Scorpio nach Barend-
regts Wissen noch keine großen Schäden
kitten. Auch der DWD ist rechtlich bis zu
einem gewissen Grad abgesichert: »Han-
delt ein Mitarbeiter grob fahrlässig – zieht
also etwa den Feierabend einer gewissen-
haften Unwettermeldung vor – oder infor-
miert absichtlich falsch, haftet der Staat«,
erklärt Lux. Die Schuldzuweisung hält Ba-
rendregt im Falle eines Unglücks für ein
heikles Thema. »Wenn der Blitz in ein Zelt
einschlägt, in das sich ein Festivalbesucher
zurückgezogen hat, weil der Veranstalter
das Gelände räumen ließ – wer ist dann
verantwortlich?«, fragt er.
Die Vorkehrungen, die getroffen wer-
den, schützen nicht immer. Beim Pukkel-
pop in Hasselt waren die Voraussetzungen
ähnlich wie in Deutschland. Auch in Bel-
gien warnt hauptsächlich der staatliche
Wetterdienst, das Königliche Meteorolo-
gische Institut (KMI). Und auch in Belgien
können die Veranstalter jederzeit einen
Mitarbeiter anrufen, wenn Fragen auftau-
chen. Trotzdem kam es zu einem Unglück.
Ein Unglück, für das laut Gericht letzt-
endlich niemand verantwortlich gemacht
werden kann. Denn die Justiz in Belgien
hat entschieden, dass den Veranstalter
keine Schuld trifft. »Man konnte nicht da-
mit rechnen, dass ein Unwetter aufziehen
wird«, wurde das Urteil begründet. <<
Anja Wagenblast
Zelte, Videoleinwände und Metalltürme wurden durch das unwetter zerstört. Der tatsächlich entstandene Schaden konnte bis heute nicht beziffert werden. Doch trotz der drama- tischen Ereignisse ist eine fortsetzung des belgischen festivals pukkelpop für 2012 geplant.
© Ja
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»Wie der Klimawandel Schokolade teuer macht« Fischblog
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60 GRAUZONE
Militärforschung
Verhalten Wissenschaftler sich unver-antwortlich, wenn sie an Universitäten Militärforschung betreiben? »Ja«, finden Militarisierungsgegner und fordern, solche Forschungsarbeiten künftig einzustellen. Dabei lässt sich schon über die Frage, was der Begriff Militärforschung eigentlich be-inhaltet, ganz wunderbar streiten.
Im Labor an der Front
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 61
Kein Krieg ohne Innovation. Was heute in deutschen Laboren erforscht wird, kann in den nächsten Jahren kriegsentscheidend sein.
An vielen deutschen Hochschulen
herrscht augenblicklich Krieg. Über
60 Bremer Wissenschaftler und
Professoren setzten sich zu Beginn letzten
Jahres in einem öffentlichen Apell gegen
Militärforschung an ihrer Hochschule
ein. Deutschlandweit demonstrieren Stu-
denten, fordern die Einführung von Zivil-
klauseln. Das Prinzip dahinter ist einfach:
durch Einführung einer Zivilklausel soll
verhindert werden, dass an den Bildungs-
einrichtungen für den Krieg geforscht
wird. Befürworter fürchten, dass Studenten
andernfalls unwissentlich an der Entwick-
lung von Waffen oder rüstungsrelevanten
Erzeugnisse beteiligt sein könnten.
In Deutschland herrscht seit 66 Jahren
Frieden. Untätig ist die Bundeswehr aber
trotzdem nicht. Aktuell befinden sich circa
7900 Soldatinnen und Soldaten der Bun-
deswehr in Auslandseinsätzen, für die spe-
zielle Ausrüstung und innovative Techno-
logien notwendig sind. Dass dafür auch an
deutschen Universitäten geforscht wird,
ist nicht neu. Wie eine kleine Anfrage der
Fraktion »DIE LINKE« an den Bundestag
im Oktober 2010 ergab, hat das Bundes-
ministerium für Verteidigung (BMVg) zwi-
schen 1991 und 2005 Forschungsaufträge
in Höhe von 105,6 Millionen Euro an deut-
sche Hochschulen vergeben.
zIvILKLauseLn – eIn Lösungsansatz?Auch Zivilklauseln sind keine neuartige
Entwicklung. Die erste Zivilklausel wurde
bereits 1986 an der Universität Bremen
eingeführt. Sie besagt, dass jede Beteili-
gung von Wissenschaft und Forschung mit
militärischer Nutzung oder Zielsetzung
an der Bremer Bildungseinrichtung abge-
lehnt wird.
An anderen deutschen Universitäten
blieb das Engagement in diesem Bereich
dagegen bislang unreglementiert.
Wie die Bundesregierung vor einigen
Monaten mitteilte, hat das BMVg zwischen
2000 und 2010 etwa 46 Millionen Euro in
Auftragsforschung an 48 deutschen Hoch-
schulen investiert.
Das finanzielle Engagement des Vertei-
digungsministeriums stößt bei Militarisie-
rungsgegnern zunehmend auf Widerstand.
An zahlreichen Universitäten werden Wis-
62 GRAUZONE
senschaftler und Studenten aktiv und for-
dern, die Forschung für die Bundeswehr
einzuschränken oder ganz zu unterlassen.
Dabei ist Auftragsforschung an Hoch-
schulen durchaus üblich und rechtlich le-
gitim. Auch ihre Auftraggeber dürfen sich
die Universitäten weitgehend selbst aus-
suchen. Eine rechtliche Grundlage für die
Ablehnung militärrelevanter Forschungs-
arbeiten besteht bislang also nicht.
Das möchten Militarisierungsgegner
ändern. Deshalb setzten sie sich dafür ein,
dass an zahlreichen deutschen Hochschu-
len Zivilklauseln eingeführt werden. Durch
die Aufnahme einer Zivilklausel in ihre
Grundordnungen würden sich die wis-
senschaftlichen Einrichtungen – ähnlich
wie in Bremen – verpflichten, ausschließ-
lich für friedliche, also nichtmilitärische
Zwecke zu forschen. Allerdings gestalten
die Hochschulen ihre Grundordnungen
selbstständig. Diese Selbstverpflichtung
bliebe also freiwillig, sie hätte keinen Ge-
setzescharakter.
Ein Kernaspekt in dieser Diskussion –
nämlich die Frage, was Militärforschung
eigentlich beinhaltet – ist dabei nicht ein-
deutig zu beantworten. Tatsächlich mün-
det Auftragsforschung für das Verteidi-
gungsministerium nicht unweigerlich in
die Entwicklung neuer Waffen. Der Groß-
teil der rüstungsrelevanten Forschung
wird in Deutschland außeruniversitär –
beispielsweise an Fraunhofer-Instituten –
bewerkstelligt.
Für welchen Teil der militärischen For-
schung werden die Universitäten dann ei-
gentlich bezahlt?
Spitzenreiter der zwischen 2000 und
2010 mit projektgebundenen Fördergel-
dern – so genannten Drittmitteln – des
BMVg unterstützten Hochschulen war laut
Angaben der Bundesregierung die Deut-
sche Sporthochschule Köln. Insgesamt
4,4 Millionen Euro flossen in diesem Zeit-
raum an die Bildungseinrichtung – 3,56
Millionen davon alleine in den letzten fünf
Jahren. Aus den Jahresberichten zur wehr-
wissenschaftlichen Forschung geht her-
vor, dass man sich in Köln mit möglichen
Einflüssen auf die Leistungsfähigkeit von
Soldaten im Einsatz beschäftigte.
Der technische Fortschritt hat auch
das Arbeitsumfeld von Soldaten verän-
dert und dazu geführt, dass sie sich neu-
en Herausforderungen stellen müssen.
Längst geht es nicht mehr nur darum, mit
Proviant und Munition bepackt durch ein
Kriegsgebiet zu robben. Soldaten müssen
Maschinen bedienen, große Fahrzeuge
bewegen und hinter Monitoren sitzend In-
formationen korrekt verarbeiten. Wie lan-
ge sie im Einsatz dazu fähig sind, wurde in
Köln mithilfe einer Untersuchungskabine
erforscht, die dem Führerhaus eines Fahr-
zeugs nachempfundenen war. Anhand der
Simulation konnte getestet werden, wie
sich die Wahrnehmungs- und Reaktions-
leistungen der Probanden im Laufe eines
Einsatzes entwickeln.
So sollte ermittelt werden, nach wel-
chem Zeitraum ein Soldat im Einsatz er-
müdet und welche Auswirkungen das auf
seine Leistungsfähigkeit hat.
Die Forscher überwachten beispiels-
weise die Lidschlagrate der Probanden
um zu ermitteln, nach welchem Zeitraum
mit ersten Ermüdungserscheinungen zu
rechnen ist. Mit ansteigender Müdigkeit
schließen Menschen ihre Augen häufiger
und länger, das heißt ihre Konzentrations-
fähigkeit lässt nach. Anhand eines Blick-
überwachungssystems kann festgestellt
werden, wie häufig und für wie lange ein
Proband seine Augen schließt. Je öfter das
passiert, desto erschöpfter ist die Person.
Dieses Prinzip hat sich die Automo-
bilindustrie bereits zunutze gemacht. Es
wird dort eingesetzt, um Fahrer bei nach-
lassender Aufmerksamkeit frühzeitig zu
warnen.
Dass solche Forschungsarbeiten für die
Bundeswehr relevant sind, steht außer
Frage. Immerhin sollen die gewonnenen
Erkenntnisse dazu beitragen, das Ar-
beitsumfeld von Soldaten in Zukunft bes-
ser beurteilen und optimieren zu können.
Betreiben die beteiligten Wissenschaft-
ler also Militärforschung, wenn sie solche
Studien für das Verteidigungsministeri-
um durchführen? Schließlich entwickeln
sie keine Waffen, um Menschen zu töten.
Missachten sie trotzdem ihre gesellschaft-
liche Verantwortung, wenn sie sich daran
beteiligen oder werden sie ihr dadurch so-
gar vielleicht erst gerecht?
»Es geht bei uns um ganz einfache phy-
siologische Zusammenhänge«, erläutert
Dieter Eßfeld, Mitarbeiter des Institutes
für Physiologie und Anatomie der Sport-
hochschule Köln, der das Projekt betreute.
»Wir schauen uns an, wie fit die Soldaten
sind. Sind sie dick oder dünn? Wie viel kön-
nen sie tragen und wie lange?«, erklärt er
zu seinen Projekten.
Es gehe also um Anforderungen am Ar-
beitsplatz, so Eßfeld, über die sich jeder Ar-
beitgeber Gedanken machen müsse – auch
die Bundeswehr.
»Diese moralische Frage stellt sich für
uns daher nicht«, findet er. »Wir schauen
uns an, welche mit Drittmitteln geför-
derten Projekte in unser Institut passen
und die machen wir dann.«
Tatsächlich ist Forschungsfinanzierung
ein wichtiger Aspekt, wenn es um Koope-
NadiNe QuerliNg, Studentin Wirtschaftpädagogik in Mainz
»Wenn es um Verteidigung oder Medizin geht, ist das in Ordnung. Angriffswaffen sollten an Hochschulen aber nicht entwickelt werden«
NiNa geiSe, Studentin Buch-/Politikwissenschaften in Mainz,
»Es wird genug geforscht. Die Bundeswehr könnte diese Ergebnisse auch einfach benutzen.«
© Ya
smin
Em
ily P
enac
k
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 63
rationen und Auftragsforschung geht. Im-
merhin wird für gutes wissenschaftliches
Arbeiten Geld benötigt. Neben ihrer eige-
nen Arbeitskraft müssen Wissenschaftler
Gelder für Arbeitsmaterialien, Geräte und
Personal aufbringen, die von den Univer-
sitäten nur selten zur Verfügung gestellt
werden können. Deswegen sind Forscher
oft darauf angewiesen, weitere finanzielle
Mittel für ihre Projekte zu akquirieren.
Zusätzliche staatliche Fördergelder – so
genannte Drittmittel – können auf Antrag
und nur projektgebunden ausgezahlt wer-
den. So auch bei Auftragsforschungsar-
beiten für das Verteidigungsministerium.
»Ich halte die schlechte Forschungsfi-
nanzierung in Deutschland für einen wich-
tigen Grund dafür, dass die Militarisierung
an Hochschulen so stark voranschreitet«,
meint Christoph Marischka, Mitarbeiter
der Informationsstelle Militarisierung
(IMI) in Tübingen. Der gemeinnützige Ver-
ein befasst sich seit 1996 mit friedenspo-
litischen Themen und setzt sich in letzter
Zeit verstärkt für die Einführung von Zivil-
klauseln an deutschen Universitäten ein.
Gegenwind erfährt das IMI dabei mit-
unter auch von Studenten. So lehnt der
Ring Christlich-Demokratischer Stu-
denten (RCDS) in Bremen einen Beschluss
des Landesparteitags, eine Zivilklausel in
das Bremer Hochschulgesetz einzufügen,
entschieden ab. In einer Pressemitteilung
schreiben die Studenten: »Die im Grundge-
setz garantierte Freiheit der Wissenschaft
würde dadurch erheblich eingeschränkt
und Forscher unter Generalverdacht ge-
stellt werden«. Gleichzeitig halten die
Studenten des RCDS die Umsetzung einer
gesetzlichen Zivilklausel in der Praxis für
schwierig, da die Grenzen zwischen ziviler
und militärischer Nutzung oftmals flie-
ßend seien.
Diese Ansicht teilt auch Nina Eisen-
hardt, Studentin der Technischen Uni-
versität in Darmstadt. Obwohl sie glaubt,
dass an ihrer Hochschule keine dezidierte
Rüstungsforschung betrieben wird, hat sie
im November 2011 ein Entmilitarisierungs-
referat gegründet. Immerhin engagiere
sich ihre Universität im Bereich der zivilen
Sicherheitsforschung, so Eisenhardt. »Ich
empfinde Sicherheitsforschung als beson-
ders kritisch, da hier in meinen Augen der
`Dual Use´- Gedanke zum Tragen kommt«,
erklärt sie und ergänzt: »`Dual Use´ bedeu-
tet, dass die Forschung für zivile Sicherheit,
aber auch für militärische Zwecke genutzt
werden kann.«
Tatsächlich ist dieser Effekt denkbar.
»Das in der militärischen Forschung er-
worbene Know-how muss auch im Bereich
der zivilen Sicherheitsforschung verfüg-
bar sein und umgekehrt«, heißt es im
Positionspapier des wissenschaftlichen
Programmausschusses des Bundesmi-
nisteriums für Bildung und Forschung
(BMBF). Mit bislang 235 Millionen Euro hat
die Bundesregierung im Rahmen des Pro-
gramms zur Sicherheitsforschung Projekte
unterstützt, die laut Zielsetzung die Si-
cherheit der zivilen Bevölkerung erhöhen
sollen, also einem zivilen Zweck dienen.
Dennoch könnten Ergebnisse aus diesem
Forschungsbereich später auch militärisch
genutzt werden.
Mit drei Millionen Euro aus diesem Etat
wurde zwischen 2007 und 2011 beispiels-
weise das Projekt »Airborne Remote Sen-
sing for Hazard Inspection by Lightweight
Drones« (AirShield) unterstützt. Ziel dieses
Forschungsprojektes war die Entwicklung
miteinander vernetzter Drohnen-Schwär-
me, die im Notfall von Einsatzkräften in
die Luft entsandt werden können. Dort
sollen sie Daten über die Gefahrenlage
sammeln und daraus Prognosen für die
Rettungskräfte am Boden entwickeln. Man
könnte die Flugroboter-Schwärme bei
Großbränden einsetzen, um den Austritt
von schädlichen Dämpfen zu messen und
zu beobachten, wie der Koordinator des
Projektes, Christian Wietfeld von der Tech-
nischen Universität Dortmund erläuterte.
Der Nutzen dieser Technologie für Ret-
tungs- und Sicherheitskräfte steht außer
Frage. Gleichzeitig werden Drohnen aber
auch von der Bundeswehr in Auslandsein-
sätzen genutzt, um die Soldaten bei der
Überwachung von Kriegsgebieten und der
Zielortung zu unterstützen.
An der Entwicklung von AirShield war
auch die Microdrones GmbH, ein Droh-
nenhersteller aus Kreuztal beteiligt. Laut
eigenen Angaben beliefert das Unterneh-
men auch das Fraunhofer-Institut für Op-
tronik, Systemtechnik und Bildauswertung
in Ettlingen. Dessen größtes Geschäftsfeld
ist wiederum der Verteidigungssektor, zu
den Auftraggebern zählen das BMVg und
die Bundeswehr. Das an Universitäten ge-
wonnene Know-How für Feuerwehrdroh-
nen könnte auf diesem Umweg also auch
in den militärischen Einsatz gelangen. Das
würde sich auch durch die Einführung von
Zivilklauseln nicht ändern.
Fraglich ist also, inwiefern sich dieser
Wissenstransfer überhaupt verhindern
lässt. Tatsächlich ist die Einstufung der
militärischen Nutzbarkeit vieler For-
schungsarbeiten ebenso umstritten wie
die Notwendigkeit von Zivilklauseln. Ein
spannender Diskurs, dem sich viele Uni-
versitäten, deren Studenten und die Poli-
tik in nächster Zeit widmen müssen. <<
Yasmin Emily Penack
NiNa eiSeNhardt, Studentin an der tu darm-stadt. Vor einigen Wochen hat sie dort das entmilitarisierungsreferat gegründet.
»Ich möchte an meiner Hochschule den Diskurs zu Militärund Sicherheitsforschung fördern.«
Mark turPiN, Student lehramt in Mainz
»Ich bin nicht grundsätzlich gegen Forschung für die Bundeswehr. Für mich hängt das vom Forschungsprojekt ab. Pauschalisieren lässt sich das nicht.«
64 GRAUZONE
interview
Wissen aus dem Untergrund?Ob Radioaktivität oder Schweinegrippe – wer über brisante Themen forscht, muss sich mit seiner Verantwortung für die Gesellschaft auseinandersetzen. Aber gilt das denn nicht für alle Wisenschaftler? Tragen die Nebendarsteller der Forschungslandschaft vielleicht weniger Verantwortung oder liefern sie sogar das Fundament für die gefeierten Erfolge?
Drei Forscher geben Antworten.
62-65_Interviews_red4_2701.indd 64 27.02.2012 20:16:07 Uhr
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 65
»Langfristig gesehen, hat Kommunikationswissenschaft eine genauso große Verantwortung wie die Medizin.« Oliver Quiring
Herr Quiring, was treibt Sie jeden
Tag an?
Quiring: Es ist die Neugierde. Ich finde es
toll, dass man mich dafür bezahlt, neu-
gierig zu sein.
Ergibt sich daraus eine gewisse
Verantwortung für Sie oder erforschen
Sie einfach, worauf Sie gerade neugierig
sind?
Quiring: Natürlich suche ich mir The-
men, die auch gesellschaftlich relevant
sind. Die Ergebnisse, die ich publiziere,
zeigen, wie Medien funktionieren und
was sie gesellschaftlich verändern. Im
Moment untersuchen wir beispielswei-
se die Berichterstattung während der
Wirtschaftskrise. Die Berichterstattung
kann die Realität nicht objektiv abbilden,
denn Journalisten haben Einstellungen
zum Thema. Zudem gibt es Produkti-
onsroutinen, Zwänge der Kommerzia-
lisierung und so weiter. Insofern haben
wir die Verantwortung, immer wieder
zu untersuchen, ob Medien ihre Funk-
tion erfüllen. Zudem habe ich auch die
Verantwortung, empirisch sauber zu ar-
beiten, also nicht nur meine Meinung zu
äußern, sondern an Hand empirischer
Forschung zu untermauern.
Sie haben gerade von der Funktion
der Medien gesprochen. Setzen Medien
ihre Funktion richtig um?
Quiring: Das ist eine schwierige Frage.
Ich definiere zunächst einmal, was ihre
Verantwortung ist.
Gerne.
Quiring: Die Presse hat die öffentliche
Aufgabe, den Bürger zu informieren,
damit er sich vernünftig eine Meinung
bilden kann. Medien sollen ein Forum
zur Artikulation verschiedener Ideen lie-
fern und Mächtige, aus Politik und Wirt-
schaft beispielsweise, kritisieren. Aber
auch Unterhaltung ist ihre Funktion.
Bei der Frage, ob die Medien diese Auf-
gaben erfüllen, tendiere ich zum Ja. Ich
sehe unsere Medienentwicklung nicht
so pessimistisch. Es läuft nicht alles glatt,
aber ich sehe zumindest den Versuch, di-
ese Aufgaben weiterhin zu erfüllen und
ebenso den Medien Verantwortung zu
übertragen, die wahrgenommen wird.
Wie lassen sich Ihre Erkenntnisse
auf die Praxis übertragen?
Quiring: Das Wichtigste ist, dass die Er-
gebnisse an die Öffentlichkeit gelangen.
Wir führen auch Gespräche mit Zustän-
digen, in denen wir auf Missstände hin-
weisen und Optionen darstellen. Das
sind die einzigen Möglichkeiten, die ich
sehe.
Wie stark sehen Sie Ihre Wissen-
schaft in der gesellschaftlichen Verant-
wortung, etwa im Vergleich zu der medi-
zinischen Forschung?
Quiring: Ich habe große Ehrfurcht vor
Disziplinen wie der Medizin. Medizin hat
ebenso wie viele Naturwissenschaften
eine ganz klar sichtbare Funktion: Sie
rettet Menschenleben. Wir Kommunika-
tionswissenschaftler beschäftigen uns ja
eher damit, wie Gesellschaften funktio-
nieren und wie sie kommunizieren. Das
ist nicht ganz so greifbar. Aber wenn es
etwa hilft, Diktaturen zu vermeiden, ist
das wichtig. Das haben wir in unserer
deutschen Geschichte gelernt. Ich würde
also eher sagen, Kommunikationswis-
senschaftler haben langfristig eine ge-
nauso wichtige Funktion wie Forscher in
der Medizin.
Oliver Quiring ist Kommunikationswissenschaftler und geschäftsführen-der Leiter am Institut für Publizistik der Universität Mainz.
© S
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Hill
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66 GRAUZONE
»Kunstwissenschaft sorgt dafür, dass visuelle Phänomene beschrieben werden können« Alexandra Karentzos
Frau Karentzos, wie wirkt sich die
Globalisierung auf die Mode aus?
Karentzos: Zum Beispiel durch den so ge-
nannten Serail-Look, der seit 2009 auch
international gefragt ist und die Harems-
hosen auf den Laufsteg schickt. Das sind
diese Hosen mit dem tiefen Schritt. In Eu-
ropa gab es schon mehrere Revivals dieser
Hose. Im 18. Jahrhundert war das ein Zei-
chen des exotischen Anderen, aber auch
ein Zeichen von Freiheit und Emanzipa-
tion. Frauen, die so etwas getragen haben,
hatten im wahrsten Sinne des Wortes die
Hosen an. Daran sieht man einen Bedeu-
tungswandel. Heute würde man das viel-
leicht eher, als erotische Imagination se-
hen: der Harem als Lustort.
Welche Bedeutung hat Mode für
die Gesellschaft?
Karentzos: Mode hat das Potenzial, sich
kritisch mit der Gesellschaft auseinander
zu setzen. Etwa als politisches Statement,
wie das die Punkbewegung gemacht hat.
Sprechen wir einmal über die Wis-
senschaft hinter der Kunst. Welche Funk-
tion hat sie?
Karentzos: Die Rolle der Wissenschaft
ist es, die Kunst zu beobachten, zu ana-
lysieren und in einen Kontext zu setzen.
Kunstwissenschaft sorgt dafür, dass vi-
suelle Phänomene beschrieben werden
können. Damit schafft sie Verständnis
für gesellschaftliche Kontexte und Ent-
wicklungen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Karentzos: Lady Gaga arbeitet sehr per-
formativ und verwendet Kunstmittel,
um Aufmerksamkeit zu erzielen. Sie hat
mit ihrem Fleischkleid und einem Kote-
lett als Hut viel Aufsehen erregt. Mir als
Kunstwissenschaftlerin geht es dabei da-
rum, zu untersuchen wie sich diese Per-
son inszeniert, welche Mittel sie aufgreift
und in welcher Verbindung das steht.
Die Kunsthistorikerin Alexandra Karentzos ist Wella-Stiftungsprofessorin an der TU Darm-stadt. Sie forscht über die Auswirkungen der Globalisierung auf Mode und Ästhetik. Sie findet, dass Wissenschaft Mode in gesell-schaftliche Kontexte einordnen sollte – um kritische Distanz zu Alltagsphänomenen zu ermöglichen.©
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Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 67
»Weltraumschrott ist ein globales Problem, es reicht nicht, wenn nur ein Land etwas dagegen macht.« Holger Krag
Holger Krag hat Maschinenbau mit Schwer-punkt Luft- und Raumfahrt an der TU Braun-schweig studiert. Er arbeitet beim European Space Operation Centre (ESOC) in Darmstadt und beschäftigt sich mit Weltraummüll.
Herr Krag, wie sieht Ihr Alltag beim
European Space Operation Centre aus?
Krag:Das ESOC betreibt die Satelliten der
ESA. Dazu gehört die regelmäßige Kon-
taktaufnahme mittels eines Netzwerks
von Antennen, das Verfolgen ihres Status
und die Berechnung ihrer Bahnen. Meine
Arbeit wird dann entscheidend, sobald
wir dabei auf eine Kollisionswarnung
stoßen. Erst heute ist eine reingekom-
men, die einen unserer Satelliten betrifft.
Dann sprechen wir uns mit unserem
Kontrollteam ab, das den Satelliten die
Kommandos gibt. Danach fliegen wir das
Ausweichmanöver. Wenn ein teurer Sa-
tellit bei einer Kollision getroffen wird,
ist das sehr ärgerlich.
Wie kommt es zu Kollisionen?
Krag: Es gab bis heute rund 5000 Rake-
tenstarts. Jeder Start bringt mindestens
einen Satelliten ins All. Leider sind schon
mehr als 200 Mal Raketenoberstufen,
manchmal sogar Satelliten, explodiert.
Man hat sich nie Gedanken gemacht,
was nach 20 bis 30 Jahren mit diesen Ob-
jekten passiert. Es hat sich herausgestellt,
dass sich der restliche Treibstoff selbst
entzünden kann. Dadurch explodiert der
Satellit. Das Objekt zerlegt sich in Trüm-
mer, diese sind wieder Kandidaten für
neue Kollisionen. Das wäre dann eine Ket-
tenreaktion. Wir haben Angst davor, ir-
gendwann nur noch zusehen zu können,
wie die Objekte miteinander kollidieren
und ihre Zahl immer weiter ansteigt. Und
ehrlich gesagt haben wir das Gefühl, dass
wir kurz davor stehen.
War das nicht verantwortungslos
von der ESA, sich keine Gedanken zu ma-
chen, was nach der Mission mit den Ra-
keten passiert?
Krag: Man muss sich in die Pioniertage
der 50er Jahre zurück versetzen. Es war
ein Riesenerfolg für die Menschheit,
überhaupt ein Objekt ins All zu bringen.
Insofern habe ich Verständnis für die frü-
hen Tage der Raumfahrt. Aber man hätte
von Anfang an eine Art Verkehrsplanung
machen müssen, damit sich die Objekte
mit ihrer Umlaufbahn nicht überschnei-
den. Auf der anderen Seite habe ich er-
lebt, wie Regeln zustande kommen. Da
diskutieren 60 bis 70 Nationen. Keiner
will sich den Flug in den Weltraum ver-
bieten lassen. Ich bin heute selbst in
solche Diskussionen involviert und ver-
suche zu erklären, welche Konsequenzen
Missionen haben und welche Maßnah-
men getroffen werden müssen. Das ist in
einem solchen Umfeld sehr schwer.
Ist das so ähnlich wie in der Klima-
debatte?
Krag: Ja, Weltraumschrott ist ein globales
Problem. Was einer anrichtet, bekommen
alle zu spüren. Und die Effekte von dem,
was man zur Vermeidung versucht, sind
erst ganz spät spürbar.
Die Interviews führte Stephanie Hill.
© S
teph
anie
Hill
62-65_Interviews_red4_2701.indd 67 27.02.2012 20:16:09 Uhr
68 GRAUZONE
ElEktromobilität
Lithium-Ionen-Batterien boomen – aber wie zukunftsfähig sind sie wirklich?
Hype ohne Zukunft
Jeder hat eine. Denn sie sind überall.
In Handys, in Laptops, sogar in Akku-
schraubern, neuerdings auch in Autos.
Die Rede ist von Lithium-Ionen-Batterien,
von Experten abgekürzt Li-Ion, die in den
letzten Jahren schwer in Mode gekommen
sind. Es gibt kaum ein elektrisches Gerät,
das nicht mit einem solchen Akku aus-
gestattet ist. Kein Wunder: Li-Ions haben
eine sehr hohe Energiedichte, sie können
eine große Menge Energie in einer ver-
gleichsweise kleinen Menge Lithium spei-
chern. Frühere Akkumodelle hatten einen
»Memory Effekt«. Das heißt: Mit zuneh-
mendem Alter konnten sie immer weni-
ger Energie speichern. Bei Li-Ions entfällt
dieses Problem. Diese Vorteile machen
Lithium zu einem gefragten Rohstoff. Es
ist das Schicksal von Rohstoffen, dass sie
nur in begrenztem Maße auf unserem Pla-
neten vorhanden sind. Ist die Zukunft der
Li-Ions also schon vorbei, bevor sie begon-
nen hat?
Lithium ist das leichteste Metall der
Welt. Doch kaum jemand weiß, wie dieses
Element aussieht. Im Gegensatz zu Gold,
Silber oder Uran kann es nicht einfach in
einer Mine abgebaut werden. Einer der
wichtigsten Rohstoffe für die Elektronik-
und Automobilindustrie versteckt sich
gut. Lithium kommt nahezu überall vor, in
Gesteinen, in unserem Mineralwasser und
auch in unserem Körper. Aber nur an we-
nigen Stellen auf der Erde ist das Element
in so hohen Konzentrationen vorhanden,
Um diese Fragen zu beantworten, müs-
sen wir zurück nach Südamerika, zu den
Salzseen. Laut eines Berichts aus dem Jahr
2008 des Meridian International Research
(MIR), einem Technologie-Beratungsun-
ternehmen, stecken in ihrer Salzkruste
insgesamt über zehn Millionen Tonnen
Lithium. Nimmt man einige kleinere Vor-
kommen in China, Brasilien und den USA
dazu, kommt man auf 15 Millionen Ton-
nen weltweit. Das klingt nach genug Lithi-
um für alle, genug von diesem Rohstoff für
alle Autos, für alle Handys und Laptops. Es
klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Vielleicht wäre es deshalb klug, noch
einmal einen genaueren Blick in den Be-
richt des MIR zu riskieren. Die Experten
schätzen, dass aus dem Salar de Atacama
Es ist eine verlockende Vorstellung, dass in 20 oder 30 Jahren nur noch Elektroautos leise durch die Stra-ßen schnurren. Nie wieder tanken, nie wieder Smog. Wie realistisch ist das? Und wie viel Lithium gibt es überhaupt auf der Erde?
»«
dass sich ein Abbau lohnt. Eine dieser Stel-
len ist das »Lithiumdreieck« – drei Salz-
seen in Argentinien, Bolivien und Chile,
wo stolze 70 Prozent der weltweiten Lithi-
umvorräte lagern.
Salar de Atacama, Salar de Uyuni, Salar
de Hombre Muerto – vielleicht werden die
Namen dieser Seen bald in aller Munde
sein. Denn seit die Automobilindustrie auf
Elektroautos mit Li-Ions setzt, steigt der
Bedarf rasant an. Es ist ja auch eine ver-
lockende Vorstellung, dass in 20 oder 30
Jahren nur noch Elektroautos leise durch
die Straßen schnurren. Nie wieder tanken,
nie wieder Smog. Dafür müssten allein in
Deutschland 57 Millionen Autos ersetzt
werden. Wie realistisch ist das? Wie viel Li-
thium gibt es überhaupt auf der Erde?
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 69
seit 1984 bereits 100.000 Tonnen Lithium
abgebaut wurden. Optimistische Schät-
zungen gehen davon aus, dass knapp sie-
ben Millionen Tonnen noch dort lagern.
Maximal können davon aber nur eine
Million Tonnen gefördert werden, weil
das restliche Lithium in zu großer Tiefe la-
gert oder die Konzentration so gering ist,
dass der Abbau mehr Geld kosten würde,
als er einbringt. Ähnlich sieht es im Salar
de Uyuni aus, wo aufgrund schlechterer
klimatischer Bedingungen nur 300.000
bis 600.000 Tonnen zu gewinnen sind.
Immerhin besser als nichts, könnte man
sagen. Die Konsequenz aber wäre die kom-
plette Zerstörung dieser einzigartigen, bi-
zarr schönen Naturwunder.
Der Salar de Atacama liefert ungefähr
die Hälfte der jährlichen Weltproduktion
an Lithium, 2007 rund 10.000 Tonnen. Für
das Jahr 2015 schätzt das MIR einen Bedarf
von rund 45.000 Tonnen Lithium. Den Lö-
wenanteil verbrauchen die Elektronikbran-
che sowie Glas- und Keramikherstellung.
Nur rund 13 Prozent stehen tatsächlich der
Automobilindustrie zur Verfügung. Da-
mit könnte man gerade einmal schlappe
2,7 Millionen moderne Li-Ions herstellen.
Zum Vergleich: Die jährliche Autoproduk-
tion liegt bei 60 Millionen Autos – nur
knapp 5 Prozent davon könnten also durch
Elektroautos ersetzt werden. Bis die verhei-
ßungsvolle Zukunft der Elektromobilität
komplett umgesetzt werden kann, muss
die Fördermenge an Lithium drastisch er-
höht werden. Im Umkehrschluss heißt das
aber auch: je mehr abgebaut wird, desto
geringer wird die Konzentration des Ele-
ments in den Salzseen Südamerikas und in
den anderen Lagerstätten. Verringert sich
aber die Konzentration in der Salzlauge,
wird der Abbau des Lithiums noch schwie-
riger, zeitaufwendiger und zerstörerischer
für die Umwelt.
Es ist ein Teufelskreis, der an ein ähn-
lich gelagertes Problem unserer Zeit erin-
nert. Es gibt noch einen begrenzt vorkom-
menden Rohstoff, der essentiell für unsere
Mobilität ist – Öl. Die Vorräte an fossilen
Brennstoffen gehen zur Neige, da wir sie
intensiv nutzen. Ein Alarmsignal, das uns
zwingt nach neuen Lösungen für die Zu-
kunft zu suchen. Aber ist es ein Ausweg,
einen knappen Rohstoff durch etwas zu
ersetzen, das ebenfalls nur in begrenztem
Maße vorhanden ist? Li-Ions mögen eine
Möglichkeit sein, die Mobilität der nahen
Zukunft zu gewährleisten. Trotzdem muss
die Suche nach Alternativen weitergehen,
damit wir die Verantwortung für unsere
Zukunft nicht einfach auf die nächste Ge-
neration abschieben. <<
Ann-Kathrin Braun
Eine dicke Salzkruste überzieht den Salar de Atacama. Der drittgrößte Salzsee der Erde liegt in den chile-nischen Anden. Hier lagert ein begehrter Rohstoff für die Automobilindustrie: Lithium. Wird das gefragte Metall jedoch weiter so exzessiv abgebaut, zerstört der Mensch diese einmalige Landschaft für immer.
© F
ranc
esco
Moc
ellin
70 GRAUZONE
Autonomes FAhren
Schon jetzt rollen testweise die ersten Autos selbst ständig auf den Straßen. Ob der Fahrer dabei zum Beifahrer wird und wo die Entwick-ler ihre Verantwortung gegenüber dem Men-schen sehen, ist noch strittig.
Wer fährt denn hier?
»Ampel rot«, meldet Leonie mit
lieblicher Stimme. Wenig später
bremst sie langsam ab, bis sie an
der Haltelinie auf dem Stadtring in Braun-
schweig zum Stehen kommt. Sobald die
Ampel auf Grün schaltet, gibt sie Gas.
Da schert ein Auto vor ihr ein. Ein klei-
ner Ruck geht durch Leonie. Erst bremst
sie ab, dann gibt sie ein bisschen Gas, bis
sie den Sicherheitsabstand wieder herge-
stellt hat.
Erneut kommt eine rote Ampel. Hier
schert Leonie auf die Abbiegespur ein und
setzt den Blinker. Dann ertönt ein schril-
ler Piepston, der signalisiert, dass Bernd
Lichte jetzt Steuer und Pedale übernimmt.
Lichte ist wissenschaftlicher Mitarbei-
ter am Institut für Regelungstechnik der
Technischen Universität Braunschweig
und der Sicherheitsfahrer von Leonie.
Sie ist ein grauer VW Passat der Uni-
versität, an dem das sogenannte auto-
nome Fahren im Stadtverkehr getestet
wird. Fahrzeuge wie Leonie können die
Geschwindigkeit autonom regeln, alleine
lenken und erkennen, wenn ein Gegen-
stand zu nahe kommt. Dann bremst sie
bis zum Stillstand ab.
Auf Flughäfen oder an Containertermi-
nals fahren bereits autonome Fahrzeuge.
So transportieren 86 fahrerlose Transport-
fahrzeuge im Containerterminal Altenwer-
da in Hamburg Container von den Schiffen
zum Lager. Die Steuerung der Fahrzeuge
läuft über kleine Sensoren im Asphalt, mit
deren Hilfe die fahrerlosen Transportfahr-
zeuge sich den kürzesten Weg zum Ziel
suchen. Da sie außerhalb ihres Einsatzge-
bietes nicht selbstständig fahren können,
ist diese Technik für den öffentlichen Stra-
ßenverkehr nicht geeignet und kann noch
nicht in Serie eingesetzt werden.
© Ta
bea
Ost
hues
Der Einparkassistent hilft dem Fahrer nicht nur die passende Parklücke zu finden, sondern berechnet auch den optimalen Einparkvorgang. Die Lenkung wird dabei von dem Auto komplett allein übernommen. Nur noch Gas und Bremse muss der Fahrer betätigen.
Wissenschaft ist nicht schwarz oder weiß 71
100. Geburtstag von Carl Friedrich von Weizsäcker
1912-‐2007 Diskussionsveranstaltung:
Wie soll und wird die Rolle der wissenschaftlichen Bildung im nächsten Jahrzehnt aussehen?
Tagung: WOHIN GEHEN WIR – heute?
28. Juni 2012
Humboldt-‐Viadrina School of Governance, Berlin 29. Juni -‐1. Juli 2012
Europäische Akademie Berlin Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V.
Informationen und Voranmeldung unter
info@vdw-‐ev.de 030/21 23 40 56 Foto: GMurr97
U.a. mit Johan Galtung Martin Heisenberg Reiner Langhans K.M. Meyer-‐Abich Konrad Raiser Gesine Schwan Klaus Töpfer Hans J. Vogel E.U.v. Weizsäcker
»Das wird erst in sehr weiter Zukunft
der Fall sein«, sagt Udo Rügheimer, Pres-
sesprecher für Technik von Bosch in Stutt-
gart. Denn bei einem Unfall könne dem
System noch nicht die Verantwortung ge-
geben werden. Rügheimer weist damit auf
das Wiener Übereinkommen zum Straßen-
verkehr hin: »Hier ist festgelegt, dass der
Fahrer die Verantwortung für sein Fahr-
zeug hat.« Das Übereinkommen stammt
aus dem Jahr 1968 und soll den internatio-
nalen Straßenverkehr erleichtern.
»Wissenschaftler entwickeln autonome
Fahrzeuge, weil sie sich in der Verantwor-
tung sehen, die Fahrsicherheit zu erhö-
hen«, erklärt Rügheimer. Fahrer sollen in
ermüdenden oder kritischen Situationen
– die zu einem Unfall führen können –
entlastet werden. Das kann beispielsweise
durch einen Spurhalteassistent, oder ein
elektronisches Stabilitäts-Programm, kurz
ESP, geschehen.
Auch Ioannis Iossifidis, Professor für
Theoretische Informatik – Kognitive Sys-
temtechnik an der Hochschule Ruhr West
in Bottrop, befürwortet die Entwicklung
von Fahrerassistenzsystemen: »Wenn die
Systeme im Auto kein zusätzliches Risiko
bergen und damit zu einem Verkehrstoten
weniger beitragen, dann ist die Entwick-
lung des Autonomen Fahrens für mich ge-
rechtfertigt«, sagt er. Im Jahr 2010 starben
laut dem Statistischen Bundesamt 3.648
Menschen im Straßenverkehr.
Allerdings räumt Iossifidis ein, dass
das autonome Fahren auch einen ökolo-
gischen Aspekt habe. »Die Straßen kön-
nen dann effizienter genutzt werden.« Das
autonome Fahren sorge dafür, dass die
Straßen besser ausgelastet würden. Das
verringert die Staubildung, vor allem auf
stark befahrenen Straßen. Selbst bei gerin-
gen Geschwindigkeiten wäre so fließender
Verkehr möglich.
Iossifidis fühlt sich aus einem weiteren
Grund verantwortlich, das autonome Fa-
hren mit zu entwickeln: »Ich habe das
Gefühl, dass diese Forschung eine gesell-
schaftliche Relevanz besitzt.« So frage er
sich als Wissenschaftler, für wen die Ent-
wicklung nützlich ist. »Dabei denke ich vor
allem an Menschen mit einer Beeinträch-
tigung.« Denn je größer das Ausmaß der
Autonomie sei, desto geringer wäre die
Hürde für Leute mit Beeinträchtigung.
Dennoch besteht auch hier das Pro-
blem der Verantwortung bei einem Unfall.
Für Iossifidis stellt sich dabei die Frage,
warum Unfälle passieren. »Ihnen liegen
meist erkenntnismäßige Fehlleistungen
zu Grunde«, sagt der Wissenschaftler. Der
Fahrer habe etwa nicht in den Rückspiegel
geschaut oder nicht rechtzeitig gebremst.
Ob jemand wegen eines kognitiven Feh-
lers zur Verantwortung gezogen werden
kann, bleibt für Iossifidis fraglich. In einem
Punkt ist er sich sehr sicher: »Ein Compu-
tersystem macht Fehler, die ein Mensch
nicht machen würde und umgekehrt.«
VErBEssErtE rEAktioNDas ist auch bei Leonie so: Während der
Fahrt auf dem Testgelände fährt sie auf ein
stehendes Fahrzeug zu. Sie erkennt es mit
Hilfe ihrer Lasersensoren und kommt da-
hinter zum Stehen. Doch im nächsten Mo-
ment hat sie das Signal verloren und gibt
Gas. Mit einer Vollbremsung verhindert
der Sicherheitsfahrer Bernd Lichte gerade
noch einen Unfall.
Doch nicht nur ein verlorenes Signal
kann ein Problem sein: »Wenn ein Sensor
geblendet wird, kann es zu einer Reaktion
des Systems kommen, obwohl eigentlich
keine Gefahrensituation vorliegt«, erklärt
Felix Lotz vom Institut Maschinenbau,
Fachgebiet Fahrzeugtechnik. Er gehört
zum Team von »Proreta«, einem Projekt
der Technischen Universität Darmstadt
in Kooperation mit der Continental AG.
Hier entwickelt Lotz gemeinsam mit Kol-
legen unter anderem ein teilautonomes
Fahrkonzept. »Der Fahrer soll dabei auf
Manöverebene mit dem Fahrzeug kom-
munizieren.« Gibt der Fahrer dem Auto
beispielsweise zu verstehen, dass er an der
nächsten Kreuzung rechts abbiegen möch-
te, soll das Auto den Befehl durchführen.
Das Projekt befindet sich noch in seinen
Anfängen. Wie genau die Kommunikation
ablaufen wird, muss noch geklärt werden.
Bei dem Projekt ist dem Team wich-
tig, dass die Verantwortung beim Fahrer
bleibt. »Es muss sichergestellt werden,
dass Fahrer und Fahrzeug ein Team sind«,
so Matthias Pfromm vom Team »Proreta«.
Er und seine Kollegen sind sich einig,
dass ihre Entwicklung den Fahrer entla-
sten und nicht entmündigen soll.
Ähnlich sieht das auch Udo Rügheimer,
Pressesprecher von Bosch: »Die Systeme
dienen dazu, dem Fahrer mehr Informati-
on zur Verfügung zu stellen und die Reak-
tion früher und zielgenauer einzuleiten,
passend auf die aktuelle Fahrsituation.« So
erkenne das ESP, wenn beim Bremsen eine
Instabilität oder ein Ausbrechen des Wa-
gens drohe. Das System bremst daraufhin
die einzelnen Räder unterschiedlich stark
ab. »Dementsprechend trifft das Fahrzeug
schon heute Entscheidungen.«
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Auch »bei unangenehmen Tätigkeiten«,
zum Beispiel bei zähfließendem Verkehr
oder beim Einparken seien die Assistenz-
systeme eine feine Sache.
»Letztlich sind das Situationen, in de-
nen man das Recht auf eigenständige Ent-
scheidungen gar nicht wahrnehmen will«,
findet der Pressesprecher. So sieht er die
Verantwortung der Wissenschaftler gegen-
über dem Fahrer.
VErANtwortuNG BLEiBt BEim FAhrErAnderer Meinung ist Alexandra Schulz,
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fach-
bereichs Kraftfahrzeuge der Technischen
Universität Berlin. Sie empfinde aus for-
schender Sicht keine Verantwortung ge-
genüber dem Fahrer.
»Es geht darum, dem Fahrer einen Gefal-
len zu tun und ihm nicht zu schaden«,
erklärt sie. Den Wissenschaftler sehe sie
nicht in der Verantwortung, sich darüber
Gedanken zu machen, ob das autonome
Fahren eine Entmündigung des Fahrers ist.
»Der Fahrer sollte immer noch ‚in the loop‘
bleiben.« Das heißt, er soll eine handelnde
Komponente bleiben.
»Ein System kann keine Verantwortung
übernehmen«, meint sie. Daher werde die
kontrollierende Funktion des Fahrers noch
sehr lange erhalten bleiben.
Das ist auch nötig. Denn während Leonie
einen Teil des Stadtrings in Braunschweig
entlang fährt, ertönt erneut ein Piep-
ston. Als nächstes macht Leonie deutlich:
»Fehler erkannt. Mögliche Ursache durch
Eingriff«. Doch Bernd Lichte hat nicht in
den autonomen Fahrmodus eingegriffen.
Stattdessen hat Leonie einen Fehler im
System ausfindig gemacht. Es fährt auto-
matisch herunter und Lichte übernimmt
das Steuer. Währenddessen suchen seine
Doktoranden, die ebenfalls im Auto sitzen,
nach dem Fehler im System.
»Der Fahrer muss Herr über sein Fahr-
zeug sein«, erklärt Alexandra Schulz von
der Technischen Universität Berlin. Das
sei die momentane Regelung. Daher beto-
nen die Hersteller immer wieder, dass der
Fahrer verantwortlich ist.
»Bis die Technik das autonome Fahren
zuverlässig kann, wird es noch dauern«,
meint sie. Die bisherigen Systeme hätten
nicht die nötige Reichweite, um voraus-
schauend zu fahren. »Daher ist eine Car to
Car-Communication nötig«, sagt die Wis-
senschaftlerin. Dabei kommunizieren die
Fahrzeuge untereinander per Funksignal.
»Die Fahrzeuge tauschen aus, welches das
vorderste Fahrzeug sieht«, erklärt sie.
Doch bis es soweit ist, müsse erst noch
das Vertrauen der Bevölkerung in das Sy-
stem des autonomen Fahrens geschaffen
werden, weiß Matthias Schreier vom Team
Proreta. »Das kann dauern. Der Bevölke-
rung muss erst gezeigt werden, welche
Vorteile das System bringt.«
In Braunschweig fängt Leonie schon da-
mit an: Für wenige Kilometer fährt sie auf
dem Stadtring im Verkehr mit. <<
Tabea Osthues
Das Auto Leonie ist mit verschiedenen radar- und Lasersystemen ausgestattet. Damit ist es in der Lage, autonom ein kleines stück auf dem stadtring in Braunschweig zu fahren.
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Redaktionsschluss: 27.01.2012
Layout: Karsten KramarczikWerbedesign Kramarczik,
Lavendelweg 15, 64653 Lorsch, [email protected] Herstellung: Hochschule Darmstadt, Haardtring 100, 64295 DarmstadtLeitung: Prof. Dr. Annette Leßmöllmann (ver-antwortlich), Hochschule Darmstadt, Fachbereich Media, Studiengang WissenschaftsjournalismusMediencampus Dieburg, Max-Planck-Straße 2, 64807 Dieburg, [email protected], www.wj.h-da.de
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Auch nur MenschenWie stellen Sie sich eigentlich einen Wissenschaftler vor? Vielleicht
etwa so wie Amy. In der siebten Klasse nahm sie am »Beauty and
Charm«-Programm des amerikanischen Forschungszentrums für
Teilchenphysik »Fermilab« teil. Am Anfang des Projekts malte sie
ein Bild von einem Wissenschaftler und beschrieb ihre Vorstel-
lungen von seinem Alltag: »Ich denke, ein Wissenschaftler liebt
seine Arbeit sehr. Er ist ein wenig verrückt und spricht immer
schnell. Er bekommt ständig neue Ideen. Er fragt immerzu und
kann sehr nervig sein. Er hört sich die Ideen von anderen Leuten
an und hinterfragt sie.«
Anschließend lernte sie gemeinsam mit ihren Klassenkameraden
die »Fermilab«-Wissenschaftler kennen. Das veränderte ihre An-
sichten über die Forscher: »Ich weiß jetzt, Wissenschaftler sind
ganz normale Leute mit einem nicht ganz so normalen Job … Wis-
senschaftler führen ein ganz gewöhnliches Leben neben ihrem
Wissenschaftler-Dasein. Sie interessieren sich für Tanzen, Töpfern,
Joggen und sogar für Squash. Ein Wissenschaftler zu sein ist eigent-
lich nur ein Job, der viel aufregender sein kann als andere Berufe.«
Vielleicht haben sich Ihre Ansichten jetzt auch verändert. Denken
Sie immer daran: Wissenschaftler sind auch nur Menschen.
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