Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012...

7
Grenzüberschreitendes Facility Management – Formen und Herausforderungen Bernd Jacke

Transcript of Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012...

Page 1: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

Grenzüberschreitendes Facility Management – Formen und Herausforderungen

Bernd Jacke

Page 2: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

76

Lünendonk – Handbuch Facility Management 2013

Als ehemaliger CEO eines der führenden Facility-Service-Unter-nehmen in Deutschland verfolgte Bernd Jacke den Beginn und das nachfolgende Wachstum der Branche unmittelbar. Auch heute noch begleitet er als Unternehmensberater Aktivitäten in diesem kom-plexen Markt auf internationaler Basis. In einem Interview über grenzüberschreitendes Facility Management (FM) stellt er sich den Fragen von Lünendonk-Geschäftsführer Jörg Hossenfelder.

Jörg Hossenfelder: Herr Jacke, was ist für Sie modernes Facility Manage-ment?

Bernd Jacke: Es ist leichter, die aktuellen Entwicklungen nachzuvoll-ziehen, wenn wir zunächst einen Blick auf die Vorläufer und Anfänge im FM werfen. Als ich 1994 in das Unternehmen eintrat, standen Dienstleistungen wie Gebäudereinigung, Sicherheit, Garten- und Landschaftspflege oder Gebäudetechnik als Einzeldienstleistungen – also Sparten – noch unkoordiniert nebeneinander. Ja, es existierten geradezu Gräben zwischen diesen Sparten. Die jeweils Verantwortli-chen hatten Sorge, dass sie, wenn sie einem ihrer Kunden die Dienst-leistung des Kollegen empfählen, eines Tages den eigenen Auftrag verlieren könnten, weil möglicherweise die Sparte des Kollegen nicht die vom Kunden erwartete Qualität bringen werde. So war jeder auf seinen Verantwortungsbereich konzentriert und bemühte sich – durchaus erfolgreich – um Aufträge für seine Sparte, obwohl unter dem gemeinsamen Firmendach bereits ganze Leistungspakete dem Kunden hätten angeboten werden können.

Hossenfelder: Heute stellt sich diese Situation anders dar. Was war der Aus-löser für die Veränderung?

Jacke: Es war schließlich der Kunde, dem ein Nebeneinander von Dienstleistungen für sein Gebäude nicht mehr einleuchten sollte. Er war es, der die Koordination und eine einheitliche Führung vor Ort einforderte und als Konsequenz auf einer Absenkung der berechne-ten Leistungen bestand. Schnell war mit Facility Management auch ein guter Name für ein neues Geschäftsmodell gefunden. Mit dem Beginn von FM begannen die Kunden auch, die Vergabe der Gebäu-dedienstleistungen intern zu bündeln. So ergaben sich zusätzliche Kosteneinsparungen durch interne Strukturveränderungen auf Kun-denseite.

Hossenfelder: Vor welche Herausforderungen stellte dies Kunden und Dienst-leistungspartner?

Jacke: Die natürliche Entwicklung war, dass der Kunde diese neue Form der Zusammenarbeit zunehmend nicht nur auf einzelne

Bündelung von Gebäude-

dienst-leistungen

Page 3: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

77

Erfolgsfaktor facility ManagEMEnt

Gebäude bezog, sondern – sofern entsprechende Potenziale vorhan-den waren – auf die gesamte Bundesrepublik ausdehnte. Dies stellte die nächste Herausforderung für die Dienstleister dar. Der Kunde erwartete jetzt nicht länger nur die Koordination der Dienstleistung in einem seiner Gebäude, sondern auch eine Vereinheitlichung der bisher von vielen unterschiedlichen Anbietern regional erbrachten Dienstleistungen. In diesem Zusammenhang konnten wiederum erhebliche Synergien gehoben werden. Organisatorisch wurde nur noch ein Ansprechpartner auf der Anbieterseite für alle betroffenen Lokationen akzeptiert. Damit hielt das Key Account Management Einzug in die FM-Branche. Parallel reduzierte der Kunde erneut seine internen Kosten, denn auch er nahm seine Struktur auf nur noch einen Ansprechpartner für alle Gebäude bundesweit zurück.

Hossenfelder: Und dann setzte die Globalisierung ein …

Jacke: … und gewann zunehmend Einfluss auf die Übertragung die-ser nationalen Modelle auf eine internationale Ebene. International tätige Unternehmen, die in der Vergangenheit an vielen Orten interne Teams zum Einkauf und zur Steuerung von intern oder extern erbrachten Gebäudedienstleistungen im Einsatz hatten, erkannten die Chance zur Kosteneinsparung, zur Vereinheitlichung und zur Qualitätsverbesserung. Diese Unternehmen stellten ebenfalls zuneh-mend fest, dass die Effizienz der eigenen Teams im Vergleich zu einem professionellen FM-Dienstleister erheblich geringer war; was ja nicht wirklich verwunderte, da es sich schließlich nicht um das Kerngeschäft des jeweiligen Unternehmens handelte.

Hossenfelder: Welche Auswirkungen hatte dies auf die Facility-Service-Anbieter?

Jacke: Mit diesen immer komplexeren Anforderungen begann sich zwangsläufig auch die Struktur auf der Anbieterseite zu verändern. Ebenso, wie im Zusammenhang mit den Veränderungen im nationa-len Bereich ausschließlich regional tätige Anbieter Auftragsverluste hinnehmen mussten, begann sich diese Entwicklung nun aufgrund von Anforderungen im grenzüberschreitenden FM-Geschäft auf internationaler Ebene fortzusetzen. Immer stärker wurde auch der Druck, für FM-Dienstleistungen überregional gültige Definitionen zu finden, damit zwischen den einzelnen Marktteilnehmern aus den unterschiedlichsten Ländern Grundlagen für ein gemeinsames Ver-ständnis zumindest angebahnt werden. So wird derzeit unter der Führung des British Standard Institute ein Projekt erarbeitet mit dem Ziel, einen einheitlichen ISO-Standard zur Definition von FM in einem globalen Kontext zu entwickeln.

Standar-disierung von FM-Dienst-leistungen

Page 4: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

78

Hossenfelder: Wie stellt sich die Situation denn heute dar?

Jacke: Schritt für Schritt entwickelt sich Facility Management zu einem eigenständigen, klar definierten Geschäftsfeld und einer wis-senschaftlichen Disziplin. National und international nimmt das

Abb. 17: Der europäische FM-Markt wächst schnell und ist von Zusammenschlüssen, Akquisitionen und Partnerschaften geprägt Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland

Lünendonk – Handbuch Facility Management 2013

Page 5: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

79

Erfolgsfaktor facility ManagEMEnt

Angebot von Studiengängen und Weiterbildungsangeboten Jahr für Jahr zu. Dies wird ebenfalls eine Vereinheitlichung fördern.

Hossenfelder: Und wie sehen Ihrer Meinung nach die Entwicklungen auf dem gesamten Kontinent aus?

Jacke: Wenn wir nur den europäischen FM-Markt betrachten, entwickelt er sich und wächst in einem rasanten Tempo. Die Folge sind auf der Anbieterseite Zusammenschlüsse, Akquisitionen und Partnerschaften, um Angebote im internationalen Geschäft überhaupt glaubwürdig dar-stellen zu können. Dabei suchen die wenigen noch international akti-ven Unternehmen mit unterschiedlichen Organisations strukturen nach einem Königsweg zur optimalen Bedienung ihrer Kunden.

Hossenfelder: Das heißt: Wer nicht mitmacht, verliert?

Jacke: Nationale Anbieter treffen die vermeintlich bittere Feststellung, dass sie große Kunden in ihren jeweiligen Ländern verlieren – und dies nicht zwangsläufig aufgrund des Preises, nicht aufgrund der Qualität oder aufgrund eines mangelnden Kontaktes zu den verant-wortlichen Ansprechpartnern. Die Ursache liegt in der Globalisie-rung der Märkte und der damit verbundenen Reorganisation auf der Kundenseite. Zunehmend verantworten in solchen Unternehmen global tätige Beschaffungsabteilungen den Einkauf, die nur noch sel-ten in der jeweiligen Region ansässig sind. So wird unter anderem für den bisherigen Dienstleister das über Jahre zum Kunden aufge-baute Beziehungsnetz mit einem Schlag wertlos, denn eine zentrale Stelle, die eine konsolidierte One-Stop-Shop-Lösung sucht, entschei-det von nun an über die Auftragsvergabe.

Hossenfelder: Wie begegnen die Dienstleister dieser Entwicklung?

Jacke: In Europa gibt es derzeit vier Formen, in denen Anbieter versu-chen, den neuen Herausforderungen zu begegnen.

Erstens: Zunächst gibt es Zusammenschlüsse von nationalen Unter-nehmen, die organisatorisch durch eine Non-Profit-Organisation koordiniert werden und über die der Kunde einen für Europa ein-heitlichen Ansprechpartner erhält. Diese Dachgesellschaften geben Angebote ab, die ihnen aus den einzelnen Mitgliedsländern zugeteilt werden. Diese auf den ersten Blick schwierige Organisationsform ist insbesondere dadurch sehr effektiv, dass die beteiligten Dienstleister in den einzelnen Ländern darauf spezialisiert sind, lokale Dienstleis-tungen mit lokalen Unternehmen für lokale Kunden zu erbringen, zum Beispiel ECS, Euroliance oder SNI.

Anbieter stellen sich auf neue Formen der Auftrags-vergabe ein

Page 6: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

80

Lünendonk – Handbuch Facility Management 2013

Zweitens: International tätige und zentral geführte Anbieter tun sich zwar aufgrund ihrer Organisationsform leichter, haben aber prak-tisch mit den nationalen Interessen des jeweiligen Managements bei der Angebotsabgabe und anschließenden Umsetzung mitunter ihre Schwierigkeiten. Mit einer weiteren Expansion des Marktes werden Anbieter wie ISS, Sodexo oder Compass ihre Organisationen noch schlagkräftiger gestalten.

Drittens: Real-Estate-Unternehmen haben ebenfalls erkannt, dass internationales Facility Management ein attraktives Geschäftsfeld dar-stellen kann. Ihr Vorteil ist, dass sie dem Kunden oft den Mehrwert liefern können, für ihn die Koordination weltweit zu verantworten und ihm damit auch die Koordination der einzelnen Cluster bezogen auf die Erdteile zu ermöglichen. Sie verfügen im Allgemeinen über Informationspools und können dem Kunden mithilfe von Benchmar-king einen zusätzlichen Nutzen bieten. Da diese Anbieter in den sel-

Abb. 18: Ein kleinerer Teil von FM-Unternehmen ist auch außerhalb Europas tätig. Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland

Page 7: Grenzüberschreitendes Facility Management Formen und ... · Quelle: Lünendonk-Studie 2012 Facility Service in Deutschland. 81 ERFOLGSFAKTOR FACILITY MANAGEMENT tensten Fällen über

81

Erfolgsfaktor facility ManagEMEnt

tensten Fällen über eigenes FM-Personal verfügen, benötigen sie zur Erbringung der Dienstleistung allerdings regionale Partner. Unternehmen in diesem Sektor sind unter anderem JLL oder GBRA.

Viertens: Auch international tätige Bauunternehmen runden ihre Wertschöpfungskette zunehmend mit FM-Dienstleistun-gen ab. Ihnen gelingt es insbesondere, im Rahmen von Public-private-Partnership-Projekten Marktanteile zu gewinnen. Da-bei sind Vertragslaufzeiten von 25 Jahren und mehr keine Sel-tenheit. Hier sind Bilfinger, Strabag und Hochtief zu nennen.

Hossenfelder: Wenden wir uns zum Abschluss dem Thema zu, wel-che Motive global agierende Kunden veranlassen, über eine zentrale Vergabe von Facility Services nachzudenken.

Jacke: Hier lassen sich folgende Beweggründe festhalten: Senkung der Kosten; Erhöhung der Transparenz gegenüber regionaler und nationaler Auftragsvergabe; grenzüberschrei-tende Optimierung der Prozesse; Erkennen von Best-Prac-tise-Strukturen; Ausweitung des Vergabespektrums unter Einbeziehung von Skaleneffekten; Qualitätsverbesserung, unter anderem durch Optimierung des Beschwerdemanage-ments; zunehmender Einfluss von Umweltthemen und damit die steigende Verpflichtung zur Nachhaltigkeit; fehlende Beziehung des Themas FM zum Kerngeschäft.

Fest steht aber auch: Es gibt auf Seiten der Kunden auch kriti-sche Stimmen, die in einer Beauftragung nur eines Dienst-leisters für ganze Erdteile eine steigende Abhängigkeit sehen. Diese liegt insbesondere begründet in Know-how-Verlust und längerfristiger vertraglicher Bindung.

Hossenfelder: Herr Jacke, welche Empfehlung können Sie Unter-nehmen geben, die sich mit grenzüberschreitendem FM befassen?

Jacke: Auch wenn an vielen Stellen ein länderübergreifendes FM eine logische Fortsetzung von ehemals regionalen und im weiteren Verlauf nationalen Services darstellt: Die Realität hat noch eine weitere große Herausforderung zu bieten. Bereits in Europa ist eine Vielzahl von kulturellen Unterschieden im Tagesgeschäft zu bewältigen. Dies erfordert verstärkt eine Aus- und Weiterbildung der Akteure im Umgang mit kulturellen Unterschie-den. Denn nur, wenn die Menschen sich auch emotional verstehen und in ihrem Anderssein tolerieren, wird dieses Geschäftsmodell sein bisheriges Wachstum halten und ausbauen können.

Bernd JackeDer Diplom-Betriebs-wirt Bernd Jacke wirkt mit seiner unter nehmerischen Erfahrung seit 2009 erfolgreich als selbstständiger Berater und kann auf viele Jahre als CEO in mittelständischen und großen deutschen Unternehmen mit 500 bis 25.000 Mitarbei-tern zurückblicken. Unter anderem war er als Geschäftsführer des Informations-technik-Dienstleisters TDS AG, Neckarsulm, und Vorsitzender der Geschäftsführung des Facility-Services-Unternehmens WISAG, Frankfurt am Main, tätig.